Die schönsten deutschen Märchen - Der große Märchenschatz -  - E-Book

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Beschreibung

Über 100 Märchen der berühmtesten deutschen Märchendichter: von den großen Klassikern der Brüder Grimm und Ludwig Bechsteins, die sich auf mündliche Erzähltraditionen stützen und in freier Nachdichtung Sammlungen von weltliterarischem Rang schufen, bis zu den bedeutendsten Kunstmärchen der großen Romantiker Ludwig Tieck, Wilhelm Hauff und E.T.A. Hoffmann. Hier stehen »Das tapfere Schneiderlein« und »Die Bremer Stadtmusikanten« neben »Siebenschön« und »Ritter Blaubart«, die »Märchen aus dem Phantasus« und »Der Runenberg« neben der »Geschichte von Kalif Storch« und dem »Wirtshaus im Spessart«.

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Seitenzahl: 1272

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Der große Märchenschatz

Die schönstendeutschen Märchen

von Ludwig Bechstein, Jacob undWilhelm Grimm, Wilhelm Hauff,E. T. A. Hoffmann, Johann KarlAugust Musäus und Ludwig Tieck

Herausgegeben von Rut Karsten

Mit zahlreichen Illustrationen

Anaconda

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 Anaconda Verlag GmbH in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotive: Ruth Koser-Michaels (1896–1968), Illustrationen zu den

Märchen »Hans im Glück« und »Hänsel und Gretel« der Gebrüder Grimm,Copyright © INTERFOTO / Granger, NYC

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Ratingen

ISBN 978-3-641-29985-9V002

www.anacondaverlag.de

[email protected]

Inhalt

LUDWIG BECHSTEIN

Schwan, kleb an

Das Märchen von den sieben Schwaben

Das Märchen vom Ritter Blaubart

Die Goldmaria und die Pechmaria

Die verzauberte Prinzessin

Die drei Wünsche

Der starke Gottlieb

Die vier klugen Gesellen

Die Perlenkönigin

Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel

Siebenschön

Das Märchen vom Schlaraffenland

Die drei dummen Teufel

Die Wünschdinger

Des Teufels Pate

Das goldene Ei

Der Müller und die Nixe

Die drei Musikanten

Der weiße Wolf

Der Mann ohne Herz

JACOB UND WILHELM GRIMM

Aschenputtel

Brüderchen und Schwesterchen

Die Bremer Stadtmusikanten

Frau Holle

Rotkäppchen

Daumesdick

Die sechs Schwäne

Rapunzel

Schneeweißchen und Rosenrot

Hans im Glück

Rumpelstilzchen

Die zwei Brüder

Dornröschen

Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

Hänsel und Gretel

Jorinde und Joringel

Die sieben Raben

Das tapfere Schneiderlein

Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich

Die zwölf Brüder

Sneewittchen

Die Sterntaler

Fundevogel

Die Gänsemagd

Die Goldkinder

Der Arme und der Reiche

Das Wasser des Lebens

Tischlein deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack

König Drosselbart

Bruder Lustig

WILHELM HAUFF

Die Geschichte vom kleinen Muck

Das Märchen vom falschen Prinzen

Die Geschichte vom Kalif Storch

Die Geschichte von dem Gespensterschiff

Die Geschichte von der abgehauenen Hand

Das kalte Herz

E. T. A. HOFFMANN

Klein Zaches genannt Zinnober

J. K. A. MUSÄUS

Legenden von Rübezahl

LUDWIG TIECK

Liebesgeschichte der schönen Magelone

Der blonde Eckbert

Die Elfen

Der Runenberg

Liebeszauber

Der Pokal

LUDWIG BECHSTEIN

Schwan, kleb an

Es waren einmal drei Brüder, von denen hieß der älteste Jacob, der zweite Friedrich und der dritte und jüngste Gottfried. Dieser jüngste war das Stichblatt aller Neckerein seiner Brüder und der gewöhnliche Ablenker ihres Unmuts. Wenn ihnen etwas quer über den Weg lief, so mußte Gottfried es entgelten und er mußte sich das alles gefallen lassen, weil er von schwächlichem Körperbau war und sich gegen seine stärkeren Brüder nicht wehren konnte. Dadurch wurde ihm das Leben sauer gemacht und er sann Tag und Nacht darauf, sein Schicksal erträglicher zu machen. Als er einst im Walde war, um Holz zu sammeln, und bitterlich weinte, trat ein altes Weiblein zu ihm, das fragte ihn um seine Not und er vertraute ihr all seinen Kummer. »Ei, mein Junge«, sagte das Weiblein darauf, »ist die Welt nicht groß? Warum versuchst du nicht anderswo dein Glück?« Das nahm sich Gottfried zu Herzen und verließ eines Morgens frühe das väterliche Haus und machte sich auf den Weg in die weite Welt, um, wie das Weiblein gesagt hatte, sein Glück zu suchen. Aber der Abschied von dem Ort, wo er geboren worden war und wenigstens eine glückliche Kindheit verlebt hatte, ging ihm doch nahe und er setzte sich auf einen Hügel nieder, um noch einmal recht das heimatliche Dorf zu betrachten. Siehe, da stand das Weiblein hinter ihm, schlug ihn auf die Schulter und sprach: »Das hast du einmal gut gemacht, mein Junge! Aber was willst du nun anfangen?« – Gottfried dachte jetzt erst daran, was er beginnen solle? Er hatte bis jetzt geglaubt, das Glück müsse ihm wie eine gebratne Taube in den Mund fliegen. Das Weiblein mochte seine Gedanken erraten, lächelte grinsend und sagte: »Ich will dir sagen, was du anfangen sollst. Warum? Weil ich dich lieb habe, und weil ich glaube, daß du auch mich nicht vergessen wirst, wenn du dem Glücke im Schoß sitzest.« Gottfried versprach dies mit Hand und Mund; die Alte fuhr fort: »Heute abend, wenn die Sonne untergeht, gehe an den großen Birnbaum, der dort am Kreuzweg steht. Darunter wird ein Mann liegen und schlafen, an den Baum aber wird ein großer schöner Schwan angebunden sein; den Mann hütest du dich aufzuwecken und du mußt deswegen gerade mit Sonnenuntergang kommen, den Schwan aber knüpfst du los und führst ihn mit dir fort. Die Leute werden in seine schönen Federn vernarrt sein und du magst ihnen erlauben, davon eine auszurupfen. Wenn aber der Schwan berührt wird, so wird er schreien und wenn du dann sagst: Schwan, kleb an! so wird dem, der ihn berührt, die Hand fest ankleben und nicht eher wieder loswerden, bis du sie mit diesem Stöcklein antippst, das ich dir hiermit zum Geschenk mache. Wenn du nun so einen weidlichen Zug Menschenvögel gefangen hast, so führe sie nur immer grad aus. Da wirst du an eine große Stadt kommen, da wohnt eine Königstochter, die noch nie gelacht hat. Bringst du sie zum Lachen, so ist dein Glück gemacht; aber dann vergiß auch mich nicht, mein Junge!« Gottfried gab nochmals das Versprechen und war mit Sonnenuntergang richtig an dem bezeichneten Baum. Der Mann lag da und schlief und ein großer schöner Schwan war mit einem Bande an den Baum gebunden. Gottfried knüpfte den Vogel beherzt los und führte ihn davon, ohne daß der Mann erwachte.

Nun traf es sich, daß Gottfried mit seinem Schwan an einer Baustätte vorüber kam, wo einige Männer mit aufgestreiften Beinkleidern Lehm kneteten; die bewunderten die schönen Federn des Vogels und ein vorwitziger Junge, der über und über voll Lehm war, sagte laut: »Ach wenn ich doch nur eine solche Feder hätte.« – »Zieh dir eine aus!« sprach Gottfried freundlich; der Junge griff nach dem Schweife des Vogels, der Schwan schrie; »Schwan, kleb an!« sprach Gottfried und der Junge konnte nicht wieder los kommen, er mochte anfangen was er wollte. Die andern lachten, je mehr der Junge schrie, bis vom nahen Bache eine Magd herzugelaufen kam, die mit hoch aufgeschürztem Rocke dort gewaschen hatte. Die fühlte Mitleid mit dem Jungen und reichte ihm die Hand, um ihn loszumachen. Der Schwan schrie; »Schwan, kleb an!« sprach Gottfried, und die Magd war ebenfalls gefangen. Als Gottfried mit seiner Beute eine Strecke gegangen war, begegnete ihm ein Schornsteinfeger, der lachte über das sonderbare Gespann und fragte die Magd, was sie denn da triebe? »Ach herzliebster Hans«, antwortete die Magd kläglich, »gib mir doch deine Hand und mach mich von dem verteufelten Jungen los.« – »Wenn’s weiter nichts ist!« lachte der Schornsteinfeger und gab der Magd die Hand, der Vogel schrie; »Schwan, kleb an!« sprach Gottfried und der schwarze Mensch war ebenfalls behext. Sie kamen nun in ein Dorf, wo eben Kirchweih war; eine Seiltänzergesellschaft gab dort Vorstellungen und der Bajazzo machte eben seine Narreteidinge. Der riß Mund und Nase auf, als er das seltsame Kleeblatt sah, das an dem Schweife des Schwans festhing.

»Bist du ein Narr geworden, Schwarzer?« lachte er. – »Da ist gar nichts zu lachen!« antwortete der Schornsteinfeger. »Das Weibsbild hält mich so fest, daß meine Hand wie angenagelt ist. Mach mich los, Bajazzo; ich tu dir einmal einen andern Liebesdienst.« Der Bajazzo faßte die ausgestreckte Hand des Schwarzen, der Vogel schrie; »Schwan, kleb an!« sprach Gottfried und der Bajazzo war der Vierte im Bunde. Nun stand in der vordersten Reihe der Zuschauer der stattlich wohlbeleibte Amtmann des Dorfes, der machte ein gar ernsthaftes Gesicht dazu und er ärgerte sich gar höchlich über das Blendwerk, das nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Sein Eifer ging so weit, daß er den Bajazzo an der ledigen Hand faßte und ihn losreißen wollte, um ihn dem Büttel zu übergeben; da schrie der Vogel, und »Schwan, kleb an!« sprach Gottfried und der Amtmann teilte das Schicksal der Vorgänger. Die Frau Amtmännin, eine lange dürre Spindel, entsetzte sich über das Mißgeschick ihres Eheherrn und riß mit Leibeskräften an dem freien Arm desselben, der Vogel schrie; »Schwan, kleb an!« sprach Gottfried und die arme Frau Amtmännin mußte trotz ihres Geschreis folgen. Hinfort hatte Niemand mehr Lust, die Gesellschaft zu vergrößern.

Gottfried sah schon die Türme der Hauptstadt vor sich; da kam ihm eine wunderschöne Equipage entgegen, in der eine schöne junge, aber ernste Dame saß. Als diese den bunten Zug erblickte, brach sie jedoch in lautes Gelächter aus und ihre Dienerschaft lachte mit. »Die Königstochter hat gelacht!« rief alles vor Freuden. Sie stieg aus, betrachtete sich die Sache noch genauer und lachte immer mehr bei den Capriolen, welche die Festgebannten machten. Der Wagen mußte umwenden und fuhr langsam neben Gottfried nach der Stadt zurück. Als der König die Kunde vernahm, daß seine Tochter gelacht habe, war er voll Entzücken und nahm selbst Gottfried, seinen Schwan und dessen wunderliches Gefolge in Augenschein, wobei er selbst lachen mußte, daß ihm die Tränen in den Augen standen. »Du närrischer Gesell«, sprach er zu Gottfried, »weißt du, was ich dem versprochen habe, der meine Tochter zum Lachen bringt?« – »Nein«, sagte Gottfried. – »So will ich dir’s sagen«, antwortete der König. »Tausend Goldgulden oder ein schönes Gut. Wähle dir zwischen den beiden«. Gottfried entschied sich für das Gut. Dann berührte er den Buben, die Magd, den Schornsteinfeger, den Bajazzo, den Amtmann und die Amtmännin mit seinem Stäbchen und alle fühlten sich frei und liefen davon, als brenne die Hölle hinter ihnen her, was neues unauslöschliches Gelächter verursachte. Da wurde die Königstochter bewegt, den schönen Schwan zu streicheln und sein Gefieder zu bewundern. Der Vogel schrie; »Schwan, kleb an!« sprach Gottfried, und so gewann er die Königstochter. Der Schwan aber erhob sich in die Lüfte und verschwand in den blauen Horizont. Gottfried erhielt nun ein Herzogtum zum Geschenk; erinnerte sich aber auch des alten Weibleins, das Schuld an seinem Glücke war und berief sie als seine und seiner auserwählten Braut Haushofmeisterin in sein stattliches Residenzschloß.

Das Märchen von den sieben Schwaben

Es waren einmal sieben Schwaben, die wollten große Helden sein und auf Abenteuer wandern durch die ganze Welt. Damit sie aber ein gut Gewaffen hätten, zogen sie zunächst in die weltberühmte Stadt Augsburg und gingen sogleich zu dem geschicktesten Meister allda, um sich mit Wehr und Waffen zu versehen. Denn sie hatten nichts Geringeres im Sinne, als das gewaltige Ungetüm zu erlegen, das zur selben Zeit in der Gegend des Bodensees gar übel hausete. Der Meister staunte schier, als er die sieben sah, öffnete aber flugs seine Waffenkammer, die für die wackeren Gesellen eine treffliche Auswahl bot. »Bygott!« rief der Allgäuer, »send des au Spieß? So oaner wär mer grad reacht zume Zahnstihrer. For mi ischt e Spieß von siebe Mannslengen noh net lang gnueg.« – Drob schaute ihn der Meister wiederum an mit einem Blick, der den Allgäuer beinahe verdroß. Denn dieser lugte zurück mit grimmigen Augen, und bei einem Haar hätt’s etwas gegeben, wenn der Blitzschwab nicht just zur rechten Zeit sich ins Mittel gelegt. »Hotz Blitz!« rief er, »du hoscht Reacht und i merk doin Maining: Wie älle siebe for oin, so for älle siebe noh oin Spieß.« Dem Allgäuer war dies nicht ganz klar, aber weil’s den andern just eben recht, so sagte er: »Joh.« Und der Meister fertigte in weniger als einer Stunde den Spieß, der sieben Mannslängen maß. – Ehe sie aber die Werkstatt verließen, kaufte sich jeder noch etwas Apartes, der Knöpflesschwab einen Bratspieß, der Allgäuer einen Sturmhut mit einer Feder drauf, der Gelbfüßler aber Sporen für seine Stiefel, indem er bemerkte: solche seien nicht nur gut zum Reiten, sondern auch zum Hintenausschlagen. Als der Seehaas sich endlich einen Harnisch gewählt, pflichtete ihm der Spiegelschwab in solcher Vorsicht vollkommen bei, meinte aber, es sei besser, den Harnisch hinten als vorn anzulegen. Und kaufte sich ein altes Barbierbekken aus der Rumpelkammer des Meisters, groß genug, um seine untere Kehrseite zu bedecken. »Merk’s: han i Curasche und gang i voran, noh brauch i koan Harnisch, goht’s aber hintersche und fällt mer d’Curasche anderswohnah, noh ischt der Harnisch an seinn reachte Blatz.«

Und nachdem die sieben Schwaben wie ehrliche Leute alles richtig bis auf Heller und Pfennig bezahlt, auch als gute Christen bei St. Ulrich eine Messe gehört und zuletzt noch beim Metzger am Göppinger Tore gute Augsburger Würste eingekauft hatten, so zogen sie zum Tor hinaus ihres Weges weiter. Den Spieß aber hielten sie alle sieben und gingen in einer Reihe hintereinander, daß sie schier aussahen, wie angespießte Lerchen. Voran ging der Herr Schulz, der Allgäuer, als der mannlichste unter ihnen, dann kam der Jockele, genannt der Seehaas, hierauf der Marle, genannt der Nestelschwab, dem folgte der Jerkle, war der Blitzschwab geheißen, hernach ging der Michel, Spiegelschwab zubenamset, dann kam der Hans, Knöpflesschwab, und zuletzt kam Veitle, das war der Gelbfüßler. Der Herr Schulz wurde der Allgäuer geheißen, weil er aus Allgau gebürtig war; der Seehaas hatte am Bodensee gesessen; der Nestelschwab führte darum seinen Namen, weil er statt der Knöpfe Nesteln hatte, er mußte aber bei den Hosen fast immer mit der Hand nachhelfen und halten, dieweil die Nesteln oftmalen abgerissen waren. Der Blitzschwab hieß also, weil er sich die Redensart: »Hotz Blitz!« angewöhnt hatte. Der Spiegelschwab hatte die Gewohnheit, seine Nase allezeit an dem Vorderteil seiner Jacke abzuputzen, die davon einen gewissen Spiegelglanz annahm; das schaffte jenem den saubern Namen. Knöpflesschwab war ein Mann, der verstand gute Knöpfle oder Spätzle zu kochen, das ist im baierischen Deutsch Knötel, und im sächsischen Deutsch Klöße. Der Gelbfüßler endlich war aus der Bopfinger Landschaft, deren Einwohner die Umwohner Gehlfießler schimpfen. Darum, daß sie einstmals einen Wagen voll Eier, den sie ihrem Herzog als Abgabe bringen müssen, recht voll stampfen wollen, und die Eier mit den Füßen festgetreten, davon denn die Eier etwas weniges zerbrochen, und die Füße der Bopfinger gegilbt hätten.

Zogen nun die Sieben allesamt guten Mutes mit ihrem Spieß dahin, kamen eines Heumondtages in der späten Dämmerung über eine grüne Wiese, da hob sich eine Horniß nicht weit von ihnen mit feindlichem Gebrummel hinter einer Dornhecke hervor, und flog vorüber. Darob erschrak der Schulz, Allgäuer, mächtiglich, und begann Angstschweiß zu schwitzen, und schrie seinen Kriegsgesellen zu: »Horchet! der Feind drommelt schoh!« Da schmeckte der Jockele, der dicht hinter dem Schulzen ging, einen übeln Geruch und rief: »Wohl! wohl! ’s ist ebbes in der Näche! I schmeck schaun ’s Pulver!« Da nahm der Herr Schulz Reißaus, ließ den Spieß fahren und sprang über einen Zaun, kam dort aber gerade auf die Zinken eines Rechens zu springen, und da fuhr ihm der Stiel ins Gesicht und gab ihm einen ungewaschnen Schlag. Der Schulz vermeinte, der Feind haue auf ihn ein, und schrie: »Gieb Bardohn! I ergeb me.« Die andern sechs waren nachgesprungen über den Zaun, und da sie ihren Anführer also schreien hörten, so schrien sie alle: »Ergibscht du de, noh ergeb i me au! Ergibscht du de, noh ergeb i me au!« Aber es war niemand vorhanden, der die sieben Schwaben gefangen nehmen wollte; und da sie das merkten, schämten sie sich ihrer wenigen Herzhaftigkeit und verschwuren sich, diese ihre erste Heldentat nicht weiter zu erzählen.

Weiter so kamen die sieben Schwaben auf ihrem Zuge in einen Hohlweg, und wie sie so tapfer darauf losmarschierten, merkten sie nicht, daß ein großmächtiger Bär im Wege lag, bis der Allgäuer fast mit der Nase an ihn stieß. Als er ihn nun sah, war er hin vor Schreck, stolperte und stieß mit dem Spieße geradezu auf den Bären los, wozu er aber nichts konnte, und schrie dazu gottsjämmerlich: »E Bär! E Bär!« Vermeinte, sein letztes Brot wäre gebacken und bereits verzehrt. Doch rührte sich der Bär nicht, dieweil er maustot war. Des war der Allgäuer hoch erfreut, schaute nun nach seinen Brüdern, und sah mit neuem Schreck, daß alle mäusleinstill für tot auf dem Boden lagen, meinte, er habe sie gar mit dem Spieße hinterrücks erstochen, und erhub ein Wehegeschrei.

Als die am Boden Liegenden vermerkten, daß der Bär den Allgäuer nicht aufgefressen, denn sie waren nur vor Schreck dahin gepurzelt, lugten sie vorsichtig in die Höh, und wie sie sahen, daß der Bär tot war, erhoben sie sich frisch und gesund, traten um den Bären herum und auf ihn, und untersuchten, wie tief wohl die Wunde sei, die der Spieß ihm beigebracht, fanden aber keine, und der Blitzschwab sagte: »Hotz Blitz! Der Bär ischt verreckt und schoh lang tot!« – »Joh Joh«, sprach der Jockele, »mer schmeckt de Brohde.« Wurden eins, dem Bär das Fell abzuziehen und als Siegeszeichen mit sich zu führen, das Aas aber liegen zu lassen. »Jetzt kennet d’Schoof de Bäre fresse, wie er d’Schoof gfresse hod!« sprach einer unter ihnen, und so zogen sie fürbaß mit ihrem Bärenfell und ihrem Spieß.

Kamen nun just in einen Wald und gerieten tiefer und tiefer in die Stauden hinein, bis sie darin stecken blieben. Die Bäume standen zuletzt so dicht, daß des Fortkommens kein Gedanke war, bis der Allgäuer endlich vor einem derben Stamme stehen blieb, den Spieß erhob und wie ein Löw brüllte: »Bygott! durch muß e.« Sprach’s und rannte den Spieß mit solcher Gewalt zur Seite des Baums in den Boden, daß der Knöpflesschwab zwischen Baum und Spieß eingeklemmt wurde, wie ein Treibkeil, und sich weder rühren noch regen konnte. Und das war eben kein Kinderspiel, denn jetzt stockte der Zug vollends, konnte keiner vor- noch rückwärts. Zwar machten die Gesellen einige mächtige Versuche, den Knöpflesschwab aus der Klemme herauszuziehen, aber es war eitel Mühen: der Hans saß fest und wankte nicht. Da war es plötzlich, als ob dem Allgäuer ein großer Gedanke durch das Hirn dämmerte; er lugte um sich und rief: »Bygott! I mießt ’s Teufels sei, wenn mer Gott et helfe tät!« Und er sagte: »Hui Ochs!« und packte den Baum mit gewaltiger Faust und riß ihn heraus samt Wurzel, Stumpf und Stiel. Der Knöpflesschwab, mehr tot als lebendig, schnellte heraus just wie der Ball beim Pritschenschlagen, flog sechs Klafter himmelwärts und plumpste hernieder, daß die Erde drob wackelte. Die fünf andern aber schauten gar ehrerbietig zu dem Allgäuer empor, denn erst jetzt ging ihnen ein Licht auf, welchen Fund sie an dem Herrn Schulz getan.

Um ein weniges weiter, zeigte sich’s abermals, daß der Allgäuer das Herz nicht im Sprungriemen trug, denn als die sieben sich aus den Stauden herausgefunden, kam ein Bräuer aus München des Wegs, der trieb ein Rudel Borstenvieh vor sich her und man konnt’s ihm auf hundert Schritt ansehen, wes Landes Kind er war. Blieb groß und breit stehen, als er die sieben mit dem Spieß erblickte und zog ein Gesicht, als wollt er die wackern Leut auslachen. Gleich war der Blitzschwab vor ihn her und fragte protzig: »Was luegscht Gsell? hoscht du noh koan Schwohbe gseah?« – »O genug«, gab jener zurück, »bei mir daheim auf der Malzdarre gseah?« – »O genug«, gab jener zurück, »bei mir daheim auf der Malzdarre laufen sie zu Tausenden herum.« Meinte spottweise die schwarzen Käfer, also geheißen, weiß keine Menschenseele warum. Das war genug, um dem Blitzschwab, der zu Zeiten giftig war, wie ein Maifrosch, die Laus über den Grind laufen zu lassen. Machte sich an den Baier heran, und gab ihm flugs eine Watschel, daß jenem die Augen hell aufblitzten und die Ohren summten just eben so, wie die große Horniß. Der Baier, nicht faul, langte mit den Armen weitmächtig aus, um dem Schwäblein auch eine zu versetzen; und es wär auch eine gewesen, an die er sein Lebtag gedacht hätte. Nun war aber der Blitzschwab ein putziges Kerlchen, drehte sich auf einem Beine siebenmal herum, und hatte sein Lebtag nichts besser gelernt, als das Ausreißen. So kam es, daß der Baier gar mächtiglich in die Luft schlug, sich um und um drehte wie ein Kreisel, stolperte und zu Boden stürzte wie ein Wiesbaum. Das half ihm zum Garaus; der Blitzschwab stürzte über ihn her wie ein Queckenhamster und packte ihn an der Gurgel, während die andern Hände und Füße hielten und lustig darauf lostrommelten. Er wäre ihrer aber doch letztlich noch Herr geworden, weil er ein großer starker Kerl war, wäre nicht auch der Allgäuer über ihn hergefallen, wie ein Maltersack. Da mußte er Abbitte tun, wohl oder übel, denn das Häuflein ließ nicht eher locker und ledig.

Und es geschah, daß die guten Gesellen auf ihrer Weiterreise an einen weiten blauen See kamen, so dünkete es ihnen, denn es war alleweil etwas dämmerig geworden, der schlug Wellen im Wind, und droben an seinem Abhang standen die sieben Schwaben und lugten hinunter, wie sie wohl am geschwindesten über diesen See kommen möchten. Es war aber kein Wasser da drunten, sondern ein Feld voll Flachses, der so recht in seiner schönsten, blauen Blüte stand.

»Hotz Blitz!« rief der Blitzschwab, »was ischt doh z’ tuan? Über des wild Wasser müßet mer nüber.«

»Allgäuer, trag du es nüber, wie der hoilich Krischdof ed Pilgersleut«, sagte der Seehaas. – »Bygott!« antwortete der Allgäuer, »ins Wasser gieng i wohl, wenn’s net tiefer gieng als an de Hals.« Der Nestelschwab griff mit der Hand an seinen Hosenbund, das edle Kleidungsstück fest zu halten, daß es ihm nicht entfalle, während er mit der andern Hand schwimmen täte; dem Knöpflesschwab war das Ding gar nicht einerlei, er lugte scharf, ob kein Haifisch, Wallfisch oder Krokodil im Wasser brause; und so standen auch die andern ganz verlegen da, bis der Blitzschwab sich hinter ihnen herumdrückte und ein Paar hinunterstieß, indem er ausrief: »Frisch gewohgt ischt halb gschwomme. « Da die nicht untersanken, faßte sich auch der Gelbfüßler ein Herz und tat einen Hupf hinunter; ihm folgte der Blitzschwab und der Nestelschwab mit besserem Vertrauen, und zuletzt ritt der Allgäuer auf dem Spieße hinab, und plumpste drunten einer auf den andern, bis sie merkten, daß sie mit der Nase ins Feld gefallen waren, und allgemach mit etwas gequetschten Rippen sich wieder aufmachten, den Spieß auffischten und an ihm wiederum fürbaß schritten.

Bis zur Stunde hatten die sieben einträchtig an dem Spieße gehalten, war weder Unrecht noch Unfried zwischen ihnen vorgekommen. Da kam der böse Feind und säete Zwietracht zwischen dem Blitzschwab und dem Spiegelschwab mitten hinein. Das trug sich folgendermaßen zu. Als die Schar ein gut Stück weiter kam, war es schon Nacht und der Mond ging eben auf. Da wurde es dem Spiegelschwab wunderlich zu Mute, just wie daheim und meinte: »Jetzt hent mers gwonne, Memmenge ischt nemme weit.« Lugt ihn der Blitzschwab verwundert an und fragt, wie er das wissen könne. Der Spiegelschwab lachte pfiffig: »Werd joh doch de Memmenger Mond kenne.« Drob lachte jener, daß ihm das Wasser aus den Augen rannte, und schrie: »Hotz Blitz! Gsell, wie bischt du so blitzdumm!« Nun vertrug zwar der Spiegelschwab einen derben Puff, hatten ihn oft schon kurz und lang geheißen, aber für dumm gelten wollte er nicht. Das war so eben seine empfindliche Seite. Dies kaum gesagt, hatte der Blitzschwab daher auch schon seine Dachtel. Fuhren nun zusammen die beiden, gerade wie ein paar Metzgerhunde und draschen sich schier um die Wette, den andern zur Kurzweil, bis endlich der Seehaas den Allgäuer bat, Frieden zu stiften. Der ließ sich nicht lange bitten, sondern packte sogleich den Blitzschwaben am Hosenbündel und hielt ihn in der Luft, wie einen Frosch; er mochte zappeln, wie er wollte. Inzwischen ließ der Spiegelschwab nicht nach, den Blitzschwaben aufs Brett zu klopfen; daher ergriff der Allgäuer auch diesen und hielt ihn am Leibe unter der Gurgel so steif und fest, daß er bockstarr da stand und nicht mucksen konnte. »Bygott!« rief der Herr Schulz, »i will euch Mores lehre, ihr donnderschlechtige Strohlkerle.« Schüttelte den einen und drosselte den andern immer ärger und ärger, bis sie endlich einander das Wort gegeben, daß sie wieder gut Freund sein wollten, was sie denn auch geblieben von der Zeit an bis an ihren Tod.

Es wies sich auch bald aus, daß der Spiegelschwab gar nicht so dumm gewesen, wie der Blitzschwab allermeist geglaubt, denn als sie zwei Viertelstunden Weges gegangen, kamen sie richtig nach Memmingen, wie jener aus dem Monde prophezeit. Aber als ob just dieses Städtlein dem Spiegelschwaben heut nur Unglück bringen sollte, so geschah es alsbald wieder, daß es dem Armen zu Haut und Haaren ging. »Durch Memmenge ganget mer net«, hatte er gesagt und als man ihn ob der Ursache gefragt, hatte er den Kopf geschüttelt und gemeint, er wisse das selbst am besten! Gingen deshalb ringsum die Stadtmauer, die sieben, um just am andern Ende wieder die Heerstraße zu gewinnen. Aber da hat sich’s denn wiederum augenfällig gezeigt, daß der Mensch seinem Schicksal nicht entgehen könne. Denn ehe sich’s der Spiegelschwab versehen, sprang aus einem Hopfengarten ein Weib auf ihn zu, eine rechte Runkunkel, und schrie in einem Ton, der durch Mark und Bein ging: »Bischt endlich wieder doh, du Schlingel? Wo bischt so lang rumkalfaktert, du Galgenstrick?« Dem Spiegelschwab wurde es grün und gelb vor den Augen und vermeinte, sein Ende sei gekommen, denn die Alte war niemand anders, als seine liebwerte Ehehälfte, die er mir nichts dir nichts sitzen gelassen, als er hinausgezogen war mit den andern Gesellen auf die Wanderschaft. Hier galt’s, nicht lange zu überlegen, war daher flugs mit einem Satze hinüber in die Hopfengärten zum großen Jubel der andern, die schier bersten wollten vor Lachen. Aber die Alte, schnell wie eine Bachstelze auf den spindeldürren Füßen, war hurtig hinterdrein und es hätte wohl einen argen Strauß gegeben zwischen den beiden, wenn dem Spiegelschwaben nicht gerade zu guter Stunde ein Schelmenstückchen eingefallen wäre. Er hatte nichts zu tragen, weil er nichts hatte als das Bärenfell; das tat ihm nun guten Dienst. Eilig warf er es über den Kopf, schlüpfte behend in die Tatzen und lief nun auf allen vieren, nicht anders als ein leibhaftiger Bär, rannte brummend auf das Weib zu, umfing sie mit den scharfen Krallen und drückte und herzte sie, daß ihr Hören und Sehen verging. Die Alte war froh, als sie dem Schalk entronnen, der nun freudig mit den andern von dannen zog. Von Stund an aber schreibt sich der Brauch, daß böse Männer von ihren Ehehälften gar häufig Brummbären genannt werden.

»Uf Leid folgt Freid!« rief der Allgäuer und zeigte nach dem Leutkircher Tor, wo ein Wirtshaus stand, über dessen Tür zu lesen war: »Hier schenkt man Märzenbier aus!« War keiner unter den sieben, der nicht gern einen Trunk Bier geschenkt genommen hätte, richteten daher im Nu ihre Schritte nach dem Wirtshaus und langten mit dem Spieße in der Hausflur an, in demselben Augenblick, als der dicke Bräuer vor die Tür trat, nach dem Wetter auszulugen. Als der die Schar erblickte mit dem furchtbaren Spieß, wurde es ihm eben nicht warm ums Herz, zog aber schnell sein Käppchen und fragte höflich nach ihrem Begehr. »Se wellet e bißle sei Bier brobiere«, sagte der Allgäuer und schritt schnurstracks mit den Gesellen in die Zechstube. Da ward’s dem Wirt klar, daß die Gesandtschaft mit dem Spieße abgeschickt sei von der schwäbischen Kreisregierung, wie wohl zu Zeiten geschieht, um das Bier zu kosten und zu prüfen, ob es preiswürdig sei. Rannte daher spornstreichs in den Keller und holte ein Körble vom Besten herauf, wie er nur für sich und seine Leute gebraut. Das Körble war leer im Umsehen, das zweite in noch kürzerer Zeit, und als die sieben in weniger als zwei Stunden nahe an einen halben Eimer getrunken, meinte der Wirt, er sehe, daß es ihnen schmecke. Der Blitzschwab aber, der immer das Maul vorweg hatte, sagte: »’s kennt besser sei, wenn net z’wenig Malz und Hopfe drin wär.« »Das ist nicht wahr«, versetzte der Wirt, der ein Schalk war, »Hopfen und Malz ist nicht zu wenig darin, aber zu viel Wasser.« Da merkte der Blitzschwab, daß er seinen Mann gefunden, trank noch ein Mäßle und sagte den Spruch, der ihm einfiel:

»In Langesalz, in Langesalz

(kennt au Memmenge hoiße, sagte er)

Braut mer drui Bier aus oinem Malz,

Es erschte hoißet se de Kern,

Des drinket d’ Burgemoischter gern,

Es andre hoißt es Mittelbier,

Des setzt mer de gmoane Leud fir;

Es dritt des hoißt Covent,

Drink di potz Sapperment!«

Zogen dann allesamt fürbaß und der Wirt in Memmingen schwört heute noch Stein und Bein, daß das Häuflein nichts anders gewesen, als des Memminger Kreises Oberbierbeschauer.

»Uf Leid folgt Freid!« hatte der Allgäuer gesagt, ohne zu bedenken, daß das weise Sprüchlein umgekehrt sich noch bei weitem häufiger bewahrheitet. Es sollte nun einmal Regen und Sonnenschein auf der abenteuerlichen Fahrt der sieben Gesellen fast immer abwechseln, drum war’s eben kein Wunder, daß das arme Häuflein gar bald wieder in die Tinte geriet. Noch drehte und wirbelte es in ihren Köpfen von dem überreichlich genossenen Märzenbier, da harrte ihrer schon wieder das tückische Geschick. Zogen eben bei Kronburg vorüber, da lauschte der gestrenge Herr Junker aus dem Fenster. Mochte ihm nicht recht geheuer vorkommen mit der lustigen Schar, die auch dem Äußern nach nicht eben allzu reputierlich einherzog. Er rief deshalb seinen Schergen und sagte: »Lug einmal nach den Landstreichern da drüben – scheint mir eine saubere Sippschaft zu sein.« Der Scherg nahm sieben Bullenbeißer mit sich, jeder groß genug, um zur Not mit einem Bären kämpfen zu können, und stieg hinab, Jagd auf die unglücklichen Schwaben zu machen. Hatte sie bald ereilt und da der Blitzschwab schnippisch war, wie immer, machte der Haltmichfest kurze Sache und nahm das Häuflein mit sich. Zwar wollte der Allgäuer nicht so ohne weiteres mitgehen, als aber die Hunde gar grimmig knurrten, da senkte er den Spieß mit den Ohren zugleich und trabte hinterdrein. Wurden nun sämtlich vor den Junker von Kronburg geführt, der ein strenges Verhör begann. Der Seehaas machte den Sprecher für alle und erzählte getreulich: Wie in der Gegend am Bodensee ein schreckliches Tier hause, und da hätten sie sich denn als brave Landsleute und biedere Männer zusammengetan aus allen schwäbischen Gauen, um das Land vom Ungeheuer zu befreien.

Das aber glaubte der Junker nicht, sondern blieb bei seiner Meinung, sie seien Strolche und Diebsgesindel, und ließ sie in das Häusle, das ist, ins Gefängnis stecken.

»So geht’s in Schnitzlebutz Heusle,

Doh singet und tanzet die Meusle

Und bellet die Schnecken im Heusle –«

hat der Blitzschwab im Häusle gesungen, aber ganz still, wie ein Mäusle.

Es hatte aber der Junker erst Tags zuvor, da ihn das Zipperlein plagte, den löblichen Entschluß gefaßt, ein Zuchthaus zu stiften zum Schrecken aller Gauner und Tagediebe, zu Nutz und Frommen der Bürgerschaft und zur Aufklärung des gemeinen Volkes. Da kamen ihm die sieben Schwaben eben recht. Sonst war er ein gar frommer und milder Herr, der sogar seinen eigenen Bauern nicht mehr Wolle abschor, als er eben nötig hatte, um sich selbst warm zu kleiden. Befahl daher auch, daß man den Gefangenen Nahrung reichen solle, so weit sie des bedürften. Der Spiegelschwab aber, der ihn wohl kannte und wußte, daß Schmalhans in dessen Küche und Keller hauste, legte seinen Plan darauf an, welchen er den Gesellen mitteilte. Wie also der Scherg Mittags eine große Pfanne voll kleiner Klöße, die sie Milchspätzle nennen, brachte, sprach der Blitzschwab zum Knöpflesschwaben: »Die ghairet wohl for di?« Der Scherg meinte, das sei wohl für alle genug. Der Knöpflesschwab aber sagte, er wolle lugen, ob’s für ihn lange, setzte sich und aß die Pfanne allein aus, so daß kein Krümchen noch Bröckchen übrig blieb. Der Scherg erschrak und lief zum Junker, meinend, man müsse für die Landstreicher eine ganze Braupfanne voll Spätzle auf einmal kochen, und das sei, dünke ihm, noch nicht genug. Da ging der Junker von und auf Kronburg in sich und meinte, er sei dem schwäbischen Kreis und der Menschheit kein so großes Opfer schuldig, daß er sich aushungern lassen sollte in seinem Schloß um einiger wenigen Strolche willen. Stracks wurden die sieben in Freiheit gesetzt, nur daß ihnen der Junker noch einen Steckbrief mit auf den Weg gab, um andere Behörden und Kerkerknechte pflichtschuldigst vor des Knöpflesschwaben großer Freßsucht zu warnen.

Nach mehr als einem andern Abenteuer, das zu viel wäre zu erzählen, gelangten die Schwaben an einen großen See, und da sagte der Seehaas, der ihn gleich erkannte: »Des ischt der Bodesee.« An dessen Ufer sollte, wie die Sage ging, das gefährliche Ungeheuer hausen, welches zu bekämpfen und zu erlegen die sieben Schwaben sich bekanntlich fest vorgenommen hatten. Da sie nun des Sees ansichtig geworden und zugleich des Waldes, in dem das Ungeheuer sich aufhielt, man wußte nicht, war es ein greulicher Lindwurm, oder ein feuerspeiender Drache, so fiel ihnen zumeist das Herz in die Hosen, sie machten Halt und zündeten ein Feuerlein an, auf daß der Knöpflesschwab noch zu guter Letzt (denn wer konnte wissen, ob das Untier sie nicht allesamt mit Haut und Haar verschlingen werde, mit oder ohne Spieß), eine Mahlzeit Knöpfle oder Spätzle bereite, und stellten während dem Essen Todesbetrachtungen an. »Joh«, sagte der Allgäuer und seufzte recht von unten ’rauf, »’s ischt e Sach, wenn mer bei sich so recht bedenkt, daß mer zum letzten Mohl in seim Leben z’Mittag ißt.« Und wieder seufzte er und sagte: »’s ischt e Sach!« und der Knöpflesschwab fing an still vor sich hin zu flennen, wobei er jedoch des Essens nicht vergaß. Als aber der Allgäuer zum dritten Mal ganz erschrecklich tief seufzte und sagte: »’s ischt e Sach!« da fingen sie alle an so erbärmlich zu flennen und zu heulen, daß es einen wilden Heiden hätte erbarmen können. Der Nestelschwab allein ließ sich das Sterben nicht zu Herzen gehen; denn, sagte er, mein Mutter hat mir oft gesagt, daß mein Stündlein gar niemals kommen würde. Heulte aber dennoch aus gutem Willen zur Gesellschaft mit. Als sie aber endlich nicht mehr konnten, fiel’s ihnen doch ein, daß es Zeit sei, ihre Schlachtordnung herzurichten; dabei gab es aber allerlei Span und Zwietracht. Der Allgäuer sagte, er sei bislang emmer der vorderscht gwe, ’s wär jetzt Zeit, daß er au emohl der henterscht sei, und es soll der Blitzschwob voran. Der meinte aber: » Curasche han i gnueg em Leib, aber net Leib gnueg for d’ Curasche und dehs Bescht von Ongheuer.« Der Spiegelschwab wischte sich die Nase am Ärmel und tat den Vorschlag, es solle doch wohl besser sein, wenn einer für alle sterbe, und meinte, der Knöpflesschwab könne ihnen diesen kleinen Gefallen tun; der aber schrie Zetermordio, als habe ihn das Ungeheuer schon am Schlafittich. Und so sprachen und stritten sie noch eine Weile hin und her, bis sie sich friedsam einigten und hurtiglich mit ihrem Spieße vorwärts schritten, gerade auf den Wald zu, wo das Untier hausen sollte. Ehe sie den erreichten, kamen sie an einen Rain davor, da saß ein Has und machte ein Männlein, und streckte die langen Löffel in die Höh; das war den Schwaben grauentlich anzuschauen, hemmten darum ihren Schritt, hielten Rat und besannen sich, ob sie vorwärts rücken und aufs Untier einrücken sollten mit lang vorgestrecktem Spieß, oder ob sie sich zur Flucht wenden sollten; doch hielt jeder fest am Spieß. Da nun der Veitle hinten am meisten in Numero Sicher war, schwoll ihm der Kamm und er schrie dem Schulzen zu, der vorne stand:

»Stoßt zue in aller Schwobe Name,

Sonscht wünscht ih, daß ihr möcht erlahme!«

Der Hans, des Veitle Gehlfìeßlers Vordermann, Knöpflesschwab, spottete der Curasche des Veitle, indem er sagte:

»Beim Element, du hoscht gut schwätze,

Du bischt der letscht beim Drachahetze!«

Dem Michel sträubte die Herzhaftigkeit das Haar empor, er blickte gar nicht hin nach dem Ungeheuer, sondern sprach mit abgewandtem Gesicht, indem er den Ärmel seinem Gesicht näherte:

»Es wird net fehle um a Hoar,

So ist es wohl der Teufel gar!«

Jergle lugte dem Michel ins Gesicht, und schauete auch gar nicht hin nach dem Bescht von Ungeheuer, indem er zaghaft beistimmte:

»Blitz! ischt er’s net, so ischt’s sei Mueder,

Oder’s Teufels sei Stiefbrueder!«

Dem Marle Nestelschwab, der sich schon ziemlich weit vorn am Spieß befand, daran die Schwaben gingen, gefiel sein Platz nicht, und er hatte einen guten Einfall; er kehrte sich auch um, da er nicht für nötig fand, das Ungeheuer anzusehen, und rief dem Veit zu:

»Gang, Veitle, gang, gang du vorahn,

I will dohente for di stahn!«

Veitle drückte aber seine Ohren auf und tat, als hörte er nicht, worauf der Marle zu Jockele sagte:

»Gang, Jockele, gang, gang du vorahn

Du hoscht Sporn und Stiefel ahn,

Daß di der Drach net beiße kahn!«

Aber Jockele fand seinen Trost darinnen, daß der Allgäuer an der Spitze des Spießes der sieben Schwaben und des zu bestehenden Abenteuers stand, und sagte:

»Der Schulz, der mueß der erschte sei,

Denn ehm gebiehrt die Ehr allei.«

Schulz Allgäuer faßte sich ein Herz und sprach mutig, da es nun einmal in die unvermeidliche Gefahr ging:

»So zieht denn herzhaft in de Streit,

Dohran erkennt mer tapfre Leut.«

Und so ging es in Gottes Namen und im Sturmschritt auf das Ungeheuer los, und als dem Schulzen das Herz pfupferte, konnte er sich seiner Angst nicht erwehren und schrie: »Hau huelhau! Hau, hauhau!« Da erschrak der Has und gab spornstreichs Fersengeld querfeldein, und lief, was er laufen konnte. Jetzt rief Schulz Allgäuer freudiglich:

»Potz Veitle, luag, luag, was ischt das?

Es Ohngeheuer ischt noh e Haas!«

»Hoschts gsehe? Hoschts gsehe?« fragten sich nun die andern unter einander. »Hotz Blitz! E Ding wie ne Kalb!« rief der Blitzschwab. Der Nestelschwab tat seinen größten Fluch: »Mit Verlaub! Daß dih es Meusle beiß’! E Tier wie ne Mastochs!« »Oho!« rief der Knöpflesschwab, »en Elefand ischt noh e Katz gegen des Ohntier.« »Bygott!« erwiderte der Allgäuer, »wenn des koa Haas gweh ischt, noh woiß i de Dreimänner-Wei vom Racheputzer net z’ unterschaide!«

»Noh, Noh!« vermittelte der Seehaas: »Haas her! Haas hen! E Seehaas ischt halt greßer und gremmiger, als älle Haase im heilige remische Reich.« »Wie der Seewei seurer und herber als älle Wei im heilige remische Reich«, sagte hinten der Gehlfüßler, und über diese Anzüglichkeit hätte ihm der Seehaas fast ein Paar Watscheln gegeben, denn es kränkte ihn schwer, daß der Veitle über den Seewein spottete, der ihm von Kindesbeinen an geschmeckt. Mit den Seeweinen verhält es sich aber also: es gibt ihrer drei Arten, zum ersten der Sauerampfer, schmeckt nur ein weniges besser als Essig und verzieht das Maul nur ein bißchen, zumal wenn man sich daran gewöhnt hat. Die zweite Gattung ist Dreimännerwein geheißen, steht im Geschmack nach 10 Grad unter Essig und wurde so getauft, weil man behauptet, daß derjenige, so ihn zu trinken verurteilt, von zweien gehalten werden muß, während ihn ein dritter eingießt. Die dritte Sorte ist der Rachenputzer, hat die rühmliche Eigenschaft, daß er Schleim und alles andere abführt, tut aber dabei not, daß wer sich mit dem Wein im Leib schlafen legt, in der Nacht sich wecken lasse, damit er sich umkehren möge, sonst möchte ihm der Rachenputzer ein Loch in den Magen fressen.

Da nun das Abenteuer mit dem Ungeheuer von den sieben Schwaben so glückhaft bestanden war, so wurden sie eins nunmehr von ihren Taten auszuruhen und wieder friedlich heimzuziehen. Zuvor aber tat not, ein Siegeszeichen zu errichten, das der Mit- und Nachwelt ihren Triumph auf ewige Zeiten vermelde. Da nun unmöglich war, wie vor Zeiten tapfere Ritter getan, die Drachenhaut in einer Kirche aufzuhängen, dieweil kein Drache sein Fell zu Markte getragen und der Has in seinem Balg wohlbehalten entkommen war, so wurden die guten Gesellen dahin eins, ihr Bärenfell und ihren Spieß als eine Trophäe in die nächstgelegene Kapelle zu stiften, die hieß man hernach die Kapell zum schwäbischen Heiland. Dort wird wohl der Spieß noch hängen, das Bärenfell aber haben die Motten verzehrt, und die Sperlinge haben die Haare in ihre Nester getragen.

Das Märchen vom Ritter Blaubart

Es war einmal ein gewaltiger Rittersmann, der hatte viel Geld und Gut, und lebte auf seinem Schlosse herrlich und in Freuden. Er hatte einen blauen Bart, davon man ihn nur Ritter Blaubart nannte, obschon er eigentlich anders hieß, aber sein wahrer Name ist verloren gegangen. Dieser Ritter hatte sich schon mehr als einmal verheiratet, allein man hatte gehört, daß alle seine Frauen schnell nacheinander gestorben seien, ohne daß man eigentlich ihre Krankheit erfahren hatte. Nun ging Ritter Blaubart abermals auf Freiersfüßen, und da war eine Edeldame in seiner Nachbarschaft, die hatte zwei schöne Töchter und einige ritterliche Söhne, und diese Geschwister liebten einander sehr zärtlich. Als nun Ritter Blaubart die eine dieser Töchter heiraten wollte, hatte keine von beiden rechte Lust, denn sie fürchteten sich vor des Ritters blauem Bart, und mochten sich auch nicht gern voneinander trennen. Aber der Ritter lud die Mutter, die Töchter und die Brüder samt und sonders auf sein großes schönes Schloß zu Gaste, und verschaffte ihnen dort so viel angenehmen Zeitvertreib und so viel Vergnügen durch Jagden, Tafeln, Tänze, Spiele und sonstige Freudenfeste, daß sich endlich die jüngste der Schwestern ein Herz faßte, und sich entschloß, Ritter Blaubarts Frau zu werden. Bald darauf wurde auch die Hochzeit mit vieler Pracht gefeiert.

Nach einer Zeit sagte der Ritter Blaubart zu seiner jungen Frau: »Ich muß verreisen, und übergebe dir die Obhut über das ganze Schloß, Haus und Hof, mit allem, was dazu gehört. Hier sind auch die Schlüssel zu allen Zimmern und Gemächern, in alle diese kannst du zu jeder Zeit eintreten. Aber dieser kleine goldne Schlüssel schließt das hinterste Kabinett am Ende der großen Zimmerreihe. In dieses, meine Teure, muß ich dir verbieten zu gehen, so lieb dir meine Liebe und dein Leben ist. Würdest du dieses Kabinett öffnen, so erwartet dich die schrecklichste Strafe der Neugier. Ich müßte dir dann mit eigner Hand das Haupt vom Rumpfe trennen!« – Die Frau wollte auf diese Rede den kleinen goldnen Schlüssel nicht annehmen, indes mußte sie dies tun, um ihn sicher aufzubewahren, und so schied sie von ihrem Mann mit dem Versprechen, daß es ihr nie einfallen werde, jenes Kabinett aufzuschließen und es zu betreten.

Als der Ritter fort war, erhielt die junge Frau Besuch von ihrer Schwester und ihren Brüdern, die gerne auf die Jagd gingen; und nun wurden mit Lust alle Tage die Herrlichkeiten in den vielen, vielen Zimmern des Schlosses durchmustert, und so kamen die Schwestern auch endlich an das Kabinett. Die Frau wollte, obschon sie selbst große Neugierde trug, durchaus nicht öffnen, aber die Schwester lachte ob ihrer Bedenklichkeit, und meinte, daß Ritter Blaubart darin doch nur aus Eigensinn das Kostbarste und Wertvollste von seinen Schätzen verborgen halte. Und so wurde der Schlüssel mit einigem Zagen in das Schloß gesteckt, und da flog auch gleich mit dumpfem Geräusch die Türe auf, und in dem sparsam erhellten Zimmer zeigten sich – ein entsetzlicher Anblick! – die blutigen Häupter aller früheren Frauen Ritter Blaubarts, die ebensowenig, wie die jetzige, dem Drang der Neugier hatten widerstehen können, und die der böse Mann alle mit eigner Hand enthauptet hatte. Vom Tod geschüttelt, wichen jetzt die Frauen und ihre Schwester zurück; vor Schreck war der Frau der Schlüssel entfallen, und als sie ihn aufhob, waren Blutflecke daran, die sich nicht abreiben ließen, und ebensowenig gelang es, die Türe wieder zuzumachen, denn das Schloß war bezaubert, und indem verkündeten Hörner die Ankunft Berittner vor dem Tore der Burg. Die Frau atmete auf und glaubte, es seien ihre Brüder, die sie von der Jagd zurück erwartete, aber es war Ritter Blaubart selbst, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als nach seiner Frau zu fragen, und als diese ihm bleich, zitternd und bestürzt entgegentrat, so fragte er nach dem Schlüssel; sie wollte den Schlüssel holen und er folgte ihr auf dem Fuße, und als er die Flecken am Schlüssel sah, so verwandelten sich alle seine Geberden, und er schrie: »Weib, du mußt nun von meinen Händen sterben! Alle Gewalt habe ich dir gelassen! Alles war dein! Reich und schön war dein Leben! Und so gering war deine Liebe zu mir, du schlechte Magd, daß du meine einzige geringe Bitte, meinen ernsten Befehl nicht beachtet hast? Bereite dich zum Tode! Es ist aus mit dir!«

Voll Entsetzen und Todesangst eilte die Frau zu ihrer Schwester, und bat sie, geschwind auf die Turmzinne zu steigen und nach ihren Brüdern zu spähen, und diesen, sobald sie sie erblicke, ein Notzeichen zu geben, während sie sich auf den Boden warf, und zu Gott um ihr Leben flehte. Und dazwischen rief sie: »Schwester! Siehst du noch niemand!« – »Niemand!« klang die trostlose Antwort. – »Weib! komm herunter!« schrie Ritter Blaubart, »deine Frist ist aus!«

»Schwester! siehst du niemand?« schrie die Zitternde. »Eine Staubwolke – aber ach, es sind Schafe!« antwortete die Schwester. – »Weib! komm herunter, oder ich hole dich!« schrie Ritter Blaubart.

»Erbarmen! Ich komme ja sogleich! Schwester! siehst du niemand?« – »Zwei Ritter kommen zu Roß daher, sie sahen mein Zeichen, sie reiten wie der Wind.« –

»Weib! Jetzt hole ich dich!« donnerte Blaubarts Stimme, und da kam er die Treppe herauf. Aber die Frau gewann Mut, warf ihre Zimmertüre ins Schloß, und hielt sie fest, und dabei schrie sie samt ihrer Schwester so laut um Hülfe, wie sie beide nur konnten. Indessen eilten die Brüder wie der Blitz herbei, stürmten die Treppe hinauf und kamen eben dazu, wie Ritter Blaubart die Türe sprengte und mit gezücktem Schwert in das Zimmer drang. Ein kurzes Gefecht und Ritter Blaubart lag tot am Boden. Die Frau war erlöst, konnte aber die Folgen ihrer Neugier lange nicht verwinden.

Die Goldmaria und die Pechmaria

Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter, eine rechte Tochter und eine Stieftochter; beide hießen Maria. Die rechte Tochter war nicht gut und fromm, dagegen war die Stieftochter ein bescheidenes, sittiges Mädchen, das aber gar viele Kränkungen und Zurücksetzungen von Mutter und Schwester erdulden mußte. Doch sie war stets freundlich, tat die Küchenarbeiten unverdrossen, und weinte nur manchmal heimlich in ihrem Schlafkämmerlein, wenn sie von Mutter und Schwester so viel Unbilliges zu leiden hatte. Aber bald war sie dann allemal wieder heiter und frischen Mutes, und sprach zu sich selbst: »Sei ruhig, der liebe Gott wird dir schon helfen.« Dann tat sie fleißig ihre Arbeit, und machte alles nett und sauber. Ihrer Mutter arbeitete sie immer nicht genug; eines Tages sagte diese sogar: »Maria, ich kann dich nicht länger zu Hause behalten, du arbeitest wenig und issest viel, und deine Mutter hat dir kein Vermögen hinterlassen, auch dein Vater nicht, es ist alles mein, und ich kann und mag dich nicht länger ernähren, daher du ausgehen mußt, dir einen Dienst bei einer Herrschaft zu suchen.« Und sie buk von Asche und Milch einen Kuchen, füllte ein Krüglein mit Wasser, gab beides der armen Maria und schickte sie aus dem Hause.

Maria war sehr betrübt ob dieser Härte; doch schritt sie mutig durch die Felder und Wiesen, und dachte: es wird dich schon jemand als Magd aufnehmen, und vielleicht sind fremde Menschen gütiger als die eigene Mutter. Als sie Hunger fühlte, setzte sie sich in’s Gras nieder, zog ihren Aschenkuchen hervor und trank aus ihrem Krüglein, und viele Vöglein flatterten herbei, pickten an ihrem Kuchen, und sie goß Wasser in ihre Hand und ließ die munteren Vöglein trinken. Und da verwandelte sich unvermerkt ihr Aschenkuchen in eine Torte, ihr Wasser in köstlichen Wein. Gestärkt und freudig zog die arme Maria weiter, und kam, als es dunkel wurde, an ein seltsam gebautes Haus, davor waren zwei Tore, eins sah pechschwarz aus, das andere glänzte von purem Gold. Bescheiden ging Maria durch das minder schöne Tor in den Hof und klopfte an die Haustüre. Ein Mann von schreckbar wildem Ansehen tat die Türe auf und fragte barsch nach ihrem Begehren. Sie sprach zitternd: »Ich wollte nur fragen, ob Ihr nicht so gütig sein möchtet, mich über Nacht zu beherbergen?« und der Mann brummte: »Komm herein!« Sie folgte ihm, und bebte noch mehr zusammen, als sie drinnen im Zimmer nichts weiter sah und hörte als Hunde und Katzen, und deren abscheuliches Geheul. Es war außer dem wilden Thürschemann (so hieß dieser Mensch) niemand weiter in dem ganzen Hause.

Nun brummte der Thürschemann der Maria zu: »Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?« Maria sprach: »Bei Hunden und Katzen.« Da mußte sie aber gerade neben ihm schlafen, und er gab ihr ein schönes weiches Bette, daß Maria ganz herrlich und ruhig schlief. Am Morgen brummte Thürschemann: »Mit wem willst du frühstücken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?« Sie sprach: »Mit Hunden und Katzen.« Da mußte sie mit ihm trinken, Kaffee und süßen Rahm. Wie Maria fortgehen wollte, brummte Thürschemann abermals: »Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?« und sie sprach: »Zum Pechtor.« Da mußte sie durchs goldene gehen, und wie sie durchging, saß Thürschemann oben darauf und schüttelte so derb, daß das Tor erzitterte und daß Maria ganz von Gold überdeckt war, das von dem Goldtore auf sie herabfiel.

Nun ging sie wieder heim, und ins elterliche Haus eintretend kamen ihre Hühner, die sie sonst immer gefüttert, ihr freudig entgegen geflogen und gelaufen, und der Hahn schrie: »Kikiriki, da kommt die Goldmarie! Kikiriki!« Und ihre Mutter kam die Treppe herunter und knickste so ehrfurchtsvoll vor der goldenen Dame, als wenn es eine Prinzessin wäre, die ihr die Ehre ihres Besuches schenkte. Aber Maria sprach: »Liebe Mutter, kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin ja die Maria.«

Jetzt kam auch die Schwester ganz erstaunt und verwundert, wie die Mutter, und beide voll Neides, und Maria mußte erzählen, wie wunderbar es ihr ergangen, und wie sie zu dem Golde gekommen war.

Nun nahm sie ihre Mutter wohl auf, und hielt sie auch besser wie zuvor, und Maria wurde von jedermann geehrt und geliebt; bald fand sich auch ein braver junger Mann, der Marien als Gattin heimführte und glücklich mit ihr lebte.

Der andern Maria aber wuchs der Neid im Herzen, und sie beschloß, auch fortzugehen und übergoldet wiederzukommen. Ihre Mutter gab ihr süßen Kuchen und Wein mit auf die Reise, und wie Maria davon aß und Vöglein geflogen kamen, um auch mit zu schmausen, jagte sie dieselben ärgerlich fort. Ihr Kuchen aber verwandelte sich unvermerkt in Asche, und ihr Wein in mattes Wasser. Am Abend kam Maria ebenfalls an Thürschemanns Tore; sie ging stolz zu dem goldenen hinein, und klopfte dann an die Haustüre. Wie Thürschemann auftat und nach ihrem Begehren fragte, sagte sie schnippisch: »Nun, ich will hier übernachten.« Und er brummte: »Komm herein!« Dann fragte er auch sie: »Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?« Sie sagte schnell: »Bei Euch, Herr Thürschemann!« Aber er führte sie in die Stube, wo Hunde und Katzen schliefen und schloß sie hinein. Am Morgen war Mariens Angesicht häßlich zerkratzt und zerbissen. Thürschemann brummte wieder: »Mit wem willst du Kaffee trinken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?« »Ei, mit Euch«, sagte sie, und mußte nun gerade wieder mit Katzen und Hunden trinken. Nun wollte sie fort. Thürschemann brummte abermals: »Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?« und sie sagte: »Zum Goldtor, das versteht sich!« Aber dieses wurde sogleich verschlossen und sie mußte zum Pechtor hinaus, und Thürschemann saß obendrauf, rüttelte und schüttelte, daß das Tor wackelte und da fiel so viel Pech auf Marien herunter, daß sie über und über voll wurde.

Als nun Maria voll Wut ob ihres häßlichen Ansehens nach Hause kam, krähte der Gluckhahn ihr entgegen: »Kikiriki, da kommt die Pechmarie! Kikiriki!« Und ihre Mutter wandte sich voll Abscheu von ihr, und konnte nun ihre häßliche Tochter nicht vor Leuten sehen lassen, die hart gestraft blieb, darum, daß sie so auf Gold erpicht gewesen.

Die verzauberte Prinzessin

(Nach mündlicher Überlieferung)

Es war einmal ein schlichter Handwerksmann, der hatte zwei Söhne, die hießen Hellmerich und Hans; dieser ging einst aus seinem Dörflein in die nahe Stadt, um Geschäfte mancherlei Art abzutun. Als er am Abend, schon auf dem Heimweg begriffen, in der äußern Schenke noch einen stärkenden Trunk tat, machte ihn ein höchst lebhaftes Gespräch, das einige junge zechende Männer führten, aufmerksam; er lauschte mit Augen und Ohren, denn die Rede jener Leute ging von nichts Geringerem als davon, daß ein herrliches Schloß mit unermeßlichem Gold und Gütern zu gewinnen sei. In diesem Schlosse schmachte eine holde Prinzessin verzaubert nach Erlösung, welche Prinzessin dem Glücklichen, der sie durch pünktliche Erfüllung dreier Proben, die ihm auferlegt würden, erlösen würde, die königliche Hand reiche und ihn zu ihrem Gemahl erhebe. Derjenige, dies war aber der Zusatz, der die drei Aufgaben nicht löse, so er doch die Prinzessin begehrt, müsse das Leben lassen und kehre nimmer wieder.

Nachdenklich und mit hochschlagendem Herzen schritt der ehrliche Meister über die vom Abenddämmer umsponnene Heimatflur seinem Dörflein zu. Schon sah er in Gedanken seinen ältesten Sohn, Hellmerich, den er ungleich mehr liebte als seinen andern, Hans, im Königschloß, und die holde Prinzessin als seine hochverehrteste Schnur.

Daheim teilte er nun seinem lieben Weibe und seinen Söhnen die goldene Neuigkeit mit, und alle waren ganz erstaunt über diese Mär. Der Vater gebot nun gleich seinem Lieblingssohn Hellmerich, sich aufzumachen, und das Wagestück zu bestehen; die Sache litt keinen Aufschub; sollte Hellmerich das schöne Schloß gewinnen und die Prinzessin einnehmen, so mußte das Werk rasch unternommen und ausgeführt werden, denn es leuchtete dem klugen Meister als ganz natürlich ein, daß viele andere sich auch daran wagen könnten und würden. Und Hellmerich war auch so entzückt und begierig, und bereits in seinem stolzen Herzen des Sieges so gewiß, daß er schon mit Hoffart und verächtlichen Blicken die kleinliche Welt um sich her maß, und ungeduldig der Stunde entgegen harrte, da er auf einem schön gezäumten Roß davon fliegen und dem ihm bestimmten Glück in die Arme eilen sollte. Endlich schlug die ersehnte Stunde. Scheidend verhieß Hellmerich, schon im Gefühl seiner Königswürde voll unaussprechlicher Huld und Güte, seinen armen Eltern, deren ganzes Vermögen sich in das stolze Roß verwandelt hatte, er wolle sie, samt seinem dummen Bruder Hans, in einem sechsspännigen Wagen abholen lassen, sobald er die Prinzessin erlöset habe.

Hans weinte, denn er fühlte sich gar sehr zurückgesetzt und gekränkt. Indessen, er arbeitete treulich und bald wieder fröhlich für den Unterhalt seiner lieben Eltern.

Hellmerich reisete stattlich von Ort zu Ort, des Sommers blumenreiche Gefilde breiteten sich immer lieblicher und erquickender vor seinen Blicken aus; je mehr er sich dem herrlichen Ziele näherte, je zauberischer und prächtiger gestaltete sich die Natur; rauschende Wälder und trauliche Bäche, klarduftende Wiesen, spiegelnde Teiche, anmutige Höhen und wogende Saatfelder wechselten auf das angenehmste miteinander ab; hier schien es so paradiesisch, daß Hellmerich keinen Zweifel hegte, das zu gewinnende Königsgebiet bereits betreten zu haben. Und wirklich schimmerte endlich in der sonnenlichten Ferne ein goldglänzender Punkt. Da zitterte die wildeste Freude durch Hellmerichs Herz. Er jauchzte laut, und schlug mit der Reitgerte weit um sich. So trabte er am Saume eines frischen Laubwäldchens hin und scheuchte die Vöglein, die goldgefiederten, harmlosen Sänger von den Zweigen. Bald kam er an einen großen Ameisenhügel, der im Wege lag, und er ließ ihn mutwillig von seinem Roß zertreten und zerstampfen, so daß die erzürnten Geschöpfe an sein Pferd und an ihn selbst krochen und ihre Rache mit schmerzerregenden Bissen ausließen, bis Hellmerich wütend sie alle zerschlug und zertrat. Und weiter kam er an einen silberhellen Teich, da schwammen zwölf weiße Entchen. Der böse Hellmerich lockte sie ans Ufer und trat sie tot; nur ein einziges entkam. Dann kam er an einen schönen Bienenstock, und tötete aus purem Frevelmut auch die kleinen fleißigen Künstler. So übte er an allem, was ihm aufstieß, die Tücke eines bösen Herzens.

Immer herrlicher erhob sich in der Ferne das Königsschloß, sein Dach war gülden, auf den zierlichen Türmen wehten hellschimmernde Fahnen. Das Gebäude war von Marmor aufgeführt, die hohen Fenster blinkten wie Flammenspiegel, und rings war es umrauscht von schattenden Myrtenbäumen, umblüht von den herrlichsten Blumen und Rosenbüschen. Doch immer geheimnisvoller wurde das Schweigen, das sich über diesem Zauber verbreitete.

Hellmerich stand jetzt an der hohen Pforte und klopfte ungeduldig, bis ein altes Mütterlein, mit spinnenwebfarbigem Gesichte und schreckendem Gespensterputz, erschien, und mit Widerwillen nach seinem Begehren fragte. »Nun, die Prinzessin will ich erlösen«, war Hellmerichs kecke Antwort: »Sage, was soll ich tun, altes Weib?« »Da mußt du morgen früh neun Uhr wieder kommen«, sprach das Mütterlein, »wo ich dich hier erwarten, und das Weitere mit dir vornehmen werde.«

Zur bestimmten Zeit stellte sich Hellmerich ein; das Mütterlein erschien, und trug ein kleines Faß voll Leinsamen, den sie bald auf einer schönen Wiese ausstreute, und zu Hellmerich sagte: »Lese alle Körner wieder zusammen, auf daß nicht eins fehle, in einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muß diese Aufgabe gelöst sein.« Aber der hochfahrende Hellmerich mochte sich nicht bücken in seinem modisch engen Gewande und spottete der albernen Aufgabe. Er spazierte auf und ab, bis das Mütterlein wieder kam, und mit hohnlächelnden Mienen das leere Fäßlein anblickte. Nun hatte sie zwölf goldene Schlüssel, die sie in den nahen spiegelnden Teich warf, und sie sagte zu Hellmerich: »Diese Schlüssel sollst du wieder herausholen, auf daß kein einziger fehle, in einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muß diese Aufgabe gelöst sein.«

Hellmerich spähte hinein in das Wasser, er schnitt Baumzweige ab und häkelte hinein, aber er brachte keinen einzigen Schlüssel heraus. Er stieg selbst ins Wasser, und kam nur mit Mühe wieder ans Ufer, ohne einen Schlüssel gefunden zu haben. Mütterlein kam, und Hellmerich hatte seine Aufgabe nicht gelöst. Da führte sie ihn die schöne Marmortreppe hinan, und öffnete des Schlosses hohe goldene Pforte, dann schritt sie weiter voran durch herrliche Zimmer und Säle, bis sie endlich in ein anmutiges Gemach traten, wo tiefschweigend drei verschleierte Frauen saßen. Eine war wie die andere gekleidet. »Nun wähle dir eine von diesen Frauen«, sprach das Mütterlein, »zwei davon sind böse und eine ist gut; wählst du die gute, so bist du ewig glücklich, wählst du aber eine böse, so befiehl deine arme Seele. In einer Stunde komme ich wieder, mein Sohn, da muß diese Aufgabe gelöst sein.«

Nun stand Hellmerich schwankend und unschlüssig, bis es zwölf Uhr schlug, und das Mütterlein hereintrat. Da deutete er flugs nach der Rechten. Die Zaubergestalten erhoben sich, und die Schleier rauschten zur Erde. Die Mittelste war ein holdseliges Mägdlein, ihr schöner Liliennacken war umwallt von reichen Locken, ihre Hände und Brust waren mit funkelndem Geschmeide behängen, und auf dem Haupte trug sie eine goldene Krone. Ihr wehmütiger, tränender Blick haftete eine kurze Minute auf Hellmerichs Angesicht, dann senkte sie das Tränenauge, und der Schleier sank wieder leise über die zarte, holde Gestalt hin. Die beiden aber zur Rechten und Linken waren häßliche Furien, ihre Augen sprühten feurige helle Flammen, ihre Zähne schlugen knirschend aneinander und an ihren Häuptern wuchsen Hörner hervor und an den Händen abscheuliche Krallen. So stürzten sie mit höllischer Freude nach dem Unglücklichen, und schleuderten ihn zum Fenster hinaus, wo er in einem dunklen Abgrund auf immer verschwand. Und dann verschwand auch alles übrige, Schloß, Prinzessin und Zauberhain.

Ein Jahr war verflossen, und wieder schmückten des Frühlings rosige Blüten die Erde, aber bei dem armen Handwerksmann war noch kein sechsspänniger Wagen angekommen, und auch keine Kunde, daß die Prinzessin erlöst sei. Die Eltern gaben schmerzlich ihren Sohn Hellmerich auf. Und Hans fühlte heimlich eine herzliche Lust, auch einmal sein Glück zu versuchen, wiewohl er dies Vorhaben sorglich vor seinen Eltern verbarg. In einer hellen Mondnacht schlich er sich davon, ohne Roß und ohne Reisegeld, und wanderte wohlgemut durch Länder und Städte. Er nährte sich von Waldbeeren und Wurzeln, trank aus der klaren Quelle, sang mit den frommen Vögeln, und schlief sorglos und harmlos auf dem weichen Moose des dunkeln Waldes.