Die Raben-Saga - Marcel Weyers - E-Book

Die Raben-Saga E-Book

Marcel Weyers

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Beschreibung

Als die siebzehnjährige Abigail Willows auf den mysteriösen Corvus Raven trifft, ahnt sie noch nichts von dem Chaos, in das er sie und ihre Welt stürzen wird. Hexen, Zeitreisende und eine düstere Rabengestalt sind da die geringsten Probleme. Auf ihren Reisen durch die Zeit erfährt Abigail mehr über den Ursprung der Familie Willows und von einem fürchterlichen Fluch, der schon bald das Salem des 21. Jahrhunderts bedrohen wird. Alle fünf Bände der Raben-Saga zusammengefasst in einer Ausgabe. Erlebe die komplette Geschichte von Abigail und Corvus mit exklusivem Bonusinhalt und einem erweiterten Epilog. Was hat es nur mit den "Stimmen aus dem Nichts" auf sich? Erstmals könnt ihr die gesamte Handlung in einem Buch lesen und mehr Hintergrundinformationen zur Entstehung der Serie erfahren. Die ultimative Ausgabe für alle Raben Fans! Dieses Buch enthält alle fünf Bände der Raben-Saga: 1. Rabenblut – In dunkelster Nacht erwacht 2. Rabentränen – Bis Mitternacht verloren 3. Rabengift – Auf ewig verdammt 4. Rabentod – Im Mondlicht gestorben 5. Rabenparadox – Wem die Stunde schlägt

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Marcel Weyers

Die Raben-Saga

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Impressum

E-Book, erschienen im Juli 2018

Copyright © Marcel Weyers, 2018

www.marcel-weyers.de/

[email protected]

 

Lektorat:

Christina Schuster

 

Covergrafiken:

© Belyaev71 - depositphotos.com

© kolazig - depositphotos.com

© tomert - depositphotos.com

© serazetdinov - depositphotos.com

© realcg - depositphotos.com

© Betelgejze / shutterstock

© Runrun2 / shutterstock

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© Mrs.Moon / shutterstock

© ImagesRouge / shutterstock

 

Coverbearbeitung und ‑gestaltung:

BUCHGEWAND | www.buch-gewand.de/

 

 

Marcel Sohrmann

Hechtstr. 83c

01097 Dresden

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

Sämtliche Personen und Geschehnisse in dieser Geschichte sind frei erfunden oder wurden fiktionalisiert. Jegliche Ähnlichkeiten sind rein zufällig.

Widmung

Für Torsten

„Ganz sicher für immer"

Über den Autor

 

Marcel Weyers ist ein Autor, Übersetzer, Lektor und Videospielentwickler. 2011 erschien mit „Schatten“ sein Debütroman, welcher Auftakt einer Trilogie war.

Für zahlreiche Videospielfirmen übersetzte er sowohl freie als auch kommerzielle Videospiele ins Deutsche, darunter insbesondere Visual Novels.

Seine Videospielserie „Sleepless Night“ wurde in über 10 Sprachen übersetzt. Für weitere Informationen besucht die Raben-Saga auf Facebook oder geht auf www.marcel‑weyers.de.

 

Auch von Marcel Weyers:

Die Schatten‑Trilogie

SchattenSchattenjägerSchattenland

Depths of Forever

Vorwort

Vorwort

Liebe Leser,

 

an dieser Stelle möchte ich mich einmal ganz herzlich bei jedem Einzelnen von euch bedanken. Dank euch ist die Raben-Saga vollendet und zu einem (hoffentlich zufriedenstellenden) Abschluss gekommen.

Viel Arbeit steckt in diesem Buch und ich freue mich, euch endlich die ultimative Ausgabe präsentieren zu können. Mit neuen Bonusinhalten, zusätzlichen Hintergrundinfos und einem erweiterten Epilog aus der Sicht von Emily.

Dieses Werk ist ein Dankeschön an alle Raben-Fans, die es möglich gemacht haben, dass die Saga erstmals auch als Print-Ausgabe erscheinen kann.

Zusammen haben wir viel erreicht; Übersetzungen in verschiedene Sprachen, eine kostenlose Spin-off-Serie, ein Prequel in Form einer Visual Novel und so viel mehr! Was eine Verfilmung angeht; wer weiß … Ich kann nur so viel sagen: Obwohl die Saga abgeschlossen ist, ist das Abenteuer noch längst nicht vorbei!

Und nun wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen von Abigails und Corvus’ Geschichte!

 

Euer Marcel

 

Rabenblut – In dunkelster Nacht erwacht

Rabenblut – In dunkelster Nacht erwacht

Band 1 der Raben-Saga

Prolog

Salem, Massachusetts

Die Zeiten haben sich ziemlich geändert. Das 21. Jahrhundert wird sicherlich nicht mein liebstes Zeitalter werden, wobei die technischen Errungenschaften sehr wohl ihre Annehmlichkeiten haben. In dieser Nacht ist es vergleichsweise ruhig. Gelegentlich fährt ein Auto unter mir die Straßen entlang. Hier oben auf dem Dach der alten Kirche hat man zwar nicht den perfekten Überblick, aber es genügt. Das Licht des Mondes mischt sich mit dem der Straßenlaternen zu einem giftigen Gelb. Im 17. Jahrhundert gefiel mir diese Stadt besser, aber besser ich finde mich schnell damit ab. Schließlich werde ich wohl noch ein paar Jährchen hier verbringen müssen.

Ein Vorteil der Unsterblichkeit? Man lernt unglaublich viele Menschen aus jeder Epoche kennen. Der Nachteil? Irgendwann sind alle tot.

Daher habe ich es mir abgewöhnt, Kontakte zu Menschen zu pflegen. So amüsant sie auch sein mögen, sie alle sind vergänglich. Schmunzelnd breite ich mein schwarzes Gefieder aus und lasse mich vom Dach in die Tiefe fallen.

Heute Nacht jedoch ändert sich alles. Ich habe die Suche fast aufgegeben. Man hätte ahnen können, dass ich eines Tages hier in Salem auf eine treffe – diese Stadt ist fürwahr verflucht. Winzig sehe ich den schwarzen Haarschopf unter mir.

Ein geschultes Auge erkennt es sofort, und ich, der ich mein ganzes menschliches Leben mit diesen Geschöpfen zu tun hatte, habe keinen Zweifel. Ja, das ist sie wahrhaftig. Die erste Hexe seit über dreihundert Jahren.

Kapitel 1: Der Tod steht ihr gut

Ein paar Wochen später.

»Achtung, der Freak kommt.« Das ist die übliche Begrüßungsformel, wenn ich durch die Gänge der Schule laufe. Ich ignoriere meine Mitschüler wie immer und schlage wütend meinen Spind zu, während mir meine beste Freundin noch immer hinterherläuft.

»Komm schon, Abi«, fleht sie, »du musst ihn doch nicht gleich küssen.« Julie kann so stur sein, aber dieses Mal werde ich nicht nachgeben.

»Kommt nicht infrage. Ich kenne ihn doch nicht mal«, verteidige ich meinen Standpunkt.

»Was nicht ist, kann ja noch werden«, singt sie in einer ungewollt lächerlichen Stimme. Julie hat mich gebeten, mit ihrem Cousin auf den Abschlussball zu gehen. Ich habe ihn bloß ein paarmal getroffen, obwohl ich mit Julie schon ewig befreundet bin. Für gewöhnlich würde ich ihr diesen Gefallen tun, aber wenn es um Jungs geht, schlagen bei mir alle Alarmglocken.

»Hör mal, Julie. Ich bin sicher, Eric ist ein toller Typ, aber …«

»Marc. Sein Name ist Marc.« Sie zieht beide Augenbrauen nach oben und ich verdrehe übertrieben die Augen.

»Siehst du, ich kenne nicht mal seinen Namen.« Das allein sollte Grund genug sein, nicht mit ihm auf den Abschlussball zu gehen.

»Abigail, ich denke doch da nur an dich! Ich will nicht, dass du allein zum Ball auftauchen musst.«

Ich seufze melodramatisch und mache mich auf den Weg zum Schulausgang, ohne ihr weiter Beachtung zu schenken.

»Außerdem würdet ihr euch super verstehen! Er steht auch auf Videospiele, genau wie du!« Na dann sind wir ja wie vom Schicksal füreinander auserkoren. Während sie mir mit ihren kurzen Beinen schnell hinterherhastet, drehe ich mich zu ihr um und ziehe eine Grimasse.

»Ach wirklich? Ich wette, er ist auch noch Vorsitzender des Mathevereins und trägt eine übergroße Nerdbrille, habe ich recht?« Julie reißt entsetzt den Mund auf.

»Er ist mein Cousin, Abi!«

»Noch ein Grund mehr, nicht mit ihm auszugehen«, erwidere ich und kann ein Grinsen nicht unterdrücken.

»Okay, der Punkt geht an dich. Aber denk bitte wirklich mal drüber nach. Ich kann mich nicht erinnern, dass du jemals einen festen Freund hattest. Und komm jetzt nicht mit der Tour, dass du „auf den Richtigen wartest“.« Sie verschränkt die Arme und wir verlassen das Gebäude.

Die Frühlingssonne ist an dem Nachmittag schon unnatürlich heiß, sodass mir der Schweiß ausbricht.

»Ich hatte schon mal einen Freund.«

»Oh, na klar, ich vergaß. Daniel. Wie lang wart ihr in der fünften Klasse zusammen, zwei Wochen?« Wieder verdrehe ich die Augen. Ich mag Julie wirklich, aber wenn sie mit diesem Thema kommt, könnte ich ihr manchmal den Hals umdrehen. Als wir an der Straßenkreuzung ankommen, bin ich erleichtert, dass sich hier unsere Wege trennen.

»Okay, ich denke drüber nach. Bist du jetzt zufrieden?« Sie grinst bis über beide Ohren und umarmt mich zum Abschied.

»Sehr zufrieden! Wir sehen uns dann am Montag, ich bin über das Wochenende bei meinem Dad.« Ich nicke und wir gehen in unterschiedliche Richtungen.

Endlich ein bisschen Ruhe. Ich konnte mich in der Schule heute sowieso kaum konzentrieren. Es ist der 23. Mai und das bedeutet, dass heute der sechste Todestag meiner Eltern ist. Auf dem Weg zum Friedhof versuche ich, mir ihre Gesichter in Erinnerung zu rufen.

Es sind erst sechs Jahre vergangen, aber ich merke, wie es mir mit jedem Jahr schwerer fällt. Das schlechte Gewissen trägt nicht gerade zu meiner Laune bei. Als ich an dem hohen Gittertor des Friedhofs stehe, wird mir plötzlich kalt. Die Sonne scheint noch immer unbarmherzig auf mich nieder, aber dennoch friert es mich.

Ich wollte nicht, dass meine Tante Sarah mitkommt; ich gehe immer allein hierher. Die Stille genießen und an Mom und Dad denken, das ist genau das, was ich jetzt brauche. Um mich herum zieht urplötzlich ein Wind auf und wirbelt etwas Laub auf. Das passiert oft, wenn ich hier bin, und zu Beginn fand ich es gruselig, aber mittlerweile stelle ich mir vor, dass meine Eltern mir antworten, wenn die Erinnerungen an sie wieder stark sind.

Ich erreiche das Grab. Hier liegen Mary und Samuel Willows. Ich lasse mich vor dem Grab auf den Boden nieder und schließe die Augen. Während ich an all die schönen Zeiten zurückdenke, muss ich lächeln und eine einzelne Träne läuft über meine Wange.

»Bittersüße Erinnerungen. Es ist schön, darin zu schwelgen, nicht wahr?« Die Stimme kommt wie aus dem Nichts und mit einem Satz springe ich auf.

»Bittersüß …? Was zum Teufel? Wer bist du?« Vor mir steht irgendein Typ, der mit einem selbstgefälligen Grinsen und verschränkten Armen wohl einen coolen Eindruck machen will.

»Corvus Raven, Mylady. Wie ist Euer Name?« Er deutet eine Verbeugung an und bittet um meine Hand. Der Typ hat doch einen Knacks. Ich werfe mir meinen Rucksack über die Schultern und gehe.

»Welch Manieren. Ich hatte doch nur um Euren Namen gebeten.« Idiot! Warum gehe ich überhaupt? Soll er doch gehen! Was fällt ihm eigentlich ein, mich hier anzubaggern? Wuterzürnt wende ich mich wieder ihm zu.

»Ist das irgend so eine Masche von dir? Mädchen auf Friedhöfen anzuflirten?« Er hebt schützend beide Hände vor sein Gesicht, seine blauen Augen werden ein wenig von seinem kurzen, blonden Haar verdeckt.

»Tut mir leid. Ich dachte nur, vielleicht möchtest du etwas Gesellschaft. Du sahst da so einsam auf dem Boden auf. Ich wollte clever rüberkommen.« Ach wirklich? Versagt auf ganzer Linie.

»Weißt du, manche Leute sind vielleicht ganz gern allein auf dem Friedhof. Das ist ja schließlich der Sinn der Sache.« All der angestauten Wut lasse ich endlich freien Lauf. Eigentlich bin ich doch ganz froh, dass er aufgetaucht ist; so kann ich meinen Frust abbauen.

»Friedhöfe sind nicht für die Toten. Sie sind für die Lebenden. Um zu trauern. Allein zu trauern, kann ungesund sein.« Oh Mann, was will der Kerl eigentlich?

»Noch einen cleveren Spruch auf Lager? Oder bist du fertig? Verpiss dich einfach, du bist gruselig.« Ich drehe mich um und gehe. Mir doch egal, was er denkt. Ich will einfach nicht mehr in seiner Nähe sein. Doch da habe ich mich zu früh gefreut, denn er läuft mir hinterher.

»Ich?Ich bin gruselig? Sagt das Mädchen in schwarzer Kleidung mit den schwarzen Haaren und den Waschbäraugen. Ich sage nur: Hallo The Grudge.« Das ging eindeutig zu weit.

»Du kennst mich nicht! Nur weil ich Schwarz mag, heißt das nicht, dass ich emo bin oder ein Grufti. Manche Leute lassen sich einfach nicht in Schubladen stecken.« Ich bin fertig mit ihm, aber die Tatsache, dass er mich einfach nur weiter blöd angrinst, macht mich rasend.

»Und dennoch lässt du es zu, dich in eine Schublade zu stecken. Gruselig bedeutet nicht immer gleich schlecht. Um ehrlich zu sein, es war ein Kompliment. Der Tod steht dir gut.« Ich spüre, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht weicht, und ich greife in meiner Hosentasche bereits nach meinem Handy, um im Notfall die Polizei zu rufen.

Aber als ich mich wieder zu ihm umdrehe, ist er verschwunden. Vor meinen Füßen liegt eine einzelne schwarze Feder.

Kapitel 2: Best Friends Ever

»… und dann war er weg! Einfach so. Ich meine, wie ist das möglich?« Zuhause angekommen rufe ich sofort Julie an, um ihr von der unheimlichen Begegnung zu erzählen.

»Sah er wenigstens gut aus?« Wie immer hat sie nichts anderes im Kopf.

»Oh Julie, sei doch mal ernst. An seiner Stelle lag nur noch eine schwarze Feder. Ha, der Typ wollte mich sicher nur verarschen. Corvus Raven? Lächerlich, oder? Ist doch klar, dass er mir nur einen Schrecken einjagen wollte.« Ich plaudere vor mich hin, um mich zu beruhigen, aber Tatsache ist, dass ich noch immer am ganzen Körper zittere.

»Wenn du meinst. Aber sag schon: Wie sah er aus?« Ich puste mir genervt eine Strähne aus dem Gesicht, aber ich tue ihr den Gefallen trotzdem.

»Blaue Augen, blond. Wie ein Surferboy, nur weniger cool.«

»Heiß?«

»Definitiv nein. Um ehrlich zu sein, eigentlich war er fett und hatte eine Glatze.« Ich stelle mir den Kerl in meiner Version bildlich vor.

»Och Abi, du bist so eine Spielverderberin.« Immerhin lockt mir das wieder ein Grinsen heraus.

»Ich muss jetzt aber echt los, Dad kommt gleich und ich habe noch nichts gepackt und mein Nagellack ist auch noch nicht wirklich trocken.«

»Okay, meld dich, wenn du in dem Kaff mal Empfang hast.« Sie lacht halbherzig in den Hörer.

»Träum weiter. Auf Wiedersehen Facebook, Twitter und Instagram. Auf Wiedersehen Zivilisation.«

»Sei nicht so melodramatisch.«

»Sagt die Richtige.« Und damit legt sich kichernd auf. Allerdings hat sie mich auf eine Idee gebracht. Ich werfe meine kleine Blechdosenfabrik an (oder wie andere Leute sagen würden: Computer). Ratternd fährt das Betriebssystem hoch, und sobald er nach einer halben Ewigkeit arbeitsfähig ist, logge ich mich auf Facebook ein.

Yay, keine Nachrichten. Nicht verwunderlich bei 20 Freunden. Meine Timeline erschlägt mich mit Duckface-Bildern von Julie und dampfendem Essen. Ich gebe Corvus Raven in die Suchzeile ein und erhalte sofort ein paar Treffer.

Das ist er! Corvus Raven, ist das irgendein Spitzname? Vielleicht seine Lieblingsmangafigur, haha. Sein Profil ist nicht gerade aufschlussreich. Um ehrlich zu sein, ähnelt es meinem sehr. Kaum Informationen und bloß ein Profilbild. Das ist immerhin schon ein Bild mehr als ich jemals hochgeladen habe.

Während ich durch die Beiträge scrolle, ploppt plötzlich ein Chatfenster auf und ich erschrecke mich so sehr, dass ich fast von meinem Schreibtischstuhl falle und die Maus in die Zimmerecke werfe.

Corvus Raven: „Na, hast du was Interessantes entdeckt? ;)“

Das ist nicht möglich, oder? Eben war er nicht mal online. Er muss irgendwelche Mods oder so installiert haben, um zu sehen, wer sein Profil besucht. Verdammt! Was mache ich jetzt? So tun, als hätte ich nichts gesehen und ausloggen?

Corvus Raven: „Hallo? Ich weiß, du hast die Nachricht gesehen. :P“

Hektisch drehe ich mich um. Das ist albern, hier ist niemand in meinem Zimmer; unmöglich, dass er mich beobachtet. Ich stehe auf und hebe erst mal meine Maus vom Boden auf. Als ich mich wieder vor den Computer setze, wartet noch immer das kleine Fensterchen auf mich, fast schon bedrohlich scheint es zu blinken. Scheiß drauf!

Abigail W.: „was willst du?“

Corvus Raven: „Ich? Du warst doch auf meinem Profil.“

In dem Moment dämmert es mir. Er kann nicht wissen, wer ich bin. Er kennt meinen Namen nicht und ich habe kein Bild auf meinem Profil. Hm, das könnte lustig werden.

Abigail W.: „stimmt hehe. wollte nur ein paar boys auschecken. lololo“

Ich hoffe, durchschnittliche Mädchen in meinem Alter schreiben so. Jetzt zahle ich ihm die Sache vom Friedhof heim! Er tippt …

Corvus Raven: „Vorhin schienst du kein Interesse an Jungs zu haben.“

Abigail W.: „vorhin?“

Corvus Raven: „Auf dem Friedhof.“

Hör auf! Das ist nicht möglich! Er kann doch nicht wissen, dass ich … Okay, durchatmen, Abigail. Dieser Typ ist irgendein kranker Stalker und ich werde ihn einfach melden.

Corvus Raven: „Du solltest ein Bild von dir hochladen. So ein hübsches Mädchen wie du braucht sich nicht zu verstecken.“

Abigail W.: „sag mir nich was ich zu tun habe und hör auf so peinlichst genau auf groß- und kleinschreibung zu achten. das ist ein chat!“

Corvus Raven: „Das bedeutet nicht, dass man alle Umgangsformen fallenlassen sollte.“

Abigail W.: „auf nimmerwiedersehen. ich blocke dich!!“

Corvus Raven: „okay, okay. du hast gewonnen. so besser? .. lol?“

Er hält sich wohl für besonders witzig. Ich gehe darauf gar nicht mehr ein und blocke sein Profil. So, das war’s für dich, Corvus Raven. Ein paarmal durchatmen und … nichts passiert. Ich scheine endlich Ruhe vor diesem Kerl zu haben.

Meine Tante ruft mich zum Essen und ich schalte den Computer aus. Für eine Weile habe ich erst mal genug von sozialen Netzwerken. Tante Sarah erzähle ich nichts davon. Sie soll sich keine Sorgen um mich machen und sie hat auch so schon genug um die Ohren. Ich bin dankbar, dass ich nicht in ein Heim musste, und im Gegenzug helfe ich so gut ich kann.

Nach dem Essen lege ich mich auf mein Bett und spiele PlayStation, doch ich kann mich kaum konzentrieren. Mein Blick huscht immer wieder zu meinem Computer. Nach einer Weile gebe ich nach.

Ich schalte das Ding wieder ein, hebe die Blockierung auf und schreibe auf seine Pinnwand: „Corvus Raven. was für ein dämlicher scherz ist das? das ist nicht mal ein name. das bedeutet zweimal ‚Rabe‘ nur in unterschiedlichen Sprachen.“

So, das musste ich noch loswerden. Ich klicke auf die Schaltfläche, um ihn wieder zu blockieren, aber in diesem Moment teilt mir ein Hinweis mit, dass er meinen Beitrag kommentiert hat. Will ich die Antwort überhaupt lesen? Die Neugier siegt.

„Nicht schlecht, Abigail. Du überraschst mich immer wieder. Ja, du kannst es als eine Art Spitznamen sehen. Außerdem: Du hast mich beeindruckt.“

Arroganter, überheblicher Kerl! Ach und außerdem! Abigail, ich bin sooo beeindruckt.

Wütend tippe ich meine Antwort: „zufällig interessiere ich mich für sprachen!! und jetzt will ich nie mehr was von dir hören.“

Das reicht jetzt wirklich. Ich habe genug Zeit mit ihm verschwendet … Eine Antwort warte ich noch ab. Nervös klicke ich ein paarmal willkürlich auf dem Bildschirm herum. Warum dauert das auf einmal so lang? Sind dir etwa die schlauen Sprüche ausgegangen, Mr. Raven? In dem Moment erscheint ein neuer Kommentar: „Keine Versprechungen.“

Tschüss, Corvus. Es war unendlich langweilig, dich kennenzulernen. Ich schalte den Computer abermals aus und spiele für den restlichen Freitagabend Videospiele.

Kapitel 3: Von Hexen und Raben

„Hey, hier ist Marc. Julie hat mir deine Nummer gegeben, tut mir leid, wenn ich nerve. Ich wollte fragen, ob du Lust hast, dich mit mir zu treffen heute oder irgendwann …“

Kann ein Samstag schöner beginnen? Ich lösche die SMS von meinem Handy und tue so, als hätte ich sie nie bekommen.

Im Moment habe ich echt andere Probleme. Zum Beispiel den Stalker mit dem Namen Corvus Raven. Warum denke ich schon wieder an ihn? Ich beschließe, den unheimlichen Typ für heute aus meinen Gedanken zu verbannen.

Am Frühstückstisch herrscht wie immer Stille. Sarah ist ein kleiner Morgenmuffel und sie kann es nicht leiden, wenn man sie morgens anspricht. Mir macht das nichts aus, ich genieße die Ruhe.

Nach dem Frühstück beschließe ich, eine Runde spazieren zu gehen. Ich habe keine Ahnung, was ich mit dem Wochenende ohne Julie anfangen soll. Andere Freunde habe ich kaum, brauche ich auch nicht. Na ja, heute wären ein paar Freunde praktisch gewesen.

Zum Friedhof wage ich mich nicht. Wer weiß, ob ich da wieder auf einen gewissen … Argh! Ich wollte doch nicht an ihn denken.

Plötzlich klingelt mein Handy. Das muss Julie sein! Wie es scheint, hat sie wohl doch Empfang. Als ich das Gerät jedoch aus meiner Hosentasche ziehe, sehe ich bloß „unbekannter Anrufer“ auf dem Display aufleuchten. Ich ahne Schlimmes, aber ich nehme trotzdem ab.

»Ja?«, bringe ich nur hervor.

»Einen wunderschönen guten Morgen, Abigail.« Als hätte ich es geahnt. Mittlerweile überrascht es mich nicht mal, dass Corvus meine Handynummer hat.

»Hör zu, wenn du mich noch einmal anrufst, anschreibst oder wenn ich dir auch nur auf der Straße begegne, rufe ich die Polizei. Ich habe kein Interesse!« Es gibt jede Menge andere Mädchen, die er nerven kann. Warum ausgerechnet mich?

»Ich gebe zu, wir hatten einen schlechten Start. Menschliche Beziehungen sind nicht gerade meine Stärke, aber das haben wir ja immerhin gemeinsam.« Haha, ich lach mich tot. Warum höre ich ihm überhaupt noch zu?

»Und was willst du von mir?«, frage ich genervt. Obwohl ich diesen Kerl hasse, bin ich einerseits irgendwie ganz froh über die Ablenkung.

»Ich will tatsächlich etwas von dir, Abigail. Es ist jedoch rein geschäftlich und ich verspreche dir, du wirst danach nie wieder etwas von mir hören.« Das klingt doch schon mal gut!

»Nie wieder? In Ordnung, lass hören.« Jetzt hat er meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Es wäre besser, wenn wir das von Angesicht zu Angesicht besprechen könnten. Ich traue dieser neumodischen Elektronik nicht.« Soll das mal wieder ein Scherz von ihm sein? Was meint er damit?

»Also schön. Du hast echt Glück, dass ich heute noch nichts vorhabe. Wo treffen wir uns?« Er braucht ja schließlich nicht zu wissen, dass ich ziellos durch die Gegend spaziere.

»Würdest du es mir übel nehmen, wenn ich direkt hinter dir stünde?«

»Das ist nicht dein Ernst, oder?« Ich drehe mich um. Er steht lässig da und klappt sein Handy zu. Neumodische Elektronik, aha. Ein Klapphandy. Ich verschränke die Arme und gehe auf ihn zu.

»Also schön. Jetzt rück schon raus mit der Sprache, damit ich dich endlich loswerde.« Er hält sich seine Faust vor den Mund und kichert.

»Ich fange an, dich zu mögen, Abigail. Du bist ganz anders als deine Altersgenossen.« Dass ein Freak wie er eine Außenseiterin wie mich mag, ist nicht verwunderlich, aber auch wenig schmeichelnd.

»Die Sache ist die: Du bist eine Zeitspringerin und ich möchte, dass du mich in ein anderes Zeitalter bringst.« Ich stehe einfach nur vor ihm und verziehe keine Miene. Das ist absolut unlustig.

»Ich habe wirklich keine Lust auf Spielchen. Entweder du lässt mich in Frieden oder ich rufe die Polizei.« Erst jetzt fällt mir der große Klunker auf, den er um den Hals trägt. Soll das ein Edelstein darstellen? Billige Fälschung.

»Das ist kein Spiel, und wenn du bereit bist, beweise ich es dir heute Nacht.«

»Perversling!« Ich drehe mich um, aber er hält meinen Arm fest.

»Abigail, ich meine es ernst. Nimm diesen Edelstein. Man sagt, er verstärkt deine Gabe.« Er zieht einen rötlichen Stein aus seiner Tasche und legt ihn in meine Hand. »Das ist ein Rhodonit. Er schützt Reisende, und da du eine Zeitreisende bist, ist er wie für dich gemacht.«

»Du hast doch einen Knall.« Ich gehe wieder in Richtung nach Hause. Vielleicht kann ich den Stein ja auf eBay vertickern, dann habe ich wenigstens etwas von der ganzen Sache.

»Bitte versuch es, Abigail. Und wenn du mir glaubst, komm heute Abend um 20:00 Uhr zur alten St. Nicholas Church.« Ohne mich umzudrehen, zeige ich ihm bloß den Mittelfinger. Zeitreisen, was für ein Blödsinn. Warum ziehe ich nur immer solche Freaks an?

Zuhause angekommen klingelt schon wieder mein Handy. Man könnte meinen, ich wäre über Nacht beliebt geworden. Ohne auf die Anruferkennung zu achten, nehme ich ab.

»Lass mich endlich in Ruhe mit deinem Esoterik-Geschwafel!«

»Ähm, Abi? Ist alles in Ordnung?« Es ist Julie, oh.

»Hi. Tut mir leid, ich dachte, es wäre wieder ein gewisser Jemand.«

»Er hat dich echt angerufen?« Ich kann es nicht glauben. Deutet sie wirklich gerade an, was ich vermute?

»Du hast ihm meine Nummer gegeben?! Warum? Wie?« Auf dem Weg zu meinem Zimmer winke ich meiner Tante zur Begrüßung zu.

»Ich hab deinen Post im Internet gesehen. Und Abi, dieser Typ ist mega heiß!« Ich kann nicht anders, als die Augen zu rollen. Das ist so typisch!

»Das findest du vielleicht, aber ich nicht! Und da schreibst du ihn einfach an und gibst ihm meine Nummer?« Ich kann meine Enttäuschung nicht verbergen.

»Nein, nein. Er hat mich angeschrieben. War wahrscheinlich nicht schwer rauszufinden, wer deine beste Freundin ist. Ich meine … wenn man sich mal deine Freundesliste ansieht.« Kann sie nicht einmal aufhören, mich verkuppeln zu wollen? Erst ihr Cousin und jetzt auch noch dieser perverse Stalker! Ich weiß, sie meint es nur gut, aber …

»Hast du nicht gesagt, du wärst das Wochenende über von der Zivilisation abgeschnitten?« Ich erinnere mich an Wochenenden, an denen ich gar nichts von ihr gehört habe, wenn sie bei ihrem Dad war.

»Eigentlich wäre ich das, ja. Aber Dad hat endlich WLAN. Zum Glück, ich muss doch meine Follower auf dem Neusten halten!«, trällert sie in den Hörer.

Manchmal frage ich mich, warum Julie – die Julie, die 20.000 Follower auf Twitter hat und eine kleine Berühmtheit an unserer Schule ist – mit mir befreundet ist.

»Das ist aber auch der Grund, warum ich jetzt auflegen muss. Wenn Dad rausfindet, dass ich schon wieder telefoniere oder im Internet surfe, stellt er es noch ab. Also dann, bis später.«

»Warte, ich …« Aber sie hat schon aufgelegt. Für einen Moment hatte ich gehofft, jemanden zu haben, dem ich diese ganze Story von dem verrückten Typen erzählen kann.

Dann wird es wohl wieder Zeit, bei ein paar Spielen etwas Frust abzubauen. Als ich mich auf mein Bett werfe, fällt mir wieder der kleine Stein ein, den Corvus mir gegeben hat. Was hat er gesagt? Ein Rhodonit? Ich verwerfe den Gedanken wieder, ein bisschen zu zocken.

Während ich meinen Computer anschalte, um nachzusehen, für wie viel diese Dinger weggehen, drehe ich ihn in meiner Hand. Zeitreisen, dass ich nicht lache. Als würde mir so ein kleiner Stein dabei helfen, in die Vergangenheit …

Plötzlich spüre ich ein Kribbeln, und als ich die Augen ein weiteres Mal aufschlage, stehe ich direkt vor einer massiven Steinmauer.

»Was zum Teufel?« Ich drehe mich um und finde mich in einer kleinen Gasse wieder. Das darf nicht wahr sein. Das ist irgendein Trick. Ich bin nicht wirklich in einer anderen Zeit. So etwas ist doch gar nicht möglich.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragt eine Stimme. Ich wende mich ihr zu und sehe einen Mann mit Hut, der gerade aus einer Seitenstraße kommt. Seine Aufmachung macht mir leider schmerzhaft bewusst, dass all das hier real ist. Ich bin in der Vergangenheit gelandet! Als er mir in die Augen sieht, erschrickt er.

»Hexe! Zu Hilfe! Eine Hexe!« Er rennt schreiend davon. Das fehlte gerade noch. Nicht nur, dass ich tatsächlich durch die Zeit gereist bin, ohne den Hauch einer Ahnung, wie ich jemals wieder zurückkomme. Nein, ich muss ja auch noch ausgerechnet pünktlich zu den Hexenprozessen von Salem erscheinen.

Kapitel 4: Verflucht

Wie komme ich hier wieder weg? Warum bin ich überhaupt hier? Hektisch eile ich durch die düsteren Gassen. Meine Kleidung, mein Make-up, einfach alles verrät, dass ich hier nicht hingehöre. Verzweifelt klammere ich mich an den Edelstein.

»Bitte bring mich wieder nach Hause. Bitte!« Nichts passiert. Hinter der nächsten Ecke bleibe ich stehen und atme durch. Es scheint, als wäre mir keiner gefolgt.

Das wäre ziemlich ironisch; ich reise in die Vergangenheit und werde innerhalb von drei Minuten wegen Hexerei gehängt. Mein Herz klopft schneller bei dem Gedanken an diese Gräueltaten.

Mein Handy hat natürlich kein Empfang, aber es zeigt noch das Datum und die Uhrzeit aus dem 21. Jahrhundert. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn ich aus der Vergangenheit Julie hätte anrufen können. Ja, hi, ich bin’s. Wollte nur sagen, dass ich gleich erhängt werde. Wo ich bin? Ach, bloß im verdammten 17. Jahrhundert!

Beruhige dich, Abigail, alles wird gut. Sieht nicht so aus, als würde ich in naher Zukunft von hier wegkommen. Ich sollte mir einen Unterschlupf für die Nacht suchen. Nach einer Weile finde ich eine alte Scheune und ich lasse mich zwischen ein paar Tieren im Heu nieder. So schnell kann es also bergab gehen.

Als ich aufwache, finde ich mich im Forest River Park wieder und zum Glück auch im 21. Jahrhundert. War das bloß ein kranker Traum und ich bin schlafgewandelt? Nein, es war zu real, um als Traum durchzugehen.

Ich schaue auf mein Handy und bin überrascht, als ich sehe, dass keine Minute vergangen ist, seit ich in die Vergangenheit gereist bin. Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert, aber das will ich auf keinen Fall noch mal erleben. Sieht so aus, als müsste ich Corvus heute Abend doch einen Besuch abstatten.

Als ich wieder zu Hause ankomme, muss ich meiner Tante erklären, wie ich aus dem Haus gekommen bin, ohne dass sie es bemerkt hat.

»Schätze, du warst gerade im Bad oder so.« Sie runzelt die Stirn.

»Verheimlichst du mir etwas, Abigail?« Ich doch nicht, neeein. Ich schüttle nur den Kopf und hoffe, dass ich damit davonkomme.

»Wo bist du gewesen?« Jetzt ist sie misstrauisch. Meine Tante da reinzuziehen – keine gute Idee.

»Ich war nur spazieren, im Park.« Sie nickt langsam, aber ihr Gesichtsausdruck verrät, dass sie mir die Sache nicht ganz abkauft.

»Ohne Julie ist mir wohl ziemlich langweilig«, sage ich und immerhin ist das keine Lüge. Das scheint zu wirken.

»Verstehe. Sag mir aber nächstes Mal Bescheid, wenn du irgendwohin gehst. Ich konnte dich auf dem Handy auch nicht erreichen.«

»Geht klar!« Ich verschwinde in meinem Zimmer. Gerade noch mal so davongekommen. Schnell rufe ich Julie an, sie muss sofort davon erfahren. Sie antwortet beim ersten Klingeln.

»Abi? Ich hab doch eben gesagt, ich kann nicht weitertelefonieren.« Stimmt, hier war ja kaum Zeit vergangen, der Weg vom Park nach Hause hat auch keine zehn Minuten gedauert. Diese Zeitreisensache ist komplizierter, als man sich vorstellt.

»Julie, hör zu. Das ist ein Notfall.« Ich erzähle ihr alles, und zum ersten Mal in meinem Leben unterbricht sie mich nicht und hört einfach nur zu.

»Das ist echt passiert?«, fragt sie ungläubig, als ich meine Erzählung beendet habe.

»Wenn ich es dir doch sage! Irgendwas stimmt hier nicht und ich glaube, dieser Corvus hat etwas damit zu tun!« Meine Stimme ist schon fast hysterisch.

»Wer weiß, was das für ein Spinner ist. Tut mir so leid, Abi, das wusste ich natürlich nicht!« Typisch Julie und ihre Menschenkenntnis.

»Ich muss ihn heute Abend zur Rede stellen. Auch wenn er vielleicht bekloppt ist, er kennt sich offenbar damit aus.« Habe ich das tatsächlich gesagt? Schätze, ich bin wirklich total verzweifelt.

»Okay, aber wenn du dich danach nicht sofort meldest, verständige ich das FBI.«

»Tu das!« Wobei es vielleicht besser wäre, die Ghostbusters zu rufen bei diesem übernatürlichen Drama, was hier vor sich geht.

»Aber jetzt muss ich wirklich auflegen, Dad bringt mich gleich um.«

»Na schön, ich melde mich heute Abend.«

»Auf jeden Fall. Pass auf dich auf, Abi. Hashtag YOLO!« Sie legt auf. Muss ich ihren letzten Satz verstehen?

Wie auch immer. Ich habe noch ein paar Stunden Zeit, bevor ich mich mit Corvus treffen soll, daher spiele ich mit dem Gedanken, ihn anzurufen und sofort zur Rede zu stellen. Aber etwas sagt mir, dass es das Beste wäre, abzuwarten. Wirklich entspannen kann ich mich aber trotzdem nicht, da ich ständig Angst habe, aus Versehen durch die Zeit zu reisen. Den verdammten Edelstein habe ich auf meinen Schreibtisch gelegt und ich werfe immer wieder einen argwöhnischen Blick zu ihm rüber.

Irgendwann beschließe ich, Corvus zumindest eine SMS zu schicken: „Du wirst einiges erklären müssen“. Es dauert nicht lang, bis er antwortet: „Das werde ich. Freut mich, dass du beschlossen hast zu kommen“. Freu dich nicht zu früh, Freundchen!

Ich spiele ein paar Spiele, laufe in meinem Zimmer auf und ab und irgendwann wird es Zeit, mich auf den Weg zu machen. Vorher sage ich Sarah Bescheid, damit sie nicht ausrastet.

»Sei aber wieder um elf zu Hause.« Ich versichere ihr, dass ich nicht lang weg sein werde, und ich hoffe, ich kann dieses Versprechen einhalten.

Im dämmernden Abendrot sind die Straßen wie leergefegt. Als ich die St. Nicholas Church erreiche, sehe ich ihn nirgendwo. Na toll, jetzt verspätet er sich auch noch.

Plötzlich höre ich ein Geräusch. Es klingt, als würde jemand pfeifen. Ich schaue nach oben und da sehe ich ihn, wie er auf der großen, blauen Kuppel steht und sich mit einer Hand am Kreuz festhält.

»Bist du wahnsinnig? Komm da runter oder willst du dir den Hals brechen?« Er winkt mir bloß zu.

»Andererseits … spring ruhig, dann bin ich dich los!« Idiot. Doch gerade, als ich kopfschüttelnd meine Augen abwenden will, fällt er. Ich reiße die Augen auf. In dem Moment, wo er sich mit ausgebreiteten Armen in die Tiefe stürzt, wachsen zwei schwarze Flügel aus seinem Rücken. Ich kann meinen Augen kaum trauen. Seine Haare ändern die Farbe und sind mit einem Mal tiefschwarz.

Mit einem Schwung landet er direkt vor meinen Füßen und wirbelt etwas Staub auf. Als ich in seine Augen blicke, sehe ich, dass sie ebenso wie seine Haare komplett schwarz sind.

Vorher war er nur nervig, aber jetzt spüre ich zum ersten Mal Angst. Dieser Kerl ist kein Mensch, er ist ein Vogel, ein Genexperiment, ein … Rabe.

»Corvus Raven, du erinnerst dich? Mein Spitzname?« Bei seinem Grinsen offenbart er eine Reihe spitzer Zähne.

»Bleib weg von mir, du Freak«, bringe ich nur hervor, meine Augen sind vor Schock geweitet. Wie kann ein Tag nur so unglaublich schiefgehen?

»Abigail, ich musste dir das zeigen, damit du mir glaubst.« Er hält beide Hände vor sich und macht ein paar Schritte auf mich zu; ich weiche zurück.

»Was soll dieser ganze Hokuspokus? Warum bist du … dieses Ding? Und warum bin ich heute Mittag auf einmal im 17. Jahrhundert gelandet?« Ich verstehe die Welt nicht mehr. Kann nicht wieder alles normal sein und jeder mich ignorieren wie immer? Ich will das alles nicht.

»Bist du tatsächlich?« Plötzlich verschwinden seine Flügel und seine Haare nehmen wieder das ursprüngliche Blond an. Auch seine Augen wirken nicht mehr so bedrohlich.

»Erklärst du mir endlich, was los ist?! Oder soll ich erst … den Tierschutzverein rufen?« Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Schmunzeln und auch ich muss grinsen, als mir klar wird, was ich da für einen Unsinn von mir gebe.

»Deswegen sind wir hier; ich werde dir alles erklären.« Wir lassen uns auf den Stufen zur Kirche nieder. Ich kann immer noch nicht glauben, dass das alles wirklich passiert.

»Vor langer Zeit war ich ein gewöhnlicher Mensch, so wie du.« Corvus lässt den Kopf hängen und schaut zu Boden.

»Ich war nicht immer der charmante Gentleman, den du jetzt vor dir siehst.« Ich pruste lautstark, aber er lässt sich nicht unterbrechen.

»Das hat mich ab und zu in Schwierigkeiten gebracht.« Er macht eine vielsagende Pause und sieht mich dann eindringlich an.

»Ich habe eine gewisse Hexe ziemlich verärgert und sie hat mich mit einem Fluch belegt.« Ich nicke, als ob ich verstehen würde. Tatsache ist, ich verstehe kein Wort von dem, was er sagt.

»Das Problem bei diesem Fluch ist, dass er unverbrüchlich ist. Keine Hexe auf der Welt kann ihn aufheben.«

»Nun, ich schätze, du hast dir diesen Fluch irgendwie verdient. Warum sollte ich dir helfen? Und vor allem wie?«

»Weil ich dich dann in Ruhe lasse und im 17. Jahrhundert bleibe. Und wie du mir helfen kannst? Ich glaube, du weißt wie. Das Problem ist, fast alle Hexen sind tot und …« Plötzlich wird mir alles klar. Das ist der Grund, warum er mich braucht. Das ist der Grund, warum ich durch die Zeit reisen kann.

»Ich bin eine Hexe.« Es ist keine Frage, vielmehr eine Feststellung. Er grinst entschuldigend und schaut mich mit seinen hellblauen Augen an.

»Ja? Ein bisschen vielleicht …« Das ist zu viel. Wie ist das möglich? Warum erfahre ich erst jetzt davon?

»Kann ich noch andere Dinge? Was bedeutet das alles überhaupt?« Mir schwirren so viele Fragen durch den Kopf.

»Ich weiß es nicht genau. Ich habe seit Jahrhunderten keine Hexe mehr gesehen. Aber ich wusste, eines Tages würde sich wieder eine zeigen.«

»Ich habe mich gezeigt?«

»Auf dem Friedhof …« Oh nein, ich wusste, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Wer weiß, was ich noch unbewusst alles getan habe.

»Wenn du zurück im 17. Jahrhundert bist … wie hast du vor, die Hexe davon abzuhalten, dich zu verfluchen?« Er grinst schelmisch und steht auf. Sein stechender Blick scheint sich direkt in meine Seele zu bohren.

»Ganz einfach. Ich werde sie töten.«

Kapitel 5: In tiefster Nacht erwacht

»Also, wann geht es los?« Ich schüttle bloß den Kopf. Das kann er doch nicht ernst meinen.

»Du kannst nicht einfach einen Menschen töten!« Man kann mich nicht gerade als Menschenfreund bezeichnen, aber Mord geht definitiv gegen meine Ideale.

»Hexe, meine Liebe, Hexe.« Er hebt aufklärerisch einen Finger, als würde das sein Vorhaben rechtfertigen.

»Weißt du überhaupt, wie viele Leute damals zu Unrecht hingerichtet wurden?« Ich bin rasend vor Wut.

»Zu Unrecht? Bist du dir da sicher?« Na ja … nach allem, was ich jetzt weiß, und die Tatsache, dass ich selbst eine Hexe bin …

»Ich muss mehr wissen, über dich und diesen Fluch und diese Hexe natürlich!« Er wackelt mit seinen Augenbrauen.

»Du willst mehr über mich wissen? Gern!« Dieser Typ bringt mich zur Weißglut! Doch statt darauf einzugehen, versuche ich, so ruhig wie möglich zu bleiben.

»Zuerst will ich wissen, warum du noch immer „verflucht“ bist. Die Hexe muss schon seit Hunderten von Jahren tot sein.« Noch bevor ich zu Ende gesprochen habe, fängt er an, den Kopf zu schütteln.

»Offenbar nicht. Sie ist eine der wenigen Hexen, die das Massaker überlebt haben.« Also bedeutet das, Hexen sind unsterblich?

»Und ja, das bedeutet, Hexen sterben nicht an Altersschwäche.« Sehr witzig, Gedankenleser.

»Na gut. Wenn das wahr ist, will ich als Nächstes wissen, was genau diesen Fluch ausmacht. Du bist also ein Raben… äh …dings. So what?« Wieder schüttelt er den Kopf, dieses Mal energischer.

»Die Unsterblichkeit ist nicht immer ein Segen, Abigail. Aber das ist es auch gar nicht. Wenn ich sterben wollte, bräuchte ich nur diesen Obsidian von meinem Hals zu reißen und mich dem Sonnenlicht aussetzen.« Dafür ist also dieser Stein.

»Du stirbst im Sonnenlicht?«, frage ich zweifelnd. Das erinnert mich mehr an Vampire als an verfluchte Rabenmenschen.

»Ja, die Hexe wollte mich an die Nacht binden. Nie mehr das Sonnenlicht sehen … Findest du nicht, dass das allein bereits ein Fluch ist?« Wenn man es so betrachtet, na ja, ich mag die Dunkelheit, aber ich kann ihn verstehen. So viele Jahre ohne Sonnenlicht … das muss schwer sein. Ich nicke, als könnte ich den Fluch jetzt besser verstehen.

»Aber Corvus, könnt ihr euch nicht irgendwie anders einigen? Du musst sie doch nicht gleich umbringen.« Er weicht meinem Blick aus.

»Wenn du sie kennen würdest, würdest du verstehen. Ich habe nach ihr gesucht, sie muss sich wohl irgendwo unter den Menschen verstecken, aber ich habe nie auch nur eine Spur von ihr gefunden.« Er seufzt tief und schaut zum Mond. Mittlerweile ist es ganz dunkel geworden und ich sollte mich bald auf den Nachhauseweg machen.

»Wie auch immer, heute werden wir sicher nicht mehr durch die Zeit reisen, um deinen „Mordsplan“ in die Tat umzusetzen.« Er schaut mich wieder an und verschränkt die Arme.

»Gut, ich habe über dreihundert Jahre gewartet, da machen mir ein paar Tage mehr nichts aus.« Eigentlich habe ich nicht wirklich Lust, noch länger mit ihm zu tun zu haben, aber es sieht aus, als bleibt mir keine andere Wahl.

»Eine Sache noch: Wie verhindere ich, dass ich ungewollt in die Vergangenheit reise?« Er zuckt bloß mit den Achseln und schüttelt stirnrunzelnd den Kopf.

»Woher soll ich das wissen? Du bist hier die Hexe, nicht ich.« Das darf doch nicht …! Aber noch bevor ich etwas erwidern kann, breitet er wieder seine Rabenflügel aus und lässt mich allein vor der Kirche stehen.

»Vielen Dank auch, Corvus. Du warst eine große Hilfe. Nicht!« Mit brummendem Schädel mache ich mich auf den Weg nach Hause.

Ich schreibe Julie eine SMS, dass ich noch am Leben bin, aber ihr erst morgen alles berichte. Meine Kopfschmerzen bringen mich sonst noch um; das verschweige ich ihr allerdings. Es dauert keine Minute, bis mein Handy vibriert und mir eine Nachricht von Julie anzeigt: „Kein Problem. Bin gerade auf ner Scheunenparty und habe SO viel Spaß! Die Typen hier sehen aus wie von nem Rasenmäher überfahren. Danke, dass du mich so auf die Folter spannst. xoxo.“ Ach Julie, du wirst schon drüber hinwegkommen … über beides, schätze ich.

Zuhause angekommen lasse ich mich mal wieder ins Bett fallen. Es ist Samstagabend und ich habe wie immer nichts zu tun. Aber hey, ich weiß jetzt, dass ich eine Hexe bin, juhu. Ich kann meine Freude kaum zurückhalten. Außerdem habe ich einen dreihundert Jahre alten Stalker Schrägstrich Rabenmenschen am Hals. Doppeljuhu! Langsam frage ich mich, wer von uns beiden hier wirklich verflucht ist.

Während ich noch weiter über Corvus und diesen ominösen Fluch nachdenke, werde ich immer müder, und es ist nicht mal Mitternacht, als ich einschlafe.

In tiefster Nacht werde ich plötzlich wach. Vor meinem Fenster höre ich Raben. Hunderte, nein Tausende. Ich drücke mein Kissen auf meine Ohren, aber kurz darauf warnt mich ein kühler Windzug, dass das Fenster offen ist. Schnell springe ich aus dem Bett, aber als ich nach draußen schaue, sehe ich ein gewaltiges, loderndes Feuer. Die Raben kreisen über dem Inferno wie Unglücksboten und kreischen. Das Flackern und das Krächzen werden immer lauter und ich halte mir die Ohren zu.

Während ich von dem Fenster zurückweiche, meine ich, die Raben meinen Namen schreien zu hören, und ich sehe, wie das Feuer seine flammenden Arme nach mir ausstreckt. „Brennen sollst du, Hexe, brennen!“