Die schreckliche Gräfin - Viola Maybach - E-Book

Die schreckliche Gräfin E-Book

Viola Maybach

0,0

Beschreibung

Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie "Der kleine Fürst" in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. "Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. »Es war ein wunderbarer Ball, Frau von Lengden«, sagte Hans Hauschild, als sich die letzten Gäste allmählich verabschiedeten. »Ich danke Ihnen vielmals dafür, dass Sie mich eingeladen haben, diesen Abend werde ich nie vergessen.« Amalia von Lengden lächelte vergnügt. Dass sie vor nicht allzu langer Zeit einen Schlaganfall erlitten hatte, sah man ihr so wenig an wie ihre achtzig Jahre. Sie hatte in dieser Nacht vielleicht nicht ganz so viel getanzt wie sonst, aber das war der einzige Hinweis darauf gewesen, dass sie noch nicht wieder voll und ganz bei Kräften war. Hans Hauschild war Physiotherapeut, er hatte sie in der Klinik betreut, in der sie sich von ihrem Schlaganfall erholt hatte, und sie nicht geschont. Genau das war für sie die beste Therapie gewesen, und so waren sie mit der Zeit beinahe Freunde geworden. Dabei hatte sie ihn oft zornig beschimpft. »Nie sind Sie zufrieden! Immer soll ich mich noch mehr anstrengen. Eines Tages werde ich einfach umfallen, weil Sie nicht merken, wann Sie aufhören müssen.« Er hatte sich wenig beeindruckt gezeigt, im Gegenteil, und irgendwann hatte sie ihn als ›Chef‹ akzeptiert und seine Anweisungen beinahe klaglos befolgt. Darüber war sie jetzt froh, denn sie wusste, dass sie ohne ihn in so kurzer Zeit niemals so weit gekommen wäre. Die Einladung zu ihrem Ball hatte sie auch als Dankeschön gemeint. »Das will ich auch hoffen, dass Sie diesen Abend nie vergessen«, erwiderte Amalia, die zwar müde, vor allem aber zufrieden aussah. »Mir hat der Ball auch großen Spaß gemacht, glauben Sie mir. Nur schade, dass Bruno so früh gehen müsste.« »Was war eigentlich mit ihm los?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 115

Veröffentlichungsjahr: 2019

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der kleine Fürst – 223 –Die schreckliche Gräfin

Und das soll die schöne Ines sein?

Viola Maybach

»Es war ein wunderbarer Ball, Frau von Lengden«, sagte Hans Hauschild, als sich die letzten Gäste allmählich verabschiedeten. »Ich danke Ihnen vielmals dafür, dass Sie mich eingeladen haben, diesen Abend werde ich nie vergessen.«

Amalia von Lengden lächelte vergnügt. Dass sie vor nicht allzu langer Zeit einen Schlaganfall erlitten hatte, sah man ihr so wenig an wie ihre achtzig Jahre. Sie hatte in dieser Nacht vielleicht nicht ganz so viel getanzt wie sonst, aber das war der einzige Hinweis darauf gewesen, dass sie noch nicht wieder voll und ganz bei Kräften war.

Hans Hauschild war Physiotherapeut, er hatte sie in der Klinik betreut, in der sie sich von ihrem Schlaganfall erholt hatte, und sie nicht geschont. Genau das war für sie die beste Therapie gewesen, und so waren sie mit der Zeit beinahe Freunde geworden. Dabei hatte sie ihn oft zornig beschimpft. »Nie sind Sie zufrieden! Immer soll ich mich noch mehr anstrengen. Eines Tages werde ich einfach umfallen, weil Sie nicht merken, wann Sie aufhören müssen.«

Er hatte sich wenig beeindruckt gezeigt, im Gegenteil, und irgendwann hatte sie ihn als ›Chef‹ akzeptiert und seine Anweisungen beinahe klaglos befolgt. Darüber war sie jetzt froh, denn sie wusste, dass sie ohne ihn in so kurzer Zeit niemals so weit gekommen wäre. Die Einladung zu ihrem Ball hatte sie auch als Dankeschön gemeint.

»Das will ich auch hoffen, dass Sie diesen Abend nie vergessen«, erwiderte Amalia, die zwar müde, vor allem aber zufrieden aussah. »Mir hat der Ball auch großen Spaß gemacht, glauben Sie mir. Nur schade, dass Bruno so früh gehen müsste.«

»Was war eigentlich mit ihm los? Er ist so plötzlich verschwunden, dass ich ihn gar nicht mehr gesehen habe.«

»Er war plötzlich ganz grün im Gesicht und hat gesagt, ihm sei schrecklich übel. Deshalb ist er gegangen.« Jetzt war Amalias Gesicht besorgt. »Ich hoffe, er hat sich nicht ernsthaft den Magen verdorben oder sich eine Infektion geholt.«

»Ich hätte gern etwas ausführlicher mit ihm geredet«, sagte Hans. »Er ist ein sehr angenehmer Mensch, finde ich, er strahlt Ruhe und Gelassenheit aus.«

Amalia strahlte ihn an. »Mein Lieblingsenkel, wenn Sie es genau wissen wollen. Er und ich, wir haben uns schon immer verstanden.« Das Strahlen verschwand, als sie hinzusetzte: »Was man vom Rest der Familie nicht gerade behaupten kann.«

»Dieses war bestimmt nicht der letzte Ball, den Sie gegeben haben. Beim nächsten wird er bis zum Schluss bleiben, dann haben Sie mehr von ihm.«

»Sie auch, wenn ich Sie noch einmal einlade.« Bei diesen Worten grinste die alte Dame wie ein Schuljunge, der einen dreckigen Witz gemacht hat.

Hans lachte. »Dann muss ich mich ja anstrengen, damit ich es mir mit Ihnen nicht verderbe. Jedenfalls, meine Liebe: Hut ab, dass Sie so gut durchgehalten haben.«

Schlagartig wurde ihr Gesicht ernst, beinahe grimmig. »Viele der hier Anwesenden hatten mich schon abgeschrieben«, sagte sie. »Denen wollte ich es zeigen, und das habe ich getan.«

»Allerdings, das haben Sie. Wer Sie heute Abend erlebt hat, wird nicht mehr glauben, dass Ihr Leben sich dem Ende zuneigt.«

»Ha!«, rief sie. »Ich habe noch viel vor, jetzt erst recht.«

»Was denn?«, fragte Hans neugierig.

»Reisen«, antwortete sie. »Natürlich nichts Beschwerliches mehr, aber es stehen noch einige europäische Ziele auf meiner Liste. Zum Beispiel, Sie werden es nicht glauben, war ich noch nie in Rom. Ich kann unmöglich sterben, ohne in Rom gewesen zu sein, das müssen Sie zugeben.«

»Ich gebe es zu.«

»Und dann Schottland. Da war ich einmal in meiner Jugend, danach nie wieder. Nach Schottland will ich unbedingt noch einmal, und zwar im Sommer, sonst ist das Wetter dort zu garstig.« Amalias Augen leuchteten. »Und eine Nordlandreise mit dem Postschiff, die will ich auch noch machen.«

»Sie haben ja noch einiges vor«, stellte Hans amüsiert fest.

»Ja, habe ich. Und wie ist es mit Ihnen?«

»Mit mir? Was meinen Sie?«

»Welche Pläne haben Sie für die nächsten Jahre?«

»Wenn ich eine Frau finde, die mich erträgt, würde ich gern eine Familie gründen. Und wenn ich mich traue, mache ich mich vielleicht selbstständig als Physiotherapeut. Reisen steht bei mir erst einmal nicht ganz vorne auf der Wunschliste, das muss warten.«

»Sie sind ja noch jung, Sie haben Zeit. Das unterscheidet uns«, stellte Amalia sachlich fest.

Hans kam nicht dazu etwas zu erwidern, denn Amalia murmelte: »Oh nein, die schreckliche Gräfin kommt, um sich zu verabschieden?«

»Die schreckliche Gräfin?«

»Ich erkläre es Ihnen, wenn sie und ihr Mann gegangen sind.«

Hans folgte ihrem Blick. Eine sehr schöne Frau mit einem untersetzten, etwas bullig wirkenden Mann an ihrer Seite kam direkt auf sie zu. Sie trug ein Kleid, das übersät war mit golden glitzernden Steinen und war ihm bereits vorher aufgefallen – nicht nur wegen ihres Kleides, sondern auch, weil sie und ihr Begleiter sich auffallend ungeniert benahmen. Er kannte sich mit den Regeln, die an einem solchen Ballabend galten, nicht aus, aber die Art und Weise, wie die beiden vor aller Augen Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten, war ihm reichlich unpassend erschienen. Das golden schimmernde Kleid hatte einen sehr tiefen Ausschnitt, in den sich die Hand des bulligen Mannes gelegentlich verirrt hatte, was vor allem die älteren Ballgäste mit fassungslosen Blicken quittiert hatten, die Hans nicht entgangen waren. Zu dem Kleid trug die junge Frau eine ebenfalls goldene Tasche und goldene Schuhe. An ihren Ohrläppchen hingen Diamanten.

Von allem zu viel, dachte Hans. Sie ist eine schöne Frau, aber sie hat keinen Stil.

»Wir möchten uns verabschieden, Frau von Lengden«, sagte der Mann.

Amalia wandte sich an Hans. »Hans, das sind Gräfin und Graf von Cavenitz. Darf ich Ihnen Hans Hauschild vorstellen? Er ist ein lieber Freund von mir.«

Der Blick der jungen Gräfin ließ deutlich erkennen, was sie von nicht standesgemäßen ›lieben Freunden‹ hielt, sie begnügte sich mit einem knappen Kopfnicken in Hans’ Richtung, während ihm der Graf kumpelhaft auf die Schulter schlug. »Toller Ball, was?«, fragte er. »Hoffentlich haben Sie sich ordentlich amüsiert.«

»Das habe ich«, versicherte Hans

»Wir auch«, fuhr der Graf fort. »Sie müssen bei Gelegenheit auch mal wieder zu uns kommen, Frau von Lengden, Sie wissen ja, da ist immer was los. Schön jedenfalls, dass Sie wieder so gut in Form sind. Wir dachten schon, das war’s bei Ihnen, als wir von Ihrem Schlaganfall hörten, aber Sie sind ja dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen, wie’s aussieht. Na ja, aber irgendwann trifft es jeden von uns, nicht? Bis bald mal wieder.«

Er schielte begehrlich auf den Ausschnitt seiner Frau. »Komm, meine Liebe, wir fahren nach Hause.« Mit einem Augenzwinkern in Amalias Richtung setzte er hinzu: »So ein Ball bringt uns immer richtig in Fahrt.«

»Auf Wiedersehen, Frau von Lengden«, hauchte die Gräfin und beugte sich vor, um Amalia die Hand zu reichen. So gewährte sie noch tiefere Einblicke. Hans bekam wieder nur ein Kopfnicken.

Als sie gingen, taten sie es eng umschlungen, und auf dem Weg zur Tür blieben sie noch mehrmals stehen, um sich leidenschaftlich zu küssen.

»Verstehen Sie jetzt, warum sie ›die schreckliche Gräfin‹ heißt?«, fragte Amalia.

»Ich fand ihren Mann beinahe noch schrecklicher«, gestand Hans.

»Oh, er ist einfach nur gewöhnlich, aber im Grunde genommen gutmütig. Sie dagegen ist eine geborene Müller, die sich jetzt gegenüber Leuten, denen sie sich überlegen fühlt aufgrund ihres neuen Standes, besonders hochmütig verhält. Sie ist eine attraktive Frau, aber ich kann sie nicht ausstehen.«

»Das merkt man«, sagte Hans mit einem Lächeln, während er das Paar betrachtete, das gerade wieder einmal stehen geblieben war, um sich zu küssen. »Sie benehmen sich jedenfalls … seltsam.«

»Sie benehmen sich unmöglich!«, schimpfte Amalia. »Nicht nur hier, sie machen das überall, als müssten sie der Welt ständig beweisen, wie verliebt sie immer noch ineinander sind.«

»Warum haben Sie sie eingeladen, wenn Sie sie nicht mögen?«

»Ich kenne die Familie gut. Alle sind reizend und kultiviert, nur Jobst«, sie machte eine Handbewegung zu dem Grafen, der jetzt mit seiner Frau dem Ausgang zustrebte, »ist ein bisschen aus der Art geschlagen. Er ist nicht besonders intelligent, außerdem gibt er gern an mit dem, was er hat. Im Lauf der Jahre hat er nicht viel dazugelernt. Er hat versucht zu studieren, das hat nicht geklappt, er hat einige Ausbildungen begonnen und nicht beendet, und schließlich hat er sich gesagt, dass er eigentlich sowieso nicht arbeiten muss, weil er genug Geld hat. Die Cavenitz’ sind sehr vermögend, die kommen alle mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt. Na ja, und dann hat er Lara Müller kennengelernt, die damals als Kosmetikerin gearbeitet hat, und sich leidenschaftlich in sie verliebt. Jetzt ist sie Gräfin von Cavenitz und kann sich an ihre Herkunft nicht mehr erinnern. Wir nennen sie alle ›die schreckliche Gräfin‹.«

»Attraktiv ist sie wirklich«, sagte Hans nachdenklich, »aber mit etwas weniger Gold sähe sie bedeutend besser aus.«

»Sie hat keinen Geschmack«, stellte Amalia trocken fest, »und er verstärkt das leider noch, weil er eben gern zeigt, was er hat. Er behängt sie gern mit Schmuck, bei ihm muss immer alles glitzern. Heute war ihre Aufmachung beinahe dezent, ich habe sie schon in ganz anderen Kleidern gesehen, glauben Sie mir.« Nach kurzer Pause setzte sie boshaft hinzu: »Aber tiefe Ausschnitte haben sie alle.«

»Ihr Mann weiß es offenbar zu schätzen – und etliche andere Männer auch«, erwiderte Hans. »Ihr Dekolleté kann sich jedenfalls sehen lassen, auch wenn es vermutlich nicht echt ist.«

Das brachte Amalia zum Lachen. Weitere Gäste kamen, um sich zu verabschieden, und schließlich waren sie mit den Angestellten, die dezent mit dem Aufräumen begannen, allein.

»Ich mache mich dann auch mal auf den Weg«, sagte Hans.

»Mein Chauffeur bringt Sie nach Hause, Hans. Ich habe Sie ja dauernd zum Trinken angeregt, ich möchte nicht, dass Sie jetzt noch fahren. Er kann Sie morgen wieder abholen, zu einem Zeitpunkt, der Ihnen passt. Dann trinken wir einen Kaffee, und Sie nehmen Ihren Wagen mit.«

»Aber ich möchte Ihnen keine Umstände machen«, wehrte Hans ab.

»Sie machen mir keine Umstände, im Gegenteil: Ich werde besser schlafen, wenn ich weiß, dass Sie heil nach Hause gekommen sind. Also fügen Sie sich in das Unvermeidliche.« Auf ihren Wangen erschienen zwei Grübchen, als sie hinzusetzte: »In der Klinik konnten Sie mich herumkommandieren, aber hier bin ich die Chefin, da wird getan, was ich sage.«

»Schon gut«, erwiderte er lächelnd. »Ich lasse mich fahren, und auch für diesen Service danke ich Ihnen. Sie sind eine vollendete Gastgeberin.«

»Das höre ich natürlich gern. Kommen Sie, ich bringe Sie noch hinaus.«

»Immerhin muss ich Ihnen keine Hilfe beim Aufräumen anbieten. Ich sehe ja, dass Sie genügend Angestellte haben, die das erledigen.«

Sie hängte sich bei ihm ein, als sie den Ballsaal durchquerten. Sie hatten ihn bereits verlassen, als sie beiläufig sagte: »Würden Sie mich weiterhin behandeln, privat? Sagen wir, zwei Mal pro Woche, nach Ihrer Arbeit in der Klinik? Ich würde Sie gut bezahlen, Hans. Ich habe gemerkt, wie gut es mir tut, wenn ich gefordert werde. Natürlich mache ich auch allein meine Übungen, aber es ist etwas anderes, wenn jemand dabei ist, der mich kontrolliert.«

Sie sah ihm an, wie überrascht er über ihre Frage war und setzte schnell hinzu: »Sie müssen sich nicht sofort entscheiden. Ich hätte auch Verständnis dafür, wenn Sie sagten, dass es Ihnen neben Ihrer normalen Arbeit zu viel wird. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie zusagen. So blieben wir auch in Kontakt.«

»Ich denke darüber nach«, versprach er.

»Fein«, sagte sie. »Auf Wiedersehen, Hans, bis morgen also, zum Kaffee.«

»Auf Wiedersehen, Frau von Lengden. Und nochmals vielen Dank für diesen Abend.«

Sie umarmte ihn zum Abschied, dann stieg er in die bereits wartende Limousine, und Amalia machte sich auf den Weg zu ihren Privaträumen. Es war ein schöner Abend gewesen, bis auf die Tatsache, dass Bruno vorzeitig hatte gehen müssen.

Gleich nach dem Aufwachen würde sie ihn anrufen, um zu hören, ob es ihm wieder besser ging.

*

Bruno wanderte unruhig durch seine Wohnung. An Schlafen war nicht zu denken, er war viel zu aufgewühlt. Die Tatsache, dass Ines von Casta auf dem Ball seiner Großmutter mit einem Mann aufgetaucht war, mit dem sie recht offenherzig Zärtlichkeiten austauschte, hatte ihn vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht, und es fiel ihm schwer, seine widerstreitenden Gefühle zumindest einigermaßen zu ordnen.

Er hatte Ines zunächst nicht leiden können, sich dann aber, ohne es recht zu merken, in sie verliebt. Das freilich war ihm erst klar geworden, als er Sternberg wieder verlassen hatte. Während seines Aufenthalts im Schloss war jedenfalls von einem Mann in Ines’ Leben nicht die Rede gewesen. Hatte nicht Sofia sogar einmal erwähnt, ihre Freundin lebe allein?

Und nun zeigte sich also, dass es sehr wohl einen Mann gab, mit dem sie zusammen war, denn sonst hätten die beiden sich ja kaum in dieser Art und Weise vor aller Augen geküsst. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Sicherlich, zwischen Ines und ihm war nichts vorgefallen, er hatte also kein Recht, ihr etwas vorzuwerfen, aber dennoch …

»Sie hat einen anderen, du Idiot«, sagte er laut und deutlich. »Begreif es endlich. Und sie hat sich nicht in dich verliebt, sie war nur, als ihr das Kriegsbeil endlich begraben hattet, freundlich zu dir. Mehr ist nicht gewesen.«

Er wanderte weiter, vom Wohnzimmer ins Gästezimmer in die Küche in den Flur und wieder ins Wohnzimmer. Allmählich schlug seine Enttäuschung in Zorn um. Wahrscheinlich hatte er sich am Anfang gar nicht in ihr getäuscht, sondern sie war eben doch genau das, was er zu Beginn in ihr gesehen hatte: verwöhnt, oberflächlich und verantwortungslos. Er rief sich das Kleid in Erinnerung, das sie auf dem Ball getragen hatte. Über und über mit goldenen Steinen bestickt – und dann dieser tiefe Ausschnitt! Natürlich, als Designerin von Handtaschen musste man auffallen, wenn man Erfolg haben wollte. Da war ein goldenes Kleid bestimmt das geeignete Mittel.