Die Philosophie bei Batman - Mark D. White - E-Book

Die Philosophie bei Batman E-Book

Mark D. White

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Beschreibung

Batman ist einer der komplexesten und ambivalentesten Charaktere der Comic-Welt. Um ihn und sein Tun drehen sich eine Menge Fragen: Welchen philosophischen Belastungen und Herausforderungen muss er sich beim Schutz von Gotham City stellen? Was treibt seine Gegenspieler an? Ist Batman in seiner Menschlichkeit besser als Superman? Die Philosophie bei Batman bietet unterhaltsame Antworten und Einblicke in Batmans Welt. Das Buch zeigt wie der Dark Knight zum Beispiel mit ethischen Fragen, moralischer Verantwortung, seinem Wunsch nach Rache an den Mördern seiner Eltern und seiner geheimen Identität ringt. Dabei beschäftigen sich die Autoren mit bekannten Philosophen wie Plato, Aristoteles, Kant, Nietzsche und Kierkegaard.

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1. Auflage 2012

 

Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die englische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel Batman and Philosophy. The Dark Knight of the Soul bei John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jersey.

Copyright © 2008 by John Wiley & Sons, Inc.

All rights reserved. This translation published under license with the original publisher John Wiley & Sons, Inc.

This E-Book published under license with the original publisher John Wiley and Sons, Inc.

© 2012 Wiley-VCH Verlag & Co. KGaA, Boschstr. 12, 69469 Weinheim, GermanyAlle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.

Dieses E-Book wird mit Genehmigung des Original-Verlages John Wiley and Sons, Inc. publiziert.

 

Satz: Mitterweger und Partner, Plankstadt

Umschlaggestaltung: Christian Kalkert, Birken-Honigsessen

ISBN: 9783527506811epub ISBN: 9783527659432mobi ISBN: 9783527659425

 

Heath Ledger zum Gedenken (1979–2008)

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Spitzenrätsel ... Was

Teil 1 Handelt der Dunkle Ritter immer richtig?

1 Warum bringt Batman den Joker nicht um?

Gestatten: Joker

Ist Batman Utilitarist oder Deontologe?Oder keins von beiden?

Frau Professor Thomsons Straßenbahn

Hush fänd's klasse ...

Zehn Gründe, warum das Batmobil keine Straßenbahn ist

Ich sage nichts ohne meinen Anwalt! Ach Mist,den habe ich ja auch gekillt ...

Fall erledigt, oder?

2 Ein Robin von wessen Gnaden?

Was darf der Fledermausmann?

Pflichten eines Superhelden

Robin und das allgemeine Wohl

Verbrechensbekämpfung und Charakter

Kann Batman Robin zur Tugend erziehen?

Auch Helden sind fehlbar

3 Batmans tugendhafter Hass

Batman hasst

Laster und Hass

Ist beziehungsweise handelt Batman tugendhaft?

Batmans Hass ist tugendhaft

Batman hasst nicht im eigenen Interesse

Fehlende Balance

Teil 2 Recht, Gerechtigkeit und die Gesellschaftsordnung –wie ist Batman einzuordnen?

4 Gotham regieren

Gotham ist der Grund

Brauchen wir stinkende Abzeichen? Gesetz und Gewalt

Mörderstraße und Sündenpfuhl: Hobbes in Gotham

Fehlende Sicherheit

Nietzsche, der Anti-Batman

Das eigentliche Tandem: Batman und Gordon

Staatstheorie

5 Ist der Harlekin schuldfähig?

Lache und die Welt lacht mit dir – oder etwa nicht?

Holen wir ein paar Fledermäuse aus dem Kirchturm

Noch eine Karte (Keinen Joker!)

Absturz: Fall der Freiheit

Wer lacht zuletzt?

Teil 3 Herkunft und Ethik: Werdegang eines Kreuzritters

6 Batmans Gelübde

Batmans Anfänge

Die Natur des Gelübdes

Gelübde und Moral

Ein Gelübde am offenen Grab

Batmans Rückkehr

Batman forever?

7 Durfte Bruce Wayne Batman werden?

Was tun mit so viel Zeit und Geld?

Unsanfter Einstieg

Batmans erste Nemesis

Batman vs. Singer: Wie soll man Gotham helfen?

Batman vs. Singer (zweite Runde): übergebührliche Heldentaten – nein danke

Singers Sieg: Das Licht der Vernunft erhellt die Höhle der Fledermäuse

Aber das macht doch alles kaputt!

8 Was würde Batman tun? Bruce Wayne als Vorbild

Vorbilder

Batmans Tugenden

Das ist doch unrealistisch!

Das lässt sich doch nicht belegen!

Das ist doch maßlos übertrieben!

Weiß man das wirklich so genau?

Andererseits ...

Batman, die Ikone

Batman ist ein Vorbild

Teil 4 Wer ist Batman? (Ist das eine Fangfrage?)

9 Batmans Identitätskrise und Wittgensteins Familienähnlichkeit

Begriffe, Bedingungen und Beispiele

Wittgensteins Sprachspiele

Spielplatz Gotham

Robin? Wer is'n das?

Bleibt's in der Familie?

10 Wie ist es, Batman zu sein?

Ein Anruf auf dem Batphone

Wie es nicht ist, Batman zu sein

Thomas Nagels Fledermäuse

Freiheit und Konflikt

Ein schlechter Tag

Wie es ist, nicht in der Anstalt zu sein

Teil 5 Existentialistische und taoistische Einsichten überFledermäuse

11 Alfred, der treue Knappe. Batman und Kierkegaard

Der Heilige

Gerechtigkeit: Gesetz und Fairness oder Liebe und Hingabe?

Die Absurdität des Ganzen

Absurdität, Ironie und Glaube

Batman, der Ritter der unendlichen Resignation

Alfred, der Ritter des Glaubens

Paradox und Frieden

12 Dunkle Ritter und der Ruf des Gewissens

Hat Batman ein Gewissen?

Gewissen und Autorität

Geld, heiße Bäder und harte Entscheidungen

Klarer sehen mit Batvision

Schuldgefühle (oder der Blues)

Dunkle Ritter und der Ruf des Gewissens

Schlussfolgerungen

13 Batmans Auseinandersetzung mit Tod, Angst und Freiheit

Ein entschlossener Batman?

Alfred, phänomenal betrachtet

In unsere Welt geworfen

Der Tod und der Dunkle Ritter

Ich werde zur Fledermaus

Determinismus

Teil 6 Freund, Vater ... Rivale? Die vielen Rollen der Fledermaus

14 Batman ist besser als Superman

Hintergrund: Des Batman-Fans größtes Ärgernis

Schlüpfen wir in die Rolle des Philosophen

Herkunftsgeschichte: Wie wir wertende Vergleiche anstellen

Wegelagerer der Argumentation: Zirkelschlüsse

Gerechtigkeit, Helden und Mut

Fortsetzung folgt ...

15 Beste Freunde? Batman, Superman und das Wesen der Freundschaft

Die Weltbesten

Dieser Superman – was für ein Kerl!

Superman als Aristoteliker

Was für ein Freund ist Batman – beziehungsweise Bruce Wayne?

Batman als Nietzscheaner

Kampf der Giganten: Batman gegen Superman

Auf ewig Superfreunde?

16 Aus dem Schatten der Fledermaus treten: Aristoteles, Kant und Dick Grayson über moralische Erziehung

Ein Superheld ohne Superkräfte

Aristoteles und das Learning-by-Doing

Batman als moralisches Vorbild?

Autorität ist Schall und Rauch

Der Gordon-Yindel-Streit

Am anderen Ende: Kant!

Dick Grayson oder wie man Autonomie erlangt (mit Geldzurück-Garantie!)

Aus dem Schatten der Fledermaus treten

17 Das Tao der Fledermaus

Über die Autoren

Danksagung

Rede anlässlich der Oscar-Verleihung, die George Clooney nie halten wird

Anmerkungen

Stichwortverzeichnis

Einführung

Spitzenrätsel ... Was

geht Ihnen durch den Kopf? Wir wissen es (denn wir sind helle Köpfchen – wir sind schließlich Philosophen!): »Die Philosophie bei Batman? Was soll das denn?«

Na ja, wenn Sie schon fragen ... Batman ist für uns der vielschichtigste Charakter, der je in einem Comic oder einem Graphic Novel auftrat, und die Geschichten, die seit siebzig Jahren um ihn kreisen (nicht nur in Comic-Heften, sondern auch als Zeichentrickfilm, Kinofilm oder Fernsehshow), berühren Unmengen philosophischer Fragen und sind der Diskussion wert. Und dann bekamen wir gemeinsam mit zwanzig anderen Fans die Gelegenheit, unser Faible für die Figur mit unserer Liebe zur Weisheit – der Philosophie – zu verbinden. Daraus entstand das Buch, das Sie gerade in der Hand halten. (Kein Grund, sich zu bedanken. War uns ein Vergnügen.)

Einer der Gründe, warum Batman so viele Leser und Leserinnen weltweit anspricht: Er ist »nur« ein Mensch, obwohl er in keiner Hinsicht wie wir alle ist. Er weihte sein ganzes Leben der Rache, er rächt den Tod seiner Eltern und anderer Opfer von Verbrechen, er riskiert Leib und Leben, um Gotham City zu beschützen. Jahre seines Lebens hat er geopfert, um Körper und Geist bis zur Vollkommenheit zu trainieren. Er ist über alle Maßen reich, versagt sich aber jeden Luxus (außer einem Butler), nur um ein Ziel zu erreichen, das er niemals erreichen wird. Und er verkleidet sich als Fledermaus. (Das kriegen wir auch hin, aber mehr auch nicht!)

Was treibt einen Menschen zu derart extremen Reaktionen? Handelt Batman richtig, tut er Gutes, ist er tugendhaft? Was sagt seine Obsession, seine Hingabe an die selbst gewählte Aufgabe über ihn? Wie geht er mit Partnern, Freunden und Feinden um? Wie ist es überhaupt, Batman zu sein? All das sind philosophische Fragen, und wenn wir die Comics lesen, können wir (die Autoren) gar nicht anders, als darüber nachzudenken (und unsere Gedanken aufzuschreiben). Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit Fragen der Ethik, Identität, Freundschaft, Politik und vielen anderen, immer anhand berühmter Batman-Geschichten wie Die Rückkehr des Dunklen Ritters,[1]Batman: Das erste Jahr,[2]No Man's Land, A Death in the Family, Hush[3] und The Killing Joke,[4] der Kinostreifen und Zeichentrickfilme und sogar der Uralt-TV-Serie aus den 1960er-Jahren mit Adam West und Burt Ward.

Wenn Sie sämtliche Einzelheiten über Jason Todds Wiederauferstehung wissen, Jack Nicholsons Text aus Tim Burtons erstem Batman-Film auswendig kennen oder sich einfach nur gern an Fastnacht und Ihr Batman-Kostüm erinnern, dann ist das Buch etwas für Sie. Das Bat-Signal leuchtet: Legen wir los!

Teil 1Handelt der Dunkle Ritter immer richtig?

1Warum bringt Batman denJoker nicht um?

Mark D. White

Gestatten: Joker

Im Verlauf einiger Jahrzehnte wandelte sich der Joker vom harmlosen Verbrecherclown zum ruch- und konkurrenzlosen Mörder. Jason Todd, der zweite Robin, geht auf sein Konto: Er prügelte ihn buchstäblich zu einem blutigen Brei und gab ihm dann den Rest. Lieutenant Sarah Essen, Jim Gordons zweite Frau, erschoss er vor den Augen zahlreicher Kleinkinder, die er drohte zu töten, um an Sarah heranzukommen. Jahre zuvor hatte er Jims Adoptivtochter, Ex-Batgirl Barbara Gordon, ins Rückgrat geschossen und Jim mit den Bildern gequält, wie sie, von der Hüfte abwärts gelähmt, hilflos, nackt und blutverschmiert auf dem Bauch lag. Ganz zu schweigen von den unzähligen Bürgern Gotham Citys – unlängst hat der Joker sogar seine eigenen Handlanger ausradiert![1]

Jedes Mal, wenn der Joker aus Arkham ausbricht, begeht er schmutzige Verbrechen, Verbrechen der Sorte, die der Philosoph Joel Feinberg (1926 – 2004) »Krank! Krank! Krank!« oder »triple-sick«[2] nennt. Natürlich fängt Batman den Joker jedes Mal wieder ein und schickt ihn durch die Drehtür zurück nach Arkham.[3] Batman weiß, dass der Joker wieder ausbrechen und höchstwahrscheinlich wieder töten wird, wenn er es nicht verhindern kann – was offensichtlich immer wieder passiert.

Warum bringt der Kreuzritter mit dem Cape ihn also nicht einfach um? Er würde so viele Leben retten! Unzählige würden noch leben, darunter etliche seiner Freunde und Partner, hätte er es längst getan. Polizeichef Gordon denkt immer wieder darüber nach, den Joker umzulegen, und meistens ist es Batman, der ihn daran hindert.[4] In einer äußerst erhellenden Szene von Hush steht Batman kurz davor, den Joker aus dem Weg zu räumen, und es ist Jim, der ihn davon abbringt. Batman fragt: »Wie viele Leben lassen wir ihn noch zerstören, Jim?« Und Jim antwortet: »Ist mir egal. Deines zerstört er nicht.«[5]

Obwohl er oft darüber nachgedacht hat, bringt Batman den Joker, seinen bei weitem blutrünstigsten Gegner, nicht um. Mit Ausnahme seiner allerersten Fälle weigert sich Batman generell zu töten, er sagt, wenn er töte, sei er um nichts besser als die Kriminellen, die zu bekämpfen er geschworen hat. Das klingt fast egoistisch, könnte man doch einwenden: »Hey, es geht doch nicht um dich, Batman!« Oder doch? Kann das sein? Gewöhnlich denken wir, jeder soll etwas tun, was vielen nützt – aber was ist, wenn dieses »Etwas« bedeutet, zum Mörder zu werden? Was ist wichtiger: Gutes tun oder nichts Falsches tun? (Alfred, bitte ein Aspirin!)

In diesem Kapitel fragen wir, ob es moralisch vertretbar ist, einen Menschen umzubringen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, also um eben das Problem, mit dem Batman konfrontiert ist, wenn er seine persönlichen Moralvorstellungen und die zahllosen Menschenleben, die er retten könnte, gegeneinander abwägt. Das Thema ist nicht neu, jüngst erst wurde es von dem Schurken Hush und dem wieder auferstandenen Jason Todd, zuvor auch schon von Jean-Paul Valley (Der Sturz des dunklen Ritters) aufgeworfen, die allesamt laxer mit der Ethik umgehen als Batman selbst.[6] Hier soll es mit Hilfe einiger berühmter Gedankenspiele diskutiert werden, durch die wir die Sachlage in ihre konstitutiven Elemente zergliedern können – nicht anders als Batman, wenn er ein clever eingefädeltes Verbrechen entschlüsseln will. (Na ja, fast, lasst mir meine Illusionen!)

Ist Batman Utilitarist oder Deontologe? Oder keins von beiden?

Das Argument für den Mord am Joker ist sehr einfach: Wenn Batman ihn umbringt, verhindert er die ganzen Morde, die er noch begehen würde. Diese Argumentation ist typisch für den Utilitarismus, eine Ethik, die das größtmögliche Glück oder Wohlergehen der größtmöglichen Zahl als Ergebnis menschlicher Handlungen anstrebt.[7] Viele Leben retten um den Preis von einem ergäbe netto einen hübschen Zugewinn an Wohlergehen; trotz der tragischen Komponente würden die meisten Utilitaristen dafür plädieren. (Wir könnten die Überlegungen erweitern, etwa um das Rachebedürfnis der Familien der Opfer oder die Trauer, die manche Menschen bei jedem Mord empfinden, doch ich will die Dinge nicht verkomplizieren.)

Superhelden sind aber keine Utilitaristen. Klar, sie mögen Glück und Wohlergehen nicht weniger als andere Menschen, doch bestimmte Dinge sind für sie schlicht tabu. Die Kriminellen wissen das natürlich und nutzen es aus: Warum sonst würden sie Unschuldige als Geißeln nehmen? Weder die Superhelden der Comic-Serien noch Polizisten in der Wirklichkeit riskieren das Leben unschuldiger Menschen, um einen Verbrecher dingfest zu machen, selbst wenn sie ihn damit unschädlich machen könnten. Ganz allgemein töten Superhelden nicht, auch nicht, um viele andere Menschen zu retten.[8]

Aber warum weigern sie sich? Der Utilitarist kann das nicht nachvollziehen. »Du lässt zu, dass es weitere Opfer geben wird, nur weil du nicht töten willst?« Genau das haben Jason Todd und Hush kürzlich Batman vorgeworfen. Ob er sich schon mal überlegt hätte, wie viele Leben er dadurch, dass er den Joker am Leben lässt, auf dem Gewissen hat, fragt Hush und kann es nicht fassen, dass Gerechtigkeitssinn und Pflichtgefühl den Blutzoll rechtfertigen sollen. Jason Todd sieht die Sache etwas persönlicher: Er verzeiht Bruce Wayne zwar, dass er ihn nicht gerettet hat, aber nicht, dass der Joker immer noch lebt, bei allem was dieser getan hat. Er kann sich das nur mit Blindheit, Wegschauen und Gefühllosigkeit erklären, angesichts der Friedhöfe, die der Joker gefüllt hat, angesichts der unzähligen Opfer, angesichts all der Freunde Batmans, die verstümmelt wurden. Und dass Batman tatsächlich zuließ, dass der Joker ihn, Jason Todd, umbrachte ...[9] Batmans Standardantwort ist: Wenn ich auch nur einmal töte, bin ich nicht besser als die Kriminellen, die ich bekämpfe. Batman würde den Joker nur zu gern umbringen – aber damit wäre eine Grenze überschritten, von der es kein Zurück gibt.[10]

Utilitaristen, wie gesagt, sehen das anders, Vertreter einer anderen Richtung der Ethik, die Deontologen, würden Batman hingegen zustimmen.[11] Sie beurteilen eine Handlung nach ihrer Motivation, nicht nach den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Das Ziel heiligt für einen Deontologen niemals die Mittel, die Mittel müssen stets rechtmäßig sein. Es ist für Deontologen daher völlig unerheblich, dass mit dem gewaltsamen Tod eines Verbrechers potenzielle Opfer geschützt werden, in ihren Augen zählt nur eins: Töten ist unmoralisch, Punkt. Doch selbst der geradlinigste Deontologe kennt Ausnahmen von dieser Regel, beispielsweise in Notwehr. Dann wäre Töten also doch zulässig, vorausgesetzt, die Begründung stimmt? Damit ließe sich locker rechtfertigen, einen blutrünstigen Killer auszuschalten, oder? Um das herauszufinden, nehmen wir den öffentlichen Nahverkehr ...

Frau Professor Thomsons Straßenbahn

Zu den klassischen ethischen Dilemmata gehört das »Trolley-Problem« (benannt nach dem englischen Wort für Straßenbahn). Als Erste formulierte es Philippa Foot, und Judith Jarvis Thomson erweiterte es um eine interessante Variante.[12] Eine Straßenbahn gerät außer Kontrolle, auf ihrem Weg wird sie fünf Menschen überrollen, die sie nicht rechtzeitig bemerken und nicht mehr reagieren können. Es gibt eine Möglichkeit, diese Menschen zu retten: Man kann eine Weiche umstellen und sie auf ein anderes Gleis lenken. Dort steht »nur« ein Mensch, der allerdings auch keine Chance hätte. Stellen Sie sich vor, Sie stünden da und müssten entscheiden, ob Sie die Weiche umlegen oder nicht.

Oder stellen wir uns vor, ein gewisser Bruce stünde an der Weiche. Kann er es moralisch vertreten, die Straßenbahn aufs andere Gleis zu lenken? Ist er gar moralisch dazu verpflichtet? Thomson entscheidet sich für den Mittelweg: Bruce darf, muss aber nicht. Utilitaristen sähen Bruce in der Pflicht, Deontologen hingegen hätten ein Problem, wenn er tätig würde, denn für den Tod des einen würde er die Verantwortung tragen, während er für den Tod der fünf nichts kann. Thomsons Lösung scheint beide Ansätze zu verbinden: Bruce darf, sollte vielleicht sogar die Weiche umlegen und so eine Person töten und fünf retten, aber es ist auch akzeptabel, wenn er damit ein Problem hat.

Den Unterschied zwischen Utilitaristen und Deontologen erkennt man unter anderem an den Regeln, die sie aufstellen. Utilitaristen geben vom Handelnden unabhängige Ziele vor: Wohlstand maximieren. Es ist ihnen egal, wer dieser Regel folgt. Alle sollen so handeln, dass insgesamt mehr Wohlstand entsteht, wer sich dem entzieht, für den gibt es keine Entschuldigung. Deontologen hingegen formulieren Regeln personenbezogen. Du sollst nicht töten, sagen sie, und die Betonung liegt auf »du«, ganz egal, welche Gründe für das Töten sprechen sollten. Anders gesagt: Utilitaristen legen Wert auf den Ausgang einer Handlung, Deontologen auf das richtige Handeln. Die Weiche umlegen mag gut sein, weil nur ein Mensch umkommt statt fünf, aber es ist nicht unbedingt richtig (weil die erforderliche Tat verwerflich ist).[13]

Hush fänd's klasse ...

Thomson vergleicht die außer Kontrolle geratene Straßenbahn gern mit einem Chirurgen, der fünf Patienten hat, die alle an unterschiedlichen Organversagen sterben werden, wenn sie kein Spenderorgan bekommen. Wenn unser Chirurg seinen gesunden Kollegen betäubt und ihm die Organe entnimmt, rettet er seine fünf Patienten, lässt den Kollegen allerdings über die Klinge springen.[14]

Mit Ausnahme des verrückten, bandagierten Dr. Hush würden nur wenige Menschen eine so drastische Maßnahme gutheißen (am allerwenigsten Dr. Thomas Wayne, Friede seiner Seele). Sie merken schon, worauf ich hinaus will (Batman-Fans sind so gescheit!): Was unterscheidet einen, der zufällig an der Weiche steht, vom Chirurgen, der seinen Kollegen als Organspender missbraucht? In beiden Fällen kann ein Mensch durch Nichtstun fünf Menschen sterben lassen oder etwas tun, was einen tötet, aber fünf rettet. Die meisten Menschen würden es in dem einen Fall für richtig und im anderen gefühlsmäßig für falsch halten, dieses Gefühl hingegen zu begründen fällt schwer – selbst studierten Philosophen!

Zehn Gründe, warum das Batmobil keine Straßenbahn ist

Inwiefern ist Batmans Situation mit dem Menschen an der Weiche oder dem Chirurgen vergleichbar? Welche für Batman und den Joker relevanten Faktoren fehlen im Vergleich zu den beiden philosophischen Dilemmata? Und was sagt Batmans Weigerung über ihn selbst aus?

Ein wichtiger Unterschied: Alle sechs potenziellen Opfer im Straßenbahnbeispiel sind »ethisch gleichwertig«. Es gibt also keine moralische Rechtfertigung, sie unterschiedlich zu behandeln, sie tragen eben so wenig Schuld wie Patienten und Kollege im Chirurgenbeispiel.

Spielt das überhaupt eine Rolle? Thomson modifiziert ihr Beispiel mehrfach, um das zu verdeutlichen: Die fünf Menschen auf der Hauptstrecke könnten Säufer sein, die sich am frühen Morgen in ihrem Suff aufs Gleisbett gelegt haben und eingeschlafen sind, der auf dem Nebengleis hingegen ein mit Reparaturarbeiten beschäftigter Mitarbeiter der Stadtwerke. Der Mitarbeiter muss sich bei den Schienen aufhalten, die fünf Trunkenbolde nicht. Hätte das Einfluss auf unsere Entscheidung, wenn wir an der Weiche stünden? Wenn die fünf Patienten durch eigenes Verschulden in ihre verzweifelte Lage kamen und sich nie um ihre Gesundheit gekümmert haben, der Kollege sich hingegen stets fit gehalten und asketisch gelebt hat? In beiden Fällen sind die fünf Personen aufgrund eigener (schlechter) Entscheidungen gefährdet und sollten die Konsequenzen tragen, könnte man meinen. Ihr Leben darf nicht zulasten der einzigen Person gerettet werden, die verantwortungsvoll gehandelt hat.

Doch auf den Joker trifft das Gegenteil zu: Er ist der eine auf dem Nebengleis oder im OP, seine (vermutlich unschuldigen) Opfer sind die anderen fünf. Nach der eben dargestellten Logik spräche das für ein Todesurteil. Warum sollten die Opfer ihr Leben hergeben, damit er weiterleben kann, noch dazu, wo er dafür lebt, andere zu töten?

Der Fall unterscheidet sich von den Dilemmata noch in einem ganz anderen Punkt. Der Joker bringt die anderen in Gefahr. Wenn wir sein Verhalten auf die Geschichte mit der Straßenbahn übertragen: Er hat sie ans Hauptgleis gefesselt und sich selbst aufs Nebengleis gestellt, weil er sehen will, wie Batman reagiert. (Wie war das mit dem Feiglingsspiel?!) Wenn wir dazu tendieren, einen zu töten, um fünf zu retten, ist das Wasser auf unsere Mühlen.

Man könnte aber auch denken, der Mann auf dem Nebengleis habe das Recht zu leben, selbst um den Preis, dass fünf andere sterben. Es wäre ein feiner Zug, wenn er sich für sie opfern würde, doch die meisten Philosophen (abgesehen von den Utilitaristen) halten es nicht für seine Pflicht. Noch klarer liegen die Dinge bei der Organspende. Der Chirurg könnte seinen Kollegen natürlich fragen, ob er bereit wäre, sich töten zu lassen, aber er kann es schwerlich von ihm verlangen. Doch auch hier gilt: Der Joker bringt die anderen in Gefahr, und deswegen wäre es absurd, wenn er (was ihm ähnlich sähe) sagen würde: Klar bringe ich sie um, aber ihr dürft mich nicht umbringen, um sie zu retten!

Sein Anteil am Geschehen wirft ein Licht auf die Verantwortung, die Batman trägt. Wenn wir ihm vorwerfen: »Du hast den Joker nicht getötet, deswegen hast du seine Opfer auf dem Gewissen«, wird er zu Recht entgegnen, der Joker und niemand sonst sei für dessen Taten verantwortlich.[15] Wir kennen das Argument bereits: Ich bin nicht dafür verantwortlich, wenn die Straßenbahn fünf Menschen überfährt, wohl aber für den Tod des einen, der durch mein Umlegen der Weiche zu Schaden kommt.[16]

Ich sage nichts ohne meinen Anwalt! Ach Mist, den habe ich ja auch gekillt ...

Wenn der Chirurg einen Kollegen als Organspender benutzt, handelt er gesetzwidrig. Wenn ein zufälliger Passant die Weiche umlegt, um fünf Menschen zu retten, wohl wissend, dass er damit den Tod eines anderen Menschen verursacht, ist die juristische Seite nicht so klar. Juristisch liegt der Fall Batman/Joker einfacher. Hätte Batman die Rechte und Pflichten eines Polizisten, dürfte er den Joker in Notwehr – und insofern er auf keine andere Weise den Tod eines Opfers verhindern kann – umbringen. Wenn Batman den Joker in dem Moment aufspürt, in dem er eine unschuldige Person ermorden will, und es keine andere Möglichkeit gibt, ihn daran zu hindern, dann dürfte er ihn ganz legal töten. (So wie ich Batman kenne, würde ihm aber eine andere Möglichkeit einfallen.)

Und wenn Batman den Joker aufspürt, kurz nachdem dieser gemordet hat? Weder Batman noch ein Polizist können toten Opfern helfen, höchstens Menschen retten, die der Joker wahrscheinlich noch ermorden wird. Wahrscheinlich? Wenn wir ehrlich sind, können wir das nicht wissen. »Das war mein letzter, Batty, versprochen!« Ja, er hat es oft versprochen und nie gehalten, aber vielleicht meint er es diesmal ernst. Vielleicht stirbt er morgen eines natürlichen Todes und kann deswegen keinen mehr umbringen. Fakt ist, wir können es nicht wissen und also auch nicht sicher sein, ob wir ein einziges Menschenleben retten, wenn wir ihn töten.

Modifizieren wir das Straßenbahnbeispiel: Dichter Nebel erschwert die Sicht auf das Hauptgleis, wir sehen nur den Mann auf dem Nebengleis, wissen aber, dass sich auf dem Hauptgleis oft Personen aufhalten. Was tun? Oder beim Chirurgen: Heute hat er keine Patienten, die auf eine Transplantation warten, morgen könnten welche kommen, aber da ist sein Kollege in Urlaub. Soll er ihn auf Vorrat opfern?

Ich schätze, wohl niemand würde jemanden mit gutem Gewissen umbringen, um eventuell den Tod von anderen verhindert zu haben. Den Joker wegen seiner Morde vor Gericht zu bringen ist eins, man könnte ihn gegebenenfalls zum Tode verurteilen (wenn er nicht das Paradebeispiel für Unzurechnungsfähigkeit wäre), aber es ist etwas völlig anderes, wenn wir den Mord an ihm mit geretteten potenziellen Opfern begründen. Zugegeben, er hat es immer wieder getan und prahlt mit künftigen Morden. Wenn wir allen Grund zu der Annahme haben, dass er es ernst meint? Ist es dann moralisch vertretbar, ihn abzuservieren, bevor er wieder zuschlägt?

Menschen bestrafen, bevor sie ein Verbrechen begehen: Die Idee wurde durch den auf Philip K. Dicks Kurzgeschichte Minority Report (1956) basierenden gleichnamigen Spielfilm von Steven Spielberg mit Tom Cruise in der Hauptrolle berühmt.[17] Der Tod des Jokers durch Batmans Hand wäre im engeren Sinn des Wortes keine Strafe, da Batman dazu gar nicht nicht befugt ist, aber wir können uns trotzdem fragen, ob eine solche Präventivstrafe ethisch vertretbar wäre. Manche würden dafür plädieren. (Allerdings gibt es eventuell ein epistemisches Problem, also ein Erkenntnisproblem: Warum sollte er künftige Straftaten zugeben, wenn er dafür getötet wird?) Andere würden sagen, dass er seine Meinung ändern könnte und man aus Achtung vor der Wahlfreiheit von Menschen generell nicht präventiv strafen soll.[18] Präventivstrafen lösen Panik in uns aus, aber in einer Zeit, in der ganz viele Menschen ganz leicht von ganz wenigen umgebracht werden können, sind wir wohl bald wieder mit dem Problem konfrontiert.[19]

Fall erledigt, oder?

Damit sind wir wohl überzeugt. Batman hatte Recht, den Joker am Leben zu lassen.

Was? Wir sind immer noch nicht überzeugt?

Natürlich nicht!! Schauen Sie mal, ich halte mich für einen Deontologen, aber selbst ich muss zugeben, dass er ihn vermutlich hätte umbringen sollen. (Ich hoffe sehr, meine Kollegen in der North American Kant Society kriegen das nicht in die Finger – sonst werde ich wieder zum Dienst am Büffet verdonnert!) Für Deontologen geht Recht vor Wohlergehen, doch wie viel Gutes wäre geschehen, wäre Jokers Leben vor Jahren schon beendet worden! Vergleichen wir das Problem mit der Folterdebatte – selbst strikten Gegnern der Folter müssen Bedenken kommen, wenn Tausende oder Millionen unschuldiger Menschenleben auf dem Spiel stehen.

Zum Glück bietet die Literatur – und damit meine ich Comics – eine Möglichkeit, solche Probleme zu diskutieren, ohne sie erleben zu müssen. Wir müssen Menschen nicht vor eine außer Kontrolle geratene Straßenbahn werfen, wir brauchen weder Batman noch den Joker im richtigen Leben. Dafür sind Gedankenspiele da: Durch sie können wir uns Szenarien ausmalen und überlegen, was wir tun und lassen sollten. Welch ein Glück für Batman-Fans, dass der Joker für Batman alles andere als eine Fantasiegestalt ist und noch lange gegen ihn kämpfen wird!

2Ein Robin von wessen Gnaden?

James DiGiovanna

Was darf der Fledermausmann?

Batman und Robin (Fledermaus und Rotkehlchen), Dynamic Duo, Dark Knight und Boy Wonder – was wäre natürlicher? Trotzdem, auch wenn es sich noch so selbstverständlich anfühlt, es fragt sich doch, ob Batman einen kleinen Jungen ausbilden darf, um ihn als Robin gegen böse Kriminelle kämpfen zu lassen. Antwort auf solche Fragen gibt die Ethik, ein Teil der Philosophie, der Themen behandelt wie: »Was soll ich tun? Wie soll ich leben? Was für ein Mensch soll ich sein?«

Nehmen wir an, Sie hätten einen überlegenen Intellekt, unübertroffenen Kampfgeist und schreckliche Erinnerungen an einen Überfall, bei dem Ihre Eltern umgebracht wurden. Sie haben es mit eigenen Augen gesehen. Dann beantworten Sie die genannten Fragen vielleicht so: »Ich sollte einen Umhang tragen und Verbrecher im Schutz der Nacht gewaltsam an ihren ruchlosen Taten hindern.« Eine andere denkbare Antwort wäre: »Ich sollte eine Therapie machen, mich von den zwanghaften Erinnerungen befreien, menschlicher werden und eine Familie gründen.« (Dann allerdings würden nicht so viele Comics über Sie geschrieben werden.)

Nehmen wir an, Sie treffen einen Straßenjungen, Vollwaise, und wollen helfen. Was können Sie tun? Moralisch annehmbar dürften drei Optionen sein: Ihn einer staatlichen Erziehungseinrichtung übergeben, Eltern für ihn suchen oder ihn bei sich aufnehmen. Ihn in ein Karnevalskostüm stecken, in Kampfkünsten ausbilden, ihn ständig Gefahren aussetzen, um Charakter und Fertigkeiten zu schulen? Nichts anderes tat Batman mit seinen Robins ... wiederholt! Es ist ein bisschen mühsam, sich das als moralisch annehmbar vorzustellen. Trotzdem ist es immer wieder auch historisch belegt. Die antiken Spartaner, mittelalterliche europäische Königshäuser, Krieger auf Papua-Neuguinea haben kleine Jungs tödlichen Gefahren ausgesetzt, damit gute Erwachsene aus ihnen werden. Wenn auch nur die mittelalterlichen Könige ihrem Nachwuchs Umhänge spendierten, so weisen doch alle drei genannten Beispiele starke Parallelen zu Batman auf.[1]

Lässt sich das rechtfertigen? Kann man Batmans Neigung, Jugendliche im Clownsgewand gegen Verbrecher einzusetzen, gutheißen? Diese Fragen sind zentral für die ethische Beurteilung, ob Robin richtig erzogen und geschult wird, und sie stehen im Zentrum dieses Kapitels.

Pflichten eines Superhelden

Ethik lässt sich definieren als Versuch, ein Regelwerk aufzustellen und zu beschreiben, wann diese Pflichten unter allen Umständen befolgt werden müssen, einfach weil die Regel oder Pflicht allem anderen übergeordnet ist. Eine solche Ethik heißt »deontisch«, was auf das griechische Wort »deon« zurückgeht, Pflicht. Ihr wichtigster Vertreter war Immanuel Kant (1724 – 1804) mit seinem berühmten kategorischen Imperativ. »Kategorisch« heißt in diesem Zusammenhang »ausnahmslos«: Man kann sich nicht aussuchen, ob und wann eine Pflicht angewendet werden muss. Für Kant war es ein moralisches Gebot, nicht zu lügen. Angenommen, der Joker bringt Batman in seine Gewalt und will wissen, wo Robin ist, dann kann Batman nichts sagen oder ausweichend antworten, aber er darf nicht schwindeln und Joker damit in eine Falle locken. Denn das würde gegen das Gebot verstoßen, nicht zu lügen.[2]

Doch nicht nur kategorisch, auch allgemein hat Kant die Gebote genannt. »Allgemein« heißt, dass die Regel für alle gilt. Für Kant gibt es ein einfaches Richtmaß in der Ethik: Die Frage, was wäre, wenn alle so handeln würden. Mit Kants Worten: »Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.«[3] Unter Maxime versteht Kant die subjektive Richtschnur, an der jeder Mensch sein Handeln orientiert. Wer keine allgemein gültige Richtschnur wählt, handelt unmoralisch, denn alle Menschen müssen nach demselben moralischen Gesetz handeln können, keiner darf für sich Ausnahmen beanspruchen.

Wenden wir uns Jason Todd zu, dem zweiten Robin, den auszubilden Batman beschloss, nachdem er Jason beim Versuch, die Reifen des Batmobils zu stehlen, erwischt hatte.[4] Als gute Kantianer müssten wir fragen: »Ist das mit einer Regel vereinbar, die kategorisch (ausnahmslos gültig) und allgemein (für jeden Menschen gültig) ist? Batman könnte sich Folgendes gedacht haben: »Wenn ein Waisenjunge deine Radkappen klaut, sollst du ihn in ein leuchtend rot-gelbes Kostüm stecken und in den Kampf gegen den Pinguin schicken.« Sonderlich allgemein klingt das nicht, Kant hätte diese Maxime wahrscheinlich für unmoralisch befunden.

Als Maxime ist Batmans Überlegung zu spezifisch, schließlich würde die Welt untergehen, wenn jeder der Maxime: Werde Philosoph!, folgen würde, und doch ist es wohl kaum unmoralisch, Philosoph zu werden. »Werde, was dich glücklich macht« oder »Nutze deine Begabung!« ist allgemeiner. Entsprechend könnten wir Batmans Todd-Maxime umformulieren: »Hilf Waisenkindern, soweit es in deiner Macht steht.« Das ist auf jeden Fall allgemein genug und passt zu Kants Auffassung, man müsse Mitmenschen helfen. Allerdings fällt es eher nicht unter den Begriff der Hilfe, Waisenkinder gegen kriminelle Neurotiker in Halloween-Kostümen in den Kampf zu schicken. Die Auffassung, man müsse Kinder vor Gefahren schützen, ist jedenfalls verbreiteter. Insofern begrenzt der Schutz der Kinder die Möglichkeiten, ihnen zu helfen. Batman ist in diesem Sinn kein guter Kantianer, jedenfalls nicht auf diesem Gebiet, denn er setzt Robin Gefahren aus.

Robin und das allgemeine Wohl

Ethik könnte auch als Verfahren definiert werden, mit dem sich die Handlungen ermitteln und anwenden lassen, die das bestmögliche Ergebnis erzielen. Das nennt man Konsequentialismus, denn die Konsequenzen des Handelns sind hier wichtiger als den Handlungen innewohnende moralische Richtigkeit. Für Utilitaristen wie Jeremy Bentham (1748 – 1832) und John Stuart Mill (1806 – 1873) ist eine Handlung dann moralisch gut, wenn daraus für die größtmögliche Anzahl von Menschen der größte Nutzen oder das größte Vergnügen erwächst.[5] Im Gegensatz zu den Deontologen (»Schütze Kinder!« oder zumindest »Setze Kinder nicht großen Gefahren aus!«) ließe sich Batmans Umgang mit Jason Todd utilitaristisch rechtfertigen, wenn Robins Gefährdung dem allgemeinen Wohl von Gotham City diente. Wenn Robins Ausbildung den Bürgern von Gotham mehr Gutes bringt als an Zeit, Punchingbällen und Verletzungen investiert werden müssen, dann findet sie den Beifall der Utilitaristen.

Doch wie steht es mit Robin selbst? Schließlich wird er vom Joker zu Tode geprügelt. Ist der Preis nicht zu hoch, selbst wenn vielen Bürgern Gothams geholfen war? Utilitaristen sind berüchtigt, weil sie das Leid einiger zum Wohl der Mehrheit billigend in Kauf nehmen. Erfordert etwa die Rettung einer Menschengruppe aus den Fängen von Übeltätern, dass ein, zwei oder auch hundert Menschen getötet werden, ist das für Utilitaristen moralisch korrekt.[6] Wir könnten also annehmen, Batman hielte es wegen der guten Folgen für die Gemeinschaft für gerechtfertigt, seine jungen Gehilfen Gefahren auszusetzen. Andererseits würde Batman nie das Leben unschuldiger Passanten riskieren, um einen Verbrecher dingfest zu machen. Wendet er die utilitaristische Logik also nur auf seine Schüler an, die sich freiwillig für den Job gemeldet haben? (Aber welcher Jugendliche würde sich nicht dafür melden?) Batmans Ausbildung der Robins lässt sich also tatsächlich utilitaristisch erklären, aber die Erklärung greift nur hier.

Verbrechensbekämpfung und Charakter

Kann man Batmans ethische Entscheidungsfindung auch anders interpretieren? Der Beschluss, Robin für die Verbrechensbekämpfung auszubilden, könnte aus der Tugendethik stammen, die den Fokus auf bestimmte, Tugenden oder Vorzüge genannte Charaktereigenschaften legt, und nicht so sehr die jeweilige Handlung nebst Folgen beurteilt (wie Deontologen und Utilitaristen). Die Tugendethik berücksichtigt Unterschiede: Menschen haben unterschiedliche Charaktere, sie spielen verschiedene Rollen und leben in unterschiedlichen Kulturen. Batman ist bemüht, abstrakte moralische Prinzipien hochzuhalten, die er für ewig gültig erachtet, er weiß aber auch, dass unterschiedliche Charaktere unterschiedliche Maßnahmen verlangen. Nicht jeder kann ein Batman oder Robin sein. Nicht jeder hat das Zeug zum Superhelden, die Gesellschaft weist jedem von uns eine andere Rolle zu.

Man könnte Batmans Vorgehen rechtfertigen, wenn er Robin einen bestimmten Charakter anerzieht, der nicht für jedermann geeignet, aber in Bezug auf die übergeordnete Kultur angemessen und notwendig ist.[7] Mit anderen Worten: Robin kann vielleicht helfen, die Welt zu verbessern und Batman macht Jason Todd durch die Ausbildung zum Robin vielleicht zu einem besseren Menschen, selbst wenn es sich nicht verallgemeinern lässt, dass Männer in Fledermauskostümen reifenstehlende Waisen in lebende Waffen gegen Kriminelle verwandeln sollen.

Platon (428 – 348 v.Chr.) gilt als erster europäischer Vertreter der Tugendethik.[8] Er glaubte, dass für unterschiedliche Menschen unterschiedliche ethische Normen gelten, je nach ihrer Stellung in der Gesellschaft. Trotzdem kannte er auch universelle ethische Regeln, die für alle gelten. In mancher Hinsicht sind also alle gleich, gleichzeitig unterscheiden sich Menschen hinsichtlich der ethischen Anforderungen ihrer sozialen Rolle.

Die Tugendethik geriet in der frühen Moderne fast völlig in Vergessenheit. Erst im zwanzigsten Jahrhundert sahen Philosophen wie Michael Slote, Martha Nussbaum und Alasdair MacIntyre in der Tugendethik die Lösung für bestimmte Probleme der deontologischen und utilitaristischen Ethik.[9] Denn die beiden anderen Richtungen sprechen über das rechte Handeln, können aber offenbar nichts darüber aussagen, wie Menschen zur richtigen Entscheidung befähigt werden. Nicht umsonst heißen sie auch »Handlungs-« oder »Regelethiken«, denn sie befassen sich mit dem individuellen Tun und den universellen Regeln, die dafür gelten. Sie befassen sich jedoch nicht damit, welcher Charaktertypus geneigt ist, moralisch zu handeln, oder wie Menschen dazu erzogen werden können. Es scheint so, als würden sie implizit annehmen, als genüge das bloße Verstehen der Ethik: Wer weiß, wie er zu handeln hat, handelt auch so. Doch Menschen können sehr wohl wissen, dass sie das Falsche tun, und es trotzdem tun, beispielsweise weil sie nicht genug Willensstärke haben.

Außerdem ist das, was wir normalerweise für gut halten, nicht in jedem Kontext und für jeden gut. Polizisten beispielsweise dürfen in bestimmten Situationen Menschen verhaften, Fahrzeuge beschlagnahmen und physische Gewalt anwenden. Ein gewöhnlicher Bürger darf das erfreulicherweise nicht. Mit der spezifischen Rolle des Polizisten ist also etwas verbunden, das besondere ethische Regeln verlangt, auch wenn einige Regeln alle gesellschaftlichen Aufgaben überspannen müssen. Polizeibeamte werden auf ihre Aufgabe vorbereitet, sie durchlaufen Schulungen und sind hoffentlich auch charakterlich soweit gefestigt, dass sie ihre Rolle verantwortungsvoll ausfüllen können. Deswegen haben die Begründer der Tugendethik, Platon und Aristoteles (384 – 322 v. Chr.), die Charakterbildung so sehr betont. In ihren Augen genügte es nicht, einfach nur ethisches Verhalten zu erklären, die Menschen müssen vielmehr entsprechend angeleitet werden.

In seinem Buch Der Verlust der Tugend führt Alasdair MacIntyre aus, dass wir unseren Charakter ein Leben lang mit unserer Art zu handeln ausbilden. Wie Platon denkt MacIntyre, dass wir zuerst moralisch zu handeln lernen und später erst Moral verstehen. Wir erklären einem Kind keine Ethik, wir sagen einfach Nein. Erst wenn wir die Tugend- und Anstandsregeln verinnerlicht haben, können wir die abstrakten Gründe dafür verstehen, über moralisches Verhalten philosophieren und die Gedankenexperimente durchspielen, die Deontologen und Konsequentialisten ins Zentrum der Ethik stellen, allgemeine Regeln ableiten und die Folgen unseres Handelns einkalkulieren.

Aber am Anfang lernen wir Ethik, indem wir zurechtgewiesen werden, wenn wir uns falsch verhalten, und belohnt, wenn wir etwas gut machen. Wenn wir bestimmte Tugenden fördern wollen, etwa den Mut, müssen wir die Person, der wir ihn einpflanzen wollen, auf die Probe stellen. Mut zeigt sich, wenn wir Gefahren ausgesetzt sind. Soll ein Kind also mutig werden, muss es mäßig gefährlichen Situationen ausgesetzt werden. Zeigt es daraufhin eine natürliche Veranlagung zum Mut, könnte es ein geeigneter Anwärter für einen Beruf bei den Streitkräften oder der Polizei werden. Dann können wir ihn immer stärker auf mutiges Verhalten schulen, ohne andere Tugenden wie Sanftmut und Mäßigung zu vergessen, und so allmählich den gewünschten Charakter heranbilden.

Ohne eigene Erfahrungen mit moralischem Verhalten und der Welt im Allgemeinen geraten solche Denkweisen schnell auf Abwege, und ohne moralischen Charakter, der uns durch unser ethisches Denken trägt, wird es schnell ineffektiv. Ohne Erziehung zum richtigen Verhalten wird uns kein noch so umfangreiches theoretisches Wissen zu guten Menschen machen. So viel wir auch theoretisieren – ohne das Tun im Hintergrund wird sich unser Egoismus immer gegen unser Wissen darüber, wie man richtig handelt, durchsetzen.

Kann Batman Robin zur Tugend erziehen?

Als Batman Robin unter seine Fittiche nimmt, erklärt er seinem Schützling die Superhelden-Ethik nicht nur, sondern bildet ihn darin aus, indem er ihn durch Beispiel und Erfahrung im Superheldentum unterrichtet. Aber noch immer stellen sich Fragen, ob sich das moralisch rechtfertigen lässt: Man kann auch einen Dieb heranbilden und ihm die »Tugenden« eines Kriminellen angewöhnen. Die Tugendethik gebietet jedoch die richtige Erziehung; wir müssen uns entscheiden, welchen moralischen Charakter wir heranbilden wollen. Dafür müssen wir nicht anders als Deontologen und Konsequentialisten auf allgemeine Regeln zurückgreifen und (wie insbesondere die Konsequentialisten) fragen: »Zu welcher Art von Persönlichkeit wollen wir einen jungen Menschen erziehen?«

Doch auch wenn sich die Tugendethik mit Erziehung befasst, kann nicht jeder zu jeder Rolle erzogen werden, nur bereits angeborene Neigungen können verstärkt und geschliffen werden. Zeigt ein junger Mensch keinerlei der für eine bestimmte Rolle erforderlichen Neigungen, dann kann keine Erziehung der Welt ihn zu einem geeigneten Kandidaten für diese Rolle umpolen. Jason Todd beispielsweise war mutig veranlagt, aber auch grob und unbesonnen. Er genoss es, Bösewichte zusammenzuschlagen, und traf jede Menge voreilige Entscheidungen, mit denen er sich und Batman in Gefahr brachte. Batman beging also bei seiner Ausbildung wohl zwei Fehler: Er hat die Ausbildung der mäßigenden Tugenden vernachlässigt und es versäumt, die angeborenen Neigungen seines jungen Schützlings positiv zu beeinflussen.

Batman hatte bei Jasons Erziehung eine Reihe von Schwierigkeiten. Erstens war Jason Todds Charakter bereits von seiner kriminellen Karriere geprägt. Zweitens konzentrierte sich Batman bei der Ausbildung immer auf Kampf, Mut und Aktivität. Er war schlicht nicht in der Lage, Robin zu Sanftmut und Mäßigung zu erziehen. Wahrscheinlich infolge dieser Versäumnisse ließ sich Jason auf den Kampf mit dem Joker ein und bezahlte mit dem Leben, eine Tragödie, die Batman seither verfolgt (selbst nach Jasons Wiederauferstehung).

Auch Helden sind fehlbar

Wie hätte Robin gerettet werden können? Schließlich verlassen uns alle manchmal und trotz besserer Vorsätze (unserer eigenen wie unserer Lehrer) die ethischen Prinzipien. Trotzdem lohnt es sich immer, tugendhaft zu sein; ohne seine bewusste Entscheidung für die Tugend wäre Batman nicht Batman.[10] Die Gesetze der Deontologen und der konsequentialistische Fokus auf die Ergebnisse können uns in der ethischen Entscheidung unterstützen, aber Moral ist keineswegs nur eine Frage der richtigen Entscheidung. Die Tugendethik räumt ein, dass selbst beste Vorsätze wegen der zahlreichen Hemmnisse bei der Entwicklung des Charakters mitunter versagen. Scheitern gehört, wie Jason Todd