Die neue Praxis Dr. Norden 40 – Arztserie - Carmen von Lindenau - E-Book

Die neue Praxis Dr. Norden 40 – Arztserie E-Book

Carmen von Lindenau

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Beschreibung

Die neue Praxis Dr. Norden - So war es nicht geplant, doch Dr. Danny Norden betrachtet es als Chance. Äußere Umstände zwingen ihn zu einem Neustart. Und diesen nimmt Danny tatkräftig in Angriff, auch, wenn er mit Abschied, Trennung, Wehmut verbunden ist. Dr. Danny Norden praktiziert jetzt in seiner neuen, modernen, bestens ausgestatteten Praxis. Mit Kompetenz, Feingefühl und Empathie geht er auf seine Patienten zu und schafft ein Klima, das die Genesung fördert: eben Dr. Danny Norden, wie er leibt und lebt, und er wird immer besser! »Ihr seht nicht wirklich überrascht aus über diese Neuigkeit«, stellte Sophia fest und sah Daniel und Olivia an. »Ehrlich gesagt, wussten wir schon, dass deine Mutter und Markus' Vater sich nahestehen«, gestand ihr Olivia. Sie und Daniel hatten Sophia, Markus, Lydia und Thomas an diesem Sonntag zum Kaffee eingeladen, so wie sie es in regelmäßigen Abständen taten. Es war ein sonniger Nachmittag mit angenehm warmen Temperaturen, und sie hatten den Tisch auf der Terrasse für ihre Gäste gedeckt. Es gab Kirschkuchen mit Sahne, nach Zimt duftenden Kaffee für die Erwachsenen und Kakao für Oda und Vincent, die in ihren Hochstühlen mit ihnen am Tisch saßen. Sie trugen weiße langärmlige T-Shirts und rote Latzhosen und ließen sich den Kuchen schmecken, den Olivia ihnen in ihre Teller gelegt hatte und den sie mit ihren Fingern auseinanderbrachen und genussvoll in ihre Mündchen steckten. »Seit wann wusstet ihr es?«, wollte Sophia wissen und spielte mit den Spitzen ihres langen hellblonden Haares, was sie immer tat, wenn sie verwundert war. »Ophelia hat die beiden gesehen, als sie dich nach der Explosion im Krankenhaus besucht hat«, klärte Daniel Sophia und Markus darüber auf, woher sie von der Verbindung ihrer Eltern wussten. »Da sie nicht wusste, ob die beiden euch bereits von ihrer Beziehung erzählt hatten, wollte sie ihnen nicht vorgreifen«, erklärte ihr Olivia, warum Ophelia nicht mit ihr und Markus über ihre Beobachtung gesprochen hatte. »Sie hofft, ihr seid ihr deshalb nicht böse.« »Aber nein, natürlich nicht. Sie hat doch recht, es war nicht ihre Aufgabe, uns von den beiden zu erzählen.« »So ist es«, stimmte Markus Sophia zu. »Wie auch immer wir davon erfahren haben, es war eine gute Nachricht.«

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Die neue Praxis Dr. Norden – 40 –

Große Erwartungen

Unveröffentlichter Roman

Carmen von Lindenau

»Ihr seht nicht wirklich überrascht aus über diese Neuigkeit«, stellte Sophia fest und sah Daniel und Olivia an.

»Ehrlich gesagt, wussten wir schon, dass deine Mutter und Markus‘ Vater sich nahestehen«, gestand ihr Olivia. Sie und Daniel hatten Sophia, Markus, Lydia und Thomas an diesem Sonntag zum Kaffee eingeladen, so wie sie es in regelmäßigen Abständen taten.

Es war ein sonniger Nachmittag mit angenehm warmen Temperaturen, und sie hatten den Tisch auf der Terrasse für ihre Gäste gedeckt. Es gab Kirschkuchen mit Sahne, nach Zimt duftenden Kaffee für die Erwachsenen und Kakao für Oda und Vincent, die in ihren Hochstühlen mit ihnen am Tisch saßen. Sie trugen weiße langärmlige T-Shirts und rote Latzhosen und ließen sich den Kuchen schmecken, den Olivia ihnen in ihre Teller gelegt hatte und den sie mit ihren Fingern auseinanderbrachen und genussvoll in ihre Mündchen steckten.

»Seit wann wusstet ihr es?«, wollte Sophia wissen und spielte mit den Spitzen ihres langen hellblonden Haares, was sie immer tat, wenn sie verwundert war.

»Ophelia hat die beiden gesehen, als sie dich nach der Explosion im Krankenhaus besucht hat«, klärte Daniel Sophia und Markus darüber auf, woher sie von der Verbindung ihrer Eltern wussten.

»Da sie nicht wusste, ob die beiden euch bereits von ihrer Beziehung erzählt hatten, wollte sie ihnen nicht vorgreifen«, erklärte ihr Olivia, warum Ophelia nicht mit ihr und Markus über ihre Beobachtung gesprochen hatte. »Sie hofft, ihr seid ihr deshalb nicht böse.«

»Aber nein, natürlich nicht. Sie hat doch recht, es war nicht ihre Aufgabe, uns von den beiden zu erzählen.«

»So ist es«, stimmte Markus Sophia zu. »Wie auch immer wir davon erfahren haben, es war eine gute Nachricht.«

»Ja, das war es. Die Liebe kennt eben kein Alter. Wie uns bereits Zacharias und Anja gezeigt haben«, erinnerte Sophia die anderen an Zacharias Neuer.

»Dass das Haus von Herrn Neuer erst durch eine Gasexplosion einstürzen musste, bevor er die Briefe seiner Jugendliebe fand, die seine Mutter vor ihm versteckt hatte, das ist schon eine außergewöhnliche Geschichte«, sagte Lydia.

»Eine mit einem Happy End. Die beiden haben vor ein paar Tagen eine Wohnung gekauft, in die sie gemeinsam einziehen werden, vermutlich noch vor ihrer Hochzeit«, erzählte Sophia.

»Haben Sie schon einen Termin?«, wollte Olivia wissen.

»Nein, noch nicht. Sie werden uns aber rechtzeitig informieren, zumal Ophelia der Ehrengast auf dieser Hochzeit sein wird. Schließlich hat sie diese Briefe gefunden, die die beiden wieder zusammengeführt haben.«

»Ehrengast auf einer Hochzeit und Ehrenmitgliedschaft bei der Feuerwehr, da erwartet unsere Kleine ja einiges, sobald sie von ihrer Australienreise zurück ist«, stellte Lydia lächelnd fest.

»Sie hat Sophias Leben gerettet, dafür werde ich ihr immer dankbar sein«, sagte Markus und legte seinen Arm um Sophia, so als müsste er sie vor der nächsten Gefahr beschützen. »Wie geht es ihr denn im Moment? Genießt sie ihre Reise?«, wollte er von Olivia wissen.

»Sie war gestern mit ihrer Großmutter und Hannes am Ayers Rock, der Anblick war absolut mystisch, so als stünde sie vor einem Tor in eine andere Welt, hat sie gesagt. Und natürlich gefällt ihr auch die Pferdefarm, auf der Hannes‘ Tochter mit ihrer Familie lebt.«

»Das kann ich gut nachempfinden. Sollte Ophelia nach ihrer Rückkehr die Pferdefarm vermissen, kann ich ihre Sehnsucht lindern. Sie kann jederzeit das Gestüt meiner Familie besuchen«, sagte Sophia. In Ophelias Alter hatte sie viel Zeit auf dem familieneigenen Gestüt verbracht und hatte sich auch um die Pflege der Pferde gekümmert. Inzwischen besuchte sie das Gestüt nur noch, wenn ihr nach einem Reitausflug zumute war.

»Warten wir mal ab, welche neuen Hobbys Ophelia noch haben wird, wenn sie wieder da ist«, entgegnete Olivia lächelnd.

»Ophi wieder da?«, fragte Vincent und sah seine Mutter mit seinen großen blauen Augen verwundert an.

»Ja, Ophi da!«, rief Oda und sah zur Terrassentür, weil sie wohl hoffte, dass ihre Schwester gleich zu ihnen auf die Terrasse kommen würde.

»Nein, ihr beiden, Ophelia ist noch verreist«, erklärte Olivia den Zwillingen, die zwischen ihr und Daniel an dem runden Tisch saßen.

»Ophi wiederkommen, bitte«, sagte Oda und sah Daniel und Olivia an.

»Sie kommt bald wieder, Schätzchen«, tröstete Daniel seine Tochter, die direkt neben ihm saß.

»Leute, das tut mir jetzt echt leid, ich wollte die beiden nicht traurig machen«, sagte Sophia.

»Aber nein, du musst dir keine Sorgen darüber machen. Ophelia hat uns für heute einen Videoanruf angekündigt, das wird sie gleich wieder aufbauen«, versicherte ihr Olivia.

»Okay, um das Thema zu wechseln, ich nehme nächste Woche doch an dem Fortbildungslehrgang der Feuerwehr teil, dem für die Sanitäter«, sagte Lydia. »Ich würde den anderen gern von der Phagen-Therapie in unserer Praxis erzählen. Wäre das okay für dich?«, wandte sie sich Daniel zu.

»Wenn du das möchtest, nur zu.«

»Es könnte aber sein, dass die Ärzte, die den Lehrgang leiten, nicht ganz so überzeugt von dieser Therapie sind wie wir.«

»Kein Problem. Ich weiß, dass noch nicht alle Kollegen und Kolleginnen dieser Therapie vertrauen. Irgendwann werden sie aber auch darauf kommen, dass wir andere Ansätze brauchen, um schädliche Bakterien zu bekämpfen.«

»Linus, der junge Mann, dessen Lebensqualität du bereits verbessert hast, ist wohl das beste Beispiel, dass die Therapie funktioniert«, sagte Olivia.

»Eine Therapie, die in osteuropäischen Ländern schon seit Jahrzehnten zum Standard gehört, weil dort zu Zeiten des Eisernen Vorhangs nicht immer Antibiotika zur Verfügung standen. Sie sind ihren eigenen Weg gegangen, was uns jetzt möglicherweise aus dieser Misere mit den Antibiotikaresistenzen heraushelfen könnte«, entgegnete Lydia.

»Zumindest haben sich diese Bakterien fressenden Viren bei Linus‘ chronischer Darmentzündung bereits als äußerst nützlich erwiesen«, sagte Sophia.

»Wenn die Forschung weiterhin die Möglichkeiten der Phagen-Therapie untersucht, dann werden wir in Zukunft sicher noch weitere Krankheiten lindern oder sogar heilen können.«

»Und das, im Gegensatz zu Antibiotika, sogar ohne größere Nebenwirkungen«, stimmte Lydia Daniels optimistischer Einschätzung der Phagen-Therapie zu.

»Wenn ich das richtig verstehe, dann sind diese Phagen also Viren, die in der Lage sind, Bakterien zu zerstören?«, fragte Markus.

»Richtig, allerdings lassen sie sich nicht einfach pauschal einsetzen. Nur bestimmte Phagen reagieren auf bestimmte Bakterien. Eine erfolgreiche Therapie setzt voraus, dass zunächst die krankmachenden Bakterien und die dazu passenden Phagen identifiziert werden«, erklärte ihm Daniel.

»Das bedeutet für jeden Patienten eine spezielle Therapie?«

»So ist es«, stimmte Daniel Markus zu.

»Das klingt nach viel Aufwand und hohen Kosten.«

»Richtig, im Moment ist diese Therapie noch sehr aufwendig.«

»Wird sie denn von den Krankenkassen bezahlt?«, wollte Markus wissen.

»Nein, bei uns bisher nicht, inzwischen gibt es aber auch bei uns Studien, die hoffentlich zu einer offiziellen Zulassung führen werden. Um meine Patienten behandeln zu können, habe ich mich bereit erklärt, an einer dieser Studien mitzuwirken.«

»Das heißt, du bekommst Zugang zu dieser Therapie, falls einer deiner Patienten sich mit Phagen behandeln lassen möchte?«

»Im Gegenzug überlasse ich den Wissenschaftlern die Daten der Therapie, was natürlich das Einverständnis meiner Patienten voraussetzt.«

»Das heißt, wenn jemand mit Beschwerden zu dir kommt, die mit Antibiotika nicht mehr in den Griff zu bekommen sind, dann könntest du denjenigen in dieser Studie unterbringen.«

»So ist es, allerdings kann ich niemandem ein Wunder versprechen. Im Moment sind wir noch nicht so weit, dass sich mit dieser Therapie jede Entzündung heilen lässt, aber ich bin sicher, dass sich das Behandlungsspektrum bald erweitern wird.«

»Wir haben wohl zu lange auf unsere schnell verfügbaren Antibiotika vertraut.«

»Antibiotika haben viele Leben gerettet, wir hätten sie nur nicht wie Bonbons für jede Kleinigkeit verschreiben dürfen.«

»Nein, Bonbons, Papa. Bonbons bäh!«, rief Oda und schüttelte den Kopf.

»Ja, Ophi sagt hat«, erklärte Vincent, wer sie zu dieser Einsicht gebracht hatte, als alle am Tisch sich über das Gesundheitsbewusstsein der Zwillinge wunderten.

»Eure Schwester ist wirklich eine umsichtige große Schwester. Ich hoffe, ihr hört am besten auch in Zukunft auf ihre Ratschläge«, sagte Olivia.

»Ja, Ophi immer zuhören«, erklärte Oda.

»Ophi Oda und Vince lieb hat«, sagte Vincent und sah seine Mutter lächelnd an.

»Ja, mein Schatz, sie hat euch beide sehr sehr lieb«, entgegnete Olivia und streichelte zuerst ihm und danach Oda zärtlich über das Haar.

»Eine große Schwester scheint ein enormer Vorteil zu sein, wenn es um die Entwicklung der Persönlichkeit geht«, stellte Lydia lächelnd fest.

»Noch mehr Kuchen haben, bitte!«, rief Vincent und klopfte mit seinem Teller auf den Tisch seines Hochstuhls.

»Oda auch mehr Kuchen haben!«, schloss sich seine Schwester gleich an.

»Ich würde auch noch ein Stück nehmen«, sagte Daniel.

»Noch jemand?«, fragte Olivia.

»Ja, bitte«, sagten Sophia und Lydia und auch Thomas und Markus nickten zustimmend.

»Wer weiß, welche Therapien es geben wird, wenn Oda und Vincent erwachsen sind«, kam Lydia wieder auf die Medizin zu sprechen, nachdem Olivia jedem noch ein Stück Kuchen auf den Teller gelegt hatte.

»Das Beste wäre, es gäbe keine Krankheiten mehr, aber das ist wohl ein Wunsch, der sich nicht erfüllen wird«, seufzte Sophia.

»Nein, vermutlich wird daraus nichts werden«, stimmte Daniel ihr nachdenklich zu.

»Das ist wohl für euch«, stellte Olivia lächelnd fest, als ihr Telefon läutete und Ophelias Foto auf dem Display erschien. »Hallo, mein Schatz, ich reiche dich gleich an deine Geschwister weiter. Sie haben große Sehnsucht nach dir«, sagte sie, nachdem sie das Gespräch angenommen hatte.

»Hallo, ihr beiden«, begrüßte Ophelia die Zwillinge, als Olivia das Telefon vor sie auf den Tisch legte.

»Ophi da!«, riefen die beiden und dann hörten sie genau zu, was Ophelia ihnen erzählte.

Nach ihrem Gespräch mit Ophelia wollten sie aus ihren Hochstühlen heraus. Olivia, Sophia und Lydia gingen mit ihnen in den Garten zu ihrem Sandkasten, Thomas und Markus räumten den Tisch ab und Daniel holte den Grill aus der Garage. Sie hatten beschlossen, auch den Abend gemeinsam mit den Freunden zu verbringen.

»Ich glaube, ich hätte auch gern eine große Familie«, sagte Sophia, als sie später, nachdem die Zwillinge schon schliefen, noch ein Glas Wein tranken.

»In Ordnung, ich habe nichts dagegen«, entgegnete Markus lächelnd und zog Sophia zärtlich an sich.

*

»Das mit den Phagen, scheint wirklich zu funktionieren«, raunte Sophia Lydia zu, als Linus Sendling in Begleitung seiner Freundin Nina am Montagmorgen in die Praxis Norden kam.

Sie standen hinter dem modernen weißen Tresen in dem hellen Eingangsbereich und schauten auf Linus, einen schlanken jungen Mann Mitte zwanzig mit hellen Augen und dunklem Haar. Er war nicht mehr so blass wie noch vor ein paar Wochen, und er hatte wohl auch ein paar Pfund zugenommen.

»Guten Morgen, ich möchte mir meine nächste Spritze abholen«, sagte Linus, als er gleich darauf vor dem Tresen stand.

»Sehr gern, Herr Sendling, nehmen Sie noch einen Augenblick im Wartezimmer Platz«, bat Lydia.

»Ihm geht es so gut, wie schon lange nicht mehr. Vielleicht wird er irgendwann ganz von seinen Beschwerden geheilt sein«, sagte Nina. Die sportliche junge Frau mit dem kurzen blonden Haar streichelte Linus über den Arm und betrachtete ihn mit einem liebevollen Lächeln.

»Das erscheint mir im Moment nicht sehr wahrscheinlich, ich wäre schon glücklich, wenn sich mein Zustand auf dem momentanen Niveau einpendeln würde«, entgegnete Linus.

»Sei mal ein bisschen zuversichtlich, was diese neue Therapie betrifft«, bat Nina ihn und stupste ihm lächelnd in die Seite.

»Das bin ich doch, ich bin nur nicht ganz so euphorisch wie du. Ich glaube eben nicht an Wunder.«

»Ach nein?«, fragte Nina schmunzelnd.

»Gehen wir ins Wartezimmer«, sagte Linus.

»Ganz, wie du willst, mein Schatz«, antwortete Nina gut gelaunt.

»Das war gerade ein bisschen merkwürdig«, raunte Lydia Sophia zu.

»Du meinst, das mit dem an Wunder glauben?«

»Ja, das meine ich, aber egal, das geht uns ja nichts an«, sagte Lydia und wandte sich der älteren Frau zu, die gerade die Praxis betrat. »Guten Morgen, Frau Rädenbach«, begrüßte sie die Mittsiebzigerin in dem hellbraunen Dirndl, die in ihrer Nachbarschaft wohnte und die sie schon seit ihrer Kindheit kannte.

»Guten Morgen, Lydia, ich möcht gern zum Herrn Doktor. Ich glaub, ich hab mir da was eingefangen.«

»Was eingefangen?«, fragte Lydia und sah Frau Rädenbach an, die auf einmal ein wenig nervös wirkte.

»Mei, es ist halt was Komisches an meinen Fußzehen. Ich war in letzter Zeit oft zum Schwimmen im Hallenbad, weil ich doch abnehmen möcht«, sagte sie. »Vielleicht ist es ein Fußpilz«, fügte sie flüsternd hinzu.

»Lassen Sie einfach mal den Herrn Doktor draufschauen, dann wissen Sie Bescheid«, entgegnete Lydia, während sie das Versicherungskärtchen von Frau Rädenbach einscannte.

»Deshalb bin ich ja hier«, erklärte Frau Rädenbach. »Aber sag, wie geht es denn dem Zacharias Neuer? Ich hab gehört, er lässt sein Haus nicht mehr aufbauen und will das Grundstück verkaufen. Wo will er denn jetzt wohnen?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Lydia freundlich.

»Geh, Lydia, du warst doch neulich dabei, als die Feuerwehr einige seiner privaten Dinge wie Fotoalben und Papiere aus dem Keller auf seinem Grundstück geholt hat. Hat er denn nicht erzählt, wo er jetzt hin will?«

»Ehrlich, Frau Rädenbach, ich weiß nicht, wo er in Zukunft wohnen wird«, versicherte ihr Lydia. Noch wusste sie ja wirklich nur, dass Zacharias eine Wohnung gekauft hatte, aber nicht, wo genau diese Wohnung war.

»Na gut, dann muss ich abwarten, bis ich ihn mal beim Einkaufen treffe«, seufzte Frau Rädenbach. »Oder ich frag die Gusti«, erklärte sie lächelnd, als sie ins Wartezimmer schaute und Gusti Meier, eine von Daniels treuesten Patientinnen und stets gut informierte Nachbarin, dort sitzen sah.

»Sind unsere Nachbarn jetzt einfach nur neugierig oder eher am Leben der anderen, die sie kennen, interessiert?«, wandte sich Lydia mit einem nachdenklichen Blick an Sophia, nachdem Frau Rädenbach ins Wartezimmer gegangen war.

»Unsere Nachbarn passen aufeinander auf, ist doch egal, wie man das nennt«, sagte Sophia und schaute in das Wartezimmer mit den gelben Sesseln und den hochgewachsenen Grünpflanzen, das nur durch eine Glaswand von der Diele getrennt war.

»Du hast recht, wichtig ist nur, dass die Menschen nicht die Augen vor den Sorgen ihrer Nachbarn verschließen«, stimmte Lydia Sophia zu. »Ich gehe dann mal ins Labor und kümmere mich um die Blutentnahmen.«

»Alles klar, und ich empfange die netten Menschen aus der Nachbarschaft«, entgegnete Sophia lächelnd.

»Ist nicht wahr, er zieht tatsächlich mit seiner Jugendliebe zusammen«, wunderte sich Frau Rädenbach, die neben Gusti Meier, einer gut gelaunten älteren Frau im blauen Trachtenkostüm, Platz genommen und sie nach Zacharias gefragt hatte.

»Ich find es schön, dass er noch mal jemand gefunden hat«, sagte Gusti.

»Genauso ist es«, stimmte ihr eine ältere Frau zu, die den beiden gegenübersaß. »Mei, und was sagen denn die jungen Leute dazu? Ihr kennt doch den Zacharias Neuer auch«, wandte sie sich Linus und Nina zu, die auf den beiden gelben Sesseln unter dem Fenster saßen.

»Ich finde, wir sollten uns alle für Herrn Neuer freuen, dass er nach dem Tod seiner Frau noch einmal eine neue Liebe gefunden hat«, sagte Nina. Im Gegensatz zu Linus war sie in dieser Nachbarschaft aufgewachsen und hatte auch die Frau von Herrn Neuer gekannt.