Die Schildbürger - Erich Kästner - E-Book

Die Schildbürger E-Book

Kästner Erich

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Beschreibung

Ganz schön dumm muss man sein, wenn man ein Rathaus ohne Fenster baut und glaubt, man könne das Licht in Säcken hineintragen. Oder wenn man einen Krebs vor Gericht stellt, weil er einen in den Finger gezwickt hat. Die Leute aus Schilda machen solche Sachen, und alle Welt lacht über sie. Aber sind Die Schildbürger wirklich so dumm? Oder steckt vielleicht etwas ganz anderes dahinter?

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Seitenzahl: 34

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Erich Kästner

Die Schildbürger

Nacherzählt von Erich Kästner

Illustriert von Horst Lemke

Waren die Schildbürger wirklich so dumm, wie sie taten?

Im Mittelalter, damals, als man das Schießpulver noch nicht erfunden hatte, lag mitten in Deutschland eine Stadt, die Schilda hieß, und ihre Einwohner nannte man deshalb die Schildbürger. Das waren merkwürdige Leute. Alles, was sie anpackten, machten sie verkehrt. Und alles, was man ihnen sagte, nahmen sie wörtlich. Wenn zum Beispiel ein Fremder ärgerlich ausrief: »Ihr habt ja ein Brett vorm Kopf!«, griffen sie sich auch schon an die Stirn und wollten das Brett wegnehmen. Und meinte ein anderer ungeduldig: »Bei euch piept es ja!«, so sperrten sie neugierig die Ohren auf, lauschten drei Minuten und antworteten dann gutmütig: »Das muss ein Irrtum sein, lieber Mann. Wir hören nichts piepen.«

So viel Dummheit brachte manchen durchreisenden Kaufmann der Verzweiflung nahe. Andre wieder lachten sich darüber halb tot. Und mit der Zeit lachte, zu guter Letzt, das ganze Land. Kam jemand von einer längeren Reise zurück, so fragte man ihn auch schon, kaum dass er sich die staubigen Stiefel ausgezogen hatte: »Was gibt’s Neues in Schilda? Erzähle!« Und wenn er dann, beim Braunbier, den neuesten Schildbürgerstreich auftischte, hielt sich die vergnügte Runde die Bäuche. »Nein«, riefen sie, »wie kann man nur so dumm sein!«

An dieser Stelle muss ich euch ein Geheimnis anvertrauen. Es heißt: So dumm kann man nicht sein! Daraus folgt einwandfrei, dass auch die Schildbürger nicht so dumm waren, sondern dass sie sich nur so dumm stellten! Das ist natürlich ein großer Unterschied! Wer nicht weiß, dass zwei mal zwei vier ist, der ist dumm und ihm ist schwer zu helfen. Wer es aber weiß und trotzdem antwortet, zwei mal zwei sei fünf, der verstellt sich. So ähnlich wie er machten es die Schildbürger. Und wer unter euch scharf nachdenken kann, der wird mich etwas ganz Bestimmtes fragen wollen. Nun? Was wird er fragen wollen? »Warum stellten sich die Schildbürger eigentlich so dumm? Warum und wozu? Was hatten sie davon?« Ganz recht. Was hatten sie davon? Wer lässt sich schon gern vom ganzen Lande auslachen? Wer ist schon gerne, und noch dazu freiwillig, so dumm wie Bohnenstroh? Außer den Schildbürgern wüsste ich niemanden. Und damit ihr sie versteht, muss ich erst einmal erzählen, wie ihre Dummheit zustande kam. Die Geschichte ist ein bisschen verzwickt. Ich kann’s nicht ändern. Passt also gut und genau auf!

Lange, sehr lange bevor die Schildbürger durch ihre sprichwörtliche Dummheit berühmt wurden, waren sie, im Gegenteil, fleißig, tüchtig, beherzt und aufgeweckt. Ja, sie waren sogar tüchtiger und gescheiter als die meisten anderen Leute. Das sprach sich bald herum. Und wenn man sich anderswo keinen Rat mehr wusste, schickte man einen berittenen Boten nach Schilda, dass er Ratschläge einhole. Am Ende kamen allwöchentlich mindestens zwei Gesandte aus fernen Reichen und Ländern, brachten prächtige Geschenke von Königen, vom Kaiser und vom Sultan und baten, Schilda möge ihnen den einen oder anderen klugen Einwohner als Minister, Bürgermeister oder Oberlandesgerichtsdirektor ausleihen. So gingen immer mehr Schildbürger ins Ausland, erwarben sich draußen Rang, Ehren und Orden und sandten regelmäßig Geld nach Hause.

Ruhm, Geld und Titel sind ganz gut und ganz schön. Aber in Schilda selber ging es mittlerweile drunter und drüber. Da die Männer nicht daheim waren, mussten, statt ihrer, die Frauen pflügen, säen und ernten. Die Frauen mussten die Pferde beschlagen und das Vieh schlachten. Die Frauen mussten die Kinder unterrichten, die Steuern einkassieren, die Ernte verkaufen, den Marktplatz pflastern, die Zähne ziehen, das Korn mahlen, die Schuhe besohlen, die Semmeln backen, die Bäume fällen, die Predigten halten, die Scheunen ausbessern, die Diebe einsperren, die Glocken läuten, die Bretter hobeln, den Wein keltern, die Brunnen graben, die Wiesen mähen, die Dächer decken und abends im Wirtshaus ›Zum Roten Ochsen‹ sitzen. Das war zu viel! Das Vieh verkam. Die Ernte verfaulte. Es regnete durch die Dächer. Auf dem Marktplatz wuchsen Brennnesseln. Die Uhr am Kirchturm ging vier Stunden nach. Die Kinder wurden frech und blieben dumm. Und die armen Frauen wur