Die Menschen der Ehe - Schilderungen aus der kleinen Stadt - John Henry Mackay - E-Book

Die Menschen der Ehe - Schilderungen aus der kleinen Stadt E-Book

John Henry Mackay

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die Menschen der Ehe - Schilderungen aus der kleinen Stadt" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Auch der Einzelheiten erinnerte sich der, vor dessen Auge sie wieder stand nach so langen Jahren, noch: wie er selbst in eine vorhanglose Fensternische gepreßt ihr zugesehen hatte, die Beine heraufgezogen und das Glas auf einem Stuhle neben sich, damals schon noch in der Trunkenheit erkennend, was er sah, beobachtend, was ihn umgab, und Sieger so auch noch über die Stunde, die ihn mit sich gerissen hatte: wie der "Dicke" das Klavier bearbeitete und seine schaurigen Baßtöne in den hellen Jubel und Lärm der anderen mischte; wie die ganze Bande plötzlich im Kreise um das grobe Frauenzimmer und den "Kleinen"—einen schmächtigen Menschen mit wasserblauen Augen, voll Gelehrsamkeit trotz, und voll Schüchternheit wegen seiner Jugend, herumgetanzt war, und die Vermählung des ungleichen Paares proklamiert hatte..." John Henry Mackay (1864-1933) war ein deutscher Schriftsteller.

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John Henry Mackay

Die Menschen der Ehe - Schilderungen aus der kleinen Stadt

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-2686-6

Inhaltsverzeichnis

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.

Ich lache nicht über sie, weil sie so sind, wie sie sind; ich lache über sie, weil sie sich einbilden, ihr Leben sei ein Muster und ein Beispiel, und daß es wert sei, zu leben, wie sie leben.

John Henry Mackay

I.

Inhaltsverzeichnis

Der Dunst der brennenden Kohle erfüllte die Luft weithin. Aus tausend Schloten qualmte der Rauch, gelb, schwarz, grau und weiß, empor, und all' diese dicken Wolken lösten sich unmerklich auf in die ungeheure Dunstwelle welche unablässig auf Meilen hin das Flußtal in seiner ganzen Breite beschattete.

Ueber der kleinen Stadt lag sie wie ein dünner Schleier. Zuweilen lüftete diesen Schleier ein frischerer Windhauch, der von Süden das Tal heraufzog. Aber es dauerte nicht lange und er war wieder herniedergefallen auf die reizlosen Züge, die er wie in Mitleid verhüllte.

Eigentlich waren es zwei Städte, die hier zusammenlagen. Aber nur der Fluß, ein träger, gelber Fluß, trennte sie, und zwei Brücken verbanden sie: eine alte massive aus Stein, mit mächtigen Pfeilern und Quadern, die noch alles lautlos ertragen hatte, was über sie hinweggezogen war, und eine neue aus modernem Eisen, welche ächzte und bebte, wenn die großen Lastwagen über sie hin fuhren, und gräßliche Massen Staub unter den schweren Rädern hervorhustete.

Der Fremde, der auf den Höhen des Tales hinwandernd die roten und schwarzen Giebel zu seinen Füßen sah, glaubte nicht anders, als sie gehörten alle zu dem Bezirke einer Stadt. Aber die, welche unter diesen Giebeln wohnten, waren anderer Meinung. Und auf sie kam es doch an.

Seit undenklichen Zeiten lagen die Schwesterstädte einander in den Haaren. Die kleinen Reibereien endeten nie; die letzten Wahrzeichen der großen entscheidenden Schlachten aber waren die leeren Augenhöhlen der Gaslaternen auf der "alten" Brücke—: unter den Steinwürfen der den Alten nachzwitschernden, nein, nachheulenden Jugend beider Städte waren sie dahingesunken, unter Würfen, die ihre edleren Ziele leider verfehlt hatten.

In Dialogen von gleich klassischer Kürze und Schönheit endeten diese Kämpfe:

"Wart' nur, ich sahns abber meinem Vatter!" der eine. "Und ich sahns meiner Mutter, die packt dei Mutter!" der andere. "Aber mei Vatter is stärker wie dei Vatter." "O du Dürmel, kumm nure nit dohär . . ."

II.

Inhaltsverzeichnis

Die Gesellschaft der Stadt setzte sich leicht erkennbar aus drei Grundelementen zusammen: aus Großhändlern, Beamten und aus Militär.

Seit sehr langen Jahren saßen die Ersteren hier fest. Sie waren der Urstamm des Bürgertums. So lange hatten sie fast nur untereinander geheiratet, daß sie gewissermaßen eine große Familie geworden waren, welche sich in ererbten Anschauungen und Bräuchen so lange wie irgend möglich fortzubewegen suchte und unter sich mit einem harten Anklang an den Dialekt der Gegend sprach.

Million zu Million häufend hatten sie hier eine moderne Zwingburg des Kapitals errichtet, gegen die anzukämpfen eine Unmöglichkeit schien. Noch nie war es versucht worden.

So hatten sie—die unumschränkten Herrscher dieser Stadt—ihr lange den Stempel aufgedrückt; den Stempel eines souveränen, starren, fortschrittfeindlichen Willens.

Das waren die "Alldahiesigen!" . . .

Dann hatte der Staat große Betriebe errichtet, und eine unzählige Schar von Beamten jeder Art war hier zusammengeströmt, aus allen Teilen des Reiches, neue Sprachen, neue Sitten, neue Kochrezepte mit sich führend. Neues Leben kam mit ihnen nicht. Machtlos zu irgend einer Initiative hatten sie sich willenlos einzuschmiegen als Räder in das Werk der großen Maschine Staat, welche sie verbrauchte. Aber die Luft begann zu schwirren von neuen Titeln, vom Morgengang zum Büro bis zum letzten—immer sehr späten—Abendschoppen im "Münchener Kindl", und die Eingesessenen zogen sich mürrisch mehr und mehr zurück unter die dicke Haut ihrer sicheren Privilegien . . .

Waren sie zehn Jahre hier gewesen, alle diese Fremden, ohne nach einer anderen Stadt weiterversetzt zu sein, so wurden sie zu "Hiesigen". Bis dahin blieben sie, was sie waren—: die "Hergeloffenen".

Unweit der Grenze lag die Stadt. Seit dem gräßlichen Kriege mit dem "Erbfeind" war unablässig Militär über Militär hergezogen, bis zwei Regimenter hier festlagen. Ueberall an den sich erweiternden Grenzen der Stadt entstanden weißgetünchte Baracken von Holz und große, rote, viereckige Ziegelhaufen von abscheulicher Häßlichkeit, hinter deren Umfassungsmauern die rohen Flüche brutaler Unteroffiziere und die stampfenden Schritte schwerer und keuchender Menschenmassen hervortönten, und die bis dahin so friedlichen Straßen der Städte erzitterten unter dem Klirren rasselnder Schleppsäbel.

Furchtbarer aber noch waren die Verheerungen, welche diese neue Macht in den Herzen der Großbürgertöchter der Stadt anrichtete, und murrend nur sahen die Väter, wutschnaubend aber die betrogenen Vettern der großen Familie eine der lieblichen Blüten nach der anderen gepflückt von der kecken Hand eines adeligen Sekonde-Leutnants, der die Geldsäcke nicht nur zu verachten, sondern auch mit Grazie zu leeren verstand.

Und war es nicht in Ordnung so?—Das Kapital verband sich mit der Gewalt, welche seine Privilegien schützte.

Dazwischen lebte ein träges Kleinbürgertum und ein machtloser Handwerkerstand so hin, von Tag zu Tag, kleine Kannegießer und schlechte Musikanten. Sie verlangten kaum etwas anderes, als beständig über etwas brummen zu dürfen . . .

Das waren die Leute der Städte.

Von geistigen Bedürfnissen verspürte man hier noch nichts.

Draußen aber, dort, wo die Schlote dampften und die Feuer lohten, wo die Erde bis in ihre Tiefen hinein durchwühlt wurde in rastlosem Kampfe, dort wo kolossale Arbeitermassen aneinander gekettet durch den Schweiß ihrer furchtbaren Arbeit lagen, dort fielen die Gedanken der Zeit in den Boden der Fruchtbarkeit.

III.

Inhaltsverzeichnis

Mit dem Schnellzug, der um elf Uhr vormittags eintraf, kam der Reisende an. Er wies die Kofferträger von sich, als er ausstieg, und trug seine Handtasche selbst die Treppe hinab bis zu dem Ausgang.

Vier oder sechs Portiers nahmen dort die Reisenden in Empfang. Er überflog die Schilder ihrer Mützen, und da er den Namen nicht fand, den er suchte, nannte er ihn selbst: "Zur alten Post".

Man grinste, man sah sich fragend an, indem man mit den Augen zwinkerte. Endlich sagte der älteste der Leute: "Es gibt hier keine 'alte Post' mehr; sie ist seit sechs Jahren eingegangen. Wollen der Herr hier gleich am Bahnhof bleiben, dort unten liegt unser Haus, ganz neu eingerichtet—"

Der Fremde zögerte einen Augenblick, aber als sie nun alle nach seiner Handtasche griffen, überließ er sie achselzuckend dem Sprecher, gab ihm den Auftrag, seinen Koffer sofort zu besorgen, und ging den Weg hinab, der sich in die Stadt hinunterzog. Es war ein schwüler und staubiger Tag. Er war müde, denn er war die halbe Nacht gereist, und er war bestaubt von der langen Fahrt. Er fühlte Hunger und Durst, und die Zunge klebte ihm am Gaumen.

Doch nachdem er ein Bad genommen und sich umgezogen hatte, fühlte er sich frisch und gesund wie immer. Er stieg die Treppe hinab und schrieb in das ihm vorgelegte Fremdenbuch: Franz Grach. Während er sich für eine Minute in der Loge des Portiers befand, erkannte er plötzlich das Haus wieder.

Er vermied die Table d'hote. Die langen, weißen Tische mit den Reihen von schmatzenden und schwatzenden Menschen waren ihm zuwider. Man deckte ihm in einem Nebenzimmer.

Einmal ließ er Messer und Gabel sinken, so schreiend-deutlich stand plötzlich eine Szene aus seiner Jugendzeit vor seinen Augen, die sich vor langen Jahren hier in diesem selben Räume abgespielt hatte.

Nicht das saubere Frühstückszimmer eines modernen Hotels, das trübe Hinterzimmer eines übelbeleumdeten Gasthofs zweiten Ranges war der Raum damals gewesen. Die Möblierung hatte sich geändert, wie der Wirt und die Gäste, und doch wurde dem Fremden alles wieder lebendig:

Sie waren alle noch jung, kaum einer von ihnen hatte das zwanzigste Jahr erreicht. Alle hatten sie dieselben Schulbänke gedrückt, und sich, nun vielfach getrennt den größten Teil des Jahres hindurch auf auswärtigen Schulen, in den Ferien wieder zusammengefunden zu lustigen Tagen und ausgelassenen Nächten—eine tolle, von Jugendmut und Lebenskraft überschäumende, zu allen tollen Streichen immer aufgelegte Gesellschaft, deren Zahl jahrelang auf sieben, acht Mann beschränkt blieb . . .

An jenem Abend nun waren sie alle nach einer langen Wanderung hier herein gestürmt, wie sie wahllos in alle Wirtschaften, wo "noch Licht war", drangen. Eine dicke Kellnerin war aus dem Vorderzimmer mit hereingezogen worden, durch die Tür wurde niemand mehr hereingelassen, und eine jener nächtlichen, dem Dunst des Bieres und dem Qualm des Tabaks entstiegenen Szenen entrollte sich, die dem Alter so widerlich, der Jugend so reizvoll erscheinen.