Die Meistersinger von Nürnberg -  - E-Book

Die Meistersinger von Nürnberg E-Book

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Beschreibung

Diese umfassende Einführung in Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" enthält das vollständige Libretto mit zahlreichen Notenbeispielen. Kurt Pahlen kommentiert das Werk durch musikbezogene Hinweise sowie Erläuterungen zur inneren und äußeren Handlung. Eine das Geschehen zusammenfassende Inhaltsangabe und ein Abriss der Entstehungsgeschichte stellen "Die Meistersinger" in einen Zusammenhang mit dem Gesamtschaffen des Komponisten und seiner Biografie und bieten ausführliche, reich illustrierte Informationen über diese Oper.

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Richard Wagner
Die Meistersinger von Nürnberg
Bei der Uraufführung der Meistersinger von Nürnberg am Johannistag 1868 konnte Richard Wagner in der Hofloge des Münchner Hof- und National-theaters neben König Ludwig   II. den brausenden Beifall des Publikums entgegennehmen. Dass die Fertigstellung dieses Werkes – seit einer ersten Text­lesung Wagners im Mainzer Verlagshaus Schott am 5.   Februar 1862 – noch fast sieben Jahre dauern sollte, hat der Komponist selbst nicht vorausgesehen. Er hat die Quellenforschung (u.   a. bei Johann Christoph Wagenseil und E.   T.   A. Hoffmann) sehr ernst genommen; ebenso gründlich studierte er die Regeln der Meistersinger-Zunft und schuf eine Oper, deren ganz eigene Tonsprache wohl jeden Hörer gefangennimmt.
Richard Wagner
Die Meistersinger 
 
von Nürnberg
Textbuch
Einführung und Kommentar
von Kurt Pahlen
unter Mitarbeit von Rosmarie König
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.
Bestellnummer SDP 47ISBN 978-3-7957-9193-3 Originalausgabe Januar 1982© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, MainzAlle Rechte vorbehaltenwww.schott-music.comwww.schott-buch.de
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung kopiert und in ein Netzwerk gestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen.
Inhalt
7   Zur Aufführung
9   Textbuch mit Erläuterungen zu Musik und Handlung
302   Inhalt
346   Zur Geschichte der Meistersinger von Nürnberg
412   Wer waren die Meistersinger?
426   Wer war Hans Sachs?
431   Gedanken, Interpretationen, Quellen zu Die Meistersinger          von Nürnberg
463   Biographische Daten aus dem Leben Richard Wagners
486   Die Bühnenwerke Richard Wagners
Richard Wagner – nach einer Photographie von J. Bonnet, 1867
Zur Aufführung
TITEL
Die Meistersinger von Nürnberg
BEZEICHNUNG
Komische Oper in drei Aufzügen (vier Bildern)
TEXT UND MUSIK
Richard Wagner
URAUFFÜHRUNG
Königliches Hof- und Nationaltheater in München,
21. Juni 1868
PERSONENVERZEICHNIS
Hans Sachs, Schuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Baß, Bariton
Veit Pogner, Goldschmied . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Baß
Kunz Vogelgesang, Kürschner . . . . . . . . . . . . . . .
Tenor
Konrad Nachtigall, Spengler . . . . . . . . . . . . . . . .
Baß
Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber . . . . . . . . . . . .
Baß, Bariton
Fritz Kothner, Bäcker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Baß
Meistersinger
Balthasar Zorn, Zinngießer . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tenor
Ulrich Eißlinger, Würzkrämer . . . . . . . . . . . . . . . .
Tenor
Augustin Moser, Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tenor
Hermann Ortel, Seifensieder . . . . . . . . . . . . . . . . .
Baß
Hans Schwarz, Strumpfwirker . . . . . . . . . . . . . . .
Baß
Hans Foltz, Kupferschmied . . . . . . . . . . . . . . . . .
Baß
Walther von Stolzing,
ein junger Ritter aus Franken . . . . . . . . . . . . . .
Tenor
David, Sachsens Lehrbube . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tenor
Eva, Pogners Tochter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sopran
Magdalene, Evas Erzieherin . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mezzosopran
Ein Nachtwächter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Baß, Bariton
Bürger und Frauen aller Zünfte, Gesellen, Lehrbuben, Mädchen,
Volk.
7
ZUR AUFFÜHRUNG
ZEIT UND ORT DER HANDLUNGUm die Mitte des 16. Jahrhunderts in Nürnberg.
SCHAUPLÄTZE
Erster Aufzug: Im Innern der Katharinenkirche und im anschließenden Tagungssaal der Meistersinger.Zweiter Aufzug: In einer Straße der Stadt, zwischen den Häusern Pogners und Sachsens.Dritter Aufzug, erstes Bild: Im Hause Hans Sachsens; zweites Bild: Auf der Festwiese, vor den Toren der Stadt.
ORCHESTERBESETZUNG
9 Holzbläser: 3 Flöten (davon 1 kleine Flöte bzw. Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte (diese Gruppe kann verdoppelt werden); 11 Blechbläser: 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Baßtuba; 5 Schlaginstrumente: 1 Paar Pauken, Triangel, Große Trommel, 1 Paar Becken, Glockenspiel; 2 Saiteninstrumente: Harfe, Laute; 64 Streicher: 16 erste, 16 zweite Violinen, 12 Bratschen, 12 Violoncelli, 8 Kontrabässe.
FERNER BÜHNENMUSIK
Trompeten, Trommeln, Nachtwächter-Stierhorn, Orgel.
SPIELDAUER
etwa 5 Stunden
8
Textbuch
mit Erläuterungen
zu Musik und Handlung
ERLÄUTERUNGEN
Dieses Glanzstück der Opern- und Orchesterliteratur ist oft analysiert worden. Dabei wurde auch die (an sich eher unwichtige) Frage aufgeworfen, ob es sich um eine »Ouvertüre« oder ein »Vorspiel« handelt; die unterscheidenden Merkmale seien hier nicht erörtert. Wagner selbst nahm die Terminologie nicht sehr ernst, wie leicht zu beweisen wäre. Wichtiger ist die Frage, inwieweit Wagners Themen oder Melodien »Leitmotive« sind. Dieser Begriff hat jahrzehntelang die Wagnerforscher, -kenner und -liebhaber fasziniert und oft zu so zerstückelnden Analysen seiner Werke geführt, daß schließlich »vor lauter Bäumen der Wald nichtmehr zu sehen war«.Wagner selbst hat das Wort »Leitmotiv« nicht gekannt, es wurde nach seinem Tode von einem ihm nahestehenden Musikwissenschaftler, Hans von Wolzogen, geprägt. Nicht zu Unrecht: Wagner arbeitete mit »Formeln« – die er gerne »Erinnerungsmotive« oder »Grundthemen« nannte –, musikalisch einprägsamen Motiven, die er mit Personen, Dingen, Gedanken, Symbolen seiner dramatischen Handlungen verknüpfte. Wer sie kannte, fand sich im dramatischen, manchmal auch philosophischen Gewirr der Wagner-Opern leichter und besser zurecht. Aber man ging schließlich zu weit: Einmal, weil man fast jeder mehrmals wiederkehrenden Tonfolge eine außermusikalische Bedeutung und Identifikation zuschrieb, zum andern, weil man sie mit einem bestimmten Namen zu eng umgrenzte. In den »Meistersingern« verwendet Wagner eine nicht geringe Zahl identifizierbarer Motive, aber wir wollen uns dort, wo die Frage nicht eindeutig vom Meisterselbst geklärt erscheint, vor Übertreibung hüten.
Das Vorspiel setzt mit dem strahlenden C-Dur-Thema ein, daszweifellos die stolze Zunft der Meistersinger symbolisiert:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 12)
10
VORSPIEL
VORSPIEL
11
ERLÄUTERUNGEN
(1)
Es klingt so festlich wie bewegt, geht nach F-Dur über, erklingt in dieser Tonart nochmals und löst sich schließlich in einer etwas zögernden Phrase auf, die weich und zart von den Holzbläsern vorgetragen wird: ein Liebesmotiv? Evas jungmädchenhafteZuneigung zu Walther?
(2)
Ein energischer Geigenlauf unterbricht den besinnlichen Moment und führt in das festliche C-Dur zurück: Trompeten, zu denen sich bald alle Bläser gesellen, schmettern einen wuchtigen Marsch: den Aufzug der Meistersinger auf die Festwiese, ihren Zunftmarsch sozusagen.
(Notenbeispiel S. 14)
12
VORSPIEL
13
ERLÄUTERUNGEN
(3)
Ein neues Motiv folgt; »ausdrucksvoll« hat Wagner seinen Klangverlangt, sehnsüchtig fast, könnte man sagen:
(4)
Das Motiv wird breit ausgesponnen, ertönt zuletzt im vollen Orchester und endet in einer breiten Kadenz, worauf sofort einneues, drängenderes Motiv auftaucht:
(Notenbeispiel S. 16)
14
VORSPIEL
15
ERLÄUTERUNGEN
(5)
Es geht in überraschender Wendung zu einem Thema in weichem E-Dur über. Das Motiv steht in der Oper in engem Zusammenhang mit Eva, vor allem aber mit Stolzing und seiner Liebe zu ihr; so wird es sehr deutlich im »Preislied« vernehmlich werden.
Es bleibt nicht zart und innig, wie es beginnt, sondern nimmt einen stürmischen, drängenden Charakter an – die Leidenschaft derjungen Liebe:
(6)
(7)
16
VORSPIEL
17
ERLÄUTERUNGEN
Betrachtet man diesen Teil des Vorspiels als »Exposition« eines Sonatensatzes (wie manche Analytiker es tun), so beginnt nun die »Durchführung« der zahlreichen Themen, die Wagner hier verwendet. Wir begegnen da vielerlei Verwandlungen und Umformungen, so etwa auch einer »Verniedlichung« des Themas der Meister (Nr. 1) mit verkürzten Notenwerten, kurz gestoßenen, fast komischen Holzbläserklängen – ist es Beckmesser, der hier zum ersten Malvorgestellt wird?
(8)
Bemerkenswert die Ausgestaltung des Themas Nr. 6, das dann festlich, siegreich klingt und von den gleichzeitig ertönenden Themen Nr. 1 und 3 kontrapunktiert wird – ein polyphones Kunststück ersten Ranges:
(9)
18
VORSPIEL
19
ERLÄUTERUNGEN
Bald darauf folgt eine ähnliche Überlagerung verschiedener Themen – Liebesleidenschaft und Meisterkunst in einem:
(10)
Großartig wird der Höhepunkt vorbereitet, im Triumph kehrt Thema Nr. 1 in strahlendem Orchestergewand wieder. Wird das Vorspiel in Konzerten zum Vortrag gebracht, so gibt es einen eindrucksvollen Schluß, der von Wagner autorisiert, ja in eigenen Konzerten oft verwendet wurde. Bei Aufführungen der Oper hingegen geht das leuchtende C-Dur-Thema Nr. 1 unmittelbar in die ersten Orgelklänge über, die das Aufgehen des Vorhangsbegleiten.
20
VORSPIEL / 1. AUFZUG/1. SZENE
ERSTER AUFZUG
ERSTE SZENE
Die Bühne stellt das Innere der Katharinenkirche in schrägemDurchschnitt dar.
Von dem Hauptschiff, welches links ab dem Hintergrunde zu sich ausdehnend anzunehmen ist, sind nur noch die letzten Reihen der Kirchenstuhlbänke sichtbar; den Vordergrund nimmt der freie Raum vor dem Chor ein; dieser wird später durch einen schwarzenVorhang gegen das Schiff zu gänzlich geschlossen.In der letzten Reihe der Kirchenstühle sitzen Eva und Magdalene; Walther von Stolzing steht, in einiger Entfernung, zur Seite an eine Säule gelehnt, die Blicke auf Eva heftend, die sich mit stummemGebärdenspiel wiederholt zu ihm umkehrt.
21
ERLÄUTERUNGEN
Mit einem Choral nähert sich der Sonntagsgottesdienst in der Nürnberger Katharinenkirche seinem Ende. In den Pausen zwischen seinen Phrasen intoniert das Orchester Motive aus dem Vorspiel (Nr. 2 und 7). Sie begleiten die glühenden Blicke, die Walthervon Stolzing Evchen zuwirft:
(11)
Das Motiv nimmt intensivsten Ausdruck an, als die Gemeinde sich erhebt und die Kirche zu verlassen beginnt. Walther nähert sich in großer Spannung Eva, wobei das Orchester das Motiv 7 – das »leidenschaftliche Liebesbegehren« – in den Vordergrundrückt.
Die folgende Szene spielt sich in raschem, drängendem Rezitativton ab. Die Orchesterbegleitung ist sparsam, so daß der Text
22
1. AUFZUG / 1. SZENE
Die Gemeinde:
Da zu dir der Heiland kam,
(Walther drückt durch Gebärde eine schmachtende Frage an Eva
aus.)
willig deine Taufe nahm,
(Evas Blick und Gebärde sucht zu antworten; doch beschämt
schlägt sie die Augen wieder nieder.)
weihte sich dem Opfertod,
(Walther zärtlich, dann dringender.)
gab er uns des Heils Gebot:
(Eva, Walther schüchtern abweisend, aber schnell wieder seelenvoll
zu ihm aufblickend.)
daß wir durch sein’ Tauf’ uns weih’n,
(Walther entzückt, höchste Beteuerungen, Hoffnung.)
seines Opfers wert zu sein.
(Eva lächelnd, dann beschämt die Augen senkend. Walther dringend,
aber schnell sich unterbrechend.)
Edler Täufer, Christ’s Vorläufer!
(Walther nimmt die dringende Gebärde wieder auf, mildert sie
aber sogleich, um sanft um eine Unterredung zu bitten.)
Nimm uns gnädig an, dort am Fluß Jordan.
(Die Gemeinde erhebt sich, wendet sich dem Ausgang zu und verläßt unter dem Nachspiel allmählich die Kirche. Walther heftet in höchster Spannung seinen Blick auf Eva, welche ihren Sitz ebenfalls verläßt und, von Magdalene gefolgt, langsam in seine Nähekommt.Da Walther Eva sich nähern sieht, drängt er sich gewaltsam durch die Kirchgänger zu ihr.)Walther (leise, doch feurig zu Eva):
Verweilt! – Ein Wort! Ein einzig Wort!
23
ERLÄUTERUNGEN
voll verständlich bleibt. Wagners Deklamation stellt ein Musterbeispiel
an sinnvollem Ausdruck dar.
24
1. AUFZUG / 1. SZENE
Eva (sich schnell zu Magdalene umwendend):
Mein Brusttuch! Schau! Wohl liegt’s im Ort?
Magdalene:
Vergeßlich’ Kind! Nun heiß es: such!
(Sie kehrt nach den Kirchenstühlen zurück.)
Walther:
Fräulein! Verzeiht der Sitte Bruch!
Eines zu wissen, eines zu fragen,
was müßt’ ich nicht zu brechen wagen?
Ob Leben oder Tod, ob Segen oder Fluch?
Mit einem Worte sei mir’s vertraut:
mein Fräulein sagt –
Magdalene (zurückkommend):
Hier ist das Tuch.
Eva:
O weh! Die Spange!
Magdalene:
Fiel sie wohl ab?
(Sie geht suchend abermals nach hinten.)
Walther:
Ob Licht und Lust oder Nacht und Tod?
Ob ich erfahr, wonach ich verlange,
ob ich vernehme, wovor mir graut:
Mein Fräulein, sagt –
Magdalene (wieder zurückkommend):
Da ist auch die Spange.
Komm, Kind! Nun hast du Spang’ und Tuch …
O weh! Da vergaß ich selbst mein Buch!
(Sie geht nochmals eilig nach hinten.)
Walther:
Dies eine Wort, Ihr sagt mir’s nicht?
Die Silbe, die mein Urteil spricht?
Ja oder nein! – ein flücht’ger Laut:
mein Fräulein sagt,
(entschlossen und hastig) seid Ihr schon Braut?
Magdalene (die wieder zurückgekehrt ist und sich vor Walther
verneigt):
Sieh da, Herr Ritter,
wie sind wir hochgeehrt:
25
ERLÄUTERUNGEN
26
1. AUFZUG / 1. SZENE
mit Evchens Schutze
habt Ihr Euch gar beschwert?
Darf der Besuch des Helden
ich Meister Pogner melden?
Walther (bitter, leidenschaftlich):
Oh, betrat ich doch nie sein Haus!
Magdalene:
Ei, Junker! Was sagt Ihr da aus?
In Nürnberg eben nur angekommen,
wart Ihr nicht freundlich aufgenommen?
Was Küch’ und Keller, Schrein und Schrank
Euch bot, verdient’ es keinen Dank?
Eva:
Gut Lenchen, ach, das meint er ja nicht.
Doch von mir wohl wünscht er Bericht.
Wie sag ich’s schnell? Versteh’ ich’s doch kaum!
Mir ist, als wär’ ich gar wie im Traum! –
Er frägt – ob ich schon Braut?
Magdalene (heftig erschrocken):
Hilf Gott! Sprich nicht so laut!
Jetzt laß uns nach Hause gehn;
wenn uns die Leut’ hier sehn!
Walther:
Nicht eh’r, bis ich alles weiß!
Eva (zu Magdalene):
’s ist leer, die Leut’ sind fort.
Magdalene:
Drum eben wird mir heiß!
Herr Ritter, an andrem Ort!
David tritt aus der Sakristei ein und macht sich darüber her, die
schwarzen Vorhänge zu schließen. –
Walther (dringend):
Nein! Erst dies Wort!
Eva (bittend zu Magdalene):
Dies Wort!
Magdalene (die sich bereits umgewendet, erblickt David, hält
an und ruft zärtlich für sich):
David? Ei! David hier?
(Sie wendet sich wieder zurück, und zu Walther.)
27
ERLÄUTERUNGEN
28
1. AUFZUG / 1. SZENE
Eva (zu Magdalene):
Was sag ich? Sag du’s mir!
Magdalene (zerstreut, öfter nach David sich umsehend):
Herr Ritter, was Ihr die Jungfer fragt,
das ist so leichtlich nicht gesagt;
fürwahr ist Evchen Pogner Braut –
Eva (lebhaft unterbrechend):
Doch hat noch keiner den Bräut’gam erschaut.
Magdalene:
Den Bräut’gam wohl noch niemand kennt,
bis morgen ihn das Gericht ernennt,
das dem Meistersinger erteilt den Preis –
Eva (enthusiastisch):
Und selbst die Braut ihm reicht das Reis.
Walther (verwundert):
Dem Meistersinger?
Eva (bang):
Seid Ihr das nicht?
Walther:
Ein Werbgesang?
Magdalene:
Vor Wettgericht.
Walther:
Den Preis gewinnt?
Magdalene:
Wen die Meister meinen.
Walther:
Die Braut dann wählt?
Eva (sich vergessend):
Euch oder keinen!
(Walther wendet sich, in großer Erregung auf und ab gehend, zur
Seite.)
Magdalene (sehr erschrocken):
Was, Evchen! Evchen! Bist du von Sinnen?
Eva:
Gut’ Lene, laß mich den Ritter gewinnen!
Magdalene:
Sahst ihn doch gestern zum erstenmal?
29
ERLÄUTERUNGEN
Hier läßt Wagner ein Motiv aufklingen, das später (Nr. 41) zu voller Entfaltung kommen wird: das Motiv der Lehrbuben, also auchMotiv Davids – lustig, übermütig, keck, freundlich.
Immer wieder webt Wagner eines seiner Motive in den musikalischen Ablauf; so hier, bei der Frage nach der »Singschul’«, die hier vorbereitet wird, das Motiv der Meistersinger (Nr. 1), wennauch nur in kurzer Andeutung.
30
1. AUFZUG / 1. SZENE
Eva:
Das eben schuf mir so schnelle Qual,
daß ich schon längst ihn im Bilde sah!
Sag, trat er nicht ganz wie David nah?
Magdalene (höchst verwundert):
Bist du toll? Wie David?
Eva:
Wie David im Bild.
Magdalene:
Ach, meinst du den König mit der Harfen und langem Bart
in der Meister Schild?
Eva:
Nein! Der, dess’ Kiesel den Goliath warfen,
das Schwert im Gurt, die Schleuder zur Hand,
das Haupt von lichten Locken umstrahlt,
wie ihn sich Meister Dürer gemalt.
Magdalene (laut seufzend):
Ach, David! David!
David (der hinausgegangen und jetzt wieder zurückkommt, ein
Lineal im Gürtel und ein großes Stück weißer Kreide an
einer Schnur schwenkend):
Da bin ich! Wer ruft?
Magdalene:
Ach, David! Was Ihr für Unglück schuft!
(Für sich) Der liebe Schelm! Wüßt’ er’s noch nicht?
(Laut) Ei seht, da hat er uns gar verschlossen?
David (zärtlich):
Ins Herz Euch allein!
Magdalene (feurig):
Das treue Gesicht! –
Ei sagt! Was treibt Ihr hier für Possen?
David:
Behüt es, Possen? Gar ernste Ding’!
Für die Meister hier richt’ ich den Ring.
Magdalene:
Wie? Gäb’ es ein Singen?
David:
Nur Freiung heut:
der Lehrling wird da losgesprochen,
31
ERLÄUTERUNGEN
Wieder taucht Motiv 41 auf: Magdalene wendet sich an David und bittet ihn um Hilfe für den Junker. Das Lehrbubenmotiv geht in jenes des Zunftmarsches (Nr. 3) über. Dann wird die Musik drängender, Walthers und Evas Herzensnot drückt sich darin aus (Motive Nr. 5 und 2): die junge, eben entflammte Liebe der beidenjungen Menschen.
32
1. AUFZUG / 1. SZENE
der nichts wider die Tabulatur verbrochen;
Meister wird, wen die Prob’ nicht reut.
Magdalene:
Da wär’ der Ritter ja am rechten Ort. –
Jetzt, Evchen, komm, wir müssen fort.
Walther (schnell sich zu den Frauen wendend):
Zu Meister Pogner laßt mich euch geleiten.
Magdalene:
Erwartet den hier; er ist bald da.
Wollt Ihr Evchens Hand erstreiten,
rückt Zeit und Ort das Glück Euch nah.
(Zwei Lehrbuben kommen dazu und tragen Bänke herbei.)
Jetzt eilig von hinnen!
Walther:
Was soll ich beginnen?
Magdalene:
Laßt David Euch lehren,
die Freiung begehren. –
Davidchen, hör, mein lieber Gesell,
den Ritter hier bewahr’ mir wohl zur Stell’!
Was Fein’s aus der Küch’ bewahr’ ich für dich;
und morgen begehr’ du noch dreister,
wird hier der Junker heut’ Meister.
(Sie drängt Eva zum Fortgehen.)
Eva (zu Walther):
Seh’ ich Euch wieder?
Walther (sehr feurig):
Heut abend, gewiß! –
Was ich will wagen, wie könnt’ ich’s sagen?
Neu ist mein Herz, neu mein Sinn,
neu ist mir alles, was ich beginn’.
Eines nur weiß ich, eines begreif’ ich:
Mit allen Sinnen Euch zu gewinnen!
Ist’s mit dem Schwert nicht, muß es gelingen,
gilt es als Meister Euch zu ersingen.
Für Euch Gut und Blut!
Für Euch Dichters heil’ger Mut!
33
ERLÄUTERUNGEN
Mit großer Liebeskantilene geht die erste Szene zu Ende (Motive 2 und 4), die eintretenden Lehrbuben biegen die Musik ins Fröhliche. Sie spotten Davids, wobei Wagner ihrem Gesang Noten im »überschlagenden Falsett« einverleibt, jene unnatürlichen Töne, diekomisch und parodierend klingen.
34
1. AUFZUG / 1./2. SZENE
Eva (mit großer Wärme):
Mein Herz, sel’ger Glut,
für Euch liebesheil’ge Hut!
Magdalene:
Schnell heim, sonst geht’s nicht gut!
David (der Walther verwunderungsvoll gemessen):
Gleich Meister? Oho! Viel Mut!
(Magdalene zieht Eva eilig durch die Vorhänge nach sich fort. Walther wirft sich, aufgeregt und brütend, in einen erhöhten kathederartigen Lehnstuhl, den zuvor zwei Lehrbuben von der Wand ab mehr nachder Mitte zu gerückt haben.)
ZWEITE SZENE
Noch mehrere Lehrbuben sind eingetreten; sie tragen und stellen
Bänke und richten alles zur Sitzung der Meistersinger her.
Zweiter Lehrbube:
David, was stehst?
Erster Lehrbube:
Greif ans Werk!
Zweiter Lehrbube:
Hilf uns richten das Gemerk!
David:
Zu eifrigst war ich vor euch allen;
schafft nun für euch: hab ander Gefallen!
Vier Lehrbuben:
Was der sich dünkt!
Vier Lehrbuben:
Der Lehrling’ Muster!
Vier Lehrbuben:
Das macht, weil sein Meister ein Schuster.
Vier Lehrbuben:
Beim Leisten sitzt er mit der Feder.
Vier Lehrbuben:
Beim Dichten mit Draht und Pfriem.
Vier Lehrbuben:
Sein’Verse schreibt er auf rohes Leder.
Alle zwölf Lehrbuben (mit entsprechender Gebärde):
Das, dächt’ ich, gerbten wir ihm!
35
ERLÄUTERUNGEN
David ist zum nachdenklichen Walther getreten und ruft ihn mit den Worten und dem Tonfall an, den der »Merker« bei Singgerichten oder -wettbewerben verwendet. In einem längeren Dialog entdeckt David, daß Walther keine Ahnung von den Gepflogenheiten der Meistersinger hat. Er »setzt sich in Positur« und beginnt seinen Vortrag. Es ist bezeichnend, daß Wagner hier keines der eigentlichen Meistersingermotive erklingen läßt: David ist erst Lehrbub – in der Schuhmacherei wie im Meistergesang –, und in seiner Erklärung vermischt er seine beiden Lehrfächer inamüsanter Weise.
36
1. AUFZUG / 2. SZENE
(Sie machen sich lachend an die fernere Herrichtung.)
David (nachdem er den sinnenden Ritter eine Weile betrachtet):
Fanget an!
Walther (verwundert):
Was soll’s?
David (noch stärker):
»Fanget an!« – So ruft der »Merker«.
Nun sollt Ihr singen! Wißt Ihr das nicht?
Walther:
Wer ist der Merker?
David:
Wißt Ihr das nicht?
Wart Ihr noch nie bei ’nem Sing-Gericht?
Walter:
Noch nie, wo die Richter Handwerker!
David:
Seid Ihr ein »Dichter«?
Walther:
Wär’ ich’s doch!
David:
Seid Ihr ein »Singer«?
Walther:
Wüßt’ ich’s noch!
David:
Doch »Schulfreund« wart Ihr und »Schüler« zuvor?
Walther:
Das klingt mir alles fremd vorm Ohr.
David:
Und so gradhin wollt Ihr Meister werden?
Walther:
Wie, machte das so große Beschwerden?
David:
O Lene! Lene!
Walther:
Wie Ihr doch tut!
David:
O Magdalene!
Walther:
Ratet mir gut!
37
ERLÄUTERUNGEN
38
1. AUFZUG / 2. SZENE
David (setzt sich in Positur):
Mein Herr, der Singer Meister-Schlag
gewinnt sich nicht an einem Tag.
In Nüremberg der größte Meister
mich lehrt die Kunst Hans Sachs!
Schon voll ein Jahr mich unterweist er,
daß ich als Schüler wachs’.
Schuhmacherei und Poeterei,
die lern’ ich da alleinerlei:
hab ich das Leder glatt geschlagen,
lern’ ich Vokal und Konsonanz sagen;
wichst’ ich den Draht erst fest und steif,
was sich dann reimt, ich wohl begreif’!
Den Pfriemen schwingend,
im Stich die Ahl’,
was stumpf, was klingend,
was Maß, was Zahl –
den Leisten im Schurz, was lang, was kurz,
was hart, was lind, hell oder blind,
was Waisen, was Milben, was Klebsilben,
was Pausen, was Körner, was Blumen, was Dörner –
das alles lernt’ ich mit Sorg’ und Acht.
Wie weit nun, meint Ihr, daß ich’s gebracht?
Walther:
Wohl zu ’nem Paar recht guter Schuh’?
David:
Ja, dahin hat’s noch gute Ruh’!
Ein »Bar« hat manch Gesätz’ und Gebänd’;
wer da gleich die rechte Regel fänd’,
die richt’ge Naht und den rechten Draht,
mit gutgefügten »Stollen« den Bar recht zu versohlen.
Und dann erst kommt der »Abgesang«;
daß der nicht kurz und nicht zu lang
und auch keinen Reim enthält,
der schon im Stollen gestellt.
Wer alles das merkt, weiß und kennt,
wird doch immer noch nicht »Meister« genennt.
39
ERLÄUTERUNGEN
Erst hier gibt Wagner Davids langer Erzählung eine feste melodische Grundlage, ein Motiv, das zwar entfernt mit Motiv 2 zusammenhängt, aber eigenen Charakter annimmt: dem begleitenden Text nach könnte man es als »Motiv des Singens« oder der »Lieder« bezeichnen, mit besonderem Bezug auf Walther und seineminnesängerlich romantische Art des Singens:
(12)
Doch gleich darauf geht David wieder in seine lehrhafte Art über, er zählt die Namen der meistersingerlichen »Töne« auf (dieWagner dem Buche Wagenseils entnahm, also »echt« sind):
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 42)
40
1. AUFZUG / 2. SZENE
Walther:
Hilf Gott! Will ich denn Schuster sein?
In die Singkunst lieber führ mich ein.
David:
Ja, hätt’ ich’s nur selbst schon zum »Singer« gebracht!
Wer glaubt wohl, was das für Mühe macht?
Der Meister Tön’ und Weisen,
gar viel an Nam’ und Zahl,
die starken und die leisen,
wer die wüßte allzumal!
Der »kurze«, »lang’« und »überlang’« Ton,
die »Schreibpapier«-, »Schwarz-Dinten«-Weis’;
der »rote«, »blau’« und »grüne« Ton;
die »Hageblüh«-, »Strohhalm«-, »Fengel«-Weis’;
der »zarte«, der »süße«, der »Rosen«-Ton;
der »kurzen Liebe«, der »vergeßne« Ton;
die »Rosmarin«-, »Gelbveiglein«-Weis’,
41
ERLÄUTERUNGEN
(13)
Die Szene ist, bei guter Interpretation Davids, von überwältigender Komik. Des Lehrbuben Wichtigtuerei (die zu allem ein ausgezeichnetes Gedächtnis erfordert) gegen die Hilflosigkeit des Junkers: Man ahnt bereits dessen Stellung gegenüber den Meistern,so wie sie sich dann ja schonungslos zeigen wird.
42
1. AUFZUG / 2. SZENE
die »Regenbogen«-, die »Nachtigall«-Weis’,
die »englische Zinn«-, die »Zimmtröhren«-Weis’,
»frisch’ Pomeranzen«-, »grün’ Lindenblüh«-Weis’,
die »Frösch’«-, die »Kälber«-, die »Stieglitz«-Weis’,
die »abgeschiedene Vielfraß«-Weis’;
der »Lerchen«-, der »Schnecken«-, der »Beller«-Ton,
die »Melissenblümlein«-, die »Mairan«-Weis’,
»Gelblöwenhaut«-, (gefühlvoll) »treu’ Pelikan«-Weis’,
(prunkend) die »buttglänzende Draht«-Weis’ …
Walther:
Hilf Himmel! Welch endlos Tönegeleis’!
David:
Das sind nur die Namen: nun lernt sie singen,
recht, wie die Meister sie gestellt!
Jed’Wort und Ton muß klärlich klingen,
wo steigt die Stimm’ und wo sie fällt;
fangt nicht zu hoch, zu tief nicht an,
als es die Stimm’ erreichen kann;
mit dem Atem spart, daß er nicht knappt
und gar am End’ Ihr überschnappt;
vor dem Wort mit der Stimme ja nicht summt,
nach dem Wort mit dem Mund auch nicht brummt.
Nicht ändert an »Blum’« und »Koloratur«,
jed’ Zierat fest nach des Meisters Spur.
Verwechseltet Ihr, würdet gar irr’,
verlört Ihr Euch und kämt ins Gewirr:
wär’ sonst Euch alles auch gelungen,
da hättet Ihr gar »versungen!«
Trotz großem Fleiß und Emsigkeit
43
ERLÄUTERUNGEN
Von hier an nimmt das Orchester den Arbeitsrhythmus und -lärm auf, zu dem die Lehrbuben alles im Saal für die Sitzung, die »Singschul’«, vorbereiten. In seinen weiteren Erklärungen an Stolzingklingen, hier und da, schon bekannte Motive auf.
44
1. AUFZUG / 2. SZENE
ich selbst noch bracht’ es nicht so weit.
So oft ich’s versuch’ und ’s nicht gelingt,
die »Knieriem-Schlag«-Weis’ der Meister mir singt.
(Sanft.) Wenn dann Jungfer Lene nicht Hilfe weiß,
(greinend) sing’ ich die »eitel Brot- und Wasser«-Weis’! –
Nehmt Euch ein Beispiel dran
und laßt vom Meister-Wahn!
Denn »Singer« und «Dichter« müßt Ihr sein,
eh’ Ihr zum »Meister« kehret ein.
Vier Lehrbuben (während der Arbeit):
David!
Walther:
Wer ist nun Dichter?
Vier Lehrbuben:
David! Kommst her?
David (zu den Lehrbuben):
Wartet nur, gleich! –
(Schnell wieder zu Walther sich wendend):
Wer »Dichter« wär’?
Habt Ihr zum »Singer« Euch aufgeschwungen
und der Meister Töne richtig gesungen,
fügtet Ihr selbst nun Reim’ und Wort’,
daß sie genau an Stell’ und Ort
paßten zu eines Meisters Ton,
dann trügt Ihr den Dichterpreis davon.
Vier Lehrbuben:
He, David! Soll man’s dem Meister klagen?
Alle Lehrbuben:
Wirst dich bald des/deines Schwatzens entschlagen?
David:
Oho! – Jawohl! Denn helf’ ich euch nicht,
ohne mich wird alles doch falsch gericht’t.
(Er will sich zu ihnen wenden.)
Walther (ihn zurückhaltend):
Nur dies noch: wer wird »Meister« genannt?
David (schnell wieder umkehrend):
Damit, Herr Ritter, ist’s so bewandt:
(Mit sehr tiefsinniger Miene.)
45
ERLÄUTERUNGEN
Davids Ausführungen gipfeln hier in einer gewichtigen Gesangsphrase, die bis ins hohe H hinaufführt und zu der aus dem Orchester prunkvoll ein Thema der Meistersinger, der »Zunftmarsch«(Motiv 3), ertönt.Davids Worte haben Stolzing nur eine einzige Hoffnung gelassen: Er muß unter Überspringung aller Zwischenstufen sofort den Meistertitel anstreben; das Orchester unterstreicht diesen Gedanken mit dem Motiv 12, denn Walther kann sich dabei auf nichts stützen als auf seinen minnesängerlichen Gesang. Das Motiv zeigt seine Verwandtschaft mit jenem Motiv 2, in dem »jugendliche Unruhe des Herzens« ebenso liegt wie »Unsicherheit gegenüber der neuen Umwelt«, in die Walther nun geraten ist. Wagners Motive sind oft ungemein vielseitig, und je nach der Situation haben sieverschiedene Bedeutung.
Hier wird die Musik locker bewegt, geschäftig, deutet mehrmals dasMotiv der Lehrbuben (Nr. 41) an.
Schließlich fallen diese selbst lustig mit ihrem Motiv ein.
46
1. AUFZUG / 2. SZENE
Der Dichter, der aus eig’nem Fleiße
zu Wort’ und Reimen, die er erfand, (äußerst zart)
aus Tönen auch fügt eine neue Weise,
der wird als »Meistersinger« erkannt.
Walther:
So bleibt mir einzig der Meisterlohn!
Muß ich singen,
kann’s nur gelingen,
find’ ich zum Vers auch den eig’nen Ton.
David (der sich zu den Lehrbuben gewendet):
Was macht ihr denn da? – Ja, fehl’ ich beim Werk,
verkehrt nur richtet ihr Stuhl und Gemerk! –
(Er wirft polternd und lärmend die Anordnungen der Lehrbuben
in betreff des Gemerkes um.)
Ist denn heut »Singschul’«? – Daß ihr’s wißt,
das kleine Gemerk! – Nur »Freiung« ist!
(Die Lehrbuben, welche in der Mitte der Bühne ein größeres Gerüst mit Vorhängen aufgeschlagen hatten, schaffen auf Davids Weisung dies schnell beiseite und stellen dafür ein geringeres Brettergerüst auf; darauf stellen sie einen Stuhl mit einem kleinen Pult davor, daneben eine große schwarze Tafel, daran die Kreide am Faden aufgehängt wird; um das Gerüst sind schwarze Vorhänge angebracht, die zunächst hinten und an beiden Seiten, dann auchvorn ganz zusammengezogen werden.)Alle Lehrbuben (während der Herrichtung):Aller End’ ist doch David der Allergescheit’st,nach hohen Ehren ganz sicher er geizt:’s ist Freiung heut;gewiß er freit,als vornehmer »Singer« er schon sich spreizt!Die »Schlag«-Reime fest er inne hat,»Arm-Hunger»-Weise singt er glatt.Vier Lehrbuben (1. Tenor):Doch die »harte-Tritt«-Weis’, die kennt er am best’ –
47
ERLÄUTERUNGEN
Jetzt löst sich die jugendlich schwungvolle Bewegung der Lehrbubenmusik auf, und aus ihrem Rhythmus entwickelt Wagner Elemente, die später dem »Merker« – Beckmesser – zugeteilt werden:
(14)
Bei der Erwähnung der »sieben Fehler«, die der Merker dem Kandidaten »vorgibt«, erklingt eine Tonfolge, die als Erwähnung dieser Tatsache des öfteren wiederkehren wird. Dann spielt das Orchester – als David (nicht ganz ernsthaft) Walther Glück zum Meistersingen wünscht – das lustige Motiv des »Preisgewinnens«, in das die Lehrbuben halb ernst, halb ironisch einfallen:(Notenbeispiel S. 50)
48
1. AUFZUG / 2. SZENE
Alle:
Die trat ihm der Meister hart und fest!
(Mit der Gebärde zweier Fußtritte.) (Sie lachen.)
David:
Ja, lacht nur zu! Heut bin ich’s nicht;
ein andrer stellt sich zum Gericht:
der war nicht Schüler, ist nicht Singer,
den Dichter, sagt er, überspring’ er;
denn er ist Junker, und mit einem Sprung er
denkt ohne weit’re Beschwerden
heut’ hier Meister zu werden.
Drum richtet nur fein das Gemerk dem ein!
(Während die Lehrbuben vollends aufrichten.)
Dorthin! – Hierher! Die Tafel an die Wand,
so daß sie recht dem Merker zur Hand!
(Sich zu Walther umwendend.)
Ja, ja, dem »Merker«! – Wird Euch wohl bang?
Vor ihm schon mancher Werber versang.
Sieben Fehler gibt er Euch vor,die merkt er mit Kreide dort an;wer über sieben Fehler verlor,hat versungen und ganz vertan!Nun nehmt Euch in acht!Der Merker wacht. (Derb in die Hände schlagend.)Glück auf zum Meistersingen!
49
ERLÄUTERUNGEN
(15)
In die übermütige Stimmung, mit der diese Szene ausklingt, treten plötzlich die Meister. Sofort nimmt die Musik einen anderen Ton an.
50
1. AUFZUG / 2./3. SZENE
Mögt Euch das Kränzlein erschwingen!
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?
Die Lehrbuben (welche zu gleicher Zeit das Gemerk geschlossen
haben, fassen sich an und tanzen einen verschlungenen
Reigen um dasselbe):
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein,
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?
(Die Lehrbuben fahren sogleich erschrocken auseinander, als die Sakristei aufgeht und Pogner mit Beckmesser eintritt; sie ziehen sichnach hinten zurück.)
DRITTE SZENE
Die Einrichtung ist nun folgendermaßen beendigt: Zur Seite rechts sind gepolsterte Bänke in der Weise aufgestellt, daß sie einen schwachen Halbkreis nach der Mitte zu bilden. Am Ende der Bänke, in der Mitte der Bühne, befindet sich das »Gemerk« benannte Gerüst, welches zuvor hergerichtet worden. Zur linken
51
ERLÄUTERUNGEN
Das Orchester untermalt nun, rezitativisch und doch sich zu Motivzitaten – darunter erste rhythmische Andeutungen des späteren Nürnberg-Motivs – verdichtend, das Gespräch zwischen Pogner und Beckmesser, das durchaus wortverständlich bleibt.
52
1. AUFZUG / 3. SZENE
Seite steht nun der erhöhte, kathederartige Stuhl (»der Singstuhl«) der Versammlung gegenüber. Im Hintergrunde, dem großen Vorhang entlang, steht eine lange niedere Bank für die Lehrlinge. Walther, verdrießlich über das Gespött der Knaben, hatsich auf die vordere Bank niedergelassen.Pogner und Beckmesser sind im Gespräch aus der Sakristei aufgetreten. Die Lehrbuben harren, ehrerbietig vor der hinteren Bank stehend. Nur David stellt sich anfänglich am Eingang derSakristei auf.
Pogner (zu Beckmesser):
Seid meiner Treue wohl versehen.
Was ich bestimmt, ist Euch zu Nutz:
im Wettgesang müßt Ihr bestehen;
wer böte Euch als Meister Trutz?
Beckmesser:
Doch wollt Ihr von dem Punkt nicht weichen,
der mich – ich sag’s – bedenklich macht;
kann Evchens Wunsch den Werber streichen,
was nützt mir meine Meisterpracht?
Pogner:
Ei sagt! Ich mein, vor allen Dingen
sollt’ Euch an dem gelegen sein:
Könnt Ihr der Tochter Wunsch nicht zwingen,
wie mögtet Ihr wohl um sie frei’n?
Beckmesser:
Ei ja! Gar wohl! Drum eben bitt’ ich,
daß bei dem Kind Ihr für mich sprecht,
wie ich geworben zart und sittig
und wie Beckmesser grad Euch recht.
Pogner:
Das tu ich gern.
Beckmesser (beiseite):
Er läßt nicht nach!
Wie wehrt’ ich da ’nem Ungemach?
Walther (der, als er Pogner gewahrt, aufgestanden und ihm ent-
gegengegangen ist, verneigt sich vor ihm):
Gestattet, Meister!
Pogner:
Wie, mein Junker?
53
ERLÄUTERUNGEN
Immer deutlicher formt sich dann im Orchester ein rhythmisch prägnantes Thema, das in seinen späteren Ausgestaltungen zum »Nürnberg-Motiv« (Nr. 27) wird. Es wird hier eingeführt, als Stolzing – nicht völlig wahrheitsgemäß – versichert, nur die Liebezur Kunst habe ihn nach Nürnberg geführt.
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1. AUFZUG / 3. SZENE
Ihr sucht mich in der Singschul’ hie?
(Sie wechseln die Begrüßungen.)
Beckmesser (immer beiseite):
Verstünden’s die Frau’n! Doch schlechtes Geflunker
gilt ihnen mehr als all’ Poesie.
(Er geht verdrießlich im Hintergrunde auf und ab.)
Walther:
Hier eben bin ich am rechten Ort.
Gesteh’ ich’s frei, vom Lande fort
was mich nach Nürnberg trieb,
war nur zur Kunst die Lieb’.
Vergaß ich’s gestern Euch zu sagen,
heut muß ich’s laut zu künden wagen:
ein Meistersinger möcht’ ich sein.
(Sehr innig.) Schließt, Meister, in die Zunft mich ein!
(Kunz Vogelgesang und Konrad Nachtigall sind eingetreten.)
Pogner (freudig zu den Hinzutretenden):
Kunz Vogelgesang! Freund Nachtigall!
Hört doch, welch’ ganz besondrer Fall!
Der Ritter hier, mir wohlbekannt,
hat der Meisterkunst sich zugewandt.
(Vorstellungen, Begrüßungen, andere Meister treten noch dazu.)
Beckmesser (wieder in den Vordergrund tretend, für sich):
Noch such’ ich’s zu wenden; doch sollt’s nicht gelingen,
versuch’ ich des Mädchens Herz zu ersingen.
In stiller Nacht, von ihr nur gehört,
erfahr’ ich, ob auf mein Lied sie schwört.
(Walther erblickend.)
Wer ist der Mensch?
Pogner (sehr warm zu Walther fortfahrend):
Glaubt, wie mich’s freut!
Die alte Zeit dünkt mich erneut.
Beckmesser:
Er gefällt mir nicht!
Pogner:
Was Ihr begehrt,
Beckmesser:
Was will er hier? –
55
ERLÄUTERUNGEN
Der Saal füllt sich, das Orchester wird stärker und dichter im Klang. Bei Sachsens Eintritt sowie bei der Feststellung, daß nun alle Meister zugegen seien, wird ein markantes Motiv – in seinem rhythmischen Grundbau, dem später vielerlei Melodien undHarmonien überbaut werden – deutlich vernehmbar:
56
(16)
1. AUFZUG / 3. SZENE
Pogner:
… soviel an mir, …
Beckmesser:
Wie der Blick ihm lacht!
Pogner:
… sei’s Euch gewährt.
Half ich Euch gern bei des Guts Verkauf,
Beckmesser:
Holla, Sixtus!
Pogner:
in die Zunft nun nehm’ ich Euch gleich gern auf.
Beckmesser:
Auf den hab acht!
Walther:
Habt Dank der Güte aus tiefstem Gemüte!
Und darf ich denn hoffen, steht heut mir noch offen,
zu werben um den Preis, daß Meistersinger ich heiß’?
Beckmesser:
Oho! Fein sacht! Auf dem Kopf steht kein Kegel!
Pogner:
Herr Ritter, dies geh’ nun nach der Regel.
Doch heut ist Freiung: ich schlag’ Euch vor;
mir leihen die Meister ein willig Ohr.
(Die Meistersinger sind nun alle angelangt, zuletzt Hans Sachs.)
Sachs:
Gott grüß Euch, Meister!
Vogelgesang:
Sind wir beisammen?
Beckmesser:
Der Sachs ist ja da!
Nachtigall:
So ruft die Namen!
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ERLÄUTERUNGEN
Die Meister haben Platz genommen. Betont wichtig und seiner Aufgabe bewußt, beginnt nun Kothner, der »Ansager« – wie er in vielen Singschulen der Meistersingerzeit genannt wurde – seineAnsprache und Namensverlesung:
(17)
Die Szene wird weitgehend vom Motiv Nr. 16 untermalt, dessen»punktierter« Rhythmus immer wieder herauszuhören ist.
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1. AUFZUG / 3. SZENE
Kothner (zieht eine Liste hervor, stellt sich zur Seite auf und ruft
laut):
Zu einer Freiung und Zunftberatung
ging an die Meister ein’ Einladung:
bei Nenn’ und Nam’, ob jeder kam,
ruf’ ich nun auf als letztentbot’ner,
der ich mich nenn’ und bin Fritz Kothner.
Seid Ihr da, Veit Pogner?
Pogner:
Hier zur Hand. (Er setzt sich.)
Kothner:
Kunz Vogelgesang?
Vogelgesang:
Ein sich fand. (Er setzt sich.)
Kothner:
Hermann Ortel?
Ortel:
Immer am Ort. (Er setzt sich.)
Kothner:
Balthasar Zorn?
Zorn:
Bleibt niemals fort. (Er setzt sich.)
Kothner:
Konrad Nachtigall?
Nachtigall:
Treu seinem Schlag. (Er setzt sich.)
Kothner:
Augustin Moser?
Moser:
Nie fehlen mag. (Er setzt sich.)
Kothner:
Niklaus Vogel? – Schweigt?
59
ERLÄUTERUNGEN
Kothner stellt die »Beschlußfähigkeit« fest, das Orchester steigert seinen Klang bis zum volltönenden Höhepunkt. Ist es der Stolz der Meistersinger auf ihre Zunft, auf ihre Kunst? Dann folgt der sachliche Teil: Rezitativ mit raschem Sprechgesang. Der Klangteppich wird wieder dichter und formt bei Beginn der großen
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1. AUFZUG / 3. SZENE
Ein Lehrbube (von der Bank aufstehend):
Ist krank.
Kothner:
Gut’ Bess’rung dem Meister!
Die Meister (außer Kothner):
Walt’s Gott!
Der Lehrbube:
Schön’ Dank! (Er setzt sich wieder nieder.)
Kothner:
Hans Sachs?
David (vorlaut sich erhebend und auf Sachs zeigend):
Da steht er!
Sachs (drohend zu David):
Juckt dich das Fell?
Verzeiht, Meister! Sachs ist zur Stell’. (Er setzt sich.)
Kothner:
Sixtus Beckmesser?
Beckmesser:
Immer bei Sachs (während er sich setzt),
daß den Reim ich lern’ von »blüh’ und wachs«.
(Sachs lacht.)
Kothner:
Ulrich Eißlinger?
Eißlinger:
Hier. (Er setzt sich.)
Kothner:
Hans Foltz?
Foltz:
Bin da. (Er setzt sich.)
Kothner:
Hans Schwarz?
Schwarz:
Zuletzt: Gott wollt’s! (Setzt sich.)
Kothner:
Zur Sitzung gut und voll die Zahl.
Beliebt’s, wir schreiten zur Merkerwahl?
Vogelgesang:
Wohl eh’r nach dem Fest.
61
ERLÄUTERUNGEN
Rede Pogners das Motiv, das man ohne Schwierigkeit dem Johannistagund seinem Volksfest zuordnen kann:
(18)
Es beherrscht, kunstvoll abgewandelt und mannigfaltig ausgestaltet, den ersten Teil der ernsten und gedankenvollen Ansprache Pogners.
Danach folgen seine kritischen Worte, seine Klage über die geringe Achtung, die vielerorts dem Bürgertum entgegengebracht wird – alles mit größter Wortdeutlichkeit, also geringsterOrchesteruntermalung:
(Notenbeispiel S. 64)
62
1. AUFZUG / 3. SZENE
Beckmesser:
Pressiert’s dem Herrn?
Mein Stell’ und Amt laß ich ihm gern.
Pogner:
Nicht doch, Ihr Meister! Laßt das jetzt fort.
Für wicht’gen Antrag bitt ich ums Wort.
(Alle Meister stehen auf, nicken Kothner zu und setzen sich
wieder.)
Kothner:
Das habt Ihr, Meister, sprecht!
Pogner:
Nun hört und versteht mich recht! –
Das schöne Fest, Johannistag,
Ihr wißt, begeh’n wir morgen.
Auf grüner Au’, am Blumenhag,
bei Spiel und Tanz im Lustgelag,
an froher Brust geborgen,
vergessen seiner Sorgen,
ein jeder freut sich, wie er mag.
Die Singschul’ ernst im Kirchenchor
die Meister selbst vertauschen;
mit Kling und Klang hinaus zum Tor
auf off’ne Wiese ziehn sie vor
bei hellen Festes Rauschen;
das Volk sie lassen lauschen
dem Freigesang mit Laienohr.
Zu einem Werb- und Wettgesang
gestellt sind Siegespreise,
und beide preist man weit und lang,
die Gabe wie die Weise.
Nun schuf mich Gott zum reichen Mann;
und gibt ein jeder, wie er kann,
so mußte ich wohl sinnen,
was ich gäb’ zu gewinnen,
daß ich nicht käm’ zu Schand’:
so hört denn, was ich fand.
In deutschen Landen viel gereist,
hat oft es mich verdrossen,
63
ERLÄUTERUNGEN
(19)
Erst bei der selbstbewußten Feststellung, daß »im weiten deutschen Reich« nur die Meistersinger »die Kunst einzig noch pflegen«, wird die Melodik wieder wichtiger und die Begleitungdichter.
64
1. AUFZUG / 3. SZENE
daß man den Bürger wenig preist,
ihn karg nennt und verschlossen.
An Höfen wie an nied’rer Statt
des bitt’ren Tadels ward ich satt,
daß nur auf Schacher und Geld
sein Merk’ der Bürger stellt.
Daß wir im weiten deutschen Reich
die Kunst einzig noch pflegen,
dran dünkt ihnen wenig gelegen.
Doch wie uns das zur Ehre gereich’,
und daß mit hohem Mut
wir schätzen, was schön und gut,
was wert die Kunst und was sie gilt,
das ward ich der Welt zu zeigen gewillt.
65
ERLÄUTERUNGEN
Zuletzt, bei der Verkündung des Preises, den Pogner für den Sieger im Johannistag-Wettsingen ausgesetzt hat – die Hand seiner einzigen Tochter Eva –, kehrt das Orchester zum Johannistag-Motiv(Nr. 18) zurück.
Es bleibt auch noch gegenwärtig, als die Meister und die Lehrbuben erregt und zum Teil begeistert aufspringen, um Pogner zu feiern.
Erst Beckmessers und Kothners Bedenken verändern den Charakter der Musik, machen sie unsicher, fragend, unterhöhlen sie mit Zweifeln.
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1. AUFZUG / 3. SZENE
Drum hört, Meister, die Gab’,
die als Preis bestimmt ich hab.
Dem Sieger, der im Kunstgesang
vor allem Volk den Preis errang
am Sankt-Johannis-Tag,
sei er, wer er auch mag,
dem geb’ ich, ein Kunstgewogner,
von Nürenberg Veit Pogner,
mit all meinem Gut, wie’s geh’ und steh’,
Eva, mein einzig Kind, zur Eh’.
Die Meister (sich erhebend und sehr lebhaft durcheinander):
Das heißt ein Wort! Ein Mann!
Da sieht man, was ein Nürnberger kann!
Drob preist man Euch noch weit und breit,
den wack’ren Bürger Pogner Veit!
Die Lehrbuben (lustig aufspringend):
Alle Zeit, weit und breit:
Pogner Veit! Pogner Veit!
Vogelgesang:
Wer möchte da nicht ledig sein?
Sachs:
Sein Weib gäb’ mancher gern wohl drein!
Kothner:
Auf, ledig’ Mann! Jetzt macht euch ’ran!
Pogner:
Nun hört noch, wie ich’s ernstlich mein’!
(Die Meister setzen sich allmählich wieder nieder, die Lehrbuben
ebenfalls.)
Ein’ leblos’ Gabe geb’ ich nicht:
ein Mägdlein sitzt mit zum Gericht.
Den Preis erkennt die Meisterzunft;
doch gilt’s der Eh’, so will’s Vernunft,
daß ob der Meister Rat
die Braut den Ausschlag hat.
Beckmesser (zu Kothner gewandt):
Dünkt Euch das klug?
Kothner (laut):
Versteh’ ich gut,
Ihr gebt uns in des Mägdleins Hut?
67
ERLÄUTERUNGEN
Pogner entgegnet, und sofern kehren Ruhe und Zuversicht hörbar wieder; er schließt sogar mit dem Motiv der Meistersinger(Nr. 1).
Bevor die Meister Zustimmung oder Einwände ausdrücken können, hat Sachs sich erhoben. Die große Autorität, die er besitzt, drückt sich auch musikalisch aus: Sehr klare Harmonien, die Sicherheit auszustrahlen scheinen, begleiten seine Worte (sehr im Gegensatz zu vielerlei Chromatik und Modulationen, die manche anderen Stellen auszeichnen). Doch sein gutgemeinter Vorschlag – der zweifellos eine Idee Wagners in bezug auf die Kunst ausspricht – löst einen kleinen Tumult aus. Sofort wird die Begleitmusikrhythmisch wie harmonisch »unruhig«.
Dies bleibt auch so, als Sachs seinen Gedanken, nun gegen fühlbare Opposition, nochmals erläutert. Man merkt, daß auch seine Ruhe nicht mehr so groß ist wie zuvor, so gut er sich auch zu
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1. AUFZUG / 3. SZENE
Beckmesser:
Gefährlich das!
Kothner:
Stimmt es nicht bei,
wie wäre dann der Meister Urteil frei?
Beckmesser:
Laßt’s gleich wählen nach Herzensziel
und laßt den Meistergesang aus dem Spiel!
Pogner:
Nicht so! Wie doch? Versteht mich recht!
Wem Ihr Meister den Preis zusprecht,
die Maid kann dem verwehren,
doch nie einen andren begehren.
Ein Meistersinger muß er sein:
nur wen Ihr krönt, den soll sie frei’n.
Sachs (erhebt sich):
Verzeiht!
Vielleicht schon ginget Ihr zu weit.
Ein Mädchenherz und Meisterkunst
erglüh’n nicht stets in gleicher Brunst;
der Frauen Sinn, gar unbelehrt,
dünkt mich dem Sinn des Volks gleich wert.
Wollt Ihr nun vor dem Volke zeigen,
wie hoch die Kunst Ihr ehrt,
und laßt Ihr dem Kind die Wahl zu eigen,
wollt nicht, daß dem Spruch es wehrt:
so laßt das Volk auch Richter sein;
mit dem Kinde sicher stimmt’s überein.
Vogelgesang, Nachtigall:
Oho!
Alle Meister (außer Sachs und Pogner):
Das Volk? Ja, das wäre schön!
Ade dann Kunst und Meistertön’!
Kothner:
Nein, Sachs! Gewiß, das hat keinen Sinn,
gäbt Ihr dem Volk die Regeln hin?
Sachs:
Vernehmt mich recht! Wie Ihr doch tut!
Gesteht, ich kenn die Regeln gut;
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ERLÄUTERUNGEN
beherrschen weiß. Sein Antrag wird von einigen Meistern – Beckmesser vor allem, der sich zu persönlichen Ausfällen hinreißenläßt – ungünstig aufgenommen.
Erst bei Pogners freundlich vermittelnden Worten tritt die ruhige Stimmung wieder  ein, die seine Rede begleitet hatte. Das »Johannistag-Motiv« (Nr. 18) kehrt zurück. Es weicht fühlbarer Unruhe,
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1. AUFZUG / 3. SZENE
und daß die Zunft die Regeln bewahr’,
bemüh’ ich mich selbst schon manches Jahr.
Doch einmal im Jahre fänd’ ich’s weise,
daß man die Regeln selbst probier’,
ob in der Gewohnheit trägem Gleise
ihr’ Kraft und Leben nicht sich verlier’:
und ob Ihr der Natur noch seid auf rechter Spur,
das sagt Euch nur,
wer nichts weiß von der Tabulatur.
(Die Lehrbuben springen auf und reiben sich die Hände.)
Beckmesser:
Hei! Wie sich die Buben freuen!
Sachs (eifrig fortfahrend):
Drum möcht’ es Euch nie gereuen,
daß jährlich am Sankt-Johannis-Fest,
statt daß das Volk man kommen läßt,
herab aus hoher Meister Wolk’
Ihr selbst Euch wendet zu dem Volk.
Dem Volke wollt Ihr behagen;
nun dächt’ ich, läg’ es nah,
Ihr ließt es selbst Euch auch sagen,
ob das ihm zur Lust geschah.
Daß Volk und Kunst gleich blüh’ und wachs’,
bestellt Ihr so, mein’ ich, Hans Sachs.
Vogelgesang:
Ihr meint’s wohl recht!
Kothner:
Doch steht’s drum faul.
Nachtigall:
Wenn spricht das Volk, halt’ ich das Maul.
Kothner:
Der Kunst droht allweil Fall und Schmach,
läuft sie der Gunst des Volkes nach.
Beckmesser:
Drin bracht’ er’s weit, der hier so dreist:
Gassenhauer dichtet er meist.
Pogner:
Freund Sachs, was ich mein’, ist schon neu:
zuviel auf einmal brächte Reu’!
71
ERLÄUTERUNGEN
als um die Frage nach den möglichen Kandidaten Unstimmigkeit zu entstehen droht und Sachs einen direkten Angriff Beckmessers fein,aber doch mit aller notwendigen Klarheit zurückweist.
Wieder ergreift Pogner das Wort: dieses Mal, um den ihm persönlich bekannten Ritter Stolzing zur Aufnahme in die Zunft vorzuschlagen. Walther, der bisher still in einiger Entfernung gewartet hat, tritt in den Kreis der Meister. Das Orchester bringt sein Motiv, das zu den wichtigen der Oper gehört und in mancherlei Verwandlung hörbar sein wird (gelegentlich sogar in die Nähe jenes von Beckmesser gerückt, was zu vielerlei GedankenAnlaß geben kann):
(20)
72
1. AUFZUG / 3. SZENE
(Er wendet sich zu den Meistern.)
So frag’ ich, ob den Meistern gefällt
Gab’ und Regel, so wie ich’s gestellt?
(Die Meister erheben sich beistimmend.)
Sachs:
Mit genügt der Jungfer Ausschlagstimm’.
Beckmesser:
Der Schuster weckt doch stets mir Grimm!
Kothner:
Wer schreibt sich als Werber ein?
Ein Junggesell’ muß es sein.
Beckmesser:
Vielleicht auch ein Witwer? Fragt nur den Sachs!
Sachs:
Nicht doch, Herr Merker! Aus jüng’rem Wachs
als ich und Ihr muß der Freier sein,
soll Evchen ihm den Preis verleih’n.
Beckmesser:
Als wie auch ich? Grober Gesell!
Kothner:
Begehrt wer Freiung, der komm’ zur Stell’!
Ist jemand gemeld’t, der Freiung begehrt?
Pogner:
Wohl, Meister! Zur Tagesordnung kehrt!
Und nehmt von mir Bericht,
wie ich auf Meisterpflicht
einen jungen Ritter empfehle,
der will, daß man ihn wähle
und heut als Meistersinger frei’. –
Mein Junker Stolzing, kommt herbei!
(Walther tritt hervor und verneigt sich.)
Beckmesser (bei Stelle):
Dacht’ ich mir’s doch! Geht’s da hinaus, Veit?
(Laut.) Meister, ich mein’, zu spät ist’s der Zeit.
Foltz und Schwarz:
Der Fall ist neu. Soll man sich freu’n?
73
ERLÄUTERUNGEN
Während Pogner auf die erste Frage, die laut Meistersinger-Vorschrift an den Bewerber gestellt werden muß, selbst antwortet, um ihn gebührend vorzustellen, erklingt Stolzings Motiv (Nr. 20) immer wieder: Es ist stolz, ritterlich, strahlt Sicherheit und Kraftaus.
Sachs schneidet einer möglichen Debatte das Wort ab, indem er seine Kollegen erinnert, daß der soziale Stand oder Rang eines Kandidaten nichts zur Sache tut. Bei seinen Worten, daß hier nur
74
1. AUFZUG / 3. SZENE
Die übrigen Meister:
Ein Ritter gar?
Vogelgesang, Moser, Eißlinger:
Soll man sich freu’n?
Zorn, Kothner, Nachtigall, Ortel:
Wäre da Gefahr?
Vogelgesang:
Oder wär’ Gefahr?
Alle Meister:
Immerhin hat’s ein groß’ Gewicht,
daß Meister Pogner für ihn spricht.
Kothner:
Soll uns der Junker willkommen sein,
zuvor muß er wohl vernommen sein.
Pogner:
Vernehmt ihn wohl! Wünsch’ ich ihm Glück,
nicht bleib’ ich doch hinter der Regel zurück.
Tut, Meister, die Fragen!
Kothner:
So mög’ uns der Junker sagen:
ist er frei und ehrlich geboren?
Pogner:
Die Frage gebt verloren,
da ich Euch selbst dess’ Bürge steh’,
daß er aus frei’ und edler Eh’:
von Stolzing Walther aus Frankenland,
nach Brief und Urkund’ mir wohlbekannt.
Als seines Stammes letzter Sproß
verließ er neulich Hof und Schloß
und zog nach Nürnberg her,
daß er hier Bürger wär’.
Beckmesser:
Neu Junker-Unkraut! Tut nicht gut!
Nachtigall:
Freund Pogners Wort Genüge tut.
Sachs:
Wie längst von den Meistern beschlossen ist,
ob Herr, ob Bauer, hier nichts beschließt:
75
ERLÄUTERUNGEN
nach der Kunst gefragt werde, beginnt das Orchester das Motiv des »Gesangs« (Nr. 12) anzustimmen. Aus ihm steigt Walthers Lied, mit dem er die Frage nach seinem Lehrmeister beantwortet:
(21)
Aus den letzten Phrasen des Liedes, die das Motiv weiterspinnen, formt Wagner einen Ausklang, zu dem Sachs – wohlgefällig – und Beckmesser – boshaft – ihre Anmerkungen machen. Nach der »Schul’« befragt, in der er das Singen, sozusagen praktisch, erlernt habe, antwortet Walther mit einer zweiten Strophe seines Liedes(Nr. 21).
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1. AUFZUG / 3. SZENE
hier fragt sich’s nach der Kunst allein,
wer will ein Meistersinger sein.
Kothner:
Drum nun frag’ ich zur Stell’:
welch Meisters seid Ihr Gesell’?
Walther:
Am stillen Herd in Winterszeit,
wann Burg und Hof mir eingeschneit,
wie einst der Lenz so lieblich lacht’
und wie er bald wohl neu erwacht,
ein altes Buch, vom Ahn vermacht,
gab das mir oft zu lesen:
Herr Walther von der Vogelweid’,
der ist mein Meister gewesen.
Sachs:
Ein guter Meister!
Beckmesser:
Doch lang’ schon tot;
wie lehrt’ ihn der wohl der Regeln Gebot?
Kothner:
Doch in welcher Schul’ das Singen
mocht’ Euch zu lernen gelingen?
Walther:
Wann dann die Flur vom Frost befreit
und wiederkehrt die Sommerszeit,
was einst in langer Wintersnacht
das alte Buch mir kundgemacht,
das schallte laut in Waldespracht,
das hört’ ich hell erklingen:
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ERLÄUTERUNGEN
Auch die zweite Strophe verklingt mit einem langen Nachspiel, zudem die Bemerkungen der Meister laut werden.
Walther setzt eine ausführliche Erklärung an die Stelle einer einfachen Antwort auf die Frage, ob er bereit sei, ein Meisterlied zu singen. Aus seinem immer schwungvoller werdenden Gesang (unter starker Verwendung von Motiv 21 und anderen) formt sichbeinahe eine »Arie«.
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1. AUFZUG / 3. SZENE
im Wald dort auf der Vogelweid’,
da lernt’ ich auch das Singen.
Beckmesser:
Oho! Von Finken und Meisen
lerntet Ihr Meisterweisen?
Das wird dann wohl auch darnach sein!
Vogelgesang:
Zwei art’ge Stollen faßt’ er da ein.
Beckmesser:
Ihr lobt ihn, Meister Vogelgesang,
wohl weil vom Vogel er lernt’ den Gesang?
Kothner:
Was meint Ihr, Meister? Frag’ ich noch fort?
Mich dünkt, der Junker ist fehl am Ort.
Sachs:
Das wird sich bäldlich zeigen.
Wenn rechte Kunst ihm eigen
und gut er sie bewährt,
was gilt’s, wer sie ihm gelehrt?
Kothner (zu Walther):
Seid Ihr bereit, ob Euch geriet
mit neuer Find’ ein Meisterlied,
nach Dicht’ und Weis’ Eu’r eigen,
zur Stunde jetzt zu zeigen?
Walther:
Was Winternacht, was Waldespracht,
was Buch und Hain mich wiesen;
was Dichtersanges Wundermacht
mir heimlich wollt’ erschließen;
was Rosses Schritt beim Waffenritt,
was Reihentanz bei heit’rem Schanz
mir sinnend gab zu lauschen:
gilt es des Lebens höchsten Preis,
um Sang mir einzutauschen,
zu eignem Wort und eigner Weis’
will einig mir es fließen,
als Meistersang, ob den ich weiß,
Euch Meistern sich ergießen.
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ERLÄUTERUNGEN
Beckmesser, schon längst gegen den Ritter eingestellt, in dem er einen Rivalen um Evas Hand vermutet, läßt sich sofort wieder zweifelnd vernehmen, der Meister Vogelgesang tritt eher für Stolzing ein, Meister Nachtigall erklärt kopfschüttelnd in eine Generalpausedes Orchesters hinein: »Merkwürd’ger Fall!«Kothner läßt nun – wie es scheint, ein wenig unlustig – das »Gemerk« erstellen, den mit Vorhängen abgeschlossenen Verschlag, in dem der »Merker« seines Amtes als Kunstrichter waltet. Dazu werden Elemente des Meistersinger-Motivs (Nr. 1) im Orchester hörbar; sie deuten an, daß Walther die Würde einesMeistersingers anstrebt.
Beckmesser, der offizielle Merker der Zunft, schickt sich an, in den Vorschlag zu gehen. Dazu ertönt sein Motiv (Nr. 22), das man hier fast als eine Verzerrung von Walthers Motiv (Nr. 20) verstehenkann:
(22)
Es beherrscht seine »Ermahnung« Walthers, die von (sprachlicherwie musikalischer) Ironie und Bosheit strotzt.
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1. AUFZUG / 3. SZENE
Beckmesser:
Entnahmt Ihr was der Worte Schwall?
Vogelgesang:
Ei nun, er wagt’s!
Nachtigall:
Merkwürd’ger Fall!
Kothner:
Nun, Meister, wenn’s gefällt,
werd’ das Gemerk bestellt. –
(Zu Walther):
Wählt der Herr einen heil’gen Stoff?
Walther:
Was heilig mir, der Liebe Panier
schwing’ und sing’ ich mir zu Hoff’.
Kothner:
Das gilt uns weltlich. Drum allein,
Meister Beckmesser, schließt Euch ein!
Beckmesser (erhebt sich und schreitet wie widerwillig dem
Gemerke zu):
Ein sau’res Amt, und heut’ zumal!
Wohl gibt’s mit der Kreide manche Qual.
(Er verneigt sich gegen Walther.)
Herr Ritter, wißt:
Sixtus Beckmesser Merker ist.
Hier im Gemerk
verrichtet er still sein strenges Werk.
Sieben Fehler gibt er Euch vor,
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ERLÄUTERUNGEN
Kothner hat sich von den Lehrbuben die »Tabulatur« reichen lassen, sozusagen das Gesetzbuch der Zunft, und liest dem immer ratloser werdenden, dieses Gefühl aber tapfer unterdrückenden Walther die Regeln vor, nach denen ein Meisterlied sich zu richtenhabe:
(Fortsetzung des Notenbeispiels S. 84)
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die merkt er mit Kreide dort an:
wenn er über sieben Fehler verlor,
dann versang der Herr Rittersmann.
(Er setzt sich im Gemerk.)
Gar fein er hört;
doch daß er Euch den Mut nicht stört,