Die Salomon Siegel Band I: Maria Magdalena - Patrizia A. Pfister - E-Book

Die Salomon Siegel Band I: Maria Magdalena E-Book

Patrizia A. Pfister

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Beschreibung

Miria, eine Antiquitätenhändlerin aus Nürnberg, erwacht, nachdem sie von einer Reise nach Israel zurückkehrte, jeden Morgen aus einem Alptraum, der mit dem Tod von Jesus am Kreuz endet. Sie fühlt dabei all die Schmerzen und das Leid, das ihm widerfuhr. Da sie sich immer nur an die Kreuzigungsszene erinnern kann, aber nicht daran, was davor geschah und weil der permanente, emotionale Stress, der damit verbunden ist, ihr Leben beeinträchtigt, sucht sie professionelle Hilfe, und das setzt eine Ereigniskette in Gang, die sie unablässig auf ein unbekanntes Ziel zutreibt. Der Weg zu diesem Ziel führt sie bis in den Vatikan aber auch in die Erinnerungen einer jungen Frau namens Mirjam, die zu Christi Zeiten lebte und man später Maria-Magdalena nennen wird.

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Die Salomon Siegel Band I: Maria Magdalena

Die Salomon Siegel Band I:  Maria-MagdalenaPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25ZeremonienImpressum

Die Salomon Siegel Band I:  Maria-Magdalena

Prolog

Liebe Leserin, lieber Leser, dies ist die Geschichte von Maria-Mag­da­­lena. Ist dies eine „wahre“ Geschichte, wo es doch schon einige Versionen derselben Story gibt? Es ist eine andere Form dieser Geschichte, denn du erfährst mit ihr eine Einweihung und dies auf jeden Fall ist „wahr“. Was ist eine Einweihung? Bei einer Einwei­hung wird „etwas“ aktiviert. Dieses Etwas kann sich im phy­sischen Körper, im Geist, in der Seele oder im „Lichtkörper“ be­finden. Es kann etwas Altes sein, oder auch etwas Neues, doch in beiden Fällen wird es etwas Neues bewirken: Neue Ereignisse, neue Gefühle, neue Menschen können in dein Leben treten. Die­ses „Etwas“ wird eine Veränderung in dir bewirken und diese Ver­änderung wird sich im Außen widerspiegeln. Der Grad der Ver­änderung hängt von deiner Offenheit Neuem gegenüber ab. Dein Bewusstsein wird erweitert werden, aber nur soweit wie du es wirk­lich wünschst.

Diese Geschichte hat noch einen weiteren Effekt, unabhängig von ihrer Handlung, die dich hoffentlich auch noch gut unterhält: Sie bewirkt Heilung. Die Veränderung von der ich spreche, hängt also mit Heilung zusammen. Oft ist es jedoch so, dass man, um heiler zu werden, erst durch einen Heilungsprozess hindurchgehen muss, der auch schmerzhaft sein kann. So heilt ein Sonnenbrand z. B. mit einem starken Juckreiz, oder kranke Organe manchmal erst durch einen chirurgischen Eingriff, der eben schmerzhaft sein kann, bis man durch den Heilungsprozess hindurch ist.

Heilung heißt in diesem Zusammenhang also, heiler sein als vorher und so wirst du am Ende der Geschichte nicht mehr der oder die Gleiche sein und auch etwas heiler im Sinne von „ganzer“ als vorher. Geschichten sind „gut“, wenn sie Gutes in dir bewirken und „schlecht“, wenn sie dir nicht guttun. Ich hoffe, diese Geschichte, die im Prinzip unser aller Geschichte ist, wird dir guttun. Sie wird auf jeden Fall im Minimum eine Erweiterung deines Horizontes be­wirken.

Viel Freude auf den Spuren der Maria-Magdalena, einer Isis Priesterin, Ägypten, 02.04.2013

Erläuterung der im Text verwendeten Symbole:

Die Flamme mit Kelch

steht für die laufende Handlung in der Gegenwart

***

Der Engel

repräsentiert die verstorbene Großmutter der Hauptrolle Miria, die ihre Enkelin großzog, nachdem die Eltern durch einen Autounfall gestorben sind.

***

Ankh mit Schlange

begleitet die Erlebnisse von Maria-Magdalena, die eine Isispriesterin ist, die zu Christi Zeiten lebte.

***

Das aufgeschlagene Buch

zeigt die Geschichte des Pater Pio auf, der in der katholischen Kirche den Beruf eines Exorzisten ausübt.

Kapitel 1

„Wir laden einen Göttlichen Funken dazu ein, Mensch zu werden,

willkommen in unserem Leben.

Wir, deine Eltern, werden nach bestem Wissen und Gewissen

und mit der größtmöglichen Liebe für dich sorgen.“

Schreiend und schweißgebadet wachte Miria auf und erin­nerte sich… an den Schmerz, als man ihm die Nägel durchs Fleisch trieb. Noch immer hallten ihr die Hammer­schlä­ge in der Schläfe und in den Ohren, als man zunächst seine linke Hand an den Balken festnagelte, dann die rechte, und auch noch Nägel durch beide Füße trieb. Gleichzeitig fühlte sie sich wie die Erde, durch deren Körper das Zittern einer schrecklichen Angst durchlief ob der Dinge, die nun kommen würden.

Schreiend und schweißgebadet wachte Miria auf und erin­nerte sich… an den Schmerz, als manihmdie Nägel durchs Fleisch trieb. Noch immer hallten ihr die Hammer­schlä­ge in der Schläfe und in den Ohren, als man zunächstseinelinke Hand an den Balken festnagelte, dann die rechte, und auch noch Nägel durch beide Füße trieb. Gleichzeitig fühlte sie sich wie die Erde, durch deren Körper das Zittern einer schrecklichen Angst durchlief ob der Dinge, die nun kommen würden.

Fassungslos rieb sie sich die Hände und Füße und versicherte sich, dass alles nur ein Traum war, ein sehr realistischer und doch nur ein Traum, oder? Die Schmerzen in ihrem Körper sprachen je­doch eine andere Sprache, eine, die deutlich sagte: Dies ist real, es hat etwas zu bedeuten. Du spürst alles so deutlich, weil es dir und anderen etwas sagen soll.

Miria rieb sich den Hals. Sie hatte sich wund geschrien … wieder einmal. Nur gut, dass sie alleine in einem großen Haus wohnte. Wie oft hätte sie sonst in den letzten Monaten ihre Mitbewohner erschreckt und aus dem Schlaf gerissen? Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie diesen speziellen Traum in ihrer Stadtwohnung in Nürnberg nicht mit dieser Intensität hatte ... zumindest schrie sie nicht beim Aufwachen. Sorgte ihr Unterbewusstsein dafür, dass ihre Nachbarn in Frieden schlafen konnten?

Es hatte nach ihrer Urlaubsreise nach Jerusalem angefangen: Vielleicht mit dem Besuch der Geburtsstätte Jesu in Bethlehem, der gar nicht so angenehm gewesen war. Mit dieser Reise hatte „etwas“ begonnen, von dem sie selbst nicht sagen konnte, was es war. Nur die Auswirkungen konnte sie sehen. Angesichts der Tour­is­tenmassen, die sich durch die kleine unterirdische Kammer in Bethlehem drängten, waren ihre Geduld und ihre klaustro­pho­bischen Neigungen dort auf eine harte Probe gestellt worden. Doch das war nichts gewesen im Vergleich zu ihrer ersten Nacht wieder zu Hause, als ein Albtraum begann, der kein Ende nehmen wollte. Immer häufiger hatte sie diesen einen Traum, aus dem sie gerade erneut völlig erschöpft aufgewacht war.

Da dieser Traum sie inzwischen jede Nacht heimsuchte, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als professionelle Hilfe zu suchen, und dieser Termin war heute, sonst wäre sie um diese Uhrzeit längst in ihrem Antiquitätenladen gewesen. Sie hatte sich für die­sen Termin den ganzen Vormittag freigehalten und so war genug Zeit, um von ihrem Haus auf dem Land zurück in die Stadt zu fahren, was, je nach Verkehr, ca. zwei Stunden dauerte.

Miria schlug ihre Bettdecke zurück, die von Feuchtigkeit durchnässt war. Sie musste die Bettwäsche dringend wechseln, schon wieder! Selbst wenn sie bis abends wieder trocken gewesen wäre, schwitz­te sie doch ziemlichen „Dreck“ aus, sodass der Geruch nicht gera­de angenehm war. Sie zog also das Bett ab, stopfte alles in die Waschmaschine, stellte sich dann selbst unter die heiße Dusche und schwemmte den Schweiß, den miesen Geruch und die Erin­nerungen fort, aber sie wusste: Nicht lange und ihre Psycho­login würde darauf bestehen, alle Einzelheiten noch einmal durch­zu­kauen und dann würde der Schmerz zurückkehren…

*

Zwei Stunden später saß sie vor der Therapeutin. Stephanie Weiß rieb sich nachdenklich die Schläfen, während ihr forschender Blick auf Miria ruhte. Mirias Hände waren schweißnass, bis jetzt waren aber noch nicht die Gefühle wachgerufen worden, die sie in der Nacht beim Erleben ihres Traumes hatte und doch war sie ängst­lich, als sie mit ihrer Erzählung fortfuhr: „Es ist so real, Frau Weiß, dass ich schon fürchte, ich werde bald stigmatisiert sein.“ Dies war nur halb im Scherz gesagt, denn Miria betrachtete finster ihre Hände, die tatsächlich immer öfter vor Schmerzen pochten.

Die ältere Frau sah Miria immer noch so forschend an, wie zuvor und entgegnete: „Sie sehen diese Szene und Sie fühlen den Schmerz. Glauben Sie selbst daran, den Kreuzestod von Jesus mitzuerleben, als wären Sie dieser selbst gewesen?“ „Nein, obwohl es so schmerzt. Es ist vielmehr so, dass mein Blick­winkel ein anderer ist. Ich betrachte ihn von unten herauf und fühle mit ihm, als wäre ich empathisch so sehr mit ihm verbunden, dass es keinerlei Unterschied macht, ob ich selbst da hänge oder nicht. Es ist, als wäre da jemand, der ihm einen Teil des Schmerzes durch das Mitfühlen nehmen möchte, so als erwarte sie, dass es funktionierte, wie es schon oft funktioniert hatte, doch diesmal geht es nicht. Sein Leid wird dadurch nicht kleiner.“

„Sie? Von einer „Sie“ haben Sie bisher noch nicht gesprochen.“ Frau Weiß machte sich Notizen auf ihrem unvermeidlichen Block, als gäbe es heute nicht modernere Mittel der Aufzeichnungen. Aber diese Frau war so altmodisch, wie sie es in ihrer ganzen Art auch ausstrahlte: Nickelbrille, graues Haar zu einem Dutt geformt, nicht gerade moderne Kleider, doch weiblich.

Miria konzentrierte sich auf die Psychologin, weil sie einfach nicht nachdenken wollte und gleichzeitig wusste sie, dass diese beharr­liche Frau eine Antwort erwartete. Und doch dachte Miria zunächst über ihr Gegenüber nach. Sie fühlte sich bei ihr gut aufgehoben und sicher, hatte tatsächlich Vertrauen zu der kleinen Gestalt ge­wonnen, was Miria selbst überraschte, hatte sie doch noch nie pro­fessionelle Hilfe in Anspruch nehmen müssen und bisher von den „Seelenklempnern“ nicht viel gehalten.

Sie schaute in die erwartungsvollen Augen und antwortete: „Sie haben recht. Mir ist das eben erst aufgefallen. Ich hänge selbst nicht am Kreuz sondern stehe darunter. Die Perspektive ist da sehr wichtig. Kann es sein …“, sie stockte, „kann es sein, dass ich eine Art Aufzeichnung von jemand anderem sehe … und das fühle, was sie gefühlt hat? Ich bin mir absolut sicher, dass es eine Frau ist, die zuihmhoch blickt.“ „Wissen Sie, meine Liebe, im Moment kann ich Ihnen nur den einen Rat geben: Träumen Sie den Traum zu Ende. Ihre Angst weckt Sie immer an der gleichen Stelle. Auch das muss einen Grund haben. Versuchen Sie in Ihrer Erinnerung bis an diese Stelle zu kommen und darüber hinaus zu gehen. Wenn wir feststellen, wovor Sie sich so fürchten, können wir die Angst bearbeiten, den Traum sich weiterentwickeln lassen und ihn zu Ende träumen, so­dass Sie aus dieser Gefühlsspirale aussteigen können.“

„Ich traue mich nicht, dies alleine durchzustehen. Die Gefühle dieser Frau sind so stark, wie ich sie selbst nie in diesem Leben empfunden habe und ich bin mir ziemlich sicher, auch sonst kaum jemand. Sie sind so stark, dass sie einen ganzen Raum füllen, anders kann ich es nicht beschreiben und genau das macht mir Angst. Wenn sie bei dieser Szene dabei war … was mag ihr noch alles widerfahren sein, was vielleicht noch stärkere Gefühle verur­sachte, und nicht gerade angenehme …“ „Ah, nun kommen wir der Sache etwas näher. Sie fürchten sich also vor dem, was dann kommt und die Gefühle, die damit ver­bun­den sind, bzw. waren, richtig?“

„Nun, schon auch, aber es trifft es nicht ganz. Können wir nicht eine Rückführung in die letzte Nacht und in den Traum machen, sodass ich nicht alleine bin, wenn ich ihn wieder durchlebe? Sie können mir helfen, den Traum, oder die Erinnerung, von wem auch immer, zu steuern, sodass wir vielleicht tatsächlich weiterkommen. Ich weiß, dass Sie eine Expertin in Sachen Rückführung sind.“

Miria sah Frau Weiß mit Verzweiflung im Blick an, denn sie wusste sich sonst tatsächlich keinen Rat mehr…

Diese schloss für einen Moment die Augen, um sich darüber klar zu werden, ob dies ein gangbarer Weg wäre. Sie hatte schon viele Rückführungen durchgeführt und wusste, dass Miria sie genau aus diesem Grund aus dem Branchenbuch gefischt hatte. Doch nicht immer zeigten Rückführungen das, was der Zurückgeführte erwar­tete und manchmal war die Rückführung traumatischer als alles, was davor war, weil man dabei direkt in das Geschehen ein­tau­chte. Nicht immer war es gut, das Drama hochzuholen. Die Ver­zweiflung im Blick von Miria und die vergangene Stunde, in der sie diese auf verschiedene Charakterzüge hin unauffällig geprüft hatte, ließen in Stephanie das Gefühl wachsen, dass Miria mit den Er­gebnissen würde umgehen können und es für diese wirklich hilf­reich sein könnte, tatsächlich eine Rückführung durchzuführen. Au­ßerdem konnte sie zwar sehen, dass die junge Frau schon Ver­luste erlitten hatte, aber sie wirkte nicht wie jemand, der psychische Probleme hatte und umso rätselhafter war diese Therapiestunde auch. Stephanies Neugierde war geweckt und eine gewisse Ah­nung, dass da mehr war, als es im ersten Augenblick aussah.

Sie nickte kurzentschlossen, öffnete die Augen und holte eine kleine silberne Taschenuhr und bat Miria, sich zu entspannen und im­mer auf diese Uhr zu blicken. Frau Weiß summte eine rätsel­hafte Melodie vor sich hin, die dazu beitrug, dass Miria immer ent­spannter wurde und schließlich in die Schwärze fiel, in der sie je­doch immer noch das Summen der weisen Alten hörte …

Hmm, hmm, hmm, hmm

„Miria, kehren Sie zu dem Moment zurück, an dem Sie sich gestern Abend schlafen legten. Sie werden müde und schließen nun die Augen… Sie sind nicht alleine… Was geschieht jetzt?… Erzählen Sie mir, was Sie sehen …“

Miria: „Ich höre Worte:„Wir laden einen Göttlichen Funken dazu ein, Mensch zu werden, …“Die Schwingung, die Zärtlichkeit derge­sunge­nenWorte, die von einem Mann und einer Frau gleichzeitig gespro­chen werden, ziehen mich an. Ich fliege dorthin, wo sie ausge­spro­chen werden. Dort ist Licht und Liebe, eine orgastische Explo­sion zweier Menschen, die sich vereinigen. Ich werde dorthin gezo­gen, ich kann mich nicht mehr wehren, habe keinen eigenen Willen mehr, bin gefangen …“

Frau Weiß: „Wie geht es weiter? Was geschieht nun?“

„Ich bin wochenlang, monatelang gefangen, werde dabei immer größer. Ich merke das daran, dass mein Gefängnis immer enger wird. Ich glaube, ich bin im Bauch meiner Mutter, denn nun kom­men rhythmische Schübe, die mich vorantreiben, durch einen engen Kanal, hinaus in die Kälte. Ich will zurück, hier ist es so schön warm… Ich will zurück… ich habe es mir anders überlegt … es ist zu groß … das werde ich nicht schaffen … es ist zu viel verlangt … ich will gehen, versuche mich gegen den Vorwärts­schub zu wehren … Ich bin draußen, doch weigere ich mich zu atmen, höre immer wieder auf damit.

Ein bestürzter Ausruf eines Mannes … er bläst mir Atem ein, zwingt mich zu atmen … Er tut mir leid. Ich will nicht, dass er leidet. Er hat Angst, mich zu verlieren. Ich bleibe, damit er nicht leidet und sie, meine Mutter, auch nicht, aber in diesem Moment weiß ich, dass ich eines Tages großes Leid erfahren werde und mich dafür entschieden habe, damit andere nicht meinetwegen leiden. Ich weiß in diesem Moment, ich müsste mich erinnern, was vor demEinladungsliedwar, aber ich habe es vergessen …

Ich strample und schreie und ärgere mich, dass ich mich nicht anders bemerkbar machen kann … mein Körper ist winzig … oh, ich bin ein Baby, jetzt verstehe ich erst, dass ich gerade in eine Wirklichkeit hineingeboren wurde, die mir noch große Schwierig­keiten machen wird. Sie ist so anders als die, von der ich gekom­men bin. Hier ist alles so schwer, so mühselig, und so ohne Liebe. An die Liebe von „drüben“ kann ich mich erinnern und daran, dass vor mir eine schwere Aufgabe liegt …

Endlich bin ich gesäubert und ich werde an die Brust meiner Mutter gelegt. Ein wohliger Seufzer kommt von ihr und von mir. Ich trinke ihre Milch, sie schmeckt süß … Ich schlafe ein, nicht gerade glück­lich, aber angekommen, in einem Leben, das viel Bewegung haben und nicht gerade langweilig sein wird. Merkwürdig, dass ich das schon vorher weiß, woher?“

Frau Weiß: „Miria, kommen Sie in die Gegenwart zurück. Ich zähle rückwärts von zehn bis eins und bei eins sind Sie wieder hier bei mir, in meinem Büro und fühlen sich erfrischt, so als hätten Sie einen erholsamen Schlaf gehabt: 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1. Öffnen Sie nun die Augen.“

Miria tat es und rieb sich verwundert die Augen und fragte: „Sie haben mich hypnotisiert, nicht wahr? Aber ich kann mich an jedes Wort, das ich sagte, an jedes Gefühl, das ich hatte, erinnern … Sagten Sie nicht, das wäre nicht der Fall?“

„Ehrlich gesagt, Miria, ich weiß es nicht, aber ich hatte schon so etwas vermutet. Es ist ziemlich ungewöhnlich. Es gibt verschie­dene Formen der Hypnose und ich wandte eine an, bei der Sie sich eigentlich nicht erinnern sollten ... Ich habe zwar alles auf Band aufgenommen, aber wenn Sie sich erinnern, ist das Durchsprechen der Ereignisse einfacher.

Wir sind an den Anfang einer Geschichte gegangen, die mit Ihrem Erwachen durch die Kreuzigungsszene endet. Ich schlage vor, dass wir Schritt für Schritt vorgehen und dies nicht zu schnell, weil ja auch Emotionen mit hereinspielen, die verarbeitet werden müs­sen. Ich glaube, Sie haben durch irgendein Ereignis Zugang zu einer Geschichte, die erzählt werden will. Ob diese Geschichte der Wahrheit entspricht, spielt an dieser Stelle keine Rolle, es ist eine Geschichte, die vielleicht auch nur dazu führen soll, irgendein ver­stecktes Kindheitstrauma zu bearbeiten, aber sie kann uns auch anderswohin führen. Also sollten wir Sie diese Geschichte erzählen lassen und abwarten, wohin uns das Ganze führt. Sind Sie ein­ver­standen?“

Miria nickte noch etwas benommen. Immer, wenn sie aus ihrem Albtraum erwachte, konnte sie sich nur an diese letzte Szene erinnern. Nun wusste sie das erste Mal sicher, dass diese Ge­schichte auch einen Anfang hatte und nicht nur aus diesem einen Ereignis bestand.

Als sie die Therapeutin verließ, war sie fest entschlossen, diese Geschichte ganz zu erfahren, daher hatte sie auch gleich für den nächsten Montag eine weitere Sitzung verabredet.

Als Miria das Zimmer verlassen hatte, hinterließ sie eine sehr nach­denkliche Therapeutin und auch diese kam zu einer Entschei­dung und griff zum Telefon …

Kapitel 2

Miria und Frau Weiß hatten Sitzungen im ungefähren wöchent­lichen Rhythmus vereinbart und Miria gedachte diese einzuhalten, was auch immer dabei herauskam, doch bis zum nächsten Mal musste sie sich um andere Angelegenheiten kümmern. Ihre Groß­mutter war zwei Tage zuvor tot in deren Wohnung aufge­funden worden und so gab es jede Menge Formalitäten für die Beerdigung vorzubereiten. Sie hatte eine winzige Wohnung in Nürnberg, die ihr als Basis für ihre Tätigkeit diente und ein Haus außerhalb, auf dem Land, in dem sie immer dann wohnte, wenn sie länger ausspannen konnte und wollte. Als sie die kleine Wohnung in der Irrerstraße er­reichte, wollte sie sich nur rasch frisch machen und die Be­er­di­gungstour dann angehen, doch eine Nachricht auf dem Anruf­be­antworter änderte ihre Pläne. Der Arzt, der die Todes­ursache fest­gestellt hatte, bat um ihren schnellstmöglichen Besuch, um einige Punkte mit ihr zu erläutern. Miria, die noch nie eine Beer­digung abgewickelt hatte, dachte sich nichts weiter dabei und plante diesen Termin einfach bei ihrer Rundtour mit ein und saß eines Stunde später in dessen Wartezimmer.

Dr. Preisgott empfing sie freundlich, jedoch mit einer etwas un­durchdringlichen Miene, die nun doch langsam ein mulmiges Ge­fühl in Miria aufkommen ließ und seine nächsten Worte ver­stär­kten dies noch: „Frau Toral, wie nahe standen Sie und ihre Großmutter sich?“ „Ich bin bei ihr aufgewachsen, nachdem meine Eltern durch einen Unfall ums Leben kamen, als ich noch klein war. Ich kann mich kaum an die beiden erinnern. Meine Großmutter war dadurch viel mehr als eine Oma für mich. Sie war auch meine beste Freundin. Der Verlust hat uns zusammen geschmiedet. In letzter Zeit habe ich sie nicht mehr so häufig besucht, zum einen weil ich mit der Erweiterung meiner Selbstständigkeit beschäftigt war und zum an­deren, weil sie mich darum gebeten hatte, etwas Abstand zu hal­ten, allerdings habe ich nicht wirklich verstanden warum. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich vor irgendetwas beschützen wollte, aber sie sagte mir nie wovor und ich habe nicht gefragt, ob meine Ein­schätzung stimmt. Sie machte immer wieder Reisen ins Aus­land. Sie erzählte mir, dass sie noch möglichst viel von dieser Welt se­hen möchte, bevor sie sie verlassen muss. Meine Oma war noch sehr rüstig und darum traf mich ihr Tod völlig unvorbereitet. Einen Tag vorher hatte sie mir noch am Telefon von ihren neuesten Reiseplänen erzählt. Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie tot ist. Es kam so unerwartet.“ Mirias Stimme zitterte, denn erst so nach und nach sickerte in ihr Bewusstsein, dass sie nun ganz alleine war.

„Wohin wollte sie denn, wenn Sie mir die Frage gestatten?“ „Oh, eigentlich nur nach Portugal. Da war sie schon öfter und es gefällt ihr dort wohl gut.“ Dr. Preisgott sah Miria nachdenklich an und fragte weiter: „War sie irgendwie aufgeregter als sonst, oder hat sie irgendetwas Ungewöhnliches gesagt bei diesem Gespräch?“ „Nun, sie war tatsächlich ungewöhnlich aufgeregt, aber ich schrieb das ihrem Alter zu. Warum fragen Sie?“ „Als ich zu Ihrer Großmutter gerufen wurde, war sie schon seit eini­ger Zeit tot. Mir vielen einige ungewöhnliche Dinge auf, woraufhin ich eine Autopsie vornahm. Deren Ergebnisse zwangen mich, die Polizei einzuschalten …“

Miria ließ den Arzt nicht ausreden und fragte erschrocken: „Die Polizei? Warum denn das?“ Dr. Preisgott zog die Lippen seines Mundes eng zusammen und holte tief Luft, als er weitersprach: „Frau Toral, Ihre Großmutter starb an einer Vergiftung und nach allem, was ich bisher sagen kann, hat sie sich diese nicht selbst beigebracht: Sie wurde ermordet!“

Miria starrte den Arzt nur an, denn antworten konnte sie auf diese absurde Behauptung nichts. Nachdem sie keine Anstalten machte irgendetwas zu sagen, fuhr der Doktor fort: „Die Polizei hat einige Fragen an Sie. Was auch immer Sie heute noch vorhatten, müssen Sie vergessen. Sie werden draußen schon erwartet. Falls Sie mich noch einmal sprechen wollen… hier ist meine Handynummer. Ich hätte da noch eine Information für Sie…“

Mit diesen rätselhaften Worten schob er Miria seine Visitenkarte über den Tisch zu, doch aus dieser platzte nun das heraus, was sie bewegte: „Also hören Sie mal, das ist völlig absurd. Meine Groß­mutter war eine harmlose alte Dame, die niemand hätte umbringen wollen… es sei denn, es war ein Einbrecher, den sie auf frischer Tat ertappt hätte. War es so?“ „Dazu darf ich keine Auskunft geben, Frau Toral. Das müssen Sie verstehen. Verstehen Sie bitte auch das: Wir können die Leiche noch nicht zur Beerdigung freigeben. Zunächst muss der Gerichts­mediziner diese ebenfalls untersuchen. Dann werden die Berichte verglichen und besprochen und erst danach können weitere Schrit­te eingeleitet werden.“

Miria nahm die Visitenkarte vom Tisch, stand auf und ging wie eine Schlafwandlerin aus der Praxis des Arztes hinaus, wo ein Kripo­beamter sie erwartete. Etwas Eisiges hatte sich um ihr Herz gelegt. Zum einen realisierte sie erst jetzt wirklich, dass ihre geliebte Nan­ny, so hatte sie sie genannt, sie nicht durch diese Krise ihres Le­bens führen konnte, so wie sie es seit vielen Jahren getan hatte und zum anderen war sie nicht einfach gestorben, weil es der Lauf der Dinge war, sondern sie war durch fremde Hand aus dem Leben gerissen worden. Ein Einbrecher hätte kaum Gift angewendet, also musste hier etwas anderes im Gange sein.

„Frau Toral? Mein Name ist Peter Menninger. Bitte folgen Sie mir mit Ihrem Wagen bis zum Revier. Von dort können Sie dann wieder starten. Das ist einfacher, als Sie wieder hierherzubringen, wenn ich Sie mitnähme. Sie werden mir doch nicht weglaufen, oder?“ Verblüfft über die Andeutung, die diese Worte enthielten, ant­wor­tete Miria bissig: „Ich wüsste nicht wieso.“

15 Minuten später saß sie diesem Peter gegenüber, den sie unter anderen Umständen vielleicht interessant gefunden hätte: Mit sei­nen 1,90 und dunkelblondem langem Haar sah er gar nicht wie ein Polizist aus, sondern eher wie aus einem Robin-Hood-Film ent­stiegen, was der entsprechende Bart noch unterstrich. Doch sollte Miria erst viel später über den Mann nachdenken. Ihr gegenüber saß ein Polizist, ein Mann der Behörden, der sie anscheinend ver­dächtigte. Sie spürte, wie Wut in ihr hochstieg… und man konnte es ihr wohl ansehen, denn er meinte ruhig: „Würden Sie mir bitte sagen, ob die Personalien, die ich von Ihnen habe, stimmen? Sie wurden am 4.4.1985 in Würzburg geboren. Ihre Eltern Gerd und Hertha Reuß kamen bei einem Autounfall ums Leben, als Sie drei waren und seitdem lebten Sie bei Ihrer Groß­mutter. Ist das alles richtig?“ „Ja“, antwortete Miria mürrisch.

„Frau Toral, bei Mord müssen wir alle Angehörigen vernehmen, um sie als Tatverdächtige auszuschließen, um dann umso schneller allen anderen Hinweisen nachgehen zu können. Aber die traurige Wahrheit ist, dass Mord oft innerhalb der Familie geschieht. Ich muss Sie daher fragen: Wo waren Sie, als Ihre Großmutter starb?“ „Da mir noch niemand den genauen Todeszeitpunkt genannt hat und wenn ich so darüber nachdenke, nicht einmal den genauen Tag, kann ich diese Frage gar nicht beantworten.“ Ohne es zu wis­sen, hatte sie damit in Peter den ersten Verdacht schon etwas verringert, denn ein Täter würde gleich ein Alibi parat haben, es sei denn er, bzw. sie, war so ausgefuchst, seine Falle gleich gewittert zu haben. In seinem Job musste man eine gute Menschenkenntnis haben und diese Frau kam ihm nicht gerade wie eine Mörderin vor, auch wenn sie irgendetwas sehr zu beschäftigen schien.

„Nun, Ihre Großmutter starb vor drei Tagen, und zwar um 10.10 Uhr und leider muss ich sagen, dass es ein sehr qualvoller Tod war. Es ist, als ob jemand sie absichtlich leiden lassen wollte und sie im vollen Bewusstsein darüber ließ, dass das Leben aus ihr herausrinnt. Die Art des Giftes lähmte sie zunächst, sodass sie keine Chance hatte, irgendwie Hilfe herbeizuholen. Es lähmte auch die Atemwege, sodass sie immer schlechter Luft bekam.“

Der Mann stockte in seiner Erzählung, denn das pure Entsetzen in Mirias Gesicht ließ ihn inne halten. Wenn diese Frau etwas mit dem Mord zu tun hatte, dann war sie eine sehr gute Schau­spie­lerin. „Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wer meiner Oma so etwas antun wollen würde…“

„Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt? Ich muss Sie das fragen, verstehen Sie?“ „Heute ist Montag… dann war das Freitag. Nun, ich habe einen kleinen Antiquitätenladen in der Mauthalle im Zentrum. Ich war dort und ging vormittags meinen Bestand durch, um festzustellen, was ich demnächst bestellen muss.“

„Kam jemand zu dieser Zeit in den Laden? Haben Sie Zeugen, die das bestätigen können?“ „Oh, wissen Sie, ich sehe bei jedem Kunden auf die Uhr, der mei­nen Laden betritt, um für den Notfall ein Alibi zu haben, man weiß ja nie, wann einem die Oma ermordet wird,“ fauchte Miria mit bei­ßender Ironie. Peter Menninger verbiss sich ein Grinsen. Die Frau hatte schon „etwas“. Er dachte nach…

„Haben Sie eine von diesen modernen Kassen, die Datum und Uhrzeit registrieren? Dann könnten wir feststellen, ob Sie zu dieser Zeit etwas verkauft haben. Das würde Ihnen bei Ihrem Alibi helfen.“ „Ja, ich habe so eine Kasse, aber auch mein Computer hat ja eine Uhr und die Dateien, an denen man arbeitet, zeigen Datum und Uhrzeit an. Aber wenn sich da eine Lücke ergeben sollte, bleibt die Frage, warum ich denn meine Oma ermorden sollte? Sie hatte nur ihre Rente und die gab sie für ihre Reisen aus. Also um Geld kann es nicht gehen. Ich liebte sie. Ich hatte einfach keinen Grund, ihr etwas anzutun. Im Gegenteil. Ich sorgte mich um sie und küm­mer­te mich um die Dinge, die sie nicht erledigen konnte oder wollte. Sie war wie eine Mutter für mich, denn sie hat mich aufgezogen, wie ich schon sagte.“ „Nun, können wir zu Ihrem Geschäft fahren, um die Kasse zu über­prüfen?“ „Natürlich. Ich hatte einigen Besuch an diesem Freitagmorgen. Aber die meisten streifen nur durch das Geschäft, aber kaufen nichts. Echte Antiquitäten sind teuer und nur Liebhaber und Kenner sind bereit, Geld dafür auszugeben. Man kann davon leben, aber reich wird man nicht, jedenfalls nicht auf dem legalen Weg.“ „Nun, dann lassen Sie uns starten. Diesmal bitte ich Sie, in meinem Wagen mitzufahren, da wir noch einmal hierher kommen müssen. Sie müssen Ihre Zeugenaussage später noch unterschreiben.“

In Miria tobten unterschiedliche Gefühle, während sie neben dem Polizisten saß. Zum einen war da die Wut über den absurden Gedanken, dass sie Nanny hätte etwas antun können. Ihr war aber auch mulmig zumute, weil sie noch nie in Begleitung von Polizei gewesen war. Ihre schlimmsten Begegnungen mit den Ordnungs­hütern war das Kassieren von Strafzetteln, vor allem, was das Parken betraf, weil diese Personen oft gar nicht mit sich reden ließen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, sodass sich die Fin­gernägel in die Handflächen gruben, doch sie bemerkte es nicht. Mechanisch folgte sie dem Polizisten zu ihrem Geschäft, nachdem sie geparkt hatten. Als sie dort ausgestiegen war, hatte sie nichts von ihrer Umgebung wahrgenommen, so beschäftigt war sie mit ihren Gedanken. Sie schloss auf und strebte durch zwei Räume der Kasse zu, ohne sich darum zu kümmern, ob der Polizist ihr folgte. Sie war wütend auf ihn, obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass der Mann nur seinen Job machte. Sie gab den Code für die Kasse ein und suchte im Computer nach dem Tag, der ihr vielleicht ein Alibi verschaffte …

Und tatsächlich! Ca. 10 Minuten vor der angegebenen Tatzeit, hat­te jemand drei antike Bücher gekauft, von denen sie eine kleine Auswahl da hatte. Das hatte sie ganz vergessen. Der Mann hatte ein ungewöhnliches Interesse an solchen Büchern gehabt, wobei er nach etwas ganz Bestimmtem zu suchen schien, ohne ihr zu verraten, was er eigentlich suchte. Daher war er ihr auch im Ge­dächtnis geblieben. Das sagte Miria auch Menninger. Dieser war hin und hergerissen, das unvermittelt aufgetauchte Alibi schien den ersten Verdacht zu minimieren und andererseits gab es keine anderen Anhaltspunkte als diese Verwandte, der man es anmerkte, dass sie vor Wut kochte ... eine normale unverdächtige Reaktion, wenn sie wirklich unschuldig war … war sie es? Peter Menninger war sich einigermaßen sicher, doch wollte er in jeder Hinsicht 100% überzeugt sein, bevor er nach anderen Tatverdächtigen such­te.

„Frau Toral, Sie sagten auch etwas von einem Computer...“ „Ach ja. Ich habe zwei, meinen Laptop und meinen großen Com­puter. Die Bestandslisten habe ich auf dem Laptop, weil ich damit überallhin gehen kann. Kommen Sie hier lang.“ Miria führte ihn zu dem Laptop, der noch auf einer Kommode stand, wo sie ihn hatte stehen lassen, klappte ihn auf und suchte die Dateien, die sie am Freitag bearbeitet hatte. „Kann ich mir die kopieren, damit unsere Sachverständigen sie überprüfen können?“ fragte er Miria.„Natürlich. Wollen Sie den Laptop mitnehmen? Ich brauche ihn jeden Tag...“ „Wir können ihn gleich mitnehmen und wenn Sie mit einem Lügendetektortest einverstanden sind, haben unsere Experten sicher schon die Dateien heruntergeladen, um die es uns geht. Damit würden wir ziemlich schnell vorankommen, was die üblichen Verfahrensweisen betrifft und Sie können ihn dann gleich wieder mitnehmen.“ Gespannt wartete er auf ihre Reaktion.

„Sie meinen wohl den Ausschluss von mir als Verdächtige?“ Miria war nicht mehr so wütend, aber doch noch geladen wegen dieser Absurdität. Die Tatsache, dass tatsächlich zufällig jemand im La­den gewesen war, der auch noch etwas kaufte, hatte sie doch et­was beruhigt. Zu diesem Zeitpunkt war ihr die Tatsache, dass es eigentlich keinen Zufall gab, noch nicht bewusst. „Ja, genau. Das beschleunigt ungemein.“ „Na schön, bringen wir es hinter uns. Müssen wir dazu gleich wieder auf Ihr Revier zurück?“„Ja, bitte folgen Sie mir. Ich werde inzwischen telefonieren, damit alles parat ist, wenn wir dort sind.“

Als Miria ihr Geschäft abschloss, beschlich sie ein seltsames Gefühl: Würde sie je wieder in den normalen Trott ihres bisherigen Lebens kommen? Die seltsamen Träume, denen sie auf den Grund zu gehen versuchte auf der einen Seite, und der unerwartete Tod ihrer Nanny, der auch noch mysteriös zu sein schien, auf der an­deren, fühlten sich wie eine Weichenstellung ihres Lebens an, nach der nichts mehr wie vorher sein würde … Die schönen antiken Möbel im Schaufenster zeugten von einer anderen Zeit, hatten Geschichten zu erzählen, von denen sie manchmal glaubte, sie zu hören. Auch ihr Traum erzählte eine Geschichte, eine, die alle Welt kannte, oder doch nicht? Warum träumte sie von der Kreuzi­gungs­szene? Gab es hier noch „Unerzähltes? Musste sie deshalb immer wieder dorthin zurück? Vielleicht hatte Frau Weiß recht. Miria entschied sich dafür, für die nächste Sitzung gleich eine Rück­führung zu verlangen, damit in der einen Stunde mehr zum Vor­schein kommen konnte. Doch nun musste sie sich diesem blö­den Test stellen, der nichts ans Licht bringen würde, was diesem Menninger irgendwie weiterhelfen würde und genauso war es auch.

Miria ließ die Prozedur des Anlegens der Elektroden und die lästigen Fragen über sich ergehen und es war, wie sie es gesagt hatte: Sie hatte in allen Punkten die Wahrheit gesagt. Es gab nichts zu erben, und emotionale Motive gab es auch nicht. Sie hatte einfach keinen Grund ihre einzige noch verbliebene Verwandte „um die Ecke zu bringen.“ Die letzte Überraschung des Tages kam jedoch am Ende dieses „Verhörs.“ „Nun, liebe Frau Toral“, meinte Menninger, als er mit ihr wieder in seinem Amtszimmer saß, „obwohl es Methoden gibt, einen Lügen­detektortest zu unterlaufen, sind wir in Ihrem Fall ziemlich sicher, dass Sie als Tatverdächtige nicht in Frage kommen. Aller­dings muss ich Sie in einem Punkt korrigieren: Es gibt für Sie sehr wohl ein Motiv! Ihre Großmutter hat Ihnen ein beträchtliches Vermögen hinterlassen. Das enthebt Sie der Notwendigkeit, in der Zukunft noch Geld verdienen zu müssen. Es wird Ihnen ein an­genehmes Leben bescheren, wenn Sie nicht auf zu großem Fuße leben.“

Die Verblüffung, mit der Miria Menninger anstarrte, war so unmittel­bar und echt, dass dieser fast laut herausgelacht hätte.  „Hey, das ist völlig unmöglich. Ihre Rente war manchmal so knapp, dass ich ihr immer wieder aushelfen musste. Wenn sie Geld ge­habt hätte, wäre das doch nicht nötig gewesen. Das kann ich sogar beweisen, weil ich ihr hin und wieder Geld von meinem auf ihr Konto überwiesen habe.“ „Dessen bin ich mir bewusst, denn das habe ich inzwischen überprüft. Welche Motive Ihre Großmutter auch hatte, so zu tun, als hätte sie nichts: Es entspricht nicht der Wahrheit. Sie ist seit vielen Jahren eine wohlhabende Frau und hätte sich durchaus ir­gendwo ein Haus kaufen und immer noch vom Rest des Geldes bequem leben können. Haben Sie irgendeine Idee dazu?“

Miria dachte eine Weile nach und antwortete dann: „Ich kann mir nur vorstellen, dass es Geld von meinen Eltern ist und sie es deshalb nicht angerührt hat, weil es damit eigentlich meines ist. Das würde zu ihrer Sturheit passen.“ „Nun, wenn das Testament eröffnet wird, wird sich das vielleicht klären. Wir haben es in ihren Unterlagen gefunden. Wir haben es an den Vollstrecker gegeben und mit ihm gesprochen. Die Testa­mentseröffnung wird in vier Tagen, also am Freitag, um 10.00 Uhr angesetzt, weil wir uns davon erhoffen, Hinweise zu finden. Aller­dings darf ich nur teilnehmen oder über den Inhalt unterrichtet wer­den, wenn Sie es mir gestatten. Tun Sie das?“

Miria sah den Mann zweifelnd an. Was auch immer in dem Testa­ment stand, es war bestimmt sehr persönlich und ging doch nie­manden etwas an. Auf der anderen Seite wollte sie mehr als jeder andere wissen, was hier eigentlich los war. „Na gut. Sie können mitkommen.“ Man hörte ihrem Tonfall an, dass sie nicht gerade begeistert war. „Gut, dann werde ich da sein. Hier ist noch meine Handynummer. Falls Ihnen irgendetwas einfällt, was zur Lösung dieses Falles bei­tragen kann, zögern Sie nicht, mich anzurufen.“ Miria nahm die Karte entgegen und steckte sie in ihre Handtasche. Sie rechnete allerdings nicht damit, sie je zu brauchen - wie sehr sie sich irrte, würde sie noch feststellen…

Als sie den Motor ihres Wagens startete, fuhr sie zunächst zur nächsten Apotheke, denn sie wusste: Heute würde sie ein Schlaf­mittel brauchen, denn noch eine Nacht mit diesem Traum und dem Trauma des Verlustes von Ihm, gemeinsam mit dem Verlust ihrer Nanny, würde sie nicht aushalten. Und so verlief diese Nacht ruhig, aber nicht traumlos. Das Schlafmittel sorgte jedoch dafür, dass sie sich nicht erinnerte.

Die folgenden Tage vergingen mit den Erledigungen, die sie am Vortag nicht hatte machen können, nämlich dem Kauf eines Sarges und dem Arrangieren der Beerdigung. Allerdings wusste sie nicht, wann die Polizei den Körper ihrer Großmutter freigeben wür­de und so würde sie wegen des Termins noch Bescheid sagen müssen. Verwandte hatten die beiden keine mehr, aber Freunde ihrer Großmutter mussten benachrichtigt werden, doch ohne Be­erdi­gungstermin würde sie diese Anrufe alle noch einmal machen müssen. Auch in den nächsten Nächten nahm sie das Schlafmittel. Sie wagte nicht, ohne schlafen zu gehen, denn sie hatte für diese andere Geschichte in ihren Träumen keinerlei Kraft mehr. Am liebsten würde sie den Termin bei Frau Weiß wieder absagen, aber auch das wagte sie nicht. Wie sollte sie sonst das Geheimnis hinter diesem Traum erfahren?

Kapitel 3

Am Tag der Testamentseröffnung, dem folgenden Freitag, war der Polizist pünktlich zur Stelle und traf eine erstaunlich gut gelaunte Miria an. Die ganzen Nächte mit Schlaftabletten hatten tatsächlich etwas Erholung gebracht und was immer auch in dem Testament stand, konnte eigentlich kaum Neues bringen. Wie sehr sie sich doch irrte…

Schließlich saßen die beiden vor dem Notar, den Miria noch nie gesehen hatte. Ihre Großmutter, die sonst für alles ihre Hilfe be­anspruchte, hatte diese eine Sache ganz alleine durchgezogen, was Miria doch verwunderte. Der Notar räusperte sich, um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen und begann zunächst den persön­lichen Brief an sie vorzulesen:

„Geliebte Mia, obwohl ich manchmal an meinem Verstand zweifle, bin ich doch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, was ich mir ärztlich bescheinigen ließ, obwohl es sowieso niemanden gibt, jedenfalls meines Wissens nicht, der dieses Testament anfechten würde. Ich wollte alles niet- und nagelfest machen, damit dir dieses Erbe niemand streitig machen kann, aber was du hier erbst, ist zwar auf der einen Seite Geld, (ich weiß, dass du dir daraus nichts machst und gerne für deinen Lebensunterhalt selbst sorgst) aber auf der anderen Seite auch eine Verpflichtung.

Das Vermögen, das ich dir hinterlasse, habe ich in feste Werte angelegt, sodass es sich mit der Zeit beträchtlich vermehrt hat und du nun sorgenfrei leben kannst. Du brauchst nun nicht mehr hinter Antiquitäten her­zujagen in der Hoffnung, dass deren Verkauf dich er­nährt und kannst deine Zeit anders verbringen. Wenn du erst alle Fakten kennst, dann zweifle ich nicht da­ran, dass du den Laden schließen wirst. Aber es ist keine Bedingung, um zu erben, denn das Geld gehört ohnehin dir. Als deine Eltern bei diesem fürchterlichen Autounfall ums Leben kamen, musste ich ihre Sachen durch­sehen und stellte verblüfft fest, dass mein Sohn ein wohlhabender Mann war. Ich habe nur eine vage Ahnung, woher er das Geld hatte, mit seinem Job als Fi­nanzbeamter konnte er keinesfalls so viel verdienen. Bestechlich war er auch nicht und so ist es mir ein Rät­sel. Allerdings habe ich mir so manche Gedanken ge­macht und nach und nach einige Puzzleteile seines Lebens zusammenge­tragen, die er vor mir geheim ge­halten hatte. Wie ich nun weiß, tat er dies zu meinem Schutz, denn meine Liebe, und dies wird dir nun gar nicht gefallen:

Deine Eltern wurden ermordet, auch wenn die Polizei anderer Meinung ist und den Fall ad acta legte. An dem Abend, als sich der „Unfall“ ereignete, rief mein Sohn mich ganz aufgeregt an. Er meinte, ich solle dich von zu Hause abholen, das Kindermädchen nach Hause schicken und in ein Hotel kommen, in dem wir, als er noch klein war, öfter Ferien gemacht hatten. Wohl ab­sichtlich nannte er am Telefon den Hotelnamen nicht. Er machte dringlich, dass du in Gefahr wärst und er und seine wunderbare Frau verfolgt und auf Umwegen ebenfalls zum Treffpunkt kommen würden. Dazu kam es jedoch nicht. Ich hatte gerade einige Sachen für dich gepackt und war dabei, dich in mein Auto zu tragen, denn du warst nicht wach zu bekommen, als der Anruf der Polizei kam, dein Vater und deine Mutter hätten einen tragischen Unfall gehabt und wären mit ihrem Wagen einen steilen Abhang hinunter gestürzt.

Mit dir im Wagen fuhr ich in das angegebene Kranken­haus, übergab dich für eine Weile einer Kranken­schwester und suchte die beiden auf. Deine Mutter, grausig entstellt, war jedoch schon tot. Meinen Sohn fand ich noch lebend vor und so konnten wir uns zumindest verabschieden, dachte ich, doch er dachte da anders. Auch sein Körper war völlig zerschmettert und die Schmerzmittel hatten keine Wirkung mehr. Er wusste, er würde gleich gehen und so nutzte er die wenigen Minuten, mir sein Geheimnis anzuvertrauen: Er war leidenschaftlicher Antiquitätensammler, hatte dies aber, im Gegensatz zu dir, nie zum Beruf gemacht und so hatte er nebenbei ganz außerge­wöhnliche Stücke aufgetrieben und an Sammler verkauft, sodass ein ganz stattliches Vermögen zusammenkam.

Bei einem seiner Käufe stieß er auf Hinweise, die von einem über 3000 Jahre alten geheimnisvollen Buch er­zählten. Diese Hinweise müssen so deutlich gewesen sein, dass er seine Freizeit, wenn er nicht mit dir und deiner Mutter zusammen war, mit der Jagd nach die­sem Buch verbrachte. An dem Tag des Unfalls nun hatte er bei seiner Suche anscheinend einen entschei­denden Durchbruch erzielt und war diesem Buch wohl zu nahe gekommen, denn er persönlich sagte mir, dass man ihn deshalb von der Straße gedrängt hätte.

Er bat mich mit seinen letzten Atemzügen, dafür zu sorgen, dass du in Sicherheit bist und dass du nie von dieser Sache erfährst, es sei denn, es gäbe Anzeichen dafür, dass man dich gefunden hätte. Nur dann sollte ich dich einweihen. Ich nahm einen anderen Namen an und änderte auch deinen, sodass irgendwelche Leute, die nach uns suchen würden, schon einen Magneten für die Nadel im Heuhaufen bräuchten, um uns zu finden. Mit dem entsprechenden Aufwand, so wusste ich, wür­de es wohl doch eines Tages geschehen, vor allem heut­zutage, wo es so viele elektronische Hilfsmittel gibt. Nun, bisher ist nichts passiert, und wenn du dies liest, bin ich nicht mehr da. Ich wollte jedoch nicht mit die­sem Geheimnis auf der Seele sterben, denn ich bin der Meinung, dass du wissen solltest, wie dein wahrer Name lautet, auch wenn du ihn offiziell ohnehin nicht benutzen kannst und er keine Bedeutung mehr für dich hat.

Ich kenne dich gut und ich mache mir Sorgen um dich. Ich schätze, dass du dich verpflichtet fühlst, dich auf die Suche nach den Mördern deiner Eltern zu machen, aber ich möchte dir dringend davon abraten. Welcher Sache dein Vater da auch immer auf der Spur war, sie soll nicht auch noch dein Leben fordern. Auf der ande­ren Seite sieht es aus, als ob er da eine karmische Ver­pflichtung hatte und ich hege den Verdacht, dass die in dich genauso einprogrammiert wurde, wie in ihm. Ir­gendwo müssen auch noch die Unterlagen, die dein Vater wegen dieser Suche hatte, sein, doch die hat man nicht gefunden. Vielleicht hatte er sie bei dem Unfall bei sich und seine Mörder haben sie an sich genommen, doch glaube ich das eigentlich nicht. Dann könntest du aber in Sicherheit sein, denn wenn sie alles haben, was sie wollten, dürften sie kein Interesse mehr an dir haben. Aber sicher weiß ich es eben nicht. Dass wir in all den Jahren nie behelligt wurden, spricht vielleicht dafür.

Ich habe in den letzten Jahren vorsichtige Nach­forschungen angestellt und mit einigen der Menschen gesprochen, die auch dein Vater aufge­sucht hatte. Er erzählte mir, wo ich sein Adress­buch finden würde, bläute mir aber ein, es nur im Notfall zu benutzen. Da uns niemand gefunden hat, dachte ich, ich könnte nun doch einmal mit ein paar Menschen sprechen, die meinen Sohn kannten, und habe nostalgische Gründe vorge­schoben. Vielleicht hoffte ich insgeheim darauf, Hinweise auf seine Mörder zu finden. Bei der Gele­genheit fand ich das eine oder andere antike Stück und kaufte es für deinen Laden. Nun bin ich schon sehr müde und schreibe dies alles auf, auf dass es nicht ver­loren geht, falls mir etwas passiert.

Ich habe zwar meinen Sohn verloren und etwas Schlim­meres kann einer Mutter kaum passieren. Gleich­zeitig hinterließ er mir jedoch dich als Geschenk. Die offene Wunde durch diesen Verlust konnte durch dich geheilt werden und so kann ich in Frieden gehen, obwohl die offenen Fragen nicht geklärt sind. Eines habe ich bei meinen Recherchen gelernt: Hinter allem, was ge­schieht, steckt ein Plan, ein Plan Gottes, wenn du willst. Nichts geschieht zufällig. Niemanden trifft man zu­fällig. Immer hat alles eine Bedeutung. Die merk­wür­digen Zufälle, die mir in den letzten Jahren widerfah­ren sind, lassen sich nur durch eine göttliche Führung erklären und wenn ich eines Tages gehe, dann wird auch dieser Zeitpunkt genau „seinem“ Plan folgen. Ich vertraue meine Seele Gott an, denn er hat als Einziger den Überblick über alles.

Ich liebe dich über alles und ein weiteres Geheimnis möchte ich dir am Schluss noch anvertrauen: In unse­rer Familie wird eine besondere Fähigkeit immer wie­ter vererbt. Sie war es, die meinen Sohn auf die Spur dieses verflixten Buches brachte und sie war es auch, die mir letztlich keine Ruhe ließ, sodass ich mich eben­falls auf die Suche begab und sie wird es auch sein, die dafür sorgt, dass du weitermachst, wo wir aufhören mussten. Ich wünschte, ich hätte zumindest erfahren, worum es bei all dem eigentlich wirklich geht, aber ich schätze, wenn ich das herausgefunden hätte, wäre ich auch keines natürlichen Todes gestorben… Ich hoffe jedenfalls, dass ich auf natürliche Weise gestorben bin, wenn nicht, wird noch ein weiterer Brief seinen Weg zu dir finden...

Mehr habe ich nicht mehr zu sagen, denn alles andere wirst du selbst herausfinden müssen. Ich kenne dich gut und ich bin der festen Überzeugung, dass du die Rätsel, die dich umgeben, lösen wirst, obwohl ich dir davon abrate, denn ich bezweifle, dass dir gefällt, was du herausfindest. Darum überlege dir gut, was du nun mit dir anfangen sollst. Du kannst dir auch einfach einen netten Mann suchen, Kinder bekommen und darin dein Glück finden und die Rätsel der Vergangenheit anderen überlassen. Was entspricht dir mehr?

Helena Trautwein, Mutter von Steffan Trautwein, Schwiegermutter von Melanie Trautwein und Groß­mut­ter von Melissa Trautwein, also dir. Ich lebe seit vielen Jahren unter dem Namen Gerda Reuß.

P. S. Der Name, den ich dir gab, ist Teil des Rätsels, das es zu lösen gilt, denn dein Vater nannte ihn mir auf dem Sterbebett.

***

Miria ließ den Brief sinken, den sie sich vom Notar hatte geben lassen, nachdem er ihn vorgelesen hatte, weil sie selbst sehen wollte, ob in der Handschrift ihrer Nanny all das dort stand, was sie gerade gehört hatte. Obwohl der Notar dann in die Einzelheiten ging, was das ererbte Vermögen anging, worin es genau bestand und worüber sie gleich oder später verfügen könnte, war ihre Auf­merksamkeit ganz woanders: Sie hatte es nun mit nicht weniger als drei Morden in ihrer Familie zu tun und keiner war aufgeklärt und der Brief hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Obwohl im Fernsehen und Kino permanent Geschichten gezeigt wurden, die mit Mord und Geheimnissen zu tun hatten, war es etwas völlig anderes, im persönlichen Leben davon betroffen zu sein. Das waren doch alles nur Geschichten, Unterhaltung, mehr nicht… Ver­brechen hatten keinen Anteil an Mirias Leben gehabt, so hatte sie zumindest geglaubt.

Als sie und Peter Menninger schließlich die Kanzlei des Notars wieder verlassen hatten, sprach der Polizist sie mehrmals an, doch sie registrierte es gar nicht. Sie war zu sehr mit dem Versuch be­schäftigt, diese zwei Welten, die da in ihr aufeinanderprallten, ir­gendwie zu vereinen. Schließlich ergriff Peter sie an der linken Schulter und schüttelte sie leicht, um endlich Gehör zu finden. Miria schüttelte die Hand ab und fauchte: „Lassen Sie mich doch in Ruhe. Ich habe nichts getan. Ich habe mit Ihnen nichts zu schaffen. Ich habe weiß Gott genug am Hals.“

„Sie haben anscheinend wirklich kein Wort von dem gehört, was ich gerade gesagt habe. Wachen Sie auf, Lady. Ich hatte gerade gesagt, dass Sie mich unwissentlich belogen haben, da Ihr Name gar nicht stimmt. Aber der Name Trautwein hat etwas in mir zum Klingen gebracht. Ich hatte den Fall Ihrer Eltern einmal auf dem Tisch, da ich im Rahmen einer Studie, die ich für eine Versicherung machen sollte, Hunderte von Autounfällen nach den häufigsten Ursachen erforschte. Ich erinnere mich noch, dass mir damals ir­gendetwas aufgefallen war, aber ich weiß nicht mehr was, halt, doch jetzt weiß ich es wieder: Es waren zwei Dinge: 1. In der Akte fehlten einige Seiten und niemand schien zu wissen, wohin diese gekommen waren, oder was darin gestanden hatte. Ein guter Teil der Arbeit hat mit dem Instinkt des Beamten zu tun, der an einen Fall herangeht. Der Sachbearbeiter hatte außerdem Notizen hinter­lassen, die darauf schließen ließen, dass er der Meinung Ihrer Großmutter war, aber keinerlei Handhabe hatte, da keine Spuren hinterlassen worden waren, die ihm Hinweise gegeben haben, wo er hätte anfangen können. Ich erinnere mich noch gut daran, weil ich nicht daran glaube, dass es Verbrechen ohne Beweise gibt. Sie sind nur oft genug sehr gut versteckt, bzw. muss man wissen, wo man suchen muss. Heute könnte man sicher mehr herausfinden als damals. Aber auch da müssten wir einen Ansatzpunkt haben und den einzigen, den ich momentan habe, um anscheinend drei Morde aufzuklären, sind Sie.“ „Wieso ich, ich war das alles doch nicht.“

„Ich glaube Ihnen ja und dennoch … Wir könnten die Akte heraus­suchen und sehen, was sie alles enthält. Vielleicht ist ja etwas da­bei, mit dem Sie etwas anfangen können.“ „Oh, Mann, heißt das, ich muss schon wieder Ihre Polizeiwache aufsuchen?“ „Ich fürchte ja…“ „Also heute bestimmt nicht mehr. Ich habe viel zu verdauen und brauche Zeit für mich. Außerdem habe ich heute noch einen an­deren Termin, den ich nicht verschieben möchte.“ Frau Weiß hatte sie anrufen lassen. Da ihr ein Termin ausgefallen war, hatte sie frü­her als Montagmorgen Zeit und Miria hatte zugestimmt. Das würde sie von der Sache mit ihrer Großmutter ablenken.„Wie wäre es dann mit Montagmorgen, um 09.00 Uhr auf der Wa­che?“ „Ja, o.k. Ich sehe Sie dann. Ich habe aber nur eine Stunde Zeit.“ Damit wandte sie sich ihrem Auto zu und hatte ihn auch schon vergessen. Sie wollte den Termin um 10.00 Uhr am Montag mit Frau Weiß auf keinen Fall aufschieben, auch wenn sie nun einen zusätzlichen hatte.

Peter Menninger musste schon wieder innerlich grinsen. Begeistert war diese Frau nicht gerade, sich wieder mit ihm treffen „zu müs­sen“ und er verstand sie sehr gut. Er jedenfalls freute sich darauf, sie wiedersehen zu dürfen. Er war sich sicher, dass sie das Zen­trum eines Rätsels war und gleichzeitig auch die Lösung, aber nicht in Form einer Schuldigen, die hinter Gitter gehörte. Auch gab es an diesem Fall etwas, was ihm Unbehagen bereitete, aber zu­gleich auch seine Neugier weckte. Er hatte das deutliche Gefühl, dass es hier um etwas ging, das weit größer und wichtiger war, als die Lösung eines Kriminalfalles. Gut, dass er Zeit hatte, bis sie vor­beikam. Er wollte den Tod der Eltern der Frau noch einmal genau untersuchen, bevor er wieder mit Miria sprach. Vielleicht konnte er ihr ja dann schon das eine oder andere präsentieren. Zum Glück hatte er momentan nur wenige andere Fälle, die sofort bearbeitet werden mussten. Es war derzeit merkwürdig ruhig in seinem Re­vier. War es die Ruhe vor dem Sturm? Oder sollte ihm Zeit für die­sen einen Fall gegeben werden? Er schüttelte diesen Gedanken ab, denn er war doch zu absurd. Absurd schien auch, dass die Großmutter mit ihrer Enkelin auf der einen Seite zwar die Flucht ergriffen und ihre Namen geändert hatte, aber andererseits wieder in der Stadt gelandet war, in der ihr Sohn gelebt hatte. Das konnte auch kein Zufall gewesen sein und vielleicht war das der Fehler ge­wesen, der es erlaubt hatte, sie zu finden und letztlich umzu­bring­en. War sie dieses Risiko bewusst eingegangen? Er musste mit Miria ... Mia, der Spitzname, den Mirias Großmutter dieser jungen Frau gegeben hatte, gefiel ihm, noch einiges bereden, doch als er sie wieder traf, hatte er all das für einige Zeit vergessen.

Kapitel 4

„Mögest du die Augen öffnen, um alles zu sehen,

mögest du die Ohren öffnen, um alles zu hören,

mögest du die Nase öffnen, um Lebenskraft einzuatmen,

mögest du den Mund öffnen, um nur die Wahrheit zu sprechen

und heilsame Nahrung zu dir nehmen, wenn du sie brauchst,

mögest du die Krone öffnen,

um dich mit der Mutter Natur und dem Vater des Alles zu verbinden,

und mögest du das Herz öffnen,

um mit dem Herzen zu sehen.“

Am Nachmittag fand Miria sich daher um 16.00 Uhr bei Frau Weiß wieder ein, die ganz damit einverstanden war, gleich in die Rück­führung des Traumes zu gehen. Und so sank Miria in die hyp­notische Trance und wurde von Frau Weiß bis zu dem Zeit­punkt des ersten Stillens des kleinen Mädchens geleitet, wo sie aufgehört hatten. Sie waren übereingekommen, bei jeder Sitzung den Traum vom 11.11.2011 zu nehmen, also den, mit dem alles begonnen hatte, um später hin und wieder zu einer der anderen Nächte zu­rückzukehren. So konnten sie feststellen, ob der Traum jedes Mal tatsächlich völlig gleich verlief und nicht nur die letzte Szene immer gleich war.

 

Miria: „Ich schlafe glücklich an der Brust meiner Mutter, manchmal bei meinem Vater und so geht es tagelang, wochenlang: Ich wache auf, trinke, schlafe wieder ein, werde ge­wickelt, gewaschen, aber mit kaltem Wasser, … brr. Ich fühle mich geliebt, behütet, beschützt, bin immer eng am Körper von Mutter oder Vater, während sie irgendetwas tun und so könnte es für immer weiter gehen, doch das tut es nicht.

Nun ist etwas anders. Wir sind wohl unterwegs, denn die Umrisse der vertrauten Umgebung verschwinden und ständig kommen andere. Wohin gehen wir? Meine Eltern sind angespannt, vielleicht sogar etwas ängstlich. Ich trinke und schlafe, nehme aber die permanente Laufbewegung der beiden wahr und ein Gespräch dringt an meine Ohren. Vorher habe ich sie verschlossen, wollte nicht hören, wollte nur sein, doch nun, da etwas anders ist, will ich mehr wissen …:

„Wird sie uns wirklich empfangen?“ Papas Stimme ist unsicher.

„Sie wird, meine Worte haben in Avalon noch einiges Gewicht, auch wenn ich dort nicht mehr lebe.“ „Was ist, wenn wir uns irren? Was ist, wenn sie diese Aufgabe nicht bewältigen kann?“ Vater klingt, als hätte er dies schon oft gefragt.

„Dann irren wir uns eben und wir schlagen einen anderen Weg ein. Doch weißt du, genau wie ich, dass wir uns nicht irren. Aber um absolute Sicherheit zu erlangen, gehen wir ja auch zur Herrin vom See. Sie wird die entsprechenden Rituale durchführen, die für Klarheit sorgen werden und auch dafür, dass wir die nächsten Schritte mit Bedacht und Überlegung gehen, wohin immer sie uns auch leiten mögen.“

Vater seufzt. Ich wünschte, ich würde verstehen, was sie da sagen, doch die Worte ergeben keinen Sinn für mich. Ich weiß nur, dass ich mich nicht mehr so wohl fühle, wie die Zeit vor der Wanderung und ich habe Hunger … und schreie diesen Hunger hinaus in die Welt. Meine Mutter, die mich trägt, zuckt zusammen und macht „schhhhh“ und gibt mir die Brust und ich bin wieder zufrieden. Nun bekomme ich immer die Brust, noch bevor ich schreie. Es ist wohl wichtig, dass ich still bin, warum weiß ich nicht. Ich fühle mich so hilflos und klein. Ich weiß, dass ich das nicht immer war und auch nicht immer sein werde, und verstehe nicht, warum ich es nun bin. Was ist geschehen? Warum bin ich klein? Warum muss ich ge­tragen werden? Ich bin dem „Irgendwohin-gebracht-Werden“ so ausgeliefert, dass ich wieder schreien will, doch da ist jemand in meinen Gedanken, Mama. Sie beruhigt mich und sendet mir Ver­stehen und Einverständnis, aber auch, dass sich nun etwas ver­ändern wird und ich dabei auch ruhig bleiben soll, dass alles, was geschieht, aus gutem Grund geschieht und „gut“ ist, auch wenn es sich nicht immer so anfühlen mag. Immer ist alles „gut“, weil es so gewollt ist, weil alles immer gute Gründe hat, warum etwas ge­schieht.

Sie sagt mir das nicht mit Worten, sondern mit Gedanken und Gefühlen. Außer der Milch streicht sie mir noch etwas bitter Schmeckendes in den Mund. Ich schlafe ein und als ich wieder aufwache, weiß ich irgendwie, dass mein Schlaf viel länger war, als aller Schlaf vorher. Doch wir wandern nicht mehr.“