Die Mutterkornalkaloide - Albert Hofmann - E-Book

Die Mutterkornalkaloide E-Book

Albert Hofmann

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Beschreibung

In dieser Neuauflage von "Die Mutterkornalkaloide", des Klassikers aus dem Jahr 1964, wird die Botanik, die Geschichte, die Chemie und die Pharmakologie des Mutterkorns beschrieben, bis hin zur Synthese von LSD. Es ist das eigentliche Grundlagewerk der LSD-Entdeckung, das hier im unveränderten Nachdruck als historisches Dokument wieder veröffentlicht wird. Albert Hofmann hat zu dieser Ausgabe ein aktualisiertes Vorwort verfasst, sowie die Geschichte des LSD als neues Kapitel geschrieben, das an die Entdeckung des LSD im Jahre 1943 anknüpft und die faszinierende wie kontroverse Entwicklung bis in die heutige Zeit beschreibt. Der Weg vom Mutterkorn zum LSD zeigt, dass LSD, wie die meisten Entdeckungen, in erster Linie nicht nur ein Produkt des Zufalls ist, sondern auch die Frucht langer, umfassender Forschungstätigkeit.

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Verlegt durch Nachtschatten Verlag Kronengasse 11 CH-4502 Solothurnwww.nachtschatten.ch [email protected]

Copyright © 2000 by Albert Hofmann

Copyright © 2000 by Nachtschatten Verlag, Solothurn 2. Auflage 2006

Umschlaggestaltung: Barbara Stalder eBook: mbassador GmbH

eISBN 978-3-0378-8251-1

Bemerkungen zur Wiederveröffentlichung

Es freut mich und ich bin dem Verlag dankbar, dass die Monographie Die Mutterkornalkaloide im unveränderten Nachdruck, als historisches Dokument, noch einmal veröffentlicht wird. Das Buch ist 1964 erschienen, weil zu jener Zeit die Forschung auf dem Gebiet der Mutterkornalkaloide im Wesentlichen zum Abschluss gekommen war.

Dieses Buch stellt die Chemie und Pharmakologie der Mutterkornalkaloide umfassend dar.

Die Chemie der Mutterkornalkaloide erwies sich nicht nur als theoretisch besonders interessantes Kapitel der organischen Chemie, sondern auch als Quelle wertvoller Medikamente.

Folgende pharmazeutische Präparate sind aus der Mutterkornforschung hervorgegangen: »Gynergen«, ein Migränemittel; »Methergin«, ein Standardpräparat in der Gynäkologie; »Hydergin«, ein Geriatrikum; und »Dihydergot«, ein Kreislaufmittel.

Diese Medikamente sind bis heute wertvolle Bestandteile des Arzneimittelschatzes geblieben.

Die Mutterkornverbindung Lysergsäure-diäthylamid (LSD), die unter der Bezeichnung »Delysid« in die klinische Prüfung kam, vermochte sich jedoch bis heute noch nicht zu einem dem Arzt zugänglichen Medikament zu entwickeln. Die pharmakologischen Untersuchungen über LSD am Schluss des Buches sind die eigentliche Grundlagenpublikation dieser als Wundermedikament oder als Satansdroge immer noch weltweit zur Diskussion stehenden Substanz.

Die Neuausgabe von Die Muüerkornalkaloide richtet sich an historisch interessierte Fachleute, aber auch an Laien, da im Buch zwei allgemeinverständliche Kapitel über die Botanik des Mutterkornpilzes und über die spannende Geschichte des Mutterkorns enthalten sind.

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten © 1964 Ferdinand Enke, Verlag, Stuttgart

Fotomechanische Wiedergabe auch von Teilen des Buches nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch den Verlag

VORWORT

Den Kern der vorliegenden Monographie bildet ein Vortrag, den der Schreibende unter dem Titel „Die Chemie der Mutterkornalkaloide“ im Rahmen der Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung im Herbst 1958 in Tübingen hielt. Jene Tagung war dem Thema Mutterkorn gewidmet. Vorträge zur Geschichte und zur Botanik sowie über die Pharmakologie und die therapeutische Anwendung der Mutterkornalkaloide vermittelten ein abgerundetes Bild über diese Arzneidroge, welche wie kaum eine andere das Interesse der Ärzte und Naturwissenschaftler über Jahrhunderte wachgehalten hat.

Die spezifischen Wirkstoffe des Mutterkorns, die Mutterkornalkaloide, stehen in dreifacher Hinsicht im Zusammenhang mit gegenwärtig stark bearbeiteten Forschungsgebieten der organischen Chemie: 1. Es sind Pilzprodukte. Die Erforschung der Inhaltsstoffe von Pilzen hat seit der Entdeckung des Penicillins ungeahnte Ausmaße angenommen. 2. Es sind Indolalkaloide. Diese nehmen im Rahmen der Alkaloidforschung in den letzten Jahrzehnten einen hervorragenden Platz ein. 3. Die meisten und wichtigsten Mutterkornalkaloide besitzen Peptidcharakter. Der Peptidchemie kommt auf dem Gebiete der Hormone und Antibiotica eine stets wachsende Bedeutung zu. Im Peptidteil der Mutterkornalkaloide sind neuartige, bisher in der organischen Chemie nicht bekannte Strukturelemente aufgefunden worden.

Das aktuelle Interesse, das die Mutterkornalkaloide dank ihrem besonderen chemischen Aufbau finden, wird verstärkt durch die große Bedeutung, welche die Mutterkornpräparate im Arzneimittelschatz besitzen, aus dem sie nicht mehr wegzudenken sind. Neben der klassischen Anwendung in der Geburtshilfe werden Mutterkornalkaloide oder Derivate derselben in neuerer Zeit in vermehrtem Maße in der inneren Medizin und in der Neurologie und Psychiatrie angewendet.

Seit dem Erscheinen der letzten zusammenfassenden Darstellungen von A. Stoll1, 2, von A. L. Glenn3 und von H. Guggisberg4 sind auf dem Gebiet der Mutterkornalkaloide wichtige Fortschritte erzielt worden: die Totalsynthese des Grundkörpers der Mutterkornalkaloide, der Lysergsäure, konnte verwirklicht und ihr räumlicher Bau aufgeklärt werden; auch der Peptid-Teil der Mutterkornalkaloide vom Peptid-Typus ist synthetisch hergestellt worden, wobei seine auf Grund von Abbaureaktionen abgeleitete Struktur bestätigt und zudem auch seine Stereochemie ermittelt werden konnte; durch Verknüpfung des synthetisch hergestellten Peptidteils des Ergotamins mit dem Lysergsäure-Rest wurde die Totalsynthese des Ergotamins verwirklicht, womit im Prinzip alle Mutterkornalkaloide totalsynthetisch zugänglich geworden sind; ein weiteres Alkaloidpaar, Ergostin-Ergostinin, das einer neuen Reihe von Peptidalkaloiden angehört, wurde entdeckt; es sind viele neue Alkaloide im Mutterkorn von wildwachsenden Gräsern aufgefunden worden, die einem neuen, einfacheren Strukturtyp angehören; ferner wurde eine große Zahl weiterer Abwandlungsprodukte der natürlichen Mutterkornalkaloide hergestellt, unter denen sich solche mit bemerkenswerten pharmakologischen Eigenschaften befinden.

Bei dieser Sachlage schien es wünschenswert, das Manuskript des eingangs erwähnten Vortrages, in welchem bereits ein Teil der neueren Entwicklung berücksichtigt war, mit den letzten vorstehend erwähnten Forschungsergebnissen zu ergänzen und zu einer Monographie zu erweitern. Die zusammenfassende Darstellung der Chemie der Mutterkornalkaloide in einer Monographie im jetzigen Zeitpunkt scheint gerechtfertigt, weil dieses Forschungsgebiet, das über hundert Jahre die Chemiker beschäftigt hat, heute, was die Chemie der natürlichen Mutterkornalkaloide betrifft, mit der vollständigen Strukturaufklärung der verschiedenen Alkaloidtypen und der Verwirklichung ihrer Totalsynthese zu einem Abschluß gelangt ist. Dagegen werden die Untersuchungen über partial- und totalsynthetische Abwandlungsprodukte dieser Alkaloide fortgesetzt mit dem Ziel ihre pharmakologischen Wirkungsqualitäten weiter zu modifizieren und neue Arzneimittel zu finden. Eine Arbeitsrichtung, die ebenfalls weiter verfolgt wird, beschäftigt sich mit der Biogenese der Mutterkornalkaloide.

Die vielseitigen pharmakologischen Wirkungen der Mutterkornalkaloide und ihrer Derivate und ihre große Bedeutung in der Therapie ließen es wünschbar erscheinen, den chemischen Teil durch entsprechende Kapitel über die Pharmakologie und die Anwendung der Mutterkornalkaloide in der Medizin zu ergänzen. Zur Schaffung eines abgerundeten Bildes vom ganzen Gebiet wird zudem einleitend ein Überblick über die Botanik und Züchtung des Mutterkornpilzes, sowie über die Geschichte des Mutterkorns gegeben.

Meinen besten Dank aussprechen möchte ich Herrn Dr. F. Troxler für die Durchsicht der chemischen Kapitel und Herrn Dr. med. M. Taeschler für die Überprüfung des pharmakologischen Teiles des Manuskriptes. Zu großem Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Dr. A. Brack für Ratschläge bei der Abfassung des Abschnittes über die Botanik des Mutterkornpilzes und für die Überlassung von Bildmaterial.

Möge dieses Buch, in dem die einschlägige Literatur bis Ende 1962 berücksichtigt ist, allen an den Mutterkornalkaloiden interessierten Fachgenossen von Nutzen sein.

Basel, Frühjahr 1964

A. Hofmann

Inhaltsverzeichnis

CoverTitelImpressumBemerkungen zur WiederveröffentlichungVORWORTA. ZUR BOTANIK DES MUTTERKORNPILZESI. Claviceps purpurea (Fries) TulasneII. Andere Species von ClavicepsIII. Rassen von Claviceps purpureaIV. Die Züchtung des MutterkornpilzesB. ZUR GESCHICHTE DES MUTTERKORNS UND SEINER WIRKSTOFFEC. DIE CHEMIE DER MUTTERKORNALKALOIDEI. Historischer Überblick über die verschiedenen Phasen der chemischen Erforschung der MutterkornalkaloideII. Strukturtypen der MutterkornalkaloideIII. Die Gruppe der Lysergsäure-AlkaloideIV. Die Gruppe der Clavin-AlkaloideV. Analytik der MutterkornalkaloideVI. Biogenese der MutterkornalkaloideVII. Derivate der MutterkornalkaloideVIII. Biologische Umwandlung der MutterkornalkaloideD. DIE PHARMAKOLOGIE UND THERAPEUTISCHE ANWENDUNG DER MUTTERKORNALKALOIDE UND IHRER DERIVATELITERATURVERZEICHNISAUTOREN-REGISTE R

A. ZUR BOTANIK DES MUTTERKORNPILZES

I. Claviceps purpurea (Fries) Tulasne

Das Mutterkorn des Roggens, offizinell als Secale cornutum bezeichnet, ist vom biologischen Gesichtspunkt aus das Dauerstadium des Schlauchpilzes Claviceps purpurea (Fries) Tulasne. Abb. 1 zeigt vom Mutterkorn befallene Roggenähren. Die in verschiedenen Tönungen, von hellbraun bis violettbraun gefärbten gebogenen Zapfen (Sklerotien), die sich anstelle eines normalen Roggenkornes aus den Spelzen hervordrängen, stellen die Überwinterungsform des Pilzes dar. Beim Mähen des Getreides oder schon vorher fallen die Sklerotien auf den Boden, wo sie über den Winter bis zum Frühjahr liegen bleiben. Beim Eintreten von warmem, feuchtem Wetter beginnen die Sklerotien zu keimen. Voraussetzung für die Keimung ist eine mehrwöchige Kälteperiode während der winterlichen Ruhepause. Aus dem gequollenen Mutterkorn entwickeln sich in großer Zahl gestielte, kugelförmige, aus Hyphenbündeln bestehende Pilzköpfchen (Stromata) (Abb. 2), deren Oberfläche mit feinen Warzen bedeckt ist, von denen jede über einer krugförmigen Vertiefung (Perithecium) sitzt. Abb. 3 zeigt einen Schnitt durch ein Pilzköpfchen (Claviceps purpurea von Brachypodium pinnatum [L.] Beauv.), bei dem die Perithecien deutlich sichtbar sind (Original-Photo von V.Grasso „Le Claviceps delle Graminacee Italiane“)5. Durch ein feines Loch in der Spitze jedes Wärzchens sind die Perithecien nach außen geöffnet. Auf ihrem Grund entwickeln sich Büschel von langgezogenen, keulenförmigen Schläuchen (Asci). In jedem Ascus befinden sich 8 fadenförmige, durch einen geschlechtlichen Prozeß entstandene Schlauchsporen (Ascosporen) (Abb. 4). Nach der Reifung platzen die Asci, die Sporen werden aus den Perithecien in die Luft geschleudert und durch den Wind auf die Narben der Roggenblüten geweht. Auf diese Weise vollzieht sich die sog. Primärinfektion der Roggenfelder. Die Ascosporen keimen auf den feuchten Narben und bilden das Mycel der Nebenfruchtform (Sphacelia-Stadium), das den Fruchtknoten überzieht und dann durchdringt. Das Wachstum der Sphacelia bewirkt in der Wirtspflanze die Sekretion eines süßen, reduzierenden, Zucker enthaltenden7, klebrigen Saftes, des sog. Honigtaues (Abb. 5). In diesem eingebettet befinden sich ungezählte, aus dem Sphacelia Mycelium durch ungeschlechtliche Teilung gebildete, ovale Sporen, sog. Conidien. Der Honigtau infiziert nun andere blühende Ähren, indem er durch Insekten oder durch Berührung der sich im Winde bewegenden Ähren übertragen wird. Dieser Vorgang 1 wird als Sekundärinfektion bezeichnet. Im Verlauf von einigen Wochen entwickelt sich das üppig gewachsene Mycelium zu dem in den äußeren Schichten braun bis violettbraun gefärbten Pseudo-Parenchym, das aus dichtgepackten Pilzzellen mit Reservestoffen, vor allem Öl, besteht und bildet so das Sclerotium, jene dunklen Zapfen, die man als Mutterkorn bezeichnet, womit der Entwicklungszyklus geschlossen ist.

Abb. 1. Vom Mutterkornpilz befallene Roggenähren (Phot. A. BRACK)

Abb. 3. Schnitt durch ein Pilzköpfchen (Claviceps purpurea von Brachypodium pinnatum (L.) Beauv.) (Phot. V. GRASSO)

Abb. 2. Pilzköpfchen (Stromata) (Phot. A. BRACK)

Abb. 4. Schematischer Schnitt durch ein Perithecium a) Schläuche (asci), b) offener Schlauch mit Ascosporen, c) Ascosporen (Phot. aus G. BARGER, S. 90)6)

Abb. 5. Roggenähren mit Honigtau (Phot. A. BRACK)

II. Andere Species von Claviceps

Neben dem praktisch weitaus wichtigsten Claviceps purpurea (Fr.) Tul. kennt man noch rund 25 andere Species von Claviceps, die zur Hauptsache auf Wildgräsern gedeihen. Für ihre Klassifizierung werden vor allem Unterschiede in der Ausbildung der Stromata, der Perithecien, Asci, Ascosporen und Conidien benützt. Eine neuere Übersicht über die verschiedenen Species von Claviceps und ihre Differenzierung hat R. F. N. Langdon8 herausgegeben (Tab. 1). Seit der Zusammenstellung von R. F. N. Langdon sind noch zwei neue Species von Claviceps beschrieben worden, nämlich C. phalaridis Walker9 und C. zizaniae (Fyles) Pantidou10. Listen über die Wirtspflanzen von Claviceps Species haben T. Kawatani11, V. Grasso12, 13, J. C. Lindquist14 und L. R. Brady15 veröffentlicht. Eine bestimmte Species von Claviceps kann auf verschiedenen Wirtspflanzen wachsen. Umgekehrt ist eine bestimmte Pflanze selten für mehr als eine Claviceps Species anfällig. Der Alkaloidgehalt von Wildgrasmutterkorn ist sehr großen Schwankungen unterworfen16.

Tabelle 1

Claviceps Species nach Largdon (ergänzt bis 1961)

SpeciesSynonymC. annulata LangdonC. cinerea Griff.C. cynodontis LangdonC. diadema (Möller) DiehlC. digitariae HansfordC. flavella (Berk. und Curt.) PetchC. balansioides MöllerC. pallida Pat.C. patouillardiana P. Henn.C. glabra LangdonC. grohii GrovesC. hirtella LangdonC. inconspicua LangdonC. litoralis KawataniC. lutea MöllerC. maximensis TheisC. nigricans Tul.C. orthocladae (P. Henn.) DiehlC. paspali Stev. und HallC. rolfsii Stev. und HallC. phalaridis WalkerC. platytricha LangdonC. purpurea (Fr.) Tul.C. microcephala (Wallr.) Tul.C. sesleriae StägerC. setulosa Quel.C. pusilla Ces.C. queenslandica LangdonC. ranunculoides MöllerC. sulcata LangdonC.tripsaci Stev. und HallC. uleana P. Henn.C. viridis Padwick und Azmat.C. yanagawaensis TogashiC. zizaniae (Fyles) Pantidou

Während die Verunreinigung des Getreides mit Mutterkorn in früheren Zeiten die gefürchteten Erscheinungen des Ergotismus am Menschen hervorrief, worauf im nächsten Kapitel ausführlicher eingegangen wird, verursachte das Mutterkorn auf Futtergräsern (z. B. auf Lolium perenne in England, Elymus canadensis in Nordamerika, Paspalum dilatatum in Mississippi und Natal) oft beträchtliche Schäden am Nutzvieh6. In allerletzter Zeit wurde auch auf Schäden durch Paspalum -Mutterkorn in Israel aufmerksam gemacht.

Das Mutterkorn von wildwachsenden Gräsern unterscheidet sich vom offizinellen Mutterkorn des Roggens meistens auch in der Alkaloidzusammensetzung. Während im Roggenmutterkorn die Alkaloide mit Lysergsäure-Basis bei weitem überwiegen, findet man auf Gräsern auch Mutterkornarten, welche vor allem einen einfacheren Alkaloid-Typ, die Alkaloide der sog. Clavin-Gruppe, enthalten.

Eine gewisse praktische Bedeutung hat das Mutterkorn der tropischen Kolbenhirse (Pennisetum typhoideum Rich.) erlangt, weil dieser Pilz auch in saprophytischer Kultur leicht Alkaloide bildet, allerdings nur solche vom Clavin-Typ17,18. Demgegenüber konnten aus dem Mutterkorn von Paspalum distichum L. Kulturen der Species Claviceps paspali Stevens und Hall19 gewonnen werden, die in vitro Lysergsäurederivate in guter Ausbeute produzieren20.

III. Rassen von Claviceps purpurea

Von der Species C. purpurea (Fr.) Tul., die vornehmlich auf Roggen gedeiht, gibt es verschiedene Rassen21–23, die sich außer durch gewisse morphologische Eigenschaften vor allem durch ihr Alkaloidbildungsvermögen unterscheiden. Neben Rassen, die mehr oder weniger Alkaloide bilden, existieren solche, die überhaupt keine Alkaloide produzieren. Unter den ersteren kann unterschieden werden zwischen Rassen, die fast ausschließlich ein einziges Alkaloid und solchen, die bestimmte Alkaloidgruppen zu bilden vermögen. Da diese Eigenschaften bei ein und demselben Pilzstamm konstant, bzw. erblich fixiert sind, darf man innerhalb der Art Claviceps purpurea von verschiedenen „chemischen Rassen“ sprechen. Die Wirtspflanze hat auf die Menge und Art der Alkaloide in den Sklerotien von Claviceps purpurea einen erheblichen Einfluß24.

IV. Die Züchtung des Mutterkornpilzes

Der größte Teil des Mutterkorns natürlicher Herkunft stammt aus Spanien, Portugal und dem Balkan, wo in guten Sommern Ernten von über Hundert Tonnen zu verzeichnen waren. Die ausgedehnte Verwendung von Mutterkornalkaloiden als Heilmittel hat den Bedarf an Mutterkorndrogen gewaltig gesteigert. Anderseits ist als Folge der sorgfältigen Saatgutauslese und der vermehrten Ackerpflege der natürliche Befall der Roggenfelder mit Mutterkorn eher zurückgegangen. Heute wird daher der Mutterkornpilz in großem Maßstab künstlich gezüchtet und zwar sowohl auf Roggen als auch in vitro in saprophytischer Kultur.

1. Saprophytische Kultur

Die Züchtung des Mutterkornpilzes auf künstlichen Nährmedien hat bis heute, was die Produktion von medizinisch verwendeten Alkaloiden anbelangt, noch zu keinem praktisch verwertbaren Erfolg geführt. Der Pilz wächst auf geeigneten Nährlösungen wohl leicht und bildet sowohl als Oberflächenkultur als auch nach dem Submersverfahren reichlich Mycel, doch nur wenige spezielle Stämme sind fähig, dabei Alkaloide zu produzieren. Wie M. Abe in Japan als erster feststellte, sind es vor allem einige auf wilden Gräsern (Agropyrum, Trisetum, Festuca, Elymus, usw.) wachsende Claviceps-Arten, die fähig sind, bei der in vitro Kultur Alkaloide zu bilden25—27. Ganz beträchtliche Alkaloidausbeuten konnten bei der saprophytischen Kultur des Mutterkornpilzes der tropischen Kolbenhirse (Pennisetum typhoideum Rich.) erzielt werden17,18. Diese Pilzstämme produzieren jedoch meistens nur Alkaloide vom Clavin-Typ, die bisher keine therapeutische Bedeutung erlangt haben. Die Bedingungen der Alkaloidbildung in Submerskulturen wurden von verschiedener Seite studiert359—361,366.

A. Stoll, A. Brack, A. Hofmann und H. Kobel gelang es erstmals Ergotamin in saprophytischen Kulturen eines Claviceps purpurea-Stammes von Roggenmutterkorn zu produzieren28. Später sind weitere erfolgreiche Versuche mit Stämmen von Claviceps purpurea bekannt geworden, bei denen es gelang, die Bildung von Alkaloiden, die in der offizinellen Mutterkorndroge enthalten sind (Ergotamin-Ergotoxin-Typ) nachzuweisen29–35. Die Alkaloid-Bildung ist hier jedoch nur gering und unkonstant, so daß eine industrielle Auswertung noch nicht wirtschaftlich scheint. Ein Verfahren zur kontinuierlichen Alkaloidproduktion mit Oberflächenkulturen von Claviceps purpurea wurde von D. Gröger und D. Erge beschrieben362.

Technische Bedeutung erlangte aber erst die Beobachtung von F. Arcamone et al., daß aus Mutterkorn, das auf dem Wildgras Paspalum distichum L. gewachsen war, ein Pilzstamm, Claviceps paspali Stevens und Hall abgeimpft werden kann, der in saprophytischer Kultur im Submers-Verfahren beträchtliche Mengen Lysergsäure-Derivate, vor allem Lysergsäure-amid und Isolysergsäure-amid, zu bilden vermag20,36,365. Nach diesem Verfahren wird Lysergsäure in industriellem Maßstab gewonnen. Die Alkaloid-Ausbeute ließ sich durch Zusatz von rac. Tryptophan verbessern, während sie durch Zugabe von 5- oder 6-Methyl-tryptophan wenig, durch 4-Methyl-tryptophan beträchtlich erniedrigt wurde367.

2. Kultur des Mutterkorn auf Roggen

Für die Produktion der Alkaloide der Ergotamin- und Ergotoxin-Gruppe wird die künstliche, parasitische Züchtung des Mutterkorns auf Roggen, die sich rationell gestalten ließ, industriell in großem Maßstab durchgeführt. Das erste rationelle Verfahren zur künstlichen Infektion von Roggenfeldern wurde von N.ν. Békésy37 beschrieben. Seither ist diese Methode von A. Stoll und A. Brack maschinell ausgebaut worden38—40.

Sie beruht darauf, daß die blühenden Roggenähren mit einer durch in vitro Kultur gewonnenen Conidien-Suspension, sei es durch Besprühen oder wirksamer durch Injektion, infiziert werden. Für die industrielle Großproduktion werden heute Impfmaschinen eingesetzt, die gestatten, große Felder nach dem Injektionsverfahren rationell zu infizieren. Der Ertrag von solchen Mutterkorn-Kulturen ist natürlich immer noch vom Wetter abhängig, liefert aber in feuchten, warmen Sommern Ernten von mehreren hundert Kilo Mutterkorn pro Hektar. Ausgedehnte Mutterkorn-Kulturen der Firma Sandoz A.G., Basel, gibt es im schweizerischen Mittelland. Auch in anderen Ländern, z. B. Deutschland, Österreich und in Indien wird Mutterkorn künstlich angebaut. Ein großer Vorteil der künstlichen Beimpfung der Roggenfelder liegt darin, daß durch die Wahl geeigneter Pilzstämme ein Mutterkorn produziert werden kann, das in der Alkaloidzusammensetzung besonderen Wünschen weitgehend zu folgen vermag24, 38, 41—43.

B. ZUR GESCHICHTE DES MUTTERKORNS UND SEINER WIRKSTOFFE

Das Mutterkorn hat, wie kaum eine andere Droge, eine faszinierende Geschichte, in deren Verlauf sich seine Rolle und Bedeutung umgekehrt hat, indem es zuerst als gefürchteter Giftträger auftrat um sich mit der Zeit in eine reiche Fundgrube von Heilmitteln zu verwandeln, die auch heute immer noch nicht ganz ausgeschöpft ist.

Die Geschichte des Mutterkorns hat ihre klassische Darstellung in G. Barger’s Monographie „Ergot and Ergotism“6 gefunden. Der am historischen Teil näher Interessierte sei auf diese umfassende, auf eingehender Quellenforschung beruhende Studie hingewiesen.

Im Altertum scheint das Mutterkorn noch keine Rolle gespielt zu haben, denn irgendwelche Hinweise bei antiken Autoren, die eindeutig auf Mutterkorn bezogen werden könnten, fehlen. Das ist verständlich, denn im klassischen Raum rund um das Mittelmeer wurde die Wirtspflanze, der Roggen, damals kaum angebaut.

Das Mutterkorn tritt erstmals in das Blickfeld der Geschichte im frühen Mittelalter als Ursache epidemieartig auftretender Massenvergiftungen. Die Krankheit, deren Zusammenhang mit dem Mutterkorn vorerst nicht erkannt wurde, trat in zwei charakteristischen Formen auf, als Brandseuche (Ergotismus gangraenosus) und als Krampfseuche (Ergotismus convulsivus).

Die Brandseuche begann mit Erbrechen und Durchfall, mit Kribbeln in den Fingern und entzündlichen Erscheinungen, die von heftig brennenden Schmerzen begleitet waren. Nach einigen Tagen stellten sich dann die Zeichen der Gangrän ein. Die Glieder begannen sich zuerst an den Fingern und Zehen blau-schwarz zu verfärben und mumifizierten. Bei starken Vergiftungen konnte es soweit kommen, daß sich Arme und Beine vollständig ohne Blutverlust vom Körper ablösten. Auf die gangränöse Form des Ergotismus bezogen sich die Krankheitsbezeichnungen wie „mal des ardents“, „ignis sacer“, „heiliges Feuer“.

Bei der konvulsiven Form des Ergotismus, die mit ähnlichen Symptomen wie die gangränöse begann, standen schwere nervöse Störungen im Vordergrund. Es traten schmerzhafte Muskelkontraktionen, namentlich der Extremitäten auf, die schließlich in epilepsieartige Krämpfe übergingen. Diese Erscheinungsform wurde deshalb auch als „Krampfsucht“ oder als „morbus epidemicus convulsivus” bezeichnet.

Eine eingehende Untersuchung über das Auftreten von Mutterkornepidemien seit dem frühen Mittelalter bis in die neuere Zeit hat R. Kobert durchgeführt44. Daraus ist zu entnehmen, daß eine schwere Epidemie im Jahre 994 in Aquitanien und in Limousin etwa 40 000 Opfer forderte, und daß bei der Epidemie von 1129 in der Gegend von Cambrai 12 000 Menschen starben.

Während den vielen Mutterkornepidemien, die im Mittelalter vor allem die Gebiete Mitteleuropas heimsuchten, nahm sich besonders die Hospitalbruderschaft der Antoniter der Pflege der an Ergotismus Erkrankten an. Dieser Orden, der im Jahre 1093 in Südfrankreich in der Nähe von Vienne gegründet wurde, verehrte den hl. Antonius als Schutzpatron. Seit jener Zeit wurde die Krankheit auch als St.-Antonius-Feuer bezeichnet. In einer Studie über den mittelalterlichen Bilderschmuck des Antonius-Kirchleins zu Waltalingen (Schweiz) erzählt R. Durrer45 die Gründungsgeschichte des Ordens nach der Historia Antoniana von Aimar Falco in den Acta Sanctorum wie folgt:

„In der zweiten Hälfte des XI. Jahrhunderts waren die Reliquien des 356 im Alter von 105 Jahren gestorbenen heiligen Antonius von Konstantinopel nach St. Didier-La Mothe bei Vienne (Dauphinee) gebracht worden. Gerade damals war ein benachbarter Edelmann, Gaston mit Namen, von der schrecklichen Krankheit des heiligen Feuers befallen worden und auch sein junger Sohn Guerinus erlag der Ansteckung. Da wandten sie sich an den Heiligen und gelobten ihm Leben und Habe zu weihen, wenn sie geheilt würden. Und St. Antonius rechtfertigte das in ihn gesetzte Vertrauen, nachdem er im Traume dem Edelmann aufgetragen, er und sein Sohn sollten inskünftig zu St. Didier die von der Krankheit Verstümmelten pflegen. Auf dessen Verzagen, ihr Vermögen möchte für ein solches Unternehmen nicht auslangen, hatte er ihm einen T-förmigen Stab gereicht, der in den Boden gepflanzt zum mächtigen Baume heranwuchs, durch seinen Schatten die herbeiströmenden Krüppel erquickte und mit seinen Früchten sie nährte.—So die Gründungssage der Antönier, deren Abzeichen das hellblaue T ward.

Schon im Jahre 1095, auf der Kirchenversammlung von Clermont, die den ersten Kreuzzug beschloß, erteilte Papst Urban II der Stiftung Gastons die kirchliche Genehmigung. 1297 erhob Papst Benedikt VIII die Antönier zu einem Orden regulierter Chorherren mit der Regel des heiligen Augustin.“

Ein alter Holzschnitt aus den Bayerischen Staatssammlungen, München46 zeigt St. Antonius umgeben von an Ergotismus Erkrankten (Abb. 6).

Mutterkorn als Ursache des Ergotismus wurde erstmals von Thuillier, Leibarzt des Herzogs von Sully, anläßlich einer Epidemie in Sologne (1630) erkannt und durch Fütterungsversuche an Geflügel bestätigt. Sologne, südlich der Loire bei Orleans, war durch Jahrhunderte ein berüchtigter Herd des gangränösen Ergotismus.

In den meisten europäischen Ländern und auch in gewissen Gebieten Rußlands ist bis in die Neuzeit das epidemieartige Auftreten von Mutterkornvergiftungen zu verzeichnen. Der Ergotismus trat meistens im Zusammenhang mit Krieg und Hungersnot auf. Es ist wahrscheinlich, daß der Ausbruch von Mutterkornepidemien nach nassen, für das Wachstum des Pilzes günstigen Sommern, durch Unterernährung und eine gewisse Avitaminose der armen Bevölkerungsschicht geför-dert wurde. In diesem Zusammenhang sei auf eine Untersuchung von E. Mellenby47 hingewiesen, aus der hervorgeht, daß bei Vitamin-A-Mangel die Anfälligkeit für Ergotismus größer ist. Mit der allgemeinen Hebung der Ernährungslage, mit der Verbesserung des Ackerbaus und nach der Erkenntnis, die im 17. Jahrhundert erlangt wurde, daß mutterkornhaltiges Brot die Ursache des Ergotismus war, nahm die Häufigkeit und das Ausmaß von Mutterkornepidemien immer mehr ab. Die letzte größere Epidemie suchte in den Jahren 1926/27 gewisse Gebiete von Rußland heim. Zwischen Kasan und Ural erkrankten 11000 Menschen an Mutterkornvergiftung, von denen 93 starben.

Abb. 6. St. Antonius, umgeben von an Ergotismus Erkrankten (Original im Besitz der Staatl. Graphischen Sammlung, München)

Die erste Beschreibung des Mutterkorns und gleichzeitig die erste Erwähnung seiner medizinischen Anwendung findet man im Kräuterbuch des Frankfurter Stadtarztes Adam Lonitzer (Lonicerus) aus dem Jahre 1582. Auf Seite 285 steht der Text, der in Abb. 7 in Facsimile wiedergegeben ist.

Als erste Abbildung des Mutterkorns gilt ein Holzschnitt in Caspar Bauhin’s Theatrum Botanicum, gedruckt 1658 in Basel. Während die Droge bei Lonitzer als „Kornzapfen”, bei Bauhin als “Secale Luxurians” bezeichnet wird, begegnet man dem Namen „Mutterkorn“ erstmals bei Mauritius Hoffmann in seiner „Flora Altdorffina”, 1662.

Abb. 7. Erste Beschreibung des Mutterkorns in ADAM LONITZER’S Kräuterbuch, Frankfurt 1582 (aus G. BARGER „Ergot and Ergotism“)6)

Obwohl Mutterkorn schon seit alten Zeiten von Hebammen als Wehenmittel benutzt wurde, wie das aus dem oben angeführten Zitat aus Lonicerus hervorgeht und im 18. Jahrhundert seine Anwendung als pulvis ad partum auch durch einige Ärzte nachgewiesen ist, hat diese Droge erst 1808 auf Grund einer Arbeit des amerikanischen Arztes John Stearns betitelt „Account of the Pulvis parturiens, a Remedy for Quickening Child-birth“ Eingang in die offizinelle Medizin gefunden 48. Die Zweckmäßigkeit der Anwendung von Mutterkorn als Wehenmittel blieb jedoch nicht unbestritten. Teils wurden Versager gemeldet, teils auf vermehrte Kindersterblichkeit hingewiesen und das pulvis ad partum geradezu als pulvis ad mortem bezeichnet, was das Kind anbetrifft49. Solche gegensätzliche Resultate sind heute ohne weiteres verständlich, nachdem man nun weiß, daß Mutterkorn verschiedener Provenienz im Wirkstoffgehalt große Schwankungen aufweist, ja daß es Mutterkornsorten gibt, die überhaupt keine Alkaloide enthalten. Die große Gefahr für das Kind, die vor allem in der unzuverlässigen, zu hohen Dosierung lag, wurde schon frühzeitig erkannt und die Mutterkornanwendung auf die Stillung der Nachgeburtsblutungen beschränkt. Das ist bis heute das Hauptindikationsgebiet der Mutterkornalkaloide in der Geburtshilfe geblieben.

Nach der Aufnahme des Mutterkorns in verschiedene Pharmakopoeen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzten auch die ersten chemischen Arbeiten zur Isolierung der Wirkstoffe dieser Droge ein.

Die erste erwähnenswerte pharmazeutisch-chemische Untersuchung wurde 1816 von M. Vauquelin50 veröffentlicht. Es gelang ihm aber nicht, ebensowenig wie den zahlreichen Bearbeitern, die sich in den nächsten 100 Jahren mit diesem Problem befaßten, die eigentlichen Träger der therapeutischen Wirkung des Mutterkorns zu fassen, sowie chemisch zu definieren, und so wechselten dann die Ansichten über die chemische Natur der Mutterkornwirkstoffe entsprechend den jeweiligen, sich oft widersprechenden, Befunden. Ch. Tanret gelang es 1875 zum erstenmal, ein kristallisiertes Alkaloid, das Ergotinin, zu isolieren51, das sich jedoch als unwirksam erwies. Auch als G. Barger und F. H. Carr52 1907 ein wirksames, und wie sich später zeigte, ein komplexes Alkaloidpräparat, das Ergotoxin, und F. Kraft das mit Ergotoxin identische Hydroergotinin53, 54 aus Mutterkorn gewonnen hatten, war noch nicht entschieden, ob die Träger der Mutterkornwirkung alkaloidischer Natur seien. Bei der pharmakologischen Prüfung des Ergotoxins hat H. H. Dale55 seine kontrahierende Wirkung auf den Uterus festgestellt und dabei auch die bedeutungsvolle, für die heutige therapeutische Anwendung der Mutterkornalkaloide grundlegend wichtige Entdeckung gemacht, daß diese Substanz eine spezifische zu Adrenalin antagonistische Wirkung auf das vegetative Nervensystem aufweist. Doch enttäuschten diese Präparate bei der Anwendung in der Klinik, und man neigte zur Ansicht, daß nicht Alkaloide, sondern einfachere Pflanzenbasen, wie die biogenen Amine, Tyramin und Histamin, sowie das Acetylcholin, die in Mutterkornextrakten nachgewiesen wurden, die Träger der uteruskontrahierenden Wirkung seien. Wegen der hohen Toxizität dieser ersten Alkaloidpräparate, die schon in der Namensgebung „Ergotoxin“ zum Ausdruck kam, wurde sogar empfohlen, die Alkaloide aus Mutterkornextrakten für die therapeutische Anwendung zu entfernen53.

Eine Wendung der therapeutischen Bewertung der Inhaltsstoffe des Mutterkorns trat ein als es A. Stoll im Jahr 1918 gelang, zum erstenmal ein einheitliches, kristallisiertes Alkaloid zu isolieren, das er Ergotamin nannte56—61 und das im pharmakologischen Test und in der Klinik die volle Wirkung der Mutterkorndroge aufwies62 und in der Therapie bald ausgedehnte Anwendung fand. Mit dieser grundlegenden Entdeckung setzte eine neue, die moderne Phase der Mutterkornforschung ein. Es war jetzt gesichert, daß Alkaloide die eigentlichen Träger der Mutterkornwirkung sind, und die weitere Forschung konzentrierte sich von da an auf die alkaloidischen Inhaltsstoffe der Droge.

Parallel mit der weiteren chemischen Erforschung der Mutterkornalkaloide, über welche die chronologisch geordnete Tabelle im nächsten Abschnitt eine Übersicht vermittelt und deren Ergebnisse in den folgenden Kapiteln ausführlich dargestellt sind, vergrößerte sich die Zahl pharmakologischer Untersuchungen mit diesen Alkaloiden und ihren Derivaten und dementsprechend auch der therapeutische Anwendungsbereich für Mutterkornpräparate (vgl. Abschn. D).

Das durch natürliche Infektion auf den Roggenfeldern wachsende Mutterkorn reichte als nunmehr gesuchte Droge für die Herstellung von pharmazeutischen Präparaten bald nicht mehr aus, so daß Verfahren zur künstlichen Beimpfung des Roggens entwickelt wurden. Ferner sind auf der Suche nach ergiebigen Quellen für Mutterkornalkaloide chemische Rassen des Claviceps-Pilzes herausgezüchtet worden und es wurden erfolgreiche Untersuchungen durchgeführt, um Pilzstämme aufzufinden, die in vitro im industriellen Maßstab Alkaloide produzieren (vgl. Abschn. A, IV).

Das ist in kurzen Zügen die Geschichte des Mutterkorns und seiner Wirkstoffe, die einstmals die Ursache von Massenvergiftungen waren und heute gesuchte Ausgangsmaterialien für die Herstellung von wertvollen Heilmitteln geworden sind.

C. DIE CHEMIE DER MUTTERKORNALKALOIDE

Die Chemie der Mutterkornalkaloide ist nach allen Seiten weitgehend aufgeklärt und bietet heute ein schön abgeschlossenes Bild. Um diese Abgeschlossenheit in der nachfolgenden Darstellung nicht durch historische Angaben stören zu müssen, wird ihr eine Übersicht über den zeitlichen Ablauf der Mutterkornalkaloidforschung vorangestellt.

I. Historischer Überblick über die verschiedenen Phasen der chemischen Erforschung der Mutterkornalkaloide

1. Isolierung und Reindarstellung der Alkaloide

Die große Empfindlichkeit der Mutterkornalkaloide gegen chemische Agentien, den Luftsauerstoff und Licht und ihre leichte Isomerisierbarkeit machte ihre Isolierung und Reindarstellung zu einer schwierigen Aufgabe, welche die Chemiker über hundert Jahre beschäftigt hat, und die erst in den letzten Jahrzehnten vollständig gelöst werden konnte.

1816:Erste erwähnenswerte pharmazeutisch-chemische Untersuchung des Mutterkorns durch M. Vauquelin50.1875:Isolierung des ersten kristallisierten Alkaloidpräparates, des Ergotinins, durch C. Tanret51.1906:Das erste pharmakologisch wirksame Alkaloidpräparat, das Ergotoxin, wird von G. Barger und F. H. Carr52, 63 und gleichzeitig von F. Kraft53, 54, der es Hydroergotinin nennt, beschrieben. Die Alkaloidbase war amorph, gab jedoch ein kristallisiertes Phosphat.1918:Isolierung des ersten chemisch einheitlichen, voll wirksamen Mutterkornalkaloids, des Ergotamins, durch A. Stoll56-61.1935:Isolierung eines wasserlöslichen, spezifisch uterus-wirksamen Alkaloids durch vier verschiedene Laboratorien. H. W. Dudley und C. Moir64 nannten das neue Alkaloid Ergometrin, A. Stoll und E. Burckhardt65, 66 Ergobasin, M. S. Kharasch und R. R. Legault67 Ergotocin und R. M. Thompson68 Ergostetrin.1937:Ein weiteres Alkaloid, das Ergosin, wird von S.Smith und G. M. Timmis69 rein dargestellt.1937:Ergocristin, ein weiteres Reinalkaloid, wird von A. Stoll und E. Burckhardt70 aus iberischem Mutterkorn isoliert.1943:Ergotoxin, das bisher als einheitliches Alkaloid gegolten hatte, wird von A. Stoll und A. Hofmann71 in drei Komponenten zerlegt, in das bereits bekannte Ergocristin und in zwei neue Alkaloide, in Ergokryptin und Ergocornin.1951:Aus japanischem Grasmutterkorn wird der erste Vertreter eines neuen Alkaloidtyps, das Agroclavin, von M. Abe25, 26 isoliert.1952:Elymoclavin, ein zweites Alkaloid vom Clavin-Typ, wird von M. Abe et al.27 entdeckt.1954:Isolierung von Penniclavin aus dem Mutterkorn der afrikanischen Kolbenhirse (Pennisetum typhoideum Rich.) durch A. Stoll et al.17.1954:Festuclavin wird aus Mutterkorn von Festuca rubra L. von M. Abe und S. Yamatodani72 isoliert.1955 :Molliclavin wird von M. Abe und S. Yamatodani aus dem Mutterkorn von Elymus mollis Trin. isoliert73.1956:Pyroclavin und Costaclavin, zwei neue Alkaloide aus Mutterkorn von Agropyrum semicostatum Nees, werden von M. Abe et al.74 beschrieben.1957:A. Hofmann et al.18 isolieren Isopenniclavin, Setoclavin, Isosetoclavin und Chanoclavin, vier weitere Alkaloide der Clavin-Gruppe, aus dem Pilzstamm von Pennisetum typhoideum Rich.1959:M. Abe et al.75 beschreiben Ergosecalin und Ergosecalinin, ein Alkaloidpaar vom Peptidtypus, das in iberischem Mutterkorn vorkommt.1960:Lysergen wird von S. Yamatodani76 aus saprophytischen Kulturen eines Pilzes vom Elymus-Typ isoliert.1961:M. Abe et al.77 beschreiben die Isolierung von Lysergin aus saprophytischen Kulturen vom Agropyrum-Typ und von Lysergol aus einem Elymus- Pilzstamm. Lysergol wird gleichzeitig von A. Hofmann78 in den Samen von Rivea corymbosa (L.) Hall. f. festgestellt.1961:Fumigaclavin A und Fumigaclavin B werden aus Aspergillus fumigatus Fres. von J. F. Spilsbury und S. Wilkinson isoliert79.1962: