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Diese Serie von der Erfolgsschriftstellerin Viola Maybach knüpft an die bereits erschienenen Dr. Laurin-Romane von Patricia Vandenberg an. Die Familiengeschichte des Klinikchefs Dr. Leon Laurin tritt in eine neue Phase, die in die heutige moderne Lebenswelt passt. Da die vier Kinder der Familie Laurin langsam heranwachsen, möchte Dr. Laurins Frau, Dr. Antonia Laurin, endlich wieder als Kinderärztin arbeiten. Somit wird Antonia in der Privatklinik ihres Mannes eine Praxis als Kinderärztin aufmachen. Damit ist der Boden bereitet für eine große, faszinierende Arztserie, die das Spektrum um den charismatischen Dr. Laurin entscheidend erweitert. »Es war eine wunderbare Reise«, schwärmte Sabine Mittermaier. »Wir hatten ja ein bisschen Sorge, dass es uns nicht gefallen würde, mit einer Gruppe unterwegs zu sein, aber wir haben richtig Glück gehabt. Lauter nette Leute, und es gab eine ganz erstklassige Reisebegleitung.« »Wir haben gleich überlegt, so etwas noch einmal zu machen«, erklärte ihr Mann Armin. »Man muss sich um nichts selbst kümmern, man sieht viel, und man lernt noch mehr. Und außerdem hat man auch noch Spaß. Ich kann das nur empfehlen.« Sabine und Armin, beide kurz über sechzig und noch sehr fit, waren mit einer Reisegruppe in Litauen, Lettland und Estland gewesen und erst seit ein paar Tagen zurück in München. Von unterwegs hatten sie ihren beiden Kindern Nachrichten und Fotos geschickt, und an diesem Abend hatten sie die beiden, die fünfundzwanzigjährige Elisabeth, genannt Elli, und ihren zehn Jahre älteren Bruder Ansgar zum Essen eingeladen, um ihnen ausführlicher von der Reise zu erzählen. »In die baltischen Länder will ich demnächst auch mal«, erklärte Elli. Sie war eine muntere Blondine mit Stupsnase, blauen Augen und einem runden Gesicht, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte und das sie wie einen Teenager aussehen ließ, worunter sie sehr litt. Sie wollte endlich ernst genommen werden, schließlich hatte sie gerade als Grundschullehrerin angefangen. Ihren Schülerinnen und Schülern hatte sie freilich schnell klarmachen können, dass sie zwar noch sehr jung aussah, aber durchaus streng sein konnte, und sie sah an Sabine, dass das jugendliche Aussehen im Alter äußerst vorteilhaft war. Das zumindest war ein kleiner Trost. »Aber eigentlich wollte ich mit dem Auto hinfahren und mich treiben lassen«, fuhr sie fort. »An Gruppenreisen stört mich, dass alles von vornherein festgelegt ist.«
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2023
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»Es war eine wunderbare Reise«, schwärmte Sabine Mittermaier. »Wir hatten ja ein bisschen Sorge, dass es uns nicht gefallen würde, mit einer Gruppe unterwegs zu sein, aber wir haben richtig Glück gehabt. Lauter nette Leute, und es gab eine ganz erstklassige Reisebegleitung.«
»Wir haben gleich überlegt, so etwas noch einmal zu machen«, erklärte ihr Mann Armin. »Man muss sich um nichts selbst kümmern, man sieht viel, und man lernt noch mehr. Und außerdem hat man auch noch Spaß. Ich kann das nur empfehlen.«
Sabine und Armin, beide kurz über sechzig und noch sehr fit, waren mit einer Reisegruppe in Litauen, Lettland und Estland gewesen und erst seit ein paar Tagen zurück in München. Von unterwegs hatten sie ihren beiden Kindern Nachrichten und Fotos geschickt, und an diesem Abend hatten sie die beiden, die fünfundzwanzigjährige Elisabeth, genannt Elli, und ihren zehn Jahre älteren Bruder Ansgar zum Essen eingeladen, um ihnen ausführlicher von der Reise zu erzählen.
»In die baltischen Länder will ich demnächst auch mal«, erklärte Elli. Sie war eine muntere Blondine mit Stupsnase, blauen Augen und einem runden Gesicht, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte und das sie wie einen Teenager aussehen ließ, worunter sie sehr litt. Sie wollte endlich ernst genommen werden, schließlich hatte sie gerade als Grundschullehrerin angefangen. Ihren Schülerinnen und Schülern hatte sie freilich schnell klarmachen können, dass sie zwar noch sehr jung aussah, aber durchaus streng sein konnte, und sie sah an Sabine, dass das jugendliche Aussehen im Alter äußerst vorteilhaft war. Das zumindest war ein kleiner Trost.
»Aber eigentlich wollte ich mit dem Auto hinfahren und mich treiben lassen«, fuhr sie fort. »An Gruppenreisen stört mich, dass alles von vornherein festgelegt ist.«
»Deshalb waren wir vorher ja auch skeptisch, außerdem hatten wir Bedenken wegen der anderen Leute. Wenn man da Pech hat, kann das richtig unangenehm sein«, erwiderte Armin. Sein schmales Gesicht war kantig, über den braunen Augen standen buschige Brauen, auch seine Haare waren noch immer braun und standen ihm widerspenstig vom Kopf ab. »Aber wie ihr gehört habt: Wir hatten Glück. Und natürlich stimmt es, dass alles festgelegt ist, du kannst nicht einfach sagen: Hier gefällt es mir, hier bleibe ich. Aber das wussten wir ja, darauf waren wir eingerichtet.«
»Ansgar brauchen wir gar nicht zu fragen, wie er das fände«, bemerkte Elli mit vergnügtem Grinsen und knuffte ihren älteren Bruder spielerisch in die Seite. Ansgar hatte von beiden Eltern einen Teil des Aussehens geerbt: Er war blond und blauäugig wie seine Mutter, aber das kantige, schmale Gesicht hatte er vom Vater. Und er überragte alle in der Familie um mindestens einen Kopf.
»Er hätte eine organisierte Reise gar nicht erst gebucht«, sagte Sabine. »Stimmt es, Ansgar?«
Der Angesprochene nickte, aß aber gelassen weiter, da er wusste, dass er seine Meinung nicht auch noch mit Worten erläutern musste. Er war ein ›Eigenbrötler‹ – so nannte es seine Mutter. Seine Schwester Elli verzweifelte daran, dass andere ihn manchmal arrogant fanden und nicht sahen, was für ein einfühlsamer Mensch sich hinter seinem verschlossenen Auftreten verbarg. Sein Vater Armin wiederum hatte sich erst ganz allmählich damit abgefunden, dass er, der so gern in Gesellschaft war und als glänzender Alleinunterhalter galt, einen Sohn hatte, den man nur als Einzelgänger bezeichnen konnte. Er nannte Ansgar gelegentlich auch ›schwierig‹, weil er sich so stur weigerte, auch einmal ›Small Talk‹ zu machen, wenn die Situation es erforderte, aber er versuchte nicht mehr, ihn zu ändern.
Ansgar selbst fand, dass er das Gegenteil von schwierig war, nämlich ganz einfach zu verstehen: Er hatte gern Menschen um sich, die er mochte und mit denen er sich etwas zu sagen hatte. Oberflächlichkeit und leeres Geschwätz waren ihm in der Tat zuwider. Er las gern Bücher, die seinen Verstand herausforderten, liebte anspruchsvolle Filme, ging in Konzerte, Museen oder ins Theater. Er sah vieles als Zeitverschwendung an, was andere Menschen erholsam fanden.
Natürlich konnte er auch albern und ausgelassen sein, aber diese Seite kam nur in vertrauten Runden zum Vorschein. Das war es, was sein Vater als ›schwierig‹ bezeichnete: Ansgar war kein Mensch, der schnell Kontakte knüpfte, weil er es anderen Menschen schwer machte, in sein Inneres zu schauen. Fremden gegenüber gab er nichts von sich preis.
Das alles hatte ihm, vor allem bei Ellis Freundinnen, tatsächlich den Ruf einer gewissen Hochnäsigkeit eingetragen, weil er es durchaus fertigbrachte, sich mitten in einem ›Gespräch‹, das seiner Ansicht nach diesen Namen nicht verdiente, umzudrehen und wegzugehen.
»Das Essen war sehr gut, Mama«, sagte er. »Danke, dass du dir so viel Mühe gemacht hast.«
»Es war keine Mühe«, versicherte Sabine. »So schön unsere Reise war, wir haben uns auch sehr gefreut, wieder nach Hause zu kommen. Ich habe Tagebuch geführt, damit wir nicht alles, was wir erlebt haben, schnell wieder vergessen.«
»Was hat euch denn am besten gefallen?«, fragte Elli.
»Riga, die Jugendstilstadt«, antwortete Armin.
»Vilnius, die Barockstadt«, antwortete Sabine, daraufhin lachten beide.
»Wir haben uns das auch schon gefragt und konnten uns nicht einigen«, fuhr Sabine fort. »Riga ist toll, das fand ich auch, es wirkt großzügig, ist teilweise sehr schön saniert, und diese wunderbaren Häuser … sehr beeindruckend. Aber Vilnius war lebendiger, fand ich. Es gibt Viertel dort, da denkst du, du bist irgendwo im Süden. Freilich, das gilt eigentlich für alle drei Länder, sobald du dich etwas abseits der Orte bewegst, wohin auch Touristen fahren, sieht es schnell ganz anders aus, aber das ist bei uns ja auch so. Jedenfalls sind wir überall mit großer Herzlichkeit empfangen worden.«
»Und was waren das nun für Leute, mit denen ihr unterwegs wart?«
»Ganz unterschiedlich«, sagte Armin. »Es waren mehr Ältere, das muss man schon sagen, aber ein paar Junge waren auch dabei. Mit einer von ihnen haben wir uns sogar angefreundet, Laura. Sie ist etwas jünger als du, Elli, und sie hat die Reise allein gemacht. Wahrscheinlich hat sie sich uns deshalb angeschlossen. Wir haben uns gut verstanden und hatten viel Spaß miteinander.«
Elli warf ihrem Bruder einen beziehungsreichen Blick zu, auf den er mit einer gewissen Gereiztheit reagierte. »Hör auf, Elli!«, sagte er. »Fang nicht wieder an, mich verkuppeln zu wollen, du weißt, ich kann das nicht leiden.«
Elli schnitt eine Grimasse, und Sabine sagte schnell, weil sie die Harmonie nicht gefährdet sehen wollte: »Sie wohnt nicht in München, sondern in Bielefeld, keine Sorge.«
Elli fing an zu lachen. »Bielefeld? Ist das nicht die Stadt, die es angeblich nicht gibt? Also, ich habe noch nie jemanden gekannt, der in Bielefeld wohnt.«
»Das wird sich vielleicht bald ändern, denn Laura hat versprochen, uns demnächst zu besuchen. Eine ihrer Tanten, mit der sie sich sehr gut versteht, hat geschäftlich in München zu tun und sie gefragt, ob sie sie nicht begleiten will. Mal sehen, ob sie ihr Versprechen wahr macht.«
»Solange ihr nicht von mir verlangt, dass ich sie dann auch kennenlernen muss«, brummte Ansgar.
Sabine vergaß ihr Bedürfnis nach Harmonie. »Willst du damit sagen, du würdest nicht einmal zum Essen kommen, wenn wir sie einladen?«, fragte sie mit gerunzelter Stirn. »Also, manchmal übertreibst du wirklich, Junge. Du kannst dich doch nicht immer nur in deiner Wohnung vergraben.«
»Das tue ich doch gar nicht! Aber nur weil ihr euch mit dieser Frau befreundet habt, muss ich es doch nicht auch tun!«, protestierte Ansgar.
Sabine fing einen warnenden Blick ihres Mannes auf und ließ das Thema fallen. Sie griff es erst wieder auf, als Ansgar sich bereits verabschiedet hatte. Er war Übersetzter und musste noch arbeiten, was er oft auch abends und an den Wochenenden tat. Er übersetzte Romane aus dem Englischen und Französischen und war zum Glück gut im Geschäft, weil er gründlich und sorgfältig arbeitete.
»Er wird nie eine Frau finden, wenn er so weitermacht«, klagte Sabine.
»Dann lass ihn«, bat Armin. »Es geht ihm doch gut, er sucht keine Frau. Und einen Mann auch nicht. Er ist lieber allein.«
»Einen Mann?«, fragte Sabine.
»Ich habe ihn neulich mal gefragt. Schwul ist er nicht, aber eine Frau sucht er auch nicht«, sagte Armin.
Sabine war erst einmal sprachlos. Elli grinste. »Sag bloß, der Gedanke, er könnte schwul sein, ist dir noch nie gekommen, Mama!«
»Doch, aber ihn einfach zu fragen …«
»Er war nicht schockiert«, erklärte Armin. »Wir haben das Thema relativ kurz abgehakt. Und ich finde, wir sollten aufhören, ohne ihn darüber zu reden. Ansgar ist, wie er ist, und da ich nicht erkennen kann, dass er leidet, sehe ich nicht, warum wir uns immer noch in sein Leben einmischen sollten.«
»Er ist jung, jetzt empfindet er es vielleicht nicht als schlimm, allein zu sein, aber später …«, begann Sabine, doch Elli unterbrach ihre Mutter.
»Er ist überhaupt nicht allein, Mama! Er hat ein paar sehr gute Freundinnen und Freunde, das reicht ihm. Ich finde, Papa hat recht. Wir sollten ihn, was das betrifft, in Ruhe lassen. Auch wenn ich gestehe, dass ich ihn immer noch gerne aufziehe und so tue, als wollte ich ihn verkuppeln.«
»Ich mache mir aber Sorgen«, beharrte Sabine.
Armin beugte sich zu ihr hinüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Sabine lächelte. »Ist schon gut, ich versuche, das Thema nie wieder anzuschneiden«, sagte sie.
Niemand glaubte, dass sie das schaffte, auch sie selbst glaubte es nicht.
*
»Es war also eine richtig schöne Reise«, fasste Laura Cornelius den Bericht zusammen, den sie ihrer Tante Stella soeben geliefert hatte. »Natürlich wäre sie mit dir zusammen noch schöner gewesen, aber ich hatte echt Glück mit Armin und Sabine. Ich war eigentlich immer mit ihnen unterwegs, wenn wir mal freie Zeit zur Verfügung hatten. Es hat alles gut gepasst, obwohl sie so viel älter sind als ich.«
»Aber es waren doch auch jüngere Leute in der Reisegruppe, oder?«, fragte Stella.
»Ja, schon, aber mit denen konnte ich nichts anfangen. Ich weiß auch nicht, wieso, ich habe mich jedenfalls bei Sabine und Armin am wohlsten gefühlt. Die haben eine Tochter, die etwas älter ist als ich und noch einen Sohn. Ich fand es toll, dass sie diese Reise gemacht haben, und sie hatten auch immer viele Fragen an die Reiseleitung, sie wollten echt etwas erfahren über die drei Länder, die wir bereist haben. Mit ihnen habe ich dann auch Ausflüge in Gegenden gemacht, in die ich mich allein wahrscheinlich nicht getraut hätte. Du weißt ja, ich habe keinen guten Orientierungssinn, selbst mit allen meinen neuen Medien schaffe ich es noch, mich zu verirren.«
Stella Cornelius lachte. »Ja, das hast du von meinem Bruder geerbt, fürchte ich. Das heißt, wenn ich deine begeisterten Erzählungen richtig verstanden habe, dass du jetzt noch einen Grund mehr hast, mich nach München zu begleiten?«
»Ich habe den Mittermaiers sogar schon angekündigt, dass sie demnächst mit mir rechnen müssen, sie haben sofort gesagt, dass wir dann zu ihnen zum Essen kommen müssen.«
»Du, ich nicht, ich habe anderes zu tun, du weißt, ich treffe mich mit vielen Leuten in München, Zeit für dich werde ich also kaum haben.«
»Das macht nichts«, sagte Laura unbekümmert, »ich war ja schon mal kurz in München und freue mich darauf, die Stadt besser kennenzulernen. Damals war ich nur etwas mehr als einen Tag da, das hat nicht mal für die wichtigsten Sehenswürdigkeiten gereicht.«
Laura war dreiundzwanzig, hatte den Kopf voll brauner Locken, braune Augen und ein Gesicht, das nicht eigentlich hübsch war, das aber sofort anziehend wirkte, weil sie gern lachte oder lächelte und sich dann zwei niedliche Grübchen in ihren Wangen zeigten. Außerdem hatte sie Sommersprossen auf der Nase, war nicht sehr groß und ein bisschen rundlich, was sie jedoch nicht störte, da sie die Erfahrung gemacht hatte, dass gleichaltrige junge Männer ihre kurvige Gestalt zu schätzen wussten. Laura hatte schon einige Freunde gehabt, aber ›die große Liebe‹ war ihr noch nicht begegnet. »Die kann sich auch ruhig noch Zeit lassen«, sagte sie manchmal, »ich probiere gern noch ein bisschen rum, das macht das Leben interessanter.«
Sie hatte eine Ausbildung zur Goldschmiedin gemacht und war danach von ihrem Ausbilder übernommen worden, doch ein knappes Jahr später war er schwer erkrankt und hatte sein Geschäft schließen müssen. Seitdem war Laura ein wenig orientierungslos. Vor der Selbstständigkeit schreckte sie noch zurück, sie hatte, fand sie, noch zu wenig Erfahrung, und so hatte sie sich halbherzig bei einigen Goldschmieden um eine Anstellung beworben, ohne wirklich interessiert zu sein. Was sie suchte, war nicht nur eine Arbeitsstelle, sondern auch ein Ort, an dem sie sich gern aufhielt und wohlfühlte, wo es einen Austausch über die Arbeit gab und wo sie ihre eigenen Ideen verwirklichen konnte.
So lange sie den nicht fand, jobbte sie als Aushilfe in einem Restaurant, was ihr auch keinen großen Spaß machte und zudem noch schlecht bezahlt war. Ihre Eltern waren unglücklich über Lauras ›Bummelleben‹, aber sie ließ sich nicht drängen. Sie würde die richtige Stelle finden, das wusste sie. Zum Glück drängte ihre Tante sie nicht, sondern sagte einfach: ›Eines Tages wirst du wissen, wohin die Reise gehen soll.‹
Lauras Tante Stella war ein ganz anderer Typ als ihre Nichte: Die dunklen Haare trug sie in einem exakten Kurzhaarschnitt, die grauen Augen im klar geschnittenen Gesicht blickten kühl und abwägend in die Welt, und sie kleidete sich so elegant, dass sie Fremde oft einschüchterte. Man konnte sie sich sofort als Vorstandsvorsitzende eines großen Konzerns vorstellen, wie sie mit klaren Worten eine Bilanz präsentierte oder ihre Untergebenen darauf aufmerksam machte, dass sie ihre Ziele bislang nicht erreicht hatten. Laura kannte ihre Tante nur privat, und da war sie ganz anders: witzig, herzlich, aufgeschlossen. Sie kochte gern und gut für sich und andere, lud regelmäßig Freunde ein und war dann eine großzügige und amüsante Gastgeberin. Aber diesen Teil ihres Wesens bekamen die Leute, mit denen sie beruflich zu tun hatte, in der Regel nicht zu sehen.
Laura jedenfalls liebte ihre Tante heiß und innig, und das beruhte auf Gegenseitigkeit.