Einsichten - Ausblicke - Albert Hofmann - E-Book

Einsichten - Ausblicke E-Book

Albert Hofmann

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Beschreibung

Welches ist die wahre Wirklichkeit? - Das nüchterne Weltbild des Naturwissenschaftlers oder das rauschhafte des Mystikers? Eigene spontane und drogeninduzierte mystische Erlebnisse drängten den Autor, den Entdecker des LSD, Albert Hofmann, dieser Frage nachzugehen. Er gelangte dabei zu Einsichten in das Wesen der Wirklichkeit, die dieses zentrale Problem der Philosophie in neuer Weise anschaulich machen. Dieser Band erschien erstmals 1986 im Sphinx Verlag. In dieser neuen Ausgabe sind einige Artikel überarbeitet worden und mit neuen Texten - z.B. 'Bewusst Sein' - ergänzt. Laut Albert Hofmann ist dieses Buch "Der Kern meiner Weltanschauung". Das Buch erschien zum 60. Jahrestag der LSD-Entdeckung (16.4.03) und wird an der Basler Buchmesse (2.-4.5.03) unter Beisein des Autors mit grosser Medienpräsenz vorgestellt.

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Seitenzahl: 84

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Albert Hofmann

EINSICHTENAUSBLICKE

Essays

Impressum

Verlegt durch:

Nachtschatten Verlag AG

Kronengasse 11

CH-4502 Solothurn

[email protected]

www.nachtschatten.ch

© 2003 Albert Hofmann

© 2003 Nachtschatten Verlag AG

Umschlaggestaltung & Layout: Trigger.ch, Zürich - Berlin

Umschlagfoto: Rolf Verres

Herstellung: Druckerei Steinmeier GmbH, Nördlingen

Printed in Germany

ISBN 978-3-03788-157-6eISBN 978-3-03788-225-2

Neuauflage 2021

Erweiterte und überarbeitete Neuauflage des 1986 im Sphinx Verlag Basel erschienenen Titels.

Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische Medien und auszugsweiser Nachdruck sind vorbehalten.

Meinen-Enkeln

Inhalt

Vorwort

Das Sender-Empfänger Modell der Wirklichkeit

Geborgenheit im naturwissenschaftlich-philosophischen Weltbild

Über den Besitz

Atomkraftwerk Sonne

Gedanken und Bilder

Vorwort

 

Die Erde ist eine Kugel, die sich um sich selbst drehend im Weltraum um die Sonne bewegt. Das wusste jedermann, doch dann konnte man es sehen, als vor wenigen Jahren die Weltraumforschung photographische Aufnahmen lieferte: Der Planet Erde, eine blaue Kugel, frei im All schwebend.

Seither rufe ich mir gerne vor dem Einschlafen dieses Bild vor das innere Auge. Ich stelle mir vor, wie ich, hier im Bett liegend, dort auf der Oberfläche der Kugel mitreise, auf der sich so viel zugetragen hat, seit sie auf der ihr vor Urzeiten vorbestimmten Bahn gleichmässig dahinzieht.

Erst nach Milliarden Sonnenumkreisungen, nachdem die Erdkugel sich begrünt und nach weiteren vielen Hundert Millionen Jahren, als sich auf ihr tierisches Leben entwickelt hatte, erschien auf ihr das Geschöpf, das die Welt und sich selbst bewusst erlebt. Als eines dieser bewusstseinsbegabten Geschöpfe schaue ich jetzt mit dem Auge der Kamera vom Weltraum her auf die blaue Kugel, auf der sich das Drama der Menschheit abspielt. Was für Völkerschicksale, welch persönliche Schauspiele sind dort schon über die Bühne gegangen, die der Vorhang der Zeit vom heutigen Zuschauer trennt! Doch im Zeitlosen, an dem wir alle durch unser Bewusstsein Anteil haben, leben die Bilder fort: Märchenhafte Kulturen, die vor Jahrtausenden in China blühten, die Welt der griechischen und römischen Antike, der Alexanderzug, das Aztekenreich, die Kreuzzüge, die Zeit der Gotik und der Renaissance, zwei Weltkriege …

Von allen diesen auf der Erdoberfläche wechselnden Szenerien war aus der kosmischen Perspektive nichts zu erkennen, und auch die Menschen der darin auf- und abtretenden Generationen waren nicht zu sehen. Es war immer das gleiche Bild, das sich auch heute dem Blick aus dem Weltraum bietet - die im Sonnenlicht blau leuchtende Kugel, die unbekümmert um Menschenzeit und Menschheitsschicksal ruhig im All dahinschwebt.

Während dieses Bild mit der Deutlichkeit der photographischen Aufnahme vor meinem inneren Auge steht, weiss ich, dass ich mich in diesem Augenblick dort auf der Schattenseite der Kugeloberfläche befinde, hier in meinem Haus auf der Jurawiese, im Schlafzimmer, dessen Fenster offensteht, durch das mit Heugeruch vermischte frische Nachtluft einströmt. Auf der Kugel verschwindet meine individuelle Existenz unter den Menschenmilliarden, die dort gegenwärtig für einen kosmischen Augenblick die Oberfläche bevölkern. Hier hingegen bin ich das Zentrum der Welt, meiner Welt, die sich vom Zimmer aus rundum über die Länder der Erde zum Mond, zur Sonne, bis in die Unendlichkeit des von Sternen funkelnden Alls ausdehnt.

Was ist nun wahr, was ist wirklich, befinde ich mich hier oder dort? Darf man diese Frage, zu der die Antwort so selbstverständlich scheint, überhaupt stellen? Ich glaube ja, denn im Grunde ist nichts selbstverständlich. Dass uns heute so vieles, fast alles selbstverständlich scheint, ist einer der folgenreichsten Fehler in unserer Geisteshaltung. An Selbstverständlichkeit könnte die Welt zugrundegehen.

Die Antwort auf obige Frage, ich befinde mich hier in meinem Zimmer und dort auf der blauen Kugel, ist nicht selbstverständlich. Sie stellt eine höhere Wahrheit dar, die nur jemand begreift, der weiss, dass die Erde, auf der er sich befindet, eine Kugel ist. Für den primitiven Menschen ist nur wahr und wirklich, was er unmittelbar mit seinen Sinnen wahrnehmen kann, im vorliegenden Fall, dass er hier ist, auf der Erde, die flach ist, über die sich die Himmelskuppel wölbt. Er kennt nur einen Teil der Wahrheit.

Was sich am Beispiel dieser nächtlichen Meditation zeigt, nämlich wie die Wirklichkeit je nach dem Standpunkt des Betrachters ganz verschiedene Ansichten darbietet, die sich aber nicht ausschliessen, sondern zu einer umfassenderen Wahrheit ergänzen, möchte ich in den folgenden Essays darlegen. Sie enthalten Einsichten in das Wesen unserer Alltagswirklichkeit, die mir aus eigenen Lebenserfahrungen zugewachsen sind. Es sind also ganz persönliche Betrachtungen zu einem zentralen Problem der Philosophie, die unausweichlich ins Religiöse führen.

Tatsächlich ist jeder sein eigener Philosoph, denn jeder Mensch erlebt die Welt gemäss seiner Einzigartigkeit auf einmalige Weise und macht sich von ihr dementsprechend sein eigenes persönliches Bild. Jeder muss in seiner besonderen Wirklichkeit zurechtkommen.

Dass wir alle schon als Philosophen geboren werden, zeigt sich an den Fragen, die Kinder stellen: „Papi, wo hört die Welt auf? - Wann hat der liebe Gott die Welt gemacht? - Warum müssen alle Menschen sterben?“- und ähnliches. Es sind Fragen, auf die man in all den vielen philosophischen Werken noch immer keine Antwort findet, obschon es sich doch um Grundfragen unserer Existenz handelt.

Aus meiner eigenen Kindheit erinnere ich mich noch sehr genau an ein kindlich-philosophisches Gespräch, das ich als etwa Zehnjähriger mit einem Kameraden führte. Es war auf dem Weg in die Primarschule, wir trottelten gerade auf das alte Stadttor zu, als mein Gespane mich fragte: „Glaubst du noch an den lieben Gott? Ich glaube nicht mehr, dass es den gibt, seit ich gemerkt habe, dass man mich mit dem Christkind angeschwindelt hat, und dass der St. Niklaus niemand anderer war als der Onkel Fritz.“ Ich antwortete ihm, dass es mit dem lieben Gott aber anders sein müsse als mit dem Christkind und mit dem St. Niklaus, denn es gäbe doch die Welt und die Menschen, die nur der liebe Gott gemacht haben könne.

Das war mein Gottesbeweis, und er ist es bis heute geblieben.

Warum stellen Kinder so tiefgründige Fragen? - Weil ihnen die Schöpfung, die sich ihnen durch frische Sinne unmittelbar und neu erschliesst, noch nicht selbstverständlich scheint. So erscheint sie erst den Erwachsenen mit ihrem durch Gewohnheit abgestumpften Empfinden. Sie ist es aber nicht, die Kinder haben recht. Sie leben noch im Paradies, weil sie noch in der Wahrheit leben, weil sie die Erde noch so wahrnehmen, wie sie wirklich ist, nämlich wunderbar.

Erwachsene kennen nur noch das Staunen über die neuesten Entdeckungen und Erzeugnisse von Wissenschaft und Technik, über computergesteuerte Raketen, Laserschallplatten, Weltraumfahrt usw. Wir haben allen Grund, alle diese grossartigen Leistungen menschlichen Genies zu bewundern, auch wenn sie uns zum Teil erschrecken. Die Tragik besteht darin, dass wir den sekundären vergänglichen Charakter von allem Menschenwerk übersehen, dass wir uns nicht bewusst sind, dass Wissenschaft und Technik auf Vorgegebenheiten der Natur beruhen. Es ist Materie aus der die Erde besteht, mit der der Chemiker arbeitet; es sind Kräfte und Gesetze transzendentalen Ursprungs, die das anorganische Universum erhalten und das Pflanzen- und das Tierreich beleben, die der Physiker und der Biologe erforschen und die Techniker in ihren Dienst stellen und ausnützen.

Der Ursprung der primären Welt, der Schöpfung mit ihren Gesetzen, die den Lauf der Sterne, das Wachstum des Grashalms regeln, die war, ehe der Mensch erschien, entzieht sich der verstandesmässigen Erklärung. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften stellen Beschreibungen von Vorgegebenem dar, sind keine Erklärungen. Der Botaniker kann eine Blume bis ins letzte Detail ihrer Form und Farbe beschreiben und mit anderen Blüten vergleichen; der Zellphysiologe kann den Mechanismus der Befruchtung, der Zellteilung und Organbildung dieser Blüte erforschen und anschaulich darstellen. Warum aber eine Blume so ist, wie sie ist, woher ihr Bauplan und die Gesetze, nach denen dieser Plan verwirklicht wird, stammen, bleibt ein Rätsel. Das Kind sieht die Blume, wie sie ist in ihrer Ganzheit und sieht damit das Wesentliche, nämlich das Wunder. Was die wissenschaftliche Erforschung zusätzlich bringt, ist, damit verglichen, von geringer Bedeutung.

Es ist aber keineswegs bedeutungslos. Ich bin Chemiker geworden und habe mich dann mit Pflanzenchemie befasst, gerade weil ich mich vom Rätsel der Materie und vom Wunder der Pflanzenwelt angezogen fühlte. Die Einblicke in den Bau der Materie und die chemische Struktur der Blütenfarbstoffe und anderer Pflanzenbestandteile, die ich durch meinen Beruf gewann, haben das Staunen über die Natur, über ihr Wirken, über ihre Kräfte und Gesetze nicht vermindert, sondern vergrössert. Zur Wahrnehmung von Gestalt und Farbe, die der Blick auf die Oberfläche der Naturdinge vermittelt, kommt die Einsicht in ihre innere Struktur und die inneren Lebensprozesse. Daraus ergibt sich ein vollständigeres Bild von ihrer Wirklichkeit, eine umfassendere Wahrheit.

Es könnte wohl sein, dass der Wert und die Bedeutung der Naturwissenschaften nicht in erster Linie darin liegt, dass sie uns die moderne Technik und den durch sie ermöglichten Komfort und materiellen Wohlstand brachten, sondern dass ihr eigentlicher, evolutionärer Sinn in der Erweiterung des menschlichen Bewusstseins vom Wunder der Schöpfung besteht. Die Erkenntnis der Schöpfung als die Offenbarung aus erster Hand, als „das Buch, das der Finger Gottes geschrieben hat“, könnte die Grundlage einer neuen erdumfassenden Spiritualität werden.

Die naturwissenschaftliche Forschung hat sichtbar werden lassen, wie der Mensch in das Ganze der Natur eingebettet ist und wie er ein unablösbarer Teil von ihr darstellt. Dieses Wissen steht in Übereinstimmung mit der emotionalen Erfahrung des Mystikers von der Einheit alles Lebendigen. Es scheint, dass diese fundamentale Wahrheit nun komplementär von diesen zwei Seiten her immer mehr ins allgemeine Bewusstsein eingeht.