Die Perlenprinzessin. Kannibalen - Iny Lorentz - E-Book
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Iny Lorentz

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Beschreibung

Traumhafte Strände, gefährliche Kannibalen und eine dramatische Familien-Fehde: Im 2. Teil der historischen Familiensaga »Die Perlenprinzessin« entführt Bestseller-Autorin Iny Lorentz in die Südsee Anfang des 19. Jahrhunderts. Fernab ihrer verfeindeten Familien in Hamburg soll für Ruht und Hinrich Mensing auf der Südsee-Insel Hiva Oa ein neues Leben beginnen: Hinrich möchte dort den Stamm der Hanatea zum Christentum bekehren – Berichte über Kannibalen auf der Insel hält er für übertrieben. Tatsächlich wird das junge Ehepaar freundlich aufgenommen. Ruth schließt schnell Freundschaft mit der Frau des Häuptlings und beginnt, die Sprache der Hanatea zu lernen. Das gefällt Hinrich zwar nicht besonders, andererseits gelingt es ihm aber dank Ruths Hilfe mehr als einmal, die Hanatea zu beeindrucken und zu einem geachteten Mitglied des Stammes aufzusteigen. Bald ist er überzeugt, große Fortschritte als Missionar zu machen. Als jedoch ein feindlich Stamm das Dorf überfällt, muss Hinrich erkennen, wie sehr er die alten Götter der Hanatea unterschätzt hat … Der erste Teil der historischen Familiensaga, »Die Perlenprinzessin – Rivalen«, erzählt, wie es zu der erbitterten Feindschaft zwischen den Hamburger Reeder-Familien Simonson und Mensing kommt. Entdecken Sie auch die anderen historischen Familiensagas von Bestseller-Autorin Iny Lorentz: Berlin-Trilogie (Berlin, 19. Jahrhundert: Tage des Sturms, Licht in den Wolken, Glanz der Ferne) Preussen-Trilogie (Ost-Preussen & Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts: Dezembersturm, Aprilgewitter, Juliregen) Die Auswanderer-Saga (USA / Texas, 19. Jahrhundert: Das goldene Ufer, Der weiße Stern, Das wilde Land, Der rote Himmel

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Iny Lorentz

Die Perlenprinzessin– Kannibalen –

Roman

Knaur e-books

 

Über dieses Buch

Traumhafte Strände, gefährliche Kannibalen und eine dramatische Familien-Fehde:Im 2. Teil der historischen Familiensaga »Die Perlenprinzessin« entführt Bestseller-Autorin Iny Lorentz in die Südsee Ende des 18. Jahrhunderts.

Fernab ihrer verfeindeten Familien in Hamburg soll für Ruth und Hinrich Mensing auf der Südsee-Insel Hiva Oa ein neues Leben beginnen: Hinrich möchte dort den Stamm der Hanatea zum Christentum bekehren – Berichte über Kannibalen auf der Insel hält er für übertrieben.

Tatsächlich wird das junge Ehepaar freundlich aufgenommen. Ruth schließt schnell Freundschaft mit der Frau des Häuptlings und beginnt, die Sprache der Hanatea zu lernen. Das gefällt Hinrich zwar nicht besonders, andererseits gelingt es ihm aber dank Ruths Hilfe mehr als einmal, die Hanatea zu beeindrucken und zu einem geachteten Mitglied des Stammes aufzusteigen. Bald ist er überzeugt, große Fortschritte als Missionar zu machen.

Als jedoch ein feindlich Stamm das Dorf überfällt, muss Hinrich erkennen, wie sehr er die alten Götter der Hanatea unterschätzt hat …

Der erste Teil der historischen Familiensaga, »Die Perlenprinzessin – Rivalen«, erzählt, wie es zu der erbitterten Feindschaft zwischen den Hamburger Reeder-Familien Simonson und Mensing kommt.

 

Entdecken Sie auch die anderen historischen Familiensagas von Bestseller-Autorin Iny Lorentz:

~ Berlin-Trilogie (Berlin, 19. Jahrhundert: Tage des Sturms, Licht in den Wolken, Glanz der Ferne)

~ Preußen-Trilogie (Ost-Preußen & Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts: Dezembersturm, Aprilgewitter, Juliregen)

~ Die Auswanderer-Saga (USA/Texas, 19. Jahrhundert: Das goldene Ufer, Der weiße Stern, Das wilde Land, Der rote Himmel

Inhaltsübersicht

Was in Band eins geschahErster Teil | Über die Meere1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. KapitelZweiter Teil | Tahiti1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. KapitelDritter Teil | Am Ziel1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. KapitelVierter Teil | Die Walfänger1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. KapitelFünfter Teil | Üble Schliche1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. KapitelSechster Teil | Glück und Unglück1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. KapitelSiebter Teil | Intrigen1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. KapitelAchter Teil | Schlimme Tage1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. KapitelNeunter Teil | Todeszauber1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. KapitelZehnter Teil | Das Verhängnis1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. KapitelHistorischer ÜberblickGlossarPersonen
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Was in Band eins geschah:

Rivalen

Die beiden Hamburger Kapitäne Simon Simonsen und Jörgen Mensing sind Rivalen um die Gunst der schönen Mina Thadde. Als Mensing die Reedertochter durch Intrigen gewinnt, wird aus der Rivalität bittere Feindschaft. Mit Minas Mitgift baut Mensing eine kleine Reederei auf. Simon Simonsen erhält durch seinen einstigen Schiffer Hauke Lüders eine Chance. Im Gegenzug muss er dessen Tochter Erna heiraten, von der es heißt, sie habe mehr Haare auf den Zähnen als auf dem Kopf. Die Ehe wird trotzdem glücklich, denn Erna ist nicht nur eine ausgezeichnete Hausfrau, sondern auch eine kluge Partnerin beim Aufbau seiner Reederei.

Simon Simonsen macht sich in der Folge mit dem Handelsschiffer Samuel Bartlett und dem englischen Seeoffizier Gervase Smyth zwei weitere Feinde. Sein Sohn Jakob Simonsen rettet etliche französische Royalisten vor der Guillotine. Darunter ist auch Frieda, seine spätere Ehefrau.

Als Napoleon Bonapartes Truppen Hamburg besetzen, folgen schlimme Jahre. Simon Simonsen wird von Jörgen Mensings Sohn Derek als englischer Spion denunziert und von den Franzosen standrechtlich erschossen. Jakob und Frieda Simonsens kleine Tochter Ruth erschießt mit der Pistole einen französischen Soldaten, der ihre Mutter vergewaltigen will.

Jörgen Mensing überlebt den Krieg ebenfalls nicht. Simon Simonsens einstige Liebe Mina Mensing will eine Aussöhnung zwischen den Familien herbeiführen und bittet ihren Enkel Mathias, Ruth Simonsen zu heiraten. Mathias will jedoch die Simonsens vernichten und gleichzeitig seinen Bruder Hinrich aus dem Weg schaffen, um alleiniger Herr der Reederei zu werden. Um das zu erreichen, schlägt er vor, dass Hinrich und Ruth heiraten sollen.

Da Mathias Mensing seinem Bruder den Posten eines Missionars in der Südsee verschafft hat, müssen Ruth und Hinrich nach ihrer Heirat überstürzt nach England aufbrechen, damit sie das Schiff erreichen, das sie dorthin bringen soll. Angeblich leben auf der ausgewählten Insel Eingeborene, die sanften Gemüts und leicht zu lenken sein sollen.

Kapitän dieses Schiffes ist Gervase Smyth, ein Handlanger von Samuel Bartletts Sohn Zechariah und ebenfalls ein Feind der Simonsens. An Bord ist außerdem James Hutton, ein Verwandter von Zechariah Bartletts Ehefrau Ellinor. Aufgrund der komplizierten Erbregelung der Huttons steht dieser zwischen Ellinor und ihrer Nachfolge ihres Vaters als Countess of Huttonsfield. Sowohl Ruth und Hinrich Mensing wie auch James Hutton sollen den Befehlen Zechariah Bartletts und Mathias Mensings zufolge die Südsee nicht mehr lebend verlassen.

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Erster Teil

Über die Meere

1.

Ruth Mensing stand an der Reling und hielt sich mit einer Hand daran fest, während ihr Blick über das Deck der HMS Hesione schweifte. Nicht weit von ihr unterhielt sich ihr Ehemann Hinrich mit dem Kapitän des Schiffes. Obwohl Gervase Smyth ihnen die Ehre erwiesen hatte, an seiner Tafel speisen zu dürfen, und sich auch sonst leutselig gab, wurde sie mit ihm nicht warm. Er war ein hagerer Mann mit faltigem Gesicht und durchdringenden hellen Augen, und ihr war bald klar geworden, dass sie es mit einem durch und durch unzufriedenen Menschen zu tun hatte. Zudem gingen ihr seine Ausfälle gegen seinen ersten Offizier James Hutton gegen den Strich, die dieser wohlerzogen über sich ergehen ließ. Für ihr Gefühl schien Smyth nur darauf zu lauern, dass Hutton einmal die Geduld verlor und gegen ihn aufbegehrte.

Unwillkürlich suchte ihr Blick den jungen Offizier. James Hutton befand sich vorne beim Fockmast und ließ dessen Segel trimmen. In ihren Augen war er ein weitaus besserer Seemann als sein Kapitän. Als Tochter und Enkelin von Männern, die lange Jahre zur See gefahren waren, verstand sie genug von der Seefahrt, um das erkennen zu können.

Sie hatte sich sogar die Grundzüge der Navigation angeeignet, weil ihr Bruder Jeremias jemanden gebraucht hatte, der ihn beim Lernen unterstützte. Daher traute sie es sich durchaus zu, ein kleines Schiff zu steuern, und sie konnte erkennen, dass die HMS Hesione ausgezeichnet am Wind lag und schätzungsweise mehr als sechs Knoten in der Stunde zurücklegte. Dies war allerdings nicht Smyths Verdienst, sondern der von Lucky Jim, wie die Mannschaft den Ersten Offizier unter sich nannte. Dessen Fähigkeiten nutzte Captain Smyth kräftig aus, indem er die Schiffsführung zum größten Teil ihm überließ.

Als die HMS Hesione eine Woche zuvor in einen Sturm geraten war, hatte Smyth Hutton holen lassen, obwohl dieser erst eine halbe Stunde zuvor abgelöst worden war. Er selbst hatte sich danach in seiner Kabine verkrochen und aus Feigheit diese Kursänderung befohlen. Eigentlich hätten sie Kap Hoorn umsegeln sollen, aber mittlerweile hatte der Kapitän den Befehl erteilt, ostwärts zu fahren, um die zwar längere, aber auch weniger gefährliche Strecke um das Kap der Guten Hoffnung und durch den Indischen Ozean zu nehmen. Seinen Worten nach wären die Stürme bei Kap Hoorn zu stark, als dass sie die Umseglung hätten wagen können.

Nun würden Hinrich und sie mehrere Monate später auf Tahiti eintreffen, als sie erwartet hatten. Ruth zuckte mit den Achseln. Da nichts sie trieb, gab es auch nicht den geringsten Grund, sich darüber aufzuregen. Wichtig war allein, dass sie unversehrt ankamen, und da die HMS Hesione ein solide gebautes Schiff und ein Mann wie James Edward Hutton für die Seemannschaft verantwortlich war, würde dies auch gelingen.

Hinrich Mensing trat zu seiner Frau und berührte sie am Ellbogen. »Ruth, Liebes! Captain Smyth lädt uns zu einem kleinen Umtrunk in seine Kabine ein.«

Ruth seufzte, denn für ihren Geschmack erfolgten diese Einladungen allzu oft. Bei jeder dieser Zusammenkünfte nötigte der Kapitän Hinrich, mehr zu trinken, als dieser vertrug, und mit jedem Glas wurden die Gespräche anzüglicher. In der Hinsicht hätte sie ihrem Ehemann etwas mehr Selbstbeherrschung gewünscht.

Sofort korrigierte sie sich. Hinrich war der beste Ehemann, den sie sich wünschen konnte, und kleine Fehler hatte jeder Mann. Ihre Mutter hatte ihr das nicht nur ein Mal erklärt und damit augenzwinkernd auch auf ihren Vater angespielt. Dabei war Jakob Simonsen wahrlich ein vorbildlicher Mann, wie es nur wenige gab. Und auch Hinrich war ein vortrefflicher, gütiger Mann. Besser als mit ihm hätte sie es in ihrer Ehe nicht treffen können. Ruth hatte sich sogar damit ausgesöhnt, dass sie ihre Heimat nach der Hochzeit überstürzt hatte verlassen müssen, um Hinrich in die Südsee zu folgen. Dort würde er als Missionar zum höheren Ruhme Gottes wirken.

Noch während sie an seine Ziele dachte, folgte Ruth ihrem Ehemann in die Kapitänskajüte. Der Raum war für so ein kleines Kriegsschiff überraschend groß, aber mittlerweile wusste sie, dass es früher drei statt zwei Heckkajüten gegeben hatte. In einer von ihnen, der kleinsten, hauste der Schiffsarzt Merrick, und bei den beiden anderen hatte der Kapitän die Zwischenwand herausnehmen lassen, um seine eigene Kajüte zu vergrößern. Er lebte daher recht angenehm, während Hinrich und sie sich mit der engen Kammer begnügen mussten, die eigentlich James Hutton zustand.

Ruth hätte die Perlenkette, die ihr die Mutter zur Hochzeit geschenkt hatte, darauf verwettet, dass Captain Smyth seine Kajüte nur deshalb vergrößert hatte, um seinem Ersten Offizier nicht den Raum neben dem seinen überlassen zu müssen. Ihr war es unverständlich, wieso ein Mensch so kleinlich sein konnte, zumal Smyth von James Huttons Fähigkeiten profitierte.

Smyths Diener Benson hatte in der Kajüte alles vorbereitet, und so standen zwei Karaffen auf dem Tisch. Ruth schätzte, dass sie mit Rum und Gin gefüllt waren. Daneben befand sich eine Flasche Wein, da man ihr als Frau keine starken Getränke zumuten wollte.

Smyth setzte sich an die Stirnseite und wies auf die beiden Stühle zu seinen Seiten. »Nehmen Sie Platz! Mr Simmons und Doktor Merrick kommen gleich.«

Ruth rümpfte die Nase. Bei den Mahlzeiten war diese Tischgesellschaft gerade noch zu ertragen. Wenn die Herren jedoch tranken, wie es nun wohl wieder der Fall sein würde, vergaßen sie leicht die guten Manieren. Sowohl Smyth wie auch Simmons hatten sie bereits an gewissen Stellen berührt, was eine Dame eigentlich nur mit einer Ohrfeige beantworten konnte. Bei Simmons würde sie es beim nächsten Mal auch tun. Was den Kapitän betraf, war dies eine heiklere Angelegenheit, doch auch er, so sagte sie sich, würde die Folgen tragen müssen, wenn er sich nicht wie ein Gentleman verhielt. Da sie einen offenen Affront vermeiden wollte, wartete sie, bis Hinrich sich gesetzt hatte, und nahm neben ihm Platz, so dass Simmons und Merrick sich ihnen gegenübersetzen mussten. Auf diese Weise hatte sie nur Hinrich neben sich und damit ihre Ruhe vor dem unverschämten Verhalten des Kapitäns und seiner Trabanten.

Smyth musterte sie mit einer gewissen Enttäuschung und fand, dass er selten eine schönere Frau gesehen hatte. Sie war leicht größer als der Durchschnitt der Frauen und schlank, aber mit angenehmen Formen und dem Gesicht einer nordischen Göttin. So stellte er sich Freya vor, dachte er, mit eisblauen Augen, rot funkelndem Haar und einem blassen, aber wohlgeformten Mund. Bei dem Gedanken verzog Smyth missmutig das Gesicht. Freya war gewiss zuvorkommender als diese junge Frau, in deren Adern Eiswasser zu fließen schien.

Was war schon dabei, wenn er ihr die Schulter tätschelte oder ihr kurz an den Hintern griff? Er kannte Frauen, die weitaus weniger abweisend waren. Vor etlichen Jahren auf der alten Euryalus hatte er einmal den Gouverneur einer der Westindischen Inseln und dessen Gemahlin an ihren Bestimmungsort gebracht. Der Mann war ein inniger Freund geistiger Getränke gewesen, und so hatte seine Frau gerne die Gelegenheit ergriffen, in der einen oder anderen Nacht die Annehmlichkeiten seiner eigenen Kajüte einschließlich seiner selbst zu genießen, anstatt neben ihrem heftig schnarchenden Ehegespons zu liegen.

Hinrich Mensings Ehefrau hingegen war in den Wochen, die sie sich bereits auf See befanden, um keinen Deut zugänglicher geworden. Eher das Gegenteil war der Fall. Entsprechend verärgert begrüßte er Simmons und Merrick, die eben die Kajüte betraten, mit einem Schnauben. Die beiden schienen seine schlechte Laune nicht zu bemerken, denn Merricks Blick galt sofort den beiden Karaffen, während Simmons Ruth anstierte. Sie reizte ihn, erschien ihm aber ungeheuer hochnäsig, denn sie nahm einen Midshipman Ihrer Majestät nicht einmal zur Kenntnis.

Auf Smyths Wink schenkte Benson ihnen ein. Die Männer begannen mit Rum, während Ruth ein dunkler Likörwein kredenzt wurde, der ihr viel zu süß war. Außerdem war er so stark, dass sie nur ein oder zwei Gläser davon trinken konnte, da er ihr sonst zu Kopf stieg.

»’s ist Medizin«, sagte der Schiffsarzt mit gequetschter Stimme. »Für die Matrosen reicht der Grog und für die Offiziere Rum. Ein Gentleman sollte jedoch Gin vorziehen!«

»Ab dem nächsten Glas können Sie den haben«, antwortete Smyth und hob sein Glas. »Auf Seine Majestät, King George!«

»Auf den König!«, antworten Simmons und Merrick, und auch Hinrich murmelte etwas, das diesen Worten gleichkam. Er stand ebenso wie die drei Engländer auf und zupfte dann an Ruths Ärmel, damit diese sich ihnen anschloss.

»Auf König Georg!«, sagte sie auf Deutsch, während Hinrich und sie sich hier an Bord normalerweise der englischen Sprache bedienten.

Die drei Engländer leerten ihre Gläser auf einen Zug, und nach einem tadelnden Blick des Kapitäns tat Hinrich es ihnen gleich. Ruth hingegen nippte nur am Likör und setzte sich sofort wieder hin.

Das Gespräch begann, und der Diener schenkte erneut ein. Diesmal erhielt der Schiffsarzt seinen Gin, während der Kapitän und Simmons beim Rum blieben. Hinrich wählte ebenfalls Gin. Da er ihn nicht mochte, würde er davon weniger trinken als vom Rum. Als Pfarrer und Missionar musste er ein Vorbild sein. Außerdem wollte er Ruth nicht wegen eines übertriebenen Alkoholgenusses das beschämende Schauspiel bieten, zu dem ihn bereits die Seekrankheit gezwungen hatte.

Die drei Engländer kannten solche Hemmungen nicht, sie ließen sich häufig nachschenken und wurden immer ausgelassener. Dabei prahlte Smyth mit den Stürmen, die er und sein Schiff bereits überstanden hätten.

Da hob Hinrich Aufmerksamkeit heischend die Hand. »Wenn das Schiff so sturmerprobt ist, weshalb haben Sie es dann aufgegeben, Kap Hoorn zu umrunden?«

Smyth stieß ein gekünsteltes Lachen aus. »Das geschah wegen Ihrer Ehefrau! Ich wollte es ihr nicht zumuten, tage- und wochenlang bei Eis und Sturm vor Kap Hoorn kreuzen zu müssen. Es dauert in dieser Jahreszeit nämlich lange, bis der Wind so günstig weht, dass wir das Kap hätten umfahren können. Dabei wären wir möglicherweise in Gefahr geraten, von den Stürmen gegen die Klippen geworfen zu werden. Das ist schon vielen Schiffen passiert! Auch habe ich gehört, dass man auf einem Schiff eine Lady eines Morgens steif gefroren in ihrer Koje gefunden hat, so eisig kalt war es. Der Kapitän wollte sie in der Kombüse auftauen lassen, doch wegen des Sturms konnte dort kein Feuer entzündet werden. Es gab auch keinen Sarg an Bord, und da das Schiff zu sehr stampfte und krängte, war der Zimmermann nicht in der Lage, einen anzufertigen. In ein Fass konnte man die Dame, da sie steif gefroren war, auch nicht stecken. Daher hat man sie in eine Decke gewickelt und an Deck an die Reling gebunden. Dort war sie innerhalb kürzester Zeit von einer Eisschicht bedeckt.«

»Das hatte den Vorteil, dass sie nicht stank«, warf der Schiffsarzt ein.

So viel zum Gentleman, dachte Ruth und stand auf. »Ich hoffe, die Herren verzeihen mir, doch mir ist bei diesem Thema etwas schummrig geworden. Ich werde daher an Deck gehen, um frische Luft zu atmen. Vielleicht wird es dann besser.«

»Tu das, meine Liebe!«, sagte Hinrich, der genau wusste, dass Ruths Magen zu robust war, um durch solch ein Gerede in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Allerdings waren die Zechgelage des Kapitäns wahrlich nichts für eine Frau. Selbst er ertrug sie nur, weil sie die Langeweile der Reise ein wenig unterbrachen.

Simmons starrte Ruth an, als diese aufstand und zur Tür ging, und rief ihr hinterher: »An Ihrer Stelle würde ich das Deck meiden. Die Matrosen sind Ratten, die nur durch die Drohung mit der neunschwänzigen Katze zum Arbeiten zu bewegen sind. Außer Rum und Weibern hat in deren Köpfen nichts Platz. Sie sollten sich vorsehen, damit Sie nicht in Bedrängnis geraten.«

Mit einem Lächeln, das nicht zu ihrem verächtlichen Blick passte, wandte Ruth sich dem Midshipman zu. »Mr Simmons, seien Sie versichert, dass ich mich zur Wehr zu setzen vermag.«

Der Miene des Mannes entnahm sie, dass er ihr nicht glaubte. Sie hatte jedoch nicht die Absicht, ihm die kleine Pistole zu zeigen, die sie geladen in einer geheimen Tasche ihres Rocks trug. Sie wusste aus Erfahrung, zu welchen Taten die Gier Männer treiben konnte, und wollte nicht das Opfer einer solchen Untat werden.

2.

An Deck lief alles wie am Schnürchen. James Hutton hatte sowohl das Schiff wie auch die Mannschaft im Griff. Die Hesione lag hoch am Wind auf östlichem Kurs und machte rasche Fahrt. Mit Verachtung dachte Ruth an den Kapitän, der sich währenddessen in seiner Kajüte betrank. Da Simmons ebenso wenig maßhielt, würde Hutton wahrscheinlich auch dessen Wache übernehmen müssen. Ihr Vater, dachte sie, würde Männer wie Smyth und Simmons bereits nach der ersten Fahrt zum Teufel jagen. Doch in der Royal Navy galten ganz eigene Gesetze.

Ruth konnte nicht wissen, wie recht sie hatte. Trevor Simmons war Smyths Neffe, und dieser hätte ihn liebend gerne an Huttons Stelle als Leutnant auf seinem Schiff gesehen. In diesen Zeiten waren für einen Midshipman der englischen Flotte die Aussichten, zum Schiffsoffizier befördert zu werden, sehr gering, insbesondere dann, wenn man wie Trevor Simmons keinen einflussreichen Fürsprecher aufweisen konnte. James Hutton hingegen hatte die Tatsache, dass er als Erbe des Earls of Huttonsfield galt, bei seinem Aufstieg geholfen.

Daher sah James die Chance, in absehbarer Zeit Kapitän zu werden und ein eigenes Schiff zu kommandieren. Diese Aussicht half ihm, die kleinlichen Bosheiten seines Kapitäns zu ertragen. Sich darüber zu ärgern hatte er längst aufgegeben, und es störte ihn auch nicht, dass Smyth und sein Neffe ihm die meiste Arbeit bei der Schiffsführung überließen. Er gewann dadurch Erfahrung als Seemann, und das war es ihm wert. Als er sah, dass Ruth auf Achterdeck stieg und sich gegen die Reling lehnte, trat er unwillkürlich auf sie zu.

»Sie sollten vorsichtig sein, Mistress Mensing. Auch wenn das Schiff derzeit ruhig liegt, kann es immer wieder zu Querseen kommen, bei denen Sie den Halt verlieren und über Bord fallen könnten.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Fürsorge, Mr Hutton, doch ich bin bereits auf Schiffen gefahren und weiß, dass jeder an Bord eine Hand für sich selbst braucht, wenn er gesund in den Heimathafen zurückkehren will.« Obwohl James Hutton ihr sympathisch war, antwortete Ruth schroffer, als es der Situation angemessen war. Sie hatte sich jedoch über Smyth, Merrick und Simmons geärgert und brauchte Zeit, um wieder zur gewohnten Höflichkeit zurückzufinden.

»Ihnen mag meine Besorgnis übertrieben vorkommen. Aber ich habe gesehen, wie eine Frau bei der Besichtigung eines im Hafen liegenden Schiffes ausgeglitten und über Bord gestürzt ist. Ihre Kleidung sog sich blitzschnell voll Wasser, und sie ging unter wie ein Stein.«

»Was ist mit ihr passiert?«, fragte Ruth betroffen.

»Der Midshipman eines daneben ankernden Schiffes ist ihr hinterhergesprungen. Es gelang ihm, sie zu fassen und aus dem Wasser zu ziehen. Zwar war sie ohnmächtig, erholte sich aber rasch wieder«, berichtete James.

Dabei unterließ er es zu erwähnen, dass er dieser Midshipman gewesen war. Es war eine jener Taten gewesen, die Gervase Smyth nicht unter den Tisch hatte kehren können. Wenig später war er zur Leutnantsprüfung zugelassen worden und hatte diese bestanden. Da Smyths ehemaliger Leutnant um Versetzung gebeten hatte und dieser stattgegeben worden war, hatte James dessen Posten auf der Hesione erhalten.

»Dann hat die arme Frau Glück gehabt«, meinte Ruth nachdenklich.

»Es war ihr Glück, dass das Schiff im Hafen lag, denn auf hoher See hätte niemand sie retten können. Würden Sie jetzt über Bord gehen, müsste das Schiff erst aus dem Wind gebracht und dann gegen ihn ankreuzen müssen, um zu der Stelle zurückzukommen. So lange bleibt keine Frau über Wasser. Selbst die meisten Matrosen würden vorher untergehen.«

Ruth nickte. »Die meisten Matrosen mögen nicht schwimmen lernen. Wenn ihr Schiff sinkt, wollen sie einen raschen Tod finden und nicht noch stundenlang im Meer schwimmen und dabei immer mehr die Hoffnung verlieren, gerettet zu werden.«

»Sie verstehen wirklich etwas von der Seefahrt!«, rief James erstaunt.

»Warum sollte ich es nicht tun? Bereits meine Urgroßväter fuhren als Kapitäne zur See, ebenso mein Großvater und mein Vater, auch wenn dieser mittlerweile die Schiffsführung meist unseren Kapitänen überlässt.«

Ruths Worte verrieten James, dass sie einer alten Seefahrerfamilie entstammte und die Tochter eines Reeders war. Und doch wusste sie mehr über Schiffe, als Reedertöchter es im Allgemeinen taten.

Nun wies sie auf die ruhige See und blickte über das Heck zurück. »Es wundert mich, dass Captain Smyth den kleinen Sturm, in den wir bei den Malwinen gerieten, zum Anlass nahm, nicht die Südspitze Südamerikas zu umrunden, sondern die lange Route durch den Atlantik und den Indischen Ozean gewählt hat. Wir hätten doch auch die Magellanstraße passieren können.«

Ruth hatte damit zwar recht, dennoch wollte James ihr nicht sagen, dass Gervase Smyth ein Mann war, der das Risiko scheute, wo es nur ging.

»Der Kapitän war gewiss Ihretwegen besorgt«, antwortete er ausweichend. »Auch geht es um die Mannschaft. In den Augen der meisten Männer bringen Frauen an Bord Unglück. Als wir bei den Falklands in den Sturm gerieten, war es für viele an Bord ein Vorzeichen dessen, was uns bei Kap Hoorn erwarten könnte. Wären wir dort in einen Sturm geraten, hätte es zu einer Meuterei kommen können.«

»Dann hat der Kapitän seine Mannschaft nicht im Griff!« In Ruths Worten schwang eine Verachtung mit, die James zwar teilte, sich aber nicht anmerken lassen durfte.

»Im Allgemeinen gehorchen die Matrosen, doch sie sind ein abergläubisches Volk.«

»Das zeigt sich schon an den Beinamen, den sie Ihnen gegeben haben. Lucky Jim! Wenn Sie das Kommando hätten, würden die Männer Kap Hoorn umrunden, auch wenn ich an Bord bin.«

James spürte die Anerkennung, die aus Ruths Worten sprach, und freute sich darüber. Sie ist eine wunderschöne Frau, dachte er. Dazu war sie klug und verfügte über ein profundes Wissen über alles, was auf einem Schiff vorging. Er fragte sich, wie sie darauf gekommen war, einen angehenden Missionar zu heiraten. Außerdem wunderte er sich, warum dieser ausgerechnet in der Südsee das Wort Gottes verkünden wollte, denn dort hausten mehr Kannibalen als im Rest der Welt. Und selbst wenn Hinrich Mensing die Berufung dazu fühlte, den Südseeinsulanern zu predigen, hätte er seine Frau niemals mitnehmen dürfen.

Um nicht bitter zu werden, deutete James eine Verbeugung an und wies auf den Rudergänger. »Entschuldigen Sie mich, doch so angenehm das Gespräch mit Ihnen auch ist, so darf ich doch meine Pflicht nicht versäumen.«

»Das ist selbstverständlich!«, antwortete Ruth. »Erlauben Sie mir noch eine letzte Frage? Werden die Vorräte auf dem Schiff für diese lange Reise ausreichen, oder wird der Kapitän in Kapstadt und später in Batavia haltmachen lassen?«

»Wir werden irgendwo frischen Proviant an Bord nehmen«, sagte James. »Doch wo das geschieht, muss Captain Smyth entscheiden.«

»Dann hoffe ich nur, dass er eine kluge Entscheidung trifft. Nun will ich Sie nicht länger aufhalten. Auf Wiedersehen, Mr Hutton!«

Ruth neigte kurz den Kopf und wandte sich dem Niedergang zu. In die Kapitänskajüte zurückkehren, in der Captain Smyth, der Schiffsarzt Merrick und Midshipman Simmons mit Sicherheit bereits sturzbetrunken waren, wollte sie nicht. Daher suchte sie den Verschlag auf, der Hinrich und ihr als Kabine diente.

3.

Kam die HMS Hesione zunächst gut voran, geriet sie eine Woche später in eine Flaute und dümpelte vor sich hin. Smyth fluchte, denn er hatte die Vorräte in der Erwartung, sie unterwegs billig auffüllen zu können, vor der Abfahrt in England knapp bemessen. Auch das Trinkwasser nahm rasch ab und musste rationiert werden. Für Ruth hieß dies, für ihre morgendliche Toilette Meerwasser verwenden zu müssen. Auch sonst wurde das Leben an Bord unangenehm. Obwohl die Hesione in Höhe des vierzigsten südlichen Breitengrades lag, war es mehrere Tage sehr heiß, und der Gestank von zweihundert ungewaschenen Männern erfüllte das Schiff. Zudem wurden die Matrosen reizbar, und der Bootsmann musste mehr als ein Mal den Tampen schwingen, um Streitigkeiten zu beenden.

Nachdem die Windstille bereits eine ganze Woche andauerte, in der sich kein Stück Tuch an Bord rührte, beobachtete Ruth, wie Hutton, Smyth und Simmons zur Mittagsstunde die Position der Hesione bestimmten. Da die drei Männer sich offensichtlich nicht einig waren, trat sie neugierig näher.

»Wir sollten die Beiboote ausbringen und mithilfe der Riemen das Schiff ein Stück nach Norden ziehen. Ich schätze, dass wir dort Wind bekommen und Kapstadt erreichen können«, schlug James Hutton eben vor.

»Ein Stück nach Norden? Ha! Und was ist, wenn es auch dort keinen Wind gibt? Dann haben die Matrosen in den Booten das letzte Wasser, das wir noch haben, umsonst ausgeschwitzt«, fuhr Smyth ihn an.

»Außerdem stimmt Ihr Besteck nicht«, sprang Simmons seinem Onkel bei. »Laut der Berechnung des Captains, die sich mit meiner auf drei Meilen deckt, befinden wir uns vierhundert Seemeilen von der Stelle entfernt, an der Sie uns vermuten! Kapstadt ist daher zu weit, um es so schnell erreichen zu können, wie es nötig wäre!«

»Sie haben die Abdrift durch die Strömung nicht eingerechnet. Wir sind nahe genug an Kapstadt, um in weniger als einer Woche dort zu sein, wenn wir nur halbwegs brauchbaren Wind finden«, antwortete James heftig.

»Meine Berechnungen stimmen genau«, wies Smyth ihn zurecht.

»Was wollen Sie sonst tun? Es gibt keinen Hafen, der näher liegt als Kapstadt.«

James hatte zwar recht, doch Smyth wollte nicht mit leeren Wassertanks und fast aufgebrauchten Vorräten dort ankommen, denn einige würden sich dann fragen, weshalb er nicht genügend Vorräte aus England mitgenommen hatte. Allerdings wusste auch er, dass er nicht einfach die Hände in den Schoß legen durfte. Wenn er die Wasserrationen noch mehr verringern musste, würde kein Matrose mehr in der Lage sein, ein Boot zu rudern.

»Also gut! Wir werden das Schiff schleppen. Sie gehen mit ins Boot und geben den Takt an! Wir wollen doch sehen, ob wir dem Wind entgegenrudern können, wenn er schon nicht zu uns kommen will«, sagte Smyth und lachte wiehernd, während die in der Nähe herumlungernden Matrosen sichtlich aufatmeten.

»Wenn Lucky Jim sagt, dass es im Norden Wind gibt, dann ist er dort auch zu finden«, hörte Ruth den Schiffszimmermann Cribbic sagen.

Dessen Stimme erscholl laut genug, so dass auch Smyth es hören musste. Der Kapitän zog eine giftige Miene, sagte aber nichts, sondern schnauzte James an, endlich mit dem Ausbringen der Boote zu beginnen. Dabei bedachte er den jungen Mann mit einem so hasserfüllten Blick, dass es Ruth schauderte.

Der Kapitän blickte unterdessen James Hutton nach und fluchte leise. Vor sieben Jahren hatte er ihn auf Wunsch des Londoner Handelsherrn Zechariah Bartlett als dürren Midshipman an Bord genommen, aber nicht, um ihn auszubilden, sondern um dafür zu sorgen, dass der Erbe des Earls of Huttonsfield nicht mehr nach Hause zurückkehren würde. Smyth war mit dem Erbrecht der Huttons nicht vertraut, nahm aber an, dass der Adelstitel nach James’ Ableben über die Tochter des jetzigen Earls an deren Sohn gehen würde. Nun war Lady Ellinor Zechariah Bartletts Gattin, und so war dessen Interesse an James Huttons Tod verständlich. Bedauerlicherweise, dachte Smyth, hatte er diesen noch nicht herbeiführen können. Versucht hatte er es oft genug, doch James war jedes Mal von der Schippe des Sensenmanns gesprungen. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, würde er seinen Leutnant mit eigener Hand in die Hölle befördern müssen. Dabei hatte er das unter allen Umständen vermeiden wollen. Falls es dennoch sein musste, sollte es erst auf dem Rückweg geschehen. Bis dorthin konnte James Hutton ihm weiterhin die meiste Arbeit an Bord abnehmen.

Während sein Kapitän an diesem Problem herumkaute, erteilte James seine Befehle. Schon bald zogen die drei Beiboote die Fregatte mit dem steten Ruderschlag der Männer durch die fast brettebene See. Es war eine knochenharte Arbeit, da aber Lucky Jim sie vorgeschlagen hatte, verrichteten die Matrosen sie gerne. Ein kleines Kind zu Land wäre schneller gewesen als die HMS Hesione, so langsam ging es voran. Doch sie bewegte sich, und ihr Bug wies nach Norden, wo James Edward Hutton auf Wind hoffte.

Der Kapitän und sein Neffe Simmons standen auf dem Vorschiff und sahen den rudernden Männern spöttisch zu. »Geht es nicht ein wenig schneller, Mr Hutton? So kommen wir ja kaum von der Stelle«, rief Smyth.

»Wäre der Wind nur eine Meile von uns weg, könnten wir schneller rudern. Da wir jedoch nicht wissen, wie weit wir das Schiff ziehen müssen, um Wind in die Segel zu bekommen, ist es besser, mit den Kräften der Männer zu haushalten. Sonst erlahmen sie, noch bevor wir aus der stillen Zone heraus sind, und dann haben wir durch diese Aktion nicht das Geringste gewonnen.«

Ruth sah, dass der Kapitän an James’ Antwort zu kauen hatte, und Simmons stieß sogar einen Fluch aus. Dabei schweifte sein Blick über das Deck und blieb schließlich auf ihr haften. Für einen Augenblick las Ruth die gleiche Gier in seinem Gesicht, wie sie sie vor vielen Jahren bei dem französischen Soldaten Maurice gesehen hatte, und für einen Augenblick zog sich ihr das Herz zusammen. Sie hatte diesen Mann damals erschossen, um ihre Mutter und deren Freundin Molly zu schützen. Auch wenn der Franzose es wahrlich verdient gehabt hatte, so hatte sie doch gegen Gottes Gebot verstoßen und getötet. Würde sie dies noch ein weiteres Mal tun müssen? Würde sie es überhaupt fertigbringen? Diese Frage ließ sie schaudern. Zwar steckte ihre Pistole in der Rockinnentasche, aber sie hoffte, sie nie benutzen zu müssen.

Da Simmons sie weiter anstierte und sich dabei die Lippen leckte, tastete sie nach der Pistolentasche. Wenn es hart auf hart kam, würde sie schießen! Sie musste den Mann ja nicht gleich töten. Es reichte aus, wenn er eine Kugel in den Oberschenkel oder in die Schulter bekam.

Simmons ahnte nichts von Ruths Gedanken, und es interessierte ihn auch nicht. Er sah in ihr nur eine Frau, die genauso gebaut war wie die Huren, die er in den Häfen bestieg. Da er schon zu lange keinen weichen Frauenleib mehr unter sich gespürt hatte, kümmerte es ihn auch nicht, dass sie verheiratet war. Ihr Ehemann war für ihn nur ein Tölpel, der sein Leben und auch das seiner Frau aufs Spiel setzte, um verstockte Heiden zum Christentum zu bekehren. Gewiss war er nicht in der Lage, seiner Frau im Bett das zu geben, was sie sich wünschte. Er hingegen … Unwillkürlich leckte er sich noch einmal die Lippen. Er war ein Mann, der es einem Weib richtig besorgen konnte. Das würde sie schon bald merken, und dann konnte der Rest der Reise recht angenehm werden.

Simmons haderte mit der Tatsache, dass er James Hutton seine Kajüte hatte überlassen müssen und seine Hängematte nur noch im Quartier der anderen Midshipmen aufhängen konnte. Bei dem Gedanken winkte er ab. Er kannte genug versteckte Winkel an Bord, in die er sich mit diesem Weib zurückziehen konnte. Sobald sich die Gelegenheit bot, würde er ihr schon zeigen, dass ein strammer Seemann wie er auch einen strammen Riemen besaß.

Die kleinlichen Bedenken, die in ihm aufsteigen wollten, schwemmte der Rum hinweg, mit dem er die kargen Wasserrationen ergänzte. Gleichzeitig verstärkte der Alkohol seine Gier nach der schönen Frau, die so kalt wie Eis wirkte und die er ebenso in Hitze bringen wollte wie die Huren auf Jamaika oder die braunen Mädchen auf den Inseln der Südsee. Mit diesem Gedanken sah er zu den Booten hin und sagte sich, dass James Hutton auch die Nacht über draußen bleiben und sein Bett nicht brauchen würde. Wenn Ruth Mensing auch nur ein Mal ihre Kabine verließ, gehörte sie ihm.

4.

Die Nacht kam, und es war noch immer viel zu heiß für diese Breiten. Zwar hatte Simmons sich unerlaubt einen weiteren Becher Wasser geholt, aber er spürte, dass es seinen Durst nicht stillte, und vergriff sich erneut an den Schnapsvorräten seines Onkels. Während von den Booten monoton der stets gleiche Befehl »pullt!« herüberdrang, machte er seine Runde auf dem Schiff.

An Deck war alles klar. Simmons hätte dort bleiben können, doch er stieg den Niedergang hinab und sah sich um. Eine Lampe verbreitete düsteres Licht in der Messe der Midshipmen, und seine beiden Kameraden schliefen. Gewohnt, dies auch bei Sturmgebraus und dem Heulen des Windes in den Masten tun zu müssen, wachte keiner von ihnen auf, als er sich umschaute.

Simmons ging weiter achteraus. Dort lagen die Quartiere des Segelmeisters, des Schiffszimmermanns und mehrerer Unteroffiziere. Weitere Kammern dienten in Kriegszeiten als Unterkünfte für die Seesoldaten. Jetzt waren keine an Bord, und so wurden die Kammern als Lagerräume benutzt. Es fehlten aber nicht nur Seesoldaten. Auch die Mannschaft war gerade noch groß genug, um das Schiff führen zu können. Simmons grinste bei dem Gedanken, dass in der Musterrolle mehr als ein Dutzend Matrosen standen, die es überhaupt nicht gab. Den Sold steckte sein Onkel ein und ließ ihn an dem Gewinn teilhaben. Mit diesem Geld konnte er in fremden Häfen wie ein Gentleman auftreten und nicht wie ein lumpiger Midshipman. Trotzdem blieb es ein Stachel, dass er bislang noch nicht an der Prüfung zum Offizier hatte teilnehmen dürfen. James Hutton, diesem lumpigen Hund, hatte man es erlaubt und ihn danach an ihm vorbei befördert. Dabei war der Kerl jünger als er.

Gerade, als Simmons sich in Gedanken über die Ungerechtigkeit der Welt auslassen wollte, sah er, wie weiter vorne eine Tür geöffnet wurde. Ruth Mensing kam heraus, blickte sich um und ging dann in Richtung des kleinen Abtritts, der auf der anderen Heckseite angebracht war. Der zweite Abtritt war nach einem Umbau nur noch von der Kapitänskajüte zu erreichen und für den alleinigen Gebrauch seines Onkels bestimmt.

Den Matrosen war auch der andere Abtritt verboten. Sie durften entweder den Hintern über die Reling hängen und sich dabei an einem Tau festhalten oder das am Bugspriet befestigte Netz benutzen. Simmons zog den freien Abtritt vor. Aber Naybs und Railey, die beiden Midshipmen, die mehrere Jahre jünger waren als er, machten es den Matrosen nach, um als echte Kerle zu gelten.

In diesem Augenblick aber hatte Simmons an etwas anderem Interesse. Er blieb vor der Tür seiner Kajüte stehen, die nun, da James Hutton auf dem Boot weilte, leer stand, und wartete grinsend auf Ruths Rückkehr. Zuerst würde er ihr den Mund zuhalten müssen, damit sie nicht um Hilfe schrie, aber sie würde sich gewiss nicht lange zieren.

Unterdessen ärgerte Ruth sich, weil ihre Blase sie seit ein paar Tagen zwang, in der Nacht aufzustehen und zum Abtritt zu gehen. Dabei trank sie nicht mehr als zwei Becher Wasser am Tag und verspürte im Grunde die ganze Zeit über Durst. Sie musste jeweils nur ein paar Tropfen Wasser lassen, dafür aber brannte es stark, und sie sehnte sich nach dem guten Bärentraubenblättertee, den ihr die Mutter in ihre große Seekiste gepackt hatte. Die befand sich jedoch unten in einem Laderaum, so dass sie nicht an sie herankam.

Sie vernahm ein Geräusch und spannte sich an. James Hutton hatte sie gewarnt, dass der eine oder andere Matrose zudringlich werden könnte. Unwillkürlich tastete sie nach ihrer Pistole. Aber die hatte sie in der Tasche ihres Kleides gelassen – und das hing in der Kabine. Im Augenblick trug sie nur Nachthemd und Morgenmantel.

Ruth überlegte, ob sie auf der Toilette warten sollte, bis sie sicher sein konnte, dass niemand auf sie lauerte. Allerdings konnte das Geräusch auch von einer Schiffsratte stammen und sich wiederholen. Der Gedanke, vielleicht bis zum Morgen hierbleiben zu müssen, gab den Ausschlag. Sie verließ den Abtritt, ging an der Achterkajüte des Kapitäns vorbei und wollte auf ihre Kabine zutreten, als plötzlich jemand vor ihr auftauchte und fest einen Arm um sie schlang. Im nächsten Moment presste sich eine ungewaschene, verschwitzt riechende Hand hart auf ihren Mund.

Ruths Gedanken überschlugen sich. Sie verfluchte sich, weil sie ihre Pistole vergessen hatte, musste sich aber gleichzeitig sagen, dass sie diese bei dem festen Griff des Angreifers nicht hätte anwenden können. Ans Aufgeben aber dachte sie nicht. Sie wand sich wie ein Aal, bis sie ihr rechtes Bein zwischen die Schenkel des Mannes gebracht hatte, und riss das Knie mit aller Kraft hoch.

Der Stoß traf genau und beendete jäh Simmons’ Träume. Stöhnend ließ er Ruth los und griff sich in den Schritt. »Du Miststück!«, brachte er mit Mühe heraus.

Ruth wich einen Schritt zurück und spürte einen Griff an der Schulter. Gleichzeitig wurde ihr etwas in die rechte Hand gedrückt. Es war ein Belegnagel. Mit einem leisen Zischen schwang sie ihn und traf Simmons am Kopf. Sein Hut dämmte ein wenig die Wucht des Schlags, doch der war immer noch hart genug, um den Midshipman ins Reich der Träume zu schicken.

Während Simmons zu Boden sank, drehte Ruth sich um und sah den alten Schiffszimmermann Cribbic hinter sich stehen. Auch im Halbdunkel nahm sie wahr, dass er breit grinste.

»Man merkt, dass Sie die Tochter von Seeleuten sind, Madam! Die wissen, wie man mit solchem Gelichter umgeht. Jetzt aber sollten Sie wieder in Ihre Koje steigen. Den Rest erledige ich.«

»Du willst ihn doch nicht etwa über Bord werfen?«, fragte Ruth, die trotz allem nicht wollte, dass Simmons starb.

Cribbic schüttelte feixend den Kopf. »Natürlich nicht! Ich weiß da einen weitaus besseren Weg.«

Halbwegs beruhigt nickte Ruth und wandte sich ihrer Kabine zu. Der Schiffszimmermann packte Simmons am Kragen und schleifte ihn zu einer Tür, die im Gegensatz zu den meisten anderen fest verschlossen war. Da er wusste, dass Simmons den Schlüssel zu diesem Verschlag besaß, griff er in dessen Tasche und zog das Ding heraus.

Leise glucksend vor unterdrücktem Lachen öffnete Cribbic die Tür und zerrte Simmons hinein. Innen standen mehrere Fässer sowie Kisten mit gut abgepolsterten Flaschen. Diese enthielten Wein, Gin und andere Getränke, die das Herz eines Mannes erfreuen konnten. Er nahm eine Flasche aus einer Kiste, schlug ihr den Hals ab und goss einen Teil des Inhalts über Simmons’ Uniformrock. Den Rest trank er aus und wollte wieder gehen. An der Tür hielt er noch einmal inne, nahm drei Flaschen an sich und verließ mit seiner Beute den Raum. Er würde den Inhalt mit seinen Kameraden teilen und dabei einen Toast auf Midshipman Simmons ausbringen, der ihnen zu diesem Genuss verholfen hatte.

5.

Ganz ohne Geräusch war die Aktion nicht abgelaufen. Cribbic war kaum in seiner Kajüte verschwunden, da steckte Captain Smyth den Kopf aus seiner Tür.

»Was ist hier los?«, fragte er scharf.

Er rief es laut genug, um den Segelmacher, den Schmied und den Bordarzt auf den Plan zu rufen. Auch der Schiffszimmermann kam mit neugierigem Gesichtsausdruck aus seinem Quartier.

»Habt ihr etwas gehört?«, fragte Smyth erneut.

»Nein, Sir! Ich habe nichts gehört«, antwortete Cribbic. Auch der Schmied verneinte es.

»Es war aber etwas hier! Ich habe …« In dem Augenblick entdeckte Smyth die offen stehende Tür seines Getränkevorrats und stieß einen empörten Schrei aus. »Wer war das?«

»Verzeihen Sie, Sir, aber die Schlüssel zu dem Raum besitzen nur Sie und Mr Simmons. Selbst Ihr Diener bekommt ihn von Ihnen und muss ihn, wenn er etwas geholt hat, wieder abgeben«, erklärte der Bordschmied.

Smyth schnaubte, befahl dann, eine Lampe zu holen, und trat, als er diese in der Hand hielt, in den Raum. Die Männer sammelten sich neugierig hinter ihm, und dann stieß der Schiffszimmermann einen Fluch aus. »Das ist Mr Simmons! Dabei sollte der doch oben an Deck auf Wache sein.«

»Stattdessen ist er hierhergekommen, um sich zu besaufen!«, rief der Segelmacher entrüstet. Wie die anderen Unteroffiziere ärgerte er sich, weil der Kapitän sie von seinen Trinkgelagen ausschloss.

Captain Smyth stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus. Zwar hatte er seinem Neffen erlaubt, sich an seinen Schnapsvorräten zu bedienen. Doch damit war nicht gemeint, dass dieser sich betrank, bis er schließlich besinnungslos in der Kammer lag. Noch schlimmer war, dass der Arzt und mehrere Unteroffiziere das Ganze mitbekommen hatten. Daher war es fast unmöglich, die Sache niederzuschlagen. Wenn er jedoch ins Logbuch eintragen musste, dass Midshipman Trevor Simmons betrunken auf Wache eingeschlafen war, würde sein Neffe kaum noch eine Chance bekommen, einmal Leutnant und später Kommandant zu werden.

»Wir sollten die Angelegenheit nicht so hoch ansetzen«, sagte er daher mit einem Zorn im Herzen, dass er die ganze Welt hätte fressen können.

»Auf Wache einzuschlafen ist kein geringes Vergehen!«, wandte Merrick ein.

»Mein Neffe musste Leutnant Huttons Wache mit übernehmen. Zudem ist es für diese Breiten zu heiß. Da kann einen schon eine Ohnmacht überkommen«, erklärte Smyth mit einem drohenden Unterton.

Der Schiffsarzt begriff, dass er Gefahr lief, von den gemeinsamen Trinkgelagen ausgeschlossen zu werden, wenn er auf dieser Sache herumritt. Daher grinste er gezwungen. »Ich kalkuliere, Mr Simmons hat ein Hitzschlag getroffen!«

»Und das mitten in der Nacht«, murmelte der Schiffszimmermann laut genug, damit auch der Kapitän es hören musste.

»Mr Simmons wollte anscheinend ein Glas zur Stärkung trinken und hat die Besinnung verloren.« Der Schiffsarzt beugte sich nun über den Bewusstlosen und fühlte seinen Puls. Er wies auf die Beule am Kopf.

»Das ist es! Mr Simmons muss bei diesem Seegang gestolpert und mit dem Kopf so hart gegen einen Balken gestoßen sein, dass er bewusstlos geworden ist.«

»Welchen Seegang?«, murmelte Cribbic, da das Meer flach wie ein Brett um die Hesione lag.

»Kann ich das so ins Logbuch eintragen, Mr Merrick?«, fragte Smyth den Arzt.

Dieser nickte sofort. »Selbstverständlich, Captain! Ich bin bereit, es zu unterzeichnen.«

»Sehr gut!« Da seinem Neffen damit die größtmögliche Schande erspart blieb, atmete Smyth auf. Bei Einschlafen auf Wache machte die neunschwänzige Katze auch vor einem Offizier nicht halt.

»Ihr habt es gehört«, sagte er an den Zimmermann und die Umstehenden gewandt. Zwar würde er nicht verhindern können, dass die Mannschaft und damit auch James Hutton von den Verfehlungen seines Neffen erfuhr, doch am Ende zählte nur das, was im Logbuch stand, und da Merrick bereit war, es zu unterschreiben, konnte er alles andere als neidisches Gerede abtun.

»Darf ich den Herren eine Flasche Rum überlassen?«, fragte er seine Unteroffiziere.

»Eine Flasche ist wohl etwas wenig für so viele durstige Kehlen«, antwortete Cribbic ungeachtet der Tatsache, dass er bereits mehrere Flaschen beiseitegeräumt hatte.

Mit einem verärgerten Knurren zog Smyth zwei weitere Flaschen aus einem Korb und reichte sie dem Schmied und dem Zimmermann. »Hier! Ihr sollt nicht trocken herumsitzen müssen.«

»Wir danken Ihnen, Kapitän!« Die Männer grinsten, denn der Schnaps bot die einzige Abwechslung im öden Schiffsalltag.

»Der Rum ist auch für die Gesundheit gut, denn er hilft gegen Skorbut«, erklärte Merrick und forderte zwei Männer auf, den noch immer bewusstlosen Simmons in die Messe der Midshipmen zu bringen.

Der Kapitän wartete, bis dies geschehen war, dann nahm er Simmons’ Schlüssel für die Vorratskammer an sich und steckte ihn ein. Eines war für ihn klar: Von nun an würde sein Neffe nur noch dann etwas zu trinken bekommen, wenn er es ihm erlaubte. Das Recht, sich selbst zu bedienen, hatte er verwirkt.

6.

Smyth und die anderen Seeleute waren so laut gewesen, dass Hinrich davon aufgewacht war und zur Tür hinausgeschaut hatte. In der kleinen Kammer war es dunkel, und so konnte er Ruths Gesicht nicht sehen. Das war auch gut, denn sie empfand eine fürchterliche Wut auf Simmons, fragte sich aber gleichzeitig, was sie tun sollte. Dieses Schwein konnte ihr immer noch auflauern, und dann war womöglich niemand in der Nähe, der ihr einen Belegnagel zustecken konnte.

Hinrich schloss die Tür wieder. »Mr Simmons wurde bewusstlos in einer Kammer aufgefunden. Wenn du mich fragst, hat er einfach zu viel getrunken!« Verachtung schwang in seinen Worten mit.

Ruth tastete nach der Lampe, die ihnen James Hutton überlassen hatte, und entzündete sie mittels ihres Feuerzeugs, das mit ein wenig Schießpulver geladen wurde. Als die Lampe brannte, sah sie ihren Mann mit ernster Miene an.

»Ich bezweifle nicht, dass Mr Simmons betrunken war. Dies ist jedoch nicht der Grund für seine Ohnmacht. Ich musste ihn niederschlagen, weil er mir aufgelauert hat, als ich vom Abtritt zurückkam.«

Hinrich fuhr zornig auf. »Dieser elende Kerl! Ich werde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen.«

Ruth traute ihm zu, mit Simmons fertigzuwerden. Trotzdem brachte sie einen Einwand. »Wir sollten nicht vergessen, dass Simmons ein Seekadett der englischen Flotte ist und wir uns auf einem Schiff dieser Flotte befinden. Zudem ist Simmons der Neffe des Kapitäns. Dieser wird sich in jedem Fall auf seine Seite stellen.«

»Soll dieses Schwein etwa unbehelligt davonkommen?«, fragte Hinrich empört.

Ruth schüttelte den Kopf. »Wir sollten nichts direkt gegen ihn unternehmen, ihm aber deutlich zeigen, was ihm blüht, wenn er sich weitere Frechheiten erlaubt.«

»Und wie soll das geschehen?«

Statt sofort zu antworten, öffnete Ruth seine Seekiste und kramte, bis sie einen länglichen Kasten fand. »Hier sind deine Pistolen, die du in der Kabine haben wolltest, um bei einem Angriff auf dieses Schiff gerüstet zu sein. Ich bin der Ansicht, dass wir Mr Simmons zeigen sollten, wie gut wir zu treffen vermögen.«

»Du willst ihn erschießen?«, fragte Hinrich erschrocken.

»Natürlich nicht!«, antwortete Ruth mit dem Anflug eines Lächelns. »Wir werden dem Kapitän erklären, dass uns langweilig wäre und wir auf ein Ziel schießen wollen. Irgendein Brett wird es an Bord schon geben, das sich dafür eignet. Dazu solltest du verlauten lassen, dass ich bereits einen Mann niedergeschossen habe, der einer Freundin Gewalt antun wollte. Dies wird Mr Simmons zu denken geben.«

Hinrich ärgerte sich, weil er, da er sich als Ehemann und damit als Beschützer seiner Frau ansah, Simmons nicht zur Rechenschaft ziehen durfte. Als Sohn und Enkel von Männern, die zur See gefahren waren und Schiffe kommandiert hatten, wusste er jedoch, über welche Macht der Kapitän verfügte, und diese würde Captain Smyth mit Sicherheit einsetzen, um seinem Neffen zu helfen.

»Also gut!«, sagte er mit eisiger Stimme. »Wir machen es so, wie du es vorgeschlagen hast. Sollte jedoch Simmons oder ein anderer Mann an Bord es wagen, dir noch einmal zu nahe zu treten, wird mich nichts daran hindern, ihn niederzuschießen wie einen tollwütigen Hund.«

Ruth spürte, wie ernst es ihm damit war, und lächelte ihn dankbar an. Er mochte ein Mann Gottes sein und anderen Menschen mit Güte begegnen. Gegenüber jemandem, der Gottes Gebot brach und ihr übelwollte, würde er Strenge zeigen.

»So machen wir es!« Sie zog die kleine Pistole aus der Tasche ihres Kleides. »Diese Waffe werde ich von nun an immer bei mir tragen, und gnade Gott dem, der es wagen sollte, Hand an mich zu legen.«

Hinrich nickte säuerlich. Als Mann fühlte er sich für den Schutz seiner Frau verantwortlich, und im Augenblick hatte er das Gefühl, als traue Ruth es ihm nicht zu, sie vor Simmons und anderen aufdringlichen Kerlen zu schützen. Der Midshipman hatte ihr auf der Rückkehr den Weg verlegt. Daher überlegte er kurz, ob er nicht einen Eimer fordern sollte, damit Ruth sich in der Kabine erleichtern konnte. Da die See im Augenblick noch ruhig war, würde dies keine Probleme bereiten. Bei dem Gedanken an höheren Wellengang oder gar Sturm gab er diese Überlegung wieder auf.

»Du solltest mich wecken, wenn du in der Nacht zum Abtritt musst, damit ich dich begleiten kann.«

Ruth spürte, dass es ihn kränken würde, wenn sie ablehnte, und nickte. »Das werde ich von nun an tun, mein Lieber!«

Die Pistole nehme ich aber trotzdem mit, setzte sie insgeheim hinzu und wies dann auf die beiden Kojen. »Wir sollten uns wieder schlafen legen. Der morgige Tag kommt früh genug.«

7.

Am nächsten Morgen war Simmons wieder auf den Beinen, doch ihn quälten grauenhafte Kopfschmerzen. Gleichzeitig erfüllte ihn eine Wut, die noch anstieg, nachdem sein Onkel ihn abgekanzelt hatte. Der Schlüssel für die Schnapskammer war vorerst für ihn verloren. Auch ließ der Kapitän keinen Zweifel daran, dass er Dankbarkeit erwartete, weil er Merrick dazu gebracht hatte, die Bewusstlosigkeit seines Neffen einem Hitzschlag zuzuschreiben. Dabei hatte er nicht einmal so viel getrunken, dachte Simmons erbittert. Dieses verfluchte Weib hatte ihn mit einem harten Gegenstand niedergeschlagen und in die Schnapskammer geschleift. Aber allein konnte sie das nicht getan haben, denn dafür hatte sie Hilfe gebraucht. Es musste ihr Ehemann, dieser elende Prediger, gewesen sein, der ihn in diese Lage gebracht hatte.

Daher warf Simmons Hinrich, als dieser mit einem länglichen Kasten in der Hand an Deck stieg, einen hasserfüllten Blick zu. Die Frau folgte ihrem Mann und schien noch mehr als sonst, als sei sie aus Eis geformt. Mittlerweile war Simmons zu der Ansicht gelangt, dass Ruth zu jener Art von Frauen zählte, die keine Freude am Geschlechtsverkehr fanden und sich nur der Pflicht gehorchend für den eigenen Ehemann hinlegten. Doch genau dieses Widerstreben reizte ihn, und er überlegte, wie er sich ihrer doch noch bemächtigen konnte.

Da trat Hinrich neben den Kapitän und wies auf die Boote, die das Schiff nordwärts zogen. Die Ruderer waren mittlerweile ausgewechselt worden, doch James Hutton saß noch immer am Heck des größten Beiboots und gab den Takt an. Dabei musste er bereits seit mehr als vierundzwanzig Stunden auf den Beinen sein.

»Es gibt wohl noch immer keinen Wind?«, fragte Hinrich, obwohl er selbst sah, dass die Flagge am Mast sich nicht im Geringsten bewegte.

»Vielleicht kann Mr Hutton ihn herbeizaubern«, stieß Smyth verärgert aus.

»Es wäre zu wünschen!«, antwortete Hinrich. »Doch nun zu etwas anderem. Ich werde ja in eine Gegend geraten, in der es möglich ist, dass ich zur Waffe greifen muss, um mich und mein Weib zu beschützen. Daher will ich ein paar Schüsse mit der Pistole abgeben. Wenn Sie so freundlich wären, ein Brett oder dergleichen an einer Stelle aufhängen zu lassen, an der niemand an Bord gefährdet ist.«

Smyth dachte nach. Ein Wettschießen mit Pistole würde die Langeweile an Bord unterbrechen und ihm, wenn dieser Pfaffe darauf einging, sogar einen kleinen Gewinn einbringen.

»Nun, das wäre zu machen«, begann er zögerlich. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mich gerne mit Ihnen messen. Ich setze eine Guinea als Einsatz, wenn es recht ist!«

»Ich würde auch mitmachen«, rief Simmons aus, obwohl sein Kopf noch immer dröhnte. Es drängte ihn jedoch danach, Hinrich zu zeigen, was für ein guter Schütze er war.

Hinrich wechselte einen Blick mit Ruth, zog seine Börse heraus und entnahm ihr zwei Goldstücke. Als Smyth das sah, schüttelte er den Kopf.

»Sie müssen nur eine Guinea einsetzen!«

»Die eine ist für mich, die andere für meine Frau, die ihre Künste mit der Pistole ebenfalls erproben will. Wenn es gegen Eingeborene hart auf hart kommt, muss auch sie mit der Waffe vertraut sein.«

Zwar glaubte Hinrich nicht daran, dass die Bewohner der Inseln, denen er Gottes Wort predigen wollte, gefährlich sein könnten, denn schließlich waren sie ihm von mehreren Seiten als friedlich geschildert worden. Da Ruth und er Simmons jedoch zeigen wollten, was ihn erwartete, wenn er sich noch einmal vergaß, hielt er es für eine glaubhafte Ausrede.

Simmons grinste verächtlich, als er hörte, dass Ruth mit um die Wette schießen wolle. Er traute bereits ihrem Mann nichts zu und nahm an, dass sie beim Knall des Schusses in Ohnmacht fallen würde. Seiner Schwester war dies passiert, als er während eines Urlaubs auf einen Hasen geschossen hatte. Auch waren Frauen viel zu unbeholfen, um eine Waffe bedienen zu können.

Unterdessen sagte sich Smyth, dass drei gewonnene Guineas noch besser waren als zwei.

»Dann soll es so sein. Benson, bringe meine Pistole!«, wies er seinen Diener an und winkte dann den Schiffszimmermann zu sich. »Mr Cribbic, sorgen Sie dafür, dass ein etwa kopfgroßes Stück Holz so an einer Rah aufgehängt wird, dass weder einer der Männer an Bord noch das Segel Gefahr läuft, getroffen zu werden!«

»Aye, aye, Sir!«, antwortete der Mann und eilte davon.

Wenig später erschien der Diener mit Smyths Pistolen. Sie waren gute, englische Handwerksarbeit und der Kapitän seit Jahren mit ihnen vertraut. Auch wenn er sie seit ihrer Abreise aus England nicht benutzt hatte, fühlte er sich gut genug, um einen Hamburger Pfaffen in seine Schranken verweisen zu können. Ruth nahm er ebenso wenig ernst, wie sein Neffe es tat.

»Wie machen wir es? Soll jeder drei Schüsse abfeuern und der beste zählt?«, fragte Simmons. Dies erschien ihm besser, als nur einmal schießen zu können. Er fühlte sich nicht so wohl, um gleich auf Anhieb seine beste Leistung zeigen zu können. Bei drei Schüssen würde er mindestens einmal so gut treffen, dass die Guineas in seine Tasche wandern würden.

Sein Onkel nickte. »Ich unterstütze Mr Simmons’ Vorschlag. Er bietet jedem von uns die gleichen Chancen!«

»Dann soll es so sein!«, erklärte Hinrich und sah zu, wie zwei Matrosen ein kleines Holzbrett mit einer langen Leine ganz außen an der untersten Rah des Großmasts anbrachten und wieder an Deck zurückkehrten.

»Wer soll anfangen?«, fragte Smyth, der begierig war, den Schuss zu tun, der ihm Geld einbringen würde. Eines war für ihn sonnenklar: Sein Neffe würde den eingesetzten Sovereign nicht zurückbekommen.

»Wir sollten losen«, schlug Hinrich vor.

Da mischte Ruth sich mit einem sanften Lächeln ein. »Die beiden Herren und du, ihr solltet es tun. Ich werde mit der Bescheidenheit, die mir als Frau zukommt, als Letzte schießen.«

Da weder Smyth noch sein Neffe ihr die geringsten Chancen zubilligten, waren sie einverstanden. Nach einem kurzen Gespräch mit Hinrich vereinbarten sie, dass Simmons beginnen sollte. Danach kam Hinrich und nach ihm der Kapitän.

»Wir sollten jetzt die Pistolen laden. Die See ist ruhig und bietet uns allen die gleichen Bedingungen«, sagte Smyth und bedeutete seinem Neffen, anzufangen.

Simmons lud die Waffe, warf Ruth einen höhnischen Blick zu und legte an. Als er zielte, wirkte das Ziel auf einmal so klein, dass er zögerte. Den Vorschlag zu machen, aus näherer Entfernung zu schießen, wagte er jedoch nicht. Er biss die Zähne zusammen, hielt den Atem an und zog den Stecher durch. Der Schuss knallte, und das kleine Brett begann zu tanzen. Ich habe getroffen, dachte Simmons triumphierend.

Als das Brett wieder ruhig hing, betrachtete Smyth es durch sein Fernrohr und schüttelte den Kopf. »Es ist kein Einschussloch zu sehen. Sie müssen es gestreift haben, Mr Simmons!«

Dieser wollte es nicht glauben und griff nun selbst zum Fernrohr. Doch auch sein verbiesterter Blick konnte kein Loch in das Zielbrett stanzen.

Nun lud Hinrich seine Pistole, legte an, zielte und schoss. Diesmal tanzte das Ziel weitaus stärker. Selbst mit bloßem Auge war zu erkennen, dass die Kugel etwa auf der Hälfte zwischen dem Rand des Brettes und dessen Mitte eingeschlagen hatte. Es war ein guter Schuss, und sowohl Smyth wie auch dessen Neffe begriffen, dass sie sich anstrengen mussten, um Hinrich zu besiegen.

Mit dem Willen, gleich auf Anhieb zu zeigen, dass er dies konnte, machte der Kapitän sich fertig, zielte lange und sorgfältig und sah zufrieden, wie das Zielbrett auf und ab hüpfte.

»Ein guter Schuss, wenn ich so sagen darf, Captain. Aber nicht ganz so gut wie der von Mr Mensing«, kommentierte der Arzt, der von Smyth zum Schiedsrichter des Wettschießens berufen worden war.

Smyth knurrte leise, sah jedoch selbst, dass bei seinem Treffer ein guter Zoll zu dem von Hinrich fehlte. »Sie sollten die Pistole für Ihre Frau laden«, meinte er dann zu ihm.

Dieser wies lächelnd auf Ruth. »Meine Frau weiß selbst, wie eine Waffe zu bedienen ist.«

Sowohl Smyth wie auch Simmons bedachten Ruth mit fragenden Blicken. Eine Pistole gehörte für sie in die Hand eines Mannes. Ein weibliches Wesen hingegen sollte mit Strick- oder Sticknadeln hantieren.

Ruth machte die Waffe fertig, schlug sie an und überlegte. Zu Hause hatte sie mit ihrem Bruder zusammen nicht nur Englisch und Navigation gelernt, sondern auch mit ihm im Keller des Hauses auf gemalte Ziele geschossen und war dabei nicht schlechter gewesen als er. Da das Schiff sich unter ihren Füßen kaum regte, war sie sicher, das Ziel treffen zu können. Doch wollte sie dies bereits mit dem ersten Schuss?, fragte sie sich, zog die Waffe leicht nach links, zielte kurz und feuerte.

Das Ziel wirbelte wie ein Kreisel um die eigene Achse und drehte sich, als es zum Stillstand kam, dann in die andere Richtung. Kaum hing es wieder ruhig, kontrollierte der Schiffsarzt es durch das Fernrohr.

»Die Kugel hat so am Rand eingeschlagen, dass man es sehen kann. Der Schuss ist damit schlechter als der des Captains und Mr Mensings, aber immer noch besser als der von Mr Simmons.«

Simmons ärgerte sich, weil er schlechter getroffen haben sollte als Ruth, und nahm sich vor, dies mit seinem nächsten Schuss zu ändern. Er lud die Waffe neu, nahm Aufstellung und zielte genau. Als sein Schuss krachte, flog das Ziel kurz hoch. Für einen Augenblick glaubte Simmons, der Beste zu sein, sah dann aber, dass er nicht so gut getroffen hatte wie sein Onkel. Noch habe ich einen letzten Schuss, dachte er und sah zu, wie Hinrich anlegte.

Es mochte sein, dass dieser sich durch seinen guten ersten Schuss zu sicher gewesen war. Er traf zwar, aber nicht so gut wie vorher, und gab damit dem Kapitän die Chance, besser zu sein.

Als Letzte war wieder Ruth an der Reihe. Erneut zögerte sie, auf das Zentrum des Brettes zu schießen, sondern nahm die ihrem ersten Einschuss gegenüberliegende Stelle zum Ziel. Ihr gelang auch diesmal der Treffer, wenn auch knapp.

»Für ein Frauenzimmer beherrschen Sie die Waffe recht gut«, erklärte Smyth gönnerhaft.

Merrick hingegen zog die Augenbrauen zusammen und musterte das Zielbrett noch einmal durch das Fernrohr. Ruths beide Treffer lagen sich genau gegenüber. Daher war er gespannt auf ihren letzten Schuss.

Nun musste erneut Simmons beginnen. Dieser verkrampfte sich jedoch und verfehlte das Brett. Während er wütend fluchte, lachten einige Matrosen ihn aus, denn er war an Bord nicht beliebt. Auf den Booten hatten die Männer unterdessen das Rudern eingestellt und blickten auf das Schiff.

»Was ist los?«, rief James.

»Der Captain, Mr Simmons und die Passagiere schießen ein wenig um die Wette«, rief ihm der Schiffszimmermann zu. »Es ist schade, dass Sie nicht mitmachen können. Sie hätten wahrscheinlich gewonnen.«

Smyth ärgerte sich über diesen Ausruf. Allerdings musste er einen weiteren Schlag hinnehmen, denn Hinrich übertraf ihn mit seinem letzten Schuss um einen Zoll. Mit zusammengebissenen Zähnen legte er nun selbst an, fixierte das Ziel in einer Weise, als wolle er es hypnotisieren, und schoss.

»Etwa so gut wie der Schuss, den Mr Mensing eben abgegeben hat«, meinte der Schiffsarzt, obwohl er wusste, dass man besser nicht nachmessen sollte. Seinen Kapitän auf die zweite Stelle zu verweisen, wagte er jedoch nicht.

»Es sieht so aus, als würde Ihnen Ihr Einsatz bleiben und ich mich an dem von Mr Simmons bereichern«, erklärte Smyth gönnerhaft.

»Es sieht wohl so aus«, antwortete Hinrich, der nicht glaubte, dass Ruth besser schießen würde als die beiden ersten Male. Da er den Kapitän nicht kränken wollte, nahm er es hin, dass sie beide angeblich gleich gut getroffen hatten.

Unterdessen lud Ruth in aller Ruhe ihre Waffe, legte an und zielte. Plötzlich glaubte sie ein leichtes Schwanken des Schiffes zu spüren und korrigierte den Lauf, bevor sie Feuer gab.