Die Piroge - Abasse Ndione - E-Book

Die Piroge E-Book

Abasse Ndione

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Beschreibung

Dreißig Afrikaner, Frauen, Männer, Jugendliche, die aus verschiedenen Dörfern im Landesinneren Senegals kommen und noch nie das Meer gesehen haben, wollen aus dem afrikanischen Elend auf die Kanarischen Inseln und nach Europa fliehen. Sie verabschieden sich von ihren Familien und stehen dann nach einer langen Busfahrt ängstlich am Strand, beobachten das Meer und sehen zum ersten Mal auch das Schiff, eine Piroge, die dem Fischer Baye Laye gehört. Während der langen Überfahrt, auf der sie sich langsam kennenlernen, steigern sie sich bei zunächst gutem Wetter in unglaubliche Erwartungen, was ihre Zukunft in Europa betrifft. Doch es zieht ein fürchterlichen Sturm herauf, sie verlieren Kaaba, den zweiten Steuermann, und das Boot wird schwer beschädigt. Sie sind verzweifelt, aber da naht ein Schiff… Das Buch, 2008 bei Gallimard in Paris erschienen, ist in seiner schlichten, eindringlichen Erzählweise zu einem Klassiker der gegenwärtigen afrikanischen Literatur geworden. Auf kleinstem Raum entfaltet der Roman ein großes Drama, das von Millionen Menschen unterschiedlichster Herkunft, die um ihre Lebenschancen kämpfen. Die Verfilmung (»La Pirogue«) in der Regie von Moussa Touré wurden im Mai 2012 in Cannes uraufgeführt und erhielt zahlreiche Preise, auch in Deutschland [Goldener Tanit, Filmfestival Karthago 2012, ARRI-Preis (Bester internationaler Film) Cannes, Filmfest München; Prix Lumière 2013, Preis der Evangelischen Filmarbeit April 2013)].

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Seitenzahl: 93

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©Abasse Ndione, 2008

©für die deutsche Ausgabe2014 by Transit BuchverlagPostfach 121111 | 10605 Berlinwww.transit-verlag.de

Originaltitel: Mbëkë miGallimard, Paris 2008

Layout und Umschlaggestaltung unter Verwendungeines Standfotos aus dem Film »La Pirogue« vonMoussa Touré, Gudrun Fröba, BerlinISBN 978 3 88747 306 8eISBN 978 3 88747 311 2

ABASSE NDIONE

DIE PIROGE

ROMAN

Aus dem Französischen von Margret Millischer

INHALT

Vorwort

Die Piroge

Glossar

Nachwort

Abasse Ndione | Margret Millischer

Die massive Auswanderung der Jugendlichenaus dem Senegal ist der Beweis für das Versagen der Politik.Es ist die größte Niederlage des Landes überhaupt.

Penda Mbow, Nouvel Horizon, Oktober 2007

VORWORT

Zur gleichen Zeit, als ein mehr als sechs Meter hoher Metallzaun um die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla errichtet wurde, um die Einwanderungswellen in die Länder der Europäischen Union zu stoppen, landete eine Piroge aus Hann, einem Fischerdorf am Stadtrand von Dakar, die nach einem Motorschaden zwei Wochen lang auf dem Meer dahingetrieben und Stürmen und Meeresströmungen hilflos ausgeliefert war, in Santa Cruz auf Teneriffa.

Die fünfzehn völlig erschöpften Fischer in dem in Seenot geratenen Boot wurden vom dortigen Roten Kreuz aufgenommen, in Quarantäne gesteckt, medizinisch versorgt, wieder aufgepäppelt, geimpft und dann nach Madrid geschickt. Sie riefen ihre Verwandten an, die sie für immer verloren geglaubt hatten, um ihnen mitzuteilen, dass sie am Leben waren und die Reise mit der Piroge von der Küste Senegals zu den Kanarischen Inseln, als Zugang zu Spanien, im Bereich des Möglichen lag.

Furchtlose Fischer aus Hann nahmen so den Kampf gegen die Wellen des Atlantischen Ozeans auf und erreichten ihr Ziel.

Der Weg zur beispiellosen Immigration von Tausenden jungen Afrikanern, die sogar in Friedenszeiten auf der Suche nach einer besseren Zukunft in Europa aus ihrem Land flüchten, war dadurch eröffnet…

EINS

Dieses Jahr war die Regenzeit gut, die Niederschläge ausgiebig gewesen. Und doch blieb die Ernte schlecht, weil es an gutem Saatgut fehlte.

Der Staat hatte beschlossen, den Erdnussanbau ganz einfach zugrunde zu richten. Die staatliche Saatgut-Gesellschaft war abgeschafft, die Vorräte an ausgewählten Sorten aufgelöst und schlechte Saaten an die Bauern verteilt worden. Selbstverständlich war der Ertrag der Felder dadurch drastisch gesunken, und überall waren weniger Erdnüsse als Stroh geerntet worden, das nur als Tierfutter zu verwenden war.

Seitdem sich der Staat zurückgezogen hatte, war die Vermarktung der beiden letzten Ernten durch ein neues System ersetzt worden* und hatte mit vier Monaten Verspätung begonnen. Die Unternehmen, die die Ernte aufkaufen sollten und zumeist aus korrupten Geschäftsleuten bestanden, hatten statt Geld »Bons« ausgegeben, aber immer noch nicht eingelöst.

Wegen der diesjährigen Erdnussmissernte waren die Bauern, die schon davor in größter Armut gelebt hatten, nun wirklich vom Elend bedroht. Und nur durch die Geldsendungen der nach Europa ausgewanderten Verwandten konnte es abgewendet werden. Das galt auch für die aus vier Dörfern bestehende Landgemeinde Yassara.

Was wäre aus Yassara geworden ohne die jungen Leute, die auf der anderen Seite des Meeres arbeiteten? Neben den großen Geldbeträgen, die sie regelmäßig sandten, hatten sie Schulen und Krankenstationen gebaut, mit Pumpen ausgestattete Trinkwasserbrunnen gegraben und sogar für Telefonanschlüsse gesorgt…

Angesichts der bedrohlichen Lage hatten sich die Dorfältesten nach dem Freitagsgebet unter dem Palaverbaum versammelt und beschlossen, sich noch einmal an die Jugendlichen, die im Busch** lebten, zu wenden. Um die vierhunderttausend CFA-Francs – etwa 600 Euro – kostete es, mit einer Piroge nach Europa zu fahren. Die Felder warfen nichts mehr ab, und die Jungen in den Dörfern waren ohne Hoffnung. Man musste ihnen nur das Reisegeld schicken. Jedes der vier Dörfer der Gemeinde sollte in einem gerechten Verfahren zehn junge Leute auswählen. Alle sollten einen Vorteil aus dieser Aktion haben. Denn je mehr von ihnen in Europa arbeiteten, desto besser würden sie sich um ihre im Heimatland zurückgebliebenen Verwandten kümmern können.

Der Imam der großen Moschee hatte das alles telefonisch dem in Italien lebenden Vereinspräsidenten der nach Europa emigrierten Landbewohner erklärt. Dieser hatte sich eine einwöchige Bedenkzeit ausgebeten, um die in verschiedenen europäischen Ländern lebenden Kollegen anderer Vereine zu Rate zu ziehen. Vor zwei Tagen hatten sie die Antwort erhalten. Sie war positiv. Die sechzehn Millionen Francs für die Reise von vierzig Jugendlichen, von denen wie vereinbart jeweils zehn aus jedem der vier Dörfer stammten, waren über die Zweigstelle der Western Union in Bakel an den Imam geschickt worden.

Zwei Tage später betete der Karamoko*** für die vierzig jungen Dorfbewohner, gab ihnen Amulette, sogenannte Grigris, die sie bei der Abfahrt der Piroge anlegen sollten, und ein LKW, der Waren nach Saraya transportiert hatte und leer nach Dakar zurückfuhr, nahm sie mit nach Rufisque. Sie sollten bei Malang Diaby, dem Bruder des Imam, der seit seiner frühesten Jugend in der Stadt wohnte, untergebracht werden. Mehr als zwanzig Jahre lang war er als Arbeiter im Zementwerk beschäftigt gewesen, jetzt war er in Pension und lebte mit seiner Familie in seinem eigenen Haus im Arafat-Viertel.

Malang, der telefonisch verständigt worden war, erwartete die jungen Dorfbewohner und hatte versprochen, ihnen zu helfen, ein Boot zu den Kanarischen Inseln, dem Tor nach Europa, aufzutreiben.

*System, bei dem die Bauern selbst ihre Ernte auf eigene Kosten vom Feld in die mit dem Ankauf beauftragte Fabrik transportieren, im Unterschied zum vorherigen System, bei dem der Staat diese Kosten übernahm und die Bauern auf ihren Feldern aufsuchte, um die Ernte zu kaufen. (Alle Anmerkungen stammen vom Autor.)

**In Afrika befindet man sich, wenn man sich außerhalb der eigenen Siedlung aufhält, egal wo, auch wenn es sich um eine Großstadt handelt, immer »im Busch«.

***Geistlicher Dorflehrer

ZWEI

Zwei Tage und zwei Nächte lang fuhr die Piroge auf dem Rückweg von ihrem Fischzug bei ruhiger See dahin. Dann tauchten in der Ferne die hohen Fabrikschlote des Zementwerks auf und entließen weiße Rauchsäulen hoch in den Himmel. In einer Stunde sollte das Boot anlegen. Die Besatzungsmitglieder waren froh, nach drei Wochen auf See bald wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Sie begannen zu singen und drängten Baye Laye, den Kapitän, der das Steuer hielt und auf der hinteren Bank saß, schneller zu fahren.

Der aber antwortete, dass der Motor schon auf höchster Stufe liefe und nahm sein Gespräch mit Kaaba, dem zweiten Steuermann wieder auf, der ihm gegenüber an der Bootswand lehnte. Sie sprachen über den Rückgang der Fischbestände seit einigen Jahren und gaben den Fabrikschiffen die Schuld daran, von denen sie mehrere weit draußen auf dem Meer vor Anker liegen sahen.

Vor nicht einmal zehn Jahren reichte eine Woche auf dem Meer in geringer Entfernung von der Küste, um alle Kisten im Boot zu füllen. Nun hatten sie nach einundzwanzig Tagen auf hoher See weniger gefangen als damals, und das in mehr als fünfhundert Kilometern Entfernung, in den Gewässern der Kapverdischen Inseln, deren Lichter sie in der Nacht sahen. Dabei waren die Fische kleiner und füllten kaum die Hälfte der Kisten.

»Ich habe über deinen Vorschlag nachgedacht, Kaaba«, sagte Baye Laye. »Du hast recht … die Fischerei bringt nicht mehr genug ein zum Leben. Es bleibt nur noch Mbëkë mi*.«

Kaaba lächelte kaum merklich: »Ich wusste, dass auch du schließlich einsehen würdest, was ja offensichtlich ist. Die Meeresvorräte werden immer weniger und bald wird es überhaupt keine Fische mehr geben. Wir müssen weg. Außerdem gehen alle Mool** weg. Fünfzehn von unseren Fischern waren es im letzten Monat, und bis jetzt haben wir noch keinen Ersatz für sie gefunden.«

»Bald wird es niemanden mehr geben, um sie zu ersetzen, fürchte ich, alle anderen Besatzungen sind in der gleichen Lage wie wir. Wenn die zehn uns verbleibenden Mool noch da sind, dann nur deshalb, weil sie das Geld für die Überfahrt noch nicht zusammen haben.«

»Dann bleibt uns also nur noch Mbëkë mi.«

»Das einzige Problem ist es, das notwendige Geld aufzutreiben, um eine große Piroge bauen zu lassen und zwei Motoren zu kaufen. Das heißt, wir brauchen mindestens zehn Millionen. Wo sollen wir die nur hernehmen?«

»Wir brauchen keine große Piroge bauen lassen, wir haben ja schon eine…«

»Was soll das heißen? Welche große Piroge haben wir schon?«

»Die da, die Adja Astou Wade.«

»Nie im Leben! Wir können das Vertrauen, das der große Ngalla Boye in uns gesetzt hat, als er uns die Piroge anvertraute, nicht missbrauchen.«

»Es geht nicht darum, das Vertrauen Ngalla Boyes zu missbrauchen, denn wir werden ihm den Preis für die Piroge und die Motoren zurückzahlen…«

»Wie sollen wir ihm das zurückzahlen? Hast du vergessen, dass es sich um zehn Millionen handelt? Wo sollen wir denn das Geld auftreiben?«

»Wir werden uns gleich nach unserer Ankunft dranmachen, die zehn Millionen zusammenzukriegen. Ich werde das Geschäft einfädeln, ich bin sicher, dass ich etwa vierzig Passagiere finden kann, die bereit sind, jeweils vierhunderttausend Francs für die Reise zu bezahlen. Das bringt uns sechzehn Millionen. Das geben wir Ngalla Boye für seine Piroge und den Motor, kaufen einen zweiten Motor, Benzin und die für die Überfahrt notwendigen Vorräte…«

Kaaba hielt kurz inne, um die Wirkung seiner Worte auf Baye Laye abzuwarten. Als er merkte, dass dieser nicht abgeneigt schien, fuhr er fort: »Die sechzehn Millionen werden unsere Ausgaben voll und ganz abdecken. Nach meinen Berechnungen wird uns sogar noch etwas übrigbleiben, das wir unseren Familien bei der Abreise zurücklassen können.«

»Wenn das, was du sagst, möglich ist…«

»Was ich sage, ist bestimmt möglich! Das Problem besteht nur darin, während der Woche an Land Passagiere zu finden. Ich kümmere mich schon darum, ich werde eine Ladung finden, ohne viel Aufhebens zu machen. Die Bewohner von Thiawlene dürfen auf keinen Fall etwas von unserem Plan erfahren.«

»Ganz unauffällig, wie du schon sagst. Wenn sie mit ihrer Tratschsucht Wind davon bekommen, wird unser Plan scheitern. Ich werde mich auch auf die Suche nach Passagieren machen.«

»Wir werden sie finden, Inschallah! Es gibt viele, die weg wollen. Auf jeden Fall haben wir eine gute Piroge, mit der die Überfahrt problemlos zu schaffen ist. Ngalla Boye hat sie vor nicht einmal einem Monat gekauft. Der Boden besteht aus dem Stamm eines Neem***-Baumes aus dem Süden, aus der Casamance, und nicht aus zusammengefügten Brettern, wie bei den meisten Booten. Dadurch ist es viel widerstandsfähiger.«

Sie redeten weiter über Pirogen und die geplante Reise. Das Unternehmen machte ihnen keine Angst. Sie waren gewohnt, bei jedem Wetter drei Wochen lang auf offener See zu bleiben, deshalb schreckte sie eine zehntägige Überfahrt nicht. Von den Erzählungen der Fischer kannten sie den Seeweg zu den Kanarischen Inseln, die hinter den Kapverdischen Inseln lagen. Eintausendfünfhundert Kilometer waren dabei zurückzulegen, wobei man sich bei Tag an der Sonne und des Nachts am Mond und den Sternen orientieren konnte. Sie hatten diesbezüglich keine Zweifel, sie würden heil und gesund an ihrem Ziel ankommen. Inschallah!

Die anderen Fischer machten immer mehr Lärm, je näher die Piroge dem Ufer kam, das sie nun schon deutlich erkennen konnten. Massen von Menschen umringten die anderen Boote am Strand, auch sie redeten von Mbëkë mi und von ihrem brennenden Wunsch, die Überfahrt zu wagen.