Allein vor dem Löwen - Simone Arnold-Liebster - E-Book

Allein vor dem Löwen E-Book

Simone Arnold-Liebster

4,8

Beschreibung

Allein vor dem Löwen, die Autobiographie von Simone Arnold Liebster, verleiht den namenlosen Opfern der Nationalsozialisten wieder Individualität und Identität. Sie beschreibt ihre Entschlossenheit, an dem festzuhalten, was von ihrem normalen Leben übrig blieb, und um ihr psychisches und physisches Überleben zu kämpfen. Ihre Geschichte zeugt von Hoffnung, Stärke und Mut. Simones Geschichte hebt den Mut hervor, den sie trotz der Härten und der Tragik der NS-Zeit aufbringen konnte, um ihre sozialen und religiösen Werte zu bewahren. Man soll diese Geschichte lesen, da sie uns ermöglicht, das Los der Kinder von Zeugen Jehovas während des Holocausts zu verstehen. Die Stimmen derer, die uns authentisch über die NS-Zeit berichten können, werden immer weniger. Umso wichtiger ist es, wenn uns die Zeitzeugen ihre Berichte als geschriebenes Wort überreichen und so einen Teil der Erinnerung bewahren. Dieses Buch legt Zeugnis ab für die Gedankenwelt einer Zeugin Jehovas ? als Kind von den Nazis verfolgt. Es ist die Basis für ein Verständnis ihres Handelns, ohne das historische Forschung undenkbar wäre. Hans Hesse, Historiker

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ALLEIN

VOR DEM

LÖWEN

 

Ein kleines Mädchen widerstehtdem NS-Regime

 

 

 

 

Simone Arnold Liebster

Zeichnungen von der Autorin

 

 

 

WIDMUNG

Dieses Buch widme ich meinem innig geliebten Vater, der uns mit seiner liebevollen Fürsorge und mit Schönheit umgab, der uns mit sanfter Autorität führte, uns beispielhaften Mut vorlebte und durch seinen Humor in unserem Heim eine Atmosphäre des Friedens prägte.

Ich widme dieses Buch auch meiner überaus geliebten Mutter, die die Wege ihres „kla’ Maidls“ begleitete und ihr half, eine glückliche Erwachsene zu werden, sie tröstete und mit mütterlicher Liebe und Geduld umgab.

Auch Papas engstem Freund, Adolf Koehl, dessen Großherzigkeit uns half, unser Schicksal zu meistern, und dessen außergewöhnlicher Mut und praktische Weisheit meinen Lebensweg erleuchtete.

Auch meiner ergebenen Tante Eugenie, die ihren ganzen Verdienst opferte und ihr Leben für uns aufs Spiel setzte, der ich mich verbunden fühlte wie einer zweiten Mutter.

Ebenso gilt meine Widmung Marcel Sutter, dessen Leben mir ein Vorbild wurde und mich inspirierte. Er war mir wie ein Bruder, ein enger Vertrauter.

Unbedingt schließe ich auch Charles Eicher in diese Widmung mit ein, denn er ermutigte mich nach New York zu reisen. Durch ihn lernte ich meinen „Liebster“ kennen, und er gab den Anstoß zu einem neuen, erfüllten und ertragreichen Leben.

 

 

Originaltitel:FACING THE LION: Memoirs of a Young Girl in Nazi Europe© Grammaton Press, New Orleans

Die Übersetzung erfolgte aus der 2. englischen Ausgabe.Vorliegende deutsche Fassung wurde von der Autorin überarbeitet.

Dieser Titel ist auch in weiteren Sprachen erhältlich: Französisch, Englisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Italienisch, Dänisch, Schwedisch, Japanisch, Koreanisch

Weitere Information finden Sie auf der Homepage der Arnold-Liebster-Stiftung: www.alst.org

E-Book-Erstellung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

© 2012 Editions Schortgen

108, rue de l’Alzette - L-4010 Esch-sur-Alzette Luxemburg

[email protected]

www.editions-schortgen.lu

 

ISBN 978-2-87953-137-3

HISTORISCHE ANMERKUNG (von Abraham J. Peck)

HISTORISCHE ANMERKUNG

Während der Herrschaft des Nationalsozialismus stellten die Glaubensansichten, Lehren und Aktivitäten der Zeugen Jehovas ein öffentliches Bekenntnis dar, das inhaltlich mit den Ideologien des NS-Staates kollidieren musste. Eine kleine Gruppe von etwa 20 000 bis 25 000 „Durchschnittsdeutschen“ und solche aus anderen Gebieten, die dem „Dritten Reich“ angeschlossen wurden, verkündeten hier öffentlich ihren Glauben an eine Art Schattenreich, das in direktem Widerstand zum Naziregime stand. Als Gruppe widersetzten sie sich den Rassegesetzen des Staates, dem Treueschwur auf Adolf Hitler, dem Deutschen Gruß und der Pflicht, für Deutschland Waffen zu tragen.

Die Statistiken sind uns bekannt: Fast 10 000 Zeugen Jehovas wurden eingesperrt, mindestens 2 000 von ihnen wurden in nationalsozialistische Konzentrationslager verschleppt. Von diesen wurde mindestens die Hälfte ermordet, 250 durch Hinrichtung.

Was uns nicht so bekannt ist, betrifft den tagtäglichen Existenzkampf dieser außergewöhnlichen Gruppe von entschlossenen Männern, Frauen und Kindern, die unter der Herrschaft des nationalsozialistischen Terrors leben mussten.

Aus diesem Grund ist die Autobiografie von Simone Liebster von herausragender Bedeutung. Sie verleiht den Statistiken eine Stimme und einen Namen. Sie erzählt die Geschichte vom Widerstand des Geistes gegen ein monströses Unrecht, und dies durch die Augen und Erinnerungen eines Kindes.

Denen, die sich der Gewalt des Naziterrors entgegenstellt haben, obwohl sie sich schon durch eine einfache Loyalitätserklärung ihre Ruhe hätten sichern können oder durch eine einmalige Unterschrift den Qualen eines Arbeits- oder Konzentrationslagers entgangen wären und vor Gewalt und Mord Schutz gefunden hätten, gebührt ein besonderer Platz und besondere Bewunderung. Durch sie gewinnen wir die Hoffnung und den Glauben an den ultimativen Triumph menschlicher Güte.

Simone Arnold Liebster muss unter diese besonderen Menschen eingereiht werden.

Abraham J. Peck

Vizepräsident der Vereinigungder Holocaustorganisationen

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE (von Hans Hesse)

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

„‚Siehst du die vier Sterne dort, die ein Quadrat bilden mit einem Schwanz aus drei Sternen?‘

‚Oh ja! Das ist eine Kasserolle!‘

‚Man nennt sie den Großen Bären.‘

‚Ich sehe keinen Bären!‘

‚Das liegt daran, dass man nicht alle Sterne erkennen kann.‘ ‚Aha, ich verstehe: der Bär ist in der Kasserolle drin!‘

Von da an schaute ich immer ganz gebannt in den samtenen, dunklen Himmel und suchte nach dem Großen Bären, aber die Kasserolle blieb jeden Abend leer.“

Dieser Dialog zwischen der sechsjährigen Simone und ihrem Vater im Sommer 1936 steht exemplarisch für vieles in diesem Buch: er ist eine Hommage an den geliebten Vater, den Sterndeuter, der 1945 als „von den Toten Auferstandener“ seine Tochter wiedersehen wird; er ist ein Zeichen für bereits Vorhandenes, das noch nicht zu sehen ist, und er ist – vor allem – ein Spiegelbild des Humors von Simone Arnold Liebster, der überall in dem Buch – trotz allem – immer wieder aufscheint.

Die Stimmen derer, die uns authentisch über die NS-Zeit berichten können, werden immer weniger. Erst wenn wir den Zeitzeugen ins Gesicht schauen, wenn wir darin lesen, anhand ihrer Mimik erahnen können, was sie im Innersten bewegt, wenn sie uns über ihre Verfolgung berichten, wird uns annähernd bewusst, was es für sie bedeutete: Angst, Verzweiflung, Hunger, Tod, Hoffnung. Diese Form des „Geschichtsunterrichts“ (der wohl so alt ist wie die Menschheit selbst) über die NS-Zeit wird unweigerlich verloren gehen. Umso wichtiger ist es, wenn uns die Zeitzeugen ihre Berichte als geschriebenes Wort überreichen und so einen Teil der Erinnerung bewahren.

Der Titel des Buches „Allein vor dem Löwen“ ist auch eine Metapher: Mit dem Wort Löwe tarnten die Zeugen Jehovas in Mülhausen die Gestapo; der Zusammenhang zur Geschichte von Daniel in der Löwengrube ist unübersehbar, und er steht – wie mir Simone Arnold Liebster auf einer Veranstaltung einmal erklärte – durchaus für die Verfolgung der Urchristen.

Dieses Buch legt Zeugnis ab für die Gedankenwelt einer Zeugin Jehovas – als Kind von den Nazis verfolgt. Es ist die Basis für ein Verständnis ihres Handelns, ohne das historische Forschung undenkbar wäre.

Hans Hesse, HistorikerHürth, im Frühjahr 2002

VORWORT (von Sybil Milton)

VORWORT

Die Autobiografie von Simone Liebster, geb. Arnold, ist die ergreifende Geschichte ihrer persönlichen Suche nach Glauben und Identität, die sie in ihrer Kindheit zu schwerwiegenden gesellschaftlichen, politischen und religiösen Entschlüssen führte. Im Jahr 1930 in Mülhausen/Elsass geboren, damals noch Frankreich zugehörig, wuchs Simone Arnold Liebster in den 30er Jahren in der Geborgenheit einer erweiterten und eng miteinander verbundenen katholischen Familie auf – in einem Jahrzehnt politisch sozialer Unruhen und Unsicherheit. In dieser überwiegend katholischen Umgebung war religiöser Konformismus die Norm. Im Jahr 1938 konvertierte Emma Arnold, Simones Mutter, trotz Widerstand der Familie zur Glaubensüberzeugung der Zeugen Jehovas. In der Folge wurde auch Simones Vater, Adolphe Arnold, als Zeuge Jehovas getauft. Simone bekehrte sich noch als Kind im Jahr 1941.

Elsass und Lothringen standen zwischen 1871 und 1918 unter deutscher Herrschaft, kehrten bis Mitte Juni 1940 wieder in den französischen Zuständigkeitsbereich, wonach das gesamte Gebiet wieder dem Deutschen Reich angegliedert wurde. Mit fast sofortiger Wirkung zwangen die Deutschen allen Untertanen ihre gesellschaftlichen und politischen Wertvorstellungen auf, wodurch eine große Anzahl der sogenannten „Unerwünschten“, darunter auch die Zeugen Jehovas, ausgegrenzt wurden, da für sie in der „neuen Ordnung“ der Deutschen kein Platz vorhanden war. Deutsch wurde wieder zur Landessprache erklärt. Aufgrund der Zerrüttung von sozialen Bindungen innerhalb der Gesellschaft mussten sich Nonkonformisten von nun an sogar vor Denunziation durch Nachbarn fürchten.

Simones Vater wurde am 4. September 1941 festgenommen, weniger als einen Monat nachdem sich Simone als Zeugin hatte taufen lassen. Da das Gehalt des Vaters bei seiner Festnahme beschlagnahmt und sein Bankkonto gesperrt wurde und weil der Mutter eine Arbeitserlaubnis verweigert wurde, sahen sich Simone und ihre Mutter von immer größer werdenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten bedroht. In den folgenden zwei Jahren sicherten sich Simone und ihre Mutter durch kleine Arbeiten ihren Lebensunterhalt.

Nach seiner Festnahme wurde Simones Vater zunächst im Sicherungslager Schirmeck-Vorbruck in Labroque eingesperrt. Dieses Lager war Mitte Juli 1940 zur Internierung von Personen errichtet worden, „von denen anzunehmen ist, dass sie durch ihr Verhalten das deutsche Ansehen in diesem Gebiet stören werden“ und um „schwererziehbare[n] Elemente[n] ... die richtige Einstellung zur Arbeit und politischen Ordnung des Großdeutschen Reiches beizubringen“.[1] Die Liste der sogenannten „Unerwünschten“ und „schwer erziehbaren Elemente“ folgte den üblichen Kategorien, welche die Deutschen in allen besetzten Gebieten einführten, wozu auch Jehovas Zeugen gehörten. Da es ihnen aus Glaubensgründen nicht gestattet war, irgendeinem Staat unbedingten Gehorsam zu zollen, mussten Zeugen in Elsass und Lothringen die gleiche Verfolgung über sich ergehen lassen, wie sie andere Zeugen schon seit 1933 im nationalsozialistischen Deutschland erlebten. Simones Vater, Adolphe Arnold, wurde später von Schirmeck nach Dachau und dann weiter nach Mauthausen-Gusen verschleppt und letztendlich, im Mai 1945, aus Ebensee, dem Außenlager des KZ Mauthausen, befreit.

Da sich Simone nach 1941 nicht dem Verhalten ihrer Klassenkameraden anpasste, den Hitlergruß verweigerte und nicht dem Bund Deutscher Mädel beitrat, sah sie sich in der Schule zunehmender körperlicher und seelischer Einschüchterung ausgesetzt. Von Einschüchterung und Repressalien waren schulpflichtige Zeugen Jehovas sowohl im nationalsozialistischen Deutschland als auch in den angeschlossenen Gebieten Elsass/Lothringen betroffen. Wenn Kinder von Zeugen sich weigerten, der Hitlerjugend oder dem Bund Deutscher Mädel beizutreten oder sich sonst wie den Normen des nationalsozialistischen gesellschaftlichen oder politischen Verhaltens entgegenstellten, sorgten die Schulbehörden dafür, dass den Eltern das Sorgerecht entzogen wurde und die Kinder in Erziehungsanstalten geschickt wurden.

Über 500 solcher minderjährigen Zeugen Jehovas im nationalsozialistischen Deutschland wurden nach formellen Gerichtsverfahren ihren Eltern entrissen. Simones Autobiografie erlaubt uns einen genauen Einblick in den Alltag solcher Kinder, die während der Kriegsjahre in einer nationalsozialistischen Erziehungsanstalt leben mussten. Den Eltern wurde das Sorgerecht entzogen und die Verbindung zu ihren Kindern unterbunden, sobald sich ein Kind unmoralisch oder unehrenhaft verhielt, das heißt nicht gemäß nationalsozialistischen Richtlinien. Schulbehörden, Polizei, Jugendämter und Landgerichte entschieden, dass Eltern, die Jehovas Zeugen waren, das Wohl ihrer Kinder gefährdeten, weil sie sich den Normen eines nazifizierten Schulsystems und einer nazifizierten Gesellschaft nicht anpassten. Das Schicksal dieser von ihren Eltern getrennten Kinder ist uns selten im Detail vermittelt worden. Simone Arnold Liebsters Memoiren helfen uns, die Erlebnisse solcher Kinder besser zu verstehen.

Simone Arnold wurde körperlich und seelisch brutal misshandelt, unter Druck gesetzt und anschließend aus der Schule verwiesen, weil sie sich diesem Druck nicht beugte. Im Alter von 12 Jahren wurde sie der mütterlichen Fürsorge entrissen und zwangsweise der Wessenberg’schen Erziehungsanstalt in Konstanz übergeben. Ohne jeglichen Kontakt zu den Eltern wurde Simone Arnold einer Welt der Verfolgung preisgegeben, der sie gezwungenermaßen ihre Jugend opfern musste, um überleben zu können. Kindheit und Jugend sind gewöhnlich eine Zeit des Wachstums und der Entfaltung. Für die Kinder jedoch, die in die Falle der Naziherrschaft gerieten, spielte sich das Leben in einer verdrehten Welt ab, einer Welt schrumpfender Horizonte und des Terrors.

Anderen Opfern der Nationalsozialisten, die sonst anonym bleiben, verleiht die Autobiografie von Simone Arnold Liebster Identität und Individualität. Auch offenbart sie ihre große Willensstärke, die es ihr ermöglicht hat, einem unmöglichen Alltag jede erdenkliche Normalität abzugewinnen, um körperlich und seelisch überleben zu können. Es ist eine Geschichte von Hoffnung, Stärke und Mut. Trotz aller Härten und Tragik der nationalsozialistischen Zeit beschreibt uns Simone Liebster ihren Mut im Kampf um die Bewahrung ihrer sozialen und religiösen Wertvorstellungen. Eine Geschichte, die es wert ist, gelesen zu werden, und die uns hilft, das Schicksal von Kindern von Zeugen Jehovas während des Holocaust besser zu verstehen.

Sybil Milton,

ehem. Historikerin des

US Holocaust Memorial Museum,

Frühjahr 2000

DANK

DANK

Ich habe diese Geschichte nach bestem Erinnerungsvermögen wahrheitsgetreu wiedergegeben, doch bin ich vielen Personen zu Dank verpflichtet, die mir halfen, sie in ihre jetzige Form zu bringen. Dazu gehören Germaine Villard, Francoise Milde, Adolphe Sperry und dessen Enkelin Virginie sowie Esther Martinet, die sich alle bemüht haben, den historischen Nachweis für Orte und Begebenheiten, an die ich mich erinnerte, zu ermitteln. Auch tauschte ich mich mit Rose Gassmann und Maria Koehl aus, die selbst noch lebhafte Erinnerungen als Augenzeugen haben. Frau Bautenbacher von der Wessenberg’schen Erziehungsanstalt für Mädels sowie das Personal des Stadtarchivs von Konstanz waren bei der Beschaffung von Dokumenten zu meinem Verfahren behilflich. Dem Autor Andreas Müller, der die Geschichte meines Mannes aufzeichnete, verdanke ich interessante Hintergrundinformationen über die Aktivitäten der Hitlerjugend. Zusätzliches Fotomaterial und ergänzende Dokumente wurden uns aus den Archiven der Wachtturm-Gesellschaft in Selters/Taunus (Deutschland), Thun (Schweiz) und Brooklyn (New York) zur Verfügung gestellt. Der Cercle Européen des Témoins de Jéhovah Anciens Déportés et Internés, dem ich als Gründungsmitglied angehöre, trug ebenfalls Archivmaterial bei.

Das sanfte Drängen von zwei wunderbaren Freunden, des verstorbenen Lloyd Barry und John Barr, gaben mir die erforderliche Motivation, meine Geschichte zu Papier zu bringen.

Zwei Personen, die mir sehr viel bedeuten, müssen an dieser Stelle erwähnt werden: mein Verleger, Fred Siegel, dessen positive Einstellung und tatkräftige Unterstützung mir Rückhalt gegeben und das englische Projekt zur Vollendung gebracht haben, sowie Jolene Chu, die mir mit ihren schriftstellerischen Fähigkeiten eine enorme Hilfe war. Ich möchte ihr für die sorgfältige Überarbeitung des englischen Manuskripts, für die aufschlussreichen Gespräche und für ihren Frohsinn, der mich sehr ermunterte, ausdrücklich danken. Die gemeinsame Arbeit hat uns einander näher gebracht und eine innige Verbindung entstehen lassen. In ihr habe ich eine Tochter entdeckt, die meine Geschichte ebenso schildern könnte, als sei sie ihr eigenes Erbe.

Für die vorliegende deutsche Fassung danke ich insbesondere meinem Verleger Jean-Paul Schortgen und Uwe Klages, die mir stets zur Seite standen, sowie meiner lieben Mitarbeiterin Monika Karlstroem für ihre einfühlsame, stellenweise fast poetische und treue Übertragung aus dem Englischen.

Ebenso danke ich Wolfram Slupina für das Korrekturlesen des deutschen Textes sowie Johannes Wrobel, der den Text auf historische Genauigkeit überprüft hat.

Letztendlich danke ich vor allem meinem lieben Mann, Max, für seine außergewöhnlich geduldige und liebevolle Unterstützung.

EINLEITUNG

EINLEITUNG

In ganz Europa bereiteten sich die Menschen feierlich auf den fünfzigsten Jahrestag der Befreiung vom Naziterror vor. Die Welt sollte sich noch einmal die Periode vor Augen führen, die als „der Abgrund“, „die Hölle“, „das Zeitalter des Terrors“ oder „die Nacht“ in die Geschichte einging. Eine kleine Gruppe überlebender Zeitzeugen, die den „lila Winkel“ getragen hatten (besonderes Kennzeichen auf der KZ-Kleidung der Zeugen Jehovas), gedachte dieses Tages auf ihre Weise in Straßburg und in Paris. Sie bereisten viele französische Städte mit einer Ausstellung und erzählten ihre Geschichte. Dies hatte eine Flut von Fragen zur Folge – zu Sachverhalten, aber auch zu Lebensumständen –, bohrende Nachforschungen, die in meinem Innern Stück für Stück geistige Sperren aufbrachen. Ich hatte das Gefühl, in meine Kindheit zurückversetzt worden zu sein. Auf einmal war ich wieder „s’ kla’ Maidl“ mit all seinen Erinnerungen, Empfindungen, Freuden und Ängsten. Wie Scheinwerfer beleuchteten die Fragen meine Träume – und Alpträume – und ließen mich den Horror erneut durchleben. Alles wurde so lebendig, so genau, dass ich mich sogar auf geringste Einzelheiten aus der Zeit besann, als der „Nazi-Löwe“ der Unterdrückung vor mir stand.

Weitere Freunde schlossen sich dem Chor an: „Schreib alles nieder. Zeichne ein Bild, halte deine Erinnerungen fest. Beschreibe die Begebenheiten jetzt gleich, solange noch Zeit ist.“

 

Gern erinnere ich mich an das Elsass meiner Kindheit – herrliche Landschaften und Menschen mit festgefügten Überzeugungen. Aber auch: ein Zankapfel der Nationen, gezeichnet von den Narben vorangegangener schmerzvoller Konflikte.

Vor dem Hintergrund der Armut der Arbeiterkinder, von Ungerechtigkeit und Intoleranz wurde aus dem glücklichen und verspielten kleinen Kind ein nachdenkliches und früh in die Welt der Erwachsenen geworfenes Mädchen. Umso mehr noch, als ich die vielen Auseinandersetzungen französischer und deutscher Partisanen wahrnahm sowie die unaufhaltsam wachsende Angst der Erwachsenen vor einem erneuten Krieg.

 

Meine Familie war sich dessen bewusst, dass die nationalsozialistische Ordnung eine unmittelbare Gefahr für uns bedeutete. Als das Elsass von der deutschen Armee besetzt und das Programm „Heim ins Reich“ eingeleitet wurde, erschien uns dieser Polizeistaat mit seiner Partei, Gestapo und seinen Spitzeln wie ein wütender Löwe, der gierig seiner Beute nachjagte. Der Löwe nahm mir alles – nur meine Erinnerungen blieben mir. Es war ein erschütterndes Erlebnis.

Doch mein Bericht belegt, dass selbst das Gewissen eines Kindes unter Widrigkeiten nicht zwangsläufig Schaden nehmen muss, sofern es von hohen ethischen Werten geschult und geleitet wird. Es ist mein Herzenswunsch, durch die Geschichte meiner Familie den Mut und die Zuversicht zu entfachen, die helfen können, über jegliche künftigen „Löwen“ zu triumphieren.

 

Hier nun ist meine Geschichte.

Erster Teil Juni 1933 – Sommer 1941

Erster Teil

Juni 1933 – Sommer 1941

Kindheit zwischen Stadt und Land

KAPITEL 1

Kindheit zwischen Stadt und Land

JUNI 1933

B

evor der Zweite Weltkrieg seinen Schatten vorauswarf, zogen meine Eltern und ich aus dem Dorf Husseren-Wesserling im Thann-Tal der Vogesen, unweit vom Hof meiner Großeltern, fort in die Stadt. In unserem Dorf hatten wir in einem wunderschönen Haus gewohnt mit einem üppig von Rosen bewachsenen Laubengang, der in den Garten und zu den Wiesen führte. Wir lebten im Elsass, einer an der Grenze von Frankreich und Deutschland gelegenen Region. Über die Zugehörigkeit von Elsass-Lothringen wurde jahrhundertelang gestritten.

Ich war fast drei Jahre alt, als wir mit meinem Hündchen Zita nach Mülhausen umzogen in den zweiten Stock eines Mietshauses auf der rue de la Mer Rouge Nr. 46. Meine Familie war meine ganze Welt. Nie hätte ich mir träumen lassen, welch großes Leid, welche Not und welcher Terror uns noch bevorstanden.

Der Name unserer Straße, rue de la Mer Rouge – Rotes-Meer-Straße –, ist vielleicht als Symbol für das Schicksal unserer Familie zu sehen: Verzweiflung, Trennung, Reisen, Hoffnung. Ob meine Eltern sich wohl je Gedanken über den Namen unserer Straße gemacht haben?

Der Bahnhof von Mülhausen-Dornach stand am Anfang der rue de la Mer Rouge, einer langen Straße, die sich durch Gärten und Wiesen wand, entlang eines Wohngebietes von Familien- und Mietshäusern. Die Nummer 46 war ein 4-stöckiges Gebäude mit acht Wohnungen. Dort wohnten Mitarbeiter der Firma Schaeffer und Co., einer weltberühmten Stoffdruckerei. Bei dieser Firma arbeitete Papa als künstlerischer Gestalter.

Hier in der Stadt durfte ich nicht einmal ans Fenster gehen und auch nicht allein auf die Straße. Wie traurig für ein kleines Mädchen vom Land! Selbst die Blumen auf dem Balkon waren in Töpfen gefangen!

Glücklicherweise besuchten wir oft den Hof meiner Großeltern. In Odern, einem Wallfahrtsort, der der Jungfrau Maria gewidmet war, stiegen wir aus dem Zug. Ein Pfad führte bergauf, vorbei an einem kühlen Bergbach, steil entlang einer Felswand zu einer kleinen Hochebene von grünen Wiesen, die übersät waren mit den verschiedensten Obstbäumen. Diese entlegene Region war als Bergenbach bekannt.

Zwischen Felsen, Farnen und Gestrüpp stand das Haus meiner Großeltern. Nachdem man durch die winzige Tür eingetreten war, mussten sich die Augen zunächst an das dämmrige Licht gewöhnen, ehe man in der Ecke den riesigen schwarzen Schornstein wahrnahm, in den ein großer Küchenherd eingebaut worden war. Der Geruch von Rauch, vermischt mit dem Aroma von Heu und Getreide, war mir der liebste Duft. Draußen stand ein großer Steinbrunnen. Das Geräusch seines plätschernden Wassers war schon vielen Generationen als besänftigendes Wiegenlied vertraut.

Bergenbach, Ölgemälde von Adolphe Arnold

In den 1890er Jahren hatte meine Großmutter Maria die väterliche Heimat verlassen, um später verwitwet und mit zwei Mädchen zurückzukehren – Emma und Eugenie, meine Mutter und meine Tante. Remy Staffelbach wurde Großmutters zweiter Ehemann, mit dem sie noch meine Tante Valentine und meinen Onkel Germain bekam. Remy war mir ein echter Großvater, mein Grandpapa.

Während die Männer zur Arbeit gingen, kümmerte sich Großmutter um alle Tiere und den Garten. Sie war eine sehr fleißige Frau.

Großvater arbeitete als Farbenmischer in der Druckerei und Onkel Germain im Steinbruch. Großmutter machte sich große Sorgen um Onkel Germain. Da er taub war, hatte sie die größte Angst, er würde es einmal nicht mitbekommen, wenn der Steinfels mit Dynamit gesprengt wurde. Sobald sie eine Explosion aus der Richtung des Steinbruchs hörte, hielt sie inne und sprach ein Gebet für ihren Sohn, ganz gleich wo sie gerade war oder was sie gerade tat.

Unter Tränen erzählte mir Großmutter wiederholt dieselbe Geschichte: „Deine Mutter wollte Nonne werden, Missionarin in Afrika. Wir erkundigten uns im Kloster nach den Aufnahmebedingungen, aber die geforderte Spende war viel zu hoch für uns; wir hätten alle unsere Kühe verkaufen müssen.“ Ich begriff nicht, wieso es erforderlich war, Kühe zu verkaufen, wenn man Gott dienen wollte.

„Die Familie beschloss, dass Mutter arbeiten und mit einem Teil ihres Gehalts mithelfen sollte, für Onkel Germains Ausbildung in einer Gehörlosenschule zu bezahlen. So wurde sie Damastweberin und lernte deinen Vater, Adolphe, kennen. Er war ein völlig mittelloser Waisenjunge und Künstler – kein Landwirt –, aber Gott sei Dank war er ein guter Katholik.“

Onkel Germain und ich verständigten uns mit Leichtigkeit, denn ich war von seiner selbst erfundenen und lebhaften Gebärdensprache begeistert.

Außerdem beschäftigte sich Onkel Germain gern mit Tischlerarbeiten, Steinschnitzereien und der Veredlung von Bäumen. Er besaß 10 Bienenstöcke. Jedes Mal, wenn wir zu Besuch kamen, präsentierte er uns mit einem glücklichen und strahlenden Lächeln seine neuste Leistung. Aktiv und produktiv zu sein, war ihm die größte Freude im Leben. Germain war innig mit seiner Mutter verbunden und ebenso wie sie sehr religiös. Ich war es auch.

In jungen Jahren muss meine Großmutter, die ich Grandmaman nannte, wohl bildhübsch gewesen sein. Ihre schönen Züge hatten durch das Alter nicht an Reiz eingebüßt. Neben ihrem sonnengebräunten Teint verblassten die azurblauen Augen. Das weiße Haar türmte sich auf ihrem Kopf zu einem kleinen Knoten und sah, von der Sonne beschienen, aus wie ein Heiligenschein. Wochentags trug Grandmaman ein strenges schwarzes und von einer Schürze bedecktes Kleid. Sonntags jedoch trug sie ein geblümtes Kleid mit winzigen lila oder rosafarbenen Blümchen, wodurch ihr strenges Gesicht etwas weicher wirkte.

Grandmaman war etwas füllig und doch beständig in aller Stille aktiv. Sobald ich in der Küche erschien, setzte sie eine lebhafte Unterhaltung in Gang: „Jetzt màcha mer guate Suppa füer’m Säula – met Hartäpfel“ („Nun wollen wir dem Schweinchen eine leckere Suppe machen – mit Kartoffeln.“) Die Kartoffeln zerdrückte sie in der Hand. „Jetzt brücha mer e bezzela Kleia, de Raschtla vo’ d’ Mittagssuppa – ohne Knocha – und die Schotta vum Kaas. Kumm, kla’ Maidl, das màcha mer jetzt im Trog inna ...“ („Jetzt brauchen wir noch etwas Kleie, die Mittagsreste – ohne Knochen – und die Molke vom Käse ... komm, Kleine, das gießen wir jetzt alles in den Futtertrog ...“) Das Schwein steckte sein rosa Schnäuzchen in die Suppe ... ch-ch-ch. „Lueeg a mol, dàs dumma Veh aah, suecht sech’s àllerbeschte drüss üssa!“ („Sieh dir nur das dumme Vieh an, sucht sich als erstes die allerbesten Stücke raus!“)

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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