Die Sache mit der Motte und dem Licht - Katharina Wolf - E-Book
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Die Sache mit der Motte und dem Licht E-Book

Katharina Wolf

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Beschreibung

**Wenn das Herz sich die Flügel verbrennt…**  Liebe auf Knopfdruck ist gar nicht so einfach. Das lernt Lenny spätestens, nachdem er sich bei der Dating-App G-Stagram angemeldet hat. Je länger er sucht, desto mehr zweifelt er daran, jemals den passenden Freund für sich zu finden. Bis eines Morgens Nick in den Schulbus steigt, der neue Fußballstar der Nachbarschule. Von ihm wird Lenny ab der ersten Begegnung angezogen wie die Motte vom Licht. Dumm nur, dass Nick im Gegensatz zu Lenny nicht nur unglaublich cool, sondern auch definitiv hetero ist. Oder etwa nicht? Mit ihrem Roman »Die Sache mit der Motte und dem Licht« gewann Katharina Wolf beim Schreibwettbewerb von tolino media und Impress den 2. Platz! Die Jury war begeistert: »Eine erfrischende Gay-Romance, die durch ihre lockere Atmosphäre und phänomenal coole Charaktere besticht. Dieser Roman macht einfach Spaß!« //Diese Liebesgeschichte ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Katharina Wolf

Die Sache mit der Motte und dem Licht

**Wenn das Herz sich die Flügel verbrennt …** Liebe auf Knopfdruck ist gar nicht so einfach. Das lernt Lenny spätestens, nachdem er sich bei der Dating-App G-Stagram angemeldet hat. Je länger er sucht, desto mehr zweifelt er daran, jemals den passenden Freund für sich zu finden. Bis eines Morgens Nick in den Schulbus steigt, der neue Fußballstar der Nachbarschule. Von ihm wird Lenny ab der ersten Begegnung angezogen wie die Motte vom Licht. Dumm nur, dass Nick im Gegensatz zu Lenny nicht nur unglaublich cool, sondern auch definitiv hetero ist. Oder etwa nicht?

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

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© privat

Katharina Wolf lebt mit ihrem Sohn, dem Gatten und den beiden Katzen in der schönen Pfalz und lässt es sich dort gutgehen. Das Lesen und Schreiben gehört zu ihr wie ihr nervöses Beinhibbeln und die Liebe zu Schokolade, Kaffee und einem Glas trockenen Rotwein. Da ihr Hirn – genau wie ihre Beine – selten stillsteht, arbeitet sie meist an vier Geschichten gleichzeitig, wenn sie nicht gerade ihrem Beruf als Online-Redakteurin nachgeht.

Für alle, die an Glückskekse glauben

1

Immer wieder im Schulbus

Montag, 13. August

»Am Morgen ging in der Frankfurter Innenstadt, nahe des Hauptbahnhofs, eine Atombombe hoch.« Ich schreckte aus meinem Schlaf auf und drohte innerhalb von Sekunden an einem Herzinfarkt zu krepieren. »Oh, entschuldigen Sie.« Der Kerl im Radio kicherte hysterisch. »Ich meinte natürlich Autobombe. Schlimm genug. Es gab zum Glück keine Verletzten. Die Polizei hat die Gegend weiträumig abgesperrt. Nun zum Wetter.«

»Arschloch«, murmelte ich vor mich hin und rieb mir die müden Augen. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder und ich stöhnte, als mir klar wurde, dass Montag war. Montag nach einer viel zu kurzen Nacht. Ich ließ mich zurück in die Kissen fallen. Wie war ich bloß auf die Schnapsidee gekommen, mich gestern Abend bei dieser Dating-App anzumelden? G-Stagram war der neuste Trend am Gay-Dating-Himmel. Es schien, als ob die komplette LGBT-Community gerade verrückt nach dieser App war. Zumindest wurde mir der Werbebanner geradezu penetrant auf wirklich allen Internetseiten angezeigt. G-Stagram warb mit Fotos von hübschen Männern, die augenscheinlich nur auf mich warteten, um ein schnelles Abenteuer zu erleben oder die große Liebe zu finden. Und da ich das Singleleben satthatte, musste ich natürlich direkt mit auf diesen kunterbunten Regenbogenzug aufspringen. Wie verzweifelt konnte man eigentlich sein? Wie ein Verrückter hatte ich mich durch die vielen Profile geklickt und hatte über unzählige Gesichter gescrollt. Und da war es auch schon halb zwei Uhr nachts gewesen.

»Lennyyy!«, rief Ida, meine kleine Schwester, vom Flur aus und zog ihn dabei so lang wie Kaugummi. Ich horchte und hoffte insgeheim, dass sie aufgeben und mich einfach vergessen würde. Nachdem ich es dann aber tatsächlich gewagt hatte, nicht innerhalb von wenigen Sekunden Antwort zu gegeben, stürmte sie mein Zimmer wie ein wildgewordener Stier und warf sich mit ungefähr derselben Wucht auf mein Bett.

»Leeennyyy, du musst aufstehen. Mama hat Honigbrote geschmiert.« Das war natürlich ein Argument. Ich ließ Ida trotzdem noch etwas zappeln. Einfach weil ich ihr großer Bruder war und sie gerne ärgerte. Das war quasi meine brüderliche Pflicht. »Leheeheehennyhyhyhyh!« Sie sprang auf mir herum und erst, als sie mir geschätzt fünfzig feuchte Küsschen auf meinem ganzen Gesicht verteilt und mindestens zwei Rippen mit ihren Knien geprellt hatte, warf ich sie mit einem Ruck neben mir in die Kissen und begann sie durchzukitzeln. Ida schrie hysterisch und trat um sich. Sie war so unglaublich kitzelig. Das war schon echt nicht mehr normal. »Stopp Lenny«, gackerte sie und fuchtelte wild um sich.

»Nur wenn du heute die Spülmaschine ein- und ausräumst«, versuchte ich zu verhandeln, erntete aber nur eine herausgestreckte Zunge.

»Niemals! Du bist heute mit der Spülmaschine dran.« Das wusste ich. Wo wäre denn sonst der Reiz in diesem Deal gewesen? Doch bevor ich ihr das erklären konnte, entwand sie sich meinen Kitzelfingern und rannte kreischend aus dem Zimmer, aber nicht ohne mir mit gebührendem Sicherheitsabend noch einmal die Zunge herauszustrecken. Ich lachte auf und musste gestehen, dass ich nun tatsächlich wach war. Nicht wirklich gut gelaunt und auch nicht fit, aber zumindest wach. Langsam erhob auch ich mich und begab mich mit schlurfenden Schritten Richtung Badezimmer. Nach einer schnellen Dusche, dem morgendlichen Wühlen in dem Kleiderhaufen vor meinem Kleiderschrank, stopfte ich meine Schulsachen in meinen Rucksack, ging nach unten in die Küche und setzte mich an den Küchentisch. Ida hatte bereits gegessen und zog nun ihre Jacke an. Ein Teller, auf dem nur noch ein paar Krümel zu sehen waren, und eine leere Tasse standen auf dem Tisch. Dad war meist schon früh unterwegs. Und da ich morgens versuchte, so lange wie möglich im Bett zu bleiben, sahen wir uns unter der Woche erst abends.

»Lenard, es ist wie jeden Morgen. Jetzt hast du keine Zeit mehr fürs Frühstück.« Meine Mum stellte mir eine Tasse Kaffee vor die Nase und stopfte mir meine Brote in eine durchsichtige Tüte mit Zipp-Verschluss, die sie dann schwungvoll vor mich auf die Tischplatte warf. »Hier, dann wenigstens für unterwegs.« Ich nickte wenig gesprächig, trank von meinem Kaffee und musterte die Buttons auf meinem schwarzen Schulrucksack, den ich auf dem freien Stuhl neben mir abgelegt hatte. Ein Button fehlte. Inmitten der vielen runden Anstecker prangte eine große Lücke. Nirvana, Metallica, JBO, das Anarchie-Zeichen, eine Regenbogenflagge – Ich kam nicht darauf, was fehlte. Was solls. Ich zuckte mit den Achseln, trank meinen Kaffee in einem Zug aus und schulterte den Rucksack. Dann würde ich mir wohl irgendwo Button-Nachschub besorgen müssen.

»Willst du keine Jacke anziehen, Schatz?« Mum stand vor mir und betrachtete meine Erscheinung kritisch. Ich sah an mir herunter. Schwarze Chucks, schwarze Jeans, schwarzes Shirt … Ja, ich sah aus wie ein Emo und ich hatte es nicht einmal darauf angelegt. Irgendwie hatte es sich in den letzten Monaten einfach so ergeben. Schien wohl mein Style zu sein, wenn man das, was ich so trug, als Style bezeichnen wollte. »Heute Morgen ist es für T-Shirt vielleicht noch etwas zu kühl«, gab meine Mum besorgt zu bedenken. Am liebsten würde sie mir wahrscheinlich wie bei einem Säugling noch das selbstgehäkelte Mützchen über die Ohren ziehen.

»Mum, es ist August! Das passt schon.« Mum seufzte und gab mir einen Klaps auf den Hintern.

»Dann aber jetzt los, du verpasst noch den Schulbus.« Es folgte ein kleiner Kuss auf die Wange. »Ida?«, rief sie dann plötzlich in trommelfellberstender Lautstärke. »Wo bist du?«

»Im Wohnzimmer vorm Fernseher.«

»Bitte was?« Wutschnaubend ging Mum an mir vorbei. »Seit wann schalten wir morgens bitteschön den Fernseher ein? Aus und Abmarsch!«

Ida war sieben Jahre alt und ging in die Grundschule ein paar Straßen weiter. Ich musste also nicht auf sie warten. Sie brauchte nur wenige Minuten zu Fuß und ging den Weg seit einiger Zeit alleine. Ein schnelles »Tschüss« Richtung Wohnzimmer gerufen und schon verließ ich unser spießiges Einfamilienhaus. Ich trottete die Spießerstraße, in der wir lebten, entlang und schenkte den vielen, sehr gepflegten Spießer-Vorgärten nicht wirklich viel Beachtung. Die Gegend hier war echt super. Die perfekte Familienidylle. Manchmal fragte ich mich, ob und wie sehr ich den Nachbarn mit meinem Aussehen ein Dorn im Auge war. Ich passte nämlich alleine schon farblich kein bisschen zu den Rhododendronbüschen, die hier wie verrückt blühten. Während ich hier so entlanglief, kam ich mir mehr wie ein Wesen aus einer anderen Welt vor. Ich war zu jung und zu unangepasst, um zu den ganzen Erwachsenen in ihren Nadelstreifenanzügen zu passen. Und ich war eindeutig zu schwul. Auch das unterschied mich wahrscheinlich von jedem Einzelnen hier in dieser schmucken Straße.

Schon von weitem sah ich an der Bushaltestelle ein paar der Idioten, die mit mir in eine Stufe gingen. Sie schubsten sich spaßeshalber hin und her und versuchten sich in die Eier zu boxen. Wahre IQ-Bomben.

»Hi Lenard«, rief Party-Chris mir zu. Warum er Party-Chris hieß? Naja, weil er eben, sobald seine Eltern für ein paar Tage verreist waren, sofort Partys schmiss. Und das kam wirklich ständig vor. Naja, es gab einfallsreichere Spitznamen.

»Du scheinst ja echt die Hitze zu haben, Lenard.« Er zeigte auf meine nackten Arme. »Aber wen wunderts, du strahlst ja quasi Wärme von innen aus.« Seine Kumpels klatschten ihn ab und riefen sich lachend Begriffe wie »warmer Bruder« und »Hinterlader« zu. Ich rollte mit den Augen und seufzte. Gott waren die kindisch. Ich fühlte mich nicht angegriffen oder beleidigt. Kein bisschen. Ich wusste, dass sie es nicht mal wirklich böse meinten. Bei uns in der Klasse hatte jeder irgendwie seine Schublade. Wir hatten den dicken Kevin, den alle mochten, weil er so lustig war, Paulina mit den Sommersprossen, Emma mit den Riesen-Tröten, in die fast alle verschossen waren, Party-Chris, Fußball-Freddy und eben den warmen Lenard. Vielleicht war es besser mit irgendwas in Erinnerung zu bleiben als vollends mit Nichtachtung gestraft zu werden. Auch wenn ich manchmal einfach nur meine Ruhe haben wollte.

Zum Glück stand plötzlich Freddy neben mir. Mein bester Kumpel seit der Grundschule. Einer der wenigen Kerle in meinem näheren Umfeld, der auf mein Schwulsein einfach mit einem Schulterzucken reagiert hatte. Kein dummer Spruch, kein dämlich gekichertes »Hoffentlich bist du nicht in mich verliebt«, kein »Igitt« oder »Wow, wie cool«. Es war ihm schlichtweg vollkommen egal. Und genau das mochte ich an ihm. Denn auch ich empfand es nicht als besonders und wollte deshalb auch nicht wie ein Paradiesvogel behandelt werden, nur weil ich mit Männern vögelte. Naja, quasi. Also in der Theorie. Die Realität war, dass ich höchstens in meiner Fantasie mit irgendjemandem intim wurde. Aber das würde ich den Spackos garantiert nicht unter die Nase reiben. Freddy und ich klatschten uns zur Begrüßung ab und stiegen dann in den Schulbus, der just in diesem Moment an der Bordsteinkante hielt.

Wir ergatterten eine der wenigen noch freien Sitzbänke und ließen uns dort nieder. Unsere Rucksäcke verstauten wir zwischen unseren Füßen. Genau eine Haltestelle später stieg Karla ein. Wie jeden Tag quetschten wir uns zu dritt auf die zwei Plätze. Karla, Freddy und ich waren ein Dreiergespann. Schon fast immer. Wir umarmten Karla zur Begrüßung und sie gab jedem von uns ein Bussi auf die Wange.

»Und ihr beiden Hübschen, was habt ihr so am Wochenende getrieben?«, fragte sie und sah uns neugierig an. Freddy zuckte mit den Achseln.

»Meine Tante war mit den Zwillingen zu Besuch. Boah war das stressig. Und laut. Ich wusste nicht, dass Babys so verdammt laut sein können. Ihr habt echt keine Vorstellung.«

»Aber hallo. Ich erinnere mich noch genau daran, als Ida ein Baby war. Das war schlimm.« Ida war knapp 10 Jahre jünger als ich. Nach mir hatten sich meine Eltern erst mal Zeit gelassen. Ida war aber keineswegs ein Unfall. Nach 10 Jahren mit einem Kind, hatten sie sich einfach für ein Zweites entschieden. Vielleicht, weil ich erst mal aus dem Gröbsten raus war. Ich war stubenrein und konnte schon kräftig mit anpacken. Windeln wechseln, Fläschchen geben, den Schnuller alle zwei Minuten wieder in Idas Mund stopfen. Das alles hatte ich auch wirklich sehr gerne getan. Immerhin war ich stolz ein großer Bruder zu sein und wollte unbedingt, dass es Ida gut ging. Aber die Nächte … Die Nächte waren der blanke Horror. Obwohl sie im Schlafzimmer meiner Eltern geschlafen hatte und zwischen ihrem und meinem Zimmer sogar noch mein Badezimmer lag, hatte ich das Geschrei im Eineinhalb-Stunden-Takt mitbekommen. Ich war dann irgendwann freiwillig auf die Couch im Erdgeschoss gezogen. Selbst da war Ida noch zu hören gewesen, aber wenigstens gedämpft.

»Ich bin auf jeden Fall froh, dass sie gestern Abend wieder weggefahren sind.« Freddy seufzte und rutschte in seinem Sitz ein wenig hin und her, um es sich gemütlicher zu machen. Was nicht nur deshalb schwierig war, weil wir hier zu dritt eingepfercht waren, sondern auch deshalb, weil Freddy ziemlich groß war und mit seinen Knien an den Sitz vor ihm stieß.

»Und du?«, fragte Karla und sah zu mir.

»Ich hab mich gestern bei einer neuen Dating-App angemeldet.« Karla hob eine Augenbraue und ich bemerkte, dass ihr Kinn bebte und sie ein Lachen unterdrückte. »Ja, ich weiß. Lächerlich. Ich wollte es einfach mal versuchen. Wo soll ich denn sonst einen netten, gerne auch ansehnlichen und vor allem schwulen Kerl kennenlernen? Hier?« Ich breitete die Arme aus und sah mich skeptisch im Schulbus um. Nur Freaks und Hornochsen weit und breit. Naja außer Karla und Freddy. »Hier wohl kaum.«

»Naja« sie tippte sich grübelnd mit dem Zeigefinger gegen die Lippen. »Heutzutage ist es ja immer wahrscheinlicher, dass man den Partner fürs Leben online kennenlernt. Ich habe gerade erst eine Studie gelesen, dass …«

Den Rest blendete ich aus. Denn nun war es so weit. Wie jeden Tag sehnte ich die Haltestelle »Bismarckplatz« herbei. Ich wusste, dass er hier einstieg. Dann begannen meine zehn Minuten gaffen, glotzen und schwärmen. Ich unterdrückte ein Seufzen, als ich ihn erblickte. Der Traum meiner schlaflosen Nächte. Über 1,80 m groß, dunkelbraunes Haar, sportlich, modisch, sonnengeküsste makellose Haut, ein ganz leichter Bartschatten. So schön, so unglaublich schön …

»Von daher ist es gar nicht so unwahrscheinlich. Vielleicht gehörst du ja auch zu diesen zehn Prozent. Und die Zahl steigt ja logischerweise. Immerhin ist ja auch fast jeder online.« Ich nickte und schenkte ihr eine Mikrosekunde meiner Aufmerksamkeit, jedoch ohne den Blick von dem Objekt meiner Begierde abzuwenden.

»Gott, diese Jeans gehört sowas von verboten«, murmelte ich vor mich hin und erntete einen Ellenbogenhieb von Karla.

»Reiß dich mal zusammen. Du sabberst.« Als ob das verwunderlich wäre. Der Typ hatte nicht nur eine extrem wohlgeformte Kehrseite, die Frontansicht war auch beeindruckend. Man könnte meinen, seine Mutter hätte ihm, statt klebriger Honigbrote, eine Aubergine für die Pause mitgegeben.

»Mich wundert’s, dass du nicht sabberst!«

»Der ist nicht mein Typ. Viel zu …« Sie überlegte und ließ ihren Blick abschätzig auf und ab wandern. »Zu muskulös und ähm … schön.«

Ich brach in lautes Gelächter aus. »Er sollte sich was schämen, so aus dem Haus zu gehen«, prustete ich. Auch Freddy lachte, wenn auch etwas verhaltener und nicht ganz so schallend wie ich. Aber er war meist der ruhigere Typ in unserer Clique. Da bemerkte ich, dass sich die Gruppe, in der auch mein personalisierter feuchter Traum stand, nach uns umsah. Alle inklusive ihm starrten uns an, nur um sich danach wieder tuschelnd abzuwenden und hinter vorgehaltenen Händen eindeutig über uns zu lästern. Beziehungsweise über mich. Einige Mädels kicherten und strichen dem hübschen Kerl dabei immer wieder wie zufällig über den Arm. Als ob der das nicht merken würde. Dabei genoss er das bestimmt in vollen Zügen. Es musste ein Segen sein, so auszusehen und einfach freie Auswahl zu haben. Er konnte wahrscheinlich jede haben. Wieder lachten alle über etwas, was er gesagt hatte und blickten dann wieder kurz zu mir. Na toll. Auf diese Sorte Aufmerksamkeit konnte ich gut und gerne verzichten.

Der Bus hielt an und der tuschelnde Haufen stieg zum Glück aus. Da hatte er ja einen wirklich liebreizenden Harem um sich aufgebaut. Ich war noch nie so glücklich darüber schwul zu sein. Mit solchen Weibern wollte ich mich echt nicht rumschlagen.

»Er scheint wohl mit diesen Zicken auf die Gesamtschule zu gehen«, kommentierte Karla das Geschehen. Ich nickte. Das hatte ich auch schon herausgefunden. Viel mehr aber leider noch nicht. Er war ganz einfach plötzlich dagewesen, war in den Schulbus gestiegen und hatte mir mein Herz geraubt. Boah klang das kitschig. Und ganz so war es nun auch wieder nicht. Er sah nur einfach verboten gut aus. Wenn ich mir einen Typen hätte backen können, er würde genauso aussehen.

Der Bus hielt ein weiteres Mal und nun mussten auch wir aussteigen. Karla, Freddy und ich gingen in die 12. Klasse des Anne-Frank-Gymnasiums und bewegten uns rasant aufs Abitur zu. Für meinen Geschmack einen Ticken zu schnell. Ich war noch nicht bereit auf das, was danach auf uns zukommen sollte.

Wir betraten unser Klassenzimmer und Freddy fing geschickt eine Papierkugel ab, die uns entgegengeflogen kam.

»Sorry Freddy«, entschuldigte sich der dicke Kevin. Freddy gab ihm seinen Müll zurück und setzte sich neben mich in die dritte Reihe. Karla lief zu Emma, neben der sie in einigen Fächern saß. Zum Beispiel in Biologie, die erste Doppelstunde montags.

Hinter uns ging es noch ganz schön drunter und drüber. Woher hatten die alle eigentlich so früh am Morgen die Energie? Ich seufzte genervt. Hinter uns brüllten sich Theo und Chris an und gaben lautstark mit ihren Eroberungen am Wochenende an. Wie jeden Montag überschlugen sie sich mit detailreichen Erzählungen über ihre Fummeleien und One-Night-Stands. Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass nicht mal die Hälfte davon stimmte.

»Freddy, dir müssen sie doch auch hinterherrennen, oder?« Theo saß hinter uns auf dem Tisch und ließ die Beine hin und her baumeln. Dabei trat er immer wieder gegen Freddys Stuhllehne.

»Klar, kann mich kaum retten vor lauter Verehrerinnen«, gab Freddy sarkastisch zurück. Die Jungs johlten und schlugen ihm auf die Schulter. Sie hatten seinen sarkastischen Unterton nicht einmal bemerkt. Diese Vollidioten.

»Und du Lenard? Hast du’s auch ordentlich besorgt bekommen?« Sie stachen sich gegenseitig mit den Ellenbögen in die Seiten und kicherten wie kleine Grundschulmädchen. Ich wollte gerade mit einem richtig fiesen Kommentar kontern, als unsere Lehrerin Frau Liese den Raum betrat. Alle sprinteten eilig auf ihre Plätze und plötzlich war es ganz still. Diese ach so coolen Draufgänger hatten zumindest alle noch gehörig die Hosen voll, sobald ein Lehrer vor ihnen stand. Gut so. Vielleicht sollte ich über eine Karriere als Lehrer nachdenken. Ich mochte den Gedanken daran, dass alle sich vor meinen Launen fürchteten und mucksmäuschenstill auf ihren Stühlen in Deckung gingen, sobald ich in der Nähe war.

Montage waren nervig. Aber zum Glück war wenigstens der Schultag schnell rum. Nur sechs Stunden und eine davon war Religion, was für mich immer mit einer langen Pause gleichzusetzen war. Für den Einstieg in die Woche waren sechs Stunden mehr als genug. Den restlichen Tag nutzte ich, um mein Taschengeld aufzustocken. Ich arbeitete seit einiger Zeit mehrmals die Woche in einer Drogerie ganz in der Nähe von der Schule. Ich räumte hauptsächlich Regale ein oder sortierte irgendwelche Fächer neu. Reich würde ich durch diesen Job definitiv nicht werden, aber es reichte für ab und an Kino oder eine neue Jeans. Viel mehr brauchte ich ja nicht. Ich wohnte ja noch bei meinen Eltern und genoss den Luxus von freier Kost und Logis. Allerdings hatte ich mir vorgenommen, langsam ein paar Euro für meinen Führerschein zusammenzusparen. Freddy hatte seinen bereits gemacht. Der war allerdings auch ein Jahr älter als wir, da er in der 8. Klasse sitzengeblieben war. Ich wurde erst in einigen Monaten 18. Um genau zu sein am 25. Dezember. Ja, ich war ein verdammtes Christkind und hasste es mit jeder Faser meines Seins. Immerhin bekam ich immer nur ein Geschenk und irgendwie feierten alle die Geburt von jemand anderem und meine war zweitrangig. Ich war eben nicht der Messias. Nicht mal ansatzweise.

Heute hatte ich in der Drogerie Nagellack sortiert und das Mindesthaltbarkeitsdatum jeder Müslipackung kontrolliert. Danach durfte ich noch Slipeinlagen und Tampons auffüllen. Nicht gerade eine Aufgabe, die mich intellektuell herausforderte. Aber hey, ich bekam sechs Euro die Stunde dafür. Ein Hungerlohn, wie meine Mum immer wieder behauptete. Aber Mindestlohn galt nun mal nicht für Minderjährige. Und wenn ich Pech hatte, würde sich meine Chefin Doris mich nach meinem achtzehnten Geburtstag einfach nicht mehr leisten können. Dann müsste ich mir einen neuen Job suchen, und ob der dann so entspannt wäre wie dieser hier, wagte ich zu bezweifeln.

Nach Feierabend fuhr ich mit dem Bus nach Hause und mein Magen knurrte begeistert, als er das leckere Abendessen meiner Mutter roch. Die klebrigen Honigbrote von heute Morgen, die ich mehr oder weniger aus der Tüte hatte kratzen müssen, hatten mich nicht sehr lange glücklich gemacht. Und auch die zwei Schokoriegel danach, die ich Karla stibitzt hatte, hielten nicht lange vor. Wenn mich meine Nase nicht täuschte, gab es heute Abend Pasta mit Hackfleischsoße und die liebte ich abgöttisch.

»Hi, bin zu Hause«, rief ich in unser Haus, ohne irgendjemanden Bestimmtes damit ansprechen zu wollen. Ich schlüpfte aus meinen Chucks und hängte meinen Haustürschlüssel an das Brett neben der Tür.

»Gerade rechtzeitig, Schatz. Wir wollten gerade anfangen, es gibt Bolognese.«

»Geil«, brach es aus mir heraus. Und schon sprintete ich an den Esstisch, begrüßte Mum, Dad und Ida, die beide schon saßen und genauso hungrig aussahen, wie ich mich fühlte. Es folgte der übliche Smalltalk über den Tag. Ab und an gab ich schmatzende Kommentare ab. Aber viel zu berichten hatte ich eigentlich nicht. So verzog ich mich wenig später auf mein Zimmer und wollte mich gerade pflichtbewusst an die Hausaufgaben setzen, als mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte.

»Hi Karla, was geht?«

»Heute nicht mehr viel, aber dafür morgen?«

»Hä?« Ich setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl und lehnte mich zurück. »Was ist denn morgen?«

»Morgen ist das Lokalderby und Freddys Mannschaft ist dabei.« Sie könnte genauso gut chinesisch oder klingonisch mit mir sprechen. Fußball war für mich etwas, das ich nicht verstand. Aber ich hatte auch kein Interesse, an diesem Zustand etwas zu ändern.

»Warum sollte mich das plötzlich interessieren?«

»Das Spiel ist Freddy wichtig und naja, ich will nicht alleine hin.«

»Warum willst du überhaupt hin?«

»Schon mal darüber nachgedacht, dass sich Freddy vielleicht drüber freuen würde?«

Ich schwieg. Klar würde er sich freuen, wenn wir ihm zujubeln würden. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich wirklich kein bisschen Lust darauf. Fußball war sowas von langweilig, darüber konnten mich auch keine zweiundzwanzig durchtrainierten Beinpaare hinwegtrösten. Karla seufzte theatralisch und ich konnte sie quasi durchs Telefon nachdenken hören.

»Muss ich dich an letzten Winter erinnern?«, drohte sie plötzlich mit unheilschwangerer Stimme und ich konnte nicht anders als die Augen zu verdrehen.

»Das war so klar, dass du mir das nun bei jeder passenden Gelegenheit vorhalten wirst.«

»Immerhin ist Freddy nur mit dir Schlittschuhlaufen gegangen, weil sonst niemand wollte. Und dann hätte er auch noch fast drei Finger verloren«, tadelte sie mich am anderen Ende der Leitung.

»Übertreib mal nicht. Das wurde genäht und mehr nicht.«

»Ich finde schon, dass du ihm was schuldig bist!« Ich seufzte laut und gedehnt.

»Na guuut. aber du gibst mir vor Ort ein Bier aus. Und wehe es gibt dort keins.«

»Das wird schon! Sei bitte kein Miesepeter. Wir werden viel Spaß haben. Garantiert.«

Wer’s glaubt.

Ich legte auf und seufzte ein weiteres Mal. Gerade als ich das Handy zur Seite legen wollte, fiel mir auf, dass ich eine Nachricht auf G-Stagram erhalten hatte. Das machte mich jetzt doch etwas nervös. Ich setzte mich aufrecht hin und öffnete die App. Beim Klicken auf das Posteingang-Symbol begann mein Herz zu rasen. Was würde mich erwarten? Der Mann meiner Träume? Mein zukünftiger Gatte? Oder einfach ein netter Mensch, mit dem ich ein wenig chatten konnte?

Du bist hübsch. Genau mein Typ. Lust auf ein Date im Park. Bei Nacht. Nur wir beide ;-)

Na bravo. Ich schloss die App wieder und widmete mich meinen Deutsch-Hausaufgaben. Und danach sollte ich schleunigst über mein Profilbild und meine Außenwirkung nachdenken.

2

Er hat einen Namen!

Dienstag, 14. August

Klasse! Die Sonne knallte auf uns runter und es gab keinen einzigen freien Sitzplatz. Karla und ich standen am Rande des Fußballfeldes und hielten uns an unseren kühlen Bierkrügen fest. Ich hatte meine Cappy tief ins Gesicht gezogen und spürte trotzdem schon den drohenden Sonnenbrand. Ja, ich hätte mich mit Sonnenmilch einschmieren können. Ja, ich war selber schuld. Ja, die Haut auf meinen Wangen würde heute Abend in Fetzen von meinem Gesicht hängen. Das Spiel lief gerade mal schlappe zwölf Minuten und ich drohte jetzt schon zu Staub zu zerfallen. Karla war von Natur aus ein sehr sommerlicher Typ. Es reichte ein Sonnenstrahl im Mai und schon war sie knackig braun für den Rest des Jahres. Das Miststück. Ich glänzte mit Blässe und einem roten Nasenrücken.

»Jaaa«, jubelte Karla plötzlich neben mir und sprang in die Luft. Dabei schwappte etwas vom Bier über den Rand und landete auf meinem Unterarm. Ich hatte wahrlich nichts gegen eine kleine Erfrischung einzuwenden, aber das war nun wirklich ziemlich eklig. Ich blickte sie tadelnd über den Rand meiner Sonnenbrille an.

»Was ist überhaupt passiert?«, fragte ich etwas genervt und nippte an meinem Bier.

»Freddys Mannschaft ist gerade in Führung gegangen.«

»Wer von den beiden ist überhaupt Freddys Mannschaft? Die Roten oder die Grünen?«

»Ernsthaft?« Nun sah sie mich tadelnd an. »Freddy ist die Nr. 3 in der roten Mannschaft. Bist du blind?«

»Ein wenig«, gab ich zu und grinste verlegen. Ich war tatsächlich etwas kurzsichtig, aber viel zu eitel, um eine Brille zu tragen. Und es musste wirklich noch viel passieren, bis ich mich dazu überwinden würde, mir jeden Morgen im Auge rumzufuhrwerken, um mich mit Kontaktlinsen auszustatten. Karla verdrehte die Augen und wandte sich wieder dem Spielfeld zu.

»Oh verdammt …«, rief sie und spannte sich neben mir an. Ein Raunen ging durch die Menge, und so lenkte ich meinen Blick auch wieder Richtung Spiel. Es folgte nun direkt ein Gegenangriff. Ein hochgewachsener Kerl im grünen Trikot rannte auf die andere Seite des Spielfelds und … bekam den Ball abgenommen. Dies ließ er sich aber nicht einfach so gefallen. Es gab ein wildes Hin- und Hergetrete, bei dem ich zwischenzeitlich komplett den Überblick verlor. Als er den Ball allerdings wieder zurückerobert hatte, sprintete er unaufhaltsam los und hämmerte das Teil ins rechte obere Eck. Die Leute um uns herum fluchten und schüttelten den Kopf. Ein paar Meter weiter jubelten und schrien einige Mädels hingegen ohrenbetäubend.

»Das 1:1 erzielte der Spieler mit der Nummer 9, Nikolas Bosch«, den Nachnamen riefen die Mädels im Chor mit dem Hobby-Stadionsprecher, der das Geschehen durch die schäbigen Boxen mit kratziger Stimme kommentierte. Die Fans der grünen Mannschaft fielen sich dann in die Arme. Der Torschütze joggte gemütlich zurück Richtung Spielfeldmitte und winkte seinen Fans dabei zu. Und da plötzlich erkannte ich ihn. Ich schnappte erschrocken nach Luft und konnte meinen Augen kaum trauen, als mein Hirn eins und eins zusammenzählte.

»Ist das nicht …« Karla brauchte den Satz nicht zu vollenden. Ich war zwar kurzsichtig, aber den Kerl würde ich immer und überall erkennen. Das war mein Schulbus Traummann und verdammt. Er hatte einen Namen. Also das war mir schon vorher irgendwie klar gewesen. Aber nun wusste ich ihn auch und er klang so geil. Wie Musik in meinen Ohren. Nikolas Bosch. Hach.

Ich war so gestört.

»In Sporthosen kann er sich sehen lassen«, kommentierte Karla das Geschehen und ließ ihre Augenbrauen hüpfen.

»Der kann sich verdammt noch mal in allem sehen lassen. Das ist der einzige Kerl auf diesem Planeten, der sogar in Glanzleggings und Crocs gut aussieht.« Sagte ich vorwurfsvoll und zog mir erst mal die Sonnenbrille von der Nase. Den wollte ich unbedingt unverfälscht und ohne Sepia-Filter angaffen.

Ich starrte wie gebannt auf seine Waden. Wanderte dann mit meinem Blick weiter nach oben. Sein Trikot klebte an seinem Oberkörper, man konnte eindeutig Bauchmuskeln sehen. Er wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn, lief wieder los, ergatterte den Ball, trickste ein paar andere Spieler aus. Ich war wie gebannt und hatte noch nie so viel Spaß daran gehabt, einem Fußballspiel zuzuschauen wie in diesem Moment. Erst als mir ein anerkennender Jubler herausrutschte und Karla mir mit dem Ellenbogen in die Seite stieß, fiel mir auf, dass ich der falschen Mannschaft die Daumen drückte. Ach ja. Wir waren ja wegen Freddy da. Die rote Mannschaft. Rot gut, grün böse. Der Feind quasi. Es war gar nicht so einfach mich wieder auf Kurs zu bringen. Ich stand etwas neben mir.

Mir wurde jetzt erst so richtig klar, dass es den Typen auch außerhalb des Schulbusses gab. Er hatte einen Namen und spielte Fußball. Plötzlich wurde er real und aus immer mehr kleinen Anhaltspunkten entstand ein Gesamtbild von ihm. Von Nikolas Bosch. Ich sah mich schon seinen Namen immer wieder in mein Matheheft kritzeln. Das ganze natürlich mit Herzchen verziert. Ich war echt ein Loser. Ein bisschen Mobbing hätte ich echt verdient.

Ein Aufheulen ging durch die Menge. Zwei Spieler lagen am Boden. Einer davon war Nikolas. Er rappelte sich humpelnd auf. Hüpfte ein wenig hin und her und war wieder fit. Die Menge jubelte und auch ich klatschte ekstatisch in die Hände. Karla lachte sich über mich kaputt.

»Echt Junge, du brauchst ein Fangirl-Shirt.«

»Und ich würde es tragen! Mit Stolz!«

Das Spiel ging 2:2 aus. Freddy hatte noch ein paar echt gute Momente. Einmal sogar im direkten Zweikampf mit meinem Traummann. Ich musste gestehen, dass ich am Ende sogar wirklich Spaß gehabt hatte. Als wir dann sogar einen Platz im Schatten unter einem Sonnenschirm ergattert hatten, war fast alles perfekt. Fußball würde niemals zu meinem größten Hobby werden, aber es war um einiges unterhaltsamer, wenn man sich darauf einließ. Und wenn man etwas beschwipst war.

***

Nach Abpfiff trotteten alle Spieler vom Feld. Freddy sah aus wie durch den Matsch gezogen. Was seltsam war, weil es garantiert seit zwei Wochen nicht einen Tropfen geregnet hatte und das Feld ziemlich trocken aussah. Es war wohl die Mischung aus Schweiß und Sand, die ihn wie ein Lehmmonster aussehen ließ.

Wir klatschten ihn kurz ab und beobachteten die Spieler dann dabei, wie sie in der Umkleidekabine verschwanden.

»Und nun?«, fragte ich Karla und trank mein Bier aus.

»Sollen wir auf Freddy warten?«

»Wäre anständig oder? Immerhin waren wir jetzt eh schon zwei Stunden hier. Da kommt es auf fünfzehn Minuten auch nicht mehr an«, überlegte ich laut.

»Recht hast du«, stimmte sie mir zu.

Jetzt, wo sich der Zuschauerbereich langsam leerte und die Spieler alle unter den Duschen waren, wurde es erstaunlich still.

Wir lehnten uns gegen die Wand des Kabinenhäuschens und schlossen für einen kurzen ruhigen Moment die Augen. Die Augustsonne drückte, aber war nun gegen Abend etwas gnädiger zu uns. Sie brannte nicht mehr so unerbittlich auf der Haut, sondern wärmte uns angenehm. Ich zog meine Cappy aus und fuhr mir einmal mit der flachen Hand über mein mittlerweile etwas zu langes braunes Haar. Ich war wahrlich kein Sonnenanbeter. Ich mochte es nicht zu schwitzen, und der Sommer war für mich eigentlich nur die Zeit von Mücken, Sonnenbrand und stinkenden öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber genau in diesem Moment war der Sommer perfekt.

***

Von der Umkleidekabine her kam Lärm. Einige jubelten. Andere lachten laut. Anscheinend waren alle mit ihrer Leistung recht zufrieden. Ich hörte keinen Streit und kein Gefluche. Die Tür öffnete sich und die ersten Spieler kamen herausgetrottet. Ein Kerl aus der gegnerischen Mannschaft hatte ein Handtuch um die Schulter gewickelt und noch immer nasses Haar. Er trug die Sporttasche in der Farbe seiner Mannschaft in der rechten Hand und winkte mit der anderen einem Mädel zu, das daraufhin freudestrahlend auf ihn zugerannt kam. Sie sprang ihn an und leckte ihm quasi das Gesicht ab. Nun gut. Er schien darauf zu stehen.

Als nächstes sahen wir Freddy. Er stand in der Tür und unterhielt sich noch mit einigen Typen hinter ihm. Die Stimmung war sehr ausgelassen. Auch Freddys blonde kurze Locken waren noch nass. Was sich bei dem Wetter schnell erledigt haben würde. Er lachte aufgrund eines Kommentars von einem halbnackten Typen im Hintergrund, der mit einem Handtuch um die Hüfte vor ihm stand. Plötzlich kam Nikolas um die Ecke. Und zwar so plötzlich, dass ich mir einen kurzen, erschreckten Laut kaum verkneifen konnte. Karla zwickte mich von allen unbemerkt in den Hintern, was mir noch ein peinlicheres Geräusch entlockte. Auch Nikolas trug lediglich ein weißes Handtuch um die Hüfte und sein nasses Haar wirkte fast schwarz. Er lachte wegen irgendetwas, was Freddy zu ihm gesagt hatte. Aber davon bekam ich schon wieder nichts mit, da mir alle Sinne bis auf den Sehsinn soeben abhandengekommen waren. Mir würden garantiert gleich die Augen ausfallen. Sollte sein Handtuch noch etwas verrutschen, würde ich sterben. Hier und jetzt. Einfach tot umfallen.

»Klar, ich denke schon, dass wir dabei sind, oder?« Freddy blickte zu mir und erwartete eine Antwort.

»Hä?« entfuhr es mir wenig intelligent, was mir noch einen Knuff von Karla bescherte.

»Klar sind wir dabei«, antworte sie nun für mich und nickte dabei enthusiastisch.

»Super.« Nikolas lächelte und entfachte in meiner Brust eine Art Feuerwerk. Wie konnte ein Mensch solche Zähne haben? Hatte dieser Kerl denn keinen Makel? Da stand er, muskulöse Brust, ein paar Wassertropfen, die ihm über die Bauchmuskeln rannen, Zahnpastalächeln. Zu meiner Schande bemerkte ich, dass ich hart wurde und im gleichen Moment glühten meine Wangen mit der Sonne um die Wette.

Ich war so ein Opfer.

Die Kabinentür schloss sich und Freddy und Karla starten mich an.

»Wie krass ist das denn?« Freddy lachte auf. »Ich hab erst voll spät gerafft, dass er das ist.«

»Wir haben ihn schon während des Spiels erkannt.« Karla sah zu mir und dann wieder zu Freddy. »Und er hatte dann wohl einen Hirnschlag oder so, anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären.« Beide lachten mich aus und hakten sich dann bei mir ein.

»Zu was genau haben wir eigentlich gerade ja gesagt?«, fragte ich, als meine beiden Gehirnhälften wieder ihre Arbeit aufgenommen hatten und ich meiner Stimme wieder trauen konnte.

»Wir bringen jetzt erst mal meine Sportsachen nach Hause, dann ziehe ich mir was Schickeres an …« Er zeigte auf die Sporthose und das Shirt, das echt schon bessere Tage erlebt hatte. »Und dann gehen wir ins Irish Pub. Mit ihm!« das Wort ›ihm‹ betonte er so, als wäre es etwas Gruseliges.

»Mit ihm?«, antwortete ich ehrfürchtig und schluckte.

»Naja, und mit den ganzen anderen Spackos. Aber egal.«

»O Mann!« Karla rüttelte total aufgedreht an mir herum. »Du kannst mit ihm reden und ihn kennenlernen und hihihiii!« Sie quietschte neben mir wie ein Ballon, aus dem die Luft herausgelassen wurde.

»Gott, kann ich so gehen?« Ich blieb abrupt stehen und sah an mir herunter. Schwarze Chucks, schwarze Jeans, schwarzes Shirt. Okay, wenig überraschend.

»Du siehst aus wie ein gottverdammter Emo, also wie immer«, lachte Freddy.

»Aber vielleicht sollen wir noch etwas mit deinen Haaren …« Sie sah mich skeptisch an und wusste wohl nicht so recht, wie sie den Satz vollenden sollte.

»Was ist mit denen?« Ich strubbelte mir unsicher durch die kurzen Fransen.

»Die sehen scheiße aus.« Karla hatte wohl aufgegeben, eine nette Umschreibung zu finden. »Durch deine Kappe ist oben alles ganz platt gedrückt und an den Ohren stehen sie ab. Du siehst echt doof aus. Aber egal.« Sie hakte sich wieder bei mir unter und zog mich weiter. »Wir fahren jetzt zu Freddy und da werden wir dich einfach mit etwas Gel bearbeiten.

»Wenn das mal Nikolas heute zu mir sagen würde.« Ich gackerte wenig männlich und begann mich so langsam auf den heutigen Abend zu freuen.

***

Eine Stunde später standen wir vor dem Irish Pub mit dem passenden Namen »The Dubliner«. Ich hatte mir kurzerhand noch schnell die Haare bei Freddy gewaschen und sie mit etwas Haarwachs in Form gebracht. Ich sah jetzt meines Erachtens recht ansehnlich aus, ohne dass es nach Absicht aussah. Freddy betrat das Pub als Erster und hielt uns die Tür auf. Die Fußballer fielen sofort auf. Nicht nur weil sie teilweise immer noch Trainingsanzüge trugen. Sie waren auch mit Abstand die Lautesten in der ganzen Kneipe. Einige wenige hatten sich umgezogen. Nikolas trug eine Bluejeans und ein simples weißes Shirt. Man musste ihm eines lassen: Er brauchte sich nicht wirklich ins Zeug legen, um seine Groupies zum Sabbern zu bringen.

»Hey!« Alle grölten laut zur Begrüßung, als sie uns erblickten.

Ich grinste mir debil einen ab und versuchte mich dann zu sammeln und meinen üblichen stoischen Blick wiederzufinden. Keine Ahnung, ob es mir gelang. Ich grüßte alle mit einem hoffentlich lässigem »Hi« und setzte mich dann mit Freddy und Karla auf ein paar freie Barhocker. Da ich heute schon während des Spiels zwei Bier hatte und morgen ein ganz normaler Schultag war, überlegte ich kurz, einfach eine Coke zu bestellen. Oder einen Cappuccino. Aber ehe ich den Gedanken zu Ende denken konnte, stand auch schon Nikolas neben mir und schenkte uns aus einem Pitcher ein.

»Ihr trinkt doch auch Guinness oder? Wenn man schon in einem Irish Pub ist.« Wir nickten und nahmen dankbar an.

»Grins ihn nicht so an«, flüsterte Karla hinter vorgehaltener Hand.

»Tu ich das?« Sofort versuchte ich, mein Gesicht im Pint Guinness zu verstecken.

»Wie ein wahnsinniger Stalker!«

»O Mann.« Meine Wangen begannen schon wieder, heiß zu werden. »Ich kann nichts dafür.« Karla seufzte und tätschelte mir mitleidig das Bein.

»Du bist echt total niedlich, wenn du verknallt bist, aber auch echt auffällig.« Ich schwieg und schaute sie verkniffen an.

»Ich geb echt mein Bestes, aber es fällt einem verdammt schwer, gelassen zu wirken, wenn dieser Typ vor einem steht.«

»Wir trainieren das jetzt!« Sie räusperte sich. »Hey du, Nikolas war dein Name oder, komm mal rüber.«

»Heilige Maria Mutter …«, nuschelte ich vor mich hin und wäre am liebsten vom Hocker gerutscht. Nikolas stand vom Nachbartisch auf und kam zu uns rüber.

»Nennt mich doch einfach Nick. Habt ihr etwa schon ausgetrunken? Die nächste Runde geht auf euch.« Er zwinkerte uns zu und setzte sich auf einen freien Stuhl gegenüber von uns.

»Nene, wir haben noch.« Als Beweis erhob sie ihr Glas. »Wir wollten mit dir anstoßen und dir zu deinem Tor gratulieren.«

»Nice«, kommentierte er und streckte uns sein Glas entgegen. »Wie heißt ihr nochmal?«

»Ich bin Karla und das ist …«

»Hi, ich bin Lenard.« Ich streckte ihm die Hand entgegen und war für einen kurzen Moment verdammt stolz auf mich. Denn meine Stimme zitterte nicht. Ich hatte mein Gesicht weitestgehend unter Kontrolle und, soweit ich das beurteilen konnte, waren auch meine Hände nicht verschwitzt.

»Angenehm.« Er schüttelte meine Hand und lächelte mich an.

»Ihr seid Freunde von Freddy? Dem Typen, der mich einfach mal so richtig umgetreten hat?«

»Hey!«, klinkte sich nun auch Freddy ist Gespräch ein. »Ich hab den Ball gespielt!«

»Hättest du wohl gerne.« Die beiden lachten und stießen mit ihren Gläsern an.

»Ein echter Teufelskerl. Bin kaum zum Abschluss gekommen wegen ihm.« Mein hormongesteuertes Hirn hatte sofort Bilder im Kopf, die ich mit einem schnellen Schluck Bier wieder verdrängte.

»Und seit wann spielst du Fußball?«, fragte nun Karla, die sich bemühte, das Gespräch am Laufen zu halten.

»Schon seit ich fünf oder sechs Jahre alt war. Also schon ziemlich lange. Bin nur frisch im Verein. Meine Familie und ich sind vor einem halben Jahr erst hierher gezogen.« Das erklärte auch, warum er urplötzlich da war. »Naja, bin froh den Verein gefunden zu haben und bin auch echt gut aufgenommen worden.« Er blickte sich lächelnd um und mir entgingen nicht die drei Mädels vom Nachbartisch, die ihn seufzend anschmachteten. »Und was treibt ihr sonst so? Ich komm nicht wirklich viel rum. Bin ständig beim Fußball oder im Studio.«

»Studio?«, fragte ich.

»Fitnessstudio«, antwortet er und dabei schob sich eine Augenbraue skeptisch in die Höhe.

»Ach so.« Die Peinlichkeit war kaum zu überbieten. »Damit hab ich nix am Hut. Mit Sport im Allgemeinen.«

»Echt? Dafür scheinst du aber gut in Form zu sein.« Er ließ seinen Augen einmal anerkennend über meinen Körper wandern und für einen kurzen Augenblick hatte ich das starke Bedürfnis, ganz dringend den Bauch einzuziehen, oder den Bizeps anzuspannen. Was total lächerlich war. Zumal ich sowas wie einen Bizeps gar nicht hatte.

»Das ist dann wohl genetisch bedingt«, wiegelte ich ab.

»Er kann toll Billard spielen«, sprang Karla plötzlich ein und versuchte wohl Nikolas von meinen Vorzügen zu überzeugen.

»Wow? Musst du mir mal zeigen.« Noch ein kleines Lächeln, dann wurde er wieder an den Nachbartisch gerufen, auf dem eine Runde Schnaps bereitstand. Neonblaues Zeug, das aussah wie Gift. Er stand auf, setzte sich zwischen zwei Blondinen, die ihn schon sehnlichst erwartet hatten, und trank direkt zwei Schnäpse auf ex.

»Boah ey Lenard. Das lief doch total gut für dich?«, wisperte mir Karla zu. Ich zuckte nur mit den Achseln.

»Ich weiß nicht. Er ist irgendwie schwer zu greifen.«

»Ihr habt das erste Mal miteinander gesprochen und er hat dir gleich Komplimente gemacht«

»Ach quatsch, das meinte er bestimmt kein bisschen sexuell.« Karla kicherte, schüttelte den Kopf und begann dann eine Unterhaltung mit einem Typen aus Freddys Team, der sich ihr als Pablo vorstellte. Ein hübscher Kerl mit südeuropäischem Teint.