Die Schreibmaschine - Andrea Lepri - E-Book

Die Schreibmaschine E-Book

Andrea Lepri

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Beschreibung

Eine verfluchte Schreibmaschine. Ein Mann, der auf dem Geländer eines Balkons sitzt. Die Hauptfigur seines Romans. Zwei Leben mit ähnlichen Erfahrungen, die sich verflechten, zwei Wege am Abgrund zwischen Liebe und Tod.
Franco sitzt gemütlich auf dem Terrassengeländer seiner Wohnung, im dritten Stock des Wohnblocks, in dem er wohnt. Er überliest die Seiten des Romans, den er eben fertig geschrieben hat, und als ob nichts dabei wäre, lässt er sie auf die neugierigen Gaffer, die sich unten versammelt haben, herunterfallen. Diese waren wohl überzeugt, er würde sich bald herunterstürzen, denn jemand hat um Hilfe gerufen. Ein Feuerwehrmann steigt nun auf einer Drehleiter zu ihm hoch, während in der Ferne die Sirenen der Polizei und des Krankenwagens zu hören sind. Aber Franco liest unbekümmert weiter, voller Unglaube. Er hätte nie gedacht, dass er in der Lage sei, einen Roman zu schreiben und er kann es kaum fassen, dass er ihn sogar fertiggeschrieben hat, bevor ihm die Strafe auferlegt wurde. Es hat ihn tatsächlich sehr viel Mühe gekostet, ihn niederzuschreiben. Damit es ihm gelingen würde, war er gezwungen, die unbeschreiblichsten Dinge anzustellen. Seine Frau versucht ihn vor dem Schlimmsten zu bewahren, denn während eines Telefongesprächs hat sie plötzlich erahnt, dass er ihre Schreibmaschine im Keller gefunden hat, von der man erzählt, sie sei verflucht. Er liest weiter und lässt Erinnerungen aufkommen…Franco ist überzeugt, dass die Kraft der Liebe die Welt zum Drehen bringt. Infolge eines Arbeitsunfalls ist er gezwungen seine Sommerferien alleine zuhause zu verbringen. Sobald er die Untersuchungsergebnisse hat, kann er seiner Familie, seiner Frau und zwei Kindern, in den Urlaub nachreisen. Es ist lange her, dass er eine so lange Zeit in kompletter Einsamkeit verbringen musste, er ist es nicht mehr gewohnt. Aus lauter Langeweile durchstöbert er den Keller und stößt dabei auf eine alte Schreibmaschine, er beschließt einen Roman zu schreiben. Es ist die Geschichte von Herrn Carpetti, einem einsamen Menschen, der die Freude am Leben verloren hat und wegen eines nicht existierenden Leidens im Sterben liegt. Als der Arzt ihm offenbart, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat, wählt er einen Weg, der ihn grundlegend verändern wird. Er wird eine Person kennen lernen, die ihn in ein unglaubliches Abenteuer führt und ihm hilft, bald wieder an den Wert der Liebe zu glauben. Diese Person heißt Walter, ein Missionarsarzt, der zum Opfer internationaler Intrigen wegen des Verkaufs verfallener Medikamente an Länder der Dritten Welt geworden ist. Er ist es, der Carpetti lehrt, das Leben, die Menschen und Dinge wieder neu zu lieben. Aber Die Schreibmaschine, die Franco benützt, um diese Geschichte zu schreiben, hat etwas Eigenartiges: man sagt, sie hätte einem verrückten Schriftsteller gehört, der, nachdem er ein einziges Meisterwerk geschrieben hatte, Selbstmord begangen habe und einen Brief mit Anschuldigungen gegenüber der Schreibmaschine selbst, die er als verflucht bezeichnet, hinterlassen haben soll. Während Carpetti nach unterschiedlichen Erfahrungen endlich einen rettenden Weg findet, versetzt sich Franco immer mehr in Carpetti, um ihn besser beschreiben zu können. Inzwischen hat er mit der Schreibmaschine eine besondere Beziehung hergestellt; einige Seiten scheinen nicht von ihm geschrieben worden zu sein und er denkt, dass sie sie geschrieben hätte. Obwohl er befürchtete, dass er dabei endgültig verrückt werden könnte, spürt er, dass er unbedingt schreiben muss, denn sobald er sich von der Maschine entfernt, überkommen ihn seltsame Gefühle, Angst und körperliche Schmerzen. Er glaubt sich todkrank, er meint eine Krankheit zu haben, die sich von Tag zu Tag verschlimmert und an der er bald sterben würde. So rekonstruiert er gedanklich die gleichen Erfahrungen wie Carpetti und bald gelingt es ihm, seine eigenen Schattenseiten zu entdecken und alles, woran er glaubt, in Frage zu stellen...

PUBLISHER: TEKTIME

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Seitenzahl: 326

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Andrea Lepri

Die Schreibmaschine

Translator Elisabeth Hürzeler

Ursprünglicher Titel

LA MACCHINA PER SCRIVERE

Erste Ausgabe: September 2017

Verlag Tektime – www.tektime.it

Dieser Roman ist reine Fantasiearbeit.

Jeder Hinweis auf tatsächliche Ereignisse oder auf lebende Menschen ist rein zufällig.

Alle Rechte vorbehalten

INHALT

KAPITEL I

FRANCO AUF DER TERRASSE

KAPITEL II

DER ARBEITSUNFALL

KAPITEL III

DIE ERSTE SEITE

KAPITEL IV

FRANCOS UNTERSUCHUNGEN

KAPITEL V

BÖSES ERWACHEN

KAPITEL VI

DAS KÄTZCHEN

KAPITEL VII

TELEFONGESPRÄCH MIT SISSI

KAPITEL VIII

DIE SUCHE NACH EINEM GEISTIGEN FÜHRER

KAPITEL IX

FRANCO UND CHICA

KAPITEL X

„NEIN, TU ES NICHT“

KAPITEL XI

TOD DES KÄTZCHENS

KAPITEL XII

FRANCOS ZWEIFEL

KAPITEL XIII

ERSTER BOLZEN

KAPITEL XIV

ZWEITER BOLZEN

KAPITEL XV

DRITTER BOLZEN

KAPITEL I

FRANCO AUF DER TERRASSE

Franco löst die Augen vom Blatt und hebt zerstreut, ja gar perplex, den Kopf. Mit ausgestrecktem Arm hält er die Seite, die er eben gelesen hat, etwas weiter von sich fern, um das Wirrwarr der mit Druckerschwärze geschriebenen Zeichen besser betrachten zu können. Es ist gerade so, als suche er unter diesen Punkten und Kommas, Groß- und Kleinbuchstaben und zwischen den Gänsefüßchen nach einem Konzept. Nichts als Wörter, ein Schwall von Wörter. Er hat schon immer gerne gelesen, war allerdings davon überzeugt, dass Schreiben ganz was anderes wäre. Er blättert die Seiten durch und beginnt beliebig auf irgend einer Seite zu lesen.

Kapitel XXII (Die Geschichte von Walter)

Trotz der feuchten und erstickenden Hitze, rückte Walter noch etwas näher ans Feuer, sodass ihm die Mücken, so riesig wie Flugzeuge, nicht zu nahe kommen konnten. Damit er in diesem gottverlassenen Ort überleben konnte, musste er zwar lernen, mit noch schrecklicheren oder gar tödlichen Biestern, wie Piranhas, Blutegeln, Schwarzen Witwen und Schlangen zusammenzuleben. Aber gegen Mücken verspürte er dennoch weiterhin einen abgrundtiefen Hass, und er war sich sicher, dass dies bis ans Ende seiner Tage so bleiben würde. Schon komisch, eigentlich habe ich mich nach so langer Zeit im Herzen des Dschungels an fast alles gewöhnen können, außer an diese unnützen Insekten. Mutter Natur hat für alle anderen Lebewesen, sogar für die abscheulichsten und gefährlichsten, eine ganz bestimmte Rolle und Aufgabe vorgesehen. Aber nicht für Mücken! Diese begnügen sich damit, dir gerade dann um die Ohren zu sausen, wenn du dir etwas Ruhe gönnen möchtest. Sie saugen dir das Blut und womöglich infizieren sie dich sogar. Wer weiß, vielleicht hat Gott sie lediglich dazu erschaffen, um die Menschen zu ärgern, überlegte er, denn tatsächlich waren sie die einzigen, die ihm während seines langen Aufenthaltes an diesem Ort, unverändert und andauernd, zu jeder Tages - und Nachtzeit, unangenehme Gesellschaft geleistet hatten, genau so wie die Chinesische Wasserfolter. Wer weiß, ob sie mir fehlen werden, fragte er sich schließlich, dann aber kehrte er traurig zu den Gedanken über seine absurde Situation zurück. Gezwungen zu sein, sich heimlich wie ein Dieb aus dem Staub zu machen, ohne genau zu verstehen warum, das konnte er nicht begreifen! Er seufzte entmutigt und ließ sich vom trostlosen und vertrauten Plätschern des Flusses, das er sich, wie auch der intensive Geruch von Humus, zu eigen gemacht hat, einlullen. Alles auf diese Art und Weise verlassen zu müssen, schmerzte ihn innerlich, er verspürte den stummen Schmerz desjenigen, der sich besiegt fühlt, ohne je gekämpft zu haben, ohne je verstanden zu haben, wer der zu bekämpfende Gegner überhaupt war.

Das Feuer war schon fast erloschen, aber Walter wollte dennoch abwarten, in der Hoffnung, Sarah würde sich melden. Er wünschte sich, sie würde ihm sagen „ich komme mit dir“ oder einfach nur „es tut mir leid“. Aber Sarah kam nicht. Er dachte an ihre langen, schwarzen, glatten und seidig glänzenden Haare, an ihre dunklen Augen und an den Duft ihrer Haut, der ihn an Honig erinnerte. Nur wenige Stunden vorher hatten sie zum ersten Mal miteinander geschlafen, vielleicht gerade weil sie erahnten, dass sich die Dinge bald überstürzen würden. Sie spazierten eben den Fluss entlang, in der Nähe des kleinen Wasserfalls, als sie plötzlich begannen, sich heftig zu streiten. Auf einmal hielten sie inne und starrten sich hasserfüllt in die Augen. Ihre Nerven waren durch die Spannung der letzten Tage völlig am Ende. Sie standen sich herausfordernd gegenüber, jeder bereit den anderen gnadenlos und mit allen Mitteln zu verletzen. Doch etwas ganz unverständliches löste sich in ihnen aus, beide ließen sich vom Instinkt überwältigen. Keiner der beiden hatte sich jemals so instinktiv benommen. Keuchend bissen und kratzten sie sich und klammerten sich an den rutschigen Steinen des Flusses fest. Walter fühlte sich, als ob jeder seiner kleinsten Partikel in ihr, mit ihr explodierte. Danach blieben sie lange eng umschlungen am schlammigen Ufer liegen, still, ihre Fingernägel noch immer in seinem Rücken verkrallt.

Zum ersten Mal, seit sie sich kennen gelernt hatten, fühlte Walter, dass sie voll und ganz zu ihm gehörte, aber damals, als er ins Dorf zurückkam, hatte er diese Papiere auf dem Schreibtisch seines Behandlungsraumes gefunden. Es war die Vorladung beim Gericht in der Hauptstadt, um über den plötzlichen und mysteriösen Tod zahlreicher Bewohner des Dorfes, in dem er seit Jahren Dienst leistete, Klarheit zu schaffen. Auf den Papieren stand geschrieben, dass sie ihn in ein nicht näher beschriebenes Krankenhaus in Europa versetzt hätten. Aber für ihn war das nur Altpapier, er wusste nur zu gut, dass er den Worten der Bürokraten nicht trauen konnte. Er war nicht dumm, er hatte sofort verstanden, dass er als Sündenbock ausgewählt worden war und wusste, dass sein eigenes Leben auf dem Spiel stand. Die Beamten der örtlichen Polizei, fette und verschwitzte Typen, würden ihn mit ihrem Jeep und ihren arroganten Manieren in der Morgendämmerung abführen. Sie würden ihn freundlich bitten, ihnen zu folgen, dann aber in eine Zelle werfen und bis ans Ende seiner Tage verrotten lassen, nur um sicher zu gehen, dass keine News über die Verruchtheit, in die er hineingezogen worden war, an die Öffentlichkeit gelangen würden.

Walter war sich sicher, dass auch Sarah eine Kopie dieser Papiere zugestellt wurde, und begriff sofort, dass er dieses fantastische Mädchen, das er eben erst gefunden hatte, für immer verloren hätte. Er wusste, dass sie nicht kommen würde, denn es gab nichts mehr hinzuzufügen, ein Wiedersehen hätte alles nur noch viel schlimmer gemacht. Er spürte, dass er sie bereits vermisste.

Er betrachtete noch einmal die Papiere, die er in der Hand festhielt, ohne zu bemerken, dass er sie aus lauter Wut beinahe zerknüllt hätte. Er steckt sie in seine Ledertasche und seufzte erneut, dann stand er auf und ging mit traurigen Schritten auf den Pier zu. Für einen kurzen Moment blieb er stehen, um einen letzten schmerzhaften Blick auf das L-förmige Gebäude zu werfen. Dieser unordentliche Haufen schmutziger, frisch geformter Backsteine diente als Schule, Krankenhaus, Kantine, Lagerhaus und Sitzungsraum. Zumindest bis zu Sarahs Ankunft, war er hier Lehrer und Koch, Arzt und Lagerarbeiter. Dieses Gebäude war nur eines der sichtbaren Ergebnisse seines Einsatzes, für den er Tag für Tag trotz der internationalen politischen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen gekämpft hatte, um diesen armen Menschen etwas geben zu können. Am Sammelplatz angekommen, ließ er seinen Blick über die dunklen, angespannten Gesichter, die im Halbkreis um ihn herumstanden, schweifen, und hielt auf jedem einzelnen Paar feuchter Augen, die ihn im Halbdunkel des Abends anstarrten, für einen Moment inne. In der Ferne, hinter den Reihen von Köpfen konnte er Sarahs Figur hinter einem Fenstervorhang ausmachen. Für einen Augenblick war er versucht, alles aufzugeben, um sie ein letztes Mal zu umarmen, ließ es dann aber sein, denn er war sich bewusst, dass es zu schmerzhaft gewesen wäre.

Walter spähte zu der nahegelegenen, von schwachem Mondlicht erhellten Lichtung mit dem kleinen Friedhof. Die weißen Kreuze, die sich in den vergangenen Wochen vervielfacht hatten, ragten aus der Dunkelheit hervor. Walter schüttelte den Kopf und setzte seinen Spaziergang auf dem kurzen Pfad fort, der ihn vom Fluss trennte, die anderen folgten ihm. Er ging langsam mit der Machete in der Hand, begleitet von den leisen nächtlichen Geräuschen und dem Rascheln seiner khakifarbenen Hose im üppigen Gras. Vor der kleinen Brücke am sumpfigen Ufer, dort wo die Pyrogen angelegt sind, blieb er stehen. Die anderen starrten ihn weiterhin schweigend, schüchtern respektvoll an, er hoffte noch immer, dass es sich lediglich um einen bösen Traum handelte. Im Licht der Fackel konnte man die ersten Grautöne an seinen Schläfen und die Fältchen an den Augen und Mundwinkeln erkennen. Plötzlich hörte er schnelle Schritte und für einen Moment hoffte er, dass sie es wäre, aber es war ein kleiner Eingeborener, der aus dem Gebüsch herauskam. Er konnte höchstens acht Jahre alt sein, sein Gesicht war mit den Farben des Stammes bemalt und er benahm sich wie ein echter Krieger. Er hielt einen Pfeilbogen gegen ihn gerichtet in der Hand, die anderen setzten schnell ihre eigenen Blasrohre auf und richteten sie gegen den Jungen. Wenige Sekunden wurden zu einer Ewigkeit. Walter bedeutete seinen Begleitern, die Waffen zu senken, dann kniff der die Augen zusammen und die Erinnerung, wie der Vater des Jungen in seinen Armen gestorben war, spielte sich vor seinem geistigen Augen ab.

Lediglich ein „Es tut mir leid“ war Walter in der Lage in der Sprache der Ureinwohner zu flüstern, er hatte eine trockene Kehle, und wusste sehr wohl, dass dies nicht nur aus lauter Angst so war. Der kleine Krieger zitterte am ganzen Körper, doch seine Augen hatten einen gefühlslosen Ausdruck. «Du hast meinen Vater getötet» beschuldigte er Walter mit seiner schrillen kindlichen Stimme, er gab keine Antwort. «Antworte» beharrte der Junge, aber der andere starrte ihn weiterhin an, ohne ein Wort zu erwidern. Er ließ seine Machete fallen, nahm die Tragtasche ab und legte sie auf den Boden. Dann wartete er ab, Tropfen kalten Schweißes glänzten an seiner Stirn. Mit zornigem Gebrüll feuerte der Junge einen Pfeil ab, wobei sich der Bogen leicht nach rechts bewegte, der vergiftete Pfeil zischte nur wenige Millimeter an Walters Kopf vorbei und verlor sich im Dunkeln. Weinend ließ der kleine Krieger den Bogen fallen, rannte ihm entgegen und fiel ihm in die Arme. «Bitte, geh nicht weg» flüsterte er ihm ins Ohr, und Walter hätte sterben wollen. «Geh nicht weg Doktor, wie sollen wir ohne dich auskommen? Wer wird sich um uns kümmern?» wiederholte Sam. Walter antwortete mit einem langen stillen und traurigen Blick und ballte seine Fäuste vor Wut. Er griff nach seinen Sachen, legte sich den Strohhut auf und setzte sich so gut es ging auf das Kanu. Sam setzte sich ihm gegenüber. Walter nickt ihm zu, und die Paddelschläge hallten trocken und regelmäßig durch die Nacht, begleitet von einem klagenden Abschiedsgesang. Jeder Ruderschlag war wie ein Schlag in sein Herz, er gab gegen seinen Willen alles auf, dem er einen großen Teil seines Lebens gewidmet hatte, ohne sich selbst zu schonen. Er fragte sich, was er als nächstes tun würde, stellte allerdings bald fest, dass es ihm egal war. Es war, als ob sein Leben hier im Herzen des tropischen Regenwaldes, im tiefsten Kongo, enden würde.

KAPITEL XXIII (WALTER UND SARAH)

Als Sarah beobachtete, wie Walter im Dickicht des Waldes verschwand, wurde ihr klar, dass sie noch nie in ihrem Leben einen solchen Gemütszustand erlebt hat. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich abscheulich fühlte, weil sie nicht einmal den Mut aufgebracht hatte, sich von ihm zu verabschieden. Sie betrachtete erneut die auf dem Boden verstreuten Papiere, es waren die Kopien der gleichen Papiere, die auch er erhalten hatte. „ZUR KENNTNISNAHME“ hatte ein Beamter in Großbuchstaben mit schöner Handschrift, wie aus Leidenschaft für die Bürokratie und die eigene Arbeit, geschrieben. Sie beugte sich vor, um sie aufzuheben, überlegte es sich aber anders. Achselzuckend setzte sie sich auf das geflochtene Bambussofa, in der Hoffnung, unter dem künstlichen Luftstrom des Ventilators unwahrscheinliche Erleichterung zu finden. Doch dadurch wurde sein Geruch, der noch immer an ihr haftete, weiterhin im Raum verbreitet, was sie innerlich zur Verzweiflung brachte. Sie dachte daran zurück, wie gut sie sich in den letzten Wochen gefühlt hatte und wie sich die Situation von einem Moment auf den anderen überstürzt hatte, ohne ihnen die Chance zu geben, eine Entscheidung zu fassen. Die Dinge begannen in dem Moment schief zu laufen, als die beiden sich näher kennenlernen und verstehen wollten, als sie schließlich bereit waren, sich gehen zu lassen. Mit ihm zu schlafen, war so schön, aber jetzt blieb ihr nur noch ein großer Verdruss. Sie hasste sich selbst, weil sie nicht selbstsüchtig oder mutig genug war, die armen Leute der Mission, in der sie, um Ärztin zu werden, als Praktikantin Dienst leistete, zu verraten. Sie war sich jedenfalls sicher, dass sie dort unten weiterhin in irgendeiner Art und Weise hätte hilfreich sein können. Und dennoch schmerzte es sie sehr, gerade das aufzugeben, was scheinbar die wichtigste Liebesgeschichte ihres Lebens hätte werden sollen. Während sie an die wenigen intensiven Momente dachte, die sie mit ihm erlebt hatte, von den anfänglichen Auseinandersetzungen bis hin, als sie ihre tiefen Gefühle spürten, schlummerte sie ein. Ein leises Geräusch riss sie plötzlich aus dem Schlaf und sie erschrak, Sam stand vor ihr und musterte sie, unschlüssig ob er sie wecken sollte oder nicht. Er war verschwitzt, die Muskeln seiner kräftigen Arme waren prall geschwollen wegen der Anstrengung, er hatte während drei Stunden ununterbrochen gerudert. «Ist er abgereist?» fragte sie ihn, er nickte. Sarah war überzeugt, dass sie ihn wirklich verloren hatte, sie verdeckte sich das Gesicht mit den Händen und kämpfte gegen die Tränen. «Hast du gemacht, was ich von dir verlangt habe?»«Ich habe es ihm in die Tasche gesteckt, während ich ihn umarmte.»«Danke» flüsterte sie und schwieg. Der korpulente schwarze Mann spürte, dass sie alleine sein wollte und ging weg.

Er fühlt sich wie benommen und es erscheint ihm undenkbar, dass er der Autor ist, und doch, eben hat er einen ganzen Roman zu Ende geschrieben. Geistesabwesend mustert er seine Füße, die in der Leere baumeln, als wäre es das normalste der Welt. Mit den Füßen streift er sich die offenen Turnschuhe ab und lässt sie fallen. Einer der Schuhe bleibt zwei Stockwerke weiter unten in der Wäscheleine hängen, der andere schlägt nach einem Fall von fünfzehn Metern auf dem Boden auf und hätte dabei beinahe die kleine Gruppe neugieriger Leute getroffen, die gedrängt im Hof standen. Franco schaut hinunter und wundert sich über die winzigen Köpfe der Neugierigen, die, von da oben gesehen, noch kleiner als der Nagel seiner kleinen Zehe waren. Plötzlich bemerkt er ein lautes Scheppern, vermischt mit einem schrillen Quietschen. Den Unterarm vor den Augen, um sich vor dem noch starken Licht der untergehenden Sonne zu schützen, schaut er nach vorne. Vor der roten Kugel zeichnet sich die aufsteigende Feuerwehrleiter ab. Durch die Wipfel der Pinien kommt sie langsam direkt auf ihn zu. Für einen kurzen Moment findet er sie sogar einladend und er überlegt sich, ob er womöglich alles falsch mache. Er sagt sich, dass es wohl besser wäre, sich helfen zu lassen und auf seine Frau zu warten. Die Monster in seinem Kopf würden wahrscheinlich so rasch wieder verschwinden, wie sie gekommen waren, und er würde seine Kinder wieder umarmen können. Erst vor wenigen Tagen hat er sie gesehen, aber er hatte schon schreckliche Sehnsucht nach ihnen. Der Mann auf der Leiter trägt einen orangefarbenen Anzug mit Leuchtstreifen. Er ist zwar noch ziemlich weit entfernt, streckt ihm aber bereits einen Arm entgegen. Entschlossen schüttelt Franco den Kopf, er fühlt sich wie von einem unsichtbaren grauen Wattebausch umhüllt, der ihn von der restlichen Welt fern hält und daran hindert, die Dinge klar zu sehen. «Geh weg, lass mich in Ruhe! Geht alle weg, es ist zu spät!» schreit er heftig gestikulierend, kommt dabei aus dem Gleichgewicht und rutscht nach vorne. Schwindelgefühle lassen ihn übermäßig nach vorne beugen, doch es gelingt ihm, sich kurz vor dem Sturz in die Tiefe am Geländer festzuklammern. Während die Blätter, die er eben gelesen hat, von einer leichten Windböe weggewirbelt werden, bleibt er über dem Abgrund hängen. «Bleib ruhig!» schreit ihm der Mann auf der Leiter zu, nachdem er Gott gedankt hat, denn er hatte bereits das Schlimmste befürchtet. «Halte dich fest und bleibe ganz ruhig, ich werde gleich da sein!»

Ein Raunen steigt von der Straße her bis zu ihm hoch und für einen Augenblick verspürt Franco die Versuchung sich auf die Menge dieser verdammten Neugierigen fallen zu lassen und möglichst viele von ihnen zu zerquetschen. Sie sind schon ziemlich lange da unten versammelt und warten regungslos wie Geier darauf, dass er sich herunterstürzte, oder dass der Feuerwehrmann ihn rettete, damit sie danach wie Idioten im Zirkus applaudieren können. Franco beneidet sie, denn er weiß, dass ihnen jede Lösung recht sein würde, wie es auch immer ausgehe. Zu Hause werden sie etwas zu erzählen haben und ein Video auf dem Smartphone vorzeigen können. Da glitt sein Blick auf den Wohnzimmertisch, auf dem die Schreibmaschine stand. Schön. Still. Glänzend. Sie ist verflucht, sagt er sich zum tausendsten mal, dann kommen langsam Erinnerungen auf.

KAPITEL II

DER ARBEITSUNFALL

Ende Juli. Auf der Baustelle war es heiß. Zu heiß. Glitzernde Schweißtropfen rannen den Arbeitern über die sonnengebräunten Rücken, über die Stirn in die brennenden Augen. Die Mittagspause war gerade zu Ende gegangen, ein Sandwich und ein Bier im Schatten vorgefertigten Betonrohre, die einen Hauch von Frische übertrugen. Die Luft stand still, auch wenn überall Arbeiter beschäftigt waren, das gelegentliche Knacken des Presslufthammers brach eine fast unnatürliche Stille. Franco Amore war technischer Berater für eine Firma im Bereich der Fenstermontage, und sein Leben floss in absoluter Ruhe dahin, ohne bedeutungsvolle Hochs und Tiefs. Er hatte eine junge Frau und viele Zukunftspläne, und er liebte es, mit den beiden Kindern zu spielen. Er glaubte an das Gute und an die Liebe, an die Macht der Träume und der Fantasie. Für ihn waren sie sehr wichtig, er war überzeugt, dass einzig die Liebe einen Menschen wirklich frei macht, ihm erlaubt, sich selbst zu sein und seine Leidenschaften auszuleben. Und er hatte vor allem eine Leidenschaft: das Joggen. Er liebte es, barfuß im Sand und im Gras zu laufen, denn der Kontakt mit dem weichen Boden gab ihm das Gefühl, Teil dieser manchmal unverständlichen Welt, die sich um ihn dreht, zu sein. Der Morgenduft nach salziger Luft oder feuchtem Gras waren für ihn genauso berauschend wie ein gutes Glas Wein in guter Gesellschaft. Wie jeden Tag stand Franco auf dem Gerüst und überprüfte, ob die Arbeit nach den gegebenen Anweisungen verlief, aber an diesem Nachmittag lag etwas Seltsames in der Luft: scheinbar hat die glühende Sonne die schmutzigen Zementlatten zu sehr ausgetrocknet und die unschuldigen, rostigen Rohre des Gerüstes, die mit polierten Messingbolzen zusammengehalten wurden, waren heißer als üblich.

In nur wenigen Tagen werde ich endlich am Meer sein. Ich fühle mich so seltsam, anders als sonst, wahrscheinlich wegen dieser erbarmungslosen Hitze, aber ich muss es durchstehen, überlegte er sich, um Kraft zu schöpfen, doch kaum hatte er diesen Gedanken gefasst, wurde ihm schwindlig. Ein Fehltritt und er stürzte vom Gerüst.

«Habt ihr alles eingepackt?» fragte Franco den älteren Sohn, während er ihm beim laden des Wagens behilflich war. «Keine Angst» mischte sich seine Frau Silvia ein, «wir haben alles mindestens ein Dutzend mal kontrolliert. Es ist alles in Ordnung, es kann losgehen»«Warum trödelt ihr denn noch? Ich möchte nicht, dass ihr im Dunkeln noch unterwegs seid!» tadelte Franco sie. Sie schaute weg und seufzte. «Wir möchten dich hier nicht alleine zurücklassen, du wirst dich zu Tode langweilen» meinte sie leicht besorgt, die Kinder nickten zustimmend. «Ach wo, ich werde schon etwas erfinden, da könnt ihr euch sicher sein! Ich möchte diese Tage nutzen, um mich endlich auszuruhen, in letzter Zeit war die Arbeit wirklich sehr anstrengend» antwortete er, bemerkte allerdings, dass er sie mit seiner Antwort keineswegs überzeugt hatte. Dann grabschte er ein Fischernetz aus dem Kofferraum und mimte den Gang eines alten Mannes mit Stock. «Ich werde es schon irgendwie schaffen, auch wenn ich noch krank bin, bin ich noch lange nicht reif fürs Altersheim» und endlich mussten die Kinder lachen. «Nun kommt schon, steigt ins Auto und fahrt los!» «Pass auf dich auf und streng dich bloß nicht zu sehr an, denk daran, was der Arzt dir gesagt hat» wiederholte Sissi zum hundertsten Mal. «Mach dir keine Sorgen. Sobald ich die Untersuchungsergebnisse habe, nehme ich den ersten Zug und fahre euch nach.» «Kommst du wirklich?» fragte Giorgio, der jüngere Sohn. «Klar! Vergnügt euch und seid brav mit eurer Mutter, aber vor allem, macht euch keine Sorgen um mich», gab Franco zur Antwort. Dann wandte er sich erneut seiner Frau zu. «Das gleich gilt auch für dich, pass bloß auf, dass du mir am Meer nicht zu viele Eroberungen machst. Fahre vorsichtig und rufe mich an, sobald du ankommst.» Ein Kuss durchs Autofenster, ein Augenzwinkern und weg. Nachdem er ihnen bis zur Kurve nachgeschaut hatte, kehrte Franco ins Haus zurück.

Nun also, zu essen und zu trinken ist vorhanden, Bücher und Zeitungen auch. Der Kühlschrank ist voll und die Batterien der Fernsehfernbedienung sind neu.. das reicht für eine Weile. Ab und zu tut es ganz gut, ein wenig allein zu sein, wer weiß, wann ich je wieder Gelegenheit dazu habe, sagte sich Franco überzeugt, wobei er sich bemühte, den positiven Aspekt an der Situation zu finden. Aber trotz all seiner guten Absichten wusste er nicht mehr, was es bedeutete, einen ganzen Tag zu verbringen, ohne mit jemandem ein Wort wechseln zu können. Und obwohl er es sich nicht eigestehen wollte, erschreckte es ihn ein wenig. Genau wie er befürchtet hatte, begann schon nach nur zwei Tagen die Langweile an ihm zu nagen. Er hatte es satt, Zeitschriften zu lesen und vom Fernsehen hatte er auch längst genug. Er war ein aktiver Mann und war es nicht gewohnt, zu Hause zu hocken, insbesondere wenn ihn jemand oder etwas dazu gezwungen hatte. Mehr als einmal war er versucht, sich in Sportkleidung zu werfen und joggen zu gehen, aber die Ärzte hatten ihm dringend davon abgeraten, und so verzichtete er darauf, wenn auch widerwillig. Er versuchte mehrere Freunde anzurufen, erfolglos, denn im Hochsommer hat sich die Stadt in eine große Wüste verwandelt. Die Einsamkeit wurde langsam aber sicher schwer und erdrückend. Nachdem er einen weiteren Tag dösend vor dem Fernseher verbracht hatte, ging er eines Abends in den Keller und stellte ihn auf den Kopf, in der Hoffnung irgendetwas Brauchbares für den Zeitvertreib zu finden. Plötzlich bemerkte er unter einem Tuch aus violettem Samt eine Schreibmaschine, halb versteckt in einer niedrigen Ecke eines Regals hinter einem Haufen nutzloser Dinge. Sie war voller Staub und sie war so alt, dass die Buschstaben auf den Tasten kaum noch zu erkennen waren. So alt wie die ist, die muss wohl wertvoll sein. Wer weiß, wie sie in diesen Keller gelangt ist, vielleicht war sie ja schon da, als wir das Haus gekauft haben ... ob sie wohl noch funktioniert?

Glücklich, endlich etwas Interessantes entdeckt zu haben, mit dem er sich beschäftigen konnte, begann er die Maschine am nächsten Tag auseinanderzunehmen und verbrachte den ganzen Tag mit Reinigen, Polieren und Einölen. Nachdem er sie wieder montiert hatte, betrachtete und bewunderte er das Ergebnis seiner Arbeit. Sie ist wirklich schön, sie hat den Geruch antiker Dinge dachte er zufrieden. Er stellte sich einen Schriftsteller an einem Schreibtisch sitzend und ein Haus auf den Klippen über dem Meer vor, oder vielleicht einen einsamen Leuchtturm auf einem Felsen mitten im Meer, Kormorane und Kerzenlicht, das Geräusch der Brandung.

Wer weiß, welche fantastischen Geschichten mit diesem Ding geschrieben worden sind. Jetzt, da sie wieder wie neu ist, brauche ich sie nur zu testen, zum Glück habe ich auch die Bänder mit der Druckerschwärze in gutem Zustand gefunden. Er legte ein weißes Blatt Papier ein und vergewisserte sich, ob alle Tasten funktionstüchtig waren. Befriedigt zündete er sich eine Zigarette an und nahm eine Dose Bier aus dem Kühlschrank, dann legte er sich in den Liegestuhl auf der Terrasse.

Ich habe wirklich gute Arbeit geleistet, aber leider ist der Spaß schon vorbei. Ich werde mich schnell nach einem anderen Zeitvertreib umschauen müssen, sonst werde ich hier noch verschimmeln überlegte er beinahe besorgt, während er die kühle Abendluft genoss. Durch die Gitterstäbe des rostigen Geländers beobachtete er die Kinder, die unten in den Gärten herumrannten und nach Glühwürmchen schnappten. Er ließ den Blick über die Häuser, die dunklen Fenster, die flüchtigen Schatten der Fledermäuse schweifen. Schließlich starrte er in den Sternenhimmel, während das Zirpen der Grillen, begleitet vom Duft frisch blühender Rosen, bis zu ihm emporstieg.

Was soll ich nur machen? Ich schlafe schlecht und wenig, die Tage werden immer endloser, ich werde morgen darüber nachdenken, jetzt ist es Zeit zu schlafen. In seinen Gedanken versunken kehrte er in die Wohnung zurück, um sich in sein Schlafzimmer zurückzuziehen, als er aber im Wohnzimmer an der Schreibmaschine vorbei kam, die er auf dem Schreibtisch zur Schau gestellt hatte, blieb er stehen.

«Verdammt, was zum Teufel geht hier vor?» schreit der Feuerwehrmann in sein Funkgerät, während er auf seine Kollegen herabschaut. Die Leiter war plötzlich stehengeblieben und schwankte heftig, wäre er nicht angeschnallt gewesen, hätte ihn der Gegenruck heruntergeworfen. «Wir haben ein Problem.. der Sicherheitsgurt dreht sich im Leerlauf, weil sich ein Flaschenzug gelöst hat, ich brauche ein paar Minuten, um ihn wieder festzuziehen und die Muttern anzuschrauben» antwortet ihm eine verwirrte Stimme aus dem krächzenden Funkgerät. «Ein paar Minuten? Ich habe keine paar Minuten, verdammt! Wenn ich diesen Mann nicht sofort erreiche, wird er sich herunterstürzen. Der hat den Blick eines Verrückten und schreit, um mich wegzujagen. Es scheint ihm völlig egal zu sein, da herunterzufallen. Beeile dich und haltet das Sprungtuch bereit!» «Das Sprungtuch ist nicht da! Du hast es gestern zur Wartung geschickt, hast du das vergessen?» antwortet die Stimme im Funkgerät. «Und keiner hat daran gedacht, das Ersatzsprungtuch zu laden?» fragte der Kommandant ungläubig und spähte an die Stelle, wo das Sprungtuch normalerweise verstaut war. «Offensichtlich nicht, du weißt ja, wie das in der Ferienzeit ist, da herrscht Chaos» murmelte die Stimme im Funkgerät verlegen, worauf der Feuerwehrmann abermals fluchen musste. Er wendet sich wieder dem Mann zu, der langsam aber sicher an den Stangen des Geländers abrutscht, mit seinen schweißfeuchten Händen kann er sich nur schwer daran festklammern. «Ehy» ruft er ihn, Franco dreht sich um und schaut in geistesabwesend an. «Ehy, mein Freund! Halte durch. Hast du verstanden? Nicht aufgeben. Bald bin ich bei dir, du brauchst nur noch ein wenig auszuharren. Nur noch ein wenig länger!» wiederholte er, aber Franco hört ihn überhaupt nicht. Er antwortet nur mit einem vagen und unverständlichen Lächeln, dann starrt er wieder auf die Schreibmaschine und den Stapel maschinengeschriebener Blätter daneben, den überquellenden Aschenbecher und den Stuhl, der mit der Lehne zum Schreibtisch daneben steht.

Alles begann an jenem Abend, als ich mich an diesen verdammten Schreibtisch setzte dachte er erneut, während er die Hände unbewusst kräftig am rutschigen Geländer festkrallte, um nicht zu fallen.

Klar, es gibt keine andere Erklärung: die Maschine ist verflucht…und jetzt ist es spät … die Strafe …

KAPITEL III

DIE ERSTE SEITE

Beinahe unbewusst, wie von einer geheimnisvollen Kraft geleitet, entfernte Franco das verschmierte Papier, mit dem er die Schreibmaschine ausprobiert hatte, und legte ein sauberes Blatt ein. Er zentrierte es genau und begann unbeholfen auf die Tasten zu hämmern.

KAPITEL I (CARPETTIS WOHNUNG)

Der Abendhimmel war so rein, man konnte die Sterne beinahe einzeln zählen und die glänzende Sichel des Halbmonds schien an einem unsichtbaren Faden zu hängen, der sich in der Unendlichkeit verlor. Aus dem Fenster im dritten Stock eines Hochhauses im Vorstadtviertel konnte man, an die Vorhänge projiziert, das Flimmern von Bildern eines Fernsehers erkennen. Er war klein, in Schwarz und Weiß, einer von denen, die mit weißem Kunststoff verkleidet waren, mit der oben angebrachten klassischen kreisförmigen Antenne. Er stand auf einem massiven, dunkelbraunen Möbel, auf dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte. Daneben stand eine hässliche Terrakotta-Statue, die wer weiß welche afrikanische Gottheit darstellte.

Nicht schlecht für den Anfang, vielleicht habe ich endlich einen Weg gefunden, die Zeit zu vertreiben, sagte sich Franco und überlas, was er gerade geschrieben hatte. Aber nachdem er mehrere Blätter in den Abfallkorb geworfen und noch ein paar Biere getrunken hatte, schob er die Schreibmaschine weg und rieb sich die Augen, dann stand er plötzlich unwirsch auf. Er schaute auf die Uhr und beschloss, ins Bett zu gehen, denn die Ideen gingen ihm langsam aus, und wie jeden Abend, schlief er mit dem Gedanken an seine Frau und seine Kinder ein. Die ersten Lichtstrahlen, die durch die Fensterläden sickerten, ertappten ihn während er an die Decke starrte. Auf seinem Gesicht mit dem schon etwas zu langgewachsenen Bart, lag ein leicht besorgter Ausdruck. Zum Teufel mit den guten Gewohnheiten, ich will nicht immer so früh wach werden! Wenn ich jetzt schon aufstehe, was soll ich dann den ganzen Tag über machen? sagte er sich besorgt. Er nahm die letzte Zigarette aus dem Päckchen und zerknüllte es. Er warf es auf den Boden und betrachtete den kleinen Müllhaufen, der sich allmählich unter seinem Bett gebildet hatte, dabei überlegte er, ob er überhaupt Lust hatte, diesen einzusammeln und in der Küche im Abfalleimer zu entsorgen. Mit einem Achselzucken verneinte er sich diese Frage und steckte die Zigarette in den Mund, dann ließ er sich wieder schwer auf das Bett fallen. Es fiel ihm außerordentlich schwer, der Versuchung, sie anzuzünden, zu widerstehen. Ich rauche zu viel, das liegt an der Langeweile. Ich würde gerne ein bisschen ausgehen, aber bei dieser Hitze muss ich vorsichtig sein. Es war zwar nur ein banales Unwohlsein, dennoch möchte ich nicht riskieren, dass diese Erholungsphase noch länger dauert. Die Spatzen auf den Gesimsen begrüßten den neuen Tag mit einer schönen Melodie und beobachteten von dort aus das Geschehen unten im Hof. Sie wussten genau, dass die alte Dame in wenigen Minuten ihr Frühstück aus dem Fenster werfen würde. Es hat keinen Sinn, so werde ich kaum wieder einschlafen können…es ist wohl besser, wenn ich aufstehe, dachte er resigniert, nachdem er eine Weile gehofft hatte, einschlafen zu können. Inzwischen überwältigte ihn langsam aber sich eine gewisse Unruhe, er hatte das Gefühl, etwas halb fertig liegen gelassen zu haben, konnte sich aber nicht erinnern, was. Nur kurze Zeit später saß er wieder an der Schreibmaschine, die noch nicht angezündete Zigarette im Mund. Er schaute die Maschine lange und unsicher an und fragte sich, ob er wirklich in der Lage wäre, eine Geschichte zu schreiben. Das Telefon klingelte, dieser plötzlich schrillende Ton, der seinen Versuch, sich zu konzentrieren unterbrach, störte ihn sehr. Für einen Augenblick war er versucht, nicht abzunehmen.

«Hallo, wie geht es euch?...entschuldige, ich war gerade im Bad» log er, den Mund verdreht und die Augen zur Decke gerichtet. «Ja, mir geht es gut, und ihr? Habt ihr Spaß? Großartig…gebt mir Mamma…also, wie geht es euch?...und die Jungs? Ja, ich langweile mich zu Tode, und ich kann es kaum erwarten, euch zu sehen…ah, ich habe eine Überraschung für dich…nein, ich sage dir nicht, was es ist, was für eine Überraschung wäre es denn sonst? Ok, wir hören uns bald wieder…liebe Grüße an deine Eltern…», sagte er kurz, dann unterbrach er die Verbindung und setzte sich schnell wieder hin, über diese unerwartete Unterbrechung immer noch sichtlich genervt. Ich hab’s! Ich werde die Geschichte eines alleinlebenden Mannes schreiben, sagte er sich.

Das Telefon klingelte, der Mann erhob sich seufzend aus dem alten Ledersessel und schleppte sich lustlos zum Apparat. «Hallo? Gianni! Danke gut, und dir? Schön, dich zu hören ... morgen Abend? Nein, morgen Abend kann ich nicht. Ich sag dir, es ist keine Ausrede, du weißt genau, dass ich mich mit euch beiden immer wohl fühle... geht in Ordnung, das nächste Mal werde ich nicht fehlen, versprochen. Gib Marta einen Kuss von mir» beendete der Mann das Gespräch, legte den Hörer auf und richtete einen besorgten Blick auf den Fernseher im Wohnzimmer, inzwischen liefen bereits die Schlusstitel über den Bildschirm. Mist, ich habe den Schluss verpasst, sagte er sich nervös, aber bestimmt ist es gut ausgegangen, Filme haben meistens ein Happyend. Nachdem er den Fernseher ausgeschaltet hatte, rückte er die Stühle so zurecht, dass die Füße exakt auf die Ecken der Fließen zu stehen kamen. Er räumte den Tisch ab und nachdem er zweimal überprüft hatte, dass der Gashahn geschlossen war, knallte er die Faust zweimal gegen die Haustüre, dann ging er ins Zimmer. Wie jeden Abend, als er am großen Spiegel im Flur vorbeiging, hörte er auf zu schlurfen und straffte die Schultern, um die Dicke seines Bauches genau zu überprüfen. Konstitution dachte er wiederum resigniert und schüttelte den Kopf. Schon oft hatte er versucht die Fettschicht an seinem Bauch und an den Hüften zu beseitigen, die ihn daran hinderten, die Hemden richtig zu tragen. Eigentlich trug er am liebsten Hemden, aber leider hatte er nie genug Willenskraft gehabt, um ernsthaft eine Diät durchzustehen. Und so war es wie so oft in seinem Leben, viele Dinge, die er im Laufe der Jahre angefangen hatte, konnte er nicht zu Ende bringen. Mit dem üblichen Ritual bereitete er sich zum Schlafen vor: er faltete die Kleider sorgfältig zusammen und legte sie auf den Schaukelstuhl unter dem Fenster, dann zog er den grauen Lieblingspyjama mit den blauen Rauten an, der an den Ellenbogen und Knien bereits leicht abgewetzt war. Dann stellte er die Pantoffeln perfekt parallel nebeneinander unters Bett, und legte sich schlafen.

Die Augen schon wieder gegen die Decke gerichtet und die Zigarette zerknittert im Mund, schon wieder so früh wach. Aber an diesem Morgen fühlte er sich schlechter als sonst, er hatte nur wenig und schlecht geschlafen und sein Schlaf war von einem bösen Alptraum erschüttert worden: ein Mann mit Brille in weißem Kittel sagte ihm, er solle keine Angst haben, er habe eine schlimme Krankheit, die er aber besiegen könne. Und er fühlte sich machtlos, obwohl er einen starken Lebenswillen hatte. Die Stechmücken und diese verdammte Hitze sind an allem schuld verharmloste er, aber die Einsamkeit und Stille schienen diese hässlichen Gefühle nur vergrößert zu haben. Trotz seiner Versuche, an etwas anderes zu denken, empfand er weiterhin eine fast körperliche Qual, die ihn wie eine Schlange umwand. Zumindest habe ich es geschafft, einen Tag lang nicht zu rauchen… wer weiß wie lange ich es aushalte. Dann nahm er von der Kommode das einzige Blatt Papier, das er am Tag zuvor beschrieben hatte und las es durch, in der Hoffnung, auf eine Idee für die Fortsetzung der Geschichte zu stoßen. Dieser allein stehende Mann erfährt, krank zu sein … er ist krank geworden, weil er den Sinn der Dinge … den Sinn der Liebe verloren hatte … ja, genau: er hat den Sinn der Liebe verloren und hat sich gehen lassen, murmelte er vor sich hin, wobei er an die Hauptfigur seines Romans dachte. Er hat keine Lebensfreude mehr, aber vielleicht, wenn es ihm jemand lehren würde, könnte er wieder gesund werden. Wer weiß, vielleicht wird er einem geistigen Führer, einer Art Guru oder so, begegnen. Auf jeden Fall muss es ein komischer Typ sein, ein Mann, der eine große Verbitterung oder ein großes Geheimnis mit sich trägt. Ich werde ihn Walter nennen, während die Hauptfigur einen gewöhnlichen, absolut normalen Namen haben muss. Ich nenne ihn … verdammt, es ist sogar schwierig für Figuren einen Namen zu finden. Also vorläufig werde ich ihn beim Nachnamen nennen, dann werden wir sehen: ich nenne ihn Carpetti, dies scheint mir ein ziemlich anonymer Nachname. Und den Roman, oder die Erzählung, oder was dabei herauskommt, lass ich im Herbst stattfinden, das hilft mir hoffentlich, diese Hitze besser zu ertragen. Mit dieser Blitzidee stand er eilig auf, um sie sofort niederzuschreiben, ohne überhaupt an Frühstück zu denken, aber er stolperte und fiel hin. Er stand wieder auf und schaute sich erstaunt um, aber da war nichts, über das er hätte stolpern können. Es beunruhigte ihn nur kurz, dann dachte er nicht mehr darüber nach: sein neues Verlangen war stärker, er musste die sofort niederschreiben bevor sie verrauchte.

KAPITEL II (CARPETTI BEIM ARZT)

Der Radiowecker klingelte um halb sieben, gerade rechtzeitig für die morgendliche Verabredung mit dem Horoskop des Tages. Während Carpetti zuhörte, ohne wirklich daran zu glauben, machte er sein Bett fein säuberlich zurecht, nicht die kleinste Falte war auf der Decke zu sehen. Dann ging er in die Küche, schnitt zwei Orangen auf und machte sich wie jeden Morgen einen Fruchtsaft, um Erkältungen vorzubeugen. Er nahm sein Mittagessen aus dem Gefrierschrank und stellte es zum Auftauen in die Spüle, dann machte er sich für den Ausgang bereit. An diesem Morgen musste er die Ergebnisse der Untersuchungen abholen, denen er sich vor ein paar Tagen unterzogen hat, um der Ursache seines Unwohlseins auf den Grund zu kommen. Der Arzt hatte ihm versichert, dass es sich gewiss nur um eine Kleinigkeit handelte, hat aber dennoch darauf bestanden, dass er sich einem vollständigen Check-up unterziehen lasse. Da er am Morgen gewöhnlich keine Lust auf Gespräche hatte, besonders was Banalitäten wie das Wetter betrifft, vermied Carpetti den Aufzug, um nicht die Gefahr zu laufen, jemanden anzutreffen. An der Eingangstüre angelangt, holte er tief Luft bevor er die Türe öffnete und in die Welt tauchte. Während er auf die Bushaltestelle zuging, mit den Händen in den Taschen und gebeugtem Kopf, wurde ihm klar, dass dies einer der typischen, frischen und hellen Tage des Saisonwechsels zwischen Herbst und Winter war. Der Atem bildete diese kleinen Wolken, die aus Zigarettenrauch zu sein scheinen, das Gras der Rasenfläche der Wohnanlage war mit Reif bedeckt und ab und zu unterbrach ein jäher Windstoß das Vogelgezwitscher. Als er im Stadtzentrum ankam, stieg er aus und sah an der Turmuhr, dass er zu früh. Er überlegte sich, wie er diese halbe Stunde ausnutzen konnte, aber es fiel ihm nichts ein, achselzuckend beschloss er von Schaufenster zu Schaufenster zu schlendern. Mütter begleiteten ihre Kinder zur Schule, aus den Bäckereien schwebte ein herrlicher Duft und der Müllwagen leerte laut krachend die Mülleimer. Die Stadt pulsierte, aber er bemerkte es nicht, er konnte nur sein verzerrtes Spiegelbild im großen Schaufenster erkennen. Plötzlich überkam ihn ein leichtes Gefühl von Neid, oder vielleicht war es Scham sich selbst gegenüber, als er sah, wie zwei Kinder Hand in Hand, mit ihren Schulranzen auf dem Rücken, zur Schule gingen. Doch dieses Gefühl hielt nicht lange an, denn er war bereits an der Arztpraxis angekommen und verschwand in der Eingangstür. Der Warteraum war schön eingerichtet, mit bequemen Sofas in klaren, matten Farben. Auf einem schönen schmiedeeisernen Tischchen mit dicker Glasplatte lagen absichtlich verschiedene Fachzeitschriften zur Ansicht. An den schneeweißen Wänden hingen Reproduktionen einiger Gemälde von Picasso neben Zertifikaten für die Teilnahme an Weiterbildungskursen für die Behandlung von Asthma. In der Ecke stand ein Topf mit hübsch zusammengestellten Kakteen. Carpetti hasste es hierher zu kommen, er empfand diesen Ort als zu kühl und fremd. Obwohl er ein Ordnungs- und Sauberkeitsfreak war, fühlte er sich in dieser weißen und kalten Umgebung verloren. Er setzte sich und blätterte in einer Zeitschrift herum, ohne wirklich zu lesen, denn eigentlich war er wie immer mit dem Spiel der Klischees beschäftigt. Er wettete mit sich selber, dass er erraten konnte, was die sprechende Person beim faden Gespräch im Wartesaal sagen wird. Genau das ist der Grund, weshalb die Erde anders herum dreht, die Leute haben ihren Kopf voller Klischees, wohin man auch geht, hört man das übliche Gerede... dachte er, als er an die Reihe kam.