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Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. Mißmutig ging Linda Böhnig durch die luftig-hellen Flure der Klinik. Von beinahe jedem Fenster aus hatte sie einen herrlichen Blick auf die träge dahinfließende Mosel und die beeindruckenden Weinberge, die an beiden Ufern aufragten, doch für diese Schönheiten hatte sie im Moment kein Auge. Die vielen leeren Zimmer bedrückten sie. Wie anders war das noch vor einem Jahr gewesen! Da hatte hier reges Leben geherrscht. Doch Karsten hatte das alles zerstört. Nun ja, Dr. Karsten Böhnig gehörte der Vergangenheit an. Allerdings machte das ihre Probleme kaum geringer. Ihre hohen Absätze klapperten auf dem edlen Marmorboden der Eingangshalle, dann trat sie durch die große Doppeltür ins Freie. Kalte Winterluft umfing sie und ließ sie trotz ihrer Pelzjacke frösteln. Rasch schloß sie die Tür ab, dann bestieg sie ihren rubinroten Sportwagen, ließ den Motor aufheulen und fuhr schließlich in rasantem Tempo die schmale, gewundene Privatstraße hinunter. Eine knappe halbe Stunde später erreichte sie das exklusive Burgrestaurant, wo sie mit ihrem langjährigen Freund Oskar Pellendorf verabredet war. Linda hatte das Restaurant kaum betreten, als Oskar ihr auch schon entgegenkam, um ihr die Pelzjacke abzunehmen. Ein Blick in ihr Gesicht verriet ihm alles. »Du warst also wieder in der Klinik oben«, meinte er, während er ihr einen Stuhl zurechtrückte. Mit einer zornigen Handbewegung legte Linda ihre schmale Lederhandtasche auf den Tisch. In diesem Augenblick wirkte sie wie ein junges Mädchen, dabei hatte sie vor zwei Wochen ihren fünfundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Offiziell war sie achtunddreißig geworden, und wer sie nicht ausgesprochen gut kannte, nahm ihr das unbesehen ab. Sie tat allerdings
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Mißmutig ging Linda Böhnig durch die luftig-hellen Flure der Klinik. Von beinahe jedem Fenster aus hatte sie einen herrlichen Blick auf die träge dahinfließende Mosel und die beeindruckenden Weinberge, die an beiden Ufern aufragten, doch für diese Schönheiten hatte sie im Moment kein Auge. Die vielen leeren Zimmer bedrückten sie. Wie anders war das noch vor einem Jahr gewesen! Da hatte hier reges Leben geherrscht. Doch Karsten hatte das alles zerstört.
Nun ja, Dr. Karsten Böhnig gehörte der Vergangenheit an. Allerdings machte das ihre Probleme kaum geringer.
Ihre hohen Absätze klapperten auf dem edlen Marmorboden der Eingangshalle, dann trat sie durch die große Doppeltür ins Freie. Kalte Winterluft umfing sie und ließ sie trotz ihrer Pelzjacke frösteln. Rasch schloß sie die Tür ab, dann bestieg sie ihren rubinroten Sportwagen, ließ den Motor aufheulen und fuhr schließlich in rasantem Tempo die schmale, gewundene Privatstraße hinunter.
Eine knappe halbe Stunde später erreichte sie das exklusive Burgrestaurant, wo sie mit ihrem langjährigen Freund Oskar Pellendorf verabredet war.
Linda hatte das Restaurant kaum betreten, als Oskar ihr auch schon entgegenkam, um ihr die Pelzjacke abzunehmen. Ein Blick in ihr Gesicht verriet ihm alles.
»Du warst also wieder in der Klinik oben«, meinte er, während er ihr einen Stuhl zurechtrückte.
Mit einer zornigen Handbewegung legte Linda ihre schmale Lederhandtasche auf den Tisch. In diesem Augenblick wirkte sie wie ein junges Mädchen, dabei hatte sie vor zwei Wochen ihren fünfundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Offiziell war sie achtunddreißig geworden, und wer sie nicht ausgesprochen gut kannte, nahm ihr das unbesehen ab. Sie tat allerdings auch etwas, um so auszusehen – und sie hatte das nötige Kleingeld dafür. Ihr regelmäßiges Fitneßtraining erhielt ihr die fast mädchenhafte Figur, und eine namhafte Kosmetikerin verdiente fürstlich an dem, was sie Linda an Masken, Lotions und dezenten Kosmetika auf das Gesicht zauberte. Dazu suchte sie einmal wöchentlich ihren Friseur auf, der Olaf Heine hieß, sich aber Coiffeur Jacques nannte und dafür ein entsprechend höheres Honorar berechnete.
»Es macht mich ganz krank, wenn ich nur daran denke, was Karsten aus meiner Klinik gemacht hat«, entgegnete Linda jetzt auf Oskars Feststellung von vorhin. »Unser Ruf ist weit über die Grenzen von Rheinland-Pfalz hinausgedrungen, aber dieser Stümper hat es tatsächlich geschafft, mich zu ruinieren.«
Mit einem verhaltenen Schmunzeln betrachtete Oskar das sündhaft teure Brillant-Collier, das sie zu einem extravaganten Lagerfeld-Modellkleid trug. Das platinblonde Haar war offensichtlich frisch gestylt, und das, was sie an Rouge, Wimperntusche, Lidschatten und Lippenstift im Gesicht trug, hatte sie vermutlich ein halbes Vermögen gekostet – von der exklusiven Duftwolke, die sie dezent und unaufdringlich umschmeichelte, ganz zu schweigen. Alles in allem war Linda Böhnig meilenweit vom Ruin entfernt.
»Übertreibst du da nicht ein bißchen?« erkundigte sich Oskar. Er war der einzige, der sich eine solche Frage erlauben durfte.
Linda winkte ab. »Lassen wir dieses Thema. Es macht mich nur aggressiv.«
Ein Ober trat nahezu lautlos an den Tisch, nahm die Bestellung auf und entfernte sich dann diskret.
Linda beugte sich ein wenig zu Oskar hinüber.
»Und? Hast du etwas herausbekommen?« wollte sie in leisem Ton wissen.
Ein überhebliches Lächeln er-schien auf Oskars Gesicht.
»Natürlich«, erklärte er mit Nachdruck. »Ich bin nicht umsonst der beste Privatdetektiv Deutschlands.«
Lindas Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. »Über mangelndes Selbstbewußtsein kannst du wirklich nicht klagen.«
Oskar grinste, dann zog er ein schmales Blatt Papier aus der Innentasche seines Jacketts.
»Voilá, Madame – die zehn besten Frauenärzte Deutschlands – alle ledig, verwitwet oder geschieden. Petri Heil.«
»Laß diese vulgäre Redensweise«, wies Linda ihn zurecht.
»Mein liebes Kind, das ist nicht vulgär. Mit Petri Heil wünscht man einem anderen Anglerglück. Und das ist es doch, was du willst: Dir einen dieser Ärzte angeln, damit deine Klinik einen neuen Aufschwung erlebt.«
Es gelang Oskar nicht, Linda aus ihrer Gelassenheit zu reißen. Ohne etwas auf seine Worte zu erwidern, griff sie nach der Liste und begann, sie zu studieren. Es waren tatsächlich durchweg Namen, die ihr geläufig waren.
Der Ober servierte den Aperitif und entfernte sich wieder, während Linda die Liste weglegte und an ihrem Martini nippte.
»Und?« wollte Oskar schließlich wissen. »Ist keiner dabei, der dir zusagt?«
Linda lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und trommelte mit den Fingernägeln auf die Tischplatte.
»Dr. Robert Daniel«, antwortete sie dann nur.
Oskar nickte. »Das dachte ich mir schon. Er dürfte von allen Ärzten, die auf dieser Liste stehen, den besten Ruf genießen. Allerdings fürchte ich, daß du gerade mit ihm die größten Probleme haben dürftest. Soweit ich bis jetzt informiert bin, hat er diese Praxis in Steinhausen bereits zu Lebzeiten seiner Frau betrieben. Außerdem ist er seit einiger Zeit Direktor dieser Waldsee-Klinik, die mehr oder weniger auf sein eigenes Betreiben hin gebaut wurde. Ich schätze, der gute Dr. Daniel dürfte nur schwer aus diesem bayrischen Dorf wegzubringen sein.«
»Das laß nur meine Sorge sein«, meinte Linda selbstbewußt. »Ich will über diesen Mann alles wissen und zwar so schnell wie möglich.«
»Also gestern schon«, erklärte Oskar sarkastisch, dann nickte er. »Gut, ich werde mein Möglichstes tun.« Er warf einen Blick auf seinen Taschenkalender, rechnete kurz nach und fuhr dann fort: »Spätestens in zwei Wochen wirst du seinen gesamten Lebenslauf auf dem Tisch haben.«
*
Oskar Pellendorf hielt sein Versprechen. Auf den Tag genau zwei Wochen später verabredete er sich wieder mit Linda – diesmal jedoch in ihrer Villa.
»Also, was hast du herausgefunden?« fragte sie, während sie im Salon Platz nahmen, dann schlug sie mit einer graziösen Bewegung die Beine übereinander.
Oskar holte ein umfangreiches Dossier aus seiner Aktentasche.
»Möchtest du es lesen, oder soll ich dir das Wichtigste erzählen?« erkundigte er sich.
»Erzähl«, verlangte sie. »Lesen kann ich es später immer noch.«
»Gut«, meinte Oskar, vertiefte sich kurzzeitig in seine Unterlagen und fuhr dann fort: »Also, der gute Mann ist einundfünfzig.« Er sah Linda an. »Nicht zu alt für dich?«
»Unsinn«, entgegnete sie. »Auf seinen Ruf als Arzt kommt es mir an, nicht auf sein Alter. Weiter.«
»Er ist Witwer, war verheiratet mit Christine Daniel, geborene Steiner.«
Linda runzelte die Stirn. »Steiner? Weißt du mehr über sie?«
Überrascht sah Oskar sie an. »Ich dachte, du interessierst dich für ihn und nicht für seine verstorbene Frau.« Er blätterte in der eigens über Dr. Daniel angelegten Akte. »Aber natürlich habe ich auch Informationen über seine verstorbene Frau eingeholt. Sie war die einzige Tochter des Großunternehmers Albert Steiner. Außer ihr hatte er nur noch einen Sohn, der die Firma erbte. Christine bekam die Villa in Steinhausen. Im Alter von vierundvierzig Jahren starb sie an Leukämie.«
Ein siegessicheres Lächeln breitete sich auf Lindas betörend schönen Zügen aus.
»Wie der Zufall so spielt«, erklärte sie. »Sie ist es tatsächlich.«
Verständnislos sah Oskar sie an. »Heißt das vielleicht, du kanntest seine Frau?«
»Nein«, entgegnete Linda knapp. »Das ist eine Geschichte, die dich nichts angeht. Und jetzt erzähl weiter. Was gibt es über Dr. Daniel sonst noch Wissenswertes?«
Oskar zögerte. Der Ton, in dem Linda gelegentlich mit ihm sprach, gefiel ihm ganz und gar nicht. Allerdings zog er es wie immer vor zu schweigen. Schließlich verschaffte Linda ihm doch gelegentlich gutbezahlte Aufträge, und die hatte er manchmal auch bitter nötig – auch wenn er es sich nicht anmerken ließ.
»Er hat zwei Kinder – Stefan und Karina«, fuhr Oskar schließlich fort. »Stefan ist sechsundzwanzig, hat Medizin studiert und arbeitet als Assistenzarzt an der Waldsee-Klinik in Steinhausen. Er war kurzzeitig mit einer Assistenzärztin verlobt. Rabea Gessner. Doch die Beziehung ging auseinander. Karina ist dreiundzwanzig und mit dem Schweizer Pianisten Jean Jacques verlobt. Sein bürgerlicher Name ist Jean Veltli. Er hat zwei Brüder und eine Schwester, seine Eltern besitzen ein Erholungsheim im Wallis.« Er blätterte wieder in seiner Akte, dann setzte er hinzu: »Nach dem Tod seiner Frau hat Dr. Daniel fünf Jahre in München praktiziert – in der Praxis eines Studienkollegen. Seit seiner Rückkehr nach Steinhausen führt ihm seine ältere Schwester Irene Hansen den Haushalt. Sie wurde ebenfalls schon sehr früh Witwe. Keine Kinder.« Jetzt sah Oskar auf. »Interessiert dich sonst noch etwas?«
»Gibt es in seinem Leben eine Frau?«
Oskar schüttelte den Kopf. »Bis jetzt noch nicht. Es besteht da zwar eine ziemlich feste Freundschaft mit der Allgemeinmedizinerin am Ort. Dr. Manon Carisi, ebenfalls Witwe. Allerdings gibt es zwischen ihnen mit Sicherheit keine intime Beziehung.« Etwas wie Stolz blitzte in seinen Augen auf. »Das wüßte ich sonst nämlich.«
Linda wippte mit ihrem Fuß auf und nieder – ein Zeichen, daß sie scharf nachdachte, dann stand sie abrupt auf.
»Ich werde nach Steinhausen fahren«, erklärte sie.
»Bist du da nicht ein bißchen voreilig?« wandte Oskar ein.
Linda zuckte die Schultern. »Ich will meine Klinik wieder in Schwung bringen – und das lieber heute als morgen. Und dieser Dr. Daniel ist der Schlüssel dazu.« Sie zeigte ein überlegenes Lächeln. »Verlaß dich darauf, daß ich mir diesen Schlüssel holen werde.«
*
Linda war nach Oskars Besuch noch keine fünf Minuten allein, als sie auch schon zum Wohnzimmerschrank ging und die unterste Schublade öffnete. Hier lagen fein säuberlich gestapelt die Fotoalben ihrer Mutter. Linda hatte dafür nie viel Interesse gehabt und sie nur aufbewahrt, weil das Herz ihrer Mutter zeitlebens daran gehangen hatte. Jetzt zahlte sich dieser Hauch von Sentimentalität, der sie nach dem Tod ihrer Mutter überfallen hatte, doch noch für sie aus.
Neugierig blätterte Linda ein Album nach dem anderen durch, aber erst im vorletzten fand sie das, was sie suchte. Das Bild zeigte zwei junge Frauen, von denen eine ein Baby im Arm hielt.
Meine Schwester Hedwig mit ihrer Tochter Christine (6 Monate), hatte Lindas Mutter darunter notiert.
Interessiert betrachtete Linda das Baby. Das also war ihre Kusine Christine, die später Dr. Daniel geheiratet haben mußte. Dann blätterte Linda weiter in der Hoffnung, noch ein Foto zu finden, das Christine als Mädchen oder vielleicht sogar als junge Frau zeigte, allerdings war diese Möglichkeit nur sehr gering. Solange sich Linda erinnern konnte, waren ihre Mutter und deren Schwester Hedwig immer zerstritten gewesen – über den Grund für diesen massiven Streit hatte sich Lindas Mutter zeitlebens ausgeschwiegen. Die Schwester mußten sich allerdings schon vor Lindas Geburt entzweit haben, und eine Versöhnung hatte auch niemals stattgefunden.
Trotzdem war Linda das Glück hold. Anscheinend hatte Hedwig ihrer Schwester ungeachtet des bestehenden Streits ein Hochzeitsfoto ihrer Tochter zukommen lassen – vielleicht auch nur, um damit anzugeben. Linda hätte sich am liebsten die Hände gerieben, als sie die hübsche blonde Braut an der Seite ihres stattlichen Mannes erblickte.
Christine und Robert Daniel, hatte ihre Mutter nur darunter notiert.
Angestrengt betrachtete Linda das Foto und fragte sich dabei, ob sich zwischen ihr und Christine wohl eine gewisse Ähnlichkeit würde herstellen lassen. Sicher, die Frisur, die Christine auf ihrem Hochzeitsbild trug, war nicht mehr modern, aber zumidest die Haarfarbe würde ihr Friseur problemlos hinkriegen.
Vorsichtig löste Linda das Foto aus dem Album, dann trat sie damit vor den großen Spiegel im Flur. Lindas schmales, feingemeißeltes Gesicht wies durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit dem ihrer Kusine auf. Ihr Mund hatte vielleicht eine etwas strengere Note, als der von Christine es gehabt hatte, doch das ließ sich mit dem passenden Lippenstift ein wenig korrigieren.
»Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht schaffen würde«, murmelte sich Linda selbst zu.
Ein paar Tage später, nach ausgedehnten Besuchen bei ihrem Friseur und ihrer Kosmetikerin, konnte eine vage Ähnlichkeit zwischen Linda und ihrer verstorbenen Kusine nicht mehr geleugnet werden. Siegessicher lächelte Linda ihrem Spiegelbild zu. Sie war sehr zufrieden mit sich.
*
Dr. Robert Daniel sah immer wieder verstohlen auf seine Armbanduhr. Normalerweise machte ihm seine Arbeit als Gynäkologe in dem idyllischen Steinhausen großen Spaß, doch heute konnte er das Ende der Sprechstunde kaum noch erwarten. Dazu war die Vorfreude auf sein geplantes Skiwochenende einfach zu groß. Allerdings schien die Patientenflut ausgerechnet heute überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Immer wieder legte die junge Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau eine Karteikarte auf seinen Schreibtisch. Inzwischen war es schon gleich fünf Uhr geworden, und vor einer Stunde wäre seine reguläre Sprechzeit eigentlich bereits zu Ende gewesen.
»Fräulein Sarina, gönnen Sie mir denn mein Skiwochenende gar nicht?« fragte Dr. Daniel in teils gespielter, teils echter Verzweiflung, als er mit seiner Sprechstundenhilfe einen Augenblick allein war.
Sarina lächelte. »Ich schon, Herr Doktor, aber Ihre Patientinnen sind anscheinend anderer Meinung. Allerdings habe ich gute Nachrichten. Frau Sanders ist definitiv die letzte Patientin für heute.«
Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Frau Sanders? Gerhild Sanders? Seltsam, es ist doch noch gar nicht so lange her, daß sie hier war.«
Sarina warf einen Blick auf die Karteikarte, die sie noch in der Hand hielt.
»Gut drei Monate«, antwortete sie. »Es waren die normalen Vorsorgeuntersuchungen, und dabei hat sich kein krankhafter Befund ergeben.«
Sie gab Dr. Daniel die Karteikarte, und auch er überprüfte noch einmal seine Eintragungen, dann sah er Sarina an. »Schicken Sie sie bitte herein.«
Gerhild Sanders war eine temperamentvolle Mittvierzigerin, die sehr sportlich war und sich damit trotz zweier Geburten ihre zierliche Figur erhalten hatte. Ihre Töchter waren mittlerweile sechzehn und neunzehn Jahre alt und gehörten ebenfalls zu Dr. Daniels Patientenkreis.
Jetzt ging er Gerhild entgegen, die heute betont vorsichtig das Sprechzimmer betrat. Besorgt sah der Arzt sie an.
»Frau Sanders, was führt Sie denn zu mir?« fragte er, während er ihr zur Begrüßung die Hand reichte.
Gerhild seufzte tief auf. »Ach, Herr Doktor, ich habe seit einiger Zeit ganz schlimme Schmerzen im Intimbereich. Zuerst dachte ich, es vergeht wieder, aber jetzt… beim Waschen merke ich, daß sich da eine Schwellung gebildet hat, die anscheinend immer größer wird.«
»Da hätten Sie aber eigentlich schon früher zu mir kommen sollen«, meinte Dr. Daniel mit leisem Tadel in der Stimme. »Mit so etwas ist nicht zu scherzen.«
Gerhild erschrak. »Denken Sie an… Krebs?«
»Um Himmels willen, nein!« wehrte Dr. Daniel sofort ab. »Nicht jede Schwellung muß zwangsläufig Krebs bedeuten.« Er stand auf. »Am besten schaue ich mir gleich einmal an, was Ihnen solche Beschwerden bereitet.«
Er ging Gerhild voran durch die Zwischentür ins Untersuchungszimmer. Hinter dem dezent gemusterten Wandschirm machte sich die Patientin frei, dann legte sie sich auf den gynäkologischen Stuhl. Die Angst war ihr jetzt deutlich anzusehen.
Dr. Daniel rückte auf seinem fahrbaren Stuhl näher, doch eine längere Untersuchung war gar nicht nötig. Was er sah, ließ ihn besorgt die Stirn runzeln.
»Daß Ihnen das weh tut, glaube ich gern«, erklärte er. »Sie haben sich da einen schlimmen Abszeß zugezogen, und ich fürchte, daß wir nicht darum herumkommen werden, ihn operativ zu entfernen.«
Gerhild erschrak. »Ist das denn wirklich nötig?«
Dr. Daniel nickte. »Ja, Frau Sanders, leider.« Er stand auf. »Sie können sich wieder ankleiden, dann besprechen wir alles weitere.«
Gerhild kam der Aufforderung des Arztes nach, dann setzte sie sich vorsichtig, um sich selbst möglichst wenige Schmerzen zu bereiten, Dr. Daniel gegenüber.
»Woher kommt so ein Abszeß eigentlich?« wollte sie wissen, dann sah sie den Arzt offen an. »Wissen Sie, ich nehme es mit der Hygiene nämlich sehr genau.«
»Damit hat es auch gar nichts zu tun. Sie hatten sich offenbar eine sogenannte Bartholinitis zugezogen. So bezeichnet man eine Entzündung der Bartholinischen Drüsen. Wären Sie damit gleich zu mir gekommen, dann hätte man dieser Entzündung noch mit Antibiotika zu Leibe rücken können.«
Gerhild seufzte. »Normalerweise gehe ich mit meiner Gesundheit auch gar nicht so nachlässig um, aber…« Sie zögerte. »Wissen Sie, Martina hat seit kurzem einen Freund, und… sie ist doch erst sechzehn. Ich mache mir große Sorgen um sie.« Mit einem verlegenen Lächeln sah sie Dr. Daniel an. »Eigentlich sollte ich das alles ja von Gudrun noch kennen, aber dieser Richie… ich weiß nicht so recht, ob er für unsere Martina wirklich der Richtige ist. Er ist so…« Ein wenig hilflos zuckte sie die Schultern.
»Es ist immer schwierig, wenn man akzeptieren muß, daß die eigenen Kinder erwachsen werden«, entgegnete Dr. Daniel. »Mir ging es da nicht anders, und ich will Ihnen offen gestehen, daß ich sogar heute noch so meine Probleme habe. Meine Tochter ist mittlerweile dreiundzwanzig, aber seit sie in Freiburg studiert, mache ich mir weit mehr Sorgen um sie als noch zu der Zeit, während der sie in München war.«
Gerhild nickte. »Das glaube ich gern.« Dann kam sie wieder auf ihr unmittelbares Problem zurück. »Wie soll es denn jetzt bei mir weitergehen, Herr Doktor? Diese Operation… die müßte doch sicher bald gemacht werden.«