Die Pestizidlüge - André Leu - E-Book

Die Pestizidlüge E-Book

André Leu

0,0

Beschreibung

»Alle in der Ernährungsmittelindustrie eingesetzten Pestizide sind eingehend getestet worden und bewiesenermaßen unschädlich.« »Die Menge an Pestiziden in unserem Essen ist so gering, dass sie überhaupt keinen Effekt haben.« »Der Einsatz von Pestiziden ist unvermeidbar, wenn wir die ganze Weltbevölkerung ernähren wollen.« So oder so ähnlich argumentieren Agrarindustrie und Chemielobby seit Jahrzehnten. Geht es um Pestizide und andere synthetische Chemikalien werden Daten geschönt und Bedenken ignoriert. So orientieren sich etwa die Richtwerte, ab wann Pestizide schädlich (und damit verboten) sind, stets nach einem gesunden Erwachsenen. Dass ein Großteil der Bevölkerung, nämlich unsere Kinder, bei diesen Werten bereits massiv gefährdet sind, wird verschwiegen. Dabei bringen zahlreiche wissenschaftliche Studien den Einsatz von Pestiziden längst mit dem Anstieg von Krankheiten und Verhaltensstörungen in Verbindung. Ist das die Zukunft, die wir für unsere Kinder wollen? »Nein!«, sagt André Leu – und entlarvt nicht nur die Mythen um die sicheren Pestizide, sondern weist auch einen Weg in eine pestizidfreie Landwirtschaft.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 279

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



André Leu
Die Pestizidlüge
Wie die Industrie die Gesundheitunserer Kinder aufs Spiel setzt
Aus dem Englischen von Sonja Schuhmacherund Naemi Schuhmacher
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Deutsche ErstausgabeCopyright der Originalausgabe: © 2018, André LeuDeutsche Ausgabe publiziert mit der Erlaubnis von: Acres U. S. A.Erstmals publiziert auf Englisch unter dem Titel »Poisoning Our Children«,ISBN 978-1-601-73140-1.
© 2018 oekom, Münchenoekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Satz und Layout: Tobias Wantzen, BremenKorrektorat: Maike SpechtLektorat: Bernward Geier; Laura Kohlrausch, oekom verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-433-3
Wir danken HiPP für die Förderung der Übersetzung und des Lektorats.

Inhaltsverzeichnis

Widmung und Dank
Stefan Hipp  Grußwort
Renate Künast  Ein Weckruf nicht nur für Eltern
Vandana Shiva  Die Wahrheit ans Licht bringen
Einführung
MYTHOS 1Gründlich getestet
»Alle Agrargifte sind wissenschaftlich getestet, um eine sichere Verwendung zu gewährleisten«
MYTHOS 2Sehr kleine Mengen
»Die Rückstände sind zu gering, um Probleme zu verursachen«
MYTHOS 3Abbau
»Moderne Pestizide werden rasch biologisch abgebaut.«
MYTHOS 4Verlässliche Aufsichtsbehörden
»Vertrauen Sie uns – wir haben alles im Griff«
MYTHOS 5Pestizide sind für die Landwirtschaft unentbehrlich
»Ohne Pestizide würden wir verhungern«
Was können wir für den Schutz unserer Kinder und unserer Zukunft tun?
Nachhaltigkeit bei oekom: Wir unternehmen was!

Widmung und Dank

Für meine Frau Julia: für über 40 Jahre der Liebe und Partnerschaft bei all unseren Abenteuern. Ohne Deine Unterstützung hätten sie nicht gelingen können. Und wir haben noch viele Abenteuer vor uns, auf die wir uns freuen können.
Für unsere Söhne Asha und Nick: Ihr seid auf der unmöglichen Farm aufgewachsen. Man hat mir gesagt, ich könne in Australien niemals die neuen Kulturen einführen, die wir angepflanzt haben. Als ich es getan habe, hat man mir gesagt, es sei unmöglich, sie biologisch anzubauen. Die Experten erklärten mir außerdem, es sei unmöglich, sie zu verkaufen, weil der Weg zu den Hauptmärkten zu weit sei. Das Unmögliche dauert ein bisschen länger und erfordert mehr Planung. Lasst euch niemals einreden, eure Träume seien unmöglich. Träumt weiter, plant und seid hartnäckig – ihr schafft es. Träume werden wahr.
Für meinen Bruder Michael: Unsere Eltern haben uns eine außergewöhnliche Kindheit geschenkt, die in ein Leben voller Abenteuer führte – manche sind schiefgegangen, aus anderen ist etwas geworden, vor allem jetzt, nachdem wir beide in der zweiten Lebenshälfte gut dastehen. Als Brüder verbindet uns viel – auch eine tiefe, erfreuliche Freundschaft.
Für Alan und Suzi Carle: für 45 Jahre treuer Freundschaft und dafür, dass ihr gezeigt habt: Es ist möglich, eine große Zahl gefährdeter Arten zu retten, viele tausend Menschen darüber aufzuklären und gleichzeitig einen erfolgreichen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen.
Für alle Mitglieder, Vorstände und Mitarbeiter der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM): Der Präsident dieser Vereinigung gewesen zu sein ist die größte Ehre, die einem Biobauern zuteilwerden kann – besser als ein Nobelpreis. Danke für eure Unterstützung und euer Vertrauen.
Mein besonderer Dank geht auch an Bernward Geier, Stefan Hipp und Laura Kohlrausch für die viele Arbeit und Mühe, die sie in die Übersetzung und Publikation der deutschen Ausgabe dieses Buches gesteckt haben. Ich schätze eure Arbeit sehr.
Grußwort
von Stefan Hipp
Seit über sechs Jahrzehnten steht das Familienunternehmen HiPP für eine umweltfreundliche und nachhaltige Ausrichtung unternehmerischen Handelns, und ich bin froh, in der bewussten und sensiblen Auseinandersetzung mit den Themen Natur, Mensch und Wirtschaft aufgewachsen und erzogen worden zu sein. Aus diesem Grund ist es mir ein ganz besonderes und persönliches Anliegen, für einen respektvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen und für den Schutz der Natur einzustehen. So habe ich es vorgelebt bekommen, so handle ich selbst, und so möchte ich es auch an die zukünftige Generation weitergeben. Denn nur wenn wir unsere Umwelt achten und schützen, können wir sie für unsere Kinder und Kindeskinder bestmöglich erhalten. Die höchste Priorität haben dabei Klima, Wasser und Boden – dieser Dreiklang bildet eine untrennbare Verbindung für eine intakte Umwelt. Unser Unternehmen steht seit jeher in der Tradition der ökologischen Landwirtschaft und ist heute durch den konsequenten Einsatz von Rohstoffen aus biologischem Landbau der weltweit größte Verarbeiter biologischer Rohstoffe für Baby- und Kleinkindnahrung. In der ökologischen Landwirtschaft sind jegliche Formen von chemisch-synthetischen Spritz- und Düngemitteln verboten und stehen der Schutz der Pflanze, der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, die Artenvielfalt und die artgerechte Haltung und Fütterung der Tiere an oberster Stelle. Gemeinsam mit über 8.000 Vertragslandwirten bewahren wir durch den ökologischen Anbau Wasser, Luft und Boden vor Verunreinigungen durch Kunstdünger und Pestizide. Die so erzeugten Lebensmittel sind nachhaltig, schonend für die Natur und von höchster Qualität – unser Zeugnis eines verantwortungsbewussten und umweltfreundlichen Denkens und Handelns. Dieses Buch trägt als Aufklärungswerk weiter zur Enthüllung einer seit Jahrzehnten existierenden »Pestizidlüge« bei. Es ist ein wichtiger Schritt in eine bessere Umwelt und Zukunft für unsere Kinder, in der wir das Beste für die Natur geben, um das Beste aus ihr zu erhalten.
Ein Weckruf nicht nur für Eltern
Vorwort von Renate Künast
Mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 sind die unterzeichnenden Staaten große Verpflichtungen für Kinder eingegangen. Sie haben in Artikel 24 das Recht des Kindes »auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit« anerkannt und erklärt, sich zu bemühen, »die volle Verwirklichung dieses Rechtes sicherzustellen« und dabei die »Gefahren und Risiken der Umweltverschmutzung zu berücksichtigen«.
Die Realität sieht leider ganz anders aus. So hat etwa der deutsche Agrarminister im November 2017 dem Antrag der EU-Kommission auf Verlängerung der Zulassung von Glyphosat entgegen der Abstimmung der Bundesregierung zur Mehrheit verholfen. Kritische öffentliche Debatten, auch durch die Regierung in Frankreich und Italien, haben nichts bewirkt. Die Forderung des Europäischen Parlaments nach einem fünfjährigen Ausstiegsszenario wurde ignoriert. Und trotz allen Geredes, man wolle Pestizide reduzieren, ist ihre Verwendung in den letzten Jahren tatsächlich stetig gestiegen.
Was ist das für ein Recht, was für ein Verfahren, bei dem das Interesse an profitabler Verwertung von Pestiziden mehr Schutz erfährt als die Gesundheit der Kinder, deren Körper und Funktionen sich erst entwickeln und besonders empfindlich sind? Wo ist das europäische Vorsorgeprinzip geblieben? »Kinder schützen, nicht Pestizide«, schrieb kürzlich Baskut Tuncak, der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und gefährliche Substanzen. Treffender kann man es nicht sagen.
Schnell kommt das Argument, man mache ja alles rein wissenschaftlich. Es wird vor einer Diskreditierung der Wissenschaft gewarnt. Aber schauen wir mal auf die Zulassungsverfahren: Weder in den USA noch in der EU sind diese Verfahren unabhängig und transparent. Es gibt einen regelrechten Zulassungstourismus, in dem die Unternehmen sich selbst aussuchen, welche Behörde ihre Anträge bearbeitet. Zugrunde liegende Untersuchungen sind geheim, nicht mal die konkrete Fragestellung ist öffentlich, auch nicht die Finanzierung. Und dann ist da noch die Entdeckung, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung als eigene Einschätzung ausgab, was tatsächlich aus Monsanto-Unterlagen per Copy-and-paste eingesetzt wurde. Als Ministerin für Landwirtschaft von 2001 bis 2005 habe ich den wirklich enormen Druck von Unternehmensseite und vom US-Agrarministerium hautnah erlebt, wenn es um Monsanto-Gentechnik und damit auch um Roundup ging. Unabhängige wissenschaftliche Arbeit geht anders.
Wird denn in der EU ernsthaft für unsere Gesundheit gesorgt? Nein. Auch das europäische Zulassungsverfahren für Pestizide ist faktisch gescheitert. Es basiert auf den gleichen Prinzipien wie in den USA: Es dient den Interessen der Konzerne, ist Teil der Agrarindustrie und stellt faktisch die Gesundheit, den Erhalt der Arten und gesunder Böden ins Abseits. Solche Verfahren, in denen nichtöffentliche Studien genutzt werden, werden wir im 21. Jahrhundert doch nicht akzeptieren! Wir haben das Recht zu wissen – zu wissen, auf der Basis welcher Studien und welcher Finanzierung Risikobewertungen abgegeben werden. Und wir können keinen Zulassungstourismus akzeptieren.
Wir Menschen sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend Pestiziden und ganzen Giftcocktails ausgesetzt. Hinzu kommt noch die Wirkung der Cocktails, denen Landwirte, Landbewohner, Gartenbesitzer, Konsumenten und in der Entwicklung befindliche Kinder jeden Tag ausgesetzt sind.
Das Buch von André Leu erzählt die Wahrheit – über Gifte auf dem Acker, im Essen, im Körper; und was sie in uns und speziell den Kindern auslösen: chemisch-synthetische Stoffe, die irreparable Auswirkungen auf Mensch und Natur haben. Es klärt uns auf, was wirklich getestet wird.
Was bewirken diese Ackergifte, Materialien in Verpackungen, Inhaltsstoffe eigentlich? Warum dürfen sie in der Produktion unserer Lebensmittel eingesetzt werden, und warum darf unser Essen Rückstände davon beinhalten? Weil die Agrarindustrie auf Export setzt, auf die Herstellung von möglichst viel Masse. Den Folgen der Monokulturen versuchen sie mit hohem Chemieeinsatz beizukommen. Dem folgen dann die Profitinteressen der Chemieindustrie und Saatgutkonzerne, die ihre Produkte darauf abstellen.
Am Ende dieses Buches ist die Pestizidlüge enttarnt. Am Ende wissen wir Bescheid über die horrende Wirkung dieser Chemikalien.
Dieses Buch ist ein Weckruf für Eltern und Großeltern. Aber auch für alle anderen ist es eine Aufforderung, jetzt aufzustehen und gesunde Lebensbedingungen für die Menschen überall einzufordern. Grundlage eines gesunden Lebens und einer guten Zukunft sind eine vielfältige gesunde Natur und eine Wirtschaftsweise, die dem Rechnung trägt.
Nelson Mandela schrieb einmal: »Es ist gewiss, dass wir in unserer modernen Welt besser für unsere Kinder sorgen können, als wir es jetzt tun. Es gibt keine Entschuldigung dafür, den Kindern eine gute Kindheit vorzuenthalten, in der sie ihre Fähigkeiten voll entfalten können.« Die Gesundheit unserer Kinder muss das Maß unseres Handeln sein – nicht die Profite von Unternehmen. Bei der Wahrung des Rechts auf Gesundheit darf es keine Abwägung geben. Um die Gesundheit unserer Kinder nicht aufs Spiel zu setzen, muss es jetzt einen Wandel geben. Klasse statt Masse. Vielfalt statt Monokulturen. Transparenz statt Geheimniskrämerei.
Dies Buch ist ein Weckruf. Für uns alle.
Renate Künast
MdB, Bundesministerin a. D.
Die Wahrheit ans Licht bringen
Vorwort von Vandana Shiva
Ich sitze hier in Cordoba, Argentinien, dem Epizentrum des Anbaus von transgenem Soja und damit des Versprühens von Glyphosat, einem Herbizid, das von Monsanto auch unter dem Markennamen »Roundup« vertrieben wird.
300 Millionen Liter Glyphosat werden hier jährlich gespritzt. Das entspricht 5 Litern pro Kopf – die höchste Einsatzmenge weltweit. Cordoba ist auch das Epizentrum einer Gesundheitskrise, bei der Kinder den höchsten Preis bezahlen. Krebsraten und Geburtsfehler gehen steil nach oben. 6 bis 7 Prozent der Kinder, die hier zur Welt kommen, leiden unter Fehlbildungen.
André Leus Buch »Die Pestizidlüge« ist ein überfälliger Weckruf an die Welt. Es präsentiert die neuesten Forschungsergebnisse zu der Epidemie, die durch Gifte in unserem Essen ausgelöst wird. Denn: Pestizide und Herbizide sind Gifte. Es ist an der Zeit, sie beim Namen zu nennen. André hat das getan. Wir brauchen eine Wissenschaft, die die Dinge beim Namen nennt, um ihre Auswirkungen auf die Gesundheit unserer Kinder und ihre vermeintliche Notwendigkeit in der Nahrungsmittelproduktion richtig einzuschätzen.
Aber nicht nur das. Das Buch zeigt, dass giftfreie Alternativen besser funktionieren, und zwar sowohl in der Schädlingsbekämpfung als auch in der Erzeugung gesunder, nahrhafter Lebensmittel. Es gibt wirklich also keine Rechtfertigung dafür, in der Pestizidtretmühle zu bleiben.
Wie André Leu erläutert, beweisen wissenschaftliche Studien und die Praxis auf dem Acker, dass Agrarökologie und biologische Landwirtschaft mehr und besseres Essen erzeugen, und das ganz ohne Gift. Der Weltagrarrat (IAASTD) und der Weltklimarat für Landwirtschaft kommen zu dem Schluss, dass weder die Grüne Revolution mit ihren Chemikalien noch die Gentechnikrevolution mit ihren gentechnisch veränderten Organismen die Nahrungsproduktion steigern. Die Gifte aber verursachen schwere und unumkehrbare Schäden für den Planeten und die Menschen, insbesondere aber für unsere kleinen, verletzlichen Kinder. Krebs, neurologische Probleme und Erkrankungen des Verdauungstrakts nehmen exponentiell zu.
Will man dieser Epidemie beikommen, muss eine Bewertung der Auswirkungen von Giftkomplexen auf komplexe Lebewesen über kausale Systeme erfolgen. Ein mechanistisches Weltbild und Monokausalitäten sind für diese Aufgabe ungeeignet. Auch Interessenkonflikte erschweren die Risikobewertung für Gifte und die Suche nach Lösungen. Wenn die Giftproduzenten als Verursacher der Krankheit darüber entscheiden, was unbedenklich ist und was nicht, sind unsere Kinder vor Gefahren schlecht geschützt. Und wenn die gigantische Giftindustrie jeden unabhängigen Wissenschaftler verfolgen kann – von Arpad Putzai über Gilles-Éric Séralini und Tyrone Hayes bis Ignacio Chapela –, dann ist die Wissenschaft selbst in Gefahr. Konzerne wie Monsanto wissen, welche Schäden sie anrichten, und unterdrücken dieses Wissen wie im Fall der karzinogenen Eigenschaften von Glyphosat. Monsanto weiß Bescheid.
Zudem haben dieselben Konzerne, die Agrargifte und patentierte genetisch veränderte Organismen verkaufen, auch die patentierten Krebsmedikamente im Angebot. Der Schaden für uns und unsere Kinder eröffnet für sie neue Marktchancen. Mit der angestrebten Fusion zwischen Bayer und Monsanto wird die Frage der Konzernmacht über unser Essen und unsere Gesundheit und die Frage der Rechenschaftspflicht dieser Unternehmen als Gebot der Demokratie noch dringlicher.
Monsanto und Bayer blicken auf eine lange Geschichte zurück. Sie haben unter Einsatz gemeinsam erarbeiteter Technologien Sprengstoffe und tödliches Giftgas produziert und in beiden Weltkriegen an beide Seiten verkauft. Bayer war Bestandteil der IG Farben, unter Hitler das weltgrößte Chemieunternehmen und im Vorkriegsdeutschland größter Devisenbringer mit Niederlassungen in den Vereinigten Staaten und der Schweiz. Monsanto ging damals ein Joint Venture mit der IG Farben ein – jenem Unternehmen, das Hitler mit Zyklon B versorgte, einem Pestizid auf Blausäurebasis, das im Holocaust in den Vernichtungslagern eingesetzt wurde. Zyklon B diente bei den Nürnberger Prozessen, die zur Verurteilung der IG Farben wegen Kriegsverbrechen führten, als Beweismittel. Monsanto und Bayer hatten aber noch ein weiteres fatales Gemeinschaftsprojekt – Mobay. Mobay lieferte im Vietnamkrieg die Zutaten für Agent Orange. 75 Millionen Liter der Entlaubungsmittel und Herbizide von Mobay wurden über Südvietnam versprüht. Kinder kamen mit Geburtsfehlern zur Welt, und Erwachsene litten an chronischen Krankheiten und Krebs, weil sie den Chemikalien von Mobay ausgesetzt waren. Monsanto und Bayer tauschten damals auch Lizenzen für Agent-Orange-Resistenz-Technologien aus, die sie über Jahrzehnte gemeinsam entwickelt hatten. Kriege wurden ausgetragen, Menschen starben, Zusammengehöriges wurde entzweit – mit willkürlichen Ländergrenzen, wie es der Kolonisierung und der Ausbeutung von Ressourcen gerade dienlich schien –, während Monsanto und Bayer Chemikalien in Form von Bomben und Giften verkauften.
In jüngerer Zeit haben der Website von Monsanto zufolge die Bayer Crop Science AG und Monsanto Co. »eine Reihe langfristiger Geschäfts- und Lizenzvereinbarungen im Hinblick auf wichtige landwirtschaftliche Basistechnologien geschlossen«. Damit haben Monsanto und Bayer gegenseitig freien Zugriff auf die Herbizid- und die dazugehörige Herbizidresistenztechnologien beider Firmen. Durch derartige Lizenztauschvereinbarungen, durch Fusionen und Übernahmen wurde die Biotechindustrie zur IG Farben von heute, wobei Monsanto die Fäden in der Hand hält. Monsantos gescheiterte Übernahme von Syngenta wäre – innerhalb des viel größeren Konglomerats der industriellen Landwirtschaft und Biotechnologie – eine reine Buchführungsmaßnahme zur Haftungsreduzierung gewesen. In Wahrheit gibt es zwischen den Konzernen der Agrarindustrie und der Biotechnologie keine Konkurrenz. In Indien nutzen Monsanto und Bayer sogar dieselben Vertriebskanäle für ihre Chemikalien, ihr Saatgut und die Kredite, die Bauern aufnehmen, um diese Gifte zu kaufen. Auf der Website von Monsanto kann man zu den langfristigen Verträgen Folgendes nachlesen:
Im Rahmen dieser Vereinbarungen gewährt Bayer CropScience Monsanto eine kostenpflichtige, nichtexklusive Lizenz für seine Herbizidtoleranztechnologie LibertyLink® für den Einsatz bei Mais und Sojabohnen, den beiden bedeutendsten Feldfrüchten hinsichtlich der Anbauflächen in den Vereinigten Staaten. Die Vereinbarungen gewähren Monsanto die Option, Mais- und Sojabohnensaatgut zu vermarkten, das sowohl Roundup-Ready®- als auch LibertyLink®-Technologien enthält, die Farmern zusätzliche Unkrautmanagementlösungen anbieten können. Monsanto und Bayer CropScience haben überdies bestimmte bestehende Vereinbarungen auf dem Gebiet von Herbizidtoleranz ergänzt, um einander günstigere Konditionen zu gewähren.
Auf dem Gebiet der Insektenresistenz haben die beiden Unternehmen eine kostenpflichtige Vereinbarung geschlossen, die Bayer CropScience Rechte an bestimmtem geistigen Eigentum von Monsanto gewährt. Überdies haben die Unternehmen andere Vereinbarungen ergänzt, die sich auf Technologien zur Schädlingskontrolle beziehen, darunter Monsantos nichtexklusive, kostenpflichtige Lizenz zur Nutzung der Dual-Bt-Technologie von Bayer CropScience. Dies ermöglicht es Monsanto, Produkte zu vermarkten, die multiple Gene zur Resistenz gegen Schädlinge mit verschiedenen Wirkungsweisen enthalten.
Als Teil der Vereinbarungen tauschen Monsanto und Bayer CropScience Lizenzen für ihren jeweiligen Patentbestand der RNAi-Technologie, einer wichtigen Basistechnologie für die Entwicklung neuer landwirtschaftlicher Produkte.
Monsantos Bt-Technologie (die Technologie für gentechnisch veränderte Produkte), lizenziert an Bayer, hat in Indien grotesk versagt. Wegen des Versagens von Bt-Baumwolle wurde die Baumwollernte dezimiert. Bauern im Punjab haben fast ihre gesamte Ernte eingebüßt, und die Schulden aus der Pflanzsaison belasten sie schwer. Als die Bt-Ernte ausfiel, sah Bayer seine Chance. Mit fragwürdigen Mitteln überredete der Konzern den Bundesstaat Punjab, das Pestizid »Oberon« als Lösung für den Befall durch die Weiße Fliege einzusetzen. Bayer verkaufte mithilfe des Landwirtschaftsministeriums Oberon im Wert von 333 Millionen Rupien (rund fünf Millionen Dollar) an verzweifelte Bauern. Der Oberon-Betrug hat folgende Bayer-Freunde im Landwirtschaftsministerium des Punjab vor Gericht gebracht: Landwirtschaftsdirektor Mangal Singh Sandhu, seinen Amtskollegen Balwinder Singh Sohal und den stellvertretenden Direktor (Abteilung Baumwolle) Parminder Singh. Sie wurden wegen Betrugs, schwerer Untreue, krimineller Verschwörung und Korruption angeklagt. Gegen Bayer wurde noch kein Prozess eingeleitet.
Die Bt- und Roundup-Ready-Technologien von Monsanto sind gescheitert. Bt und LibertyLink von Bayer dagegen werden noch nicht als Fehlschlag gesehen. Die Zulassung von gentechnisch verändertem Senf wird Bayers LibertyLink abermals den Zugang zum indischen Markt ermöglichen. Einmal abgesehen von der Biosicherheit, wird das anderen Firmen und ihren herbizidtoleranten Sorten anderer Feldfrüchte Tür und Tor öffnen, die insgesamt nichts anderes sind als eine riesige toxische Schuldenfalle für unsere Bauern. Genetisch veränderte Organismen werden zwangsläufig noch mehr Bauern in eine so ausweglose Lage bringen, dass sie sich das Leben nehmen.
Wir dürfen Gifte nicht länger als »Pflanzenschutzmittel«, »phytosanitäre Chemikalien« oder gar »Medizin« (auf Hindi »dawai«) bezeichnen, weil dies die Illusion erweckt, sie seien ungefährlich für die Menschen und sie schützten die Pflanzen. Pestizide sind Gifte. Pestizide haben Schädlinge vermehrt und nicht bekämpft. Als Technologie haben sie versagt.
Ebenso wenig ist es durch genetisch veränderte Organismen (GVO), wie z. B. pestizidproduzierende Pflanzen, gelungen, Schädlinge zu bekämpfen, vielmehr haben sich diese vermehrt. Der Fall von Bt-Baumwolle in Indien ist ein klares Beispiel dafür.
Die Ökologie lehrt uns, dass Schädlinge durch die chemisch-industrielle Landwirtschaft mittels folgender Prozesse begünstigt werden:
Förderung von Monokulturen;
chemische (Kunst-)Düngung für die Feldfrüchte, die Pflanzen anfälliger für Schädlinge macht;
Auftreten von Resistenzen bei Schädlingen durch das Versprühen von Pestiziden; und
Tötung von Nützlingen, die Schädlinge bekämpfen, und somit Störung des biologischen Gleichgewichts zwischen dem Schädling und seinem Fressfeind.
Bt-Feldfrüchte sind keine Alternative zu diesen schädlingsvermehrenden Systemen. Sie sind die Fortsetzung einer nichtnachhaltigen Strategie zur Schädlingsbekämpfung, die, statt Schädlinge zu kontrollieren, neue Schädlinge und Superschädlinge hervorbringt. Monsanto wirbt damit, dass Bt-Baumwolle das Versprühen von Pestiziden entbehrlich macht – ein klarer Fall von betrügerischer Werbung. Die wichtigste Rechtfertigung für das gentechnische Einschleusen von Bt-Merkmalen in Feldfrüchte lautet, durch sie würde der Insektizideinsatz reduziert. Eine Monsanto-Broschüre zeigt ein Bild mit ein paar Raupen und rät: »Sie werden diese [Tiere] in Ihrer Baumwolle sehen, das ist in Ordnung. Spritzen Sie nicht.« Noch heute behaupten Monsanto-Apologeten, Biotechnologie habe den Pestizideinsatz reduziert. Die Verwüstung im Punjab beweist das Gegenteil.
Bt-Feldfrüchte sind pestizidproduzierende Pflanzen, die Schädlinge kontrollieren sollen. In den Vereinigten Staaten, wo die Biotechnologie ihren Anfang hat, werden Bt-Feldfrüchte als Pestizide registriert. Bt-Toxine sind Gifte, die in der Natur durch ein Bodenbakterium – Bacillus thuringiensis (Bt) – erzeugt werden. Bauern und Gärtner setzen den Bacillus thuringiensis seit über fünfzig Jahren in seiner natürlichen Form als biologisches Pestizid ein. In jüngster Zeit wurden Bt-Gene durch Genmanipulation in Nutzpflanzen eingeschleust, was jede Zelle der Pflanze veranlasst, fast während ihrer gesamten Lebenszeit Toxine zu produzieren. Der natürlich vorkommende Bacillus thuringiensis und genmanipulierter Bt sind dabei aber nicht wesensgleich. Das von dem Bodenbakterium erzeugte Bt ist ein Protoxin, das zunächst ungiftig ist. Dementsprechend ist es für Nichtzielspezies ungefährlich. Erst durch die Enzyme im Darm bestimmter Raupen verwandelt es sich in ein Gift. In der genmanipulierten Bt-Pflanze benötigt das Toxin diesen Umweg nicht: Bt-Pflanzen enthalten abgeschnittene Bt-Gene, die das Gift auch ohne Verarbeitung durch Enzyme hervorbringen. Deshalb wirkt es weniger selektiv und tötet nicht nur die Raupen der Baumwoll-Kapseleule, sondern auch Insekten, die keine Schädlinge sind. Diese Wesensunterschiede zwischen Bt in seiner natürlich auftretenden bakteriellen Form und seiner genmanipulierten Form in Pflanzen sind der Grund, warum Nützlinge geschädigt werden, während Schädlinge Resistenzen entwickeln.
Die falsche Behauptung der Biotechnologie, die beiden Bt-Formen seien wesensgleich, hat die wissenschaftliche Forschung blockiert, die den Unterschied einschätzen könnte. Wissenschaft wurde durch Propaganda verdrängt. Gentechnisch veränderte Bt-Feldfrüchte werden als nachhaltige Schädlingsbekämpfung angepriesen, obwohl ihr Versagen offenkundig ist. Statt Schädlinge zu kontrollieren, fördern sie die Entwicklung von Schädlingen, wie sich am Befall durch die Weiße Fliege zeigte, der 2015 über 60 Prozent der Bt-Baumwollernte vernichtete. Seit Bt in Indien eingeführt wurde, sind Insekten, die historisch niemals gentechnikfreie Baumwolle beeinträchtigt hatten, zu gefährlichen Baumwollschädlingen herangereift. Der Befall durch Blattläuse, Zikaden, Stinkwanzen und Wollläuse hat so massiv überhandgenommen, dass Bauern mehr Pestizide einsetzen mussten als je zuvor.
Weltweit herrscht eine Epidemie an nicht übertragbaren chronischen Erkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt dazu fest: »Nicht übertragbare Krankheiten (NCD) wie Herzleiden, Schlaganfall, Krebs, chronische Atemwegserkrankungen und Diabetes sind weltweit die Haupttodesursachen. Diese unsichtbare Epidemie ist eine unterschätzte Ursache für Armut und behindert die wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder. Die Last wächst – die Zahl der betroffenen Menschen, Familien und Gemeinden nimmt zu.«1 Diese Krankheiten holt man sich nicht durch Ansteckung. Niemand bekommt Krebs, ein Herzleiden oder Diabetes, weil er neben einer erkrankten Person sitzt. Ihre vielfältigen Ursachen sind umwelt- und verhaltensbedingt, das heißt, sie lassen sich vermeiden, wenn wir unsere Gewohnheiten im Hinblick auf Ernährung, Wasser usw. ändern, um Belastungen aus dem Weg zu gehen.
»Die Pestizidlüge« verweist auf zahlreiche wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Pestizidrückstände in unseren Lebensmitteln ganz erheblich zu dieser Epidemie beitragen und dass unsere Kinder besonders anfällig für diese Gifte sind. André Leu fasst in diesem Buch die wissenschaftliche Forschung über die Schädigung der öffentlichen Gesundheit durch Gifte und Gift produzierende Pflanzen zusammen. Außerdem zeigt er faktenreich auf, dass eine Landwirtschaft ohne Gift die Zukunft ist.
Giftfreies Essen ist ein angestammtes Recht unserer Kinder, und wir alle haben die kollektive Pflicht, künftige Generationen zu schützen. Andrés Buch ist ein lebenswichtiges Argument, das wir brauchen, um Schaden von unseren Kindern abzuwenden.
Dr. Vandana Shiva
Cordoba, Argentinien, 2016
Anmerkung
1http://www.who.int/gho/ncd/en/.

Einführung

Unsere Kinder sind einfach unersetzlich, sie sind kostbar, und sie sind unsere Zukunft. Unglücklicherweise sind sehr viele Kinder durch verschiedenste Gifte belastet, weil die staatlichen Aufsichtsbehörden nicht auf die zahlreichen wissenschaftlichen Belege reagieren, die diese Giftstoffe mit der Zunahme von Erkrankungen und Verhaltensproblemen bei Kindern in Verbindung bringen. Nachdem seit mehr als einem Jahrhundert die durchschnittliche Lebenserwartung stetig gestiegen ist, wächst nun nach Einschätzung vieler Experten erstmals wieder eine Generation heran, die eine niedrigere Lebenserwartung haben wird als ihre Eltern und deren Lebensqualität zudem durch zunehmende Gesundheitsprobleme beeinträchtigt wird.1 Ist das die Zukunft, die wir für unsere Kinder wollen?
Als Eltern müssen wir für die Gesundheit unserer Kinder fundierte Entscheidungen treffen, und damit wir das tun können, benötigen wir solide Informationen. In diesem Buch betrachte ich daher die wissenschaftlich belegten Risiken von synthetischen Chemikalien und stelle die Ergebnisse publizierter Studien verständlich dar. Der Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Pestiziden, weil sich deren giftige Rückstände in unserem Essen finden; aber ich werde mich auch mit verschiedenen anderen gebräuchlichen Chemikalien beschäftigen, denen unsere Kinder ausgesetzt sind, und darstellen, dass Cocktails aus winzigen Mengen dieser Chemikalien und Pestizide für zahlreiche schwere Krankheiten verantwortlich sind.
Am wichtigsten aber ist, dass dieses Buch auch erklärt, wie wir diese Risiken praktisch ausschalten können. Es gibt gute und schlechte Nachrichten, aber letztlich dürfen wir optimistisch sein. Wir haben die Wahl, mit ganz einfachen Veränderungen das beste Ergebnis für die künftigen Generationen zu erzielen. Denn als Eltern haben wir die Pflicht, für das Wohl unserer Kinder und Kindeskinder zu sorgen.
Die Pestizidlüge baut auf den Erkenntnissen meines preisgekrönten Buches The Myths of Safe Pesticides2 auf; es ermöglicht Eltern, mit fundierten Entscheidungen die Gesundheit ihrer Kinder zu schützen. Im Unterschied zu meinem früheren Buch liegt der Schwerpunkt bei Die Pestizidlüge auf der Gesundheit von Kindern und deren Gefährdung. Seit Erscheinen von The Myths of Safe Pesticides hat sich eine Menge getan, viele wichtige Studien wurden herausgegeben, die ich nun mit aufgenommen habe, und vor allem hat die Weltgesundheitsorganisation Glyphosat, das weltweit meistverwendete Pestizid, als wahrscheinlich krebserregend eingestuft.
Die Forschung zeigt, dass unsere Kinder schon vorbelastet mit giftigen Cocktails aus Pestiziden, Lebensmittelzusätzen und anderen bedenklichen Chemikalien zur Welt kommen. Zahlreiche wissenschaftliche Studien beweisen, dass die derzeitigen Regelungen in aller Welt nicht ausreichen, um ungeborene und heranwachsende Kinder vor der Belastung durch einen gefährlichen Mix toxischer Pestizide zu schützen. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die durch ebenso zahlreiche Gutachter einer Peer-Review unterzogen wurden, zeigen, dass Pestizidbelastung bei ungeborenen und heranwachsenden Kindern in Zusammenhang steht mit:
Krebs
Schilddrüsenerkrankungen
Immunschwäche
niedrigerem IQ
Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS)
Störungen im autistischen Spektrum
eingeschränkter körperlicher Koordination
Wutanfällen und Problemen mit Aggressionsbewältigung
Erkrankungen aus dem Spektrum bipolare Störungen und Schizophrenie
Depression
Verdauungsstörungen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Fortpflanzungsproblemen (als Erwachsene)
Fehlbildungen der Genitalorgane und Harnwege
Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit und Diabetes
Rückstände von Pestiziden wurden unter anderem in Sperma, der Follikelflüssigkeit von Eizellen, Fruchtwasser, dem Blut von Müttern, Plazenta- und Nabelschnurblut, Muttermilch, im Mekonium (erster Stuhl des Neugeborenen) und im Urin von Kindern gefunden. Die Umweltorganisation Environmental Working Group hat im Nabelschnurblut von Babys bis zu 232 Chemikalien nachgewiesen.3
Die Fokussierung dieses Buches auf Kinder ist übrigens nicht nur durch meine Sorge um sie begründet, sondern auch noch durch einen ganz gravierenden Faktor: Kinder sind aus mehreren Gründen viel anfälliger für durch Chemikalien verursachte Schäden als die meisten Erwachsenen. Weil kleine Kinder im Verhältnis zum Körpergewicht mehr Nahrung brauchen, sind sie der höchsten Pestizidbelastung ausgesetzt. Höchst besorgniserregend ist zudem, dass bei Föten und Neugeborenen schützende Serumproteine in geringeren Konzentrationen auftreten als bei Erwachsenen, sodass sie nicht einmal kleinste Mengen der giftigen Chemikalien abbauen können. Die Hauptfolge davon sind ein erhöhtes Krebsrisiko sowie Entwicklungsneurotoxizität, also die Schädigung des sich entwickelnden Nervensystems durch das Gift.
Kinder reagieren überdies empfindlicher als Erwachsene auf endokrine Disruptoren, also hormonaktive Substanzen, weil ihr Gewebe und ihre Organe auf ausgewogene Hormonsignale angewiesen sind, um sich ungestört zu entwickeln. Selbst kleinste Beeinträchtigungen der Hormonsignale durch hormonaktive Chemikalien haben erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Körperteile und des Stoffwechselsystems. Diese Auswirkungen halten nicht nur ein Leben lang an, sie können auch an künftige Generationen weitergegeben werden – sie programmieren Kinder praktisch für lebenslängliche Gesundheitsprobleme.
Kleinste Beeinträchtigungen der Hormonsignale durch hormonaktive Chemikalien haben erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Körperteile und des Stoffwechselsystems. Diese Auswirkungen halten nicht nur ein Leben lang an, sie können auch an künftige Generationen weitergegeben werden – sie programmieren Kinder praktisch für lebenslängliche Gesundheitsprobleme.
Die meisten Kinder sind Pestiziden vor allem durch die zugelassenen Rückstände in Lebensmitteln ausgesetzt. Sie nehmen als Fötus über die Ernährung ihrer Mutter und nach der Geburt über die Muttermilch einen Cocktail aus giftigen Chemikalien auf. Weitere kritische Bereiche sind der Pestizideinsatz in Haus, Garten, Spielplätzen, Parks und auf Gehwegen. Es wurde gezeigt, dass all diese Belastungen zahlreiche Krankheiten auslösen.
Die gute Nachricht ist, dass sie sich leicht vermeiden lassen. Die meisten Menschen nehmen Pestizide durch das Essen und über Schädlingsbekämpfung und Insektensprays in Haus und Garten auf. Im häuslichen Bereich auf Pestizide zu verzichten ist bereits ein wichtiger Schritt; die größten Vorteile erzielen Sie aber, wenn Sie nur pestizidfreie Lebensmittel konsumieren, denn der Großteil der Belastung stammt aus unserem Essen.
Der Bericht des United States President’s Cancer Panel und andere Forschungsarbeiten zeigen, dass rund 80 Prozent der Krebsfälle durch Umweltbelastungen, und zwar insbesondere giftige Chemikalien, ausgelöst werden. Diese Belastung auszuschalten, vor allem für Kinder, ist ein unkomplizierter Weg, um Krebs vorzubeugen, denn der größte Schaden entsteht im Mutterleib und während der Zeit, in der Kinder schnell wachsen.4 Krebs und andere Krankheiten zu verhüten sollte für uns höchste Priorität haben, weil Prävention immer besser ist als Therapie.
Keine andere Gesundheitsinitiative kann schwere Krankheiten so eindrucksvoll zurückdrängen und ist so leicht durchzuführen. Nachdem wir nun wissen, wie wir 80 Prozent der Krebsfälle verhindern können, sollten wir heute handeln und nicht darauf warten, dass Regierungen für uns aktiv werden. Die Forschung zeigt, dass der Verzehr von biologischen Lebensmitteln die Belastung durch schädliche Pestizide innerhalb weniger Tage praktisch auf null senkt.
Die größte Studie zum Vergleich von biologischen und konventionellen Lebensmitteln hat überdies ergeben, dass Biolebensmittel deutlich nährstoffreicher und gesünder sind.5 Die Mehrzahl der Studien beweist, dass Bioware erheblich mehr Antioxidantien enthält. Wer sich biologisch ernährt, schaltet also nicht nur die Hauptursachen diverser Erkrankungen aus, sondern schützt die Gesundheit seiner Familie überdies durch die segensreiche Wirkung der Antioxidantien. Die Frage ist, wie viel ist Ihnen die Gesundheit Ihrer Kinder wert? Biolebensmittel sind jeden Cent wert, den sie (mehr) kosten, und sie stellen die billigste Möglichkeit dar, einen ganzen Katalog von Gesundheitsproblemen zu vermeiden. Die Internalisierung der wahren Kosten der Pestizide im Essen unserer Kinder machen konventionelle Lebensmittel viel zu teuer. Wie messen Sie die Kosten von Produkten, die lebenslänglich für Probleme sorgen, im Vergleich zu einer Ernährung, die diese Probleme vermeidet?
Von staatlicher Seite und von der Industrie bekommen wir zu hören, die Pestizide in unserem Essen seien harmlos und wir sollten uns darüber nicht den Kopf zerbrechen. Dieses Buch setzt sich kritisch mit diesen Behauptungen auseinander und zieht dazu wissenschaftliche Erkenntnisse heran.
Wissenschaftliche Studien sind oft in einem Fachjargon verfasst, den man sich erst einmal aneignen muss, wenn man sie lesen und verstehen will. Viele Menschen haben dafür nicht die Zeit, und folglich bleiben wichtige Informationen den Spezialisten und Experten vorbehalten. Dieses Buch »übersetzt« die schwierigen Fachbegriffe in eine klare, verständliche Alltagssprache, damit wir wissenschaftlich fundierte Entscheidungen treffen können.
Sie erfahren in diesem Buch nicht nur etwas über die diversen Gefahren, die bereits durch winzigste Pestizidmengen drohen, Sie bekommen auch Einblick in die schweren Mängel der Vorschriften und Testverfahren für die zahlreichen toxischen Chemikalien in unserem Essen. Dieses Buch zeigt auf, dass viele Kriterien, die den derzeitigen Pestizideinsatz stützen, auf überholten und unrichtigen Vermutungen beruhen und nicht auf den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft. In Wirklichkeit sind diese Vermutungen eine Ansammlung von Mythen:
Mythos 1: »Gründlich getestet« – die meisten frei verkäuflichen Pestizidrezepturen sind nicht auf ihre Sicherheit getestet, und es gibt keine speziellen Testverfahren für die besonderen Bedürfnisse ungeborener, neugeborener und heranwachsender Kinder.
Mythos 2: »Sehr kleine Mengen« – selbst geringste Mengen chemischer Rückstände können schädlich sein. Viele Chemikalien stören das Hormonsystem, und Kinder, vor allem der sich entwickelnde Fötus, reagieren darauf hochempfindlich.
Mythos 3: »Abbau« – viele Pestizide werden sogar noch giftiger, wenn sie sich zersetzen.
Mythos 4: »Zuverlässige Aufsichtsbehörden« – Aufsichtsbehörden ignorieren systematisch die zahlreichen begutachteten Studien, die aufzeigen, welchen Schaden Pestizide anrichten, und treffen ihre Entscheidungen aufgrund nicht belegter Annahmen.
Mythos 5: »Pestizide sind unerlässlich für die Landwirtschaft« – toxische, synthetische Pestizide werden in der Landwirtschaft nicht benötigt, denn die Biolandwirtschaft ist in der Lage, genügend Lebensmittel für die Welternährung zu erzeugen. Vor allem aber ist der Verzehr von Biolebensmitteln der effektivste Weg, um Ihre Kinder vor schädlichen synthetischen Chemikalien zu schützen.
Die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit von Aufsichtsbehörden muss hinterfragt werden, wenn sie auf der Basis von wissenschaftlich nicht belegten Vermutungen und fehlerhaften Untersuchungen den Einsatz von Pestiziden absegnen. Als Eltern sollten wir mit Sorge beobachten, wie Regierung und Industrie vorliegende, begutachtete Studien außer Acht lassen und damit unsere Kinder durch die erlaubten Pestizidrückstände in unserem Essen der Gefahr lebenslänglicher schwerer Gesundheitsprobleme aussetzen.
Bedenkt man, dass es Tausende chemische Präparate gibt, die in der Lebensmittelerzeugung zugelassen sind, würde es den Rahmen dieses Buches sprengen, auf sie alle im Detail einzugehen. Stattdessen werde ich einige der gebräuchlichsten Agrargifte als Beispiele herausgreifen und aufzeigen, welche Probleme der flächendeckende Einsatz dieser Substanzen in der Lebensmittelerzeugung und in der Umwelt aufwirft. Viele der hier dargestellten Beispiele stammen aus den Vereinigten Staaten, Europa und Australien, weil ich diese Regionen im Hinblick auf den Pestizideinsatz am besten kenne; allerdings gibt es in anderen Länder ähnliche Schwierigkeiten, und in vielen Fällen sind sie noch weit gravierender als hier.
Das Wort »Pestizid« dient in diesem Buch als Überbegriff für die zahlreichen Biozide (Gifte), die in der Landwirtschaft genutzt werden, wie etwa Herbizide, Fungizide und Insektizide. Dieses Buch konzentriert sich auf die gesundheitsschädigenden Auswirkungen von Pestiziden auf Menschen, vor allem Kinder, verweist aber auch immer wieder auf die schädlichen Folgen für andere Spezies.
Daten über die vielfältigen Umweltgefahren, die von Pestiziden ausgehen, könnten ein weiteres, noch viel längeres Buch füllen, denn sie sind erheblich und treten bis in den letzten Winkel unseres Planeten auf. Pestizide stehen in Zusammenhang mit dem Massensterben vieler Spezies, insbesondere mit dem rapiden Schwund von Fröschen, Vögeln und wichtigen Bestäuberinsekten wie Bienen. Pestizide und andere chemische Schadstoffe sind am Zusammenbruch von aquatischen Ökosystemen beteiligt. Neben Rodungen, Wilderei und Klimawandel tragen Pestizide damit erheblich zu dem 6. Massensterben der Erdgeschichte bei – das in seinen Ausmaßen das Ereignis übertreffen dürfte, dem die Dinosaurier zum Opfer fielen. Über die Ursachen für das Verschwinden der Dinosaurier gibt es verschiedene Theorien, aber die Ursache für das Massenaussterben des Anthropozän (Menschenzeitalter) kennen wir genau: Wir Menschen lösen es aus.
Der Schaden, den Agrargifte in der Umwelt und im menschlichen Körper anrichten, rückte erstmals Anfang der 1960er-Jahre in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, als Rachel Carsons Buch Der stumme Frühling erschien. Es zeigte sich, dass diese Gifte langlebig sind und sich in der Umwelt anreichern, was bei Mensch und Tier zu Todesfällen, Geburtsfehlern, Mutationen und Erkrankungen führt. Zahl und Menge der im Lebensmittelanbau und in der Umwelt verwendeten Chemikalien hat seither dennoch exponentiell zugenommen.
In den 1990er-Jahren machten Bücher wie Die bedrohte Zukunft von Theo Colborn, Dianne Dumanoski und John Peterson Myers oder Vom Aussterben bedroht! von Deborah Cadbury auf problematische Chemikalien aufmerksam, die das Fortpflanzungs- und Hormonsystem aller Arten, auch des Menschen, stören. Die begutachteten Studien, die in diesen Büchern zusammengefasst wurden, zeigten, dass viele Chemikalien, und insbesondere Agrargifte, Hormone wie Östrogen imitieren und dadurch die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, Zahl und Qualität von Spermien reduzieren sowie Genitalorgane und Harnwege schädigen. Ihre Verwendung trug erheblich zum dramatischen Anstieg von Karzinomen der Fortpflanzungsorgane wie Brust-, Gebärmutter-, Gebärmutterschleimhaut-, Eierstock-, Scheiden-, Hoden- und Prostatakrebs bei.6 Hormonaktive Substanzen beeinträchtigen nicht nur die Fortpflanzung von Menschen, sondern die fast aller Spezies, die sich geschlechtlich vermehren, die von Pflanzen ebenso wie die von Tieren, weil überall dieselben Hormone die Grundlage der geschlechtlichen Fortpflanzung bilden.7