Die römische Republik - Lukas Thommen - E-Book

Die römische Republik E-Book

Lukas Thommen

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Beschreibung

Die Auseinandersetzung mit der römischen Republik eröffnet faszinierende Einblicke in die Formierung politischer Gemeinschaft, Staatenbildung und Herrschaftssicherung. Rom stellt ein beeindruckendes Beispiel für einen aristokratischen Staat dar, der zur Weltmacht expandierte, dabei fremde Völker aufnahm, schließlich aber in eine tiefe Krise geriet und einen Systemwechsel zum Kaisertum vollzog. Dennoch wurden bereits in der Republik die entscheidenden Grundlagen für die politischen und rechtlichen Errungenschaften gelegt, mit denen Rom die weitere Entwicklung Westeuropas nachhaltig prägte. Lukas Thommen zeichnet nicht nur die wichtigsten Ereignisse der römischen Republik von ihren Anfängen bis zur Ermordung Caesars und Ciceros nach, sondern behandelt auch wichtige Themenbereiche, wie das Bundesgenossen- und Provinzialsystem, die politischen Institutionen und die gesellschaftliche Gliederung des republikanischen Roms.

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Der Autor

Prof. Dr. Lukas Thommen forscht und lehrt an den Universitäten Basel und Zürich.

Lukas Thommen

Die römische Republik

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Umschlagbild: Senatus Populusque Romanus (SPQR) Inschrift, Rom, Piazza del Campidoglio (Foto: Fabianodp, iStock Photo ID 989569510).

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-040116-7

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-040117-4

epub:     ISBN 978-3-17-040118-1

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

 

 

 

1     Einleitung

Periodisierung

Staats- und Verfassungsbegriff

Forschungsgeschichte zur Verfassung und Gesellschaft Roms

Ziel

2     Die Anfänge Roms

Italische Grundlagen

Gründungslegenden

Königszeit und Etruskerherrschaft

Stadtwerdung

Frührömische Gesellschaft und Sozialstruktur

3     Begründung der Republik

Römische Geschichtsschreibung

Sturz des Königtums und Übergang zur Republik

Beginn des Ständekampfes

Provokationsrecht

Centurien- und Tribusordnung

4     Ständekampf und Ständeausgleich

Zwölftafelgesetz und Dezemvirat

Magistratur, Senat und leges Liciniae Sextiae

Versammlungsplätze

5     Eroberung und Organisation Italiens

Foedus Cassianum

Latinerkrieg und Samnitenkriege

Bundesgenossensystem in Italien

6     Politische Institutionen

Senat

Magistrate

Konsuln und Praetoren

Aedilen

Volkstribunen

Quaestoren

Censoren

Außerordentliche Magistrate: Interrex, Diktator und magister equitum

Volksversammlung

Centurienreform

Promagistrate

7     Römische Gesellschaft

Senatorenstand, Nobilität und Klientel

Ritterstand

Plebs

Sklaven und Freigelassene

Familie und Ehe

Rechtliche Stellung der Frau

Wertbegriffe

8     Eroberung der Mittelmeerwelt und Provinzialsystem

Rom und Messana

Erster Punischer Krieg (264–241 v. Chr.)

Zweiter Punischer Krieg (218–201 v. Chr.)

Die Makedonischen Kriege (215–168 v. Chr.)

Dritter Punischer Krieg (149–146 v. Chr.)

Provinzialsystem

Zerstörung Karthagos als Wendepunkt

9     Soziale Krise und die Gracchen

Ti. Sempronius Gracchus

C. Sempronius Gracchus

Popularen und Optimaten

10  Marius

Aufstieg im Krieg

Heeresreform

Rückschläge in Rom und Italien

M. Livius Drusus und der Bundesgenossenkrieg

11  Sulla

Laufbahn

Maßnahmen als Diktator 82/1 v. Chr.

Ausblick

12  Pompeius

Aufstieg

Neuordnung des Ostens

Rückkehr

Ende

13  Das Volkstribunat in der späten Republik

Soziale Herkunft und politische Ausrichtung

Gesetzgebung

Gerichtliche Anklagen

Handlungen im Senat

Interzessionen

Sullas Restriktionen und Ciceros Verteidigung

Topografie

14  Cicero und Caesar

Jugend

Aufstieg

Catilinarische Verschwörung

Triumvirat und Ciceros Exil

Ciceros Staatsphilosophie

Caesars Rückkehr und Diktatur

Ciceros Reaktion

Octavian und Ciceros Tod

Fazit

Anmerkungen

Literatur- und Quellenverzeichnis

Quellensammlungen

Antike Autoren

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Register

 

1          Einleitung

 

 

 

Im 8./7. Jh. v. Chr. schlossen sich einige kleine latinische Hügelsiedlungen am unteren Lauf des Tibers zu einer folgenreichen Gemeinschaft zusammen. Mit der Vereinheitlichung des Siedlungsgebiets der künftigen Stadt Rom hatte ein beispielhafter Aufstieg begonnen, der spätere Generationen immer wieder faszinierte. Das neu entstehende politische Zentrum in Mittelitalien stand gegen 600 v. Chr. zunächst unter dem Einfluss der Etrusker, die ihre Macht von der Toskana her weiter nach Süden ausdehnten. Unter der Zuwanderung aus weiteren angrenzenden Gegenden bildete sich in Rom eine neue herrschaftliche Schicht, welche die Macht nach anfänglichem Königtum um 500 v. Chr. unter sich aufteilte und ihr Territorium erfolgreich ausbaute.

In der Folge sind nicht nur die Etrusker selbst, sondern auch die anderen umliegenden italischen Völker von Rom zurückgedrängt bzw. vereinnahmt worden. Bis zum Jahre 270 v. Chr. war ganz Italien südlich des Arno an Rom gebunden und kurz darauf kam es zu den langjährigen Auseinandersetzungen mit dem punischen Karthago als der wichtigsten gegnerischen Macht im westlichen Teil der alten Welt. Im Jahre 201 v. Chr. erreichte die Stadt einen entscheidenden Sieg über die Punier und übernahm damit auch die Kontrolle über das ganze westliche Mittelmeer. Kurz darauf wurde sogar das östliche Mittelmeergebiet erobert, und unter Pompeius und Caesar erreichte das Imperium Romanum im 1. Jh. v. Chr. die Grenze von Rhein und Euphrat.

Die Herrschaftsausdehnung zur Zeit der Republik hatte freilich auch ihre Kehrseite. Durch die Vergrößerung des Machtbereichs waren die gemeindestaatlichen Strukturen und die aristokratische Regierung des Senats überholt worden, wurden aber keiner grundlegenden Revision unterzogen. Einzelpersönlichkeiten, die sich der Macht von Heereseinheiten bedienten, versprachen den Bürgern und Soldaten im 1. Jh. v. Chr. konkrete Lösungen existenzieller Probleme, wozu insbesondere Landzuweisungen gehörten. Die herausragende Position und der politische Anspruch dieser Politiker und Feldherren ließen sich schwerlich im Gefüge der alten Führungselite der Nobilität einbinden, sodass die Republik grundsätzlich gefährdet oder sogar »verloren« erschien: »Res publica amissa est«, wie es Cicero wiederholt ausdrückte,1 wobei gerade er bis zuletzt verbissen um den Erhalt der traditionellen Strukturen kämpfte. Nach der Ermordung Caesars im Jahre 44 v. Chr. und dem kriegerischen Nachfolgestreit sollte unter Augustus eine neue politische Ära beginnen, an deren Spitze fortan ein princeps stand. Die Republik wurde im Jahre 27 v. Chr. vom »Prinzipat« abgelöst, das die »Kaiserzeit« einläutete und Roms Existenz nochmals 500 Jahre lang sicherstellte.

Die Ursache der Größe Roms stellte schon beim römischen Schriftsteller Livius (59 v. Chr.–17 n. Chr.) eine Leitfrage dar. Roma aeterna (»Ewiges Rom«) wurde unter Augustus als erstem Kaiser zu einem Leitgedanken, der auch im Mittelalter und in der Neuzeit faszinierte. Sowohl das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als auch Napoleon knüpften an ihn an. Durch die Rezeption des römischen Rechts in Westeuropa wurde der römischen Rechtsidee ein dauerhaftes Nachleben gesichert. Sowohl das deutsche Kaisertum als auch das Papsttum konnten sich als Rechtsnachfolger der römischen Kaiser im Westen erachten.

In der Neuzeit erhielt aber auch die römische Republik wieder neue Bedeutung. In ihr wurde eine Mischverfassung mit »checks and balances« erkannt, die einer Volksherrschaft, wie sie in der athenischen Demokratie gegeben war, vorgezogen wurde.2 Die englischen Aufklärer des 17. Jhs. sahen in der Monarchie nach wie vor Vorteile. Thomas Hobbes verband die Demokratie mit Unordnung und einer ungerechten, entscheidungsschwachen Pöbelherrschaft (Leviathan 19), während John Locke das Volk über die Staatsform entscheiden lassen wollte und eine Mäßigung durch Gewaltenteilung forderte (Zwei Abhandlungen über die Regierung 2,132. 143–148). Dementsprechend galt die Demokratie auch in der »Glorious Revolution« (1688/89), welche das Zusammenspiel von König und Parlament regelte, als Grundlage für Chaos und Anarchie. Erst im 18. Jh. stellte der schottische Philosoph David Hume die Idee einer repräsentativen Demokratie in den Vordergrund.3

Die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung setzte in den 1770er-Jahren ebenfalls auf republikanische Freiheit und Stabilität. Auch in der Französischen Revolution von 1789 rückte nicht die Demokratie ins Zentrum, da Frankreich dafür allein schon durch seine Größe als ungeeignet erschien und ein Repräsentativsystem nach dem Muster der römischen Republik als adäquater galt.4 Der Revolutionär Gracchus Babeuf, der sich gegen die Regierung des Direktoriums wandte (1795–1799), orientierte sich an den römischen Volkstribunen, welche die Interessen des Volkes wahren sollten, und trat entsprechend für eine republikanische Verfassung ein. Somit hatte die römische Republik insgesamt eine geeignete Vorlage für die atlantischen Revolutionen abgegeben und die daraus resultierenden modernen Verfassungen mitgeprägt.

Abb. 1: Archaisches Rom, Modell im Museo della Civiltà Romana, Esposizione Universale di Roma (E.U.R.); links Iuppitertempel, davor Forum Boarium und Holzbrücke (Pons Sublicius), Mitte Palatin.

Periodisierung

Allgemein hat sich in der modernen Literatur eine Dreiteilung der Republik eingebürgert:5

1.  Die frühe Republik bzw. das Zeitalter der Ständekämpfe (509–287 v. Chr.), in denen ein Ausgleich zwischen Patriziern und Plebejern erreicht und ein großer Teil Italiens unterworfen wurde.

2.  Die klassische oder mittlere Republik (287–133 v. Chr.), in der die Mittelmeerwelt vereinnahmt wurde.

3.  Die späte Republik bzw. das Zeitalter der Krise, das früher auch als Zeitalter der Revolution bezeichnet wurde (133–27 v. Chr.).

Das Ende der Republik hat sich schon mit dem Einmarsch Caesars in Italien (49 v. Chr.) und dessen Diktatur (48 v. Chr.) angekündigt, die dann zu einer Dauerherrschaft mutierte. Auf Caesars Ermordung (44 v. Chr.) folgte eine Phase der Bürgerkriege, die sich mit dem Regime des Triumvirats (43 v. Chr.) verband und mit der entscheidenden Schlacht von Actium (31 v. Chr.) endete, bis dann Octavian im Jahre 27 v. Chr. zum Augustus erhoben wurde. Für die Zeit vor 500 v. Chr. wird von der Königszeit oder auch sachgemäßer vom archaischen Rom gesprochen, in der es zu einer Zuwanderung von Etrurien und anderen umgebenden Gebieten gekommen war und die Grundsteine für eine expansive Herrschaftsbildung gelegt wurden.

Während der Zeit der Republik ergab sich jeweils ein folgenreiches Spannungsverhältnis zwischen Innen- und Außenpolitik.6 In der Frühzeit stand der neu entstehende patrizische Geschlechterstaat in Rivalität mit den umliegenden Städten und Völkern. Zudem war er im Innern mit dem Ständekampf zwischen den Patriziern und Plebejern beschäftigt. Er hatte daher nur geringe außenpolitische Ambitionen und verfolgte zunächst eine beschränkte territoriale Hegemonie, die sich auf die unmittelbare Umgebung konzentrierte. Die Erfolge der Plebejer im Ständekampf bewirkten ab 367 v. Chr. die Entstehung einer neuen patrizisch-plebejischen Führungsschicht, der sog. Nobilität. Diese ermöglichte ab der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. eine dynamische Außenpolitik und Expansion, die sich in den Jahren 340–270 v. Chr. mit der Eroberung Italiens verband. Dabei wurden zunächst die Latiner (338 v. Chr.), dann die Samniten (291 v. Chr.) und schließlich die übrigen Stämme Mittel- und Unteritaliens Rom unterworfen.

Die sog. klassische Republik schloss an das Ende des Ständekampfes (287 v. Chr.) an und basierte auf dem baldigen Abschluss des letzten Samnitenkrieges (272 v. Chr.). In der anschließenden Phase, deren Dauer bis zum Jahre 133 v. Chr. festgelegt wird, schottete sich die Nobilität als Führungselite ab und die staatlichen Institutionen wurden kaum noch erweitert. Gleichzeitig gelang es aber, ein Weltreich zu erobern: In den Jahren 264–201 v. Chr. wurden die Punier ausgeschaltet, was die Beherrschung des westlichen Mittelmeeres zur Folge hatte; in den Jahren 200–167/146 v. Chr. wurden den Makedonen und Seleukiden Niederlagen beigebracht und damit auch das östliche Mittelmeer machtpolitisch eingenommen. Die Expansion während der klassischen Republik hatte dazu geführt, dass die innere Ordnung lange Zeit gestützt und bestätigt wurde.

Dennoch entstand ein Missverhältnis zwischen Weltherrschaft und stadtstaatlich-aristokratischer Ordnung. Dies führte in der Folge zu einer Zeit der Krise und inneren Unruhen, die im Jahre 133 v. Chr. mit Tiberius Gracchus einsetzte und mit Caesar bzw. Augustus endete. Damals kamen die Auswirkungen der strukturellen Veränderungen im Rahmen des Imperiums zum Tragen und führten zur Auflösung der republikanischen Ordnung. Die Außenpolitik konzentrierte sich vermehrt auf die Sicherung des Herrschaftsgebiets und dessen Verwaltung. Zur Lösung der militärischen Aufgaben war es jedoch nötig, langfristige Kommandos für einzelne Feldherren zu vergeben. Diese banden die zunehmend berufsmäßig operierenden Soldaten an ihre Person, wodurch die Heeresklientel zu einem gewichtigen Faktor wurde. Dies trug zum Zerfall der traditionellen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse bei, sodass daraus ein Bürgerkrieg und schließlich die Alleinherrschaft des princeps resultierten.

Staats- und Verfassungsbegriff

Der Historiker Polybios (ca. 200–120 v. Chr.) sah in der römischen Verfassung (politeia) einen wesentlichen Erfolgsfaktor der Römer, denen der Aufbau eines Weltreiches gelungen war. Die römische Republik besaß jedoch keine geschriebene Verfassung, sondern nur seit jeher überlieferte, traditionelle Regeln, die als mosmaiorum (»Sitte der Vorfahren«) bezeichnet wurden: »Er [mos maiorum] enthielt alle das öffentliche Leben betreffenden Grundsätze über die Zuständigkeiten der Staatsorgane, die Regeln ihres Handelns und das Verhältnis zwischen Amt und Amtsträger, d. h. die Ämterordnung schlechthin.«7 Diese Dinge konnten im Konfliktfall auch durch Gesetze (lex/leges) geregelt werden, ohne dass die Gesetze aber je in ein einheitliches System integriert worden wären. Christian Meier spricht im Anschluss an Cicero (rep. 2,2 f.) von einer gewachsenen Verfassung und stellt fest:

»Die römische Republik kannte kein in rechtlichen Kategorien zu fassendes Institutionengefüge, das sich – unsern Verfassungen entsprechend – aus dem Ganzen ihrer Ordnung herauslösen ließe.«8

Neben dem Fehlen einer Verfassungsurkunde ist auch die Absenz eines prägnanten Staatsbegriffs bezeichnend. Im Zentrum stand der Begriff res publica, die »öffentliche Sache«, im Gegensatz zu res privata. Res publica bezeichnet aber auch den nichtmonarchischen Freistaat im Gegensatz zum regnum, dem »Königtum« mit absolutem Gewaltmonopol. Die Selbstbezeichnung der Römer lautet populus Romanus oder auch senatus populusque Romanus (SPQR) und umfasst das Gesamtvolk, also Patrizier und Plebejer, die der durch Rechtsgesetze gefügten Ordnung unterstanden. Der Name des Staates benennt somit nur den Souverän und enthält keinen Hinweis auf die Verfassungsform.9

Der Aufbau des Staates wurde von den Römern mit dem Begriff constitutio umschrieben. Diese enthält gemäß Cicero »erstens eine gewisse Ausgewogenheit der Rechte (aequabilitas), welche freie Männer nicht längere Zeit entbehren können, zweitens aber Stetigkeit (firmitudo), weil jene Grundformen leicht in die ihnen entgegengesetzten Fehler umschlagen, so dass aus dem König ein Gewaltherr wird, aus den Aristokraten (optimates) ein Parteiklüngel (factio), aus dem Volk eine Masse und ein wüstes Durcheinander, und weil die Grundformen selbst oft in neue Formen hinüberwechseln. Dies geschieht in dieser die Grundformen verbindenden, im rechten Maß gemischten Verfassung (permixta constitutio) in der Regel nicht außer bei großen Fehlern der führenden Männer. Denn es besteht kein Grund zu einer Umwälzung, wo jeder fest an seinem Platze steht und kein Abgrund lauert, in den er gleiten und stürzen kann« (rep. 1,69).

Cicero lehnt sich hier in den Auseinandersetzungen der späten Republik an das griechische Modell des Verfassungsumschwungs an, wie es Aristoteles im 4. Jh. v. Chr. formuliert hatte. Um den Wechsel der Verfassungen zu verhindern, ist es nötig, Teile der Monarchie, Aristokratie und Demokratie zu mischen (sog. Mischverfassungstheorie). Entscheidend sind »ihre Autorität kraft Alter und Bewährung, ihr die gesellschaftlichen und staatsorganisatorischen Kräfte ausbalancierendes Gleichmaß (aequabilitas), ihre die Freiheit bewahrende Aufgabe bzw. Funktion und ihre dauerhafte Beständigkeit (firmitudo).«10 Auch wenn diese Bedeutung von constitutio in der Antike nicht mehr weiterverfolgt wurde, war Cicero damit bereits in die Nähe des modernen Verfassungsbegriffs gerückt.11

Dieser wurde allerdings erst im 18. Jh. bedeutsam, als sich das Bürgertum gegen den monarchischen Absolutismus richtete. Im Kampf gegen Feudalismus und eigenmächtige Fürsten traten Forderungen nach Gleichheit und Menschenrechten ins Zentrum. Bei den daraus resultierenden Verfassungen handelte es sich um eigentliche »Herrschaftskompromisse«. Diese führten Frieden zwischen verschiedenen Konfliktparteien herbei, indem allgemein gültige Rechtsnormen festgelegt wurden.12 Die römische Republik und die darin herrschende Freiheit für den Einzelnen erhielten dabei Vorbildcharakter.

Forschungsgeschichte zur Verfassung und Gesellschaft Roms

In der Renaissance hatte eine neue Beschäftigung mit der Erbschaft der einstigen Großmacht Rom begonnen. Livius war schon um 1300 zu neuen Ehren gekommen und im 16. Jh. wurden auch die von Plutarch dargestellten »großen Einzelpersönlichkeiten« wieder zu Vorbildern erhoben. Niccolò Machiavelli (1469–1527) interessierte sich sowohl für die Ursprünge als auch den Aufstieg Roms und beschäftigte sich dementsprechend mit der ausführlichsten Quelle zum frühen Rom, den ersten zehn Büchern des Livius (Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio). Dabei fragte er nach dem Wesen der Republik als zentraler Regierungsform, in der die Kriegführung und Religion eine entscheidende Rolle spielten. Besonderes Interesse galt den Prinzipien von Herrschaft, die anhand von römischen Königen, Feldherren, Diktatoren und Kaisern abgehandelt wurden und in einer eigenen Schrift über die Rolle des Herrschers (Il principe) zur Darstellung kamen.

In Frankreich verfasste Montesquieu 1734 seine Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence. Er betonte darin den Wert der Gesetze, die bei den Römern zentralen Stellenwert erlangt hatten. Damit trat erstmals die Verfassungsfrage in den Vordergrund, sodass Rom nicht mehr nur unter moralisierender Sicht thematisiert wurde. Montesquieu hatte aber auch schon erkannt, dass Rom an bestimmte Dimensionen gebunden war und die Ausdehnung des Imperiums zum Untergang führte. Die Gesetze hätten unter den Kaisern nicht mehr ausreichend korrigiert werden können. Somit konnten sie für Montesquieu auch nicht mehr den Fortbestand der freiheitlichen Grundstrukturen garantieren.

Eine entscheidende Vorgabe für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Rom machte dann Barthold Georg Niebuhr, der im Jahre 1811/12 eine Römische Geschichte verfasste, die in zwei Bänden erschien. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern stellte seine Darstellung der römischen Republik keine Nacherzählung von Livius’ Universalgeschichte dar. Vielmehr übte er an der widersprüchlichen Überlieferung historische Kritik, freilich oft noch ohne befriedigende Lösungen zu finden. In sein Werk flossen in neuer Weise zahlreiche Analogien und Gegenwartsbezüge ein. Da Niebuhr mit seiner Quellenkritik auf die Forschung des 19. Jhs. große Wirkung ausübte, gilt er oft auch als Begründer der modernen deutschen Geschichtsschreibung.13

Die monumentalsten Forschungen zu Rom legte in der Folge Theodor Mommsen (1817–1903) vor. Er war von Hause aus Jurist und daher für die Darstellung des römischen Rechts prädestiniert. Sein Wirken bezog sich jedoch auf alle Bereiche der Altertumswissenschaft von der Philologie über die Historie bis hin zur Numismatik und Epigrafik. Mommsen war u. a. maßgeblich an dem bis heute zentralen Inschriftenwerk Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) beteiligt. Als ursprünglich begeisterter Anhänger der 1848er-Revolution war er von einer Epoche des Umbruchs und neuen Verfassungsdenkens geprägt, das sich mit der Verwirklichung moderner Staatlichkeit verband. 1854–1856 legte Mommsen drei Bände über die Römische Geschichte vor, die mit einer Verherrlichung von Caesar endete. In ihm sah Mommsen einen ungekrönten Volksmonarchen, der mit den ungelösten Problemen und korrupten Verhältnissen der ausgehenden Republik aufräumte.14

Die größte Leistung Mommsens war aber seine Abhandlung Römisches Staatsrecht, die von 1871–1888 in drei Bänden erschien. Obwohl die Römer keine Kodifikation des Staatsrechts kannten, ist es Mommsen gelungen, eine systematische Darstellung aller Dinge des öffentlichen Rechts vorzunehmen. Die Systematik erhielt dabei den Vorrang vor dem Historischen. Zentral in Band 1 ist die Charakterisierung der Magistratur, die den Oberbegriff für alle staatlichen Ämter darstellt. Die Magistratur wurde grundlegend mit den Begriffen imperium und potestas gefasst, wobei imperium die unbeschränkte militärische, jurisdiktionelle und polizeiliche Amtsgewalt der obersten Magistrate zum Ausdruckt bringt und potestas die Befugnis zu rechtswirksamen Handlungen, insbesondere Befehle und Zwangsmaßnahmen, umfasst. Band 2 wendet sich ausführlich den einzelnen Magistraturen zu, während Band 3 die Bürgerschaft und den Senat abhandelt. Mommsen folgte damit einer Dreiteilung der politischen Gewalt in Magistratur, Senat und Volksversammlung, die schon antike Autoren wie Polybios (6,11) vorgegeben hatten und die bis in die heutigen Darstellungen erhalten geblieben ist.

Eine neue Forschungsrichtung beschäftigte sich im frühen 20. Jh. mit der Führungsschicht und deren vielfältigen Nah- und Treueverhältnissen. Voraussetzung dazu war die prosopografische Arbeit von Friedrich Münzer von 1920 über die Römische(n) Adelsparteien und Adelsfamilien. Diese basierte auf Münzers zahlreichen Artikeln über Einzelpersonen in dem großen altertumskundlichen Lexikon Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Als bahnbrechend hatte sich auch die Frankfurter Habilitationsschrift von Matthias Gelzer aus dem Jahre 1912 erwiesen: Die Nobilität der römischen Republik. Diese beleuchtet die Führungsschicht der Römer und ihre Beziehungen untereinander, im Hinblick auf politische Gruppenbildung. Dabei hebt Gelzer die Bedeutung der verschiedenen Treueverhältnisse hervor. Dazu gehört erstens das Nahverhältnis (Verwandtschaft), zweitens das Schutzverhältnis (patrocinium, geprägt von clientes als Abhängigen) und drittens das Freundschaftsverhältnis (amicitia). Insgesamt zeigt sich, dass die Klientelverhältnisse die Machtgrundlage der Nobilität bildeten.

Eine ausgedehnte Materialsammlung zur Wirtschafts- und Sozialstruktur erarbeitete Tenney Frank 1933–1940 in seinem fünfbändigen Economic Survey of Ancient Rome. Dabei betrachtete er die ungelösten ökonomischen Probleme als Ursache für den Untergang der Republik. Einen wichtigen Beitrag zu den politischen Gruppierungen der späten römischen Republik stellte in der gleichen Zeit der Lexikonartikel von Hermann Strasburger über die »Optimates« dar, der 1939 in Paulys Realencyclopädie erschien. Er machte klar, dass Optimaten und Popularen keine politischen Parteien verschiedener Gesellschaftsschichten waren, sondern Interessengruppierungen innerhalb der Nobilität und deren internen Auseinandersetzungen bildeten. Populare Politiker haben sich gemäß Strasburger nur des Volkes bedient, um selbst Macht zu erlangen und nicht, um die politischen Verhältnisse in ihren Grundzügen zu verändern. Ihre Zusammensetzung und Techniken hat dann Christian Meier 1965 in demselben Lexikon (Suppl. 10) im Artikel »Populares« ausführlich umrissen.

In diesem Zusammenhang ist auch das nach wie vor aktuelle Buch von Christian Meier aus dem Jahre 1966 entstanden, das den Titel Res publica amissa trägt. Aufbauend auf den Forschungen zu den Nah- und Treueverhältnissen in der Nobilität legte Meier eine umfassende Analyse zu den politischen Gegebenheiten in der späten Republik und den Ursachen von deren Scheitern vor. Dabei hob er den Gegensatz zwischen der gemeindestaatlichen Verfassungsform und dem Weltreich hervor und unterstrich die mangelnde Anpassungsfähigkeit von Senat und Nobilität, welche die anstehenden Probleme nie konsequent anzupacken bereit waren. Da eine grundsätzliche Veränderung des Systems von niemandem gewünscht wurde, sprach Meier von einer »Krise ohne Alternative«.15

Im englischsprachigen Raum erklärte Peter A. Brunt in seinem Werk Social Conflicts in the Roman Republic von 1971 den Untergang der Republik mit dem Konsensverlust in der Gesellschaft, da in ihr unterschiedliche und konkurrierende Interessen entwickelt wurden. Der Senat habe kurzfristige Eigeninteressen vertreten und an Autorität verloren, weil er Probleme, die durch die Expansion entstanden waren, nicht zu lösen vermochte. Dies erweckte den Ruf nach führenden Personen, welche die Probleme schließlich eigenmächtig anpackten. Erich S. Gruen betonte demgegenüber in seinem umfassenden Buch The Last Generation of the Roman Republic von 1974, dass die Republik im 1. Jh. v. Chr. trotz der mächtigen Kommandanten und ihren Armeen nicht wirklich in Schieflage war, da niemand deren Beseitigung suchte. Das Ende sei erst durch den Bürgerkrieg nach Caesars Tod herbeigeführt worden.

Über diese Ansätze hinaus verwies Jürgen von Ungern-Sternberg in einem Aufsatz von 1998 auf das Problem der Legitimität: »Die Wirkung der Weltherrschaft war eine andere: Sie enthob die herrschende Elite, die Nobilität, des Zwangs zum Kompromiss aus außenpolitischen Rücksichten. Die sich aufstauenden sozialen Probleme führten zu einem Legitimitätsverlust«.16 Schließlich hat Wolfgang Bölsel 2015 in seinem Überblickswerk zur römischen Republik drei weitere Gründe für den Niedergang aufgeführt, nämlich die mangelnde Integration und Repräsentation der Italiker im römischen Staat, die prekäre Versorgung der Legionäre und die vernachlässigten militärischen Fähigkeiten der führenden Kreise, welche einzelnen Feldherren die Möglichkeit zu persönlichem Machtausbau eröffneten.17

Die Sozialgeschichte hatte schon in den 1960er und 70er-Jahren neuen Auftrieb erhalten, wozu dann insbesondere Géza Alföldy (1975/2011) beitrug. Die Forschungen bezogen sich damals vermehrt auf die Unterschichten, zu denen neben Sklaven und Freigelassenen die Plebs in ihrer Gesamtheit zählt. In seinem Werk Italian Manpower 225 B.C.–A.D. 14 von 1971 beschäftigte sich Peter A. Brunt mit grundlegenden Fragen der römischen Bevölkerung und befasste sich dabei eingehend mit Bevölkerungszahlen und Heeresstärken. Die Plebs wurde in der Folge auch von weiteren Forschern – darunter Wilfried Nippel (1988/1995) und Cyril Courrier (2014) – nicht mehr als Pöbel abgetan, sondern unter soziologischen Kriterien in ihrem Stellenwert in der res publica sinnfällig ergründet. In neueren Forschungen wurden nicht nur die Agrarfrage und die Lebensumstände der Plebs weiterverfolgt, sondern auch die Kommunikationsformen mit dem Volk untersucht, wobei die Rhetorik eine prominente Rolle spielt.18

Weitere Arbeiten zur römischen Gesellschaft haben seit der zweiten Hälfte des 20. Jhs. tiefere Aufschlüsse über den Senatoren- und Ritterstand sowie das Klientelwesen ergeben.19 Ernst Badian, der sich 1958 mit Foreign Clientelae befasst hatte, wandte sich wie Claude Nicolet, der die französische Forschung auf dem Gebiet der Republik anführte, der Schicht der Ritter (equites) zu.20 Diese waren insbesondere als Staatspächter (publicani) in Erscheinung getreten und hatten damit bedeutende Aufgaben für den Staat wahrgenommen, wenn auch zum Teil in explizit eigenem Interesse, sodass ihre Bedeutung sowohl in einem Korrektiv als auch in einer stabilisierenden Ergänzung zum Senatorenstand gesehen wurde.

Die Verfassungsgeschichte hatte in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. im Anschluss an das Werk von Mommsen auch die Frage nach der Verfassungswirklichkeit gestellt. Dabei wurden die staatlichen Gremien über ihre verfassungsmäßigen Kompetenzen hinaus in das politische Kräftefeld eingeordnet, wozu in erster Linie Jochen Bleicken (1975/1995) beigetragen hat. Das Handbuch von Wolfgang Kunkel und Roland Wittmann von 1995 erörtert systematisch die Staatsordnung und Staatspraxis der Römischen Republik. In weiteren Studien wurden die einzelnen Magistraturen und Formen der Volksversammlung vertieft untersucht. Dabei stellte sich die Frage nach den politischen Beteiligungsmöglichkeiten des Volkes und dessen Rolle bei den Wahlen.21 Neuere Forschungen fragten darüber hinaus im Anschluss an Paul Veyne (Le pain et le cirque 1976) vermehrt nach symbolischen Interaktionsweisen bzw. eingespielten Ritualen, insbesondere zwischen Volk und Regierenden. Dies dient wesentlich dazu, die eigentlichen Machtverhältnisse und Mechanismen der Herrschaftssicherung zu verdeutlichen.

Egon Flaig sah in der römischen Volksversammlung trotz ihres Schlussentscheides kein Entscheidungsorgan, sondern ein Konsensorgan, das in der Regel vorgefassten Anträgen zugestimmt hatte.22 Karl-Joachim Hölkeskamp ist mehrfach der These des Briten Fergus Millar aus den 1980er-Jahren entgegengetreten, wonach die römische Republik eine Demokratie dargestellt hätte (The Crowd in Rome in the Late Republic 1998). Dabei hat er sich in seinen Untersuchungen zur politischen Kultur insbesondere dem »symbolischen Kapital« der Führungsschicht zugewandt, welche auf verschiedenen Ebenen mit Erfolg die Erinnerung (memoria) an die Leistungen ihrer Vorfahren aufrechterhielt und mit dem Volk in einer »rituell-performativen« Interaktion stand.23 Diese kulturgeschichtlichen Aspekte sind zuletzt auch in die Überblickswerke zur politischen Ordnung von Uwe Walter und Henrik Mouritsen aus dem Jahre 2017 eingegangen.

Über die Verfassungs- und Sozialgeschichte hinaus wurde seit den 1990er-Jahren die Geschlechtergeschichte einbezogen, um die Rolle der Bürger und Bürgerinnen in der Familie und Gesellschaft zu erfassen.24 Die Sozialgeschichte ist zudem durch Alltags-, Erfahrungs- und Kulturgeschichte ergänzt bzw. abgelöst worden. Diese neueren Forschungsansätze konzentrieren sich auf kleinräumige Lebenswelten und bemühen sich um eine Re-Individualisierung, »indem sie die Aufmerksamkeit weniger auf Strukturen […] und Kollektivphänomene als auf die darin eingebundenen, leidenden und handelnden Menschen lenken«.25 In diesem Zusammenhang ist in jüngerer Zeit wieder ein vermehrtes Interesse an »Großen Männern« und ihren Handlungsspielräumen zu beobachten. Diese sind auch im vorliegenden Buch nicht zu übersehen, sollen aber nicht nur die individuellen Verhaltensweisen beleuchten, sondern auch zur Erklärung übergeordneter Zusammenhänge und Entwicklungen beitragen.

Ziel

Dieses Überblickswerk beginnt mit einem Blick auf die Anfänge Roms und dessen Gründerfiguren, die für das kulturelle Gedächtnis der Römer prägend wurden. Zudem stellen zahlreiche Entwicklungen und Einrichtungen aus der Königszeit für die Republik eine folgenreiche Grundlage dar. Die Überwindung des Königtums galt im Verlauf der Republik als zentrales Ereignis, auf das in politischen Auseinandersetzungen immer wieder Bezug genommen wurde, um das System vor neuen Angriffen zu bewahren.

Der weiteren Darstellung liegt die traditionelle Dreiteilung der republikanischen Zeit zugrunde, wobei aber auch eine Verbindung von Chronologie und Systematik angestrebt wird. Beabsichtigt ist, unter Beibehaltung eines chronologischen Grundrasters einzelne Sachphänomene systematisch und zeitlich übergreifend abzuhandeln. Dadurch soll der grundsätzliche Charakter der Verfassungs- und Sozialordnung besser zur Geltung kommen, aber auch deren gegenseitige Durchdringung deutlich werden. Dies erlaubt, die Interdependenz von Innen- und Außenpolitik im Auge zu behalten, die sich gerade für die römische Republik als prägend erwiesen hat.

Die Konzentration auf politische und soziale Aspekte hat indes zur Folge, dass wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Aspekte im Hintergrund bleiben. Ausgeklammert bleibt auch das Zeitalter der Bürgerkriege nach der Ermordung von Caesar, in dem die alten republikanischen Strukturen auseinanderbrachen und sich schließlich ein neues Regime abzeichnete.

In diesem Werk geht es darum, die Grundzüge der römischen Politik und Gesellschaft sowie deren Wandel über die lange Epoche von 500 Jahren verständlich zu machen. Zudem eröffnet die Beschäftigung mit der römischen Republik Einblicke in die Formierung politischer Gemeinschaft, Staatenbildung und Herrschaftssicherung. Rom stellt ein beeindruckendes Muster für einen aristokratischen Staat dar, der zu einer Weltmacht expandiert und dabei »exemplarisch« fremde Völker in sich aufnimmt, schließlich aber in eine Krise gerät und einen Systemwechsel vollzieht. Unter den Kaisern erfährt das Reich zwar nochmals eine längerfristige Stabilisierung, ist dann aber doch dem Untergang geweiht. Dennoch sind schon in der Zeit der Republik die entscheidenden Grundlagen für die politischen und rechtlichen Errungenschaften gelegt worden, mit denen Rom die weitere Entwicklung Westeuropas nachhaltig prägte.

Das Buch ist so angelegt, dass jedes Kapitel eine geschlossene Einheit bildet. In diesen werden Grundlagen vermittelt, die auch als Ausgangspunkt für eine weitergehende Beschäftigung mit den betreffenden Themen dienen können. Dazu sind die bedeutendsten Quellen in Klammern in den Text eingefügt und weiterführende Literaturangaben in den Endnoten angebracht. Wenn bestimmte Ereignisse oder Sachverhalte in einer ganzen Reihe von Quellen belegt sind, wird wiederholt auf die umfassenden Angaben in T. R. S. Broughton, The Magistrates of the Roman Republic (MRR), verwiesen, für die späte Republik auch auf die Quellensammlung von A. H. J. Greenidge, A. M. Clay und E. W. Gray, Sources for Roman History (GCG). Am Ende des Buches folgt eine thematisch gegliederte Bibliografie in der Reihenfolge der vorangegangenen Kapitel.

 

2          Die Anfänge Roms

 

 

 

Italische Grundlagen

Die Gebietsbezeichnung »Italien« geht vermutlich auf den altmediterranen Begriff für einen jungen Stier (vitelos/vitulus) zurück. Sie bezog sich anfänglich nur auf das Siedlungsgebiet der einheimischen Oinotrier im südlichen Kalabrien und wurde dann von den benachbarten Griechen und Samniten auf das ganze Territorium südlich von Poseidonia (Paestum) ausgedehnt. Die Auffassung von einer größeren geografischen Einheit entstand erst infolge der römischen Eroberung, die sich bis um 270 v. Chr. an die südliche Spitze der stiefelförmigen Halbinsel erstreckte und im Norden bis zur Linie von Pisa bis Ancona reichte.1 Noch nicht dazu gehörten die Po-Ebene und der ager Gallicus, der sich südlich des Flusses Rubicon entlang der Adriaküste zog. In diese Gebiete waren die Kelten um 400 v. Chr. eingewandert und hatten von dort aus Rom gebrandschatzt (Liv. 5,39–43). In der zweiten Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. wurde schließlich auch dieses Gebiet von den Römern erobert, sodass sich daraus die Provinz Gallia Cisalpina entwickelte, die im Jahre 41 v. Chr. in das römische Kernland »Italia« integriert wurde.

Im frühen 1. Jt. v. Chr. gab es auf dem Gebiet des italischen Stiefels mehrere Kulturen und Sprachen. Um Bologna war die Villanova-Kultur angesiedelt, aus der sich die Etrusker entwickelten. Diese standen unter fremden Einflüssen, insbesondere der Griechen, waren aber nicht geschlossen von Lydien eingewandert, wie das Herodot (1,94) glauben machen will. Die Etrusker verwendeten eine nicht-indoeuropäische Sprache, die zwar entziffert, aber nicht immer verständlich ist. Im 8. Jh. v. Chr. ist die Ausbildung mehrerer Städte zu verzeichnen, aus denen sich später in der Toskana ein Zwölfstädtebund entwickelte (Strab. 5,2,2). Dieser erinnert an den Zwölfstädtebund in Ionien, umfasste aber wohl mehr als zwölf Städte und bildete eine »Amphiktyonie« (Bund) um das Heiligtum der Voltumna bei Volsinii (Orvieto?).2 Jährlich bestimmte der Bund einen Vorsteher (Praetor) mit zwölf Liktoren, wie sie dann auch bei den Römern festzustellen sind (Diod. 5,40,1; Dion. Hal. 3,61,2; Liv. 1,8,3).3

Im 7. Jh. v. Chr. unternahmen die Etrusker einen Vorstoß nach Süden bis Kampanien, wo Capua das Zentrum bildete und gewannen daraufhin in Rom bestimmenden Einfluss. Um 540 v. Chr. erreichten die Etrusker einen territorialen und machtpolitischen Höhepunkt. Zusammen mit den Karthagern vertrieben sie bei Alalia (Korsika) die aus Phokaia eingetroffenen Griechen (Hdt. 1,166 f.), worauf die Karthager auch auf Sardinien siedelten und eine neue Konkurrenz bildeten. Einen entscheidenden Rückschlag erlitten die Etrusker im Jahre 474 v. Chr., als Hieron von Syrakus die etruskische Flotte bei Kyme besiegte (Pind. Pyth. 1,72–75; Diod. 11,51,1 f.). In dieser Zeit hatte die Etruskerherrschaft auch in Rom geendet, während sie sich in der Po-Ebene noch weiter ausbreitete.

Neben den Etruskern existierten mehrere italische Völker, die seit dem 12. Jh. v. Chr. zugewandert waren und eine indogermanische Sprache sprachen. Dazu gehörten die älteren Latino-Falisker, die in historischer Zeit Latium und Falerii am Tiber bewohnten, wobei sich die Latiner am Unterlauf des Flusses niedergelassen hatten. Daneben siedelten die Umbro-Sabeller, die nach sprachlichen Gesichtspunkten bzw. dem Oskischen auch Osko-Umbrer genannt werden und zahlenmäßig überlegen waren.4 Die meisten Stämme dieser Gruppe wohnten im Apennin, darunter die Umbrer, Sabiner, Marser, Volsker, Aequer, Samniten, Kampaner, Lukaner und Bruttier.5

In Unteritalien und Sizilien machte sich seit dem späteren 8. Jh. v. Chr. die griechische Kolonisation bemerkbar. Von Chalkis auf Euböa aus wurde zuerst Pithekussai (Ischia) besiedelt, von wo aus Kyme (Cumae) als Nachfolgesiedlung auf dem Festland angelegt wurde (Strab. 5,4,7. 9). Ein Grund dafür war das Metall, da in Etrurien Eisen und Kupfer zu beziehen waren und auch Handel mit Zinn betrieben

Abb. 2: Die etruskischen Gebiete zur Zeit ihrer größten Ausdehnung mit den Städten des Zwölfstädtebundes.

wurde. Kyme vermittelte den Etruskern und Römern schließlich das chalkidische Alphabet, aber auch religiöse Einrichtungen, rechtliche Vorstellungen und griechische Stadtkonzeptionen. Unter den zahlreichen Orten, welche die Griechen in Unteritalien besiedelten, befanden

Abb. 3: Sprachen in Italien im 4. Jh. v. Chr.

sich Neapolis (Neapel), Poseidonia (Paestum), Taras (Tarent), Sybaris, Kroton (Crotone), Metapontion (Metapont), Lokroi Epizephyrioi (Locri) sowie Rhegion (Reggio Calabria) an der Meerenge zu Sizilien, an deren Gegenküste Zankle (Messina) lag. In Etrurien gab es griechische Viertel in den Hafenstädten von Caere (Cerveteri) und Tarquinii (Tarquinia). Zudem gelangte griechische Ware auch nach Rom, wie entsprechende Funde aus dem 8. Jh. v. Chr. auf dem Forum Boarium zeigen.6

Gründungslegenden

Für Rom existierten unterschiedliche Gründungsgeschichten, die einerseits auf den Trojaner Aeneas, andererseits auf Romulus zurückführten. Mit Aeneas wurde der Ursprung Roms an den griechischen Mythos angehängt und in den griechischen Kulturkreis eingebunden. Der Trojaner Aeneas soll nach der Zerstörung von Troja (um 1200 v. Chr.) durch die Griechen über Makedonien und Sizilien nach Latium gelangt sein (Liv. 1,1), wobei er beim augusteischen Dichter Vergil auch in Karthago, der künftigen Gegnerin Roms, Station gemacht hatte (Verg. Aen. 4,1–583). In Latium heiratete er Lavinia, die Tochter des Königs Latinus, und gründete Lavinium, das zu einem zentralen Heiligtum des latinischen Städtebundes wurde.

Aeneas soll auch den Ort Pallantium besucht haben (Verg. Aen. 8,126–369), der vom Arkader Euander auf dem Palatin gegründet worden war (Liv. 1,5; Dion. Hal. 1,31; 2,1,3), sodass von Rom der Eindruck einer griechischen Stadt entstand. Aeneas’ Sohn Ascanius legte dann Alba Longa an, welches den Hauptort des latinischen Stammes bildete und das Heiligtum des Iuppiter Latiaris als Gott des Latinerbundes beherbergte. Ein weiterer Hauptort des Latinerbundes war Aricia mit seinem Dianaheiligtum, das später nach Rom auf den Aventin als neues Zentrum verlegt wurde (Liv. 1,45).

Als zweite Gründungslegende kursierte das urtümliche Geschehen um Romulus, der einen eponymen Gründer verkörpert (Liv. 1,4,1–7). Dieser trägt keinen historischen Namen, sondern erklärt den Stadtnamen Roma, der sich vom etruskischen Namen »Rume/Rumele« ableitet.7 Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Remus soll Romulus als illegitimes Kind der Ilia (= Rhea Silvia), Königin von Alba Longa, die von Mars vergewaltigt worden war, in einem Nachfolgestreit ausgesetzt und am Ufer des Tibers von einer Wölfin gerettet worden sein. Als die Brüder später an dieser Stelle eine Stadt anlegen wollten, gerieten sie in einen Streit, bei dem Remus erschlagen wurde, sodass Romulus zum eigentlichen Gründer Roms wurde. Er befestigte den Palatin und baute die Stadt weiter aus (Liv. 1,7,3. 8,4).

Das Geschehen setzt in dieser Legende zwar deutlich später ein, wurde von griechischen Autoren aber direkt mit der Aeneasgeschichte verknüpft. Sie gestalteten Romulus als entfernten Nachkommen des Aeneas und schoben zwischen Aeneas und der römischen Republik das Königreich von Alba Longa ein. Als Datum für die Stadtgründung wurde von Varro im 1. Jh. v. Chr. schließlich jenes Jahr errechnet, das 753 v. Chr. entspricht, wobei daneben noch weitere Daten geltend gemacht wurden, nämlich 814/3 v. Chr. (Timaios) und 728 v. Chr. (Cincius Alimentus; Dion. Hal. 1,74,1).

Beim Gründungsdatum 753 v. Chr. handelt es sich um eine Konstruktion, die vom Jahre 509/8 v. Chr. als dem Ende der Königszeit und dem Anfang der Republik ausgeht. Die römische Frühzeit wurde mit sieben »Königen« zu durchschnittlich 35 Regierungsjahren ausgestaltet. Diese Herrschaftszeit ist mit 245 Jahren allerdings viel zu lang, sodass die Königszeit wohl mehr Namen umfasst oder erst später eingesetzt haben dürfte. Die Könige sollen alle wesentlichen Einrichtungen geschaffen und den Machtanspruch auf die Herrschaft über Latium erhoben haben. Alba Longa wurde vom dritten römischen König Tullus Hostilius (Mitte 7. Jh. v. Chr.) angeblich zerstört und die Einwohner nach Rom umgesiedelt (Liv. 1,29).8 Dabei ergab sich ein weiteres sagenhaftes Geschehen, nämlich der Kampf zwischen den Horatiern aus Rom und den Curatiern aus Alba Longa – zwei Drillingspaaren, die schworen, den Kampf unter sich auszutragen, um eine Schlacht zu vermeiden. Besonders dramatisch war, dass Horatius als Sieger seine Schwester umbrachte, da sie mit einem Curatier verlobt war und um diesen trauerte (Liv. 1,24).

Schwierig zu bestimmten ist das genaue Alter der zwei Gründungsgeschichten, die möglicherweise beide ins 5. Jh. v. Chr. zurückführen, wobei Remus als Konkurrent des Romulus aber erst in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. auftaucht, als sich in Rom eine doppelte Führung von zwei Konsuln etabliert hatte.9 Die Wölfin stellt einen unsicheren Anhaltspunkt dar, auch wenn sie als heiliges Tier des Mars, des Stammgottes der Römer, galt. Für die bekannte Bronzestatue der »Kapitolinischen Wölfin« mit vollen Zitzen wurde ein Datum aus dem frühen 5. Jh. v. Chr. vermutet, während eine Metallanalyse heute eine mittelalterliche Datierung nahelegt und die beiden Säuglinge erst in der Renaissance dazukamen.10 Zum ersten Mal dargestellt sind die Zwillinge auf römischen Münzen aus dem Jahre 269 v. Chr.

Abb. 4: Römische Wölfin, frühmittelalterliche Bronzefigur mit frühneuzeitlichen Zwillingen, Kapitolinische Museen Rom.

Die Königsreihe von Alba Longa ist erstmals im späten 3. Jh. v. Chr. bei Fabius Pictor zu fassen, der sich wohl auf den vorangegangenen griechischen Schriftsteller Diokles von Peparethos bezog (Plut. Rom. 3).11 Aeneas war zum ersten Mal im 5. Jh. v. Chr. bei Hellanikos von Lesbos und Damastes von Sigeion als Gründer von Rom erwähnt worden und hat sich dann bei Vergil (Aen. 1,278 f.) endgültig als Begründer der Weltherrschaft etabliert. Auf dem Palatin wurden schon in republikanischer Zeit die Hütte des Romulus und auf dem Forum dessen Grab verehrt, während mit dem Lupercal (Wolfshöhle) und dem Ficus Ruminalis (Feigenbaum) an den Ort der Ankunft und Aufzucht der Zwillinge erinnert wurde.12

Königszeit und Etruskerherrschaft

Die Römer waren ursprünglich ein Teil der Latiner, gerieten aber im späteren 7. Jh. v. Chr. unter den Einfluss der Etrusker, deren Vertreter die politische Spitze bzw. Könige stellten: Tarquinius Priscus, sein Schwiegersohn Servius Tullius (aus dem Sabinerland) und Tarquinius Superbus. Die etruskischen Städte standen ebenfalls unter der Herrschaft von Königen, wobei das Königtum jedoch schon voretruskisch war und rex eine indogermanische Bezeichnung darstellt. Die römischen Könige wurden angeblich durch einen von den Patriziern gewählten Interrex (Zwischenkönig) bestimmt, dürften aber auch anhand von religiösen Vorzeichen eingesetzt worden sein (Inauguration).13 Sie folgten somit keinem Erbkönigtum und stammten ursprünglich alle von auswärts, wobei es sich um aristokratische Kriegsherren (»condottieri/warlords«) mit bewaffneter Gefolgschaft handelte.14

Aufgrund der göttlichen Bestimmung hatten die Könige sakrale Rechte, sodass noch zur Zeit der Republik der rexsacrorum als Opferkönig fungierte. Der König war ursprünglich aber nicht nur oberster Priester, sondern auch oberster Feldherr und Richter. Ihm waren die sog. Zweimänner für Hochverrat (duumviri perduellionis) beigeordnet, die eine gewisse selbständige Tätigkeit ausübten und auch noch zur Zeit der Republik amtierten (Liv. 1,26,5–7).15 Neben ihm gab es einen königlichen Beirat bzw. Adelsrat, aus dem dann der Senat hervorging. Dieser bestand wohl vorwiegend aus den Häuptern der führenden (»patrizischen«) Familien (gentes), die aus verschiedenen Gegenden zugezogen waren. Dabei handelte es sich um einen Reiteradel (equites), welcher die berittene Gefolgschaft des Königs verkörperte.

Die frührömische Elite hatte verschiedene Standesabzeichen. Die führenden »Väter« (patres), die in der Republik den Stand der Patrizier bildeten, kennzeichneten sich durch einen Goldring (anulus aureus), einen Purpurstreifen (clavus) auf der Tunika, einen kurzen Reitermantel (trabea), Schuhwerk mit Riemen (calceus patricius) und Zierscheiben aus Edelmetall (phalerae).16 Die Insignien der etruskischen Könige wurden später von siegreichen Feldherren beim Triumphzug auf das Kapitol verwendet, nämlich die Purpurtunika, der Wagen, die Goldkrone und das (Elfenbein-)‌Szepter mit einem Adler.17 Auch die Amtsinsignien der römischen Magistrate sind etruskischen Ursprungs (Liv. 1,8,3). Der Amtssessel (sella curulis) leitet sich von dem königlichen Richtstuhl auf dem Wagen (currus) ab; der Purpurstreifen auf der Toga galt für »kurulische« Magistrate ab der kurulischen Aedilität – wobei letztere als Ordnungsamt allerdings erst im Jahre 367 v. Chr. eingeführt wurde (Liv. 6,42,14); die Rutenbündel (fasces) der Liktoren, welche die Obermagistrate begleiteten, verkörperten die Amtsgewalt, die mit dem Begriff imperium umrissen wurde.

Die Einteilung der römischen Bürgerschaft in drei Tribus basierte auf den etruskischen Namen Ramnes, Tities, Luceres. Der große Tempel auf dem Kapitol (Iuppitertempel), der nach dem Sturz des letzten Königs im Jahre 509 v. Chr. geweiht worden sein soll (Liv. 1,55 f.; 2,8,6–8), ist ein tuskanischer Dreizellentempel; in seiner monumentalen Form wurde er aber möglicherweise erst nach den Zerstörungen durch die Gallier (387 v. Chr.) errichtet.18 Rom stand zwar unter etruskischem Einfluss und wahrte eine kulturelle Kontinuität, war aber nie etruskisch geworden. Umgekehrt sind auch in etruskischen Städten latinische Einwirkungen festzustellen, sodass insgesamt ein reger Austausch herrschte. Aufgrund der Zuwanderung zeichnete sich in Rom jedoch eine neue Führungsschicht ab, die in der Republik bestimmendes Profil gewann.

Abb. 5: Fundamente des Iuppitertempels auf dem Kapitol.

Stadtwerdung

Die Theorie der Stadtwerdung wendet sich gegen einen einheitlichen Gründungsakt, wie ihn Livius (1,6,3 f. 8,4) schildert. Gemäß diesem hätte Romulus auf dem Palatin den Bau einer Stadt vorgenommen, der entsprechenden Gründungsriten folgte und von einer sakralen Stadtgrenze begleitet wurde (1,44,4). Dabei handelte es sich um ein etruskisches Gründungsritual, bei dem eine Ackerfurche um die Stadt gezogen wurde, die in Rom die urbs von dem ager Romanus trennte (Plut. Rom. 11). Für die Stadt wurde die Trennung in den zivilen städtischen Bereich (domi) und den militärischen außerstädtischen Bereich (militiae) konstitutiv. Der Bereich des pomerium wurde schon in der Antike von post murum (»außerhalb der Mauer«) oder ponere murum (»Mauer bauen«) abgeleitet, war aber nicht mit dem Verlauf einer Stadtmauer identisch.19 Diese wurde in Rom erst dem König Servius Tullius (Mitte 6. Jh. v. Chr.) zugeschrieben (Liv. 1,44,3), der nach Romulus generell als eine Art zweite Gründerfigur fungierte.

Siedlungsspuren gibt es in Rom schon in der Bronzezeit bzw. seit dem 2. Jt. v. Chr., in erster Linie auf dem Esquilin und Kapitol. Im 10./9. Jh. v. Chr. existierten eisenzeitliche Gräber auf dem Forum und Palatin sowie Hütten auf dem Palatin und Quirinal. Ab der Mitte des 8. Jhs. v. Chr. wurden Gräberfelder auf dem Esquilin und Quirinal angelegt.20 Bestattungen innerhalb des Stadtgebietes hörten am Ende des 8. Jhs. v. Chr. auf. Im späteren 7. Jh. v. Chr. schlossen sich demnach entweder verschiedene Siedlungen auf einzelnen Hügeln am Tiber zusammen (sog. Synoikismos) oder die Siedlung auf dem Palatin dehnte sich unter den Etruskern aus. Einerseits wurde mit einer ursprünglichen Zweiteilung gerechnet, bei der sich die Römer als Latiner (auf dem Palatin) und die Sabiner (auf dem Quirinal) vereinigt haben sollen (Varr. l.l. 5,51); andererseits wurde auch schon an eine Dreiteilung gedacht, die sich an den drei Tribus Ramnes (auf dem Palatin) als Römer, Tities (auf dem Quirinal) als Sabiner (eine oskisch-umbrische Volksgruppe) und Luceres (auf dem Caelius) als Etrusker orientiert.21 Demgegenüber muss die Tribusordnung aber eher als einheitliche Neuformation im werdenden Gemeinwesen gesehen werden.22

Die geografische Lage Roms zeichnete sich durch die Küstennähe im Zentrum Italiens aus. Die Grenzlage zwischen dem etruskischen und dem latinischen Bereich barg zwar gewisse Gefahren, bot aber auch besondere Chancen. Der Ort war insofern verkehrsgünstig, als die Salzstraße (Via Salaria) von der Küste ins Landesinnere über Rom führte und sich hier eine Tiberfurt befand, durch welche die Straße zwischen Etrurien und Kampanien verlief (Plin. nat. 31,89). Mit dem Forum Boarium (Rindermarkt) besaß die Stadt einen geeigneten Handelsplatz am Tiber. Auf diesem wurden sowohl lokale Keramik als auch griechische Scherben aus dem 8. Jh. v. Chr. gefunden. Im 6. Jh. v. Chr. kam eine Kultstätte mit einem Tempel (Mater Matuta) hinzu, die heute unter der Kirche Sant’Omobono liegt.23

Abb. 6: Forum Boarium; Hercules Victor-Tempel, um 120 v. Chr.

Dieses Forum bildete zunächst einen Umschlagsplatz für Vieh und Salz, aber kein eigentliches Wirtschaftszentrum, da der gewerbsmäßige Handel erst in späterer Zeit an Bedeutung gewann. Der Bau der ersten Tiberbrücke (Pons Sublicius) sowie die Gründung von Ostia an der Tibermündung wird König Ancus Marcius in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. v. Chr zugeschrieben (Liv. 1,33,6. 9). Die Stadtanlage von Ostia ist in dieser Zeit aber archäologisch noch nicht fassbar. Der Ort besaß zunächst nur einen Flusshafen und wurde erst im 1. Jh. n. Chr. unter Kaiser Claudius mit einem Hafenbecken ausgestattet.24

Wichtige Schritte der Stadtwerdung erfolgten in Rom unter den etruskischen Königen. Das Kapitol diente zusammen mit der Arx (Burg) sowohl als Festung als auch als Königssitz und religiöses Zentrum. Tarquinius Priscus (Ende 7./Anfang 6. Jh. v. Chr.) errichtete am südlichen Fuß des Palatins den sog. Circus Maximus für öffentliche Veranstaltungen (Liv. 1,35,8). Das Forum war nach der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. entwässert, aufgeschüttet und gepflastert worden.25 Somit bildete es einen öffentlichen Platz und wurde allmählich zum städtischen Zentrum. Gegen 600 v. Chr. wurde an der Stelle der späteren Regia an der Ostseite des Forums ein erster Baukomplex errichtet, der als sakraler Sitz des Königs gedient haben dürfte.26 Kurz darauf folgte ein Gebäude mit Dachziegeln im Bereich des Comitiums, möglicherweise die Curia Hostilia als Senatsgebäude, das dem dritten König, Tullus Hostilius (Mitte 7. Jh. v. Chr.), zugeschrieben wird.27 Am Anfang des 6. Jhs. v. Chr. fügte sich eine Vulkankultstätte beim sog. Lapis Niger an, wo auch das königliche Sakralrecht festgehalten wurde.28 Im Comitium sind zudem bald Ansätze eines Stufenbaus zu erkennen, auf dem später die Rednerbühne (sog. Rostra) zu liegen kam.29

Abb. 7: Circus Maximus, am Fuße des Palatin (links).

Servius Tullius wird für das mittlere 6. Jh. v. Chr. die Neukonzeption der Stadt (urbs) – nach Gegenden und Hügeln – in vier Teile zugeschrieben (Liv. 1,43,13; Varr. l.l. 5,45–54). Diese Vierregionenstadt hatte aber nichts mit einer Einteilung nach einem rechtwinkligen Raster oder den Himmelsrichtungen zu tun, da die Stadt allmählich gewachsen war. Vielmehr diente die Vierteilung der Administration, die sich auf vier neue, städtische Tribus stützte (Palatina, Collina, Esquilina, Suburana). Eigentliche Gründungsriten, zu denen das Ziehen einer sakralen Stadtgrenze (pomerium) gehörte, wurden möglicherweise erst jetzt durchgeführt.30

Unklar ist, inwieweit bereits eine Stadtmauer bestand, da die sog. Servianische Stadtmauer erst aus dem 4. Jh. v. Chr. stammt und im Fundament auch einige Steinblöcke aus dem 6. Jh. v. Chr. enthält. Die teilweise noch erhaltene Mauer wurde nach der Gallierkatastrophe, also dem Einfall der Kelten nach Rom, errichtet und umfasste ein ungewöhnlich großes Gebiet von 426 Hektar, was auf mindestens 20 000–30 000 Einwohner schließen lassen könnte.31 Für das 6. Jh. v. Chr. erscheint diese Zahl allerdings als zu hoch oder nur für das gesamte römische Gebiet zutreffend, auch wenn gerne immer wieder mit »La Grande Roma dei Tarquini« gerechnet wird.32 Tarquinius Priscus soll in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. schließlich mit dem Bau der Cloaca Maxima begonnen haben (Liv. 1,56,2), deren monumentale, überwölbte Gestaltung aber wiederum erst ab dem 4. Jh. v. Chr. erfolgt sein dürfte.33

Insgesamt lässt sich im 7./6. Jh. v. Chr. verfolgen, wie aus einzelnen Hüttensiedlungen eine beachtliche Stadt entstand. Im 6. Jh. v. Chr. gab es für die Oberschicht Atriumhäuser auf dem Palatin.34 Am Anfang des 5. Jhs. v. Chr. wurden etliche Tempel errichtet, darunter diejenigen für Saturn und für die Dioskuren auf dem Forum sowie derjenige für Ceres auf dem Aventin.35 Rom erhielt eine Zentrumsfunktion und bildete neue soziale Gruppen, die sich eine eigene Identität verliehen. Für das siebenhügelige Rom gab es am 11. Dezember das Septimontium als städtisches Fest der montani, die Varro (l.l. 6,24) mit denen gleichsetzt, die auf den sieben Hügeln innerhalb der Servianischen Mauer wohnten. Bei Festus (p. 458–459L s. v. Septimontium) figurieren allerdings auch andere Teilnehmer und insgesamt acht Namen, darunter die Subura, die von der Plebs bewohnte Senke zwischen den Hügeln. Das Septimontium ist daher nicht zwingend auf septem montes (»sieben Hügel«) zurückzuführen, sondern könnte auch saepti montes (»umfriedete Hügel«) innerhalb des pomerium bezeichnet haben.36

Frührömische Gesellschaft und Sozialstruktur

Gemäß Livius (1,8,3–7) hatte Romulus die politischen Grundstrukturen festgelegt, welche die Königsherrschaft mit zwölf Liktoren und Amtsdienern, die Volksversammlung (concilium) sowie den Senat (consilium) aus 100 Senatoren (patres) umfassten, deren Nachkommen Patrizier (patricii) hießen. Demnach wäre er für die Scheidung von Patriziern und Plebejern verantwortlich gewesen und hätte das Patriziat als Führungsschicht festgelegt. Anschließend sei es aufgrund von Frauenmangel zum Raub der Sabinerinnen gekommen (Liv. 1,9).

Wie sich der »Adel« genau ausbildete, ist unklar. Die Grabfunde sind im frühen 1. Jt. v. Chr. relativ einheitlich und deuten wenig soziale Differenzierung an. Erst im 8. Jh. v. Chr. sind reichere Bestattungen in der Art von Fürstengräbern fassbar.37 In Rom ist die Zuwanderung von Sabinern zu vermuten, die sich möglicherweise auf den Quirinal niederließen. Deren Sippen (gentes) der Fabii und Aurelii gingen dann in die Lateinisch sprechende Gemeinschaft ein. Zuletzt soll die gens Claudia im Jahre 504 v. Chr. vom Sabinerland nach Rom gekommen sein (Liv. 2,16). Eventuell bildete sie das letzte Geschlecht, das unter die Patrizier aufgenommen wurde.38

Die Patrizier waren Grundbesitzer, stellten die Reiterei und formierten sich dementsprechend als Herrenschicht. Sie waren in gentes eingeteilt, für welche sich die Zahl der Klienten (clientes) als ausschlaggebend erwies. Die Bezeichnung clientes geht auf cluere, »auf jemanden hören«, zurück. Die Klienten bildeten die bäuerliche Unterschicht und standen in einem Treueverhältnis (fides) zu ihrem patronus. Während die Klienten zu Dienstleistungen für den patronus verpflichtet waren, garantierte dieser persönlichen Schutz und stellte seinen Getreuen bei Bedarf ein Stück Land zur Verfügung.39 Somit bestand eine wirtschaftliche und privatrechtliche Abhängigkeit, die um 450 v. Chr. auch durch das Zwölftafelgesetz geregelt wurde. Die gens Claudia