Die Postscript-Revolution - Kurt K. Wolf - E-Book

Die Postscript-Revolution E-Book

Kurt K. Wolf

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Beschreibung

Noch vor 25 Jahren musste jede Drucksache und jeder Katalog von Grafikern gestaltet, von Setzern gesetzt, von Fotografen bebildert, von Repro-Anstalten produziert und von Akzidenzdruckern gedruckt werden. An dieser Kette von ausgebildeten Fachleuten kam kein Kunde vorbei. Drucken war ein Monopol der Druckindustrie. Heute sind in jedem Privathaushalt Computer und Drucker vorhanden und jeder kann darauf Dokumente setzen, gestalten, bebildern und drucken. Mit atemberaubender Geschwindigkeit ist aus einem Monopol eine Jedermann Technologie geworden. In der professionellen Druckbranche hat die Digitalisierung das Berufsbild des Setzers überflüssig gemacht und den Bedarf an Reprofotografen deutlich verringert. Mit atemberaubender Geschwindigkeit hat die digitale Revolution die Druckvorstufe vollkommen verändert. Im Gegenzug sind heute viele neue Printprodukte in kleinen Auflagen möglich. Kurt K. Wolf hat diese Entwicklung dreißig Jahre lang als Redakteur der Fachzeitschrift "Deutscher Drucker" an vorderster Front miterlebt. Dabei hatte er das Privileg, die wichtigsten Akteure und Firmen persönlich kennen ­zulernen. Dieses Buch beschreibt, wie sich das Grafische Gewerbe von der "Schwarzen Kunst" zu einer hochtechnologischen Industrie entwickelt hat und wie diese von Firmen wie Apple, Adobe oder EFI revolutioniert wurde. Ein spannendes Lehrstück in Sachen Disruption und Technologiewandel.

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Seitenzahl: 200

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Kurt K. Wolf

DIEPOSTSCRIPTREVOLUTION

Eine Kulturgeschichteder Druckindustrie

1. Auflage

Midas Management Verlag AG

ISBN 978-3-03876-0505-9

eISBN 978-3-906010-05-2

© 2017 Kurt K. Wolf

Lektorat: Dr. Patrick Brauns, Konstanz

Satz und Layout: Ulrich Borstelmann, Dortmund

Autorfoto: Matthias Wolf (Regisseur/Drehbuchautor)

Druck und Bindung: CPI, Leck

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar.

In diesem Buch werden eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet. Auch wenn diese nicht speziell als solche ausgezeichnet sind, gelten jeweils die entsprechenden Schutzbestimmungen.

Midas Management Verlag AG, Dunantstrasse 3, CH 8044 Zürich

E-Mail: [email protected], www.midas.ch, www.facebook.com/midasverlag

Inhaltsverzeichnis

1.Ein Reprofotograf in den 50er Jahren

Lehrstelle / Reprokameras / Klimsch / Rasteraufnahmen / nasses Bromsilberverfahren / Entwickler / Chemikalien / Gift / Glasplatten-Recycling.

2.Die Entwicklung der Reprotechnik: Vom Handwerk zur Industrie

50er Jahre: Meisenbach / Glasgravurraster / Handwerk / fotomechanische Reproduktion

60er Jahre: Reproduktionstechnik / Rudolf Hell / Klischeeherstellung / Klischographen / Schwarzweissreproduktion / Farbauszüge / Maskierung / Densitometer / Standardisierung / Europaskala / Felix Brunner / Eurostandard Offset / Tiefdruck.

70er Jahre: Offset ersetzt Buchdruck / Fotosatz ersetzt Bleisatz / Scanner ersetzen fotomechanische Repro / elektronische Seitenmontage ersetzt manuelle Montage.

80er Jahre: EBV wird Standard / Bildbearbeitung. Konkurrenz durch Macintosh / Desktop Publishing / Text-Bild-Integration / Laserdrucker / Filmbelichter.

3.Aufstieg und Fall der elektronischen Bildverarbeitung EBV

Efi Arazi / Scitex / Response 280/300 / Crosfield / Hell / Screen / Chromos Scitex-Vertrieb / Klimsch Color Pager / Drupa 86: Imager-Konsole / Arazi verlässt Scitex / ISA User-Club / Scitex Niedergang: Aufgelöst in Scitex Graphics – Creo / Scitex Digital – Eastman Kodak / Scitex Vision – HP Scitex.

4.Von der Schreibmaschine zum Personal Computer

Geschichte Schreibmaschinen / IBM / Kugelkopf-Schreibmaschinen / Xerox Trockenkopierer / Xerox PARC / Mikrocomputer / Alto / Apple Computer Corporation / Apple III / IBM-PC / IBM-PC-Klone.

5.Die Desktop Publishing Revolution: Von Personal Computer zum Desktop Publishing

Steve Jobs / Apple Lisa / Apple Macintosh / Desktop Publishing: Aldus Pagemaker / Adobe PostScript / Apple Laserwriter / Linotype Schriften / Paul Brainerd / Bill Gates / Windows.

6.Die Adobe PostScript Revolution: Der Macintosh wird zum Fotosatzsystem

PostScript-Story / Charles Geschke / John Warnock / Xerox Interpress / Adobe PostScript / PostScript-Belichter / Adobe Anwendungen.

7.Zu Besuch bei Adobe, Apple und Next: Das neue Color Publishing wird kommen

Studienreise / FOGRA / Stefan Brües / Besuche bei Adobe Systems / Apple Computer / Color Publishing / ICC International Color Consortium / NeXT Computer / Pixar Animation / EFI Electronics for Imaging / Fiery Controller / MIT Media Lab / Nicolas Negroponte / Agfa Compugraphic / Hyphen Inc.

8.Das Portable Document Format PDF für die Druck- und Medienindustrie

Von PostScript zu PDF / PostScript Level 3 / Key Largo: Agfa plant PDF-Workflow / Seybold 97: PostScript verbessern / Stephan Jaeggi / Acrobat Distiller / Agfa zeigt ersten Apogee PDF Workflow.

9.Die EBV ist ausgereift, aber schnell, gut und sehr teuer

EBV ist ausgereift: Trommelscaner / CCD-Scanner / Datenspeicher / Andruck / Kontraktproofs / Seitenmontage / OPI.

Reifegrad des Color Publishing: TIFF / Quark XPress Extensions / Adobe Photoshop / Aldus PrePrint / PostScript-Belichter / Rastersysteme / Adobe Accurate Screening.

Digital Offset / GTO-DI / Presstek / Farbtonerdruck / Canon CLC / Xerox Docucolor 2000.

10.Die 90er Jahre: Das Color Publishing siegt, Satz-, Reprosystem- und Filmhersteller gehen unter

Color Publishing: Digitalproofs / Filmbelichter / digitales Ausschiessen / digitale Plattenbelichtung.

Farbtoner-Digitaldruck / Indigo / Xeikon / Offsetqualität. Siegeszug Farbtoner-Digitaldruck.

Zusammenbruch: Hersteller von Fotosatzsystemen / Reprosystemen / Scanner / EBV / Reprofilmen / Offsetdruckmaschinen.

11.Drei Gewinner der PostScript-Revolution

3 Beispiele von Gewinnern / Apple Inc / Adobe Systems / EFI – Electronics for Imaging.

12.Epilog

Digitale Medien / mobile Kommunikation / Digitaldruck / Inkjetdruck / Digitalisierung.

Vorwort

Bis vor 30 Jahren war die Herstellung von Drucksachen ein Monopol der Druckindustrie. Flyer, Prospekte, Kataloge oder Plakate wurden von Fachleuten in Teamarbeit erzeugt. Ein Team von Grafikern, Fotografen und Textern entwarfen die Vorlagen, Reprofotografen, Lithographen und Andrucker stellten die Druckformen her, und die Druckereien druckten die Auflagen und verarbeiteten sie in der Buchbinderei. Ohne diese Kette von ausgebildeten Berufsleuten konnte kein Dokument, Prospekt oder Katalog gedruckt werden. Drucksachen herstellen war ein Monopol des Druckgewerbes.

Heute, nur 30 Jahre später, sind in jedem privaten Haushalt, Geschäft, Betrieb und Unternehmen PCs und Drucker vorhanden. Jedermann kann darauf Dokumente setzen, gestalten, bebildern, bearbeiten und drucken. Die Werkzeuge der Druckvorstufe stehen damit jedermann zur Verfügung – jedoch nicht das Wissen dazu.

Durch den Verlust dieses Monopols hat die Druckindustrie eine Revolution erlebt, in der kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Etwa ein Drittel aller Druckereien in Deutschland sind zwischen 2008 und 2016 insolvent geworden, die Zahl der Mitarbeiter hat sich mehr als halbiert, und die Technik der Druckmaschinen hat sich weitestgehend verändert. Die Druckindustrie gibt es weiterhin, aber sie ist durch Desktop Publishing dank PostScript zum neuen, höchst effizienten Color Publishing geworden.

Aus den Handsetzereien und Reproduktionsanstalten wurden Vorstufenbetriebe, aus Setzern, Reprofotografen und Lithografen wurden Druckvorlagenhersteller. Die gesamte Produktion wird jetzt voll digital am Computer gesteuert: von der Auftragsübernahme über die Satz- und Bildbearbeitung, die Seitenmontage, das Proofen und Ausschiessen bis zur Plattenbelichtung. Es gibt noch die Berufsleute der alten Schule, aber die immer grössere Mehrheit der heutigen Druckvorlagenhersteller weiss nicht, wie es früher war, und wie es zum heutigen Arbeitsablauf gekommen ist.

Dieses Buch erzählt die Geschichte, wie sich das Graphische Gewerbe von der »Schwarzen Kunst« in den 50er Jahren zur Druckindustrie bis in die 90er Jahre entwickelt hat. Wie Apple mit dem Macintosh das Desktop Publishing in die Bürowelt gebracht hat und damit die Schreibmaschinen-Hersteller ruinierte. Wie der Macintosh dank PostScript typografische Schriften auf Film ausgeben konnte, wodurch in wenigen Jahren die Fotosatzmaschinen- und EBV-Hersteller zusammenbrachen. Es schildert aber auch, wie Adobe mit PostScript das neue Color Publishing entwickelte, aus dem die Druckindustrie fitter als je zuvor wieder erstand.

Von 1956 bis 2016 habe ich 60 Jahre dieser Entwicklung miterlebt. Als Reprofotograf, im Vertrieb von Reprosystemen und als Fachredakteur des Deutscher Drucker Verlags. Dabei hatte ich das Privileg, die wichtigsten Firmen und deren Manager persönlich kennenzulernen und über sie zu schreiben. Deshalb ist »Die PostScript Revolution« kein Geschichtsbuch eines aussenstehenden Historikers, sondern ein Buch mit den Geschichten, die ich in 60 Berufsjahren persönlich erlebt habe.

Kurt K. Wolf

Urdorf, im Sommer 2017

Was Sie lesen werden

In diesem Buch wird die Geschichte der Reproduktionstechnik in der grafischen Industrie in vier Strängen erzählt.

Im ersten Erzählungsstrang sind dies die Geschichten, wie sich die Bildreproduktion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Schwarzen Kunst über die Jahrzehnte bis zum Höhepunkt zur Jahrtausendwende entwickelt hat. Auf der einen Seite betrifft dies die Lieferanten von Reproduktions- und Druckmaschinen sowie die der Materialien wie Reprofilme und Druckplatten. Auf der anderen Seite sind dies die Reproduktionsanstalten und Buchdruckereien, die sich zu Mediendienstleistern und Offset-Akzidenzdruckereien entwickeln mussten. Das wurde möglich durch die Fachleute, die mit der Entwicklung der Technik jeweils die neuen Verfahren lernen mussten, was zu weitgehend neuen Berufsbildern führte. Das treibende Element der Entwicklung war die Digitalisierung, die von Reprokameras zu Digitalscannern, von der Seitenmontage zu elektronischen Bild- und Textverarbeitungssystemen führte.

Der zweite Erzählungsstrang schildert, wie mit der Entwicklung der Personal Computer multifunktionale Werkzeuge entstanden, die in weniger als zehn Jahren die Schreibmaschinen aus den Büros in der ganzen Welt verdrängten und die EBV-Systeme aus der Reprotechnik. So wie in der Druckindustrie alle Marktführer der Lieferanten in dieser kurzen Zeit vom Markt verschwanden oder sich neu erfinden mussten, so ging es auch der Computerindustrie. Während der Marktführer IBM die Zukunft der Personal Computer nicht gesehen hatte und nur mit einer Notbremse überleben konnte, mussten die meisten kleineren Computerhersteller aufgeben oder fusionieren.

Der dritte Strang zeigt die Entwicklung der PCs von der multifunktionellen Schreibmaschine zum Desktop Publishing, mit dem die Werkzeuge der Satzherstellung und Bildverarbeitung auf den Macintosh kamen. Das Problem war jedoch, dass es keine Technologien gab, mit denen man die auf dem Computer erzeugten Dokumente mit den damaligen Druckern ausdrucken konnte. Erst mit der Seitenbeschreibungssprache PostScript von Adobe Systems und dem Laserdrucker neben dem Macintosh konnten die Ansprüche der Setzer und Reprotechniker ab 1986 erfüllt werden. Nicht der Apple Macintosh allein, sondern DTP mit PostScript führten zu der Revolution, welche die Repro- und Drucktechnik vollständig veränderte.

Der vierte Strang beschreibt den Wechsel von der ausgereiften Technologie der digitalen Reprotechnik zu neuen Werkzeugen der Computerindustrie für das Color Publishing. Über einen eigenen Vertrieb von Apple, Adobe, IBM und Microsoft in allen Industrieländern konnten sie einen neuen Markt bilden, in dem die Preise für die Hard- und Software attraktiv niedrig blieben. Damit waren die Systeme der EBV so teuer, dass die etablierten alten Marktführer ihre Kunden verloren. Diese waren gezwungen, auf die fünf- bis zehnfach preiswertere PostScript-Technologie umzusteigen. Der Niedergang dieser Hersteller wird detaillierter beschrieben.

In der Repro- und Drucktechnik waren die Ursachen für den Niedergang der führenden Hersteller sehr ähnlich. Die Konzentration der Entwicklung allein auf die eigenen Fähigkeiten, aber auch die bewusste Abschottung der Wettbewerber durch inkompatible Technik wurde von den Kunden bestraft. Den Wandel vom Handwerk zur Industrie haben viele andere Branchen auch miterlebt, aber nur wenige so schnell und einschneidend wie die Druckindustrie. Jedoch war die PostScript Revolution nicht nur der Anfang vom Ende der klassischen Reprotechnik, sondern auch der Beginn einer Entwicklung, die heute, 30 Jahre später, eine völlig neue Welt geschaffen hat.

1.Ein Reprofotograf in den 50er Jahren

Wie kam man in die »Schwarze Kunst«?

In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts dominierten im »Grafischen Gewerbe« die Buchdruckereien, die mit Bleisatz, einer kleinen Druckmaschine und einer kleinen Buchbindereiausrüstung reine Handwerksbetriebe waren, die allgemein im Ort bekannt waren. Wer immer auch etwas gedruckt haben musste, lernte den Setzer, Drucker und Buchbinder kennen. Was sie machten, unterschied sich jedoch nur unwesentlich von dem, was Johannes Gutenberg 500 Jahre vorher entwickelt hatte.

Den Druck von Bildern in den Buchdruckmaschinen ermöglichten Spezialbetriebe, die sich »Graphische Kunstanstalten« nannten und die Fotografien auf geheimnisvolle Weise in Druckplatten verwandelten. Sie betrieben die »Schwarze Kunst«, in der Reproduktionsphotographen und Chemigraphen auf heute kaum mehr vorstellbare Art und Weise die Schwarzweissfotos in gerasterte Bilder auf Zinkplatten, die Klischees, verwandelten.

Die Handwerker in Buchdruckereien und grafischen Kunstanstalten hatten einen hohen Bildungsstand, waren gewerkschaftlich stark organisiert und streng darauf bedacht, ihr Wissen innerhalb ihres Berufs und Betriebes zu behalten. Jeder Betrieb bildete Lehrlinge für den eigenen Bedarf aus, und wer in den 50er Jahren einen Beruf in der Schwarzen Kunst lernen wollte, musste entweder einen Vater in einem dieser Berufe haben, einen Abschluss in der Mittelschule nachweisen oder als Hilfsarbeiter zwei oder drei Jahre sein Berufsinteresse gezeigt haben.

Die Drucker und Chemigraphen galten als Künstler und waren angesehene Persönlichkeiten.

Leider war mein Vater von Beruf Kellner, und in der siebten Klasse der Volksschule hätte ich auch die nötige Mittelschulbildung nicht mehr erreicht. Deshalb besuchten wir einen Cousin meines Vaters, Hennes Göbel, der als Tiefdruckretuscheur in der Grossdruckerei W. Girardet arbeitete. Girardet war damals eine der fortschrittlichsten Tiefdruckereien mit 2500 Mitarbeitern, druckte Illustrierte wie die Quick, Reader‘s Digest, Mickey Mouse und vom eigenen Verlag den »Industrie-Anzeiger« sowie »Feld und Wald«.

In der Tiefdruckretusche arbeiteten 45 Retuscheure, Hennes zeigte mir die Abteilung und riet mir, bei seinem Sitznachbarn Fritz Rudert Zeichenunterricht zu nehmen. Fritz Rudert war ein Künstler, der durch seine Kohlezeichnungen mit Motiven aus dem Ruhrgebiet einen gewissen Lokalruhm besass und in der Tiefdruckretusche vormittags nur zum Broterwerb arbeitete. In einer Gruppe von fünf weiteren Schülern unterschiedlichen Alters besuchte ich anderthalb Jahre lang seinen Zeichenunterricht, in dem ich recht ansprechend Bleistiftzeichnen erlernte, ohne grosse Hoffnungen auf eine künstlerische Karriere zu wecken.

In der Folge bewarb ich mich bei Girardet um eine Lehrstelle als Tiefdruckretuscheur und wurde zu einer Prüfung eingeladen, bei der rund 50 Mitbewerber die vier Stunden mitschwitzten. Besonders interessant war die Führung durch die ganze Druckerei mit den Reproabteilungen für den Buchdruck, den neu einzurichtenden Offsetdruck und die grosse Tiefdruckhalle mit ihren gewaltigen Rotationsmaschinen.

Mit meinen Eltern wurde ich zu einem Gespräch eingeladen und bekam drei Monate vor dem Abschluss der achten Volksschulklasse den Lehrvertrag als Tiefdruckretuscheur. Sechs Wochen später wurde ich nochmals zu einem Gespräch eingeladen. Die 45 Mitarbeiter in der Retusche hatten einen »wilden Streik« veranstaltet, als sie erfuhren, dass am 1. April zehn neue Lehrlinge kommen sollten. Man einigte sich am Ende auf nur noch sechs neue Lehrlinge, und deshalb bot man mir an, ob ich nicht lieber eine Lehre als Reprofotograf für den neuen Offsetdruck machen würde! Natürlich sagte ich sofort zu, denn nie hätte ich in der Schule die Schande erleben wollen, sechs Wochen vor der Schulentlassung ohne Lehrstelle dazustehen. Und so begann ich am 3. April 1956, vier Wochen nach meinem 14. Geburtstag, in der Reproabteilung meine Lehre als Reprofotograf für Buchdruck, weil die Offset-Reproabteilung erst in Planung war.

Dass ich auf den Berufswunsch des Tiefdruckretuscheurs kam und nun als Reprofotograf meine Lehre begann, zeigt deutlich, welcher Zufall damals meinen beruflichen Lebenslauf bestimmte. Drei Jahre später legte ich meine Gehilfenprüfung mit den Noten Gut in Theorie und Praxis ab. Von den mehr als 50 Lehrlingen meines Jahrganges bei Girardet hatten nur sechs dieses beste Resultat erreicht. Wir wurden dafür als Auszeichnung mit einer mehrtägigen Weiterbildung in einem Heim in Dortmund belohnt.

Mit 14 Jahren Chef der Giftkammer

Als erstes erfuhr ich am ersten Tag, dass ich in Zukunft jeden Tag eine Viertelstunde früher kommen müsse, um die Emulsionsflasche zu schütteln. Sie wurde in der Dunkelkammer in einem kleinen Kasten aufbewahrt und befand sich in einer blauen Blechdose. Die weisse Schrift verriet, dass sie von der Firma Freundorfer aus München stammte. Nur bei dunkelrotem Licht durfte sie geöffnet werden, denn sie enthielt die Bromsilberemulsion, mit der damals alle Rasteraufnahmen gemacht wurden. In der Nacht setzte sich nämlich das lichtempfindliche Silber auf den Boden ab und musste durch zehnminütiges Schütteln wieder gleichmässig in der Emulsion verteilt werden.

Durch meine allmorgendliche Vorarbeit konnten Meister Alfred Rost und sein Gehilfe bei Arbeitsbeginn um sieben Uhr sofort mit dem Fotografieren beginnen. Mit meinem Lehrbeginn kam der bisherige Lehrling Martin Kurbjuhn ins zweite Lehrjahr und vertraute mir an, dass ich diese wichtige Aufgabe nun ein ganzes Jahr lang machen dürfte, bis ein neuer Lehrling beginnen würde. Jeden Tag ausser Donnerstag, da dürfte ich in die Berufsschule gehen.

Als zweites lernte ich, dass ich die Verantwortung für die Chemikalienkammer und ihre Sauberkeit übernommen hatte. In der engen, unangenehm stinkenden Kammer ohne Lüftung lernte ich den Entwickler, das Fixierbad und den Farmerschen Abschwächer anzusetzen. Bei offen stehender Tür zum Gang musste ich auf einer Waage die Pulvermengen für den Entwickler abwiegen. Metol, Hydrochinon, Natriumsulfit, Pottasche und Bromkali in der exakten Menge für die grosse Fünfliterflasche. Für die Zweiliterflasche entstand aus rotem Blutlaugensalz und Natriumthiosulfat der Farmersche Abschwächer für die Bearbeitung der Rasteraufnahmen.

Mangels eines Luftabzugs schwebte im Raum ein Gemisch verschiedener Chemikalien, die ich durch mehrmaliges, schnelles Öffnen und Schliessen der Tür zu verteilen versuchte. Kein Mensch überlegte sich, was dies für die Gesundheit eines Vierzehnjährigen bedeuten könnte, zumal die Stadt Essen mit ihrer Schwerindustrie ohnehin keine wirklich frische Luft kannte. Welche Gefahren mir anvertraut wurden, sieht man daran, dass rotes Blutlaugensalz den lateinischen Namen Kaliumferrizyanid, also Zyankali enthält, auch Blausäure genannt. Meister Rost beruhigte mich, dass dies beim Abschwächen ganz ungefährlich sei. Nur die grosse Fünfliterflasche im Chemikalienschrank dürfe ich nicht öffnen. Sie war zur Hälfte mit gräulich-grünen Kugeln von etwa drei Zentimeter Durchmesser gefüllt. Das sei Zyankali, mit dem man früher abgeschwächt habe, es aber seit langem nicht mehr mache, weil es zu gefährlich sei. So hatte ich als Vierzehnjähriger die Verantwortung für eine Menge Zyankali, mit der ich das halbe Ruhrgebiet hätte vergiften können.

Als 14jähriger hatte ich genug Zyankali um das halbe Ruhrgebiet vergiften zu können.

Die Kunst der Rasteraufnahmen

Die Rasteraufnahmen wurden mit dem nassen Bromsilberverfahren gemacht. In der Dunkelkammer wurde eine Glasplatte, die auf der Oberseite mit Gelatine beschichtet worden war, im Format 24 x 30 cm oder grösser vom Plattenbock genommen. Sie wurde mit Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger unten links in der Ecke gehalten. Bei dunkelrotem Licht wurde eine kleine Menge Emulsion auf die Mitte der Glasplatte gegeben, und durch schwenken der Platte gleichmässig über die ganze Platte bis in die Ecken verteilt. Dabei entwich der Äther aus der Emulsion, was den Geruch eines Operationssaals verbreitete, woran man sich aber gewöhnte. Weniger gewöhnte man sich daran, dass bei zu viel Emulsion auf der Glasplatte die überschüssige Emulsion über den linken Daumen den Unterarm bis zur Armbeuge hinunterfloss und eine hässliche, rosafarbene Spur hinterliess. Die noch feuchte Emulsionsplatte wurde im Dunkeln in die Kassette eingesetzt, die Kassette mit dem Rollo geschlossen, zur Reprokamera getragen und dort eingesetzt. Das Rollo wurde aufgezogen, der Glasraster vor die Emulsionsplatte gezogen und die Kohlenbogenlampen eingeschaltet. Es krachte und blitzte durch die hohe elektrische Spannung, mit der der Strom in jeder der vier Lampen durch die beiden Kohlestäbe sprang und ein lautes Brummen und einen grellen Lichtbogen erzeugte.

Die Kamera war eine Klimsch Horizontalkamera, die auf einem sechs Meter langen Stativ zur Vergrösserung oder Verkleinerung der Aufnahmen zum Originalhalter mit beiden Händen hin oder weggeschoben wurde. Die Kamera selbst bestand aus den zwei Standarten, verbunden durch einen Balgen, und stand parallel zum Vorlagenhalter. Das Bild fiel vom Vorlagenhalter durch das Objektiv und den Prismenspiegel auf die Mattscheibe an der hinteren Standarte. Hier musste man das Bild scharf stellen und die Grösse messen. Das musste mehrmals wiederholt werden, bis die Grösse und Schärfe stimmte.

Auf dem Objektiv befand sich ein Deckel, der zur Belichtung abgenommen und wieder aufgesetzt werden musste. Mit drei Belichtungen, der Vor-, Haupt- und Schlussbelichtung, jeweils mit einer anderen Blende, wurde mit Gefühl und Erfahrung die Aufnahme belichtet. Dann wurde die Kassette wieder in die Dunkelkammer getragen und dort die Platte entwickelt.

Die Rasteraufnahmen wurden durch manuelles Öffnen und Schliessen mit dem Deckel des Objektivs belichtet.

Das geschah wieder bei dunkelrotem Licht, mit der Glasplatte im Dreifingergriff, und mit einem Trinkwasserglas voll Entwickler, das der Fotograf schnell und gleichmässig über die immer noch feuchte Emulsion verteilte. Beim Schwenken beobachtete er das Erscheinen des latenten Bildes, und nach einer guten Minute beobachtete er mit seiner Lupe, wie sich die Rasterpunkte im Licht und der Tiefe des Bildes entwickelten. Sobald er sah, dass die Punkte in der Tiefe solid dastanden, legte er die Platte schnell in die Fixierbadschale an seiner linken Seite des Entwicklerbeckens. Das Handwerk bestand darin, alle Arbeiten in zeitlicher Abfolge fehlerfrei durchzuführen. Die Kunst jedoch bestand darin, dass in den Hochlichtern des negativen Bildes die Punkte noch nicht geschlossen waren, während in den Tiefen sehr kleine, aber kopierfähige Rasterpunkte standen. Denn dazu musste die Belichtung stimmen, durfte die Emulsion bis zur Entwicklung nicht eingetrocknet sein und die Entwicklung im richtigen Moment unterbrochen werden. Die persönliche Mühe bestand jedoch darin, den Emulsionsstreifen am Unterarm, der oft auch entwickelt worden war, irgendwie wieder vom Arm wegzubringen.

Am Tageslichtbecken wurden die Rasteraufnahmen mir der Lupe geprüft. Mit Farmerschem Abschwächer konnten die Platten bei Überbelichtung abgeschwächt werden, einzelne Bildpartien konnte man mit einem Wattebausch voll Abschwächer bearbeiten.

Der Ätherduft der Emulsion und das Schwärzen mit flüssigem Schwefel bildeten eine Geruchssymphonie der besonderen Art.

Die Emulsionsschicht war immer noch hellbeige und musste nach gutem Abspülen mit flüssigem Schwefel geschwärzt werden, was die Geruchssymphonie der Rasteraufnahmen abschloss. Dann konnte sie auf einem Plattenbock trocknen, bevor sie in die Kopie weitergegeben wurde. Dort wurde sie auf Zinkplatten kopiert, was bereits Aufgabe der Chemigraphen, der Klischeeätzer war.

Das Recyceln der Glasplatten

Die unangenehmste und schwierigste Aufgabe des ersten Lehrjahres war die Wiederverwertung der Glasplatten nach der Zinkkopie. In einer grösseren Kammer mit Lüftung und fliessendem Wasserbecken standen zwei Kunststoffbehälter, die mit Flusssäure gefüllt waren. Mit dicken Gummihandschuhen liess ich die Glasplatten für ein paar Minuten in die stechend riechende Säure gleiten, die sehr schnell die geschwärzte Silberschicht der Rasterbilder ablöste. Dann nahm ich die Platten wieder heraus und spülte sie im Wasserbecken ab, bürstete sie auf der Schichtseite sauber und stellte die entschichteten Glasplatten auf einen Plattenbock zum Trocknen.

In einem staubfreien und hell beleuchteten Nebenraum wurde Gelatine in warmem Wasser aufgelöst und dann mit Hilfe eines Wasserglases aufgetragen wie beim Beschichten mit der Emulsion. Dabei durften keine Staubkörnchen oder Schlieren mehr auf der Glasplatte zu sehen sein, weil sie auf den Rasteraufnahmen in der Emulsion sichtbar geworden wären.

Mit dem Entschichten und neu Präparieren der Glasplatten schloss sich der Kreislauf der Rastertechnologie mit dem nassen Bromsilberverfahren in den 50er Jahren. Ein Handwerk mit festen Regeln, das nur mit der Erfahrung der Berufsleute, ihrer Kunst und einem Quentchen Glück funktionieren konnte.

2.Die Entwicklung der Reprotechnik: Vom Handwerk zur Industrie

Die Reprotechnik entstand durch die Erfindung der Fotografie und den Wunsch, Fotos im Buchdruckverfahren drucken zu können. Georg Meisenbach,1841 in Nürnberg geboren, gründete als Stahl- und Kupferstecher 1876 in München eine Chemigraphische Kunstanstalt. Dort entwickelte er um 1880 den Glasgravurraster, mit dem man Halbtonbilder fotografisch in Rasterpunkte zerlegen konnte und mit ihnen Hochdruck-Klischees ätzen konnte. Diese Erfindung der Autotypie durch Meisenbach gilt als Entstehung der Reprotechnik.

Von 1950 bis zum Jahr 2000 hat sich die Reprotechnik schneller entwickelt als in den 70 Jahren davor. Wer in den 50er Jahren einen der begehrten Berufe in der »Schwarzen Kunst« erlernte, galt als Handwerker, der Chemigraph oder Lithograph sogar als Künstler. Inzwischen ist er zum Informatiker mit Spezialkenntnissen in der Bildverarbeitung geworden. Wie vollzog sich dieser Wandel vom Handwerk zur Industrie?

Die 50er Jahre: handwerkliches und künstlerisches Gewerbe

Der Chemigraph wurde nicht zufällig für einen Künstler gehalten. Noch in den 50er Jahren fotografierte der Reprofotograf mit nasser Emulsion auf Glasplatten. Der Klischeeätzer bekam eine Zinkkopie mit einem 40prozentigen Lichtpunkt, in drei oder vier Ätzgängen wurde das Klischee geätzt, wobei jedes Mal eine manuell aufgetragene Lackdeckung jene Bildteile schützte, die nicht mehr tiefer gelegt werden mussten. Das zeichnerische Talent des Chemigraphen beeinflusste das Bildresultat mehr als die handwerklichen Qualitäten des Reprofotografen: ein Klischee war ein Druckstock mit individueller, handwerklicher Prägung.

Angekratzt wurde der Ruf der Künstlerschaft durch eine Entwicklung von Rudolph Hell, dessen Klischeegravierautomaten die fotografische Vorlage abtasteten und mit einem Stichel ein Klischee in Zink gravierten. Besonders der Vario-Klischograph, der von Farbdias stufenlos vergrösserte Farbauszug-Klischees gravieren konnte, wurde ein weltweiter Markterfolg für den Scanner-Pionier aus Kiel. Nicht mehr die manuelle Geschicklichkeit eines Klischeeätzers, sondern dessen Können im Umgang mit Maschinen bestimmte das Resultat. Der aufkommende Offsetdruck, ein Druckverfahren für minderwertige Naturpapiere, von Buchdruckern mit Qualitätsbewusstsein nicht ernst genommen, versuchte durch die Verwendung von Kunststoff-Folien im Vario-Klischograph vom Handlithographen, also vom Künstler, loszukommen. Durch Umkopieren der Kunststoff-Folien auf Film liessen sich die Farbauszüge im Offset drucken, was den Offsetfachleuten von den Vario-Operateuren in der Folge viele Sticheleien einbrachte. Parallel dazu entwickelte sich die fotomechanische Reproduktion. Gegen Ende der 50er Jahre verdrängte der Film die nasse Emulsion, kamen höher empfindliche Farbauszugsfilme auf den Markt und Maskiermethoden ermöglichten bessere Farbauszüge.

Der Vario-Klischograph brachte höchste Farbbildqualität im Buchdruck.

Die 60er Jahre: Reproduktion und Druck wurden standardisiert

Der grosse wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands, vom Ausland als »Wirtschaftswunder« gesehen, verlangte immer mehr Drucksachen, immer mehr Reproduktionen. Die 60er Jahre wurden zum Jahrzehnt der Standardisierung und Automatisierung, in dem man die Farbreproduktion und den Druck in den Griff bekam.

Die Schwarzweissreproduktion

In der Schwarzweissreproduktion hielt der Film Einzug, zuerst bei Strichaufnahmen, mit den ultrasteil arbeitenden Lithfilmen auch bei Rasteraufnahmen. Auf der Drupa 1958 sah ich die erste Zweiraumkamera von Klimsch, mit automatischer Scharfeinstellung und einer Vakuumwand für die Filme. Sie ersetzte die grossen, unförmigen manuellen Schlittenkameras, die seit mehr als 60 Jahren in den grafischen Kunstanstalten benutzt wurden. Andere Kamerahersteller kopierten das Zweiraumsystem, denn mit der Zweiraumkamera konnten zwei- bis dreimal so viele Rasteraufnahmen pro Stunde gemacht werden. Die Produktion der damals rund 60.000 DM teuren Kameras war auf Jahre hinaus ausverkauft.

Um 1965 tauchten die ersten Entwicklungsmaschinen auf, auf der Drupa 1967 standen sie im Mittelpunkt des Interesses. Dadurch konnten die belichteten Filme automatisch entwickelt werden und kamen trocken wieder zum Vorschein. Die gesamte