Die Sagenerzählerin - Sina Blackwood - E-Book

Die Sagenerzählerin E-Book

Sina Blackwood

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Beschreibung

Benno scheint Rosalie nur geheiratet zu haben, um ihr das Leben schwer machen zu können. Egal, was sie tut, er bemerkt es nicht einmal, und reißt mit dem Hintern ein, was sie mit den Händen aufbaut. Fürsorge und Anerkennung bekommt sie erst, als sie beim Pilzesuchen von einem merkwürdigen Nebel überrascht wird, der sie ins 13. Jahrhundert versetzt. Doch hier gibt es jemanden, dem Rosalie recht schnell ein Dorn im Auge ist. Als er zu drastischen Mitteln greift, um sie loszuwerden, beginnt das Schicksal merkwürdige Haken zu schlagen.

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Inhaltsverzeichnis

Das Aufbegehren

Kampf ums Überleben

Begegnungen

Cavaliere Luciano

Finderlohn

Handwerk hat goldenen Boden

Eifersucht

Herausforderungen

Ein unerwarteter Gast

Aufbruch ins Ungewisse

Vom Regen in die Traufe

Was lange währt ...

Das Aufbegehren

Der durchdringende Schnarchton war das eine, als Bennos Kopf langsam nach vorn sank – aber noch mehr widerte Rosalie der Speichelfaden an, welcher ihm aus dem Mund troff und zwischen seinen Schenkeln auf dem Sessel landete. Wochenende für Wochenende der gleiche Anblick. Benno pennend vorm Fernseher, welcher ununterbrochen lief und das typische Hartz IV-Programm aus sinnlosem Talk, Realitysoaps und Werbemüll abspulte.

Rosalie flüchtete sich schon seit zwei Jahren in ihre eigenen fantastischen Welten, um nicht völlig zu verdummen oder gar am Leben zu verzweifeln. Und niemand konnte spannendere Geschichten erzählen.

Es war einmal ein kleiner Drache, der sich ... Rosalie seufzte. Wie gern wäre sie jetzt auf einem großen Drachen in ein Abenteuer geflogen! Stattdessen putzte sie den mit Bier bekleckerten Fußboden der Küche. Sekunden später klirrte es hinter ihr, worauf sich der Inhalt einer ganzen Flasche, gemischt mit einem braunen Scherbenregen, auf den soeben gewischten Arealen verteilte.

Rosalie schloss für einen Moment die Augen, atmete sehr tief durch, dann begann sie, eine ganze Rolle Küchentücher auf dem Boden auszubreiten, und, als sie diese völlig durchtränkt einsammelte, gleich den Großteil der Glassplitter mit aufzunehmen. Sie hatte keine Lust, sich schon wieder einen Handfeger völlig zu ruinieren.

Am liebsten würde ich den ganzen Dreck hinwerfen und auswandern, rumorte es in ihrem Kopf. Nach Ligurien, in irgendein Tal, in den hintersten Winkel, weit weg von Menschen und deren Gleichgültigkeit.

Sie entsorgte die Tücher in der Mülltonne und wischte erneut die Küche. Ein Blick auf die Uhr trieb sie zur Eile, wenn das Mittagessen – Gulasch mit Waldpilzen – pünktlich fertig sein sollte.

Während sie Töpfe und Pfannen bereitstellte, schlich sich ein Grinsen in ihr Gesicht. Irgendwo hatte sie eine Zeichnung gesehen, die eine alte Frau mit langem Kleid und spitzem Hut darstellte und darunter stand: Siebenfache Witwe sucht neuen Partner. Hobbys: Pilzesuchen und Kochen. Und wenn er seine Pilze nicht isst, wird er eben mit der Pfanne erschlagen, fügte Rosalie schmunzelnd hinzu.

Mit bissiger Ironie ließ sich das Leben viel leichter ertragen. Die ist sicher auch an solche Exemplare geraten, die ihr das Leben schwer gemacht haben, grübelte Rosalie weiter, während sie immer wieder umrührte.

Vorsatz konnte man einer so alten Dame ja fast nicht vorwerfen, eher einen Unfall beim Kochen. Ab einem gewissen Alter der Herren fiel es wohl auch kaum auf, wenn sie plötzlich sanft entschliefen und kein Aas würde sich darum scheren, was es als letzte Mahlzeit gegeben hatte.

Erst nach einer ganzen Weile merkte Rosalie, dass sie, statt sich abzulenken, über ihr eigenes Dilemma nachdachte. „Soll wohl so sein“, seufzte sie, die Teller füllend.

Beim Essen pickte sie zuerst die Stücke der Hexenröhrlinge heraus, die der Soße wunderbaren Geschmack und eine dunkle Farbe gaben. Viele Leute scheuten sich, die Pilze mit dem markanten roten Futter und rötlich angehauchten Stiel zu sammeln. Sehr helle Exemplare konnten einem giftigen Satanspilz aber auch wirklich verdammt ähnlichsehen und Rosalie hatte hin und wieder welche stehen lassen, weil auch sie sich nicht ganz sicher gewesen war.

„Wir sollten nochmal in den Wald gehen“, erklärte sie. „Vielleicht finden wir genug, um einen ordentlichen Vorrat für die nächsten Monate anzulegen.“

Benno brummte irgendwas als Antwort, das nicht so klang, als wolle er dabei sein.

„Wie wäre es, wenn du deinen Hintern einfach mal aus dem Haus bewegst, ohne Bier kaufen zu wollen?“, fragte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Langsam geht mir dein Genörgel ernsthaft auf den Keks. Ich will dies nicht, ich will das nicht und jenes schon gar nicht! Interessiert es irgendjemanden, was ich ich nicht will?!“

Sie räumte mit finsterem Gesicht den Tisch ab, während ihr Benno in einer seltsamen Mischung aus Erstaunen und Unverständnis hinterherschaute. Es entzog sich ihm völlig, warum Rosalie plötzlich so mürrisch reagierte. Seine Welt war in Ordnung. Also musste es ihre auch sein. Punkt.

Auch dann, als er am Nachmittag seinen Kaffee lieber auf dem Balkon trinken wollte, um dabei rauchen zu können, und auf dem Weg nach draußen schon wieder eine Kleckerspur quer durch die ganze Küche zog.

„Mach doch die Klappe auf, wenn du es nicht selber auf die Reihe kriegst!“, schnaufte Rosalie zornig, erneut nach dem Wischlappen fassend.

„Du nervst“, maulte Benno, zog die Tür zu und begann seelenruhig zu qualmen, als sei gar nichts geschehen.

„Ach ja?“, murmelte Rosalie sarkastisch. „Fragt sich nur, wer wem mehr auf die Ketten geht.“ Sie warf den Lappen in den Eimer, welchen sie einfach mitten im Raum stehenließ, setzte sich auf das Sofa, schwenkte die Beine hoch, nahm ihren Laptop, die Kopfhörer und schaute sich den langen Rest des Samstags eine DVD nach der anderen an. Bennos Gegrummel hörte und seine mürrische Miene sah sie nicht. Das heißt, sie hörte und sah schon, nur ignorierte sie es völlig.

Benno suchte sich schließlich sein Abendbrot im Kühlschrank zusammen, ging zeitig zu Bett, weil er es nicht fassen konnte, warum sein Weltbild einen gewaltigen Riss bekommen hatte.

Rosalie kroch gegen Mitternacht unter ihre Decke, nachdem sie den immer noch am selben Fleck herumstehen Wischeimer geleert und weggeräumt hatte. Benno hätte sich um nichts in der Welt die Hände schmutzig gemacht. Sie hörte die Turmuhr der Kirche noch die zwölfte Stunde schlagen, wunderte sich, als es für den Bruchteil eines Augenblicks hell vor dem Fenster wurde, als habe der Nachbar auf der anderen Straßenseite versehentlich sein Autolicht voll aufgeblendet, und glitt endlich ins Land der Träume hinüber.

Sie merkte nicht, wie unruhig sie sich herumwarf, weil sie ständig jemanden ihren Namen flüstern hörte. Als sie im Morgengrauen erwachte, war sie schweißgebadet und körperlich fertig wie nach einem Marathonlauf. Benno drehte sich soeben mit einem durchdringenden Schnarchen um.

Na fantastisch, wenn der Sonntag so beginnt, dachte sie traurig und quälte sich aus dem Bett. Das Wetter war launisch, genau wie Benno, der Rosalie innerlich fast zur Weißglut trieb. Diesmal landete das halbe Mittagessen auf Teppich und Hose, weil Benno nebenbei unbedingt fernsehen musste und alles, statt auf die Gabel, über den Tellerrand schob.

„Soll ich dir ein Lätzchen bringen oder willst du gleich gefüttert werden?“, fragte Rosalie spitz. „Die nächste Stufe sind dann vielleicht Windeln, weil du zu faul bist, auf den Topf zu gehen.“

Benno fiel vor Schreck das Besteck aus der Hand. Das Messer knallte auf den Teller, hebelte eine Kartoffel aus, die wie eine kleine Kanonenkugel durch den Raum raste und eine perfekte Landung an der Mattscheibe des Fernsehapparates hinlegte. Natürlich völlig zermatscht. Wobei die Bratensoße dem Gerät unübersehbare Sommersprossen verpasste.

Rosalie brach in schallendes Gelächter aus. Die ganze Situation war so grotesk, dass sie nicht einmal wütend werden konnte. „Männer sind eben nicht multitastingfähig“, war ihr einziger Kommentar, ehe sie aus dem Wohnzimmer ging und den völlig geschockten Benno ratlos zurückließ.

Der merkte schnell, dass er selber Kartoffelreste und Soßenspritzer beseitigen musste, wollte er seine spannende Sendung in der Flimmerkiste weiter verfolgen. Also flugs das Schnupftuch aus der Hosentasche gezogen und frisch über den Bildschirm gewischt! Nur hatte er die Rechnung ohne die langsam eintrocknenden Reste gemacht – die zogen eine schmierige Spur, die das Fernsehbild erst recht verdeckte. Benno rieb etwas fester. Ohne Erfolg. Er konnte froh sein, dass es noch ein altmodischer Fernseher mit Bildröhre war. Ein moderner Flachbildschirm hätte womöglich einen Totalschaden erlitten.

Genervt, nicht mehr viel zu sehen und zu stolz, um Hilfe zu bitten, schaltete Benno schließlich aus und zog sich fluchend in sein Bett zurück, um die Welt durch Abwesenheit zu strafen.

Kaum war Benno verschwunden, betrat Rosalie das Schlachtfeld im Wohnzimmer und begann erneut zu kichern. Sie stellte sich vor, was wohl geschähe, zöge Benno das verschmierte Taschentuch, um sich die Nase zu putzen. Denn, da es nicht in der Wäschetruhe lag, konnte er es nur wieder eingesteckt haben.

Mit verschränkten Armen betrachtete sie die übel dekorierte Mattscheibe, grinste breit und meinte: „Mit ein paar Fäden Rotkohl ginge es glatt als moderne Kunst durch. Na, dann wollen wir mal putzen.“

Unter wir verstand sie sich, ein Leinentuch und eine Sprühflasche mit Reiniger für Glas und Kunststoffflächen. Ein Trio, das unschlagbar war, wenn es darum ging, in kürzester Zeit Bennos Verwüstungen in allen Teilen der Wohnung spurlos zu beseitigen.

Auf ein Wort des Dankes brauchte sie nicht zu hoffen und sie bekam es auch nicht. Irgendwann tauchte Benno wieder auf, fläzte sich in seinen Sessel und schaute fern.

Nach dem Taschentuch zu fragen, verkniff sich Rosalie. Benno war alt genug, um zu wissen, wohin es nach Benutzung gehörte, besonders dann, wenn diese zweckentfremdend gewesen war. Auch ein Punkt, an dem sie ihn schon oft ohne Rückfahrkarte hätte auf den Mond schießen wollen. Er wischte alles mit allem ab, was er gerade in die Hände bekam.

Statt ein Spültuch zu nehmen, wischte er eben Kaffeepfützen mit dem Taschen- oder einem Geschirrtuch weg. Wobei er das Letztere einfach wieder an den Haken hängte, genau wie er das Taschentuch wieder einsteckte und irgendwann die Flecke gar nicht mehr aus dem Stoff herausgingen.

„Scheißspiel“, murmelte Rosalie betrübt. Denn davon gab es schon unzählige und sie hatte irgendwann den Versuch aufgegeben, wenigstens ein paar Tücher für gut zu verstecken.

Ob Zufall oder nicht, in den folgenden Tagen kam sich Rosalie wie eine Putzfrau im Heim für schizophrene Idioten vor. Mal klebte der Drehteller der Mikrowelle, mal die Wachstuchdecke auf dem Küchentisch. Vom Fußboden und den Türklinken ganz zu schweigen.

„Mach so weiter und ich ziehe aus!“, fuhr sie ihn unwirsch an, als er mit schmutzigen Straßenschuhen nicht nur durch den frisch gewischten Flur, sondern auch gleich noch durch die ganze Küche lief.

„Dein Genörgel kotzt mich an!“, maulte Benno zurück, seine Treter wütend vor den Schuhschrank schleudernd, wo sich der langsam trocknende Schlamm von den Sohlen löste und als körniger brauner Regen an Möbeln und auf dem Teppich niederging.

Rosalie holte den Staubsauger und beseitigte unter geradezu mörderischen Blicken von Benno, der dieses Motorengeräusch hasste, das angerichtete Chaos. „Weißt du eigentlich, wozu die Fußmatte vor der Tür liegt?“, fragte sie aggressiv, sich die Schuhe von nahem betrachtend. Nein, ich werde sie nicht putzen,kommentierte ihre innere Stimme und sie stellte die Schuhe wieder genau da hin, wo sie nach dem Wurf gelandet waren.

Benno hatte sich schlecht gelaunt auf den Balkon verzogen, rauchte und grübelte, was wohl der Grund sein mochte, aus dem Rosalie derart mürrisch war. So sehr er sich auch anstrengte, er fand ihn nicht. Vielleicht lag es ja daran, dass sie in den letzten Wochen nachts schlecht geschlafen hatte. Damit war für ihn das Thema beendet.

Rosalie hatte wirklich nicht viel geschlafen. Kaum schloss sie die Augen, begann das Flüstern und Raunen, jemand hauchte ihren Namen, sie sah Bilder, wachte auf – und vergaß im selben Moment, was sie geträumt hatte. Und mit jedem neuen Morgen wurde ihr Bennos Verhalten gleichgültiger. Wenn er versiffen wollte, dann sollte er es tun. Sie nutzte jede Gelegenheit, von zu Hause zu verschwinden, um nicht ständig hinter ihm her putzen zu müssen.

Für den nächsten Samstag nahm sie sich vor, ihren Plan, Pilze sammeln zu gehen, endlich in die Tat umzusetzen. Es war sonniges Frühherbstwetter, das sich färbende Laub begann sich von den Zweigen zu lösen und sie freute sich auf die Stunden in der Natur. Sie zog ihre alte Jeans an, die wasserfesten Trekkingschuhe, eine winddichte, wärmende Jacke und zog mit Taschenmesser und Beuteln bewaffnet los, als die Sonne gerade aufgegangen war. Das heißt, sie fuhr mit dem Auto die paar Kilometer bis zum Waldrand, wo sie es auf einem öffentlichen Parkplatz abstellte. Sie überquerte die Straße, dann trabte sie, den Blick ein paar Meter vor sich auf den Boden gerichtet, querfeldein.

Der erste Pilz ließ auch nicht lange auf sich warten. Rosalie drehte den Maronenröhrling vorsichtig aus dem Boden, putzte an Ort und Stelle seinen Stiel, ehe sie ihn mit einem zufriedenen Lächeln in ihren großen Stoffbeutel gleiten ließ. Festes Fleisch, keine Maden, keine Schnecken und auch keine Bissspuren anderer Tiere – so konnte das gern weitergehen.

Es folgte ein Hexenring voller Ziegenlippen, dann einer mit Maronen. Rosalies Beutel füllte sich, wurde unhandlich und schwer, sodass sie beschloss, ihn zum Auto zu bringen, um unbeschwert weitersuchen zu können. Vorher wollte sie aber noch ihre Lieblingsstelle der Hexenpilze aufsuchen, damit ihr niemand die Leckerbissen vor der Nase wegnahm.

Sie wechselte erneut die Straßenseite, dann musste sie ziemlich lange suchen, ehe sie einen mickrigen Pilz fand, der nicht wie frisch gewachsen, sondern uralt, wie geschrumpft, aussah.

„Du hast vor mir Ruhe“, flüsterte sie. „Aber wo sind deine Freunde versteckt?“ Ihn stehen lassend, spähte sie sich um und bekam große Augen. Dutzende Pilze, die alle in Ringen wuchsen, zogen sich bis zum Hang des nahen Hohlweges hinauf.

Rosalie nahm ihren zweiten Beutel und begann mit fliegenden Händen, die begehrten braunhütigen Röhrlinge einzusammeln. Rausdrehen, putzen, einsacken, rausdrehen, putzen, einsacken – immer und immer wieder. Sie erschrak regelrecht, wie hoch sie den Hang schon hinaufgekraxelt war, als sie die letzten Beutestücke verstaute.

Doch nicht nur das erstaunte sie. Es war wie aus dem Nichts dichter Nebel aufgezogen, der bereits den Weg verschlungen hatte und nun unaufhaltsam auf Rosalie zu waberte, die sich ängstlich an den Stamm einer hohen Kiefer schmiegte, wobei sie ihre vollen Beutel krampfhaft festhielt. Weiter hinaufsteigen wollte sie nicht, absteigen konnte sie nicht, weil sie sich mit Sicherheit sämtliche Knochen gebrochen hätte, wäre sie blindlings herumgestolpert.

Nun setzte sie sich mit dem Rücken an den Baum, um das Ende des merkwürdigen Wetterphänomens abzuwarten.

Kampf ums Überleben

Das Einzige, was Rosalie im Augenblick fürchtete, waren die unzähligen Wildschweine, die es in diesem Gebiet gab. Aus Angst vermied sie es auch bei Tag, die Suhlplätze zu überqueren. Nun hoffte sie inständig, dass ihr die Tiere fern blieben, zumal die sicher im Augenblick genau so blind waren, wie sie. Denn der Nebel hüllte sie soeben in ein feuchtes, völlig undurchsichtiges Tuch.

Wie lange sie schon dort gesessen hatte, wusste sie nicht, als sich irgendwann Durst und Hunger meldeten. Sie konnte nicht einmal etwas erkennen, als sie sich die Uhr genau vor die Augen hielt. Sie stieß bei der Aktion sogar unsanft mit der Nase ans Handgelenk, weil sie die Entfernung nicht abschätzen konnte.

Ein Frösteln überlief sie. Sie stellte den Kragen der Jacke hoch. Dann tastete sie sich zu den Henkeln ihrer vollen Beutel vor, streifte sich jeweils ein Paar links und rechts bis zum Ellenbogen über die Arme, um die Hände frei zu haben. Die rechte Hand schob sie von unten in den linken Jackenärmel, die linke in den rechten, wie in einen Muff, um sich ein wenig wohler zu fühlen, denn es war inzwischen empfindlich kalt geworden.

„Jetzt ein heißer Cappuccino und ein paar Kekse ...“ Rosalie zog geräuschvoll die Nase hoch. Sie hätte ja das Gebäck auch ohne Heißgetränk genommen oder anders herum. Der knurrende Magen gab nun auch noch seinen Senf dazu und Rosalie war eher nach Weinen, als nach Lachen, zumute.

Zudem kroch sie langsam Panik an, weil sie, außer ihrem rasenden Herzschlag und denen, die sie selber machte, gar keine Geräusche hörte. Sie schloss die Augen, dämmerte vor sich hin, um am Ende in einen unruhigen Schlaf zu fallen.

Das lautstarke Gezänk mehrerer Elstern und Krähen weckte sie schließlich. Rosalie gähnte herzhaft, dann blinzelte sie vorsichtig durch die spaltbreit geöffneten Lider. Der Nebel hatte sich verzogen, sie saß noch immer an den Stamm gelehnt mitten am Hang und auch die beiden Beutel voller Pilze waren noch da. Zeit, endlich zum Auto zurückzugehen.

Rosalie stemmte sich vorsichtig auf die Beine, um nicht den Hang hinunter zu kugeln, als sie beim Anblick des Waldbodens der Schock traf. Statt der Kiefernnadeln und Buchenblätter, zwischen denen sie die letzten Pilze hervorgepickt hatte, lagen Ölbaumblätter, kleine Oliven und einige Esskastanien umher. Wenn sie sich nicht völlig irrte, dann hielt sie sich gerade am Stamm einer großen Pinie fest, um nicht unkontrolliert bergab zu schlittern.

Fassungslos schaute sie sich um. Statt des Hohlweges lag eine unbefestigte Talstraße vor ihr, neben der ein breiter Bach oder ein kleines Flüsschen vor sich hin murmelte. Sie setzte sich wieder an den Baum, um nach ihrem Handy zu suchen, das in der Innentasche ihrer Jacke stecken musste. Es war noch da, sagte aber keinen Mucks, genau wie ihre Armbanduhr, die genau zwölf Uhr einfach stehen geblieben war. Was noch funktionierte, waren Hunger und Durst, die sich quälend wieder meldeten.

„Verdammt, was wird hier gespielt?“, hauchte sie. Vielleicht sollte ich versuchen, die Straße zu erreichen, um Hilfe zu bekommen,