Die Reise nach Braunschweig - Adolph Freiherr von Knigge - E-Book

Die Reise nach Braunschweig E-Book

Adolph Freiherr von Knigge

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Beschreibung

Dieses eBook wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Die Ausgabe ist mit interaktiven Inhalt und Begleitinformationen versehen, einfach zu navigieren und gut gegliedert. Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge (1752-1796) war ein deutscher Schriftsteller und Aufklärer. Bekannt wurde er vor allem durch seine Schrift Über den Umgang mit Menschen. Sein Name steht heute stellvertretend, aber irrtümlich für Benimmratgeber, die mit Knigges eher soziologisch ausgerichtetem Werk im Sinne der Aufklärung nichts gemein haben. Aus dem Buch: "Der reisende Virtuose, den wir mit unsern beyden Freunden haben nach Braunschweig abfahren lassen, war, wie leider! die mehrsten Menschen, die sich dieser Lebensart widmen, ein Erz-Taugenichts, der von den Schwächen andrer Leute lebte. Wenn er in einer Stadt die müßigen Music-Liebhaber durch sein Talent und die manntollen Weiber durch seine seelenlose Figur bezaubert hatte, nistete er sich auf eine Zeitlang ein und blieb dort, bis irgend ein verübtes Bubenstück ihn nöthigte, bey Nacht und Nebel fortzugehn, da ihm dann gewöhnlich die Flüche betrogner Gläubiger, mit Undank gelohnter Wohlthäter und verführter Mädchen nachfolgten. Dann trat er zwölf Meilen von da unter anderm Namen auf, hieß in St. Petersburg Monsieur Dubois, in Berlin Signor Carino, in Hamburg Herr Zarowsky und in Wien Herr Leuthammer; erschien bald in gestickten Fracks, mit zwey Uhren, bald im zerrißnen Überrocke, als blinder Passagier auf dem Postwagen."

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Adolph Freiherr von Knigge

Die Reise nach Braunschweig

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1602-4

Inhaltsverzeichnis

Vorrede
Erstes Capitel
Eine ländliche Gesellschaft rüstet sich zu einer Reise, um merkwürdige Dinge zu sehn.
Zweytes Capitel
Die Abentheuer des ersten Tages auf der Reise.
Drittes Capitel
Der zweyte Tag fängt mit einem neuen Sturme an. Fortsetzung der Reise bis Peina.
Viertes Capitel
Begebenheiten in Peina; Tisch-Gespräche; Kuchen, in des Pastors Unsterblichkeit gehüllt; Die Gesellschaft trennt sich.
Fünftes Capitel
Was dem Herrn Amtmanne und seinem Sohne nach der Trennung von ihren Gefährten begegnet.
Sechstes Capitel
Fragment einer Predigt. Unvermuthete Zusammenkunft in Peina. Wie mag das zusammenhängen?
Fragment einer Predigt über die Bewegungsgründe zur Tugend, welche aus eignem und fremdem Beyfalle hergenommen werden.
Siebentes Capitel
Der Herr Amtmann geht, den berühmten Luftschiffer auffliegen zu sehn, und trifft bey seiner Zurückkunft den jungen Herrn in einem kläglichen Zustande an.
Achtes Capitel
Geschichte des Fremden, der in der Eulenburg vor Peina abgetreten war.
Geschichte des fremden Herrn in der Eulenburg
Neuntes Capitel
Fortsetzung dieser Geschichte. Sonderbare Entdeckung. Der Fremde und der Officier finden im Posthause nicht, was sie suchen.
Zehntes Capitel
Etwas von dem jungen Frauenzimmer. Sie entwischt.
Eilftes Capitel
Der Herr Amtmann beschließt, noch einen Tag in Braunschweig zu verweilen und besucht nebst seinem Sohne das Schauspiel.
Zwölftes Capitel
Was der Herr Hauptmann Previllier dem alten Dornbusch unterwegens erzählt. Zusammenkunft in Steinbrüggen.
Dreyzehntes Capitel
Jungfer Margaretha Dornbusch begiebt sich in den Schutz einer alten christlichen Dame und setzt sich neuen Gefährlichkeiten aus.
Vierzehntes Capitel
Auf der Mascarade in Braunschweig führt der Himmel die Seinigen wunderlich zusammen.
Funfzehntes Capitel
Abreise von Braunschweig. Neue Irrung, die bey dieser Gelegenheit vorgeht.
Sechzehntes Capitel
Rückkunft nach Biesterberg. Hochzeiten und Kindtaufe. Schluß dieser Geschichte.

Vorrede

Inhaltsverzeichnis

Der kleine Roman, den man hier dem Drucke übergiebt, ist, in Stunden der Erholung von ernsthaften Geschäften, geschrieben, um das Gefühl der heftigen cörperlichen Leiden, wovon der Verfasser seit mehr als Jahres Frist unaufhörlich gepeinigt wird, durch unschuldigen Scherz zu mildern, geschrieben, um, bey Sorgen mancher Art, durch leichten Witz, sich in harmloser Stimmung zu erhalten. Er macht also auch keinen Anspruch auf die Muße solcher Leser, die tiefsinnige philosophische Betrachtungen und überraschend feine Blicke in die Natur des menschlichen Herzens in solchen Romanen zu finden hoffen.

Der Verfasser hat bis jetzt in seine Schriften ähnlicher Art, die Behandlung wichtigrer Gegenstände einzuflechten und die Sitten der sogenannten höhern Menschenclassen zu schildern gesucht; hier versteigt er sich nicht so hoch und widmet daher diese Arbeit auch nur solchen Lesern, denen es darum zu thun ist, ihre Augen einmal von Höfen, Fürsten, Staatshändeln und gelehrten Kampfplätzen ab, auf ländliche Scenen und lachende Bilder gelenkt wissen zu wollen.

Das ist alles, was der Verfasser von diesem Büchlein zu sagen weiß, um den Gesichtspunct anzuzeigen, aus welchem er beurtheilt zu werden wünscht.

Bremen, um Ostern 1792.

Erstes Capitel

Inhaltsverzeichnis

Eine ländliche Gesellschaft rüstet sich zu einer Reise, um merkwürdige Dinge zu sehn.

Inhaltsverzeichnis

»Das mag possirlich aussehn, Herr Pastor!« sagte der Amtmann Waumann zu dem geistlichen Herrn, der, mit dem andern Zeitungsblatte in der Hand, ihm gegenüber saß. »Das mag possirlich aussehn, wenn so ein Mann in der Luft herumfährt und einen Ball unter dem Hintern hat.« »Nicht unter dem salva venia Hintern, excusiren Sie!« erwiederte der Pastor Schottenius, »der Musjö Blanchard sitzt in einem Schiffchen, welches an dem, mit künstlicher Luft gefüllten großen Ballon befestigt ist.« »Was Teufel!« fiel ihm hier der Förster Dornbusch in die Rede, »wie macht es aber der Hexenkerl, daß er damit herumkutschirt? Das kann nicht mit rechten Dingen zugehn.« Nun ließ sich Ehren Schottenius auf eine weitläufige Beschreibung der Luft-Kutschier-Maschinen ein, und bewies zuerst, daß es auf keine Weise sündlich sey, Versuche von der Art zu machen, wie wohl manche abergläubische Leute meinen mögten. Vielmehr diene die Erforschung der Natur und deren Kräfte zur Verherrlichung des Schöpfers »wie ich dies« fügte er hinzu »in meinen, nun bald im Drucke erscheinenden Predigten, zum öftern bewiesen habe.« Dies war der Refrain, welchen er, in der gewöhnlichen Unterhaltung, jedem Satze, den er vortrug, anzuknüpfen pflegte. Er hatte nämlich eine Sammlung von 57, schreibe sieben und funfzig Stück Predigten fertig liegen, die er herauszugeben längst beschlossen hatte, und es gab wenig Gegenstände unter dem Monde und wenig Wahrheiten und Vermuthungen, über welche er nicht in diesen Kanzel-Reden Gelegenheit genommen hätte, seine unmaßgebliche Meinung zu sagen. Ehren Schottenius war in der That ein aufgeklärter Geistlicher – Es giebt böse Menschen, welche behaupten, das sey eine contradictio in adjecto, oder vielmehr, ein Prediger handle sehr inconsequent, wenn er die Aufklärung befördre; allein unser Herr Pastor wiederlegte durch sein Beyspiel diese Ketzerey. Nur müssen wir uns über den richtigen Begriff des Worts Aufklärung verstehn. Er war kein Mann, der das Gegentheil von dem glaubte und lehrte, als worauf er geschworen hatte und wofür er sich besolden ließ. Er nahm nicht das Lämpchen der Aufklärung in die Hand, um in dem Alterthums-Cabinette speculativer Raritäten und dogmatischer Geheimnisse aufzuräumen; sondern er verwaltete die ihm über diesen Schatz anvertrauete Aufsicht, nach Anweisung seiner Obern und so, wie die mehrsten Bibliothekare in und außer Klöstern die Aufsicht über die Sammlungen seltner Handschriften zu führen pflegen; denn er bewahrte sie vor nagenden Mäusen und vor verbleichenden Sonnenstrahlen, rührte jedoch nicht anders daran, als wenn er an hohen Festtagen einmal den Staub davon abkehren mußte, damit man doch den besuchenden Fremden zeigen könnte, daß sie noch da wären. Seine Aufklärung aber bestand darinn, daß er nicht alle andren menschlichen Kenntnisse auf den einzigen Stamm der Orthodoxie propfen wollte, sondern mit Vergnügen von neuen Entdeckungen in allen Gebiethen der Wissenschaften und Künste reden hörte, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Schlüssel dazu schon in den mosaischen Geschichtsbüchern zu finden wäre, oder nicht. Er empfahl in seinen Predigten, neben der reinsten christlichen Moral, eine edle Wißbegierde und Empfänglichkeit für alles nützliche Gute und rief oft mit Paulus aus: »prüfet alles, und das Gute behaltet!« Diese vernünftige Stimmung hatte er dadurch erlangt, daß er einige Jahre in dem Hause eines Edelmannes in Halberstadt als Kinderlehrer zugebracht, und dort Gelegenheit gehabt hatte, mit Männern von großen Einsichten umzugehn. Freylich hatte er sich nachher auf dem Lande wieder, wie man zu sagen pflegt, ein wenig verlegen; aber immer noch unterschied er sich vortheilhaft unter seinen Amtsbrüdern weit umher. Allein die innere Überzeugung dieses Vorzugs gab ihm auch wohl zuweilen eine etwas zu hohe Meinung von sich selber, so daß er niemand lieber reden hörte, als den Pastor Schottenius; und man hätte versucht werden mögen, zu glauben, er habe nur den seinem Stande sonst vorgeworfenen geistlichen Hochmuth gegen eine Art gelehrtem Stolze vertauscht. Diese Meinung könnte uns nun bewegen, einige scharfsinnige Bemerkungen über die Quellen mancher menschlichen Tugenden zu machen. Wir würden dann zum Beyspiel finden, daß, wenn mancher große Mann durch seine Popularität und Herablassung gegen kleine Leute sich beliebt macht, er eigentlich nur deswegen sich so wenig herausnimmt, damit er die überwiegende Stimme des Volks vor sich gewinne; daß also seine Ruhmsucht sich hinter dieser angenommenen Demuth versteckt, oder daß er stolz genug ist, zu glauben, er könne sich nie etwas vergeben durch Herablassung gegen Leute, denen es nicht einfallen dürfte, mit ihm verglichen zu werden; wir würden ferner finden, daß man einen bescheidnen Gelehrten nicht ärger anführen kann, als wenn man ihm nicht lebhaft genug wiederspricht, sobald er von dem geringen Werthe seiner Schriften redet; wir würden endlich finden, daß mancher Edelmann nur deswegen der Abschaffung des Adels, womit man in Frankreich den Anfang gemacht hat, das Wort redet, weil er sich bewußt zu seyn meint, seine unleugbaren innern Verdienste würden ihn noch immer über Andre erheben, wenn auch alle äußere Rücksichten von Stand und Geburth wegfielen. Allein wir, der Autor, haben uns nun einmal vorgenommen, die scharfsinnigen Bemerkungen in unserm Büchlein eben nicht zu häufen, sondern dieselben dem geehrten Leser selber zu überlassen, so sehr wir auch ratione honorarii dabey gewinnen könnten. Also fahren wir in der Erzählung dessen fort, was in des Herrn Amtmanns Waumann Hause in Biesterberg vorgieng.

Hier war es nämlich, wo die drey Herrn, welche wir redend eingeführt haben, den 6ten August 1788, Nachmittags, mit einem geselligen Pfeifchen im Munde, versammelt saßen und die eben angekommnen Zeitungsblätter durchliefen. Folgender Artickel veranlaßte das obige Gespräch:

Braunschweig, den 2ten August, 1788. Den zehnten dieses Monats wird der berühmte Luftschiffer, Herr Blanchard mit einem großen und schönen Ballon aus unsrer Stadt in die Höhe fahren. Der Zusammenfluß der Fremden, welche dieses bewundernswürdige Schauspiel herbeylockt, wird an diesem Tage außerordentlich seyn, indem schon jetzt in denen, mit Meßleuten angefüllten Gasthöfen fast kein Zimmer mehr leer ist.

Nachdem der Pastor Schottenius nun deutlich auseinandergesetzt hatte, was für eine Bewandtniß es mit solchen Luft-Fuhrwerken hätte, erschallte aus einer Ecke des Zimmers eine Stimme, welche rief: »o Papa! lassen Sie uns doch hinreisen, nach Braunschweig und das Ding mit ansehn!« Diese Stimme kam von sonst niemand, als dem jungen Herrn Valentin Waumann, dem eheleiblichen Sohne des Herrn Amtmanns her. Dieser liebenswürdige Jüngling hatte damals sein Alter gebracht auf circa drey und zwanzig Jahre, war ein breitschultriger Junggeselle, in der christlichen Religion auferzogen und nachher der edeln Landwirthschaft zugethan und gewidmet, welcher er sich auch so eifrig ergab, daß sein Herr Vater die Absicht hegte, ihm ein benachbartes Vorwerk, das er mit gepachtet hatte, nebst dem Inventario an Kühen, Schweinen, Pferden, instrumentis rusticis und einer für ihn ausgesuchten Gattinn, nächstens zu übergeben. Musjö Valentin war nie über die Grenzen des Amts Biesterberg hinausgekommen, obgleich der Amtmann oft versprochen hatte, einmal, bevor der junge Herr sich in den Stand der heiligen Ehe begäbe, mit ihm eine Fahrt von einigen Tagereisen zu machen, um in Hildesheim, Braunschweig, Hannover und andern schönen Städten in der Nachbarschaft, die Welt mit ihren Merkwürdigkeiten zu sehn. Als der junge Herr nun, wie gesagt, in der Ecke saß, wo er sich beschäftigte, neue Kerbhölzer für die Dienstleute zu schnitzeln und er dort von den Zeichen und Wundern hörte, welche in Braunschweig in wenigen Tagen geschehn sollten, erinnerte er seinen Papa an das Versprechen der Reise. Die Frau Amtmanninn deren Liebling dies einzige Söhnchen war, unterstützte sein Gesuch; und so wurde dann kurz und gut beschlossen, am nächstkünftigen Sonnabende, als dem Tage vor der großen Luft-Begebenheit, die Reise nach Braunschweig, geliebt' es Gott, zu unternehmen.

»Potz Element«, rief der Förster aus, »Herr Amtmann! da reise ich mit; ja! so thue ich, und von da fahre ich auf dem Rückwege die Paar Meilen weiter über Goßlar, wo ich doch hin muß, um meine Grete aus der Penschon abzuholen. Sie verstehen mir Herr Amtmann! und darüber wird denn Müsche Valentin auch nicht böse werden, denke ich so, ha, ha! Und unser Herr Pastor muß auch mit, und muß uns seine halbe Schäse thun, denn weil ich sonst mant immer reite; so habe ich keine eigne Carrethe, und so aber, so fahren wir in zwey Kutschen; und was der Herr Pastor verzehrt, das bezahle ich, ja! das thue ich.«

Ehren Schottenius war leicht zu bereden, diesen Vorschlag anzunehmen; der Candidat Krebs aus Möllenthal hatte sich ohnehin die Erlaubniß erbeten, am nächsten Sonntage in Biesterberg predigen zu dürfen, und außer dem Vergnügen der Reise gab diese kostenfreye Lustfarth dem Pastor noch Gelegenheit, einen längst gehegten Vorsatz auszuführen, nämlich den, sich in Braunschweig nach einem Verleger für seine sieben und funfzig Predigten umzusehn. Es kam nur noch auf eine Kleinigkeit an, auf die Einwilligung der Frau Pastorinn; da indessen diese selbst gegenwärtig war und, neben der Frau Amtmanninn sitzend, eben die fünfte Tasse Caffee, auf vielfältiges Bitten, sich hatte wohlschmecken lassen; so ließ sich die Sache bald auf's Reine bringen. »Ja! was meinst Du zu dem Vorschlage, mein Schatz;« sprach der Pastor und sah nach den kleinen schwarzen Äuglein seiner Gebietherinn, ob sie zürnten, oder lächelten. »I nun; da Du mit so guter Gelegenheit umsonst hinkömmst; warum nicht?« – So war's denn richtig; alles wurde gehörig verabredet, und bald nachher trennte sich die Gesellschaft.

Zweytes Capitel

Inhaltsverzeichnis

Die Abentheuer des ersten Tages auf der Reise.

Inhaltsverzeichnis

Die liebe Sonne hatte am Neunten des Augusts kaum den ersten Blick in das enge Thal geworfen, in welchem, an eine kleine Anhöhe gelehnt, das Dorf Biesterberg mit seinen schönen Amtsgebäuden, lag; die Hähne auf den Bauerhöfen weckten nun krähend ihre Damen aus dem Schlafe; der Schulmeister stand, im Camisol ohne Ermeln, unten im Thurm und zog gähnend die Betglocke; die Knechte schlichen schwerfällig aus den Ställen hervor und klopften die Lünzen an den Erndte-Wagen zurecht; die Hirten bliesen in ihr Horn und gaben durch Klatschen das Zeichen, worauf die Mägde, mit bloßen Beinen und mit aufgeraften Reisern in den Händen, das Vieh von den Höfen hinuntertrieben – Da war schon im Amthause, auf dem Pfarrhofe und in des Försters Wohnung alles auf den Beinen. Des Herrn Amtmanns ehrwürdiger Reisewagen stand geschmiert und bepackt vor der Thür; der Gärtner Caspar bürstete an dem gelben geblümten Plüsche, womit er ausgeschlagen war, und die Haushälterinn steckte Butterbröde und eine gebratne Rehkeule in die Seiten-Tasche. Oben an dem Fenster des Eckzimmers stand der alte Herr, reisefertig angekleidet, in Stiefeln mit Stiefel-Manschetten, und umgürtet mit einem Hirschfänger; Musjö Valentin war unter den Händen seiner Mutter, die ihm die schwarze Halskrause umband, und die blaue mohrne Weste, welche zu enge geworden war, hinten aufschnitt. Er sah stattlich aus, der junge Herr, in seinem perlfarbnen Rocke; die Haare weiß eingepudert, hinten in einen langen dünnen Zopf gebunden. »Spann an, Conrad!« rief dann der Amtmann zum Fenster heraus seinem Kutscher zu, der schon in der grauen Livree mit grünem Kragen, worauf eine silberne Tresse prangte, um die Kutsche herumgieng. »Spann an! aber ich wette, an dem Pastor liegt es wieder; der wird zu lange geschlafen haben.« – Ungerechte Beschuldigung! Ehren Schottenius gieng schon seit länger als einer Stunde, vom Kopfe bis zu den Füßen schwarz und vollständig angekleidet, bis auf die Perücke nach, die er noch nicht gegen die weiße Nachtmütze vertauscht hatte, mit einer Pfeife Tabac vor seinem Hause auf und nieder; Vor seiner, in der That sehr demüthigen grünen halben Chaise, die mit einem Rücksitze versehn war, standen schon die vom Förster geschickten Nachbars-Pferde angespannt. Nun kam auch Dieser, nachdem er seinen Schnapps genommen hatte, herbey; die geistliche Perücke wurde aufgesetzt, der blaue Überrock angezogen; man gieng nach dem Amthause; das wackelnde Fuhrwerk folgte nach und rasselte auf dem Steinpflaster; alles im Dorfe kam an die Fenster. Im Amtshofe waren indessen die vier schwarzbraunen Wallachen angeschirrt worden. – Man nahm Abschied, stieg ein, »Nun fahrt zu, in Gottes Namen!« rief der Pastor; Man ließ ihn mit dem Förster in ihrem Fuhrwerke voraus; und so gieng es denn auf dem Wege nach Hildesheim fort.

Unter den Eigenschaften, durch welche man sich in dieser Welt beliebt und geachtet machen kann, behauptet die, ein angenehmer, muntrer Gesellschafter zu seyn, keinen geringen Platz; Sie wird sogar oft höher geschätzt, als manche ächte Tugend, oder ersetzt wenigstens den Mangel derselben. Nirgends aber ist man mit angenehmer Unterhaltung und muntrer Laune willkommner, als auf Reisen seinen Gefährten. Nun aber besaßen die vier Personen, welche wir so eben des Wegs nach Hildesheim zu spedirt haben, von jener geselligen Eigenschaft herzlich wenig; daher war denn auch die Unterhaltung in den anderthalb Kutschen so eintönig, daß ich mich außer Stand sehe, etwas daraus mitzutheilen, das den Leser interessieren könnte. Der Förster klagte darüber, daß die Taschen seines geistlichen Nachbars zu dick wären, und daß dies ihm den Raum beengte. Unrecht hatte er nicht; denn in der linken Überrocks-Tasche war von der Frau Pastorinn die mitzunehmende reine Wäsche auf einige Tage gesteckt worden, und in der andern wohnte das Manuskript der bewußten Predigten. Der Förster ruhete daher nicht eher, als bis die Taschen ausgeleert und die darinn beherbergten Sachen in den Sitz-Kasten gelegt waren. Hierauf setzte er sich in eine Lage, die wenigstens für ihn bequemer, als für seinen Nachbar war (aber er bezahlte ja auch für Diesen) und fieng dann an, den einschläfernden Würkungen des genossenen Schnapses nachzugeben, wobey er, so oft der Wagen einen Stoß bekam, mit seinem sinkenden Haupte in die Perücke des geduldigen Pastors gerieth, der dies Ungemach, bey dem Genusse eines Pfeifchens und allerley Meditationen, ohne Murren ertrug. In den zweyten Wagen las der Herr Amtmann seinem Sohne Collegia über den Zustand der Felder, durch welche sie fuhren, wußte alle Dörfer mit Namen zu nennen, von welchen man in einiger Entfernung die Thurmspitzen wahrnahm; und Musjö Valentin, der indeß die Witterung von den Butterbröden und dem Braten bekommen hatte, zog sein Taschenmesser hervor, fieng an, sich vorzulegen, und antwortete seinem Vater nur eintönig und mit vollen Backen.

So gieng die Zeit hin, bis gegen Mittag, da die Gesellschaft in ein Dorf, eine Meile von Hildesheim kam, wo man dann Anstalt machte, Pferde und Menschen mit einem ordentlichen Futter zu versehn, weil man da wohlfeiler zu zehren hoffte, als in der bischöflichen Residenz. Man fragte die Wirthinn, was sie auf den Tisch liefern könnte und bekam Anweisung auf eine Bier-Suppe und ein großes Stück frisch gekochtes Pöckel-Fleisch; Der Herr Amtmann aber vergrößerte diesen Küchenzettel durch Bestellung eines dicken Pfannekuchens. Indeß nun zu diesem letztern Anstalt gemacht wurde, worüber wohl eine Stunde verstrich, weil die Pfanne nicht sogleich zu finden war, indem der Knecht dieselbe gebraucht hatte, um darinn einen warmen Umschlag für eines der Pferde zu bereiten, entstand in der Schlafkammer des Wirths ein fürchterlicher Lerm und Zank. Der Herr Pastor glaubte Beruf zu haben, zu versuchen, ob er hier nicht das Amt eines Friedensstifters übernehmen könnte, und gieng in das Zimmer. Er fand den Hausherrn äußerst ergrimmt über sein Eheweib, welches, um das geräucherte Rindfleisch, das den angekommenen Gästen vorgesetzt werden sollte, warm zu halten, ihres Mannes ledernes Beinkleid darüber gedeckt hatte. Er hatte es eben anziehn wollen und nun fand er es ausgespannt und rauchend.

Man kann sich leicht vorstellen, daß alle diese Zubereitungen zu dem bestellten Gastmahle unsern Reisenden nicht viel Apetit erweckten. Sobald daher die Rosse gefüttert waren, ließ man wieder anspannen, und die Gesellschaft fuhr fort nach Hildesheim, wo sie in dem berühmten Gasthofe des Herrn Lauenstein abtrat, den sie im Schlafrocke, eine Pfeife in der Hand und eine graue Mütze auf dem Haupte, im Vorplatze spazierend antrafen. Da man noch zeitig genug zu dem auf folgenden Nachmittag angekündigten großen aerostatischen Schauspiele in Braunschweig seyn konnte, wenn man Sonntags früh aus Hildesheim fuhr, und das Mittags-Essen in Peina einnahm; so beschloß man, bis zum andern Morgen in jener merkwürdigen Stadt zu verziehn; Die Pferde wurden zurückgeschickt, weil sie in der Erndte nöthig waren, und man bestellte sich Postpferde.

Ein teutscher Original-Roman und ein teutsches Original-Schauspiel sind sehr geschmacklos, wenn nicht darinn von Mahlzeiten die Rede ist, und je weniger oft der Autor selbst zu verzehren hat, desto herrlicher läßt er die Personen seiner Schöpfung speisen und tränken. Ich hoffe daher, meine Leser werden mir's nicht ungnädig aufnehmen, daß ich mit unter sehr viel von den Magen-Angelegenheiten meiner Reisenden rede. Wir wollen ihnen nun noch in Hildesheim etwas Gebacknes zum Caffee reichen lassen, um sie für die schlechte Mittags-Tafel zu entschädigen, und dann mögen sie es aushalten, bis zum Abende, und sich unterdessen ein wenig in der Stadt umsehn. Würklich thaten sie das, giengen in den Dom, und von da in andere Kirchen und Klöster, begafften die Häuser, die ihrer Meinung nach schön gebauet waren, deuteten mit den Fingern auf alles, was ihnen merkwürdig vorkam, zogen vor jedem wohl gekleideten Manne die Hüte ab, und blieben voll Verwunderung stehn und sahen hinterdrein, wenn ihnen ein schmutziger Capuziner oder ein andrer Mönch begegnete.

Ermüdet von dem ungewohnten städtischen Steinpflaster, kehrten sie zurück in das Wirthshaus, und traten in das allgemeine Gastzimmer, dessen Fenster nach dem Hofe hinausgehen. Der Herr Amtmann forderte eine Bouteille Bier und Pfeifen; aber kaum hatten sie die Thür geöfnet, als ihnen ein so fürchterlicher Lerm entgegen tobte, daß sie zurückprallten, und gar nicht den Muth gehabt haben würden, einzutreten, wenn ihnen nicht ein Mann mit einer Baßstimme zugerufen hätte: »Nur näher Messiöß! es ist halt eine kleine Probe; Wenn Sie beywohnen wollen, viel Ehre! Sie mögen unser Publicum vorstellen; Setzen Sie Sich da hinter den Tisch!« Der Mann war ein kleiner, dicker Knirps von etwa funfzig Jahren, dunkelbraunen Angesichts, mit rollenden, etwas roth gefütterten Augen und ganz dünnen schwarzen Haaren. Er trug einen hellgrünen Rock, jetzt zum Frack eingerichtet, doch also, daß man noch an den verschiednen Nuancen der Farbe sehn konnte, wie er sich schon oft nach den Launen der Mode hatte hudeln lassen müssen, und wie er zuweilen mit langen, zuweilen mit kurzen Schößen, dann mit großen, und dann wieder mit kleinen Aufschlägen war versehn worden. Jetzt war er mit etwas geziert, das man einst am Hofe des Herzogs von Würtenberg und nachher, so oft es auf andern Kleidern gesessen, eine aufgeheftete Stickerey, tour appliquée genannt hatte. Unsre Gäste waren durch das Geräusch, welches in dem Zimmer herrschte, worinn sich, außer dem kleinen Herrn, noch viel Personen beyderley Geschlechts befanden, und durch einen fremden Anblick so betäubt, daß sie sich nur gleich auf die, ihnen angewiesenen Plätze hinsetzten, da dann der Dialog unter allen gegenwärtigen Menschen folgendermaßen fortgieng.

Ein ziemlich altes Frauenzimmer: »Ein Verbrechen! und mein Gewissen schweigt? und befiehlt mir zu beharren? Was ist ein Staatsverbrechen?«

Der alte Herr: »Wenn Du ›mein Gewissen‹ sagst, mußt Du den Zeigefinger auf die Herzgrube legen, aber nicht zu tief, sonst zeigt es den Magen an. Ich weiß nicht, Ihr Leute habt noch immer keinen Begriff von ächter Gesticulation. Nun wird geläutet; Wer läutet?«

Ein junger Mensch: »Ich!« (Er nimt ein Bierglas vom Tische und schlägt mit der Tobacspfeife daran)

Ein Andrer: »Was läutet man?«

Die Frau: »Es ist Mittag.«

Der Förster: (vor sich) »Es mag den Teufel seyn! Es ist meiner Six! bald sieben Uhr.«

Der Andre: »Diese Glocke läutet Euch kein gutes Zeichen.«

Die Frau: (ängstlich) »Ich ahnde es; ich weiß es; mir wird so bange – Albrecht.«

Der dicke Herr: »Lauter, lauter!«

Die Frau: (brüllt) »Albrecht! und Du verließest mich!«

Der dicke Herr: »Bravo.«

Musjö Valentin: (leise)»Papa! die Menschen sind toll; Lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen!«

Der Amtmann: (leise) »Herr Pastor! was bedeutet das?«

Der Pastor: (leise zum Amtmanne) »Ich glaube, es sind Mimi, Histriones, Commödianten-Volk.«

Der Andre: »Entschließet Euch!«.

Die Frau: »Ich bin ja entschlossen; hab's Euch ja oft gesagt, hab nie gewankt.«

Der dicke Herr: »Nun kömmt der neunte Auftritt.«

Ein Dritter: (tritt hervor) »Es ist Zeit!«

Der Andre: »Hört Ihr's?«

Die Frau: »Gott, was soll mir geschehn? – Wo ist Zenger? – o Albrecht!«

Der Dritte: »Soll ich!«

Der Andre: »Ja!«

Ein Vierter: (kömmt hinter dem Ofen hervor) »Herr Canzler! wißt Ihr, wie Schurken und Verräthern mitgefahren wird?«

Valentin: (leise) »Papa! Sie schimpfen.«

Der Andre: »Wozu diese Frage?«

Der Vierte: »Weil Ihr's an Euch selbst bald erfahren sollt. Folgt mir, gnädige Frau!«

Der Amtmann: (leise) »Es ist Eine von der Noblesse.«

Der dicke Herr: (rüttelt den auf dem Schenktische stehenden Messer-Korb und trommelt auf dem Tische) »Das war das Waffengetöse und Trommeln; Nun spricht Tuchsenhauser.«

Der Andre: »Verwegner! Agnes soll da bleiben, auf des Herzogs Befehl.«

Der Amtmann: »Excusiren Sie; hier hat niemand zu befehlen, als der Fürst Bischoff.«