Die Religion des Kapitals - Paul Lafargue - E-Book

Die Religion des Kapitals E-Book

Paul Lafargue

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Beschreibung

Der Kapitalismus hat fast jeden Winkel der Erde erobert, er ist das beherrschende System und den meisten Menschen scheint eine Alternative unvorstellbar. Warum eigentlich ist er so erfolgreich? Der berühmte Sozialist und Schriftsteller Paul Lafargue war sich sicher: Weil der Kapitalismus eine Religion ist – nicht irgendeine, sondern die effektivste. In seiner erstmals im Jahr 1886 veröffentlichten Satire »Die Religion des Kapitals« beschreibt er die Grundideen dieser Religion, ihre Herkunft und somit das Geheimnis ihres Erfolges. »Das Kapital ist der Gott, den alle Welt kennt, sieht, fühlt, riecht, schmeckt: er existiert für alle unsere Sinne. Er ist der einzige Gott, der noch auf keinen Atheisten gestoßen ist. …Das Kapital kennt weder Grenzen noch Nationalitäten, weder Rassen noch Geschlechter, es ist der internationale Gott, der Gott aller; er wird die Kinder der Menschen unter sein Gesetz beugen.«

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Seitenzahl: 64

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Vorbemerkung des Herausgebers

Paul Lafargue war nicht nur ein Wissenschaftler und Politiker, sondern auch Schriftsteller – davon zeugt in besonderer Weise die vorliegende Schrift »Die Religion des Kapitals«, die erstmals 1886 in Frankreich veröffentlicht wurde. Neben dem Witz und dem Spott, dem Tiefgang der Gedanken sowieso, ist schreibendes Experiment in ihr stilprägend. Lafargue spielt mit Text und Form. Einzelne Kapitel gleichen dem Werk eines Dramatikers, andere wiederum dem Stil des Neuen Testamentes.

Kein Wunder also, dass bei Lafargue ein philosophischer Text über das Wesen des Kapitals mit einer Szene beginnt, die auch die Exposition eines Theaterstückes darstellen könnte. In dieser beschreibt Lafargue ein fiktives Treffen der damaligen wirtschaftlichen, politischen und geistlichen Eliten in London. Deren Vertreter kommen aus aller Welt und sie eint die Suche nach der Antwort auf eine Frage: Wie lässt sich der Sozialismus und mit ihm die Freiheit der ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeiter verhindern?

Dieser Kongress, so lässt uns Lafargue wissen, dauerte zehn Tage und wurde zu einem Wendepunkt der Geschichte, denn zum Übel der Menschheit fanden diese Eliten eine bis heute wirksame Antwort, deren Kernidee hier dargelegt ist.

Inhalt

I. Der Londoner Kongress

II. Katechismus des Arbeiter

III. Die Predigt der Kurtisane

IV. Der Hohepriester oder

Andachtsbüchlein des Unternehmer

1. Die Natur des Gott-Kapital

2. Der Auserwählte des Kapital

3. Die Pflichten des Kapitalisten

4. Grundlehren der göttlichen Weisheit

5. Ultima Verba

V. Das Gebet des Kapitalisten

1. Das Gebet des Herrn

2. Glaubensbekenntnis

3. Der englische Gruß (Ave Miseria

)

4. Anbetung des Goldes

VI. Klagen Hiob Rothschilds, des Kapitalisten

Anmerkungen

I.

Der Londoner Kongress

Die Fortschritte des Sozialismus beunruhigen die besitzenden Klassen diesseits und jenseits des Ozeans immer mehr. Es sind daher vor einigen Wochen in London Männer aus allen Weltgegenden zusammengetreten, um gemeinsam zu beraten, welche Mittel am besten geeignet wären, um das bedrohliche Umsichgreifen der sozialistischen Ideen aufzuhalten.

Unter den Vertretern der kapitalistischen englischen Bourgeoisie bemerkte man Lord Salisbury, Lord Randolph Churchill, Chamberlain, Kardinal Manning, Charles Dilke und Herbert Spencer. Bismarck, der durch eine akute Alkoholvergiftung abgehalten war, hatte seinen Busenfreund, den Geheimen Rat Bleichröder, geschickt. Die Großindustriellen und Finanziers aller Länder, Vanderbilt, Gould, Rothschild, Soubeyran, Krupp, Stumm, Dollfus, Dietz-Monnin, Schneider, Herzog und Wörmann, waren entweder in Person anwesend oder hatten Vertreter geschickt. Noch nie hatte man in einer und derselben Versammlung Leute von so verschiedener Nationalität und Gesinnung sich so freundschaftlich die Hände drücken gesehen. Herr Ernst von Eynern setzte sich neben den Bischof Krementz, Gladstone und Salisbury gingen Arm in Arm mit Parnell auf und ab, Eugen Richter plauderte mit Herrn von Puttkamer, und Moltke unterhielt sich freundschaftlich mit Déroulède und Ranc über die Möglichkeit eines Revanchekrieges.

Die Sache, die sie zusammengeführt, gebot ihren persönlichen Gefühlen und ihren nationalen Eifersüchteleien Stillschweigen. Der päpstliche Legat ergriff zuerst das Wort: »Man regiert die Menschen sowohl durch die brutale als durch die geistige Macht. Früher war die Religion die magische Kraft, welche die Gemüter der Menschen beherrschte: sie gebot dem Arbeiter, sich nie zu empören, sie lehrte ihn, für den Schatten die Beute preiszugeben, sein irdisches Elend über den Traum von der himmlischen Glückseligkeit zu vergessen. … Aber der Sozialismus, der böse Geist der Neuzeit, treibt den Glauben aus den Köpfen der Menschen und nistet seine Lehre dafür ein; er kündet an, dass er aus der Erde ein Paradies machen werde, und dass das Glück nicht auf das Jenseits verschoben werden soll. Mit pestartiger Verführung ruft er dem Lohnarbeiter zu: ›Man bestiehlt dich! Auf, mach zu! Empöre dich!‹ Er bereitet die einst so gefügigen und unterwürfigen Arbeitermassen auf eine allgemeine Erhebung vor, welche die bevorrechtete Klasse beseitigen und die Familie aufheben wird, welche den Reichen ihr Eigentum nehmen wird, um es den Armen zu geben, welche die Kunst und die Religion zerstören und die Barbarei über die Erde bringen wird. Wie den Feind aller Zivilisation und allen Fortschritts bekämpfen? Welches sind die Waffen, die gegen den Sozialismus in Anwendung zu bringen sind? Fürst Bismarck, der Schiedsrichter Europas, der Nebukadnezar, der Dänemark, Österreich und Frankreich besiegte, ist von sozialistischen Schustern und Schneidern besiegt worden; die französischen Konservativen haben 1848 und 1871 gleich Fleischern Abertausende von Sozialisten niedergemetzelt und aus Paris ein Schlachthaus gemacht, und das Blut dieser Riesenschlächtereien ist der Tau gewesen, der den Sozialismus in allen Ländern sprießen ließ. Nach jedem Blutbad wächst der Sozialismus kräftiger empor. Das Ungeheuer hat die Probe der brutalen Gewalt überstanden. Was tun?«

Die Gelehrten und Philosophen in der Versammlung, Paul Bert, Ernst Häckel und Herbert Spencer, standen nacheinander auf und schlugen vor, den Sozialismus durch die Wissenschaft zu bändigen. Seine Eminenz, Herr Krementz, Erzbischof von Köln, zuckte die Achseln: »Aber Eure verfluchte Wissenschaft liefert ja den Sozialisten ihre schneidigsten Argumente.«

»Sie kennen die Naturphilosophie, die wir lehren, nicht«, erwiderte Herbert Spencer. »Unsere Entwicklungstheorie beweist, dass die niedrigere soziale Stellung der Arbeiter in den unveränderlichen Gesetzen der Natur begründet ist, und dass die Bevorrechteten der höheren Klassen sich fortgesetzt vervollkommnen und schließlich eine neue Rasse bilden werden. Die Menschen dieser Rasse werden in nichts jenen Bestien in Menschengestalt der niedrigeren Rasse gleichen, welche nur mit der Peitsche in der Hand zu regieren sind. …«1

»Möge Gott verhüten, dass Ihre Entwicklungstheorien jemals in der Arbeiterklasse bekannt werden; sie würden sie in Wut versetzen, sie zur Verzweiflung, diesem Anstifter aller Volksaufstände, treiben«, unterbrach ihn der Protestantenvereinler Baumgarten. »Sie sind in der Tat sehr naiv, wenn Sie sich einbilden, dass man Ihre enttäuschende Wissenschaft dem Sozialismus entgegensetzen kann, der den Arbeitern die Gleichheit der Güter und die volle geistige und körperliche Entwicklung aller Menschen verspricht. Wenn wir privilegierte Klasse bleiben und fortfahren wollen, auf Kosten der Arbeiter zu leben, dann müssen wir die Einbildungskraft befriedigen, und, während wir das Menschenvieh scheren, seinen Geist durch bezaubernde Märchen und Luftspiegelungen unterhalten. Die christliche Religion erfüllte diese Aufgabe wunderbar. Sie aber, meine Herren Freidenker, haben Sie ihres Glanzes entkleidet.«

»Sie haben Recht, wenn Sie eingestehen, dass Ihre Religion in Misskredit geraten ist«, warf ihm Paul Bert brutal entgegen, »sie verliert jeden Tag an Boden. Und wenn wir Freidenker, die Ihr ohne alle Überlegung angreift, Euch nicht unter der Hand unterstützten, obwohl wir den Dummen zuliebe uns die Miene geben, als bekämpften wir Euch, wenn wir nicht die Kultusbudgets bewilligten, so würdet Ihr und alle Priester, Pastoren und Rabbiner die heilige Bude abschließen und vor Hunger krepieren müssen. Man entziehe den Priestern ihre Bezahlung, und die Religion ist futsch. … Ihr beklagt Euch, dass wir nicht in die heilige Messe gehen; aber den Teufel auch, warum hat man uns eine so blöde Religion fabriziert! Mit dem besten Willen von der Welt kann ich nicht bekennen, dass ich daran glaube, dass eine Taube eine Jungfrau befruchtet habe, und dass aus diesem, wider alle Moral und Naturgeschichte verstoßenden Akt ein Osterlamm hervorgegangen sein soll, das ein beschnittener Jude wurde.«

»Ihre Religion steht nicht einmal mit den Regeln der Grammatik im Einklang«, setzte Herr Ménard-Dorian, der sich auf seine Sprachreinigung etwas zugutetat, hinzu. »Ein einziger Gott in drei Personen ist zu beständigen Barbarismen verurteilt, wie: ›Ich denken‹, ›ich schnäuzen uns‹, ›ich wischen uns‹ …«

»Meine Herren, wir sind nicht hier, um unsere Glaubensartikel zu diskutieren«, lenkte mit sanftem Vorwurf der Kardinal Manning ein, »sondern um uns mit der sozialen Gefahr zu beschäftigen. Sie können, Voltaire und andere wiederholend, die Religion verspotten und verhöhnen, aber Sie schaffen damit die Tatsache nicht aus der Welt, dass sie der beste moralische Zügel ist wider die Begehrlichkeiten und Leidenschaften der niederen Klassen.«