Die Russische Revolution - Rosa Luxemburg - E-Book

Die Russische Revolution E-Book

Rosa Luxemburg

4,9

Beschreibung

Eingekerkert in Breslau, analysiert Rosa Luxemburg im Herbst 1918 die Oktoberrevolution in Russland. In ihrem Aufsatz prägt sie den bekannten Satz von der 'Freiheit des anders Denkenden'. Sie kritisiert die Bolschewisten, weil sie den Massen nicht vertrauen und statt sozialistischer Demokratie eine Herrschaft der Parteibürokratie errichtet. Die deutsche Novemberrevolution befreit Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis; das Manuskript bleibt unvollendet. Posthum – im Jahr 1922 – publiziert es Paul Levi, ihr zwischenzeitlicher Geliebter und dauerhafter politischer Freund. 1928 veröffentlicht Felix Weil einige wichtige Ergänzungen zum Manuskript. Die Grundlage dieses E-Books bildet die von Ossip K. Flechtheim herausgegebene Ausgabe aus dem Jahr 1971, die diese Ergänzungen berücksichtigt.

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Impressum

Rosa Luxemburg: Die russische Revolution Herausgegeben von Günter Regneri Veröffentlicht im heptagon Verlag Berlin 2015 www.heptagon.de ISBN: 978-3-934616-12-7 Der Text ist auf folgender CD-ROM erschienen: »Rosa Luxemburg: Schriften und Reden. Herausgegeben von Günter Regneri. Berlin 2006.« Es liegt folgendes Referenzwerk zu Grunde:

Die Russische Revolution

(nach der Ausgabe von Ossip K. Flechtheim)

I

Die russische Revolution ist das gewaltigste Faktum des Weltkrieges. Ihr Ausbruch, ihr beispielloser Radikalismus, ihre dauerhafte Wirkung strafen am besten die Phrase Lügen, mit der die offizielle deutsche Sozialdemokratie den Eroberungsfeldzug des deutschen Imperialismus im Anfang diensteifrig ideologisch bemäntelt hat: die Phrase von der Mission der deutschen Bajonette, den russischen Zarismus zu stürzen und seine unterdrückten Völker zu befreien. Der gewaltige Umfang, den die Revolution in Rußland angenommen hat, die tiefgehende Wirkung, womit sie alle Klassenverhältnisse erschüttert, sämtliche sozialen und wirtschaftlichen Probleme aufgerollt, sich folgerichtig vom ersten Stadium der bürgerlichen Republik zu immer weiteren Phasen mit der Fatalität der inneren Logik voranbewegt hat – wobei der Sturz des Zarismus nur eine knappe Episode, beinahe eine Lappalie geblieben ist –, all dies zeigt auf flacher Hand, daß die Befreiung Rußlands nicht das Werk des Krieges und der militärischen Niederlage des Zarismus war, nicht das Verdienst »deutscher Bajonette in deutschen Fäusten«, wie die »Neue Zeit« unter der Redaktion Kautskys im Leitartikel versprach, sondern daß sie im eigenen Lande tiefe Wurzeln hatte und innerlich vollkommen reif war. Das Kriegsabenteuer des deutschen Imperialismus unter dem ideologischen Schilde der deutschen Sozialdemokratie hat die Revolution in Rußland nicht herbeigeführt, sondern nur für eine Zeitlang, anfänglich – nach ihrer ersten steigenden Sturmflut in den Jahren 1911–13 – unterbrochen und dann – nach ihrem Ausbruch – ihr die schwierigsten, abnormalsten Bedingungen geschaffen.

Dieser Verlauf ist aber für jeden denkenden Beobachter auch ein schlagender Beweis gegen die doktrinäre Theorie, die Kautsky mit der Partei der Regierungssozialdemokraten teilt, wonach Rußland als wirtschaftlich zurückgebliebenes, vorwiegend agrarisches Land für die soziale Revolution und für eine Diktatur des Proletariats noch nicht reif wäre. Diese Theorie, die in Rußland nur eine bürgerliche Revolution für angängig hält – aus welcher Auffassung sich dann auch die Taktik der Koalition der Sozialisten in Rußland mit dem bürgerlichen Liberalismus ergibt –, ist zugleich diejenige des opportunistischen Flügels in der russischen Arbeiterbewegung, der sogenannten Menschewiki unter der bewährten Führung Axelrods und Dans. Beide: die russischen wie die deutschen Opportunisten treffen in dieser grundsätzlichen Auffassung der russischen Revolution, aus der sich die Stellungnahme zu den Detailfragen der Taktik von selbst ergibt, vollkommen mit den deutschen Regierungssozialisten zusammen: nach der Meinung aller drei hätte die russische Revolution bei jenem Stadium Halt machen sollen, das sich die Kriegführung des deutschen Imperialismus nach der Mythologie der deutschen Sozialdemokratie zur edlen Aufgabe stellte: beim Sturz des Zarismus. Wenn sie darüber hinausgegangen ist, wenn sie sich die Diktatur des Proletariats zur Aufgabe gestellt hat, so ist das nach jener Doktrin ein einfacher Fehler des radikalen Flügels der russischen Arbeiterbewegung, der Bolschewiki, gewesen, und alle Unbilden, die der Revolution in ihrem weiteren Verlauf zugestoßen sind, alle Wirren, denen sie zum Opfer gefallen, stellen sich eben als ein Ergebnis dieses verhängnisvollen Fehlers dar. Theoretisch läuft diese Doktrin, die vom Stampferischen Vorwärts wie von Kautsky gleichermaßen als Frucht »marxistischen Denkens« empfohlen wird, auf die originelle »marxistische« Entdeckung hinaus, daß die sozialistische Umwälzung eine nationale, sozusagen häusliche Angelegenheit jedes modernen Staates für sich sei. In dem blauen Dunst des abstrakten Schemas weiß ein Kautsky natürlich sehr eingehend die weltwirtschaftlichen Verknüpfungen des Kapitals auszumalen, die aus allen modernen Ländern einen zusammenhängenden Organismus machen. Rußlands Revolution – eine Frucht der internationalen Entwicklung und der Agrarfrage – ist aber unmöglich in den Schranken der bürgerlichen Gesellschaft zu lösen.

Praktisch hat diese Doktrin die Tendenz, die Verantwortlichkeit des internationalen, in erster Linie des deutschen Proletariats, für die Geschichte der russischen Revolution abzuwälzen, die internationalen Zusammenhänge dieser Revolution zu leugnen. Nicht Rußlands Unreife, sondern die Unreife des deutschen Proletariats zur Erfüllung der historischen Aufgaben hat der Verlauf des Krieges und der russischen Revolution erwiesen, und dies mit aller Deutlichkeit hervorzukehren ist die erste Aufgabe einer kritischen Betrachtung der russischen Revolution. Die Revolution Rußlands war in ihren Schicksalen völlig von den internationalen Ereignissen abhängig. Daß die Bolschewiki ihre Politik gänzlich auf die Weltrevolution des Proletariats stellten, ist gerade das glänzendste Zeugnis ihres politischen Weitblicks und ihrer grundsätzlichen Festigkeit, des kühnen Wurfs ihrer Politik. Darin ist der gewaltige Sprung sichtbar, den die kapitalistische Entwicklung in dem letzten Jahrzehnt gemacht hatte. Die Revolution 1905–07 fand nur ein schwaches Echo in Europa. Sie mußte deshalb ein Anfangskapitel bleiben. Fortsetzung und Lösung war an die europäische Entwicklung gebunden.

Es ist klar, daß nicht kritikloses Apologetentum, sondern nur eingehende nachdenkliche Kritik imstande ist, die Schätze an Erfahrungen und Lehren zu heben. Es wäre in der Tat eine wahnwitzige Vorstellung, daß bei dem ersten welthistorischen Experiment mit der Diktatur der Arbeiterklasse, und zwar unter den denkbar schwersten Bedingungen: mitten im Weltbrand und Chaos eines imperialistischen Völkermordens in der eisernen Schlinge der reaktionärsten Militärmacht Europas, unter völligem Versagen des internationalen Proletariats, daß bei einem Experiment der Arbeiterdiktatur unter so abnormen Bedingungen just alles, was in Rußland getan und gelassen wurde, der Gipfel der Vollkommenheit gewesen sei. Umgekehrt zwingen die elementaren Begriffe der sozialistischen Politik und die Einsicht in ihre notwendigen historischen Voraussetzungen zu der Annahme, daß unter so fatalen Bedingungen auch der riesenhafteste Idealismus und die sturmfeste revolutionäre Energie nicht Demokratie und nicht Sozialismus, sondern nur ohnmächtige, verzerrte Anläufe zu beiden zu verwirklichen imstande seien.

Sich dies in allen tiefgehenden Zusammenhängen und Wirkungen klar vor die Augen zu führen, ist geradezu elementare Pflicht der Sozialisten in allen Ländern; denn nur an einer solchen bitteren Erkenntnis ist die ganze Größe der eigenen Verantwortung des internationalen Proletariats für die Schicksale der russischen Revolution zu ermessen. Andererseits kommt nur auf diesem Wege die entscheidende Wichtigkeit des geschlossenen internationalen Vorgehens der proletarischen Revolution zur Geltung – als eine Grundbedingung, ohne die auch die größte Tüchtigkeit und die höchsten Opfer des Proletariats in einem einzelnen Lande sich unvermeidlich in ein Wirrsal von Widersprüchen und Fehlgriffen verwickeln müssen.

Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß die klugen Köpfe an der Spitze der russischen Revolution, daß Lenin und Trotzki auf ihrem dornenvollen, von Schlingen aller Art umstellten Weg gar manchen entscheidenden Schritt nur unter größten inneren Zweifeln und mit dem heftigsten inneren Widerstreben taten und daß ihnen selber nichts ferner liegen kann, als all ihr unter dem bittern Zwange und Drange in gärendem Strudel der Geschehnisse eingegebenes Tun und Lassen von der Internationale als erhabenes Muster der sozialistischen Politik hingenommen zu sehen, für das nur kritiklose Bewunderung und eifrige Nachahmung am Platze wäre.