Die Rolle des Günstlings am europäischen Hof im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert - Benjamin Riebsamen - E-Book

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Benjamin Riebsamen

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Geschichte Europas - Neuzeit, Absolutismus, Industrialisierung, Note: 2,3, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Sprache: Deutsch, Abstract: In jeder Geschichtsepoche gab es Personen, die aufgrund unterschiedlicher Eigenschaften und Umstände in der besonderen Gunst ihres Herrschers standen und speziellen Einfluss auf dessen Politik und Entscheidungsgewalt nehmen konnten. Daher lässt sich das Phänomen der Günstlinge nicht auf eine spezifische Dekade oder ein spezifisches Jahrhundert limitieren.1 Die Forschung ist sich allerdings weitgehend einig, dass das 17. Jahrhundert als klassisches Zeitalter der Günstlinge betrachtet werden kann.2 Es soll an dieser Stelle noch darauf hingewiesen werden, dass es für den Begriff des Günstlings, wie an späterer Stelle noch dargestellt wird, verschiedene Bezeichnungen gibt.3 Im 17. Jahrhundert waren Günstlinge ein gesamteuropäisches Phänomen, welches auch in der Öffentlichkeit bekannt war. Daher kann durchaus von einer Art „Quasi- Institutionalisierung“ des Günstlingswesens im 17. Jahrhunderts gesprochen werden.4 Im Papsttum war dies auch de jure der Fall – das Amt des Kardinalnepoten stellte seit 1538 ein offizielles Amt dar und weist, wie unten noch gezeigt wird (↓ Kap. 3.3), in vielen Teilen Gemeinsamkeiten mit den Günstlingen der weltlichen Herrscher auf. Die Forschung beschäftigt sich seit Mitte der 1990er Jahre mit der Günstlingsthematik. Bereits 1974 erschien ein Aufsatz von Jean Bérenger5 zu diesem Thema. Dieser fand zum damaligen Zeitpunkt aber wenig Resonanz. Neben zahlreichen Einzelstudien über prominente Günstlinge wie Richelieu, Olivares und Buckingham stellt der 1999 erschienene Band „The world of the favourite“ einen wichtigen Beitrag zur Forschung dar.6 Des Weiteren erschien 2003 ein Band, mit dem Titel „Der zweite Mann im Staat, dessen Fokus auf deutschen Fällen liegt sowie das Werk „Der Fall des Günstlings“7, das sich mit unterschiedlichen Günstlingen in ganz Europa und vor allen Dingen mit deren Sturz befasst.

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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen
2.1 Der frühneuzeitliche Fürstenhof
2.1.1 Begriff und Funktionen.
2.1.2 Organisation und personelle Zusammensetzung.
2.1.3 Zeremoniell
2.1.4 Attraktivität des Hofes - Gunst.
2.2 Günstlinge: Aufstieg, Konsolidierung, Funktion und Fall
2.2.1 Historischer Abriss
2.2.2 Begriff und Charakteristika
2.2.3 Das Verhältnis zwischen Herrscher und Günstling
2.2.4 Machterhalt und Fall
3. Günstlingskarrieren
3.1 George Villiers (1592-1628), 1. Herzog von Buckingham.
3.1.1 Der Hof der Stuarts
3.1.2 Buckingham - ein typischer Günstling?
3.3 Der Kardinalnepot - die römische Sonderform des Günstlings
3.3.1 Gemeinsamkeiten mit dem Günstling
3.3.2 Die Spezifika des Kardinalnepoten
4. Der Widerhall in der Öffentlichkeit.
4.1 Öffentlichkeit und Legitimation.
4.2 Der Günstling im Drama
4.3 Der Günstling in der zeitgenössischen Theorie.
4.4 Reaktionen auf George Villiers
5. Resümee.

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1. Einleitung

In jeder Geschichtsepoche gab es Personen, die aufgrund unterschiedlicher Eigenschaften und Umstände in der besonderen Gunst ihres Herrschers standen und speziellen Einfluss auf dessen Politik und Entscheidungsgewalt nehmen konnten. Daher lässt sich das Phänomen der Günstlinge nicht auf eine spezifische Dekade oder ein spezifisches Jahr-hundert limitieren.1Die Forschung ist sich allerdings weitgehend einig, dass das 17. Jahrhundert als klassisches Zeitalter der Günstlinge betrachtet werden kann.2Es soll an dieser Stelle noch darauf hingewiesen werden, dass es für den Begriff des Günstlings, wie an späterer Stelle noch dargestellt wird, verschiedene Bezeichnungen gibt.3Im 17. Jahrhundert waren Günstlinge ein gesamteuropäisches Phänomen, welches auch in der Öffentlichkeit bekannt war. Daher kann durchaus von einer Art „Quasi-Institutionalisierung“ des Günstlingswesens im 17. Jahrhunderts gesprochen werden.4Im Papsttum war dies auch de jure der Fall - das Amt des Kardinalnepoten stellte seit 1538 ein offizielles Amt dar und weist, wie unten noch gezeigt wird (↓ Kap. 3.3), in vielen Teilen Gemeinsamkeiten mit den Günstlingen der weltlichen Herrscher auf. Die Forschung beschäftigt sich seit Mitte der 1990er Jahre mit der Günstlingsthematik. Bereits 1974 erschien ein Aufsatz von Jean Bérenger5zu diesem Thema. Dieser fand zum damaligen Zeitpunkt aber wenig Resonanz. Neben zahlreichen Einzelstudien über

1Vgl. Elliott, John H.: Introduction, in: Ders./Brockliss L. W. B. (Hrsg.): The World of the Favourite, New Haven u. London 1999, S. 2; vgl. auch Max Weber: “Die “Günstlings-Wirtschaft” ist jedem Patrimonialismus spezifisch”, in: ders.: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Fünfte, revidierte Auflage besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen 1972, S. 131.

2Vgl. Asch, Ronald G.: Schlußbetrachtung: Höfische Gunst und höfische Günstlinge zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit - 18 Thesen, in: Hirschbiegel, Jan/Paravinici, Werner (Hrsg.): Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. 8. Symposion der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ostfildern 2004 (Residenzenforschung, Bd. 17), S. 530; sowie Kaiser, Michael/Pĕcar, Andreas: Reichsfürsten und ihre Favoriten. Die Ausprägung eines europäischen Strukturphänomens unter den politischen Bedingungen des Alten Reiches, in: dies. (Hrsg.): Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit, Berlin 2003 (Zeitschrift für historische Forschung. Vierteljahresschrift zur Erforschung des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. v. Johannes Kunisch u. a.), S. 10; außerdem Reinhard, Wolfgang: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 167.

3Im Folgenden wird an der Bezeichnung „Günstling“ festgehalten.

4Vor allem für Spanien wird diese These vertreten, vgl. Asch, Ronald G.: „Lumine solis“. Der Favorit und die politische Kultur des Hofes in Westeuropa, in: Kaiser, Michael/Pĕcar, Andreas: Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit, Berlin 2003 (Zeitschrift für historische Forschung. Vierteljahresschrift zur Erforschung des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. v. Johannes Kunisch u. a.), S. 29.

5Bérenger, Jean: Pour une enquête européenne: le problème du ministériat au XVII. Siècle, in: Annales 29 (1974), S. 166-192.

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prominente Günstlinge wie Richelieu, Olivares und Buckingham stellt der 1999 erschienene Band „The world of the favourite“ einen wichtigen Beitrag zur Forschung dar.6Des Weiteren erschien 2003 ein Band, mit dem Titel „Der zweite Mann im Staat, dessen Fokus auf deutschen Fällen liegt sowie das Werk „Der Fall des Günstlings“7, das sich mit unterschiedlichen Günstlingen in ganz Europa und vor allen Dingen mit deren Sturz befasst.

Das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es herauszuarbeiten, wie Günstlinge in der Öffentlichkeit angesehen wurden. Es geht sozusagen um dasImageder Günstlinge zu ihrer Zeit. Da der Hof in der Frühen Neuzeit das wichtigste Regierungsorgan darstellte (und somit das Zentrum des frühneuzeitlichen Herrschens war), wird zunächst der Hof im Fokus der Betrachtung stehen. Unter Zuhilfenahme der aktuellen Forschungsergebnisse werden dann folgende Fragen bearbeitet: Wie wird der Hof definiert? Welche unterschiedlichen Bereiche umfasst der Begriff? Wer gehörte dem Hof an? Wie ist ein Hof strukturiert? Weiterhin sollen die Hauptfunktionen des Hofs sowie die verschiedenen Ämter und die Organisation des Hofes herausgearbeitet werden, um so die Attraktivität des Hofes deutlich zu machen. Anschließend wird, ebenfalls unter Zuhilfenahme der aktuellen Forschungsergebnisse, das Günstlingswesen selbst eingekreist: Wo liegen die Ursprünge? Wie kam es zu dem Aufstieg des Günstlings bzw. warum wurden Günstlinge notwendig? Was sind die Charakteristika des Günstlings? Welche Funktionen hatte er und worin lag seine Macht? Ferner wird beleuchtet wie das Verhältnis zwischen Günstling und Herrscher war, wie ein Günstling überhaupt zum Günstling wurde, was er tun musste, um seine Macht zu erhalten und schließlich, welches Schicksals die Günstlinge im Regelfall erwartete. Im weiteren Verlauf der Abhandlung folgt eine kurze exemplarische Darstellung zweier Günstlinge:

1. Als einer der prominentesten Vertreter der Gattung Günstling: George

6Elliott, John H./Brockliss L. W. B. (Hrsg.): The World of the Favourite, New Haven u. London 1999.

7Hirschbiegel, Jan/Paravinici, Werner (Hrsg.): Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. 8. Symposion der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ostfildern 2004 (Residenzenforschung, Bd. 17).

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2. Als Beispiel für einen deutschen Günstling: Adam Graf von Schwar-zenberg (1583-1641), Günstling Georg Wilhelms von Brandenburg

Danach werden die Funktionen und Aufgaben des Kardinalnepoten vorgestellt. Es werden Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zum Günstling herausgearbeitet. Ebenfalls soll erörtert werden, welche maßgeblichen Gründe die Päpste einerseits hatten, überhaupt einen solchen Vize-Papst ins Amt zu setzen, und warum dieser andererseits immer ein enger Verwandter des Papstes war.

Dem ersten deskriptiven bzw. exemplarischen Teil der Arbeit folgt dann die Analyse der Wirkung der Günstlinge in der Öffentlichkeit. Der Fokus liegt hierbei beim Herzog von Buckingham, dessen Widerhall eingehend anhand von Schmähschriften untersucht wird. Davor gilt es jedoch festzustellen, was „Öffentlichkeit“ in der Frühen Neuzeit überhaupt meint bzw. welchen Personenkreis es umschreibt. Weiter wird herausgearbeitet, wie Günstlinge sich selbst definierten, bzw. was sie unternahmen um ihre Ausnahmeposition zu legitimieren, etwa in Form von instrumentalisierter Presse oder durch die Förderung von Kunst. Im Mittelpunkt steht hier Vergleich zwischen Richelieu, Olivares und Buckingham. Bevor auf das konkrete Fallbeispiel Buckinghams eingegangen wird, erfolgt noch eine Analyse der zeitgenössischen Theorie mit Hauptaugenmerk auf dem Werk eines österreichischen Adligen, Georg Achatius Enenkel. Auch in der zeitgenössischen Literatur, den so genannten Favoritendramen spiegelt sich der Umgang mit der Person des Günstlings wieder.

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2. Grundlagen

2.1 Der frühneuzeitliche Fürstenhof

2.1.1 Begriff und Funktionen

Bereits im Mittelalter stellte die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Fürstenhof Gelehrte vor größere Probleme. So schrieb der englische Hofkleriker Walter Map, dass er zwar bei Hofe sei und auch vom Hof spreche, aber nicht wisse, was der Hof eigentlich sei. Weiterhin er beschreibt er den Hof weiter als eine unbegrenzte Menge, die auf das Prinzip ausgerichtet sei, einem einzelnen zu gefallen.8Der Historiker Werner Paravinici bezeichnet den Hof als „die wichtigste Institution politischer und kultureller Organisation Alteuropas“.9Einer Definition von Aloys Winterling zufolge ist der Hof eine Art „Interaktionszentrum mit variierendem Personenkreis, spezifischen Kommunikationsstrukturen und unterschiedlichen sozialen Funktionen“.10Dies allein macht schon deutlich, um was für ein komplexes System es sich bei dem frühneuzeitlichen Hof handelt. Im Hinblick auf das Thema der Arbeit soll an dieser Stelle das Hofleben dargestellt werden, um zu zeigen, wie Günstlinge das System des Hofs für sich nutzen konnten. Der Hof war de facto ein Gebilde, das mehrere Funktionen erfüllte. Um das Hofleben zu definieren, muss es aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Winterling gliedert die Bedeutung des Hofbegriffes in fünf Ebenen:

8Map, Walter: De nugis curialium. Courtiers’ trifles, hrsg. u. übers. v. Montague Rhodes James, überarbeitet v. C. N. Brooke u. R. A. B. Mynors, Oxford 1983 (Oxford Medieval Texts), S. 2, zitiert nach Hirschbiegel, Jan: Zur theoretischen Konstruktion der Figur des Günstlings, in: ders./Paravinici, Werner (Hrsg.): Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. 8. Symposion der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ostfildern 2004 Residen-zenforschung, Bd. 17), S. 31.

9Paravinici, Werner: Alltag bei Hofe, in: Ders. (Hrsg.): Alltag bei Hofe. 3. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Ansbach 28. Februar bis 1. März 1992, Sigmaringen 1995 (Residenzenforschung, Bd. 5), S. 9.

10Winterling, Aloys: Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit. Forschungsprobleme und theoretische Konzeptionen, in: Jacobsen, Roswitha (Hrsg.): Residenzkultur in Thüringen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Jena 1999 (Palmbaum Texte. Kulturgeschichte, Bd. 8), S. 40.

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1. In sachlich lokaler meint „Hof“ den Aufenthaltsort bzw. die Residenz eines

Herrschers („bei Hofe sein“)11

2. In sozialer Hinsicht: das Gefolge des Herrschers („Mitglied des Hofes sein“)12

3. In temporaler Hinsicht: die herausgehobene Lebensführung eines Herrschers

(„Hof halten“)13

4. In kommunikativer Hinsicht: besondere Verhaltensweisen in der Umgebung ei-

nes Herrschers (höfisches Verhalten)14

5. Die politische Ebene: Der Hof als oberste Regierungsbehörde15

Laut Winterling ist der Herrscher in allen Ebenen das zentrale Element. Alles ist auf seine Person gerichtet.

Funktional lässt sich der Hof ebenfalls in mehrere Ebenen einteilen. Grundsätzlich gibt es zwei Hauptfunktionen: Der Hof war sowohl Regierungssitz (politische Ebene) als auch fürstlicher Haushalt (sachlich, lokale Ebene).16Als Regierungssitz eines Landes war der Hof das Zentrum der Politik, dem die Administration und die zentrale Landesverwaltung unterstanden.17Er stellte somit das wichtigste Verwaltungszentrum des Königtums dar.18Infolgedessen fungierte der Hof als Instrument zur Präsentation von Souveränität, unter anderem auch um dem Adel die besondere Stellung des Herrschers zu demonstrieren.19Dazu diente vor allem das Zeremoniell. Die zweite Grundfunktion des Hofes umfasste die persönlichen Versorgung und den Schutz des Herrschers und seiner

11Siehe Winterling, Aloys: „Hof“. Versuch einer idealtypischen Bestimmung anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, in: Butz, Reinhardt/Hirschbiegel, Jan/Willoweit, Dietmar (Hrsg.): Hof und Theorie. Annäherungen an ein historisches Phänomen, Köln u. a. 2004 (Norm und Struktur. Studien zum Sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit, Bd. 22, hrsg. v. Gert Mellville), S. 78; außerdem Ders.: Fürstenhof, S. 37.

12Ebd.

13Ebd.

14Ebd.

15Ebd.

16Siehe Müller, Rainer A.: Hofstaat - Hofmann - Höfling. Kategorien des Personals an deutschen Fürstenhöfen der Frühen Neuzeit, in: Malettke, Klaus/Grell, Chantal (Hrsg.): Hofgesellschaft und Höflinge an europäischen Fürstenhöfen in der Frühen Neuzeit (15.-18. Jh.), Münster u. a. 2001 (Forschungen zur Geschichte der Neuzeit. Marburger Beiträge, hrsg. v. Peter Krüger u. Klaus Malettke, Bd. 1), S. 44.

17Vgl. Winterling: Fürstenhof, S. 38; Ders.: Hof, S. 85; Müller, Rainer A.: Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit, München 2004 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 33, hrsg. v. Lothar Gall), S. 3.

18Müller: Fürstenhof, S. 5.

19Vgl. ebd, S. 9; sowie Winterling: Fürstenhof, S. 39.

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Familie.20Werner Paravinici nimmt eine Einteilung des Hofes in fünf Grundfunktionen vor:

1. Organisation des täglichen Lebens21

2. Organisation des Zugangs und der Sicherheit22

3. Bewahrung des Prestiges des Fürsten23

4. Neutralisierung der Machteliten24

5. Regierung und Verwaltung des Staates25

Da die Aufgabe eines Herrschers darin lag, ein Volk zu führen, kann die Regierungsfunktion des Hofes gleichsam als die wichtigste Funktion betrachtet werden. Demgemäß ist die Versorgungsfunktion als notwendige Unterfunktion anzusehen, was allerdings ihre Bedeutung nicht schmälern soll. Die Versorgungsfunktion war voll und ganz auf den Herrscher ausgerichtet, d.h. seinen Wünschen musste Folge geleistet werden und der Zugang zu ihm musste kontrolliert und gesichert werden. Mit anderen Worten: das Verhaltensideal sollte dem entsprechen, was der Herrscher als ideal empfand. Das zentrale Kriterium war die vollkommene Ausrichtung des Hofes auf den Herrscher.26Im Folgenden soll nun die personale Zusammensetzung des Hofes und ihre Struktur erläutert werden.

2.1.2 Organisation und personelle Zusammensetzung

Der Hof war streng hierarchisch gegliedert, in der Art einer Sozialpyramide, mit dem Herrscher an oberster Stelle.27Die weitere Rangfolge wurde durch die Gunstvergabe des Herrschers bestimmt. So war die fürstliche Gunst bzw. Un-Gunst der entscheidende

20Siehe Müller: Fürstenhof, S. 3.

21Paravinici: Alltag, S. 10.

22Ebd.

23Ebd.

24Ebd.

25Ebd.

26Vgl. Hirschbiegel: Konstruktion, S. 31f.

27Müller: Hofstaat, S. 43f.

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Faktor bei der des hierarchischen Gefüges der Hofgesellschaft.28Grundsätzlich unterscheidet man zwischen dem „engen“ Hof der täglich anwesenden Personen und dem „weiten“ Hof der nur gelegentlich Anwesenden.29„Enger Hof“ meint diejenigen Personen, die dauerhaft bei Hofe sind. Das sind neben der fürstlichen Familie einerseits Bedienstete, die für die Organisation des Hofes benötigt werden, andererseits Adlige und Amtsträger, deren Amt oder spezifische Funktion die ständige Anwesenheit erfordert. Der „weite Hof“ trat bei offiziellen Anlässen wie einer Thronbesteigung, einer Hochzeit oder andere höfische Festlichkeiten zusammen. Hierzu gehörten Personen, die nicht ständig bei Hofe waren, dennoch aber der höfischen Gesellschaft angehörten. Die vertikale Rangfolge beschreibt Rainer A. Müller folgendermaßen: Die Mitglieder eines Hofes seien in drei Gruppen aufgeteilt: An oberster Stelle dieservi honesti,zu welchen Haus- und Hofkapläne, Räte, Ärzte und Notare zählen zu sind. Es folgen dieservi utiles:Hofmeister, klassische Hofämter und letztlich dieservi delectabiles:Musiker, Mimen und Narren.30Entsprechend der zwei Hauptfunktionen des Hofes besteht er aus zwei maßgeblichen Personengruppen. Die erste ist für die persönliche Bedienung des Herrschers und seiner Familie zuständig. Grob lässt sie sich in vier Bereiche gliedern, die Kumulation von Ämtern war hierbei keine Seltenheit: Kammer, Tafel, Keller und Stall, jedes war wiederum untergliedert.31Inhaber dieser Ämter genossen hohes Ansehen, da Herrschernähe ein Gradmesser höfischer Personalstruktur war. Die Bedeutung der Ämter variierte je nach Herrscher. Es kann jedoch festgehalten werden, dass das Amt des Marshalls eines der bedeutendsten war. Ihm waren als Chef der Hofverwaltung alle wesentlichen Hofämter unterstellt.32Weitere Schlüsselämter waren das des Stallmeisters33und, wie unten noch gezeigt wird, das des ersten Kammerdieners. Die staatlichen Ämter stellten die zweite Personengruppe des Hofes dar. Sie bestanden aus Hof- und Geheimem Rat, Hofkanzlei und Hofgericht.34Mitglieder eines oder mehrerer dieser Behörden standen ganz oben in der Sozialpyramide des Hofes. Der Geheime Rat beispielsweise stand in der Kollegienhierarchie an oberster Stelle und verhan-

28Ders.:Fürstenhof, S. 36.

29Winterling: Hof, S. 79; ders.: Fürstenhof, S. 37.

30Ebd., S. 5f.

31Vgl. ders.: Hof, S. 83; sowie ausführlich Müller: Fürstenhof, S. 5.

32Müller: Fürstenhof, S. 19f.

33Ebd., S. 22.

34Ebd., S. 18.

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delte Angelegenheiten von höchster Brisanz, in aller Regel saß der Fürst ihm persönlich vor.35

Die Erlangung eines Hofamtes erforderte sicherlich gewisse Fähigkeiten bzw. Qualifikationen, letztlich aber war, wie oben bereits erwähnt, die Gunst des Herrschers die zentrale Voraussetzung um ein Amt zu erhalten.36Der Soziologe Norbert Elias schreibt, die reale Position eines Menschen im Geflecht der höfischen Gesellschaft sei durch zwei Faktoren bestimmt worden: den offiziellen Rang und die aktuelle Machtposition bei Hofe, wobei letzterer eindeutig die größere Bedeutung beizumessen sei.37Daher kann konstatiert werden, dass derjenige, der es schaffte die meiste Gunst des Herrschers zu erlangen, höchstwahrscheinlich auch mit hohen Ämtern belohnt wurde; umgekehrt könnte bilanziert werden, dass die Inhaber der höchsten Ämter auch am höchsten in der Gunst des Herrschers standen. Im nächsten Kapitel wird allerdings gezeigt, dass dies keineswegs der Regelfall bei Günstlingen ist. Nichtsdestotrotz beizeichnete Elias die Mitglieder des Hofes folgerichtig als Menschen, deren soziale Existenz, nicht zuletzt auch deren Einnahmen, von ihrem Prestige, ihrer Bewunderung und ihrer Bewertung sowohl am Hof als auch in der höfischen Gesellschaft abhängig sei.38

2.1.3 Zeremoniell

Das höfische Leben war streng reglementiert durch ein - den kompletten Tagesablauf umfassendes - Zeremoniell. Am Beispiel des Hofes von Ludwig XIV. hat Norbert Elias das höfische Zeremoniell erstmals ausführlich dargestellt und erläutert.39Winterling bzw. Müller bezeichnen das Zeremoniell als „Regulations-, Sicherungs- und Überwachungsprozedur“ des Adels (Winterling), welches eine effektive propagandistische Bedeutung gehabt habe, mit der Funktion Normierung und Distanz zu wahren (Müller).40Aus heutiger Sicht erscheint der bis ins kleinste durchorganisierte rituelle Ablauf zeremonieller Handlungen bei Hofe mitunter befremdlich. Elias’ Darstellung deslever

35Ebd., S. 27.

36Siehe Winterling: Hof, S. 84.

37Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft, Darmstadt 19815(Soziologische Texte, Bd. 54), S. 122.

38Ebd.

39Siehe Anm. 27.

40Siehe Winterling: Fürstenhof, S. 31; bzw. Müller: Fürstenhof, S. 41.

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Ludwigs XIV., dessen Ablauf genau reglementiert war, ist dafür besonders signifikant.41Es begann damit, dass der König vom Kammerdiener, der zu seinen Füßen geschlafen hatte, geweckt wurde. Ferner gab es drei Kammerherren, die für das Frühstück sorgten und außerdem insgesamt sechs so genannteEntréesüberwachten - den exakt geregelten Eintritt ins königliche Schlafzimmer. Die Zugehörigkeit zu den jeweiligenEntréeshing von verschiedenen Kriterien ab. So war das erste das so genannteEntrée familière,an dem die Söhne und Enkel sowie auch der erste Arzt und die ersten Kammerdiener teilnehmen durften.42Innerhalb des zweiten, dritten und viertenEntréestraten verschiedene Adlige und Offiziere ein, denen diese Ehre zuteil war.43Das fünfteEntréemacht den Zusammenhang des Zeremoniells zum Thema der vorliegenden Arbeit besonders deutlich: Die Zulassung hierfür hing in gewisser Hinsicht Weise ausschließlich „von dem guten Willen des ersten Kammerdieners und natürlich von der Gunst des Königs“ ab. „Zu dieserEntréegehörten Damen und Herren von Adel, die in solcher Gunst standen, dass der Kammerherr sie eintreten ließ; sie hatten so den Vorzug, sich dem König vor allen anderen zu nähern.“44Eine Steigerung dazu bot das sechsteEntrée,bei dem das Schlafzimmer durch eine Hintertür betreten wurde. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe sei Ausdruck hoher Gunst gewesen, so Elias, da diese Menschen die königlichen Kabinette gewissermaßen zu jeder Zeit betreten durften.45Die Nutzfunktion deslevers,wie auch des Zeremoniells im Allgemeinen, war gewiss marginal46, das Beispiel zeigt aber die Funktion des Zeremoniells als Regulierungsinstrument herrscherlicher Gunst. Durch die Unterteilung in die unterschiedlichenEntréeskonnte Ludwig XIV. seine Gunst gezielt demonstrieren und gleichzeitig seine Stellung manifestieren. Demzufolge ist dem Zeremoniell auch eine durchgreifende propagandistische Bedeutung beizumessen.47Weiterhin zeigt dieses Beispiel, dass das Amt des Kammerherrn von entscheidender Bedeutung war, da es den Zugang zum König regelte und deshalb auch eine Schlüsselposition bei Hofe war.

41Elias: Gesellschaft, S. 126-129.

42Ebd., S. 127.

43Ebd.

44Ebd., S. 127f.

45Ebd., S. 128.

46Vgl. ebd., S. 129-132.

47Vgl. Müller: Fürstenhof, S. 41.