Die Pferde aus Galdur - Der weiße Wächter - Sabine Giebken - E-Book

Die Pferde aus Galdur - Der weiße Wächter E-Book

Sabine Giebken

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Beschreibung

Das mystische Pferdeabenteuer auf Island geht weiter! Die Winterferien stehen vor der Tür, aber Fenja kann sich weder auf das Fest noch auf die Ferien freuen. Sie hat nur einen einzigen Gedanken: wenn Silfra noch hier ist, dann muss Baldur auch irgendwo da draußen sein! Doch niemand scheint etwas über ihren Verbleib zu wissen und auch Gróa gibt weiterhin Rätsel auf. Als sich die Ereignisse überschlagen und Fenja ein gut gehütetes Familiengeheimnis aufdeckt, wird klar, dass Gróa als letztes, verbleibendes Schicksalspferd eine gefährliche Reise antreten muss – eine Reise, die eine alte Fehde zwischen verborgenen Völkern neu entfacht ... Weitere Bücher der Reihe: Der goldene Gefährte (Band 1) Die silberne Spur (Band 2) Die roten Runen (Band 3) Das blaue Band (Staffel 2, Band 1)

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Seitenzahl: 289

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Die Pferde aus Galdur

Staffel I

Der goldene Gefährte

Die silberne Spur

Die roten Runen

Staffel II

Das blaue Band

Der weiße Wächter

Inhalt

PROLOG

RABENTAGE

FLÜSTERWÜNSCHE

FLUGVERBOTE

DAS SCHNEEBALLSYSTEM

EIN WÄCHTER IN DER DUNKELHEIT

DAS FEHLENDE SCHICKSALSPFERD

DAS GEHEIMNIS IM SCHNEE

ENDLICH WIEDER UNSICHTBARE

WEGWEISER

DIE VERBORGENE GEFAHR

DER MEISTER DES JÄGERS

KIRCHE DER ERINNERUNG

DIE WEIHNACHTSÜBERRASCHUNG

DAS TAUSCHGESCHÄFT

GRÓAS GESCHICHTE

BESUCH IN DER NACHT

DIE VERLORENE SCHWESTER

GEHEIMNISKRÄMEREI

DER GESTOHLENE STEIN

GALDUR-MAGIE

GLEĐILEG JÓL

DER MANDELWUNSCH

DAS NICHT VERGESSENE TAL

UNERKANNTE

DAS VERHINDERTE UNGLÜCK

DER WEIßE WEG

EWIGES EIS

WASSERWÄCHTER

DAS MANDELGESCHENK

FÜR IMMER

Leseprobe

1

2

3

PROLOG

Die Kirche von Akureyri leuchtete in einem warmen gelben Licht, das den Schnee ringsum glitzern ließ. Es sah sehr weihnachtlich und sehr festlich aus. Dabei waren es noch sieben Trolle bis Weihnachten.

»Komm«, sagte Amma und schnalzte mit der Zunge.

Unsere Pferde setzten sich in Bewegung. Laut klackerten ihre Huftritte auf dem Asphalt. Die Treppe konnten wir mit ihnen nicht nehmen, also ritten wir die Straße entlang den Berg hinauf. Hinauf und hinauf, bis wir vor dem Eingang ankamen und wieder hielten.

Groß und mächtig wie Wasserfälle ragten die beiden Türme über uns auf. Ich dachte, dass wir die Pferde gar nicht anbinden mussten, dass die Türme schon auf sie achtgeben würden! Aber natürlich banden wir sie trotzdem an, dicht beieinander. Und dann betraten wir das wohlig warme Kirchenschiff.

In den Bänken saßen Leute und beteten oder lauschten der leisen Musik, die aus dem Altarbereich strömte. Sanft und hell wie Flügelsummen. Automatisch ging ich langsamer. Aber Amma griff nach meiner Hand und lief zielstrebig über den ausgelegten Teppich nach vorn.

»Warum haben wir es so eilig?«, wollte ich wissen.

Meine Stimme hallte laut in dem hohen Raum, obwohl ich ganz normal geredet hatte. Zwei betende Herren schauten auf und guckten mich tadelnd an.

»Kscht«, machte Amma und drückte einen Finger an die Lippen.

Also folgte ich ihr stumm nach vorn, wo auf einem Ständer ein paar Kerzen flackerten. Einen Moment standen wir da und ich dachte, Amma würde eine Kerze anzünden und die Augen schließen und an irgendwen denken, meinen Afi vielleicht. Aber das tat sie nicht.

Sie tat etwas sehr Seltsames.

Amma schlüpfte aus ihren Stiefeln und stellte sie sorgfältig nebeneinander. Sie sah sich nach allen Seiten um und murmelte etwas, was ich nicht verstand. Dann nahm sie die Stiefel, schob sie unter den Kerzenständer und nickte einmal kurz.

Im nächsten Moment lag ihre Hand wieder um meine und sie zog mich durch das Schiff zurück zum Ausgang.

»Amma«, rief ich und meine Stimme war viel zu laut, »Amma, deine Stiefel!«

Aber Amma legte nur wieder den Finger an die Lippen.

Ich schaute mich um. Niemand beachtete uns, niemand merkte, dass Amma keine Schuhe mehr trug. Nur die Kerzenflammen fingen an zu flackern und ein Luftzug streifte meine Haut.

Amma stieß die Tür auf und wir wirbelten zurück in die Kälte. Unsere Pferde drehten uns die Köpfe zu und ich lief sie holen, damit Amma nicht in Strümpfen durch den Schnee stapfen musste. Über uns leuchtete der Himmel in unwirklichen grünen Farben.

Wir ritten von der Kirche fort und ich lenkte mein Pferd neben das von Amma.

»Sag es mir«, forderte ich sie auf und zeigte auf ihre bestrumpften Füße. »Sag mir, warum du das gemacht hast!«

Amma legte die Zügel auf den Hals ihres Pferdes und lächelte. Dann breitete sie die Arme aus, lehnte den Kopf in den Nacken und fing mit der Zungenspitze die Schneeflocken ein, die wie tanzende Lichtchen auf uns niederfielen. Ohne mich anzusehen, begann sie, leise zu summen.

Kopfschüttelnd sah ich wieder nach vorn, auf die schneeverwehte, menschenleere Straße.

Doch das Summen wurde beantwortet!

Und auf einmal war es kein Summen mehr, sondern ein Singen, wie von unzähligen Stimmen, das von überall zu kommen schien, aus dem Weiß des Schnees und dem Grün des Himmels.

Leið þín var löng, sang es flüsternd. Þú ert ekki ein.

Dein Weg war weit. Du bist nicht allein.

RABENTAGE

»Verschneit und zugenäht!«, schimpfte ich und bückte mich nach dem Handschuh, der mir aus der Hand gefallen und im knietiefen Schnee verschwunden war.

Sofort war ich umringt von einem Haufen neugieriger Pferde, die alle gucken wollten, was ich da so Interessantes suchte.

»Das ist nichts für euch«, schimpfte ich und wehrte mich gegen stupsende Pferdenasen und scharrende Pferdehufe. »Hört auf, ihr verwischt ja die ganzen Spuren!«

Im Nu war der Schnee um uns platt getrampelt und voller frischer Hufabdrücke. Den Handschuh fand ich so nicht mehr. Stöhnend lehnte ich die Mistschaufel an die Schubkarre und klopfte mir den Schnee von der Hose. Es hatte die ganze Nacht durchgeschneit und alle Wege, die wir in den letzten Tagen mühsam freigeschaufelt hatten, waren wieder von einer dicken weißen Flockenschicht bedeckt.

Jemand pustete mir in den Nacken. Es kitzelte, aber der Atem war auch wunderbar warm, also drehte ich mich um und schlang meine Arme um den Übeltäter.

»Hey, Snjór«, murmelte ich und vergrub meine Nase tief in seinem dicken Flauschefell. »Ist dir langweilig? Vielleicht können wir später noch auf den Vulkanhügel reiten, was meinst du?«

Snjór schnaubte. Aber dann schüttelte er den Kopf! Ich musste lachen.

Unsere Pferde! Es war so, so schön, dass sie alle hier waren. Nach all der Angst, die ich im Herbst um sie gehabt hatte, nach der Möglichkeit, sie niemals wiederzusehen, war es doppelt schön. Ich liebte sie, jedes einzelne von ihnen. Auch wenn ich mit Snjór und ein paar anderen besser befreundet war, gehörten sie alle zu unserer Familie und sie alle waren mir wichtig. So wichtig, dass ich sogar freiwillig gefrorene Pferdeäpfel von den Schneewegen kratzte.

Ich zog mir auch den zweiten Handschuh von den Fingern und stopfte ihn in meine Tasche. Brr, kalt.

»Ihr wisst ja, was bald ansteht, oder?«, fragte ich Snjór.

Hinter ihm tauchten Fjall, Töskur und Ylfa auf, als würden sie auch hören wollen, was ich zu sagen hatte.

Ich breitete die Arme aus. Dann rief ich laut: »Weihnachten! Bald ist Weihnachten! Die Weihnachtskerle kommen und dann habt ihr was zu gucken. Also benehmt euch lieber gut. Ihr wollt doch nicht, dass wir am Ende lauter Kartoffeln kriegen, oder doch?«

Als hätten sie mich verstanden, hörten sie auf, im Schnee zu scharren und Blödsinn zu machen. Ganz feierlich guckten sie mich an.

»So ist es richtig«, sagte ich leise und streichelte einem nach dem anderen über den Schopf. »Wir müssen sehr, sehr artig sein in diesem Jahr. Hört ihr? Das ist wichtig. Damit sich unser Wunsch erfüllt. Ihr helft mir doch, oder? Ihr wollt doch auch, dass er zurückkommt.«

Und da waren sie wieder. Die Tränen, die in meinen Augen brannten, immer wenn ich an ihn dachte oder von ihm redete. Ich spürte sie und sofort biss ich die Zähne zusammen und blinzelte sie weg. Keine blöde Heulerei! Die half niemandem. Lieber an Weihnachten alles richtig machen. Und ihn mir ganz, ganz fest wünschen.

Die Kälte kroch in meine Finger, also ließ ich die Schubkarre mit den Pferdeäpfeln stehen, stapfte durch den Schnee und stieß die Haustür auf. Sofort sprang Skip an mir vorbei und stürmte bellend nach draußen. Kopfschüttelnd schaute ich ihm nach. Ich fischte ein neues Paar Handschuhe aus dem Flurschrank, zog die Tür wieder zu und lief zurück auf die Pferdewiese.

»Jungs! Nein!« Ich stemmte die Hände in die Hüften und starrte auf die umgekippte Schubkarre. All die mühsam eingesammelten Pferdeäpfel waren zurück in den Schnee gekullert. Snjór, Töskur und Jara hoben den Kopf und guckten mich mit unschuldigen Mienen an. Natürlich standen sie schön im Weg herum, als ich die Mistbollen alle wieder einsammeln musste.

Als ich endlich mit dem Abmisten fertig war, hatte ich Schweißperlen auf der Stirn. Mein linker Handschuh war am Griff festgefroren und von meinem Schal hingen kleine Atemlufteiszapfen herunter. Ich schnaufte und richtete mich auf. Die Sonne blitzte rotgolden über den Rand der Berge und ließ den Schnee auf unserem Vulkan schillern.

Schön sah das aus.

Ein bisschen, als würde ein Feuerbach aus ihm herausfließen.

Aber was war das?

Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte ins Sonnenlicht. Drei Pferde tölteten über den Kamm. Pferde … mit Reitern. Sie waren weit weg, zu weit, um ihre Gesichter zu erkennen.

Trotzdem wusste ich sofort, wer sie waren.

Ich konnte es spüren.

»Elva!«, schrie ich und dann riss ich die Arme in die Luft und winkte wild mit beiden Händen.

Die Reiter verlangsamten ihr Tempo nicht, aber sie sahen zu mir herunter und ein feiner Nebel stieg zwischen den Beinen ihrer Pferde hoch. Ihre langen hellblauen Mäntel flatterten wie Flügel um ihre Schultern.

»Elva«, rief ich noch mal und ließ die Arme sinken.

Sie hatte mich doch gehört! War sie etwa immer noch sauer?

Die letzte Reiterin blieb hinter den anderen zurück. Sie zögerte, aber dann hob sie die Hand, ganz kurz nur, und winkte mir ebenfalls zu.

Ich schaute ihnen nach, bis sie hinter der Kuppe verschwunden waren. Huldu-Reiter. Sie waren lang nicht mehr hier gewesen. Ob sie wieder im Vergessenen Tal wohnten?

Eigentlich freute ich mich, sie zu sehen. Elva war meine Freundin. Zumindest hoffte ich, dass wir noch Freunde waren.

»Sie ist es wirklich, Elva«, flüsterte ich. »Irgendwann wirst du es glauben!«

Als ich mich umdrehte, lag ein kalter Schimmer über der Schneedecke und im ersten Moment erkannte ich das Pferd nicht, das lautlos wie ein silberner Geist hinter mir aufgetaucht war. Silfra sah hinauf zum Vulkan, als hätte auch sie die Huldu-Reiter bemerkt. In ihren Augen lag eine sanfte Ruhe, die auch mich wieder friedlich stimmte.

»Du hast recht, das war Elva«, sagte ich leise zu ihr. »Erinnerst du dich an sie?«

Silfra blinzelte nur zur Antwort. Dann schnupperte sie genau an der Stelle, wo ich vorhin den Handschuh fallen lassen hatte. Sie ließ sich Zeit, aber auf einmal fing sie an, mit dem Huf zu scharren. Wieder roch sie am Schnee, versenkte ihre Nase darin. Als sie wieder auftauchte, schüttelte sie prustend den Schnee aus ihren Nüstern. Zwischen den Zähnen hielt sie ein rotes Stück Stoff. Ihre Ohren zuckten, dann hob sie plötzlich den Kopf und sah mich an. Sie blinzelte und ich musste lächeln.

Kein Schicksalspferd mehr.

Aber definitiv eines, das mehr wusste als die anderen!

*

Mit der Dämmerung kroch die Kälte aus dem Boden und ich beeilte mich, die volle Karre zum Misthaufen zu schieben und auszuleeren. Da hörte ich Skip wieder bellen. Ich räumte die Karre auf und lief zur Rückseite des Hauses. Skip tanzte wie ein Irrer um Liljas alte Elfenhäuschen herum. Er sprang daran hoch und versuchte, seine Nase in einen Spalt zwischen zwei Häuschen zu bohren.

»Was hast du denn?« Ich streckte die Hand nach ihm aus, aber er beachtete mich gar nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Hohlraum. Ich schob ihn weg und beugte mich vor.

Aus dem Spalt knisterte es!

Skip knurrte leise. Vorsichtshalber trat ich einen halben Schritt zurück und versuchte, in den Spalt zu sehen. Dort war es so dunkel, als hätten sich alle Schatten gleichzeitig darin versteckt.

Dann sah ich, dass sich die Dunkelheit … bewegte.

»Skip«, flüsterte ich. »Was ist das?«

Der Hund sprang an dem Häuschen hoch und streckte seine Nase tief in den Spalt. Aber schon im nächsten Augenblick jaulte er auf und zog sie schnell wieder heraus.

Ich packte ihn am Fell und bugsierte ihn zur Seite. Dann beugte ich mich selbst über den Spalt. Ich zog meine Handschuhe aus und tastete langsam, langsam nach dem dunklen Ding.

Zuerst spürte ich nur grobes Holz.

Was immer es war, hatte sich tief in sein Versteck zurückgezogen.

Aber dann trafen meine Fingerkuppen auf etwas Weiches, fast Flauschiges … Fell? Nein, glatter. Eher wie … Federn.

Skip bellte wieder und versuchte, an mir vorbei an das Häuserloch zu kommen.

»Du machst ihm Angst«, schimpfte ich mit ihm. »Komm, sei mal still. Wir müssen ihm helfen!«

Anständig setzte Skip sich auf seine Hinterläufe, beobachtete mich aber ganz genau. Ich nickte ihm zu, dann steckte ich meine zweite Hand vorsichtig in den Spalt und versuchte, sie unter das Federwesen zu schieben. Ich rechnete damit, dass ich jede Sekunde scharfe Krallen oder einen spitzen Schnabel in der Haut spüren würde, aber nichts geschah.

Das Federwesen zitterte und schmiegte sich in meine Handfläche.

»Okay«, flüsterte ich und merkte, wie mir Tränen in die Augen schossen. »Ist ja gut, ich helfe dir, ist ja schon gut!«

Skip fing wieder an zu knurren, aber ich warf ihm einen warnenden Blick zu. So sacht wie möglich umschloss ich das Federwesen mit beiden Händen und hob es aus dem Spalt. Meine Knöchel ratschten am rauen Holz entlang, aber ich achtete nicht auf den Schmerz.

Als ich es geschafft hatte, klappte ich langsam meine Hände auseinander.

»Raaaaah«, machte es kläglich.

Das Federwesen war ein gewöhnlicher kohlschwarzer Rabe. Er war noch klein und vielleicht sehr jung und er war so kalt wie ein Schneeball.

»Oje«, sagte ich zu ihm. »Du kommst erst mal mit. So kannst du auf keinen Fall hier draußen bleiben.«

Skip gab seine Position auf und sprang an meinen Beinen hoch. Er wollte unbedingt auch den neuen Besucher erkunden, aber als ich den Raben auf seine Höhe hinunterhielt, schnappte er nach ihm und der Rabe hackte mit seinem Schnabel nach Skips Nase.

»He«, rief ich und brachte den Raben schnell in Sicherheit. »Ihr spinnt wohl. Bald ist Weihnachten, da ist streiten verboten, wisst ihr das nicht?«

Skip wuffte. Der Rabe schnarrte.

»Also, jetzt wisst ihr es. Benehmt euch!«

Ich zog den Handschuh aus der Tasche, den ich noch immer darin herumtrug. Den roten. Dorthinein schob ich den zitternden Raben und brachte ihn schnell ins Haus.

*

In der Küche traf ich auf Pabbi, der Plätzchenteig ausrollte.

»Wo ist Mamma?«, wollte ich wissen.

»Unterwegs«, antwortete Pabbi geschäftig.

Ich beobachtete ihn eine Weile, dann fragte ich: »Sie kommt gleich wieder, oder?«

»Nein«, meinte Pabbi vergnügt. »Ist ausgeritten.«

»Was? Mit wem?«

»Mit einem Pferd, schätze ich.«

Ich rollte mit den Augen und Pabbi lachte. Weihnachten verdrehte ihnen allen die Köpfe, so viel war sicher.

»Setz dich hin und hilf mir.«

»Ich kann nicht«, sagte ich und hob die Schultern. »Aber weißt du vielleicht, was ein Rabe so frisst?«

»Raben fressen Aas.« Pabbi verzog das Gesicht, als würde er sich ekeln. »Schlepp mir bloß keinen ins Haus!«

Schnell verbarg ich die Hand mit dem roten Handschuh hinter meinem Rücken. »Und was sonst noch?«

»Fenja.« Pabbi hob die bemehlten Hände und zog die Brauen zusammen. »Was interessiert dich das jetzt? Es gibt Wichtigeres zu tun. Diese Pfefferkuchenherzen müssen fertig werden, bevor deine Mutter zurückkommt!«

Okay, mit Pabbi konnte man heute nicht vernünftig reden. Ich ging rückwärts zur Tür, dann schlüpfte ich raus auf den Flur. Hier lagen immer alte Schachteln herum, die wir zum Anzünden des Kamins verwendeten. Ich angelte mir eine stabile Kartonbox aus dem Stapel und faltete meinen Schal hinein. Vorsichtig, um ihn nicht zu verletzen, schälte ich den kleinen Raben aus dem Handschuh. Das arme Ding zitterte noch immer ganz fürchterlich, aber seine kleinen blauen Augen guckten mich neugierig an.

»Du bist eindeutig ein Krummi«, sagte ich zu ihm. »Wir hatten mal ein Pferd, das so hieß. Aber das hat Pabbi verkauft.«

»Krah«, kommentierte der Rabe mit ernster Miene.

Behutsam setzte ich ihn in das Kartonbett. »Warte hier. Ich suche dir Futter.«

Skip sah mich bitterböse an, als ich mit einem halben Ei und einem Stück Banane aus der Küche kam und alles bei dem Raben landete.

»Du hast genug Hundefutter«, informierte ich ihn. »Krummi findet da draußen gar nichts. Nur Schnee.«

Das konnte Skip nicht wirklich besänftigen. Also stellte ich den Karton ganz oben auf ein Regal am Kamin. Hier war es warm und Pabbi würde ihn nicht gleich finden.

Skip zerrte ich am Halsband aus dem Raum und schloss die Tür, damit er bloß nicht auf die Idee kam, den Neuankömmling runterzuschubsen und aufzuessen.

̇

FLÜSTERWÜNSCHE

»Einen Raben?«, fragte Ingi und schüttelte sich. »Raben mag ich nicht. Die sind unheimlich.«

»Krummi ist nicht unheimlich«, behauptete ich. »Er ist noch ein Baby und schon total schlau. Immer wenn Skip ins Wohnzimmer rennt, schubst er eines von Pabbis Plätzchen vom Tisch. Wenn Skip das dann frisst und erwischt wird, bekommt der Hund Ärger. Und Krummi hat wieder seine Ruhe.«

Ingi und Sigrún lachten.

»Mamma mag ihn auch. Sie hat ihm mein altes Puppenhaus gegeben. Dadrin wohnt er jetzt. Am liebsten sitzt er im Schlafzimmer auf dem Puppenbett.«

Ingi grinste. »Du wirst dich noch umgucken. Bald hat der Rabe das Sagen in eurem Haus!«

»Und was frisst er so?«, wollte Sigrún wissen. »Raben sind doch …«

»… Aasfresser, ja.« Ich nickte. »Aber sie mögen alles, auch Menschenessen und Obst und alle möglichen Körner. Er klaut auch manchmal Plätzchen, aber das darf Pabbi nicht wissen.«

»Wollt ihr ihn denn behalten?«, fragte Ingi und schob mir die Schere über den Tisch.

»Nein, natürlich nicht. Er darf wieder raus, sobald er kräftig genug ist.« Ein bisschen wehmütig wurde ich schon, wenn ich daran dachte, dass Krummi wieder auszog. Eigentlich war es nämlich ziemlich lustig mit ihm!

Nur Pabbi mochte ihn nicht. Er wollte gar keine Vögel im Haus haben, einen Raben aber schon gar nicht.

Sigrún stand auf. »Dann lass ich euch mal allein. Ach … warum ist Elva denn nicht mitgekommen? Mag sie kein Weihnachtsbasteln?«

»Elva ist unterwegs«, erklärte ich knapp. Das war nicht mal gelogen – schließlich hatte ich sie auf einem Pferd gesehen. Ich wartete, bis Sigrún die Küche verlassen hatte, dann beugte ich mich zu Ingi über den Tisch. »Sie glaubt mir immer noch nicht.«

»Wegen Silfra?« Ingi stöhnte. »So was Stures!«

»Ich wollte es zuerst auch nicht glauben«, sagte ich leise. »Aber Silfra ist ja da! Elva braucht nur ihre Augen aufzumachen, um sie zu sehen!«

»Das ist dämlich«, schnaufte Ingi. »Das sieht doch wohl jeder, dass es dasselbe Pferd ist!«

»Ich dachte auch, sie freut sich. So wie ich mich gefreut habe! Und ich dachte, sie hofft mit mir … du weißt schon, was.«

Ingi guckte mich eine Weile an, dann ließ sie ihren Engel fallen, kam um den Tisch herum und schlang die Arme um meinen Hals.

»Das wird schon wieder«, murmelte sie in meine Haare. »Sie kriegt sich wieder ein, bestimmt!«

Ich umarmte Ingi zurück und war sehr froh, eine Freundin zu haben, die nebenan wohnte und die ich besuchen und sehen konnte, wann ich wollte. Mit Elva waren die Dinge komplizierter. Selbst wenn sie wieder im Vergessenen Tal wohnte, konnte ich nicht zu ihr. Der Weg über den Gletschervulkan war im Sommer gefährlich, aber im Winter bedeutete er den sicheren Tod. Kein gescheiter Mensch würde ein Pferd auf den zugeschneiten Geröllpfad scheuchen.

Ingi ließ mich los und wir beide starrten auf die Bastelei, die vor mir auf dem Tisch lag. Ein Pferd aus gerollter Goldfolie mit einer langen rotgoldenen Mähne. Eigentlich hatten wir Engel basteln wollen. Solche, wie sie im Schulhaus überall hingen. Aber mein Engel war ein Pferd geworden.

Ein goldenes Pferd.

»Komm«, sagte Ingi und griff nach meiner Hand. »Wir können später weiterbasteln. Zuerst erledigen wir das Wichtigste!«

Ohne Widerworte ließ ich mich von ihr hochziehen. Im Flur stiegen wir in unsere Lammfellstiefel und schnappten uns die warmen Jacken vom Haken. Ingis Wollmütze hatte ein Loch, das die Motten reingefressen hatten. Und mein Schal war leider immer noch voller Rabenkacke. Also hatte ich Liljas ockergelben Schal geliehen und Ingi setzte ihre Mütze so herum auf, dass man das Loch nicht sehen konnte. Wir lachten darüber, dann liefen wir zusammen raus in den Schnee.

Weich und glitzernd breitete sich die weiße Landschaft vor uns aus. Im Licht der Sterne sah alles noch unwirklicher aus, noch verzauberter. Als hätte jemand unser Land unter einer dicken Decke versteckt.

»Wohin gehen wir?«, fragte Ingi.

»Wohin stapfen wir, meinst du wohl.«

Ingi kratzte sich an der Mütze. »Eigentlich ist es doof, dass wir überhaupt laufen, meinst du nicht?«

»Eigentlich hast du damit voll recht.«

Wir grinsten uns an. Verschwörerisch. Es war eine uralte Amma-Tradition, auf einen Hügel unter den Sternen zu steigen und feierlich unsere Wünsche ans Universum zu richten. Nein, eigentlich nicht ans Universum. An alle magischen Wesen von Island. An die Weihnachtskerle und die Weihnachtshexe und die Elfen und Trolle und an alle, die es sonst noch hören konnten. Wir glaubten fest, dass es mehr brachte, unsere Wünsche in die Nacht zu rufen, als sie heimlich auf einen Zettel zu schreiben.

Aber in diesem Jahr lag mehr Schnee als sonst. Es würde eine Höllenanstrengung sein, auf einen Hügel zu klettern, der den Sternen möglichst nah kam. Also kletterten wir nicht.

Wir ritten.

»Wir nehmen die ersten Pferde, die uns angucken, ja?«, beschloss Ingi und stieß die Stalltür auf.

Freudiges Blubbern tönte uns entgegen, und ohne Licht zu machen, erkannte ich das Pferd, das mich mit dunklen, sanften Augen ansah.

»Hallo, Gróa«, sagte ich leise und streichelte ihr über den dichten Schopf. Ihr Gesicht war perfekt zweifarbig, als hätte man das halbe Pferd in weiße Farbe getunkt.

Sie trat einen Schritt auf mich zu, so als hätte sie nur darauf gewartet, dass wir sie aus dem Stall holten.

»Fleygur ist der Glückliche«, informierte mich Ingi und kicherte. »Oh, Fenja, das wird schwer für dich. Sehr, sehr schwer.«

»Das denkst du«, gab ich zurück. »Aber Ingi, dürfen wir sie denn einfach nehmen? Fleygur soll doch ein Turnierpferd werden.«

»Deshalb muss er doch nicht im Stall vergammeln.« Ingi zuckte mit den Schultern. »Ich darf sie alle reiten. Niemand hat gesagt, dass im Dunkeln andere Regeln gelten.«

Wir holten Zaumzeuge aus der Kammer und legten sie den Pferden an. Auf Sättel verzichteten wir. Erstens, weil wir sowieso nicht weit reiten würden. Und zweitens, weil es auf ihrem Flauschfell viel wärmer war als auf einem kalten Ledersattel.

»Zum Wasserfall und dann den Sternenweg rauf?« Ingi führte Fleygur zu einem zugeschneiten Hocker, um aufzusteigen.

Ich legte Gróa die Hand auf den Widerrist, sprang auf ihren Rücken und streichelte ihren weichen Hals. »Aber es gilt erst ab dem Wasserfall.«

»Von mir aus.«

Ingi ließ Fleygur losgehen. Der Wallach versenkte seine Nase tief im Schnee, und bevor Ingi reagieren konnte, knickte er mit den Vorderbeinen ein. Ingi konnte eben noch zur Seite springen, da rollte er sich auch schon genüsslich durch das weiche Pulver.

Ich fiel beinahe von Gróas Rücken, so sehr musste ich lachen.

»Warte nur«, zischte Ingi.

Sie bückte sich, formte mit beiden Händen einen Schneeball und warf ihn nach mir. Das Geschoss verfehlte mich um eine halbe Pferdelänge und ich musste nur noch mehr lachen.

»Seid ihr dann mal fertig? Sonst warten Gróa und ich einfach oben am Sternenweg auf euch!«

»Das könnte dir so passen!« Ingi scheuchte Fleygur hoch und krabbelte zurück auf seinen Rücken. »Iiiih, alles kalt«, quiekte sie.

Ich grinste immer noch. »Du hättest ja nicht absteigen müssen!«

Energisch ritt Ingi los. Und Fleygur hatte offenbar Lust auf den Ausflug bekommen, denn er machte gleich einen wilden Freudenhüpfer.

Gróa fiel nicht so ein Unsinn ein. Aber auch sie war aufgeregt und stapfte mit schnellen Schritten durch den Schnee.

Wir erreichten den Wasserfall nach wenigen Minuten, und obwohl es dunkel war, musste ich den Anblick einen Moment in mich aufsaugen: seine gefrorenen Wasserarme, die mit eisigen Fingern in die Tiefe zeigten und im blassen Sternenlicht geisterhaft schimmerten.

»Fertig?«, rief Ingi und hielt an.

Fleygur warf den Kopf herum und prustete wie ein kleiner Drache.

Anstatt einer Antwort lehnte ich mich ein Stück nach vorn und gab Gróa die Zügel frei. Ingi stieß einen Schrei aus und Fleygur explodierte neben uns. Schneller, immer schneller rannten die beiden Pferde mit uns den verschneiten Weg entlang! Es war ein Gefühl, als würden wir über die Schneedecke fliegen.

Tatsächlich war Fleygur irre schnell und hängte uns nach wenigen Sprüngen ab. Gróa störte das nicht und eigentlich störte es mich auch nicht, wenn Ingi gewann. Aber Gróa war ein Schicksalspferd! Sie konnte den Svífa, den uralten Schwebegang, den sonst nur Huldu-Pferde beherrschten. Ich musste es einfach probieren!

Wie war das gewesen? Gewicht nach hinten, wie beim Tölt, dann treiben, an Galopp denken, zusehen, dass sie nicht in den Pass sprang …

»Komm schon, Mädchen«, flüsterte ich ihr zu. »Du kannst es!«

Und da war er. Der Moment, der Taktfehler, der Schritt ins Nichts. Auf einmal flogen wir tatsächlich! Ich fühlte kaum mehr, wie Gróas letztes Bein auf dem Boden aufkam, sie tat es so sanft, als bräuchte sie den Kontakt überhaupt nicht, und ihr Rücken wurde so gerade, als wäre der Hügel kein Hügel mehr, als müsste sie sich überhaupt nicht mehr anstrengen. Mühelos zog sie an Fleygur vorbei und hielt erst an, als ich sie darum bat.

»Wow, Gróa«, keuchte Ingi und klopfte dem schwer schnaufenden Fleygur den Hals. »Bin ich froh, dass Pabbi dich nicht verkauft hat!«

Einen Moment lang wurden wir beide sehr ernst. Dass Gróa noch hier war, verdankte sie nicht nur Ingis Pabbi Einar, sondern auch ein bisschen uns, aber vor allem der Magie Islands. Ihre Macht hatte dafür gesorgt, dass der Flieger mit Gróa an Bord nicht abgehoben hatte. Und dass sie nun ein lebenslanges Ausflugverbot erhalten hatte.

Wir glitten von den Rücken unserer Pferde und landeten bis zu den Knien im Schnee.

»Sieh nur«, wisperte Ingi und deutete nach oben. Ein grünlicher Schimmer tanzte vor den Sternen, als würde jemand mit einem gewaltigen Pinsel über den Himmel malen. Sogar der Schnee bekam einen grünen Glanz.

Mit den Zügeln in der Hand stapften wir ein Stück weiter, bis wir die höchste Stelle des Hügels erreicht hatten und sich über uns nur noch der endlos weite Himmel spannte. Dort blieben wir stehen und schauten uns an.

»Wie immer?«, fragte Ingi feierlich.

»Wie immer«, sagte ich.

Ingi drehte sich um, sodass wir Rücken an Rücken standen. Genauso hatte Amma es immer mit Lilja und mir gemacht und später auch mit Ingi. Wir lehnten uns aneinander, fest und sicher, und schlossen die Augen.

»Die Glitzerkappe«, rief Ingi laut. »Die mit den Silbersteinchen drauf. Nicht die teure, die andere, die gerade im Sonderangebot ist!«

Ich musste lächeln. Typisch Ingi! Und ich? Im letzten Jahr hatte ich mir einen Pferdefilm gewünscht. Und den dicken roten Schal. Meine Wünsche hatten sich erfüllt. Ob es auch in diesem Jahr klappte? Fest, ganz fest presste ich die Augenlider aufeinander …

… und dort, in meiner Vorstellung, sah ich ihn vor mir, ganz nah, ganz echt und ganz lebendig.

»Baldur«, flüsterte ich. »Bitte, ich will nichts anderes, gar nichts. Ich wünsche mir nur, dass er zurückkommt!«

Ingi angelte nach meiner freien Hand und drückte sie. Wir machten die Augen wieder auf und schauten uns an und Ingi streckte die Handschuhhand aus und tupfte zwei kalte Tränen von meinem Gesicht.

»Er wird kommen«, sagte sie fest. »Flüsterwünsche werden wahr, das weißt du doch!«

»Und du hast ihn gesehen.« Ich schniefte ein bisschen. »In deiner Vision. Das war er doch, oder?«

»Hm«, machte Ingi. »Ja, bestimmt war er das!«

»Hört ihr?«, schrie ich und drehte mich einmal um mich selbst. »Ihr Weihnachtstrolle! Stekkajarstaur! In diesem Jahr will ich nichts von euch! Ich werde euch Gaben aufs Fensterbrett stellen, wie es sich gehört, aber ich will keine Geschenke von euch. Ich will nur ihn, ich will nur … Baldur!«

Auf einmal zog sich das Nordlicht am Himmel zusammen. Es wurde dichter und kräftiger, bis nur noch ein schmaler, greller Streifen zu sehen war. Der Streifen verformte sich, bog und dehnte sich, bis er eine Art Berg bildete, der spitz nach oben zulief. Es sah unwirklich aus und gleichzeitig so vertraut wie der Schnee unter meinen Füßen.

»Polarlichter«, flüsterte Ingi. »Manchmal finde ich sie gruselig.«

»Das sind keine Polarlichter, Ingi. Das ist Island-Magie.« Ich atmete tief aus. »Das ist Galdur.«

FLUGVERBOTE

Etwas weckte mich früh am nächsten Morgen.

Etwas, was nach Pfefferminz roch, vermischt mit Kakao und dem intensiven Geruch nach Schafen.

»Fenja«, flüsterte es in mein Ohr.

»Geh weg«, murmelte ich schläfrig und rollte mich auf die andere Seite. »Der Wecker hat noch nicht mal geklingelt …«

»Fenja, ich bin es!«

»Hm.«

»Magst du mir nicht mal Hallo sagen?«

»Hallo«, brummelte ich, ohne die Augen zu öffnen.

»Also echt.« Etwas plumpste auf mein Bett. Genau neben mich. Etwas, was mir keine Ruhe lassen würde, bis ich die Augen aufmachte. Das wusste ich in dem Moment, als meine schläfrigen Synapsen die Stimme erkannten.

Mit einem Satz fuhr ich hoch. »Du?«

»Ich!« Freudestrahlend grinste mich Björn durch die Gläser seiner Brille an. Einer neuen Brille, mit schwarzen Rändern anstatt der blauen.

»Was machst du hier?« Ich rieb mir die Augen und versuchte, ein Stück von ihm wegzurutschen. Was gar nicht so leicht war in einem schmalen Bett.

»Ferien!« Björn legte den Kopf in den Nacken und atmete genießerisch ein. »Ach, ist das schön, wieder hier zu sein!«

»Kannst du sie trotzdem bitte draußen machen?«, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Deine Ferien? Ich hab nämlich eigentlich noch geschlafen.«

Björn lachte und zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid. Deine Mamma hat gesagt, ich darf dich aufwecken. Weil du sowieso gleich zur Schule musst.«

Ich warf einen schnellen Blick auf den Wecker. Genau genommen hatte Björn mir gute zwanzig Minuten Schlaf geraubt. Die hätte er wirklich noch abwarten können, nachdem wir uns jetzt monatelang nicht gesehen hatten.

»Ich hab was für dich.« Björn bückte sich und zog etwas aus einer Tasche. »Vielleicht bist du dann lieber wach.«

Ich hob die Brauen. »Glaub ich nicht. Aber du bist ja sowieso …«

Die Worte blieben mir im Hals stecken, als ich erkannte, was Björn in die Luft hielt. Es war eine Leinwand, vielleicht doppelt so groß wie ein Schulheft, und darauf war ein Bild zu sehen. Ein aufgedrucktes Foto. Es musste im letzten Sommer entstanden sein, denn es zeigte Baldur und mich vor einem herrlichen Sonnenaufgang, wie wir auf den Vulkanhügel zuritten. Es wirkte so, als würde ich jemandem etwas zurufen, und vielleicht stimmte das ja auch – nur war derjenige nicht Björn gewesen, sondern ziemlich wahrscheinlich Elva, die irgendwo weiter oben am Hügel auf mich wartete. Ein unwirklicher Schimmer lag in Baldurs goldroter Mähne, der vom frühen Licht der Sonne stammen konnte … oder vom Aufblitzen der Flammen, die manchmal aus Baldurs Mähne getropft waren wie feurige Tränen.

»Das ist …«, murmelte ich, aber mir fiel nichts ein. Es gab kein Wort für dieses Bild. Alles daran schien genau aus meinem Traum zu kommen.

»Ich weiß«, sagte Björn leise. »Deshalb wollte ich auch nicht bis Weihnachten warten, bis ich es dir gebe.«

»Darf ich es wirklich haben?«

»Klar!« Björns Ohren wurden ein bisschen rot, als er mir die Leinwand überreichte. »Frohe Weihnachten. Also, bald.«

»Danke«, antwortete ich fest. »Es sei dir vergeben, dass du mich aufgeweckt hast.«

Björn grinste. »Ich wollte dich eben noch sehen, bevor du in die Schule musst. Wie lange habt ihr überhaupt noch? Schule, meine ich.«

»Oh, diese Woche und fast die ganze nächste auch noch. Wir haben es nicht so schön wie ihr.« Ich stellte das Bild von Baldur und mir vorsichtig auf meinem Bett ab und lehnte es an die Wand. Dann schlug ich die Decke zurück und schlüpfte in meine dicken Socken.

»Eigentlich haben wir auch noch keine Ferien.« Björn grinste wieder. Dann hob er den rechten Arm und zog den Ärmel zurück. Darunter kam ein dicker weißer Verband zum Vorschein. »Aber ich hab mir dummerweise den Arm verstaucht und wegen meiner schlimmen Schmerzen hat Mama mich vom Unterricht befreit. Deshalb konnten wir früher kommen.«

»Früher kommen?«, echote ich.

»Ja, sonst hätten wir bis Weihnachten warten müssen.«

Ach, klar. Feriengäste an Weihnachten. Ich hasste es. Aber es ließ sich nicht vermeiden, wenn wir die Farm behalten wollten. Wir hatten fast drei Monate keine Gäste aufnehmen können, weil der Vulkanausbruch unsere Farm in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Um das finanziell wieder reinzuholen, brauchten wir die Weihnachtsgäste, hatte Pabbi gesagt.

»Du freust dich gar nicht«, stellte Björn enttäuscht fest.

»Ich schlafe noch halb«, sagte ich schnell. »Und überhaupt muss ich mich jetzt fertig machen. Der Schulbus wartet nicht.«

Björn machte keine Anstalten aufzustehen. Erst als ich ihm einen kleinen Schubs versetzte, sprang er auf die Füße und raffte seine Tasche zusammen. »Ach so, ja, klar. Ich warte dann mal, äh, unten.«

Als er schon an der Tür war, rief ich: »Hej, Björn!«

Er drehte sich noch mal zu mir um.

»Was hast du angestellt?« Ich deutete auf seinen Arm.

»Oh. Volleyball!« Björn wackelte mit dem Arm. »Saugefährlicher Sport. Bleib lieber bei deinen Pferden.«

*

Lautes, fröhliches Lachen drang aus der Küche auf den Flur. Agnes, Björns Mutter, stand auf, als ich den Raum betrat, und schloss mich fest in die Arme.

»Ich freu mich so, dich zu sehen«, sagte sie leise und drückte mich an sich.

»Ich find's auch schön, dass ihr hier seid«, sagte ich halb ehrlich, weil sie und Björn mir immer noch lieber waren als neue, unbekannte Wölfe.

»Stell dir vor, Agnes und Björn haben die Nacht am Flughafen verbracht«, erzählte Mamma kopfschüttelnd.

»Weil es dort so spannend ist?«

Agnes lachte. »Nein, weil unser Flugzeug nicht fliegen durfte. Dank Schneesturm auf Island gab es ein Landeverbot. Fast sieben Stunden haben wir gewartet.«

»Manchmal ist das so.« Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte jemand nicht, dass ihr kommt.«

»Fenja«, zischte Mamma, aber Agnes lächelte nur.

»Du hast recht«, sagte sie. »Genau das hat der Mann am Ankunftsschalter auch gesagt. Und dann hat er eine wilde Geschichte erzählt, von einem Pferd, das nicht ausfliegen durfte, weil die isländischen Elfen nicht erlaubt haben, dass es das Land verlässt. Angeblich ist das Flugzeug nicht abgehoben. Erst als sie das Pferd ausgeladen haben, konnte es plötzlich wieder fliegen!«

Ich tauschte einen Blick mit Mamma.

»Die Geschichte ist wahr«, erklärte ich Agnes und dann schaute ich Björn an. »Wir haben es selbst erlebt. Ich war sogar in dem Flugzeug, als Gróa noch an Bord war. Ich wollte sie rausholen, aber die Leute dort haben mir nicht geglaubt. Zum Glück haben die … die Elfen«, ich benutzte absichtlich dasselbe Wort wie Agnes, obwohl es die Flüsterstimmen gewesen waren, die uns geholfen hatten, »ihren Abflug verhindert. So konnten wir sie wieder mit nach Hause nehmen.«

Agnes sah Mamma an, die nur mit den Schultern zuckte. Björn klappte der Mund auf und es dauerte eine Weile, bis er es merkte und ihn wieder schloss.

»Gróa?«, fragte er leise. »Die Stute, die … du weißt schon …?«

»Hm«, machte ich nur und warf einen vielsagenden Blick auf unsere Mütter. Ich würde ihm später alles erklären.

Und auf einmal war ich doch ein bisschen froh, dass Björn hier war. Genau wie Ingi kannte er die ganze Geschichte, er wusste von den Schicksalspferden und von Elva und den Huldu und hatte sogar vom Jagari gehört, der das Pferd des Feuers und das Pferd des Eises jagte, bis sie in ihre ursprüngliche Form zurückverwandelt wurden. Mit Björn konnte ich alles bereden, was mir auf der Seele brannte.