Die Odyssee der Vergessenen - Khalil Diallo - E-Book

Die Odyssee der Vergessenen E-Book

Khalil Diallo

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Beschreibung

Wie kommt es dazu, dass ein anerkannter Schriftsteller, eine junge Feministin und zwei Jugendfreunde, die alle aus Westafrika stammen, sich auf den illegalen Routen nach Europa wiederfinden? Auf einer gnadenlosen und intensiven Odyssee zwischen der Westküste Afrikas und dem Mittelmeer erzählt Khalil Diallo die Geschichte von Sembouyane und seinem Freund Idy, die fliehen, nachdem ihr Dorf von Milizen überfallen wurde, und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern und nimmt uns mit in den Strom der Tausenden von Migrierenden, die, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die Wüste durchqueren, um ans Meer und an eine Überfahrt nach Europa zu gelangen. Nichts wird ihnen erspart bleiben, aber trotz der Enttäuschungen und des Leids werden sie nicht aufhören, zu träumen und für ihr unveräußerliches und universelles Recht auf Würde zu kämpfen. Der Roman zeichnet in poetischer Sprache ein kompromissloses Bild Afrikas im 21. Jahrhundert und der Lebensrealitäten vieler Migrantinnen und Migranten nach und macht sie dabei in ihrer Individualität, mit ihren Hoffnungen und Ängsten sichtbar. Ein kompromissloser Roman über Freundschaft, Solidarität und Erinnerung.

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Über dieses Buch

Die Odyssee der Vergessenen wirft einen kompromisslosen Blick auf die Lebenswirklichkeit von Flüchtenden auf dem afrikanischen Kontinent und macht die Menschen dabei in ihrer Individualität, mit ihren Hoffnungen und Ängsten sichtbar. Eine ergreifende Geschichte über Freundschaft, Solidarität und Erinnerung.

Über den Autor

Khalil Diallo, geboren 1992, ist einer der vielversprechendsten jungen Schriftsteller des afrikanischen Kontinents. Er wurde in Mauretanien geboren und lebt in Dakar. Er war Finalist von zahlreichen Literaturpreisen, u.a. beim Prix Orange du Livre en Afrique 2019. 2021 wurde er mit dem Prix Ahmed Baba ausgezeichnet. Die Odyssee der Vergessenen ist Diallos zweiter Roman.

Über die Übersetzerin

Astrid Bührle-Gallet, geboren 1978 in Stuttgart, studierte Französisch und Kunsterziehung. Seit 2006 lebt sie in Frankreich, wo sie zunächst deutsche Sprache, Literatur und Landeskunde an verschiedenen Hochschulen unterrichtete und gleichzeitig künstlerisch tätig war. Heute übersetzt sie literarische und philosophische Werke ins Deutsche.

Für alle Vergessenen,

Für Faruq und Abdou Khadre,

Die Erinnerung möge ein Bollwerk bleiben.

Für meine Lehrmeister Abu Abass und Ahmed,

mehr als ein Buch, ein ganzes Leben sei euch gewidmet.

Für meinen Freund, Lehrmeister und Vater,

Für Majnun,

Die seltene Perle möge unseren Weg erhellen.

Inhalt

Über dieses Buch

Über den Autor

Über die Übersetzerin

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Danksagung

»Wir können übrigens von keinem sicher sagen, er sei unschuldig, während wir unbedenklich behaupten dürfen, dass alle schuldig sind. Jeder Mensch zeugt vom Verbrechen aller anderen, das ist mein Glaube und meine Hoffnung.«

Albert Camus, Der Fall

»Sich dem Werk zu nähern, in seinem Kielwasser zu schwimmen, bedeutet den sicheren Tod.«

Roberto Bolaño, Die wilden Detektive

…‥ Route von Sembouyane

Das Leben ist eine Qual. Ein Exil. Der Mensch ist verirrter Sternenstaub. Er handelt nie. Das übernehmen die Geister für ihn. Alles, was er in seinem Dasein erlebt, wurde nach unserem Glauben schon lange vor seiner Geburt festgelegt.

Wenn die Menschen geboren werden, steht ihr Leben im Wesentlichen schon irgendwo geschrieben – über ihren Köpfen vielleicht oder auf unsichtbaren Tafeln, die die Geister verwahren. Die Legende lässt keinen Zweifel zu: Unser Schicksal ist durch den Ort, die Umstände, die Uhrzeit der Geburt und unseren Vornamen bereits vorbestimmt.

Das meine bildete da keine Ausnahme. Ich wurde in einem Dorf in Westafrika geboren, das Malaimé, Ungeliebt, heißt, in einer Faniké-Nacht. Obgleich während dieser uralten Zeremonie, die die Beschneidung beschließt, der Sage unserer Ahnen nach niemand geboren wird.

Am Tag meiner Geburt heulte der Himmel so schrecklich, dass es ihm beinahe die Stimmbänder zerriss. Die Luft war schwül. Im ganzen Land nur Angst, Schrecken und entfesselte Natur. Der Guru, der hergekommen war, um meine Geburt zu feiern und meinen Vornamen zu verkünden, sprach am nächsten Tag einige Beschwörungsformeln, die nur die Eingeweihten kennen, und sagte dann meinen Namen, den mein Vater nach einer Beratung mit den Medizinmännern des Dorfes ausgesucht hatte, in jedes meiner Ohren. Ich erhielt den Namen Sembouyane: »Der, den niemand haben will«. So schlugen sie dem Fluch ein Schnippchen und retteten mich vor dem Zorn der bösen Geister und dem Appetit der zahlreichen Säuglingsfresser in Malaimé, das mitten in dem kleinen Land Forédougou liegt – was »das Land des Waldes« bedeutet. Diese nicht einmal einen Kilometer lange Enklave zwischen dem Senegal und Guinea ist ganz von Wald umschlossen und hat sonst keine anderen Ressourcen.

Einige Jahre zuvor hatte man das gesamte Gleichgewicht der Region leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Der Dorfälteste und die Medizinmänner in seinem Gefolge hatten unsere Schutzgeister herausgefordert, indem sie die ihnen zugedachten Opfergaben verringerten. Seither haben die Geister sich von uns abgewendet, und der Krieg hat sich in den Herzen der Menschen eingenistet.

Forédougou ist ein rechtsfreier Raum geworden. Ein gespaltenes Land. Der Süden, zu dem die Gegend gehört, in der wir leben, wird von den Anhängern des Lagers kontrolliert, das seit über zwanzig Jahren an der Macht ist, während der Norden von den Nationalisten besetzt ist, einer Bande von Söldnern, die größtenteils vorbestraft sind. Die einen vergewaltigen, töten und berauben die Bevölkerung hemmungslos, und die anderen schließen Abkommen mit ihnen und füllen sich so einfach nur die Taschen. Alle, die – wie mein Onkel und vor ihm schon sein Vater – einen Waffenstillstand oder ein baldiges Ende des Konflikts erwartet hatten, sind inzwischen unter der Erde.

Ich war gerade fünfzehn geworden, als sich die Lage noch verschlimmerte. Die Dürre und ein Buschfeuer verwüsteten den ganzen Wald und vernichteten unsere sämtlichen Lebensmittel. Unsere Umgebung hat sich völlig verändert. Und nun kommen wir überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Von morgens bis abends rattern automatische Gewehre, donnern Explosionen und krachen Granaten.

Unser Land ist zu einem Wartesaal geworden, der direkt in die Hölle führt, zu einem Ort, vor dem das Fegefeuer erbleicht. Die Hauptstraße ist voller ausgemergelter Tiere, verwesender Kadaver, Bettler, Leprakranker und Einarmiger, Minenopfer liegen mit ihren bloßen Stümpfen auf dem nackten Boden, sie fressen Staub, stöhnen, schreien, flehen und hoffen, dass ihnen ein Passant, der Himmel oder irgendein Messias wenigstens einen Tropfen Wasser und einen Bissen Hirse schenkt. Mangels medizinischer Hilfe und einer Lebensmittelversorgung warten alle im Dorf nur noch auf den erlösenden Tod.

Auch der Natur ist großes Leid widerfahren. Sie wurde ihrer Fauna beraubt, ist zum bloßen Schlachtfeld degradiert worden, und jedes Fleckchen Erde ähnelt einem Grab. Die Medien des Kontinents und Radio France Internationale berichten über die sogenannte Lage vor Ort und die Zahlen des Konflikts. Für die internationale Öffentlichkeit sind wir nur noch Statistiken.

Zum Glück steht mir in dieser schwierigen Zeit Großvater zur Seite. Wenn ich nicht gerade den Borstenhörnchen Fallen stelle oder mit Idy auf Stachelschweinjagd bin, verbringe ich ganze Vormittage auf einem seiner Äste. Großvater ist ein Kapokbaum, der größte Baum im Wald. Die Seelen meiner Ahnen haben bei ihm Zuflucht vor den maurischen und europäischen Sklavenhändlern gefunden. Ich spreche in meiner Sprache mit ihm, und er antwortet mir mit der Stimme der Weisen. Jeden Abend bei Sonnenuntergang plaudere ich mit ihm, ohne dass uns irgendjemand hört. Wir haben Geheimnisse miteinander. Er lehrt mich Geduld, und ich amüsiere ihn mit meiner Naivität.

Großvater spricht von Paris, der Stadt, in der so viele Schriftsteller gelebt haben, und erzählt mir Geschichten aus Romanen, die er als »Klassiker« bezeichnet. Durch ihn lerne ich die Literatur kennen.

Dabei wurzelt er schon seit Jahrhunderten unter unserem Himmel und hat sich nie aus diesem Wald, in dem ich ihn jeden Tag treffe, weggerührt. Und doch preist gerade er mir die Vorzüge des Reisens. Durch seine Freundschaft mit dem Wind, den Zugvögeln und den Meeresströmungen weiß er viele Dinge und lehrt sie mich. Er bringt mir die Toleranz nahe und mahnt mich, immer daran zu denken, dass die Menschen einander nicht hassen – es fällt ihnen nur schwer, einander zu verstehen.

Die einzigen Momente, in denen ich Zärtlichkeit erlebe, wenn ich nicht bei Großvater bin, sind die Augenblicke, in denen ich Diary zum Lächeln bringe. Sie ist die älteste Tochter des besten Freundes meines Vaters. Unsere Concessions sind weit voneinander entfernt, aber unsere Felder liegen nebeneinander und unsere Eltern pflegen gute Beziehungen.