Die magische Feder -  Band 1 - Anna Matheis - E-Book

Die magische Feder - Band 1 E-Book

Anna Matheis

3,0

Beschreibung

Die 17-jährige Helena liebt Fantasy- und Vampirgeschichten. Da trifft es sich gut, dass ihr Onkel Leopold ein Hotel in der "Vampirischen Region" betreibt. Als während ihres Ferienjobs dort im Wald hinter dem Hotel rätselhafte Dinge passieren, beginnt Helenas Abenteuer. Eine magische Feder erscheint und übermittelt ihr, wie von Zauberhand dirigiert, eine Botschaft. Ein Hilferuf, der direkt aus dem geheimnisvollen Wald zu kommen scheint ... Ein mitreißendes Abenteuerbuch für alle Fans von Fantasy- und Vampirgeschichten.

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Für Alfio, Irmgard, meine Familie und ganz besonders widme ich die Geschichte meinem Opa †2009

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

12 Stunden später

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

1. Kapitel

PENG

An jenem Morgen wurde ich schlagartig aus dem Tiefschlaf gerissen. Ein lauter Knall ließ mich hochschrecken, sodass ich mich kerzengerade und hellwach in meinem Bett aufsetzte. War das ein Schuss? Und wenn ja, wer hatte geschossen und auf wen? Wenn es einen Toten gab, musste es sich um jemanden aus der direkten Nachbarschaft handeln, denn das Geräusch kam aus unmittelbarer Nähe. Ein kalter Schauer jagte mir bei diesem Gedanken über den Rücken. Nie war es mir bisher in den Sinn gekommen, dass in unserem heimeligen, malerischen kleinen Dorf, in dem es mehr Kühe als Einwohner gab, so etwas Grausames passieren könnte. Ich war überzeugt, wenn es noch Frieden gab, dann hier auf diesem Fleck der Erde. Obwohl mir der Schrecken tief in den Gliedern steckte, schlüpfte ich aus meinem Bett und öffnete mit pochendem Herzen die Balkontüre. Zitternd ging ich ins Freie und hielt mich am Geländer fest. Es war ungewöhnlich still. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst. Da ging im Nebenzimmer die zweite Balkontüre auf und meine Mama quetschte sich seitwärts mit einem übervollen Wäschekorb hindurch.

»Helena?« Mit zusammengekniffenen Augenbrauen sah sie an mir herab. »Wieso stehst du im Nachthemd hier draußen? Das …«

Ich unterbrach sie aufgeregt. »Hast du das gehört?«

In aller Seelenruhe stellte sie erstmal ihren Wäschekorb auf dem Boden ab und nahm ein Kleidungsstück raus.

»Was soll ich gehört haben?«

»Den Schuss!«, antwortete ich ihr ungeduldig.

»Ach, den meinst du«, erwiderte sie in einem beiläufigen Ton, als handelte es sich um etwas Alltägliches. Gelassen nahm sie eine Wäscheklammer in den Mund, damit sie beide Hände für das nächste Teil freihatte. Fassungslos starrte ich sie an. Wie konnte sie in dieser Extremsituation so unbekümmert an ihre Wäsche denken?

»Und?«, drängte ich.

»Was und?« Sie bückte sich und nahm ein T-Shirt aus dem Korb.

»Mama! Sag mir endlich, was hier los ist!«

Ob es an der Panik in meiner Stimme lag oder daran, dass sie wieder ihre Ruhe haben wollte, wusste ich nicht. Jedenfalls sah sie mich nun an.

»Mei, was soll schon gewesen sein? Der Papa war’s und irgendwie auch der Opa Franz.«

Als wäre das Erklärung genug, strich sie das Fußballtrikot meines jüngeren Bruders Felix mit einer Hand glatt und setzte noch hinzu, dass sie es sich nochmal überlegen würde, ob nicht mein Onkel Leopold besser ohne mich nach Italien zurückfahren sollte, wenn ich so übernächtigt und schlecht gelaunt war. Ich verdrehte die Augen.

»Zefix! Was ist mit dem Papa und dem Opa?«

»Schrei mich nicht so an! Ich habe jetzt eigentlich überhaupt keine Zeit! Ich muss deine Schwester noch zum Kieferorthopäden fahren, einen Kuchen backen für …«

Seufzend ließ sie das Trikot sinken und ich erfuhr schließlich, was los war. Der Opa, der im alten Bauernhaus neben uns wohnt, hatte letzten Sonntag auf dem Schützenfest fünf Brieftauben gewonnen. Der Papa war strikt dagegen, dass sein Vater diesen Preis annahm, doch der Opa ließ sich nicht beirren und nahm stolz alle Tiere mit nach Hause.

»Wehe, ich sehe die blöden Viecher einmal bei mir drüben!«, drohte mein Vater.

Doch der Opa winkte ab und meinte, dass sich da schon keine Taube zu uns rüber verirren würde. Eifrig baute der Opa noch am selben Tag einen Taubenschlag auf dem Scheunendach. Aber den Tauben gefiel es, aus welchem Grund auch immer, bei uns in der Dachnische am besten. Zum Ärger beider Parteien. Die ganze Woche schimpfte der Papa deswegen. Als er heute Morgen die Zeitung aus dem Briefkasten holen wollte, schiss ihm eine Taube auf den Kopf. Seine Wut kannte keine Grenzen und er rannte in den Keller. Die Mama erzählte, dass er einen übrig gebliebenen Silvesterböller dabeihatte, als er wieder rauskam. Ohne zu zögern, zündete er ihn an und warf ihn zu den »Drecksviechern« empor. Die überraschten Tiere flogen daraufhin aufgeregt vom Hof. Scheinbar hatte der Opa völlig entsetzt von seinem Fenster aus alles beobachtet. Als er mit hochrotem Gesicht zu seinem Sohn preschte, suchte die Mama das Weite.

»Heute habe ich keine Nerven für einen Streit zwischen den zwei Ochsen …«

Ich atmete tief aus. Oh Gott, ich war so erleichtert, weil es kein Blutbad gegeben hatte. Während ich gespannt der Geschichte lauschte, wusste ich jedoch nicht, ob ich über das Verhalten vom Papa lachen oder schockiert sein sollte. Zugegeben, innerlich musste ich schon ein wenig schmunzeln.

»Hallo. Helena?« Händewedelnd stand die Mama vor mir.

»Hast du deine Koffer fertig gepackt?«

Ich nickte. Nachdenklich ließ ich vom Balkon aus den Blick über die vertraute Umgebung schweifen. Die wenigen Häuser, deren Bewohner ich samt ihrer Familiengeschichte persönlich kannte. Sowohl die von den Zweibeinern als auch teilweise von den Vierbeinern. Die weitflächigen saftig grünen Wiesen, auf denen mitunter Kuhherden, Pferde, Ziegen oder Schafe gemütlich grasten oder lagerten. Eine Straße, auf der pro Stunde im Schnitt ein Auto fuhr, und in der Ferne das abschließende imposante Bergpanorama. Beinahe perfekt machte diesen Moment der Duft von Sommerregen, der schon seit Tagen in der Luft lag. Gedämpftes Grollen und die verfärbten Wolken verrieten, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis der herrliche Geruch wieder aufgefrischt werden würde. Ja, hier war die Welt noch in Ordnung und ich wusste, dass mir das alles fehlen würde. Sieht man von einem Zeltlager am nahegelegenen bayerischen Walchensee und einem Skiurlaub in dem ebenfalls nicht weit entfernten Österreich ab, war ich noch nie lange und weit von daheim weg.

»Weißt du bereits, wann Leopold losfahren will?«, fragte ich die Mama. Ihr Blick verfinsterte sich, sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und antwortete kühl.

»Er wollte noch etwas in Wolfratshausen erledigen und am späten Vormittag abfahren, damit ihr gegen Abend in Villa Anna ankommt. Ich denke, in zwei Stunden sollte er wieder hier sein.«

»Okay, dann mache ich mich fertig«, sagte ich und ignorierte den Missmut, mit dem sie auf die Frage nach Leopold reagiert hatte.

Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Ich frühstückte, duschte, verstaute die letzten Utensilien in meinem Gepäck und hinterließ mein kuschliges Zimmer mit der Dachschräge so, dass es sauber und ordentlich war. Anschließend forderten mich meine jüngeren Geschwister Felix und Kathi auf, in einer aufwändigeren Prozedur ein Abschiedsgeschenk zu suchen. Mit Hilfe einer eigens von ihnen entworfenen Schatzkarte gelangte ich zu einer Kiste, die im Sandkasten vergraben war. Als ich sie öffnete, fielen mir schön geformte Steine entgegen, die mein Bruder gesammelt hatte. Außerdem befand sich ein Bild von uns dreien in der Kiste, das meine Schwester mit Buntstiften gemalt hatte. Zugegeben, als es mir eine gefühlte Ewigkeit nicht gelang, die Karte zu entschlüsseln, war ich von der Aktion wenig begeistert, doch am Ende war ich ziemlich gerührt. Als mir bewusst wurde, wie nah der bevorstehende Abschied heranrückte, bog auch schon Leopold hupend mit seinem Wagen in die Einfahrt. Mein Papa lud gemeinsam mit seinem Bruder die Koffer ein und auch der Rest meiner Familie versammelte sich im Hof. Mit einer Mischung aus Wehmut und Vorfreude verabschiedete ich mich von jedem Einzelnen. Angefangen bei Opa, der mir einen 50-Euro-Schein zusteckte, damit ich auswärts essen gehen konnte, falls mir bei den Verwandten das Essen nicht schmecken würde. Danach wandte ich mich meinen Geschwistern zu, die ich fest an mich drückte, und zu guter Letzt meinen Eltern. Sie bedachten mich zum Abschied eher mit Worten als mit körperlichem Kontakt.

»Sei anständig und nett zu deinem Onkel und deiner Tante.«

»Melde dich, wenn ihr angekommen seid.«

»Wenn es dir nicht gefällt, kannst du jederzeit wieder nach Hause kommen.«

»Nachts gehst du nicht alleine raus! Geh am besten nirgends ohne Begleitung hin.«

»Ruf auch mal an!«

»Pass gut auf dich auf.«

»Du wirst uns fehlen …«

Ich versprach alles und nahm auf dem Beifahrersitz des schwarzen BMWs Platz. Nachdem Leopold noch einige knappe Sätze mit Opa und meinen Eltern gewechselt hatte, setzte er sich hinters Steuer und startete den Motor. Während ich meiner Familie zuwinkte, musste ich enorm mit den Tränen kämpfen. Mit quietschenden Reifen fuhren wir von unserem Grundstück und meine Reise begann …

2. Kapitel

Je nach Verkehrslage würden wir acht bis zehn Stunden fahren, meinte Leopold. Als die Landesgrenze bereits weit hinter uns lag, wandte er sich an mich.

»Sophia und ich freuen uns wirklich sehr, dass du dieses Praktikum bei uns machst!«

Ich lächelte.

»Ja, ich mich auch!«

Ich hatte mich vor dem Schulabschluss nicht entscheiden können, wohin es beruflich für mich gehen sollte. Wenn man sich genauer mit dem Thema befasst, ist die Auswahl groß und für jemanden, der nicht weiß, was er will, scheint sie schier unübersehbar. Letztendlich entschloss ich mich nach unzähligen Vorstellungsgesprächen, Betriebs-Schnuppertagen und angesichts der völligen Verzweiflung meines Berufsberaters, weil mich schier gar nichts überzeugte, halbherzig für eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Leider gibt es in unserer Umgebung hierfür eher wenige Lehrstellen. Oder anders gesagt: Ich war viel zu spät dran! Ein Hotelier aus der Nähe von Garmisch-Partenkirchen bot mir tatsächlich trotzdem eine Stelle an. Bedauerlicherweise aber erst in einem Jahr, wenn wieder ein Platz frei wurde. Zur Überbrückung dieser Zeit durfte ich bei meinem Onkel und seiner Frau Sophia ein Praktikum in ihrem Hotel in Italien absolvieren.

»Du bist die Einzige aus der Familie, abgesehen von Felix und Kathi, die uns noch vorbehaltlos gegenübertritt, seit wir das Hotel eröffnet haben.«

Ich sah ihn an. Für einen winzigen Moment huschte ein Schatten über sein Gesicht. Er wirkte verletzt.

»Es trifft dich immer noch sehr, dass Opa und die anderen sich seitdem so abweisend verhalten, oder?«

Er griff fester ums Lenkrad und ich überlegte, ob ich das Thema besser nicht weiter vertieft hätte.

»Ich kann es einfach nicht verstehen! Wir haben vor dem Kauf alles genauestens kalkuliert und geplant. Die Investition hat sich mehr als gelohnt. Wir können mittlerweile überaus gut vom Hotelbetrieb leben. Es ist eine Arbeit wie jede andere auch. Was ist an diesem Hotel so verkehrt?«

»Die Lage«, antwortete ich ihm trocken.

»Du wirst von dieser Lage nichts merken, ich verspreche es dir! Außer den Gästen deutet absolut nichts auf dieses … Ungewöhnliche des Standorts hin«, versicherte er mir. Enttäuschung machte sich in mir breit. Sieht man von Irmgard und Valentina, meinen besten Freundinnen, einmal ab, hatte ich noch nie jemandem erzählt, dass ich neugierig auf diese Sache war. Neugierig auf die Vampire und alle Wesen ihrer Art. Sie leben schon seit hunderten Jahren unter uns. Jeder wusste, wo sie zu finden waren. Das geografisch abgegrenzte Gebiet lag weit abgelegen von den Wohnstätten der restlichen Bevölkerung. Die Vampire existierten auf dieser Erde ebenso wie die Menschheit, jedoch völlig abgeschottet von der Außenwelt. Seit wenigen Jahren hatte es seltene Fälle gegeben, in denen Vampire von Einzelpersonen gesehen worden waren, und zügig erblickten findige Geschäftsleute eine bedeutende Geldquelle darin. Um das Territorium der Vampire wurden Forschungszentren und Universitäten mit der Spezialisierung auf paranormale Aktivitäten aufgebaut. Zeitgleich schossen unzählige Hotels oder andere Einrichtungen mit Übernachtungsmöglichkeiten aus dem Boden für alle, die diese Spezies studieren und erkunden wollten. Recht schnell wurde es ebenso zum beliebten Urlaubsdomizil für gewöhnliche Touristen, wodurch zusätzlich viele weitere Attraktionen angeboten wurden. Auch Leopold und Sophia waren mit Erfolg in dieses Geschäft eingestiegen. Die Meinung der Menschen zu diesem Thema war geteilt, während das Übernatürliche bei den einen Faszination auslöste, machte es den anderen Angst. Wie meine Familie fürchteten etliche das Unbekannte, weshalb sie versuchten, es möglichst aus ihrem Leben und Denken zu verbannen. Sie konnten nicht nachvollziehen, warum es Leute gab, die sich mit dem Paranormalen bewusst auseinandersetzten und daraus auch noch Profit schlugen. Zu Hause durften wir über dieses Thema nicht sprechen. Kam aus irgendeinem Grund zufällig das Gespräch trotzdem darauf, wurde es rasch abgebrochen. Entsprechend war es nicht leicht für mich, die Erlaubnis meiner Eltern für dieses Praktikum zu erlangen. Lange und laute Diskussionen begleiteten uns über viele Tage. Ich verstand ihre Bedenken, aber ich wollte diese Chance unbedingt nutzen und auf diese Erfahrung keinesfalls verzichten. Es war an der Zeit, das heimelige Nest für eine Weile zu verlassen. Etwas Neues zu erleben, ein fremdes Land, dessen Leute, ihre Kultur und Sprache kennenzulernen. Sie mussten mich loslassen. Die Trennung würde ja nicht für immer sein. Ich war sehr verwurzelt im Dorf und in spätestens einem Jahr musste ich ohnehin zurück. Und auch wenn sie von der Umgebung, in die es mich verschlug, nichts hielten und sie sich auch Sorgen um mich machten, vertrauten sie Leopold in einem, leider mittlerweile versteckten, Winkel ihres Herzens doch. Schließlich stimmten sie unter allen möglichen Bedingungen dem Praktikum zu.

»Ihr habt quasi Vampire als Nachbarn und merkt davon überhaupt nichts?«, fragte ich und sah Onkel Leopold ungläubig an.

Leopold schüttelte den Kopf.

»Aber warum zieht es dann die Leute in Scharen dorthin? Die Anzahl der Unternehmen dort hat sich verdoppelt und verdreifacht und die Gewinne wachsen beständig weiter.«

Er holte Luft, schloss den Mund jedoch wieder und ging grübelnd in sich. Nach einer ausgedehnten Redepause schien er schließlich die passende Erklärung gefunden zu haben.

»Die Menschen, die uns besuchen, können für eine Weile in eine Welt eintauchen, die sie nur aus Filmen kennen. Alles, was in ihren Köpfen, in ihrer Fantasie existiert, scheint hier zum Greifen nahe. Dokumentationen und Einschätzungen von Experten belegen, dass es weder in der Vergangenheit noch aktuell eine ernsthafte Bedrohung durch Vampire gab und gibt. Trotzdem, ein Restrisiko, dass etwas außer Kontrolle geraten könnte, wird stets bleiben. Die Erwartungen und Reaktionen unserer Hotelgäste sind unterschiedlich. Während die einen, vor allem junge Frauen, davon träumen, eine Liebesgeschichte wie die von Bella und Edward zu erleben, liegen andere nachts angsterfüllt wach, weil sie es plötzlich gruselig finden, so dicht am Terrain dieser Wesen zu nächtigen. Was wäre, wenn eines von ihnen plötzlich aus dem Nichts neben ihrem Bett auftauchte und seinen Hunger mit dem eigenen Blut stillen wollte? Erlebte man den nächsten Tag noch? Der Aufenthalt bei uns und das Ende dieses Abenteuertrips gleichen für viele einer Reise ins Ungewisse. Ich denke, es ist die Mischung aus Faszination und Gefahr, die viele reizt. Ich nenne dir noch ein anderes Beispiel. Es ist zwar extrem, aber in gewisser Weise vergleichbar. Du kennst den Mount Everest? Dort gibt es eine sogenannte Todeszone. Ab einer bestimmten Höhenmeterzahl kann es für die Bergsteiger trotz ausreichender Akklimatisierung zu erheblichen und lebensbedrohlichen Beeinträchtigungen kommen. Das Gehirn kann anschwellen, was zu einer Bewegungsstörung führt und letztendlich zum Tod. Ein Lungenödem kann sich bilden. Die Lunge füllt sich mit Wasser und man ertrinkt praktisch. Ich könnte dir noch viel mehr grausame Aspekte aufzählen, die Kletterer abschrecken sollten, dennoch versuchen jährlich immer wieder zahlreiche unbedarfte Touristen und auch erfahrene Alpinisten mit dem einschlägigen Hintergrundwissen diesen Berg zu besteigen, sie sehen in dem Gipfelsturm den Höhepunkt ihres Lebens. Hier könnte dieselbe Frage lauten: Warum?«

»Also zusammengefasst: Meine Überlebenschancen bei einer Mount-Everest-Tour und einem All-inclusive-Urlaub bei dir sind dieselben?«, fragte ich scherzend und auch ein klein wenig entgeistert. Ich schmiegte mich tiefer in den Autositz und sah ihn herausfordernd an. Er schmunzelte und verdrehte die Augen.

»Haha! Einer meiner ersten Gäste, ein Amerikaner, mit dem ich mich angefreundet habe, sagte mir einst: Du kannst erst wahrhaft leben, wenn du bereit bist zu sterben. Und …«

»Das wird ja immer besser!«, rief ich mit gespieltem Entsetzen.

»Oh, Schande auf mein Haupt! Diesen Spruch hätte ich auf meine Homepage schreiben sollen mit dem Untertitel: Wenn du dies auch so siehst, bist du in meinem Hotel genau richtig!«

Wir lachten, doch die Aussage des Amerikaners brannte sich in mein Gedächtnis. Der Tod machte mir fürchterliche Angst. Ich wurde regelrecht panisch bei dem Gedanken, irgendwann alleine in einer engen Kiste, tief in der Erde, vergraben zu werden. Würde ich Todesgefahr jemals bewusst in Kauf nehmen für ein »Erlebnis«, das angeblich mein Leben bereicherte? Oder würde ich, wenn ich die Wahl hätte, lieber mit einer Tüte Chips vor dem Fernseher sitzen und der Gefahr aus sicherer Entfernung von der Couch aus ins Auge blicken? Ich zählte eher zu der Gruppierung »Ja, ich nutze die 365 Tage, die mir pro Jahr zur Verfügung stehen, mannigfaltig, aber ohne größeres Risiko«. Vielleicht ist das eine bleibende Charaktereigenschaft. Möglicherweise gelangt man im höheren Alter auch zu einer anderen Einstellung, oder Situationen, in die man im Laufe seines Lebens gerät, verändern einen diesbezüglich.

»Alles in Ordnung bei dir?«, wollte mein Onkel wissen. Ein besorgter Blick traf mich. Scheinbar sah man mir die trüben Gedanken über den Tod an. Ich nickte.

»Ich habe nur über deine Worte nachgedacht.«

»Ist es wegen der Vampire? Mach dir keinen Kopf darüber, lass einfach alles auf dich zukommen und falls du dich nicht sicher fühlst, hängen wir massenweise Knoblauch in dein Zimmer, sodass jeder, der auch nur ansatzweise übernatürliche Gene in sich trägt, einen kilometerweiten Bogen darum macht.«

»Einverstanden«, erwiderte ich.

Die lockere Art von Leopold bewirkte, dass unser Verhältnis schon immer eher dem von Bruder und Schwester glich als dem von Onkel und Nichte. Es war befreiend und ich mochte es, wie er mit dem Andersartigen dieser Welt umging. Ich wollte es nie ignorieren, sondern mehr darüber erfahren, schließlich war es ein Teil unserer Gesellschaft. Trotzdem war es noch ein bisschen ungewohnt, wenn er das Wort Vampir aussprach und sich nicht zeitgleich einmal um die eigene Achse drehte, um sich zu versichern, dass es auch ja keiner gehört hatte.

3. Kapitel

Nach einigen Mauthaltestellen, Toilettenpausen, einem Imbissstopp und kurzzeitigen Staus fuhren wir endlich von der Autobahn ab und waren nur noch wenige Kilometer vom Ziel entfernt. Aufregung machte sich in mir breit und ich saugte die Schönheiten der vorbeiziehenden Gegend regelrecht in mich auf. Zunächst bogen wir auf eine Landstraße ab. Palmen ragten zu beiden Seiten der Wegstrecke in den Himmel. Es schien, als würde die Straße unmittelbar im Meer münden. Es erstreckte sich am Horizont und schillerte in rötlichen, warmen Farbtönen. Die untergehende Sonne schien fast ins Meer einzutauchen. Ich bückte mich, wühlte in der Handtasche, bis ich das Handy fand, denn ich wollte ein Foto machen. Doch als ich aufsah, waren wir von einem dichten, dunklen Wald umgeben. Verblüfft ließ ich mich zurück in den Sitz fallen. Wie war das möglich? So abrupt und ohne jeglichen Übergang?

»Wie sind wir auf einmal hierhergekommen?«, fragte ich verwirrt.

»Hast du den Abzweig nicht bemerkt?«, erwiderte Leopold belustigt. Als ich darauf nicht reagierte, erklärte er, wenn wir der Straße weiter gefolgt wären, wären wir in die nächstgrößere Stadt gekommen, die jedoch nicht mehr zu der vampirischen Region gehörte. Stattdessen hatte eine Hinweistafel kurz zuvor angekündigt, dass wir auf eine schmale Straße abbiegen mussten, um zu unserem Ziel zu gelangen.

»Wahrscheinlich hast du vor lauter Palmen den Wald dahinter nicht gesehen«, meinte er.

»Das kann sein.«

Mit einem Hauch Misstrauen gab ich mich mit dieser Erklärung zufrieden. Möglicherweise war auch mein Tunnelblick auf das Meer, das ich zum ersten Mal in meinem Leben gesehen hatte, daran schuld, dass ich nichts anderes mehr wahrnahm.

Wir passierten eine alte Serpentinenstrecke. Leopold lenkte geübt den Wagen durch die enge, schlangenförmige Straße. Es ging steil bergauf und die Bäume verstellten den Blick auf die Umgebung völlig. Außer unserem war weit und breit kein Auto unterwegs. In der bereits einsetzenden Dämmerung wirkte die düstere Landschaft mystisch. Ich musste zweimal hinschauen, als wir an einem rot-weißen Warnschild vorbeikamen. Mein Blick blieb daran hängen, mir kam es vor, als wäre für einen winzigen Moment die Zeit stehen geblieben. Wo auf entsprechenden Schildern in Australien Kängurus zu finden waren oder in arabischen Ländern Kamele, war hier das Gebiss eines Vampirs mit langen Eckzähnen abgebildet! Ein beklemmendes Gefühl stieg in mir auf. Leopold hatte es bereits treffend formuliert. Alles, was in meinem Kopf, meiner Fantasie an Vorstellungen über diese Wesen existierte, schien hier zum Greifen nahe. Schleichend wurde es zur Realität. Zu meiner Realität. Irgendwo in diesem Wald lebten sie. Die Vampire. Wurden wir möglicherweise gerade von einem beobachtet? Verängstigt huschte mein Blick durch die Baumkronen. Doch ich sah nichts. Nicht mal einen Vogel.

»Du hast Gänsehaut. Ist dir kalt? Soll ich dir die Sitzheizung anschalten?«, fragte Leopold beunruhigt.

»Ich bitte dich, es ist Sommer und wir sind in Italien! Statt die Sitzheizung anzuschalten, kannst du höchstens die Klimaanlage runterdrehen.«

Ich strich mir ein paar Mal wärmend über die Arme, tatsächlich fröstelte es mich ein wenig. Leopold drückte an einem Knopf am Armaturenbrett und die Temperatur wurde behaglicher.

»Draußen wird die Luft gleich angenehmer sein. Nur zur Info, nach einem halben Kilometer wird die Straße abschüssig. Bei gleichbleibenden Kurven. Falls dir schlecht wird, gib mir bitte rechtzeitig Bescheid.« Zwinkernd sah er kurz in meine Richtung.

»Haha!«, sagte ich und verdrehte lächelnd die Augen.

Nachdem wir die Serpentinenstraße in vorsichtiger Fahrt hinter uns gelassen hatten, lichtete sich der Wald und auch das Meer rückte wieder in unser Sichtfeld. Vor dem Meer gabelte sich der Weg und wir bogen rechts ab.

»Wie lange dauert es noch, bis wir ankommen?«, fragte ich.

»Wir müssen noch gute zwei Kilometer am Meer entlangfahren und dann sind wir da!«, antwortete Leopold freudig und ich spürte, dass auch er unsere Ankunft kaum mehr erwarten konnte. Als ich wieder aus dem Fenster schaute, bemerkte ich, dass sich dicht neben der Straße linkerhand der Wald und rechterhand das Meer erstreckte. Leopold deutete auf den Wald.

»Dieser Wald steckt voller Geheimnisse. Über die Vampire, die hier hausen, gibt es unzählige Mythen, Sagen und Legenden, jedoch bietet der Wald selbst beinahe ebenso viele. Neben dem Praktikum wirst du mindestens genauso viel Zeit zur Verfügung haben, um die Umgebung ausgiebig zu erkunden, dafür ist gesorgt.«

»Danke. Das klingt richtig gut!«

Als die Bäume die Sicht freigaben, sah ich ein einsam gelegenes, beleuchtetes, imposantes Gebäude, das durch ein Schild als Hotel ausgewiesen wurde.

»Da ist es, oder?«

Er nickte und ich erfuhr, dass der Ort und das Hotel dieselbe Bezeichnung trugen. Villa Anna. Dies war nicht absichtlich so gewählt. Es gab eine gewisse Zeit, da schossen die Unterkünfte wie Pilze aus dem Boden. Manchmal lagen die Anlagen kilometerweit voneinander entfernt und waren nur wenig besiedelt. Aufgrund dessen schien es für die Behörden, die mit der Namensfindung für die Ortschaften nicht mehr hinterherkamen, leichter, dass der jeweilige Bauherr dem ersten fertiggestellten Gebäude einen Namen gab, und dieser bildete dann gleichzeitig den Titel für den Standort.

Wir fuhren in eine Tiefgarage. An der Mauer einer der unterirdischen Parknischen stand in geschwungener, schwarzer Schrift: Leopold von Bayersberg. Mein Onkel stellte dort den Wagen ab, sprang förmlich aus dem Auto und öffnete mir die Autotür.

»Herzlich willkommen«, begrüßte er mich feierlich und machte eine einladende Bewegung. Nach dem Aussteigen blieb mir kaum Zeit, um Luft zu holen, denn da fiel mir Sophia bereits um den Hals. Sie hatte uns von der Rezeption aus gesehen und sofort alles stehen und liegen gelassen.

»Schön, dass du da bist. Ich habe dich so vermisst«, flüsterte sie.

Wir ließen voneinander ab und ich sah, wie sich Tränen in ihren grünen Augen sammelten.

»Du hast mir auch unglaublich gefehlt«, gab ich ebenso leise zurück und versuchte die salzige Flüssigkeit zurückzuhalten. War der Damm einmal gebrochen, würde er sich so schnell nicht mehr versiegeln lassen. Der Abschied von Sophia war mir damals, als sie und Leopold nach Italien gingen, überaus schwergefallen. Wir telefonierten oder hielten per E-Mail den Kontakt aufrecht, aber es war nicht mit der Zeit vorher zu vergleichen. Sie und Leopold hatten bei Opa nebenan gewohnt, sodass wir uns täglich über den Weg liefen. Als Leopold sie der Familie vorstellte, verstanden wir uns auf Anhieb. Sie gehört zu der Sorte Mensch, deren Herzlichkeit und Freundlichkeit man gleich bei der ersten Begegnung spürt, sodass man sie, ohne zu zögern, ins Herz schließt. Mir fiel gleich auf, dass sie sich optisch verändert hatte. Die Vorzüge ihres früher stets ungeschminkten Gesichts unterstrich nun ein dezentes Make-up. Die vorher offenen, langen goldblonden Haare trug sie elegant hochgesteckt. Ihre Figur versteckte sie früher in weiter Kleidung. Sie, aber auch nur sie, war der Meinung, dass sie zehn Kilo zu viel mit sich herumschleppte und diese nicht zusätzlich betont werden sollten. Entweder hatte sie das wärmere Klima dazu verführt oder sie hatte selbst ihre Ansicht geändert und erkannt, dass sie nichts zu verbergen hatte. Sie stand vor mir in einem knielangen, sommerlichen Kleid und Sandaletten mit Keilabsatz.

»Gut siehst du aus«, sagten wir wie aus einem Munde und lachten. Dabei entschlüpften uns beiden doch noch die bisher zurückgehaltenen Tränen. Leopold stand derweil unbeholfen daneben. Angesichts von Emotionen dieser Art wusste er noch nie, wie er sich verhalten sollte. Um der Situation schnellstmöglich zu entfliehen, schlug er vor, das hoteleigene Restaurant zu besuchen, denn ich hätte bestimmt Hunger.

4. Kapitel

Von meinem ersten Abend in Villa Anna blieb mir vor Müdigkeit kaum etwas in Erinnerung. Ich wusste am nächsten Morgen nur noch, dass vor mir ein übervoller Teller Spagetti gestanden und Leopold nach den ersten Bissen gefragt hatte, ob ich von Opas Geld Gebrauch machen wollte oder ob es mir schmeckte. Wie allerdings der Rest des Abends verlaufen war, wie ich in mein Zimmer, geschweige denn ins Bett gekommen war, konnte ich nicht sagen. Gemächlich schlug ich die Augen auf und fand mich in einem weißen Mädchentraum wieder. Ich rollte mich aus meiner Bettdecke, um mich umzusehen. Die Wände, die Holzdecke sowie der Holzboden meines Quartiers waren weiß gestrichen. Es war wohnlich und gemütlich eingerichtet. Meine Lagerstatt stand unter einer Dachschräge. Das Bett oder vielmehr die voluminöse, weiche Matratze war auf weißen Paletten platziert. Die Paletten ragten am Fußende noch einen halben Meter in den Raum. Darauf waren eine Pflanze, altrosafarbene Kerzen in verschieden hohen Gefäßen und Zeitschriften dekoriert. Die kuschelige Bettwäsche wurde von Kissen in passender Nuance ergänzt. Eine Lichterkette, die das Nachtlager ringsum überspannte, machte das Bild komplett. Links neben dem Bett befand sich ein geräumiger Schrank. Auf der Seite der Dachschräge war außerdem ein riesiges Fenster eingebaut. Davor baumelte ein grauer Hängestuhl von einem Haken an der Decke. Von diesem Punkt aus bot sich durch das Fenster die Sicht auf einen Teil der Straße, die wir gestern entlanggefahren waren, und den Wald. In die angrenzende Wand war ebenfalls eine breite Scheibe eingelassen, die sich hinter einem bodenlangen, weißgepunkteten Vorhang in der Grundfarbe Altrosa verbarg. In einer Nische daneben standen ein Schreibtisch und ein Kühlschrank. Nebenan befand sich die Tür zum Bad und schräg gegenüber die Eingangstür. Beide waren in grauem Design gehalten. An der Badtür hing ein weißes Holzschild mit einer geschwungenen, grauen Aufschrift: Bagno, was übersetzt Bad hieß. Ich ging hinein. Es hatte kein Fenster, ich tastete nach einem Schalter. Als ich ihn fand und drückte, gingen nacheinander unterschiedliche blaue Lichtquellen an. Anthrazitfarbene Fliesen bildeten den Boden. Die Decke und die Wandfliesen sowie die Einrichtung mit einer Badewanne, Waschbecken, Toilette und Möbeln waren in lilienweißen Tönen gehalten. Die Dusche wurde von edlen Glasfronten begrenzt. Ein breites Spiegelelement war oberhalb des Waschbeckens befestigt. Weiter kam ich mit meiner Entdeckungstour nicht, denn da klopfte es.

»Helena, bist du wach?«

Ich erkannte Sophias Stimme, eilte zur Tür und öffnete sie. Freundlich lächelnd stand sie mit einem Tablett vor mir.

»Guten Morgen. Komm doch rein«, begrüßte ich sie und trat beiseite. Während sie in das Zimmer kam, vergewisserte sie sich, ob ich in meiner ersten Nacht gut geschlafen hatte. Danach fragte sie, ob wir gemeinsam frühstücken wollten, und hielt das Tablett ein Stück in die Höhe.

»Ich habe alles Wichtige dabei und hoffe, dein Geschmack hat sich nicht verändert.«

»Gerne, aber hier?« Ich sah mich um. Das Bett bot die einzige Möglichkeit, um das Tablett abzustellen, aber die Chancen standen sehr hoch, dass anschließend unschöne braune Nutellaflecken das perfekte, reine Ambiente zerstörten. Sophia deutete aufgeregt auf den Vorhang.

»Du warst wohl noch nicht draußen, aber ich bin sicher, dass es dir gefallen wird, dort zu frühstücken.«

Ich schob den Vorhang zur Seite und hielt kurz die Luft an.

»Ist das schön!«, brachte ich gerade noch so hervor. Hinter dem Vorhang befand sich eine gläserne Tür. Ich machte sie auf und wir gingen hinaus. Ich hatte einen eigenen überwältigenden Balkon, der von der Größe her eher einer Terrasse glich. Sanftes Meeresrauschen und eine salzige Brise drangen zu uns empor. Der Ausblick auf das Meer war wunderschön. Der Balkon hatte einen Boden aus hochwertigen, modernen Terrakotta-Fliesen. Umgeben wurde er von weißem, verschnörkeltem Gemäuer. An den Außenseiten ragten Säulen bis in das nächste Stockwerk empor. Die Ecke neben uns bildete eine kleine Sitzlounge mit dunkelbraunen Flechtmöbeln mit cremeweißen Polstern. Davor stand ein Tisch aus demselben Material mit einer Glasplatte. Zudem gehörte zur Ausstattung ein Whirlpool, dessen Wasser in der Sonne schimmerte. Daneben waren ein Sonnenschirm und eine Schwingliege aufgebaut. Überwältigt sah ich meine Tante an.

»Danke, dass ich für ein Jahr hier wohnen darf.«

»Für dich nur das Beste! Wir dachten uns, dass das Zimmer 24 genau das richtige für dich ist. Ich kenne dich und deine bescheidene Art. Ich wette, du hast mit einem dunklen Kämmerlein gerechnet, ähnlich wie das von Harry Potter bei den Dursleys, und wärst damit zufrieden gewesen. Ja, du bist hergekommen, um zu arbeiten, aber es soll auch ein unvergesslicher Urlaub für dich werden.«

Nach dem ausgiebigen Frühstück mit Kakao und allem, was das Herz begehrte, machte ich mich im Bad fertig. Sophia bot mir an, an einer Führung der verantwortlichen Reiseleiterin des Hotels teilzunehmen, um mir einen Überblick über mein neues Domizil und seine Umgebung zu verschaffen. In der Lobby warteten bereits einige Gäste unterschiedlichen Alters und Geschlechts.

»Dürfte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«

Eine Frau mit sportlicher Figur trat vor und das Stimmengewirr verstummte. Ich schätzte sie auf Ende 30. Sie trug eine Brille und ihre rabenschwarzen, schulterlangen Haare bildeten einen sonderbaren Kontrast zu ihren eisblauen Augen. Ihre weiten dunklen Hosen und ihre weiße Bluse wurden komplettiert von hohen schwarzen Schuhen. Sie hielt eine rote Aktentasche vor sich.