Die Natur und ihr Recht - David R. Boyd - E-Book

Die Natur und ihr Recht E-Book

David R. Boyd

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  • Herausgeber: Ecowin
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

In der Natur, zu Lande und zu Wasser, existieren Geschöpfe, die uns Menschen in vielerlei Hinsicht das Wasser reichen können. Im Gegensatz zum Menschen wandeln sie das Klima nicht, verursachen in der Folge weder Tsunamis noch Dürreperioden. Keines dieser Mitgeschöpfe behauptet, die Erde oder auch nur einen Teil davon zu besitzen. Der bedingungslose Besitzanspruch, wie ihn moderne Gesellschaften kennen und durchsetzen, führt zum Ungleichgewicht – ja zur ökologischen Ungerechtigkeit. Ein Plädoyer für einen gerechten Umgang mit der Natur.  

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Seitenzahl: 336

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DAVID BOYD

DIE NATUR UNDIHR RECHT

Sie ist klug, sensibel, erfinderisch undgenügt sich selbst

Aus dem Englischen von Karoline Zawistowska

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger

Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

Copyright © 2017 by David R. Boyd

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel The Rights of Nature.

A legal Revolution That Could Save the World bei ECW Press, Toronto, Kanada.

1. Auflage

© 2018 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesetzt aus der Minion Pro

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Umschlaggestaltung: b3K design, Andrea Schneider, diceindustries

ISBN 978-3-7110-0171-9

eISBN 978-3-7110-5236-0

Für Meredith, Margot, Neko und diesüdlichen ortstreuen Schwertwale

INHALT

Vorwort

Einleitung: Drei schädliche Vorstellungen und eine mögliche Lösung

Teil 1: Die Rechte der Tiere

Wirbeltier ehrenhalber

Kapitel 1: Durchbrüche in der Auffassung tierischen Verständnisses

Lucy

Kapitel 2: Die Entwicklung des Tierschutzes

Kapitel 3: Kann ein Schimpanse eine juristische Person sein?

Kapitel 4: Die Erweiterung von Tierrechten

Teil 2: Die Rechte von Arten

Ein Fisch, ein Staudamm und eine Klage, die die Welt veränderte

Kapitel 5: Die Rettung bedrohter Arten: »Koste es, was es wolle.«

Ein schmutziger Cop und das Einhorn der Meere

Kapitel 6: Die Rechte bedrohter Arten weltweit

Teil 3: Die Rechte der Natur: Von Bäumen zu Flüssen und Ökosystemen

Walt Disney, der Sierra Club und das Minera-King-Tal

Kapitel 7: Wendepunkte: Bekräftigung für die Rechte amerikanischer Ökosysteme

Kapitel 8: Ein Fluss wird zur juristischen Person

Das Land war zuerst hier

Kapitel 9: Te Urewera: Ökosystem, vormals Nationalpark

Teil 4: Die Rechte der Natur: Neue konstitutionelle und juristische Grundlagen

Ein Fluss geht vor Gericht

Kapitel 10: Pachamama und Ecuadors richtungsweisende Verfassung

Ein ungewöhnlicher Präsident und Kämpfer für die Rechte der Natur

Kapitel 11: Bolivien und die Rechte von Mutter Erde

Eine Stimme für das Great Barrier Reef

Kapitel 12: Globale Veränderungen

Fazit: Zur rechten Zeit auf dem richtigen Planeten

Bibliografie

Danksagung

VORWORT

Es ist wenig überraschend, dass dieses Buch über Naturrechte von meiner Liebe zur Natur inspiriert wurde. Diese Leidenschaft wurde in meiner Kindheit in den Rocky Mountains entfacht, und auch heute noch gehe ich ihr nach, wenn ich die Wunder der kanadischen Westküste mit meiner Tochter Meredith und meiner Partnerin Margot erkunde.

Im Jahr 2000 unternahm ich mit Freunden, die bei der Raincoast Conservation Society arbeiteten, im Great-Bear-Regenwald in British Columbia eine Segeltour. Eines Morgens, bei Tagesanbruch, entdeckte Kapitän Brian Falconer eine Schule von Schwertwalen. Bald standen wir alle an Deck, sahen immer wieder Rückenflossen auftauchen und hörten den explosionsartigen Atemstößen der Orcas zu, die die morgendliche Stille durchbrachen. Brian warf ein Unterwassermikrofon aus, stellte einen batteriebetriebenen Lautsprecher auf, und plötzlich lauschten wir den Unterhaltungen der Wale. Wir konnten verschiedene Stimmen unterscheiden; manche tief und dröhnend, andere fiepsig und beinahe im Sopran. Es war gleichzeitig fremd und vertraut. Während die Wale miteinander sprachen, kamen uns die Tränen. Wir waren uns voller Ehrfurcht des Privilegs bewusst, den Unterhaltungen dieser beeindruckenden, komplexen, sozialen und intelligenten Tiere lauschen zu dürfen.

Im Jahr 2004, am Vorabend meiner Hochzeit mit Margot auf Pender Island (in der Salischen See zwischen Victoria und Vancouver), tauchten mindestens 50 Schwertwale vor unserem Haus am Strand auf. Sie hatten ihre reguläre Strecke verlassen und boten einen unvergesslichen Anblick. Orcas sprangen aus dem Wasser, sahen sich um, klatschten mit den Flossen aufs Wasser und wirkten, als hätten sie großen Spaß. Vielleichten jagten sie Lachs. Vielleicht feierten sie etwas. Vielleicht spielten sie oder vollzogen ein Ritual, von dem wir nicht die leiseste Ahnung haben. Egal was es war, es war spektakulär, und unsere Gäste waren verblüfft.

Seitdem sind wir noch öfter Orca-Schulen begegnet, wenn wir um unsere Insel Kajak gefahren sind. Sie sind südliche ortstreue Schwertwale, die die meiste Zeit in den Gewässern um die amerikanischen San Juan Islands und die kanadischen Southern Gulf Islands verbringen. Es hat gelinde gesagt etwas Beunruhigendes, wenn man in einem Plastikkajak sitzt und eine beinahe zwei Meter große Rückenflosse in Weißer-Hai-Manier auf sich zukommen sieht. Plötzlich erscheint das Boot nicht sehr stabil. Einmal paddelte ich gegen starken Wind an und hatte nicht bemerkt, dass hinter mir Orcas aufgetaucht waren. Ich verlor nicht nur beinahe die Kontrolle über mein Paddel, sondern auch über meine Blasenfunktion, als plötzlich ein großes männliches Exemplar genau vor mir auftauchte, so nah, dass ich einzelne Wassertropfen von seinem massiven Rücken abperlen sah. Ein ausgewachsener Orca kann neun Meter lang werden und mehr als 5 000 Kilogramm wiegen – alles abstrakte Zahlen, bis man ihnen einmal ganz nahe kommt.

Die südlichen ortstreuen Schwertwale haben manchmal meinen Schreibprozess unterbrochen. Von meinem Schreibtisch im solarbetriebenen Schreibschuppen kann ich hören, wenn sie sich vom Swanson Channel im Südosten nähern. Obwohl ich diese Lebewesen schon Hunderte Male beobachtet habe, werde ich noch immer ganz aufgeregt, wenn sie sich zeigen. Ich stehe vom Schreibtisch auf und laufe zum Meer, um ihnen nachzublicken, bis sie wieder verschwunden sind. Manchmal springe ich ins Kajak und folge ihnen ein paar Minuten lang in sicherer Entfernung.

Die Wissenschaft geht den Geheimnissen dieser Tiere nur sehr langsam auf den Grund, aber das, was wir wissen, ist faszinierend. Orcas leben in Mutterlinien, ihre soziale Struktur organisiert sich also um Gruppen von Müttern und deren Nachwuchs. Ihr ganzes Leben – das in manchen Fällen mehr als 100 Jahre umspannt – verbringen sie in engen Familiengruppen, Schulen genannt. Die Schule zieht gemeinsam die Jungtiere auf, teilt die Nahrung mit ihnen und lehrt sie die Jagd. Ältere Weibchen durchleben als eine von nur zwei nicht menschlichen Arten die Wechseljahre (die andere ist der Kurzflossen-Grindwal). Wissenschaftler sind der Meinung, dass älteren Weibchen in Schulen wichtige Rollen bei der Aufzucht der Jungtiere jüngerer Weibchen und beim Auftun von reichen Futtergebieten zukommen. Verschiedene Gruppen haben unterschiedliche Dialekte, Nahrungsvorlieben und Paarungsmuster, es gibt also kulturelle Unterschiede. Wissenschaftler und geschulte Amateurbeobachter können einzelne Orcas anhand ihrer Größe, der Rückenflosse und des Farbmusters unterscheiden. Schwertwale haben große Gehirne und benutzen Echoortung zur Navigation, Nahrungssuche und Kommunikation. Ihre Stimmen können den Ozean kilometerweit durchdringen. Wir können nur darüber spekulieren, was sie einander mitzuteilen haben, warum sie in so engen Verbänden leben und welche Art von Kultur sie entwickelt haben.

Sowohl in den USA als auch in Kanada zählen Schwertwale zu den bedrohten Tierarten. Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre wurden ungefähr 50 der südlichen ortstreuen Art gefangen, um in Aquarien vorgeführt zu werden. Ein weiteres gutes Dutzend wurde dabei getötet. Die Geschichten dieser Entführungen und Tode sowie der verzweifelten Bemühungen der ausgewachsenen Tiere um ihre Jungen sind herzzerreißend. Es muss diese engen Schwertwalgemeinschaften erschüttert haben, so auseinandergerissen geworden zu sein, und sie haben sich noch nicht davon erholt.

Es gibt heute nur noch 80 Orcas der südlichen ortstreuen Art. Ihr Überleben wird von einem Mangel an Königslachs bedroht (ihrem Hauptnahrungsmittel), der Ansammlung von giftigen industriellen Chemikalien in ihren Körpern (die ihre Gesundheit schädigen und ihre Fortpflanzung behindern), Militärübungen und dem Lärm von Schiffsverkehr, der ihnen Stress bereitet und ihre Jagdfähigkeiten einschränkt. Angesichts solch mannigfaltiger Bedrohungen sind die südlichen ortstreuen Schwertwale dem Punkt gefährlich nahe, an dem ihr Fortbestehen unmöglich wird.

Aber es besteht noch Hoffnung. Während des Jahres, in dem ich dieses Buch schrieb, haben die Weibchen der hiesigen Population mehrere Kälber zur Welt gebracht. Obwohl die Sterblichkeitsrate dieser Jungtiere sehr hoch ist, gibt es wenige Anblicke, die mehr Freude und Optimismus auslösen als die winzige Rückenflosse eines neugeborenen Schwertwalkalbs an der Seite seiner Mutter, die das Wasser durchbricht.

Es gibt Momente im Leben – bei mir sind sie selten und nur kurz –, in denen man plötzliche Einsichten hat. Vor einigen Jahren nahm ich an einem Treffen von Aktivisten aus Nord- und Südamerika in einem abgelegenen Tagungszentrum in den Redwood-Wäldern in der Nähe von San Francisco teil. Eines Morgens wachte ich auf, und mir drehte sich der Kopf von rasenden Gedanken. Um mich etwas zu beruhigen, ging ich joggen. Leider war es draußen stockfinster, ich hatte keine Stirnlampe, und ich kannte mich in der Gegend nicht aus.

Ich brauchte einen Plan B, und glücklicherweise gab es im Konferenzzentrum einen kleinen Pool, vielleicht acht Meter lang und sechs Meter breit. Zum Längenschwimmen war er zu kurz, und da niemand anders da war, versuchte ich, im Kreis am Rand entlangzuschwimmen. Anfangs machte es noch Spaß, aber allmählich ließ das Gefühl nach. Es war körperlich anstrengend, mich alle paar Sekunden um 90 Grad krümmen zu müssen. Das mehr als ein paar Minuten lang machen zu müssen, wäre nicht nur unangenehm, sondern würde jeden völlig irre machen. Und in diesem Moment ging mir ein Licht auf.

Wenn das für mich schon unangenehm war, wie fühlte es sich wohl für gefangene Schwertwale an? Tagein, tagaus, Woche für Woche, Jahr für Jahr in einem winzigen Becken, von ihren Familien und Gemeinschaften, ihrer Heimat getrennt – so leben weltweit Hunderte Orcas in Aquarien. Die Lebenserwartung gefangener Orcas ist weit geringer als die ihrer wilden Artgenossen. Wilde Orcas haben eine durchschnittliche Lebensspanne von 50 Jahren, obwohl manche bis 100 Jahre alt werden. In Gefangenschaft beträgt die Lebenserwartung lediglich 25, wobei einige Orcas bis zu 40 werden. Obwohl wir ihnen so viel Leid zugefügt haben, haben wilde Schwertwale noch nie einen Menschen angegriffen oder verletzt. Orcas in Aquarien haben jedoch mehrere Menschen getötet, auch ihre Trainer, und viele verletzt.

Während ich in jenem winzigen Pool meine Kreise zog, wurde mir klar, dass ich zum Schutz dieser wundervollen Tiere beitragen musste. In Anbetracht der Freude und des Staunens, das ich ihnen zu verdanken hatte, war dies das Mindeste, was ich tun konnte.

Die Regierungen in Kanada und den USA sind dabei, Gesetze auf den Weg zu bringen, die zum Schutz der südlichen ortstreuen Orcas beitragen sollen. Obwohl sie in den USA und Kanada zu den bedrohten Tierarten zählen und unter den US-Schutzplan für Meeressäuger fallen, gibt es immer weniger von ihnen. Hätten sie mit rechtlichen Ansprüchen größere Überlebenschancen?

Das zweite Lebewesen, das immer wieder meine Arbeit an diesem Buch unterbrach, ist eine gefleckte Katze namens Neko, die nach heftigen Diskussionen vor zwei Jahren zu uns kam. Meredith argumentierte leidenschaftlich für die Anschaffung einer Katze, und Margot unterstützte sie dabei. Ich war noch nie ein Katzenfreund und hatte Angst davor, wie katastrophal sich eine Hauskatze auf die Vogelpopulation auswirken würde. Letztlich einigten wir uns darauf, unser Kätzchen größtenteils im Haus zu lassen und draußen strengstens zu überwachen. Neko stellte sich als Angsthase heraus, der am liebsten vom sicheren Wohnzimmer aus den Vögeln am Futterplatz zusieht. Die kalten Wintermonate über saß Neko mir oft schnurrend auf dem Schoß, während ich an diesem Buch arbeitete, und ich habe sie inzwischen wirklich gern. Was noch wichtiger ist: Durch sie habe ich öfter über die Beziehung zwischen Mensch und Haustier nachgedacht. Welche Rechte und Verantwortungen bringt eine solche Beziehung mit sich?

Eine weitere Unterbrechung im Schreibprozess stellten unsere Bemühungen dar, das Land, auf dem wir leben, wieder in seinen Naturzustand zu versetzen. Unser Haus auf Pender Island steht auf einem Hektar Land gen Süden, in einem Gebiet voller Oregon-Eichen. Die ersten Entdecker beschrieben diese Ökosysteme als »perfekten Garten Eden« inmitten der Wildnis. Die Landschaft besteht aus knorrigen Eichen und atemberaubenden Erdbeerbäumen (einer einzigartigen Sorte immergrüner Bäume mit abblätternder Rinde und roten Beerenfrüchten). Umgeben sind diese Bäume von üppigen Wildblumenwiesen, auf denen beispielsweise Prärielilien, Schachblumen und Götterblumen zu finden sind. Zumindest theoretisch. Tatsächlich ist es ein extrem bedrohtes Ökosystem, das durch städtische und außerstädtische Bebauung und die Umwandlung von Wiesen zu Farmland allmählich verloren geht. Die einzige Eiche und die Schachblumen, die es bei uns gibt, haben wir selbst angepflanzt, nachdem wir Tausende invasiver Besenginster-Sträucher ausgegraben hatten. Es gibt regionale Projekte, um dieses einst spektakuläre Ökosystem wiederentstehen zu lassen, aber das ist keine leichte Aufgabe. Während ich herumlief und immer wieder kleine Ginstersträucher herausriss, fragte ich mich: »Würden dem Oregon-Eichen-Ökosystem rechtliche Ansprüche helfen?«

Immer mehr Menschen auf der ganzen Welt sind der Ansicht, dass unsere Umweltgesetze die Natur nicht ausreichend schützen. Ich habe mehr als 20 Jahre lang Umweltrecht in Kanada und auf der ganzen Welt ausgeübt und unterrichtet, und während dieser Zeit haben wir viele Siege errungen, aber die Aussichten sind weiterhin düster. Um wirklich neue Wege beschreiten zu können, müssen wir andere Ansätze entwickeln. In den letzten Jahren habe ich viel Zeit damit verbracht, das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt zu erforschen, zu analysieren und schließlich voranzubringen. Diese vielversprechende Idee hat in den letzten 40 Jahren stetig an Fahrt gewonnen und zu großen Fortschritten im Umweltschutz auf der ganzen Welt beigetragen. Als ich vor ein paar Jahren ein Buch über Umweltschutz und Menschenrechte schrieb, fand ich zu meiner großen Überraschung heraus, dass Ecuador eine revolutionäre neue Verfassung erlassen hatte, die der Natur selbst Rechte zusprach; von allen Tierarten bis hin zu den Ökosystemen dieses biologisch reichen Landes.

Veränderungen liegen in der Luft, und das nicht nur in Ecuador. Vor 50 Jahren juckte es niemanden, dass SeaWorld mit Motorbooten und Beobachtungsflugzeugen Schwertwale im Meer suchte, fing und anschließend in winzigen Becken zur Belustigung von Menschen gefangen hielt. Heute würde so etwas in den meisten Ländern Empörung hervorrufen. Viele Orte, von Kalifornien bis Costa Rica, haben Gesetze erlassen, die den Fang, die Zurschaustellung oder die Zucht von Orcas verbieten. Die Menschen sind sich des Klimawandels, des Artensterbens und der Umweltverschmutzung bewusst und schauen sich nach kreativen Lösungen um, die unsere ökologischen Probleme bewältigen.

Inwieweit berücksichtigen bestehende Gesetze die Rechte der Natur? Haben gefangene Schwertwale in Aquarien Rechte? Haben wilde Orcas wie die südlichen ortstreuen Rechte, als Individuen oder Gattung? Hat das Ökosystem, in dem sie leben, Rechte? Würden solche Rechte helfen, die Wale zu retten und andere Arten davor zu schützen, mehr oder weniger langsam auszusterben? Haben Haustiere wie Neko Rechte? Könnten Naturrechte der Menschheit dabei helfen, wieder mit dem Rest der Welt im Einklang zu leben? Diesen Fragen wollte ich in meinem Buch auf den Grund gehen. Die Antworten haben mich überrascht und mir Hoffnung gemacht, und ich hoffe, sie werden sich für Sie als interessant erweisen.

EINLEITUNG

Drei schädliche Vorstellungen und eine mögliche Lösung

»Sie schreien und verlangen nach Menschenrechten, sagten sie, für alle, und die indigenen Völker sagten: Was ist mit den Rechten der natürlichen Welt? Wo ist der Platz des Büffels oder des Adlers? Wer repräsentiert sie auf diesem Forum? Wer spricht für das Wasser der Erde? Wer spricht für die Bäume und den Wald? Wer spricht für die Fische – für die Wale, für die Biber, für unsere Kinder?«

Chief Oren Lyons Jr., spiritueller Anführer des Onondaga-Stammes der Haudenosaunee (Irokesen)

Die Menschen heutzutage haben eine äußerst schwierige Beziehung zu anderen Tieren und Arten sowie zu dem Ökosystem, von dem alles Leben der Erde abhängt. Wir tun so, als liebten wir Tiere, fügen ihnen aber regelmäßig Schmerz und Leiden zu. Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zufolge töten Menschen jedes Jahr mehr als 100 Milliarden Tiere – Fische, Hühner, Enten, Schweine, Hasen, Truthähne, Gänse, Schafe, Ziegen, Rinder, Hunde, Wale, Wölfe, Elefanten, Löwen, Delfine und viele mehr. Wissenschaftler sind sich einig, dass menschliches Handeln zum sechsten Massensterben der 4,5-Milliarden-jährigen Geschichte unseres Planeten führt. Jedes Jahr sterben Arten aus, und Tausende weitere bringen wir auf den besten Weg dorthin. Menschen schädigen und zerstören ganze Ökosysteme wie Urwälder, Prärien, Korallenriffe und Feuchtgebiete. Uralte, komplexe und lebensnotwendige Systeme unseres Planeten – die Klima-, Wasser- und Stickstoffkreisläufe – werden durch unsere Handlungen gestört.

Der Homo sapiens entwickelte sich vor weniger als 200 000 Jahren in Afrika. Dank ihrer Fruchtbarkeit, Anpassungsfähigkeit und Geschicklichkeit im Umgang mit Werkzeugen kolonisierten unsere Vorfahren vor 12 000 Jahren die ganze Welt, auf den Kontinenten, die wir heute Europa, Asien, Australien, Nord- und Südamerika nennen. In den letzten zwei Jahrhunderten sind unsere Bevölkerungszahlen explosionsartig gestiegen und von einer Milliarde im Jahr 1800 auf heutige 7,5 Milliarden angewachsen. Obwohl die Geburtenzahlen weltweit sinken, geht die UN davon aus, dass längere Lebenserwartungen und verbesserte Gesundheitsversorgung unsere Zahl bis zum Jahr 2050 auf 10 Milliarden Menschen anwachsen lassen werden.

Um die Bedürfnisse und Wünsche einer so stark wachsenden Bevölkerung zu erfüllen, ist die Weltwirtschaft ebenso explosionsartig gewachsen. Vor einem Jahrhundert lag das weltweite BIP bei ungefähr einer Trillion Dollar; heute beträgt es mehr als 100 Trillionen Dollar. Dieses Wirtschaftswachstum hat viel mit einer immer stärkeren Vereinnahmung von Land, Wäldern, Wildtieren und anderen »natürlichen Ressourcen« zu tun.

Unser Einfluss auf die Umwelt hat sich im Zuge des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums exponentiell verstärkt. Der ökologische Fußabdruck der gesamten Weltbevölkerung beträgt 1,6 Erden, wir verwenden also natürliche Güter und Leistungen 1,6 Mal schneller, als sie sich erneuern. Das ist zu großen Teilen das Ergebnis eines starken Konsumverhaltens in reichen Nationen. Geologen, gemeinhin nicht zu Übertreibungen neigend, haben unser geologisches Zeitalter Anthropozän getauft, der Stärke des menschlichen Einflusses auf die Erde wegen.

Unser anhaltender Gebrauch und Missbrauch anderer Tiere, Arten und der Natur beruht auf drei tief verwurzelten und verwandten Vorstellungen. Die erste ist der Anthropozentrismus – der weitverbreitete Glaube, dass wir anders und überlegener sind als der Rest der natürlichen Welt. Dank dieses Überlegenheitskomplexes betrachten wir Menschen uns als Höhepunkt der Evolution. Die zweite Vorstellung ist, dass alles in der Natur, belebt wie unbelebt, uns gehört und wir es so benutzen können, wie es uns beliebt. Die dritte Vorstellung ist, dass wir grenzenloses Wirtschaftswachstum als Hauptziel moderner Gesellschaften verfolgen können und sollten. Anthropozentrismus und »Eigentumsrechte« bilden die Grundlage der heutigen industriellen Gesellschaft und liegen allen Bereichen von Gesetzgebung und Wirtschaft bis hin zu Bildung und Religion zugrunde. Wirtschaftswachstum ist das Hauptziel von Regierungen und Unternehmen, und es gewinnt immer wieder gegenüber Umweltbedenken.

Diese Vorstellungen haben eine lange Tradition. Der griechische Philosoph Aristoteles war der Meinung, Tiere hätten keine Seelen und keine Vernunft und würden deshalb, als mindere Kreaturen, vom Menschen völlig rechtens zu seinen Zwecken benutzt. In seiner Schrift Politik schrieb er: »Pflanzen existieren zum Wohl der Tiere und wilde Tiere zum Wohl des Menschen – Haustiere zu seinem Nutzen und seiner Nahrung, wilde Tiere zur Nahrung und anderen Hilfsmitteln des Lebens wie Kleidung und verschiedene Werkzeuge. Da die Natur nichts Zweckloses oder Unnützes hervorbringt, so ist es unleugbar wahr, dass sie alle Tiere um des Menschen willen hervorbrachte.« Aristoteles entwarf gemeinsam mit Plato das Konzept einer Hierarchie des Seins, die Tiere und Pflanzen enthielt. Später bauten christliche Philosophen darauf auf und entwickelten die große Stufenleiter der Natur, auf der Menschen ganz oben in unmittelbarer Nähe von Gott und den Engeln Platz fanden. Nichtmenschliche Tiere waren darunter zu finden, während Schlangen, Insekten und bewegungsunfähige Wesen noch niedrigere Plätze einnahmen. Die Leiter legte eine strikte Hierarchie aller Lebewesen fest.

Genesis, die christliche Schöpfungsgeschichte, besagt, dass Gott Menschen als sein Ebenbild schuf und uns »Herrschaft über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen« übertrug. Menschen bekamen klare Anweisungen: »Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan.« Nicht alle Christen betrachteten den Rest der Welt als dem Menschen untertan. Der Heilige Franziskus von Assisi trat für die Gleichbehandlung aller Lebewesen ein und nannte die Sonne, die Erde, das Wasser und den Wind seine Brüder und Schwestern. Der Heilige Franziskus war jedoch ein Sonderfall.

Während des 17. und 18. Jahrhunderts verstärkten einige der einflussreichsten Denker das anthropozentrische Weltbild noch, und Tiere hatten in der menschlichen Gesellschaft immer schlechtere Karten. Nichtmenschlichen Tieren wurde das Vermögen, zu sprechen, zu denken oder gar zu fühlen, abgesprochen. Der französische Philosoph René Descartes vertrat vehement die Meinung, Tiere seien »lediglich Maschinen«, und schrieb: »[Dass Tiere nicht sprechen,] liegt nicht daran, dass den Tieren Organe dazu fehlten … Dies zeigt nicht bloß, dass Tiere weniger Verstand haben als Menschen, sondern vielmehr, dass sie gar keinen haben.« Descartes schlussfolgert: »Der Mensch steht allein.« Ähnlich schreibt der deutsche Philosoph Immanuel Kant: »Tiere haben kein Bewusstsein und dienen lediglich einem Zweck, insofern sie dem Menschen nützlich und wertvoll erscheinen.«

Eine gegenläufige und progressivere Haltung gegenüber Tieren nahm der britische Philosoph Jeremy Bentham im 19. Jahrhundert ein. Er stellte fest, dass die moralische Frage danach, wie wir Tiere behandeln sollten, »nicht [sei]: ›Können sie denken?‹ oder: ›Können sie sprechen?‹, sondern: ›Können sie leiden?‹« Seiner Meinung nach konnten manche Tiere tatsächlich Schmerz verspüren und hätten deshalb ein Recht darauf, nicht verletzt zu werden. Benthams Ideen setzten sich zu seinen Lebzeiten nicht durch, hatten aber schließlich Einfluss auf Peter Singer, den Autor des Bestsellers Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere von 1975, welcher die moderne Tierschutzbewegung ins Leben rief.

Anthropozentrische Vorstellungen sind auch heute noch in Mode. In seinem 2004 erschienenen Buch Putting Humans First: Why We Are Nature’s Favorite (»Menschen an erster Stelle: Warum wir die Lieblinge der Natur sind«) schrieb der liberalistische Philosoph Tibor R. Machan: »Menschen sind wichtiger, sogar besser als andere Tiere, und wir verdienen es, aus der Ausbeutung von Tieren Nutzen zu ziehen.« Weil Menschen die wichtigste Spezies sind, so Machan, »ist es richtig, die Natur auszubeuten, um unser Leben und Glück zu fördern.«

Die Vorstellung menschlicher Überlegenheit findet sogar in bedeutenden internationalen Umweltbestimmungen Ausdruck. Aus dem ersten Erdgipfel, der 1972 in Schweden abgehalten wurde, ging die Erklärung der Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen hervor, auch Stockholm-Erklärung genannt. Sie besagte: »Von allen Dingen in der Welt sind Menschen das Wertvollste«. In der Erklärung der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio im Jahre 1992 heißt es: » Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung«.

Die Vorstellung, dass Menschen anders als andere Tiere und ihnen überlegen sind, durchdringt die Rechtsordnungen der westlichen Welt und sorgt für Entscheidungen, die oft realitätsfremd sind. Zum Beispiel wird Ihnen jeder Biologe bestätigen, dass Menschen Tiere sind. Das Gesetz jedoch widerspricht dem. Das Black’s Law Dictionary, das im Jahre 2017 gebräuchlichste Rechtswörterbuch in den Vereinigten Staaten und Kanada, definiert das »Tier« als »jedes belebte Wesen, das sich selbsttätig bewegen kann. In der Gesetzessprache beinhaltet der Begriff alle Lebewesen außer dem Menschen« (eigene Hervorhebung). Andere rechtliche Definitionen des Begriffes »Tier« sind noch absurder. Das Tierschutzgesetz der USA geht von einer Definition des Tierbegriffes aus, die explizit keine Ratten, Mäuse, Reptilien, Amphibien, Fische und Nutztiere beinhaltet. Warum? Um zu gewährleisten, dass der minimale Schutz, den das Gesetz bietet, nicht auf Tiere zutrifft, die in der Landwirtschaft, der Forschung und in Fischereien gebraucht werden.

Besitz

Die Vorstellung, dass die Natur lediglich eine Sammlung von Dingen ist, die dem Menschen zur Verfügung stehen, ist eine der universellsten und akzeptiertesten der menschlichen Gesellschaft. Vor Hunderten Jahren schrieb der einflussreiche Rechtsgelehrte William Blackstone, Autor der maßgeblichen Commentaries on the Laws of England (»Kommentare zum Recht Englands«): »[D]aher sind die Erde und alle Sachen auf ihr das allgemeine Eigentum der ganzen Menschheit mit Ausschließung anderer Wesen durch unmittelbare Gabe des Schöpfers.«

Wenn man einmal darüber nachdenkt, ist es doch erstaunlich, dass es Millionen Arten auf der Erde gibt und eine hyperintelligente Primatenart – der Homo sapiens – einen rechtlichen Besitzanspruch auf jeden einzelnen der 148 Millionen Quadratkilometer Land des Planeten entwickelt hat. Es gibt praktisch kein terra nullius, kein Niemandsland mehr, wie die berühmten Entdecker das Land nannten, was von ihrer Art nicht bevölkert war. Heutzutage ist Land entweder in Privat- oder Staatsbesitz. Privat oder öffentlich, alles gehört dem Menschen.

Zu den wenigen Orten, von denen die Menschheit nicht Besitz ergriffen hat, gehören zwei Orte, die jeweils weit abgelegen und für den Menschen äußerst ungastlich sind. Einer ist ein karger, unbewohnter Teil der Antarktis namens Marie-Byrd-Land. Ein internationales Abkommen bewahrt ihn vor einem zukünftigen menschlichen Besitzanspruch. Ein anderer Teil der Welt, an dem Menschen bis vor Kurzem kein Besitzinteresse hatten, ist Bir Tawil, eine 2 072 Quadratmeter große Fläche von Bergen, Sand und Stein in der Wüste zwischen Ägypten und dem Sudan. Ein langjähriger Grenzkonflikt zwischen den beiden afrikanischen Ländern endete damit, dass beide Ansprüche auf eine produktive Fläche namens Hala’ib geltend machten und ihre Ansprüche auf Bir Tawil aufgaben. Im Jahr 2014 reiste der Amerikaner Jeremiah Heaton nach Bir Tawil und meldete dort seine Besitzrechte an. Er hatte seiner Tochter Emily versprochen, sie zu einer echten Prinzessin zu machen, und wollte sein Wort halten. Er erfand eine Flagge für das Gebiet, nannte es Königreich von Nordsudan und hisste sie dort an Emilys siebtem Geburtstag. Als selbst erklärter König hielt er sein Versprechen. Er behauptet sogar, in Kopenhagen eine europäische Botschaft eröffnet zu haben. Was er nicht wusste, war, dass der britische Journalist Jack Shenker vier Jahre zuvor die gleiche Reise unternommen, eine Flagge gehisst und Herrschaft und Besitzrechte über Bir Tawil erklärt hatte.

Auch die Weltmeere – der offene Ozean jenseits der jeweiligen staatlichen Hoheitsgebiete – entgehen den allumfassenden Besitzansprüchen der Menschheit nicht. Obwohl sie niemandes »Besitz« sind, werden sie als Spielwiese menschlicher Ausbeutung angesehen, als gemeinsame Ressource, die riesige Schleppnetze leer fischen und in denen abtrünnige Nationen noch immer unter dem Deckmantel der Wissenschaft Walfang betreiben. Tiefseeförderung, einst undenkbar, wird gegenwärtig zur Realität.

Zusätzlich zum Anspruch auf alles Land sind Menschen außerdem der Ansicht, alle Tiere zu besitzen, die auf der Erde leben: Tiere werden als Besitz betrachtet, als Dinge, Objekte, die gesetzlich nicht mehr wert sind als Schuhe, Tische oder Dekoartikel. Das gilt sowohl für Haustiere als auch für wilde Arten. Aus rechtlicher Sicht beinhaltet der Besitz eines Tieres das Recht, es zu haben, zu benutzen, es abzugeben, zu entsorgen und andere davon abzuhalten, es an sich zu nehmen. Wildtiere, auch wenn sie sich auf privatem Land aufhalten, gehören dem Staat oder der Regionalverwaltung. Zum Beispiel gilt unter dem Umweltschutzgesetz von New York, dass »alle Fische, Wild, Wildtiere, Krustentiere und geschützte Insektenarten dem Staat New York« gehören. In Oregon ist die Gesetzgebung noch direkter: »Wildtiere gehören dem Staat«. Gerichte haben solche Besitzansprüche wiederholt bekräftigt. Bei der Verurteilung eines Mannes wegen illegalen Jagens legte das Gericht dar, dass Wilderer »keinerlei Respekt haben vor dem alleinigen Eigentumsrecht des Staates Mississippi über solche gottgegebenen Wildtiere, die der Menschheit zum Verzehr und/oder Vergnügen überlassen sind«. Tiere, die verkauft werden, werden laut dem US-amerikanischen Handelsgesetzbuch als »Güter« angesehen, genau wie beispielsweise Fernseher, Lastwagen oder Spielwaren.

In Kanada ist die Gesetzgebung die gleiche. Wildtiere und Fisch gehören der Regierung, bis sie rechtmäßig gefangen oder getötet werden und so in Privatbesitz übergehen. Kapitel 2 des Wildlife Act von British Columbia trägt den Titel »Eigentumsrechte bei Wildtieren« und besagt: »Besitz allen Tierlebens in British Columbia obliegt der Regierung … Eine Person, die legal Wildtiere tötet und sich allen Regelungen und Bestimmungen dieses Gesetzes fügt, gelangt in Besitz dieser Wildtiere.« Manitobas Fischereigesetz besagt: »Die Besitzrechte über allen wilden Fisch, einschließlich illegal gefangenen Fisches, liegen bei der Krone, und niemand kann Besitz oder Besitzrechte gültig machen, die nicht mit diesem Gesetz übereinstimmen.« Der oberste Gerichtshof Kanadas hat bestätigt, dass »zu den Ansprüchen der Fischerei die Tiere des Meeres gehören«. Egal wo Tiere wild leben, sie gehören den Menschen.

Wenn man einmal darüber nachdenkt, ist unsere Arroganz atemberaubend. Wir haben die Vielfalt allen Lebens auf der Erde in zwei Kategorien eingeteilt – Menschen und Dinge. Wir und sie. Wir sind die einzige Art, die über Land, Wasser, Tierwelten und Ökosysteme des Planeten verfügen kann. Uralte Wälder, Regenwälder, Nebelwälder, Flüsse, Seen, Erde – all diese Wunder der Natur werden als natürliche Ressourcen, und damit als Besitztümer der Menschheit, betrachtet. Aus ökologischer Sicht ist es eine unwiderlegbare Tatsache, dass wir uns diesen Planeten mit Millionen anderer Arten teilen, aber rechtlich gesehen ist es falsch. Wenn wir die einzige Spezies sind, die Rechte hat, dann sind wir die einzige, die wirklich zählt.

Während Besitzrechte im westlichen Rechtswesen tief verankert sind, wird das Konzept der Verantwortung für Besitz weitestgehend vernachlässigt. In einer Drittelsekunde liefert Google 31 700 000 Treffer für die Suchanfrage »property rights« (Eigentumsrechte), aber nur 19 000 für »property responsibilities« (Eigentumsverantwortung). Genauso findet Google den Begriff »human rights« (Menschenrechte) 154 000 000 Mal, gegenüber lediglich 41 000 Treffern für »human responsibilities« (Menschenpflichten).

Indigene Weltbilder

Zu den weitverbreiteten Annahmen von menschlicher Überlegenheit, Besitzansprüchen und Vorrangstellung des Wirtschaftswachstums gibt es auch Ausnahmen. Eine gegenteilige Perspektive, die besagt, dass nicht menschliche Wesen Rechte haben und Menschen dementsprechende Verantwortung tragen, ist in verschiedenen Kulturen der Welt tief verankert. Vor mehr als 1 000 Jahren schrieb ein gelehrter Sufi ein Buch mit dem Titel The Animal’s Lawsuit Against Humanity, in dem die gesamte Tierwelt – Haus- wie Nutztiere, von Bienen und Maultieren bis zu Fröschen und Löwen – darstellt, dass die Menschen systematisch gegen ihre Rechte verstoßen haben. Anhänger des Jainismus, Hinduismus und Buddhismus befürworten auf unterschiedlich starke Art und Weise die Doktrin des ahimsa, die Achtung vor allem Leben und die Nichtverletzung alles Lebendigen verlangt.

Indigene Völker auf der ganzen Welt haben komplexe Auffassungen menschlicher Verantwortung gegenüber der Natur. Trotz der jahrhundertelangen kolonialen Denkweise des westlichen Kulturkreises sehen viele von ihnen den Menschen noch immer als abhängig vom Rest der Natur an, statt ihn als unabhängig und überlegen zu betrachten. Ein zentrales Element der Rechtssysteme vieler indigener Kulturen bilden eine Reihe von wechselseitigen Rechten und Verpflichtungen sowohl zwischen Menschen und anderen Arten als auch zwischen Menschen und unbelebten Naturelementen. Luther Standing Bear beschrieb den Glauben seines Volkes, der Lakota, folgendermaßen: »Die Tiere hatten Rechte – das Recht auf den Schutz der Menschen, das Recht zu leben, sich fortzupflanzen, das Recht auf Freiheit und das Recht auf menschliche Dankesschuld –, und als Anerkennung dieser Rechte nahmen die Lakota Tiere nie gefangen und verschonten alles Leben, das sie nicht für Nahrung oder Kleidung benötigten.« In einem Essay mit dem Titel »The Rights of Animal Nations to Survive« schrieb der Haudenosaunee-Gelehrte John Mohawk: »Die indianischen Kulturen erkennen die Legitimität der Tiere an, ehren ihre Gegenwart, betrachten sie als ›Volk‹ in dem Sinn, dass sie ein Recht auf Teilhabe an dieser Erde und das Recht auf Fortbestehen haben. Tiere haben das Recht, wie Tiere zu leben. Wenn man all dies als Wahrheit betrachtet, dann haben Menschen kein Recht dazu, den Lebensraum von Tieren zu zerstören oder sie bis zum Aussterben zu jagen oder zu fischen.« Dr. Gregory Cajete von der University of New Mexiko, ein Tewa-Indianer, schrieb: »Für die Ureinwohner hatten Tiere stets Rechte, und in ihrem Recht, zu leben und sich fortzupflanzen, waren sie den Menschen gleichgestellt.«

Die Anwältin und Künstlerin Terri-Lynn Williams-Davidson, vom Volk der Haida, schrieb: »In der Weltanschauung der Haida wird die Zeder als ›die Schwester jeder Frau‹ bezeichnet. Sie ermöglicht unser Leben. Diese uralte Schwester liegt der Kultur der Haida zugrunde. Sie beeinflusst jede Facette des Lebens, von der Wiege zur Bahre und schließlich zum Gedenk-Potlatch und der Errichtung eines Totempfahles, der das Leben und den Beitrag des Verstorbenen zur Gemeinschaft zelebriert.« Zweifellos trägt die Vorstellung der Zeder als Schwester und nicht als Ressource dazu bei, dass Menschen eine ganz andere Vorstellung vom Wald und seinem Nutzen haben.

Im »Erdenbund«, einer freiwilligen Verfassung, die Williams-Davidson entwarf, kommt die Verantwortung der Natur gegenüber noch vor den Rechten. Zu diesen Pflichten gehört es anzuerkennen, dass wir alle Teil einer untereinander verbundenen Welt sind, sowie die Erde mit all ihren Arten und Kulturen zu erhalten und zu erneuern, unsere Nutzung der Erde so zu gestalten, dass ihre natürlichen Kreisläufe und Beziehungen nicht gestört und ihre Belastbarkeitsgrenzen nicht überschritten werden, und spätere Generationen zu respektieren. Erst wenn diese Pflichten erfüllt sind, haben auch Menschen das Recht darauf, in einer gesunden Umwelt zu leben und aus der Erde und anderen Arten Nutzen zu ziehen.

Im Jahr 2003 ergänzte der Stammesrat der Navajo den Stammeskodex, um gewisse »grundlegende Gesetzmäßigkeiten« anzuerkennen, unter anderem die Rechte der Natur. Titel 1 des Kodex bekundet, dass »alle Schöpfung, von Mutter Erde und Vater Himmel bis hin zu den Tieren, die im Wasser leben und die fliegen, und Pflanzen, ihre eigenen Gesetze hat und Rechte und Freiheiten auf Leben.«

Im Jahr 2015 fügten die Ho-Chunk, ein indigenes Volk in Wisconsin, der Charta der Grundrechte ihrer Verfassung eine Klausel hinzu, die die Rechte der Natur anerkennt. Sie waren das erste indigene Volk der USA, das diesen Schritt unternahm. Die neue Klausel bekundet: »Ökosysteme und Naturgemeinschaften auf dem Territorium der Ho-Chunk verfügen über ein inhärentes, elementares und unabdingbares Recht darauf, zu leben und zu gedeihen.« Die Gewinnung fossiler Brennstoffe wird als Missachtung von Naturrechten angesehen. Juliee de la Terre von der Viterbo University, die die Ho-Chunk bei der Verfassungsänderung unterstützte, erklärte im öffentlichen Rundfunk von Wisconsin, dass die Änderung »die Natur schützen [soll], indem es ihr durch einen menschlichen Vermittler in Form eines Anwalts eine Stimme verleiht, der im Sinne von Eichen und Wasserläufen und allem anderen sprechen kann«. Stammesmitglied Jon Greendeer sagte: »Die Rechte der Natur überführen unsere Ansichten von einer indigenen Perspektive zu einer modernen Gesetzgebung.«

Rechte

Rechte haben einen langen und komplizierten Hintergrund. Moralische Rechte sind Ansprüche, die sich aus ethischem Verhalten herleiten lassen. Sie werden nicht zwangsläufig von Regierungen anerkannt. Zum Beispiel sind die meisten Menschen der Ansicht, dass Schwarze in Südafrika moralische Rechte hatten, aber legal wurden diese nicht anerkannt und vom Regime der Apartheid systematisch missachtet. Juristische Rechte hingegen sind im Gesetz verankert und müssen so durch gesellschaftliche Institutionen vollstreckt werden. Der Menschenrechtsexperte Alan Dershowitz, emeritierter Professor der Harvard Law School, vertritt die These, dass Rechte sich aus Unrechten ableiten lassen, Verstößen gegen das, was wir als ethisches Verhalten betrachten. So waren beispielsweise die Gräuel des Zweiten Weltkriegs der Anstoß für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Neue Unrechte können und werden auftreten, denn unsere Vorstellungen von ethischem Verhalten verändern sich stetig. Es gab eine Zeit, in der Sklaverei und der Besitz von Menschen vom Großteil der Bevölkerung nicht als falsch angesehen wurde. Aber ausgehend von einer kleinen Gruppe von Menschen entstand eine Bewegung, die Sklaverei als brutales und barbarisches Verhalten anprangerte. Verteidiger des Status quo behaupteten, dass Sklaven keine Menschen seien und deshalb auch keiner moralischen Rücksichtnahme bedürften. Als der Druck auf sie wuchs, versprachen die Verteidiger der Sklaverei, die Bedingungen ihrer Sklaven zu verbessern. Den Sklavereigegnern war das nicht genug. Nach und nach begann die Mehrheit der Menschen, Sklaverei als etwas Furchtbares anzusehen. Heutzutage ist das Recht, nicht versklavt zu werden, ein grundlegendes Menschenrecht. Rechte haben symbolische und politische Kraft, wie man an den historischen Beispielen der Bürgerrechte, Frauenrechte, indigener Rechte und der Rechte für Homosexuelle sehen kann. Sie sind kein Wundermittel, mit dessen Hilfe man Probleme sofort lösen kann, aber sie sind ein bewährtes Hilfsmittel, um Fortschritte darin zu erzielen, wie sich Gesellschaften ehemals benachteiligten Gemeinschaften gegenüber verhalten.

Neue Werte, neue Kulturen, neue Gesetze

Evolution – von Vorstellungen, Gesetzen, Technologien, sogar vom Leben selbst – ist kein geradliniger Prozess. Sie geschieht vielmehr in verschiedenen Anläufen und Sprüngen; die Wissenschaft nennt das Punktualismus. Stellen Sie sich eine geologische Verwerfungslinie vor, an der sich zwei tektonische Platten überlagern. Diese Platten sind in ständiger Bewegung, wie sie es schon immer waren, seit die Kontinente zu einer einzigen riesigen Landmasse gehörten. Sie bewegen sich langsam, nur wenige Zentimeter im Jahr. Sie würden sich auch schneller oder weiter bewegen, aber die anderen Platten sind im Weg. Über Jahrzehnte, Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende baut sich Druck auf. Irgendwann wird er zu stark, die Platten verschieben sich, und die Erde bebt.

Dasselbe passiert in der Wissenschaft, der Kultur und der Gesetzgebung. Ideen und Vorstellungen reiben sich am Status quo. Aktivisten verstärken den Druck, mit legalen oder sogar illegalen Mitteln. Sie werden bestraft, verlacht, eingesperrt oder getötet. Aber letztlich ändern sich die Meinungen, Werte und Paradigmen.

Die Wissenschaft kann bei diesen Veränderungen eine zentrale Rolle spielen. Lange Zeit glaubten die Menschen, dass die Erde der Mittelpunkt des Sonnensystems sei und die Sonne sich um uns drehe. Wer dieses Weltbild anzweifelte, wurde geächtet und exkommuniziert oder sogar verbrannt. Doch schließlich konnte das heliozentrische Weltbild bewiesen werden, und die Menschen sahen ein, dass sich die Erde tatsächlich um die Sonne dreht.

Während der letzten 50 Jahre haben Wissenschaftler bemerkenswerte Entdeckungen über die Intelligenz, Gefühle und Kulturen anderer Tierarten gemacht, genau wie über die Verbindungen zwischen Ökosystemen und den Einfluss, den Menschen auf sie ausüben. Wissenschaftler, die sich mit der Klassifizierung von Arten beschäftigen, haben kürzlich unsere Stellung in der Systematik der Natur verändert. Sie zählen nun alle Menschenaffen (Schimpansen, Gorillas, Bonobos und Orang-Utans) zur Familie der Hominidae, die zuvor für uns allein reserviert war.

Unsere Ansichten und Werte, was andere Tiere, Arten und die Erde betrifft, ändern sich. Heute reagieren die meisten Menschen entsetzt auf Geschichten über Tierquälerei oder Artensterben. Wir alle haben Bilder von der Erde im All gesehen, einem kleinen blauen Punkt inmitten eines riesigen Universums voller Sterne, Planeten, schwarzer Löcher und dunkler Materie. Zunehmend setzt sich die Ansicht durch, dass etwas mit unserer Beziehung zu diesem einzigartigen Planeten, den wir bewohnen, nicht stimmt. Nur unsere Gesetze und Handlungen haben sich der Entwicklung unseres Werteverständnisses noch nicht angepasst.

Es ist unmöglich, die Natur zu schützen, solange wir uns auf menschliche Überlegenheit und Besitzansprüche über alles Leben berufen, um unsere Wirtschaft immer weiter auszubauen. Die heutige menschliche Kultur und das Rechtssystem, das sie untermauert, sind selbstzerstörerisch. Wir brauchen einen neuen Ansatz, der sich auf Ökologie und Ethik gründet. Menschen sind nur eine Spezies von Millionen, und genau wie alle anderen sind wir von den Ökosystemen abhängig, die für Wasser, Luft, Nahrung und ein beständiges Klima sorgen. Wir sind Teil der Natur: nicht unabhängig, sondern voneinander abhängig. Wie der Umweltschützer und Schriftsteller Aldo Leopold es ausdrückte: »Das Bestreben um die Erhaltung der Natur erreicht nichts, weil es sich nicht mit unserem alttestamentarischen Konzept von der Erde verträgt. Wir missbrauchen Land, Wasser und Luft, weil wir sie als Sachen ansehen, die uns gehören. Wenn wir die Erde dagegen als eine Gesamtheit ansehen, zu der wir gehören, gelingt es uns vielleicht, unsere Umwelt mit mehr Liebe und Respekt zu behandeln.« Ähnlich schrieb der amerikanische Philosoph Thomas Berry von einer »Erdgemeinschaft«, die alle Lebensformen – menschlich wie »nicht menschlich« – umfasst. Aus der radikalen Perspektive Leopolds und Berrys werden andere Arten und Ökosysteme nicht lediglich als etwas betrachtet, das wir genießen und ausbeuten können.

Die juristische Revolution, die in diesem Buch beschrieben wird, kann potenziell drei lebenswichtige Konsequenzen haben:

•Sie kann das Leiden fühlender Tiere mindern.

•Sie kann das vom Menschen verursachte Artensterben beenden.

•Sie kann die lebenserhaltenden Systeme unseres Planeten schützen.

Um das zu erreichen, müssen wir dringend neue Rechte und Pflichten etablieren und durchsetzen. Die Rechte gehören nicht menschlichen Tieren, anderen Arten und Ökosystemen. Die Pflichten liegen beim Menschen. Die Wissenschaft und unsere Wertvorstellungen haben sich entwickelt – jetzt müssen unsere Gesetze, Institutionen, Kulturen, Wirtschaftssysteme und unser Verhalten es ihnen gleichtun.

Glücklicherweise gibt es auf der ganzen Welt Anhaltspunkte dafür, dass Menschen, Gesetzgeber und Gerichte inzwischen die Rechte anderer Mitglieder unserer Erdgemeinschaft wahrnehmen und schützen. Gesetze schützen die Rechte von Menschenaffen und Walen. Gerichtsverfahren streben die Freilassung von Schimpansen, Schwertwalen und anderen gefangenen Tieren an und haben mitunter Erfolg. Gerichtsurteile stellen das Überleben bedrohter Arten über menschliche Interessen, wie beim Fisch snail darter, Narwalen, dem Kauz northern spotted owl oder dem Asiatischen Löwen. Von Neuseeland bis Ecuador erkennen Verfassungen, Gesetze und Gerichte die Rechte von Flüssen, Wäldern und Ökosystemen an. Dieses Buch zeichnet eine juristische und kulturelle Revolution auf, die gerade noch rechtzeitig aufkeimt.

TEIL 1

DIE RECHTE DER TIERE

»Wenn es um Tiere geht, befinden wir uns gerade in einer ethischen Revolution – wir sehen sie nicht mehr als Objekte, Güter und Ressourcen, sondern als Geschöpfe ihrer selbst.«

Andrew Linzey, Theologe, University of Oxford

Wirbeltier ehrenhalber

»Obwohl sie Weichtiere sind, wie Muscheln und Austern, haben diese Tiere ein sehr großes Gehirn und verfügen über eine seltsame, enigmatische Intelligenz.«

Peter Godfrey-Smith, Professor für Philosophie und Autor von Other Minds: The Octopus, the Sea, and the Deep Origins of Consciousness

Ein Krake namens Paul wurde im Jahr 2010 dadurch berühmt, dass er die Ergebnisse von acht Fußballweltmeisterschafts-Spielen, das Finale eingeschlossen, richtig vorhersagte. Er entschied sich jeweils zwischen zwei Kisten, auf denen die Flaggen der teilnehmenden Mannschaften klebten. Das war natürlich Zufall, aber die Geschichte zog zum Teil auch dadurch weltweite Aufmerksamkeit auf sich, weil gleichzeitig neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die erstaunliche Intelligenz von Kraken aufkamen.