DIE MEROWINGER - Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums - Robert Gordian - E-Book
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DIE MEROWINGER - Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums E-Book

Robert Gordian

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Beschreibung

Es war die Stunde des Sonnenuntergangs, die er hier gern allein verbrachte, um nachzudenken. Sogar im Winter saß Chlodwig um diese Zeit hier oben, im Schnee, bei eisigem Wind. Er liebte diese Landschaft im Halblicht, wie von Blut übergossen. Der Nordwesten Europas im fünften Jahrhundert. Zahlreiche Stämme und Sippen haben sich zu einem mächtigen Bund vereinigt. Sie nennen sich Franken – die Freien und Mutigen. Ihre Könige entstammen einer weitverzweigten Familie, den Merowingern. Noch dienen sie den Römern, doch deren Macht schwindet zunehmend. Der 20-jährige Frankenherrscher Chlodwig sieht seine Stunde gekommen: Er wird sein Volk vom Joch der Unterdrücker befreien. So kommt es im Jahre 486 zu einem Angriff auf das Reich Soissons in Nordgallien, die letzte Säule des römischen Imperiums. Doch wie jeder Merowingerkönig hat auch Chlodwig noch andere Feinde, die es zu bezwingen gilt: seine eigenen Verwandten … Der Auftakt einer fesselnden Familiensaga über eine der mächtigsten Familien des frühen Mittelalters, die mit Blut und Schwert Geschichte schrieb: die Merowinger.

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Über dieses Buch:

Der Nordwesten Europas im fünften Jahrhundert. Zahlreiche Stämme und Sippen haben sich zu einem mächtigen Bund vereinigt. Sie nennen sich Franken – die Freien und Mutigen. Ihre Könige entstammen einer weitverzweigten Familie, den Merowingern. Noch dienen sie den Römern, doch deren Macht schwindet zunehmend. Der 20-jährige Frankenherrscher Chlodwig sieht seine Stunde gekommen: Er wird sein Volk vom Joch der Unterdrücker befreien. So kommt es im Jahre 486 zu einem Angriff auf das Reich Soissons in Nordgallien, die letzte Säule des römischen Imperiums. Doch wie jeder Merowingerkönig hat auch Chlodwig noch andere Feinde, die es zu bezwingen gilt: seine eigenen Verwandten …

Der Auftakt einer fesselnden Familiensaga über eine der mächtigsten Familien des frühen Mittelalters, die mit Blut und Schwert Geschichte schrieb: die Merowinger.

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane ABGRÜNDE DER MACHT, MEIN JAHR IN GERMANIEN, NOCH EINMAL NACH OLYMPIA, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES, DIE EHRLOSE HERZOGIN und DIE GERMANIN sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: »Demetrias Rache«

Zweiter Roman: »Saxnot stirbt nie«

Dritter Roman: »Pater Diabolus«

Vierter Roman: »Die Witwe«

Fünfter Roman: »Pilger und Mörder«

Sechster Roman: »Tödliche Brautnacht«

Siebter Roman: »Giftpilze«

Achter Roman: »Familienfehde«

DIE MEROWINGER

Erster Roman: »Letzte Säule des Imperiums«

Zweiter Roman: »Schwerter der Barbaren«

Dritter Roman: »Familiengruft«

Vierter Roman: »Zorn der Götter«

Fünfter Roman: »Chlodwigs Vermächtnis«

Sechster Roman: »Tödliches Erbe«

Siebter Roman: »Dritte Flucht«

Achter Roman: »Mörderpaar«

Neunter Roman: »Zwei Todfeindinnen«

Zehnter Roman: »Die Liebenden von Rouen«

Elfter Roman: »Der Heimatlose«

Zwölfter Roman: »Rebellion der Nonnen«

Dreizehnter Roman: »Die Treulosen«

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: »Der Waffensohn«

Zweiter Roman: »Der Pokal des Alboin«

Dritter Roman: »Die Verschwörung«

Vierter Roman: »Die Tragödie von Ravenna«

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände EINE MORDNACHT IM TEMPEL und DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHLANGENOHRRING sowie die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

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Überarbeitete und erweiterte eBook-Neuausgabe Dezember 2014

Die komplett überarbeiteten und erweiterten Neuausgaben der Merowinger-Romane von Robert Gordian, die bei dotbooks erscheinen, beruhen auf einer Tetralogie, die zwischen 1998 und 2005 in verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurde. Teile des vorliegenden ersten Romans der Serie erschienen erstmals 2005 in »Der Wolfskönig«, veröffentlicht im Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin.

Copyright © der Originalausgabe 2005 Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motiv von Shutterstock.com/CreativeHQ

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-511-9

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Robert Gordian

DIE MEROWINGER

Letzte Säule des Imperiums

Erster Roman

dotbooks.

Dramatis personae

Chlodwig, König der salischen Franken (Tournai)

Basina, Chlodwigs Mutter

Sunna, Chlodwigs Gemahlin

Audofleda, Chlodwigs älteste Schwester

Albofleda, Chlodwigs Schwester

Lanthild, Chlodwigs jüngste Schwester

Baddo, Chlodwigs Vertrauter, früher Militärtribun

Ansoald, Chlodwigs Gefolgsmann

Ursio, Chlodwigs Gefolgsmann

Bobolen, fränkischer Palastgraf

Bobo, Bobolens Sohn,Chlodwigs Gefolgsmann

Ragnachar, König der salischen Franken (Cambrai)

Richar, Bruder des Ragnachar

Rignomer, Bruder des Ragnachar

Farro, Liebhaber König Ragnachars

Chararich, König der salischen Franken (Tongeren)

Syagrius, letzter römischer Statthalter in Gallien

Titia, Frau des Syagrius

Scylla, Geliebte des Syagrius

Leunardus, Comes palatii, Ratgeber des Syagrius

Structus, Legat, Befehlshaber der Römer

Remigius, Bischof von Reims

Chundo, Diakon

Droc, fränkischer Krieger

Dagulf, Kommandant einer Waldburg

Potitius, Gutsbesitzer

Creatus, Verwalter des Poitius

Kapitel 1

»Achtung, da kommt Halleluja!«

Der kleine Ursio stieß diesen Ruf aus. Dreißig junge Männer stürzten gleichzeitig an die Mauer und blickten zwischen den Zinnen auf die Ebene vor der Festung hinab. Dort unten auf der alten Römerstraße näherte sich ein Reitertrupp mit einer Carruca in der Mitte, die von zwei Pferden gezogen wurde.

Alle kannten das mit einer Lederplane überdachte Gefährt. Unter dem Verdeck, das an diesem heißen Julitag vor der Sonne schützte, musste der kahlköpfige Oberpriester der Christianer sitzen.

In letzter Zeit besuchte er Tournai wieder häufiger. An einem Altar vor der einfachen Hütte, die sie ihre Kirche nannten, hatte er oftmals den Gottesdienst der Christianer zelebriert, und dabei hatten die Franken von ihm immer wieder das seltsame, unverständliche Wort »Halleluja« gehört. So war der würdige Mann zu diesem Spottnamen gekommen. Tatsächlich hieß er Remigius und war Bischof von Reims.

Einerseits war ja die Unterbrechung der Langeweile willkommen. Fast täglich in der besseren Jahreszeit versammelten sich die jungen Männer, die den Kern der Gefolgschaft bildeten, auf der Plattform des halbrunden Turms, an der Ecke der Wallanlage. Man sah von hier weit in das Land, und nichts, was dort unten geschah, blieb unbemerkt. Allerdings war der gleichbleibende Anblick des Flusses, der Hügel, Wälder, Wiesen und Hüttendächer auf die Dauer nicht sehr unterhaltsam, und nur von Zeit zu Zeit gab es etwas zu lachen, wenn etwa ein Fischerboot kenterte, ein Esel mit einem hochbeladenen Karren durchging oder ein Dieb auf dem Richtplatz vor dem Tor sich sträubte, aufgeknüpft zu werden.

Auch der Himmel bot wenig Abwechslung, besonders wenn er so gleichbleibend blau wie seit Tagen war. So vergnügten sich die jungen Männer mit Würfelspiel und Biertrinken, eine Beschäftigung, die sie gelegentlich durch eine Prügelei oder Messerstecherei unterbrachen. Aber sonst war nicht allzu viel los. Man wusste auch kaum, was in der Welt geschah, was hinter dem Horizont passierte. Die Ankunft von Besuchern löste daher gewöhnlich Freude und Neugier aus.

In diesem Fall aber war die Freude gedämpft, die Neugier nicht weniger. Alle kannten den Bischof, er war ja seit nahezu dreißig Jahren im Amt. Und fast jedes Mal, wenn er erschien, gab es Ärger.

»Halleluja kommt sich mal wieder beschweren.«

»Weil unser gottloses Treiben überhandnimmt.«

»Als ob unser Treiben ihn etwas anginge.«

Verschiedene Vermutungen wurden angestellt, worauf sich die zu erwartende Beschwerde beziehen könnte.

»Ich glaube, es geht ihm um den goldenen Leuchter«, meinte ein hübscher Schlingel mit blauen Augen und Adlernase namens Ansoald. »Und weil wir die beiden Christianer umgelegt haben.«

»Dabei waren die selber schuld«, fand der kleine krausköpfige Ursio. »Die sind uns ja direkt in die Lanzen gerannt.«

»Vielleicht will er auch Schadenersatz für das Dorf, das wir neulich eingeäschert haben.«

»Ich glaube, der will sich nur wieder mal bei uns durchfressen«, vermutete Bobo, ein wohlgenährter Bursche von beträchtlicher Körpergröße. »Immer kommen sie zu uns. Warum gehen sie nicht öfter zu denen von Cambrai?«

»Bei denen kriegen sie Prügel dazu«, witzelte Ursio. »Die Nachspeise schmeckt ihnen nicht.«

»Mir schmeckt nicht, dass Halleluja mich jedes Mal zu seinen Christengöttern bekehren will. Nun wird er mir wieder was vom Vater, vom Sohn und vom heiligen Geist vorquatschen.«

»Wenn er dich taufen will, mach es wie ich. Sag ihm, deine Flöhe vertragen kein Wasser.«

»Seht mal, da hat er noch jemanden bei sich!«, ließ sich neben Ansoald eine helle Stimme vernehmen.

Außer den dreißig jungen Männern befand sich auch ein Mädchen auf der Plattform. Die Schöne hieß Lanthild, war sechzehn Jahre alt, trug die Haare nach Männerart, Hosen mit Wadenbändern, einen groben Kittel, derbe Schuhe und am Gürtel eine Wurfaxt, die Franziska. Die meisten der jungen Burschen hatten ihre Kittel allerdings der Hitze wegen abgelegt. So viel Freiheit durfte sich Lanthild nicht nehmen.

Ihr Ausruf bezog sich auf einen kostbar gekleideten Reiter, der sich neben dem Wagen des Bischofs hielt.

»Vielleicht ist das wieder ein Freier für euch«, sagte Ansoald spöttisch. »So wie der aufgeputzt ist …«

»Dann soll er sich nur um meine Schwestern bemühen«, erwiderte sie. »Ich bin noch nicht dran, ich kann warten. Der da würde mir auch nicht gefallen«, fügte sie mit einem Lächeln für den hübschen Burschen hinzu.

»Alle mal herhören!«

Der scharfe Befehl kam von einem baumlangen jungen Kerl, der lässig an einer Zinne lehnte, den rechten Ellbogen oben aufgestützt, die linke Faust an der Hüfte. Es war einer, dem man sofort den Anführer ansah. Blitzende helle Augen, kräftige Nase, breite Kinnbacken, starkes Gebiss. Man erkannte ihn auch gleich als Merowinger: Dichtes, braunes Haar wallte fast bis zum Gürtel herab, so lang, wie es nur Angehörigen der göttlichen Sippe zu tragen erlaubt war. Und dass er auch König war, bezeugte der in der Sonne blinkende, goldene Siegelring, der die Aufschrift »CHLODOVICI REGIS« trug. In allem Übrigen unterschied sich der junge Mann kaum von den anderen: Stirnband, Ledergürtel mit Dolch und Franziska, Kittel und Hose aus Leinen.

Chlodwig, Sohn des Childerich, zwanzig Jahre alt, regierte bereits seit vier Jahren (nach heutiger Zeitrechnung seit dem Jahr 482) das fränkische Kleinreich von Tournai – oder regierte es auch nicht, je nach Betrachtungsweise. Im Augenblick war er jedenfalls nicht geneigt, sich den Nachmittag unter Freunden durch eine unerquickliche Begegnung mit dem stets anstrengenden, fordernden, langweiligen Oberhaupt der Reimser Christengemeinde zu verderben.

Deshalb sprach er die königlichen Worte: »Wir hauen ab, Männer! Heute empfangen wir nicht. Soll Halleluja sich bei meiner Mutter ausheulen. Wir haben noch etwas anderes vor. Nehmt eure Waffen und macht die Pferde bereit!«

Ein Jubelschrei aus dreißig Kehlen antwortete ihm. Das war etwas unvorsichtig, denn es wurde unten auf der Straße gehört, wo die bischöfliche Carruca schon unmittelbar vor dem Festungstor angelangt war. Alle ihre Begleiter sahen zur Höhe des Turms herauf.

Der Bischof selber streckte den Kahlkopf unter der Plane hervor, blickte etwas verdutzt nach oben und winkte – in der Annahme, einen Freudenschrei zu seiner Begrüßung vernommen zu haben.

Indessen war König Chlodwig mit seiner Gefolgschaft schon in voller Absatzbewegung. Hastig zusammengerafft wurden die auf der Plattform verstreuten Kittel, Schuhe, Gürtel, Äxte, Messer und Würfelbecher. Zurück blieben leere oder zerbrochene Bierkrüge und abgenagte Knochen. Alles drängte und trampelte eine Wendeltreppe hinab, die bis an die niedrige Tür und ins Freie führte.

Gleich in der Nähe war eine Wiese, wo die Pferde weideten, kleine, stämmige Tiere aus eigener Zucht. In Windeseile wurden sie aufgezäumt und dann ein kurzes Stück an der Festungsmauer entlanggeführt. Hier tat sich, hinter Buschwerk verborgen und über breite, moosbedeckte Stufen erreichbar, die geheime, schon fast unterirdisch angelegte Pforte auf, die ein Entweichen vor ungebetenen Gästen ermöglichte, nicht nur so harmlosen wie dem Bischof.

Vor wenigen Monaten erst hatte sich Chlodwig mit den Seinen durch diese Pforte in Sicherheit bringen müssen, als seine drei Vettern aus Cambrai nach einem Familienzwist die Festung stürmten.

Hinter der Pforte begann der Wald. Die jungen Männer saßen nicht auf, sondern führten die Pferde am Zaum auf eine sehr schmale Schneise, die erst nach etwa einer Meile, wo der Wald sich etwas lichtete, breiter und ein bequemer Reitweg wurde. Einer nach dem anderen passierte mit seinem Pferd die Geheimtür und verschwand unter dem dichten Laubdach. Chlodwig stand seitlich an der Mauer und achtete darauf, dass keiner seine Waffen vergaß.

Zuletzt erschien Lanthild mit ihrer Stute.

»Was fällt dir ein?«, herrschte er sie an. »Du willst doch nicht etwa mit in die Waldburg?«

»Und was ist dabei?«, begehrte sie auf.

»Dort hast du nichts zu suchen, das weißt du doch. Das ist nichts für Mädchen. Du bleibst hier.«

»Ich langweile mich zum Sterben, wenn alle fort sind!«

»Besonders Ansoald. Habe ich recht?«

»Mit dem hab ich nichts im Sinn!«

»Ist mir schon aufgefallen«, sagte er lachend. »Wem fiele das nicht auf? Und jetzt gehst du zu unserer Mutter und sagst ihr, dass ich drei, vier Tage abwesend bin. Ich mache einen Umritt zwecks Sicherung und Überprüfung der Reichsgrenze.«

»Dazu brauchst du doch höchstens eine Stunde. Dann bist du doch rum um dein Reich!«

»Nun werd mal nicht frech, du Göre, sonst landest du noch in der Spinnkammer!«

»Bitte, Bruder …«

»Sage auch Bobos Vater Bescheid. Er soll Halleluja und seinen Leuten nichts Gebratenes vorsetzen, damit sie schnell wieder verschwinden. Hast du verstanden? Und schiebe den Riegel hinter mir vor!«

König Chlodwig zog den Kopf ein, zwängte sich und danach sein Pferd durch die Pforte und war im nächsten Augenblick unter den Bäumen verschwunden.

Kapitel 2

Als Lanthild den Riegel vorschob, rumpelte der Wagen des Bischofs bereits in den Hof des königlichen Palastes. Dieser ähnelte allerdings mehr einem heruntergekommenen Gutshof, was er im Grunde auch war, handelte es sich doch um ein ehemaliges Römergut, eine villa rustica. Nur das zweigeschossige Herrenhaus war in achtbarem Zustand, und es gab auch noch gut erhaltene Reste eines Säulengangs. Alles andere – die Wirtschaftsgebäude und die Wohnungen der Hofleute und Bediensteten – war arg vernachlässigt. Mauerwerk bröckelte, Balken waren verkohlt, Türen hingen in den Angeln.

Der Bischof kletterte von seinem Wagen herab, sah sich um, wiegte den Kahlkopf hin und her und murmelte seufzend: »Diese Barbaren! So hausen sie nun. Wie der Kuckuck im fremden Nest!«

Remigius war ein kleiner, quirliger Herr um die fünfzig, der niemals zu ruhen und zu rasten schien. Er war schon als Heiliger auf die Welt gekommen, und darin sah er eine Verpflichtung, der er sich keinen Augenblick seines Lebens entziehen durfte.

Ein blinder Eremit, dem zuvor ein Engel erschienen war, hatte seiner betagten Mutter verkündet, sie würde den Retter Galliens gebären, den Erneuerer der Kirche, den Erlöser vom heidnischen und arianischen Teufelsspuk.

Remigius wurde verheißungsgemäß geboren und tat unverzüglich sein erstes Wunder: Mit ein paar Tropfen Muttermilch, die er ihm auf die Augen strich, gab er dem Eremiten zum Dank für die Prophezeiung das Augenlicht wieder.

Weitere Wunder folgten im reiferen Alter: Ein Mädchen, das von Dämonen umgebracht wurde, machte er wieder lebendig und exorzierte sie anschließend erfolgreich.

Als man ihn einmal wegen Erbschleicherei verklagte, erweckte er rasch den Erblasser vom Tode, damit er dem Grabe entsteigen und vor Gericht die Unschuld des Remigius bezeugen konnte.

Sogar mit dem Gottessohn nahm er es auf. Ähnlich wie jener bei der Hochzeit zu Kanaa verhalf er einer durstigen Gesellschaft zu Wein, indem er über ein leeres Fass das Kreuz schlug.

Und nur durch sein inbrünstiges Gebet besiegte er in seiner Stadt Reims ein verheerendes Feuer.

All dies und die Gnadengabe, die Nachricht von solchen Mirakeln glaubhaft unter die Leute zu bringen, hatten ihm einen glänzenden Ruf verschafft.

Und so galt er auch bei den heidnischen Franken als Wundermann. Gewöhnlich empfingen sie ihn ohne Feindseligkeit und behandelten ihn achtungsvoll. Sie zum Bekenntnis des wahren Glaubens zu bringen, war ihm allerdings bisher nicht gelungen.

Doch er gab nicht auf und versuchte es immer wieder, hartnäckig und ideenreich. Drei- oder viermal im Jahr bereiste er ihre Gebiete im nordöstlichen Gallien. Diese gehörten zwar längst nicht mehr zum Imperium, und der römische Glaube war nicht mehr Staatsreligion, doch Remigius tat weiter so, als sei das alles noch wie zur Kaiserzeit seine Kirchenprovinz, für die er als Metropolit verantwortlich war.

Deshalb trug er auch diesmal wie stets zum Zeichen seiner Würde und Amtsgewalt die mit Perlen besetzte Mütze und die Seidenstola über dem Priestergewand. Und in der Hand hielt er den Hirtenstab, den er jetzt schüttelte, wobei er sich umsah und rief: »Warum empfängt uns denn hier niemand? Will uns keiner willkommen heißen? Heda, aufgemerkt, es sind Gäste da!«

Aus Scheunen und Ställen lugten neugierig ein paar strohköpfige Knechte. Hunde kläfften, Schweine trollten vorüber. Der vornehme Reiter, den man zuvor schon vom Turm aus bemerkt hatte, ein mondgesichtiger Jüngling, dessen gelockten Schopf ein breiter, silberner Stirnreif zierte, sagte mäklig: »Bist du sicher, Ehrwürdiger, dass wir hier auf einer Königsburg sind? Mir scheint, das ist nur ein gewöhnlicher Bauernhof.«

»Oder eine gewöhnliche Räuberhöhle«, bemerkte ein dünner Mann mit Hakennase und spitzem Kinn, der hinter dem Bischof vom Wagen gestiegen war. »Das ist die Hybris dieser Barbaren. Ein kleiner Häuptling – und nennt sich König!«

Hinter dem Dünnen sprang noch ein sehr junger Mensch vom Wagen, den eine tonsura Petri als Mönch auswies.

»Da soll man doch die Geduld verlieren!«, zürnte der Bischof und stieß den Stab heftig auf den Boden. »Wo ist der Hausherr? Kommt denn niemand?«

Endlich erschien unter den Säulen vor dem Herrenhaus ein schnurrbärtiger, behäbiger, dicker Franke. Es war Bobolen, der Vater des jungen Bobo, der das leitende Hofamt des comes palatii, des Palastgrafen, versah und somit als erster Mann nach dem König galt.

Er kam ohne Eile herbei und neigte respektvoll, doch nicht zu ehrerbietig den Kopf vor dem Bischof. »Salve! Es freut uns, dass du dich wieder mal zu uns begibst«, sagte er in bemühtem Latein. »Auch die anderen Herren … Wir fühlen uns durch euern Besuch geehrt. Man wird sich gleich um die Pferde kümmern.«

Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen Pfiff aus. Ein paar Knechte kamen gemächlich herbei.

»Und wo ist dein König?«, fragte der Bischof missgestimmt. »Bisher war es üblich, dass mich der Hausherr selber willkommen hieß. Herr Childerich hat das niemals versäumt. Warum eifert der Sohn nicht dem Vater nach? Ist das bei euch Franken nicht Brauch? Und hat man uns denn nicht kommen sehen? Mir schien, dass man uns auf dem Turm bemerkt hatte.«

»Gewiss«, sagte der Palastgraf ohne Verlegenheit. »Es wird jeder bemerkt, der näher kommt. Leider hast du heute kein Glück. Da kommst du nun von weit her, machst bei der Hitze die beschwerliche Reise, und wie es der dumme Zufall will … der König ist fort.«

»Ist fort? Wie? Hat man ihn etwa vertrieben?«

»Das nicht. Er hat sich zu seinen Vettern nach Cambrai begeben. Ein Versöhnungsbesuch. Sie wollen im heiligen Hain den Göttern opfern und den Frieden beschwören.«

»Ach, lass mich mit deinen Göttern in Ruhe!«, sagte Remigius ärgerlich. »Chlodwig ist also nicht da. Wie schön! Da macht man sich nun Sorgen um ihn, will raten und helfen … kommt mit einem wichtigen Anliegen … bringt ihm auch einen vornehmen Freier für eine seiner Schwestern … und er? Ist wieder mal abwesend!«

»Du solltest erst einmal einen Trunk zu dir nehmen«, sagte Bobolen beschwichtigend. »Wir haben gut gekühlten Wein.«

Remigius nörgelte noch ein bisschen, ließ sich aber überreden. Der Franke führte ihn ins Herrenhaus, dessen Erdgeschoss in ganzer Länge und Breite als Empfangs- und Trinkhalle diente. Wuchtige Pfeiler stützten die Decke, Tische waren zu zwei längs und einer quer laufenden Reihe zusammengeschoben.

Der Raum war fast leer. Nur in einer Ecke saßen ein paar ältere Franken um einen Krug Bier.

In die Hände klatschend, verjagte Bobolen eine Hühnerschar, die auf den Tischen umherspazierte und Brotreste aufpickte. Unter den Tischen balgten sich Hunde, auch eine Ziege spazierte umher. Der Bischof und seine Begleiter ließen sich an der Querreihe auf den Bänken nieder, unter den Bälgen von Bären und Wölfen, die hinter ihnen als Trophäen an die Wand genagelt waren. Die Männer des Schutztrupps hielten sich abseits, die Knechte wurden woanders versorgt.

»Etwas Geduld!«, sagte Bobolen. »Gleich wird auch ein Imbiss aufgetragen, ihr müsst ja hungrig sein. Leider ahnten wir nichts von eurem Kommen, sonst wären wir besser vorbereitet.«

»Melde mich bei Frau Basina an«, sagte Remigius, nach wie vor missgestimmt. »Oder ist sie etwa auch unterwegs?«

»Die edle Frau Mutter des Königs ist anwesend. Ich bin sicher, sie wird erfreut sein, wenn sie hört, dass du da bist.«

»Dann solltest du ihr die Freude nicht länger vorenthalten.«

Der schnurrbärtige Palastgraf gab den Mägden, die noch rasch den Hühnerdreck von den Tischplatten wischten, ein paar Befehle, die Versorgung der Gäste betreffend, und verschwand dann über eine Treppe zum Obergeschoss.

»Ein Jammer, dass Childerich so früh dahinging«, sagte der Bischof, wobei er sich umdrehte und stirnrunzelnd zu den Trophäen hinter sich aufblickte. »Wenn er noch lebte, hinge dort jetzt das Kreuz statt dieser Scheußlichkeiten. Ich hatte ihn schon fast so weit. Noch zwei, drei Besuche, und er hätte sich taufen lassen.«

»Aber begraben ließ er sich wie ein übermütiger Heide!«, wandte der dünne Diakon Chundo ein. »Die Hälfte seines Schatzes soll er mit ins Grab genommen haben. Ganze Säcke voller Goldsolidi. Sogar sein Pferd hat man mit ihm bestattet.«

»Sein Pferd?«, fragte der junge Mönch mit runden Augen. »Hat man es extra umgebracht?«

»Was sonst? Sie haben es abgestochen und über seiner Grabkammer beigesetzt. Und zwar mit goldenem Zaumzeug! Aber damit wird er im Jenseits keinen Eindruck machen. Der Herr im Himmel wird wissen, wo sie das Geld gestohlen haben. In unseren Kirchen!«