Die schöne Betrügerin - Celeste Bradley - E-Book

Die schöne Betrügerin E-Book

Celeste Bradley

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Beschreibung

Hinreißende Situationskomik, sprühende Dialoge und prickelnde Sinnlichkeit!

James Cunnington soll im Dienste Ihrer Majestät die Tochter eines Verräters finden. Doch er ahnt nicht, dass sich die Gesuchte unter seinem Dach befindet: Phillipa Atwater hat sich, als Mann verkleidet, bei ihm anstellen lassen. Sie glaubt nämlich, ihr attraktiver Dienstherr sei für das Verschwinden ihres Vaters verantwortlich. Und sie muss erfahren, dass Sehnsucht schmerzhafter sein kann als eine Gewehrkugel – wenn man sich in seinen Feind verliebt ...

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Seitenzahl: 544

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Buch

James Cunnington ist ein Mitglied des Liar’s Club, einer als Spielclub getarnten Gruppe von Schurken, Dieben und Spionen im Dienste Ihrer Majestät. Und als solches hat man ihm eine heikle Mission überantwortet: Er soll die Tochter eines untergetauchten Mitglieds ausfindig machen, das im Verdacht steht, englische Staatsgeheimnisse an Napoleon zu verraten. Alles, was der schönen und temperamentvollen Phillipa Atwater blieb, als ihr Vater verschwand, waren seine Worte: »Hab ein Auge auf James Cunnington!« Also verkleidet sie sich kurz entschlossen in einen jungen Mann und lässt sich bei Cunningtons Mündel als Hauslehrer anstellen. Obwohl der merkt, dass mit dem Lehrer irgendetwas nicht stimmt, kommt James nicht im Traum darauf, dass sich die Frau, die er sucht, unter seinem Dach befindet. Und er weiß erst recht nicht, dass sie ihn verdächtigt, für das Verschwinden ihres Vaters verantwortlich zu sein. Denn Phillipa spürt überall die Gefahr lauern, auch im Haus ihres unverschämt gut aussehenden Arbeitgebers James Cunnington. Und die heißblütige Schönheit muss erkennen, dass Sehnsucht und Leidenschaft genauso tödlich sein können wie eine Gewehrkugel – wenn man sich in den Feind verliebt …

Autorin

Celeste Bradley wurde für ihren von Kritikern und Leserinnen hoch gelobten Debütroman mit dem RITA Award ausgezeichnet. »Die schöne Schwindlerin« ist der dritte Roman um den unvergleichlichen »Liar’s Club«. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in Tennessee.

Von Celeste Bradley außerdem lieferbar:

Die schöne Spionin Die schöne Schwindlerin

Inhaltsverzeichnis

Über die AutorinWidmungProlog12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637EpilogDanksagungCopyright

Dieses Buch ist für Bill:»für immer und ewig«

Credo des Liar’s Club

In der Gestalt des Schurken operieren wir am Rande der Nacht und geben zum Schutz aller Heim, Herd und Liebe auf.

Wir sind die Unsichtbaren.

Prolog

England 1813Hochsommer …

Der Hochzeitsmarsch wurde angestimmt. James Cunnington nahm den Platz an der Seite der Braut ein und spürte, wie sie mit zittrigen Fingern seinen Arm umfasste. Wunderbare Tonfolgen tanzten unter dem hohen Dachgebälk der Kapelle, die seit Jahrhunderten zum Stammsitz seiner Familie gehörte.

Wenn er die Augen schloss, konnte er all die Ehen sehen, die bereits an diesem bezaubernden Ort geschlossen worden waren – all die optimistischen Bräutigame, all die freudigen Bräute.

James fühlte sich, als müsse er sich gleich übergeben.

Die Bilder verschwammen ihm vor den Augen, und seine Schläfen pochten einen unschönen Kontrapunkt zu den Klängen der Musik, deren strahlender Widerhall noch seinen letzten Nerv zum Zerreißen spannte. Er hätte es gern seinem schweren Kopf zugeschrieben, doch es ließ sich nicht bestreiten, dass mehr dahintersteckte.

Vom gestrigen Abend, als alle anwesenden Herren zusammengekommen waren, um begeistert auf den Bräutigam anzustoßen, stammte nur ein Teil des Problems. Es war vor allem sein unruhiges Herz, das ihm seine Gefühle vergiftete.

Diese Hochzeit war eine exzellente Sache. Er betrachtete das strahlende Gesicht der Frau neben sich.

Sie erwiderte seinen Blick liebevoll. Er hätte glücklich sein müssen. Er hätte an Liebe und Einigkeit und Ewigkeit denken müssen.

Stattdessen konnte er, als er den Mittelgang hinunterschritt, nur an Verrat und Schande und nie enden wollende Schuld denken.

Seine Schuld.

Es bestand keinerlei Notwendigkeit zu heiraten, teilte ihm seine Panik mit. Er konnte sich einfach einen Erben wählen – sogar den kleinen Kaminkehrerjungen adoptieren, der sich im Club herumtrieb. Es gab keinen Grund, sich all das anzutun.

Er blieb keinen Schritt zu früh vor dem Vikar stehen. Er war definitiv krank. Er spürte das Unheil nahen, nahm die Hand der Braut und legte sie in die des Bräutigams.

Es war gut, dass dies die Hochzeit seiner Schwester war und nicht seine eigene.

1

Ein Monat später …

Das schwache Licht der Straßenlaternen schimmerte auf der seidigen Haut des entblößten Oberschenkels. Lang, elfenbeinfarben und elegant, gerahmt von gerafften Unterröcken und der dunklen Verführung des direkt über dem Knie von einem Strumpfband gehaltenen Strumpfs. Nur ein blasses Blitzen, ein Moment des Voyeurismus, doch der Anblick traf ihn wie eine Faust in den Magen.

James Cunnington wurde der Mund trocken, und der forsche Schritt, mit dem er den Park durchquerte, kam plötzlich zum Halten. Sein Verstand erlahmte, während der völlig unerwartete, zufällige Anblick der cremigen weiblichen Haut seinen Pulsschlag unvermittelt beschleunigte. Wie lange war es her, dass er den nackten Schenkel einer Frau gesehen hatte? Drei Monate? Vier?

Jedenfalls nicht mehr seit jener Nacht, in der seine Geliebte ihn hatte entführen und gefangen setzen lassen. Nach einem Abend, an dem ihm die kundigen Hände der berauschendsten Frau, die er je kennen gelernt hatte, erstaunlich verderbte Vergnügungen beschert hatten, war er übersättigt und mit fast schon weichen Knien nach Hause gegangen. Mehr Männer, als er alleine hatte bezwingen können, hatten sich auf ihn gestürzt, und er war als Gefangener der bezaubernden, teuflischen Lady Winchell erwacht, ihres Zeichens französische Spionin und Amateur-Attentäterin. Er hatte schließlich fliehen und den geplanten Mordanschlag auf den Premierminister vereiteln können. Die halb verheilte Schusswunde an seiner Schulter schmerzte bei der Erinnerung. Lavinia saß mittlerweile im Gefängnis, der Gnade der Krone ausgeliefert, und wäre es nach James gegangen, hätte es nicht mehr lange gedauert, bis man sie für die Morde, die auf ihr Konto gingen, an den Galgen gebracht hätte.

Während seine Gedanken die Straße der unbefriedigten Gelüste hinunterwanderten, stieg die Frau vor ihm mit dem schlanken entblößten Bein auf eine steinerne Parkbank. Sie schien über die hohe Hecke spähen zu wollen, die den Park in der Mitte des großen Platzes umgab. James sah wehmütig zu, wie ganze Meter Unterröcke, Rock und dunkler Umhang über das sexuell befriedigendste Erlebnis seit Monaten fielen.

Wie bedauerlich.

James zwinkerte. Er riss sich mit Gewalt aus den vagabundierenden Gedanken und nahm sich kurz Zeit, die späte Abendstunde auf sich wirken zu lassen. Die Dämmerung war längst vorüber, und nur die Laternen, die den Platz umstanden, warfen ihren hellen Schein in die Dunkelheit.

Seltsam. Er hatte eine Frau vor sich, die sich alleine in einem düsteren Park mitten in London aufhielt. Sicher, das hier war Mayfair – aber selbst diese Enklave der Reichen und Vornehmen barg ihre Gefahren. Er selbst war in jener verhängnisvollen Nacht in genau diesem Park hier überfallen worden.

Einer Nacht, die gewesen war wie diese.

James bewegte sich vorsichtig vorwärts, bis er die dunkel verhüllte Gestalt, die sich vor der schattigen Hecke abzeichnete, ganz sehen konnte. Die Frau hatte ihn immer noch nicht bemerkt und auch seine Schritte auf dem gepflasterten Weg nicht gehört. Offenbar galt ihr Interesse nur dem, was auf der anderen Seite der Buchshecke lag.

Soweit James wusste, war das Einzige, was es hinter der Hecke auf der anderen Straßenseite zu sehen gab, ein Haus.

Sein Haus.

Er setzte die lautlose Annäherung fort und blieb direkt hinter der Frau stehen, die sich auf die Zehenspitzen gestellt hatte, um über die Hecke spähen zu können.

»Und, was schauen wir uns da an?«

Phillipa Atwater blieb das Herz stehen, als hinter ihr die tiefe Stimme erklang. Sie zuckte überrascht zurück. Einer ihrer ausgetretenen Schuhe verlor auf dem taufeuchten Stein den Halt, und sie spürte, wie sie zu fallen begann …

Nur um sich von einem Paar starker Arme umfasst zu finden, die sie an eine breite harte Brust drückten. Naturgemäß folgte sie, als der fremde Mann sie so packte, dem ersten Impuls und setzte sich zur Wehr.

Aus der Brust, an der sie sich wand, dröhnte ein tiefes Lachen, das sie förmlich durchdrang.

»Ist das Ihre Art, sich bei Ihrem Helden zu bedanken?«

Der Griff ihres Häschers war nicht hart, aber dennoch unerbittlich. Ihre Gegenwehr war so effektiv wie die einer Motte, die in den Händen eines Jungen flattert. Ein letzter frustrierter Stoß mit dem Ellenbogen in den steinharten Bauch des Schurken, und sie gab auf, um reglos und mit eingezogenem Kopf in seinem Griff zu verharren.

Er lachte wieder, und sie spürte seinen warmen Atem über ihre Wange und ihr Ohr streifen. Verflixt und zugenäht. Die Kapuze war ihr während des Kampfes nach hinten gerutscht. Zum Glück hatte sich ihre Frisur gleichfalls gelöst, und das Haar hing ihr nun um die Schultern. Ein Kopfschütteln, und ihr Gesicht war gut versteckt.

»Wer sind Sie?« Die Stimme des Mannes war leise, aber nicht sonderlich freundlich. Genau genommen hörte er sich überaus argwöhnisch an. »Was machen Sie so spät hier draußen?«

Phillipa schwieg. Sie konnte nur warten, dass ihr Häscher seinen Griff lockerte. Ein kurzer Augenblick reichte, denn sie war die letzten Monate über aus schierer Notwendigkeit sehr reaktionsschnell geworden. Die Welt war voll von grapschenden Männerhänden. Eine allein stehende Frau musste lernen, ihnen auszuweichen.

Auch wenn sie sich widerwillig eingestand, dass der Kerl sich anscheinend keine unbotmäßige Zärtlichkeit erschleichen wollte. Seine großen Hände, so unnachgiebig sie auch waren, verharrten korrekt auf der Stelle – die eine schloss sich fest um ihren Unterarm, die andere vermied es höflich, nach ihrem Knie zu greifen.

Sie fühlte, wie er sie mühelos anhob, als wolle er ihr Gewicht abschätzen. Seine Kraft hätte ihr Angst eingejagt, wäre der Griff seiner muskulösen Arme nicht so schmerzlos gewesen. Einen Augenblick lang flackerte ihre Sehnsucht auf, in starken Armen Schutz zu suchen, nur für kurze Zeit. Es war so lange her, dass sie einen starken Mann an ihrer Seite gehabt hatte …

»Sie haben es wohl nicht mit dem Reden, was? Aber das stört mich nicht. Ich kann die ganze Nacht so stehen bleiben.«

Obwohl die Worte ein wenig einschüchternd gemeint waren, musste James feststellen, dass sie irgendwie auch zutrafen. Sie war absolut keine Last. Oder es war schlicht das Gefühl, eine Frau in den Armen zu halten? Ihr duftendes Haar lag auf seine Schultern und Brust gebreitet und hüllte ihn in einen sinnlichen Schleier, der im Laternenlicht rot glänzte. Er verspürte den Drang, sein Gesicht in dieses Haar zu graben, es auf seiner nackten Haut zu fühlen …

Er räusperte sich und verlagerte das Gewicht, aber das drückte ihre Hüften nur an seinen hungrigsten Körperteil. James schluckte schwer und entschied schließlich, dass der beste Platz für diese Frau auf ihren eigenen Füßen war. Er beugte sich vor und ließ sie sanft nach unten gleiten, ohne den Griff um ihre starren Schultern auch nur eine Sekunde lang zu lockern.

Na also. Viel besser.

Nur dass sich jetzt ihre Seite an ihn presste und er die kleine Kurve ihres Busens an seinem ausgestreckten Arm fühlen konnte. Er packte mit den Fingern unwillkürlich fester zu, als die Woge des Verlangens ihn überrollte.

Seine Gefangene wimmerte, und James lockerte instinktiv den Griff – um nichts als Luft zu umklammern.

Sie hatte sich mit erstaunlicher Geschicklichkeit weggeduckt und wirbelte herum, ihr Umhang ein dunkles Flattern. Er trat vor, um sie erneut am Arm zu packen, doch sie schoss zur Seite, drehte sich um und lief auf die dunklen Bäume zu. Er setzte ihr augenblicklich nach, und seine längeren Beine garantierten den Erfolg. Sie lavierte vor ihm um die Baumstämme herum, doch er folgte der kupferroten Flagge ihres Haares durch die Dunkelheit. Er war ihr Schatten, konnte sie fast greifen …

Sie rannte unter einem Ast weiter, den er allerdings erst bemerkte, als es schon zu spät war: Seine Stirn krachte gegen das Holz. Hart. Und als er sich wieder erholt hatte, war sie fort.

»Verdammt.« Jetzt würde er sie nie mehr erwischen. Die Dunkelheit hatte sie verschluckt, als habe es sie nie gegeben.

Offen gesagt ließ ihn seine enorme Erregung an seinen Instinkten zweifeln. Was hatte sie schon so Schreckliches getan, dass er sie verfolgen musste? Im Park auf einer Bank stehen?

Also blieb er mit einem wehmütigen Kopfschütteln, wo er war, und horchte in der Dunkelheit auf das leiser werdende Rascheln rennender Füße.

James hegte den starken Verdacht, dass er es noch bedauern würde, sie verloren zu haben.

Am nächsten Nachmittag fand sich Phillipa erneut vor dem Haus wieder. Sie hob den schweren Türklopfer an, holte tief Luft und ließ ihn fallen. Innerhalb weniger Augenblicke schwang die Tür auf und ließ einen kleinen Mann in schwarz-grüner Livree sehen. Sein Blick wanderte abwärts und wieder hinauf.

Kalte Verachtung flackerte in seinen Augen. »Und, was wollen Sie?«

Phillipa staunte über die Ausdrucksweise des Mannes. Sie hatte gedacht, dass ein so elegantes Haus ausschließlich bestes Personal beschäftigte. »Ich –« Zu hoch und zu mädchenhaft, verdammt noch mal! Sie räusperte sich. »Ich komme wegen des Vorstellungsgesprächs.«

»Hm.« Der Butler zuckte die Achseln und warf ihr einen säuerlichen Blick zu. Er trat zurück und hielt die Tür auf. »Also, treten Sie ein. Oder soll das Wetter gleich mit hereinkommen?«

Phillipa trat hastig über die Schwelle und zuckte zusammen. Nach kaum einer Stunde als Mann wusste sie, dass das Schlimmste am Hosentragen die Reibung an … ehm … den Schenkeln war. Das Zweitschlimmste war die Tatsache, dass sie als Mann bei weitem zu überzeugend aussah.

Früher war sie stolz auf ihre gertenschlanke Figur gewesen, doch die vergangenen Monate arger Armut hatten sie so dünn werden lassen, dass man sie nur noch als furchtbar abgemagert bezeichnen konnte. Die geborgte Hose und der Gehrock passten nicht richtig, und die Weste strotzte so von Stecknadeln, dass sie kaum die Arme bewegen konnte, ohne sich zu stechen. Sie strich mit einer Hand den Gehrock glatt und spürte Papier knistern. Ah, ja. Die Anzeige, deretwegen sie heute hergekommen war, steckte in der Tasche. »Hauslehrer für einen Jungen von etwa neun Jahren gesucht«, stand da zu lesen. »Der geduldige und liebenswürdige Gentleman möge sich bei Mr. James Cunnington bewerben, 28 Ashton Square, London.«

James Cunnington.

Ein vertrauter Name, den sie in den Unterlagen ihres Vaters gelesen hatte. »James Cunnington genau im Auge behalten .« Sie hatte keine Ahnung, was ihr Vater damit meinte. Deshalb hatte sie gestern Abend das Haus beobachtet. Deshalb war sie hier, in geborgten Männerkleidern, die ungefähr so gut zu ihr passten wie das fremde Geschlecht.

Sie wusste, dass sie seltsam aussah, doch sie hoffte, man würde es als die Nachlässigkeit eines Gelehrten auffassen. Schließlich konnte man von einem jungen Mann, der sich um eine Stelle als Hauslehrer bewarb, nicht erwarten, dass er in Modefragen ein Trendsetter war.

Trotzdem war es ein ziemlicher Schlag, als sie in der glänzenden Oberfläche des Foyer-Tisches einen Blick auf sich erheischte und bestürzt feststellen musste, dass sie einen recht überzeugenden Mann abgab. Ein dünner, schlecht gekleideter Bursche mit ausgehungerten, knochigen Gesichtszügen  – ein absolutes Neutrum.

Offenkundig hatte sie ihr gutes Aussehen eingebüßt.

Gestern war ihr die Idee noch viel besser erschienen. Als sie das Stellenangebot in ihrer Hand angestarrt hatte, hatte eine Art Wahn sie befallen.

Sie war auf der Suche nach einer Stelle als Gouvernante und war gerade wieder abgelehnt worden. Für eine junge Frau ohne vorweisbare Referenzen und Berufserfahrung war es schwer, eine Stelle zu finden, die Verantwortung für junge Ladys mit sich brachte. Die Dienstboten-Agenturen Londons hatten aus diesem Grund die Finger von ihr gelassen.

Es war die letzte Stellenanzeige für einen Gouvernantenposten gewesen, die letzte Chance, einer noch minderen Stelle aus dem Wege zu gehen. Nicht, dass sie zu stolz dazu gewesen wäre, nicht bei diesem Maß an Verzweiflung. Sie hätte alles getan, um zu überleben und herauszufinden, ob Papa noch am Leben war.

Es gab keine andere Wahl mehr. Also hatte Phillipa die drei Tage alten Zeitungen unter der Matratze herausgeholt und alle Seiten durchsucht. Sie hatte ihre frühere Lieblingsbeilage, die »Voice of Society«, ohne sonderliches Interesse überflogen. Seit die »Voice of Society« nicht mehr über Griffin schrieb, Englands Gentleman-Spion, hatte Phillipa das Vergnügen an Klatschgeschichten verloren.

Hätte sie sich nur an jemanden wie diesen Griffin wenden können … doch sie hatte nur sich selbst. Sie musste jetzt ihre eigenen Wege gehen. Gab es für eine junge Frau mit den verschiedensten, wenn auch schlecht zu vereinbarenden Fähigkeiten da draußen irgendeine Arbeit?

Dann hatte sie den Namen gesehen. James Cunnington. Ihr Blick war über die Zeile gewandert, hatte sich an einem Erinnerungsfetzen verfangen und war zurückgekehrt. Sie hatte den Finger leicht über die Worte auf dem Zeitungspapier gleiten lassen. Wo hatte sie diesen Namen schon einmal gelesen?

Nach kurzer Überlegung war sie aus dem Bett gestolpert, in das sie sich vor der Kälte und der Feuchtigkeit geflüchtet hatte. Mit einem Ächzen und einem Ruck hatte sie das Bettgestell ein Stück nach links gezogen – gerade genug, um dahinter in die Knie gehen zu können. Dann hatte sie den fadenscheinigen Teppich zurückgeschlagen und mit den Fingerspitzen die abgetretenen Bodendielen befühlt.

Eine davon lag ein wenig höher als die anderen – da. Sie hatte die Nägel in die Kante gegraben, die Diele vorsichtig angehoben und mit einem heftigen Rütteln aus ihrer Mulde gezogen.

Unter der Planke, in dem Hohlraum zwischen den Dielen und den Bodenstreben, hatte ein alter, fleckiger Schulranzen gelegen. Ein Auge auf den erbärmlichen Türriegel geheftet, die Ohren in Richtung Treppe nach den schweren Schritten ihrer Vermieterin gespitzt, hatte Phillipa den Ranzen unter der Diele herausgezogen und vorsichtig auf das Bett gelegt.

Das schwere Buch darin war gleichfalls fleckig, die Seiten von der Feuchtigkeit gewellt, doch Phillipa hatte den modrigen Geruch ignoriert und es mit einer Achtsamkeit behandelt, die an Zärtlichkeit grenzte. Mit fast schon abergläubischer Zwanghaftigkeit hatte sie die Finger über das griechische Emblem gleiten lassen, das zur Zierde in den ledernen Buchdeckel geprägt war. Der Buchstabe Phi, ein flachgedrückter Kreis, den eine vertikale Linie teilte.

Dann hatte sie es aufgeschlagen und schnell die Seiten durchgeblättert. Wenn sie sich nicht irrte, stand der Name aus der Zeitung am Rand einer Seite geschrieben …

Ja, da war er, in Papas halb leserlichem Gekritzel, das er verwendete, wenn etwas nur für ihn allein lesbar sein sollte. »James Cunnington genau im Auge behalten.«

Nichts weiter. Kein Grund, warum James Cunnington beobachtet werden musste. Zu seiner eigenen Sicherheit? Um die Krone zu schützen? Denn daran hatte ihr Vater gearbeitet, bevor er in den Ruhestand gegangen war. Er hatte ihr niemals Einzelheiten erzählt, und tatsächlich hatte sie dieses Notizbuch erst in jener Nacht entdeckt, als sie vor den marodierenden französischen Soldaten geflohen war, die ins Haus eingebrochen und ihren Vater verschleppt hatten …

Aber es war keine Zeit für Erinnerungen und Wehmut. Sie hatte sich die jüngste Vergangenheit mit Nachdruck aus dem Kopf geschlagen. Sie zog die Seite mit den Anzeigen heran und legte sie neben das aufgeschlagene Notizbuch ihres Vaters auf das Bett.

Ein Irrtum war ausgeschlossen. Es war derselbe Name. Freund oder Feind, sie würde es schon noch herausbekommen. Und der beste Weg, das festzustellen, war, diesen James Cunnington persönlich kennen zu lernen.

James Cunnington suchte also einen Hausangestellten.

Einen Hauslehrer, genauer gesagt. Genau die Arbeit, die Phillipa suchte, mit einer kleinen Besonderheit allerdings.

James Cunnington wollte einen Mann einstellen.

Phillipa Atwater. Phillip A. Walters. Der Name drehte und wand sich in ihrem Kopf.

Den Nachnamen ein wenig abzuändern hatte sie für ihre Verfolger schon etwas unsichtbarer werden lassen, wie vollständig konnte sie dann erst verschwinden, wenn sie …

Gott, sie war verrückt zu denken, was sie dachte!

Aber andererseits waren die Anforderungen an einen Lehrer für Jungen nicht so streng. Außerdem gab es weit mehr Stellenangebote, in denen Hauslehrer für Jungen gesucht wurden, als für Mädchen.

Schließlich hatte der Faktor, dass sie mit Hilfe einer männlichen Identität jedweden Verfolger vielleicht endgültig abschütteln konnte, den Ausschlag gegeben.

Früher hätte sie sich strikt geweigert, mit einer solchen Lüge zu leben, und vermutlich tapfer erklärt, lieber sterben zu wollen. Jetzt hatte der Tod einen so realistischen Beigeschmack, wie sie es nie zuvor erlebt hatte.

Sie hatte nichts mehr. Die Miete war überfällig, und sie war bei Brot und einmal täglich Brühe angekommen. Es würde nicht mehr lang dauern, bis sie auf der Straße stand. Ihre Vermieterin war nicht von der mitfühlenden Sorte.

Mrs. Farquart hatte letzte Woche eine ihrer Mieterinnen nach Bedlam karren lassen, als die arme Frau angefangen hatte, laute Gespräche mit ihrem gefallenen Ehemann zu führen, wenn sie allein in ihrem Zimmer war. Die Habe der Frau stand in einer Kiste am Eingang und wartete immer noch darauf, abgeholt zu werden. Ihre Kleider … und die ihres Mannes.

Phillipa hatte sich nur ein paar Sachen geborgt. Nur um zu dem Vorstellungsgespräch zu gehen, dann würde sie sie wieder zurücklegen. Sie hatte ihr langes Haar für ein paar Stiefel an einen Perückenmacher verkauft und mit einer billigen Flasche Färbemittel, die sie ihr letztes Paar gute Strümpfe gekostet hatte, den Naturton verändert.

In der spiegelnden Tischplatte sah sie, wie ihre Hand sich in unwillkürlicher Trauer an die kurzen fleckigen Haare hob. Die hüftlangen kupferroten Haare waren ihr schönstes Attribut gewesen. Ohne ihre Mähne war sie nur ein dünnes, sommersprossiges Mädchen ohne Figur.

Phillipa schüttelte die Erinnerung ab, folgte dem Butler durch die Räumlichkeiten im Haus ihres potenziellen Arbeitgebers und sah sich neugierig um. Obwohl sie das Haus gestern Abend eingehend in Augenschein genommen hatte, hatte sie von seinen Bewohnern nichts gesehen.

Sie war länger, als es klug war, im Park geblieben, hatte darauf gehofft, einen Blick auf Cunnington zu erheischen, den sie sich als stämmigen, halsstarrigen Burschen vorstellte, heimlichtuerisch und unzuverlässig. Vielleicht auch gichtkrank, denn der Eintrag im Journal ihres Vaters war ja bereits viele Jahre alt. Der Mann war möglicherweise eher alt und gebrechlich.

Ganz im Gegensatz zu ihrem mysteriösen Häscher von gestern Abend. Himmel, er war alles andere als gebrechlich gewesen! Seine breite Brust war wie eine Ziegelmauer …

Phillipa blinzelte sich in die Gegenwart zurück. Es war ein sehr schönes Haus, gepflegt und hübsch möbliert, doch es hatte ganz entschieden die Aura eines unbewohnten Hauses – bis der Butler sie ins Arbeitszimmer brachte. Dort herrschte das tröstliche Chaos männlichen Treibens, das sie sehr an das Arbeitszimmer ihres Vaters in Arieta erinnerte. Das Einzige, was fehlte, war der süße Duft des Pfeifenrauchs und das polternde Gelächter ihres Vaters.

Doch dann stieg ein polterndes Lachen aus dem hochlehnigen Sessel vor dem Feuer, so tief, dass es ihr durch den Unterleib zuckte …

Die Stimme des Butlers übertönte ihr Aufstöhnen. »Mr. Phillip Walters zum Vorstellungsgespräch für die Stelle als Hauslehrer, Sir.«

Ein zerzauster brauner Schopf reckte sich seitlich aus dem Ohrensessel. »Oh, verdammt, das habe ich ganz vergessen!«

Ihr Magen zog sich zusammen, als sie die tiefe Stimme von gestern Abend wiedererkannte. Phillipa erheischte noch einen Blick auf braune Augen und ein rechteckiges Kinn, bevor sich der Mann im Sessel zu voller Größe aufrichtete.

Er drehte sich zu ihr. Er hatte breite Schultern und Arme wie Baumstämme, die in rechteckigen Händen endeten. Eine Hand hielt ein kleines ledergebundenes Buch, in dem er gelesen hatte. Die breite Brust, die sie von gestern Abend in Erinnerung hatte, verjüngte sich zu einer straffen Taille. Die Tatsache, dass sein Gehrock einsam auf der Rückenlehne des Stuhls ruhte, machte all das erst recht sichtbar. Die gut sitzende Weste und das feine Hemd bestätigten sie in der Vermutung, dass für diese Figur keine Polster verantwortlich waren.

Oh, merde.

Phillipa zwang sich zu schlucken. Der mysteriöse James Cunnington war also der Mann, der sie gestern Abend so mühelos in den Armen gehalten hatte. Würde er sie wiedererkennen, obwohl sie sich so verändert und gestern darauf geachtet hatte, ihn ihr Gesicht keinesfalls sehen zu lassen?

Er ließ sich jedenfalls nichts anmerken. Sie war möglicherweise nicht in Gefahr. Zumindest nicht, was dieses Zusammentreffen anging.

Sie zwang sich, von seinem imposanten Körperbau zu seinem Gesicht aufzusehen. Zu ihrer Erleichterung war er nicht atemberaubend attraktiv. Ja, es war ein gutes Gesicht, rechteckig und kraftvoll, und er hatte so tiefbraune Augen, die ihn ziemlich Vertrauen erweckend aussehen ließen – aber sie hatte keine Schwierigkeiten, Haltung zu bewahren, während sie ihm ins Gesicht schaute.

Sie bevorzugte den poetischen Typ, blass und von feingeistigen Gefühlen gezeichnet. Mr. Cunnington war eher der braun gebrannte stämmige Bauer, die Sorte Mann, der seine Kuh Mabel tauft und am Geruch der Erde erkennt, wann es Zeit zum Säen ist. Andererseits verfügten Dichter normalerweise nicht über Schultern, die das Licht verdunkelten …

»… Mr. Walters?«

Phillipa nahm sich mit einem Ruck zusammen. Der Hunger umnebelte ihr die Sinne. Sie musste sich konzentrieren! Ihr Leben hing davon ab, dass sie diese Stelle bekam – und das ihres Vaters vermutlich auch. Sie tat einen Schritt nach vorn und schüttelte die breite Hand, die immer noch erwartungsvoll in der Luft hing. Zumindest schien der Bursche keine Schwierigkeiten damit zu haben, sie für einen Mann zu halten.

Sie versuchte, nicht aufzustöhnen, als er ihr fast die Hand zerquetschte. Gütiger Himmel, gingen Männer immer so miteinander um? Einer von ihnen zu sein würde nicht so einfach werden, wie sie es sich gedacht hatte.

Nachdem er seinem Butler zugenickt hatte – »Danke, Denny« – deutete Cunnington auf den dick gepolsterten Sessel gegenüber von seinem Fauteuil. »Ich fürchte, die Anzeige war nicht gerade informativ.« Er wirkte fast kleinlaut. »Ich habe so etwas noch nie gemacht.«

Phillipa folgte der Handbewegung, mit der er sie aufforderte, Platz zu nehmen, und war hingerissen. Er zeigte nicht nur keine Anzeichen, dass er sie mit gestern Abend in Verbindung brachte, sondern schien zudem ein Mann zu sein, der offenbar keine Ahnung hatte, wie man einen potenziellen Hauslehrer befragte. Welch ein Glück.

»Wir hatten einige Bewerber, die einfach wieder gegangen sind, als sie erfahren haben, dass ich ein allein stehender Gentleman ohne ersichtlichen Rückhalt bin und jemanden anstellen will, der einen mit mir im Haus lebenden unwissenden Gassenjungen unterrichtet.«

Er nahm hinter seinem massiven Schreibtisch Platz und wartete augenscheinlich auf eine Reaktion.

Sie nickte und räusperte sich. Sprich tief. »Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen, Mr. Cunnington. Im Gegenzug sollte ich Sie vielleicht darüber informieren, dass ich bei den letzten vier Vorstellungsgesprächen auf Grund meiner Jugend, meiner Unerfahrenheit und des völligen Mangels an Referenzen abgelehnt wurde.«

Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und ahmte ihn nach, indem sie die Beine übereinander schlug, obwohl sich der Hosenstoff an ihren Oberschenkeln rieb und sie sich zusammennehmen musste, um sich nicht zu winden. Sie musste sich ein paar Unterhosen besorgen – und zwar bald.

Cunnington neigte den Kopf zur Seite. »Mögen Sie Kinder?«

Sie zögerte. Ehrlich gesagt, kannte sie keine. »Das kommt auf das Kind an. Nicht alle, sicherlich.«

»Und wie halten Sie es mit der Disziplin?«

»Generell bin ich dafür. Andererseits hängt die Bestrafung vom Vergehen ab.«

»Aha. Interessant, aber ausweichend. Was würden Sie tun, wenn Ihr Schützling, sagen wir … einen Apfel vom Baum des Nachbarn stiehlt? Würden Sie ihm die Rute geben?«

Phillipa versuchte sich auszumalen, wie sie als Kind darauf reagiert hätte. »Nein, das würde vermutlich keinen Erfolg zeigen. Er würde nur losmarschieren und sich noch einen holen. Einfach nur, um zu beweisen, dass er sich nicht vor mir fürchtet. Vielleicht wäre es angemessener, wenn er einen Tag lang in der Küche des Nachbarn beim Äpfelschälen hilft?«

Cunnington grinste. »Das wäre vielleicht ein Anblick! Falls es in London eine Küche gibt, in der er es aushalten könnte.« Er sah sie eine Zeit lang an. Sie weigerte sich, trotz aller Nervosität, zu zappeln und herumzurutschen.

»Hm. Was haben Sie anstelle von Erfahrung und Referenzen vorzuweisen?«

Zumindest diese Antwort hatte sie gut eingeübt. »Latein, Botanik, Geografie, Tanz, Manieren und Sitte, et cetera. Mit anderen Worten: alles, was … ein junger Gentleman wissen sollte.«

Sein Mund zuckte. »Latein und Botanik, aha.«

Er glaubte ihr nicht. Sie würde diese Stelle, die ihre letzte Chance war, nicht bekommen. Ihr Magen protestierte, und ihr Verstand war wirr.

»Ich spreche sieben Sprachen«, platzte sie verzweifelt heraus. Es war fast wahr. Sie fluchte fließend in sieben Sprachen. In all den Ländern, die sie mit ihrer Familie während der letzten zehn Jahre bereist hatte, hatte sie den streitsüchtigen Pförtnern immer genau zugehört.

Mr. Cunnington stand auf. »Ich denke, Sie sollten mein Mündel kennen lernen, bevor Sie mir noch weitere Wunder versprechen, Mr. Walters.«

Er durchquerte den Raum, ging an ein Fenster, das auf den rückwärtigen Garten hinausging, und riss es weit auf. »Robbie«, schrie er. »Komm her und schau dir deinen neuen Hauslehrer an!«

Phillipas Knie drohten nachzugeben. Sie war engagiert?

Es war ihr egal, ob ihr Schüler ein Kletteraffe war, sie würde ihm alles beibringen, was er wissen musste, wenn es ihr nur half, ihr früheres Leben wiederzuerlangen.

Sie stand auf, wandte sich zur Tür und wartete darauf, dass der Junge eintrat. Sie durfte ihn nicht auf dem falschen Fuß erwischen. Wenn der Junge sehr verwöhnt war, würde Mr. Cunnington sie möglicherweise ihre Sachen zusammenpacken lassen, falls das Kind es verlangte.

Das Rascheln von Zweigen und ein Getrappel am Fenstersims veranlassten sie, sich wieder umzudrehen. Ihre Augen weiteten sich, als eine kleine verdreckte Gestalt von draußen durch das Fenster geklettert kam.

Nachdem er sich ein wenig abgeklopft hatte, was, soweit Phillipa sehen konnte, kaum etwas bewirkte, schaute der Junge sie an und sah sich dann im Raum um.

»Was, ist er das?«

Robbie musterte sie langsam von den Stiefeln bis zum sorgsam abgeschnittenen Haar. Dann warf er seinem Vormund einen Blick zu und kicherte. »Ich schätz mal, der passt. Wie heißt er denn?«

Mr. Cunnington verdrehte Robbies rüder Manieren wegen die Augen und gab dem Jungen einen freundschaftlichen Klaps aufs Ohr. »Nimm dich in Acht, Robbie. Du wirst Mr. Walters fünf Stunden am Tag haben. Ich würde ihn an deiner Stelle nicht gleich verärgern.«

Der Junge betrachtete Phillipa mit wissenden Augen und schenkte ihr einen Anflug von Lächeln. Sie erstarrte. Konnte es sein, dass er wusste? Das war doch unmöglich! Oder?

»Ach, ich glaub, ich und der Professor kommen schon klar, wenn wir uns mal verständigt haben.«

Verdammt und zum Teufel! Ob er nun Bescheid wusste oder nicht, dieser kleine Anarchist glaubte doch jetzt schon, die Oberhand zu haben. Wenn sie das nicht im Keim erstickte, würde ihr Aufenthalt hier unerträglich werden.

Sie trat vor und streckte die Hand aus. »Ich bin Phillip Walters, Robert. Du darfst mich Mr. Walters nennen. Wir fangen morgen sofort nach dem Frühstück mit dem Unterricht an. Ich erwarte dich pünktlich … und gebadet. Falls dem nicht so sein sollte, überwache ich die Badeprozedur höchstpersönlich.« Sie warf Robbie einen drohenden Blick zu. »Verstanden, Robert?«

Der Junge war aschfahl vor Schrecken. Phillipa musste sich ein Lachen verbeißen. Sie glaubte nicht, dass sie in nächster Zeit noch irgendwelche Schwierigkeiten mit ihm haben würde.

Cunnington zerzauste Robbie das Haar und grinste. »Gut. Das hätten wir. Man hat mir geraten, Ihnen zwanzig Pfund pro Jahr zu bezahlen, und Sie werden sich vermutlich jeden Penny doppelt verdienen müssen.«

Er sah an ihr hinunter, registrierte mit scharfem Blick jedes Detail ihrer Kleidung. Phillipa wusste, dass ihre Sachen schlecht saßen und die eingetauschten Stiefel nahezu schändlich aussahen. Sie hoffte, dass das auch alles war, was er sehen konnte.

Er schaute weg, tat so, als sähe er interessiert ins Feuer. »Ein kleiner Vorschuss gefällig? Sie werden gewisse Ausgaben tätigen müssen …«

Gott sei Dank. Sie hatte nicht den Mut gehabt, darum zu bitten, aber ablehnen würde sie nicht. »Nun, meine Miete ist ein wenig überfällig, aber das kann noch ein wenig warten …« Sie konnte nicht warten. Bitte lass mich nicht warten .

Er schob die Hand in die Tasche. »Ich habe nur eine Fünf-Pfund-Note bei mir. Reicht das?« Er zog den Schein heraus und drückte ihn ihr in die Hand.

Sie konnte es kaum glauben. Ein viertel Jahresgehalt als Vorschuss? Sogar Robbie war überrascht. Sie ertappte ihn dabei, wie er mit offenem Mund von ihrer Hand zum Gesicht seines Vormunds aufsah. Sie konnte es dem Jungen nicht verübeln. Hatte dieser Mann denn keine Vorstellung, was ein Pfund wert war?

Sie verbeugte sich ehrerbietig vor Mr. Cunnington. »Danke, Sir. Wenn ich jetzt zu meiner Pension zurückkehren dürfte, um meine Sachen zu holen? Ich würde gerne noch heute Abend einziehen.«

»Exzellent. Dann können Sie morgen in aller Frühe beginnen.« Cunnington brachte sie zur Tür. »Werden Sie uns beim Dinner Gesellschaft leisten?«

Sie rechnete fest darauf. Denn wenn nicht, wäre sie morgen früh vermutlich nur noch ein Sack verschrumpelter Knochen. Dennoch zögerte sie. Je seltener sie sich ihrem neuen Arbeitgeber zeigte, desto geringer das Risiko, dass ihr ein Ausrutscher unterlief und sie sich verriet.

»Wenn Sie mir ein Tablett aufs Zimmer schicken könnten, ich würde gerne noch –«

»Sicher. Sie möchten natürlich auspacken und sich einrichten.« Er hielt ihr die Eingangstür auf, und Phillipa ermahnte sich, ihren Hut wieder aufzusetzen. »Wir sehen Sie dann also morgen früh.«

Morgen. Als sich die Haustür hinter ihr schloss und Phillipa sich endlich gestattete, tief Atem zu holen, spürte sie, wie der Mut sie verließ. Wo hatte sie sich da nur hineinmanövriert?

Und was, wenn sie nicht wieder hinausfand?

2

James schloss die Tür hinter seinem neuen Angestellten und lauschte auf das Geräusch, das hohl durch die Gänge hallte. Einen Moment lang hatte er vergessen, wie erdrückend das Haus war. Das Gespräch mit dem dürren Hauslehrer hatte ihn abgelenkt.

Phillip Walters. Ein sonderbarer Vogel, so viel war sicher. Er sah aus, als würde er sich aus dem Müllkübel kleiden und sich die Haare mit der Säge schneiden. Und wenn James sich nicht irrte, hatte dieser Mr. Walters etwas zu verbergen. James hatte Walters Behauptung, ein Mann von zwanzig Jahren zu sein, keine Sekunde geglaubt. Ein Bursche dieses Alters war niemals völlig bartlos, so scharf sein Rasiermesser auch sein mochte.

Nein, Mr. Walters war vielleicht sechzehn Jahre alt, eventuell sogar erst fünfzehn. Er war ein richtiges Klappergestell. Sicher, der Bursche litt Hunger – das hatte James sofort gesehen. Der arme Kerl war ja fast vor ihm zusammengebrochen.

Er war so ausgehungert und verzweifelt, dass er hinsichtlich seines Alters gelogen hatte. James hätte ihn vermutlich allein schon deswegen eingestellt, selbst wenn der Junge über keine so bemerkenswerten Fähigkeiten verfügt hätte. James selbst hatte sich von seiner Zeit als darbender Gefangener auf einem französischen Schiff schnell erholt, aber er konnte sich gut erinnern, was es hieß, Hunger zu haben.

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