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In einer fernen Zukunft … Die Überlebenden der Menschheit leben größtenteils in schwimmenden Städten mitten im Meer. Es gibt zehn dieser Städte, Sektionen genannt, und Bryalis ist unter ihnen ein Hort des Wissens ebenso wie ein Ort der Verbrechen. River ist in den Ruinenstädten auf dem Festland aufgewachsen. Die Ausbildung zum Polizisten und der Aufstieg zum Kriminalermittler war für ihn besonders hart. Wild entschlossen, sich zu beweisen, beginnt er seinen Dienst beim S.E.X.Y. von Bryalis – Section Executive Xenos Yard. Hier begegnen ihm besondere Charaktere, brutale Morde, echte Freundschaft – und Kianis. Kianis ist ein Senkrechtstarter bei der Kriminalbehörde von Bryalis. Er hat nicht vor, in dieser Stadt, die für ihn voll traumatischer Erinnerungen ist, länger als notwendig auszuharren. Ein Mord an einer Wissenschaftlerin könnte das Sprungbrett in die nächste Sektion für ihn bedeuten. Da hat er keine Zeit für Emporkömmlinge wie River. Egal wie interessant und attraktiv dieser Mann auch sein mag … Ca. 75.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 380 Seiten
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Veröffentlichungsjahr: 2025
In einer fernen Zukunft …
Die Überlebenden der Menschheit leben größtenteils in schwimmenden Städten mitten im Meer. Es gibt zehn dieser Städte, Sektionen genannt, und Bryalis ist unter ihnen ein Hort des Wissens ebenso wie ein Ort der Verbrechen.
River ist in den Ruinenstädten auf dem Festland aufgewachsen. Die Ausbildung zum Polizisten und der Aufstieg zum Kriminalermittler war für ihn besonders hart. Wild entschlossen, sich zu beweisen, beginnt er seinen Dienst beim S.E.X.Y. von Bryalis – Section Executive Xenos Yard. Hier begegnen ihm besondere Charaktere, brutale Morde, echte Freundschaft – und Kianis.
Kianis ist ein Senkrechtstarter bei der Kriminalbehörde von Bryalis. Er hat nicht vor, in dieser Stadt, die für ihn voll traumatischer Erinnerungen ist, länger als notwendig auszuharren. Ein Mord an einer Wissenschaftlerin könnte das Sprungbrett in die nächste Sektion für ihn bedeuten. Da hat er keine Zeit für Emporkömmlinge wie River. Egal wie interessant und attraktiv dieser Mann auch sein mag …
Ca. 75.000 Wörter
Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 380 Seiten
von
Sonja Amatis
Inhalt
Kapitel 1: Neubeginn
Kapitel 2: Erste Schritte
Kapitel 3: Numa
Kapitel 4: Mord
Kapitel 5: Ermunternde Grundlagen
Kapitel 6: Besser als erhofft
Kapitel 7: Wahl-Wurzeln
Kapitel 8: Landgang
Kapitel 9: Stumme Gedanken
Kapitel 10: Noch ein Mord
Kapitel 11: Zweckloser Widerstand
Kapitel 12: Besuch nach ganz oben
Kapitel 13: Kampf
Kapitel 14: Erkenntnis
Kapitel 15: Auflösung
Epilog: Einige Tage später …
eute war der große Tag.
River hatte seit Monaten darauf gewartet. Sich teils davor gefürchtet, teils gehofft, dass es noch besser als erhofft werden würde. Heute sollte er jedenfalls seinen neuen Job beginnen, und dementsprechend fiel er bereits um fünf Uhr morgens aus dem Bett.
Normalerweise war er kein Frühaufsteher. Eher im Gegenteil, er blieb gerne bis zur allerletzten Sekunde im Bett liegen, ließ den Wecker auch sieben, acht Mal nachklingeln. Heute aber raffte er sich zeitig hoch, über drei Stunden, bevor er erwartet wurde. Die Angst, zu spät zu kommen, war tatsächlich größer als das Bedürfnis zu schlafen.
Aufgeregt eilte er ins Badezimmer. Es war modern ausgestattet, besaß alle Annehmlichkeiten wie einen Replikator für Nahrung und einen weiteren für Gebrauchsgegenstände, und raschen Anschluss an die Kapselbahn. Das war beachtlich für ein Haus, das sich in der niedrigsten Ebene befand. Ja, da hatte sich in den vergangenen Jahren viel getan – innerhalb dieser Stadt, die Bryalis genannt wurde, innerhalb dieses Hauses, das noch aus der Gründerzeit von vor über siebenhundert Jahren stammte, und für River ganz persönlich.
Er war in Umständen aufgewachsen, über die er heute nicht einmal mehr nachdenken wollte. Zerfallende Bauruinen, instabile Schuttberge, Raubtiere in der Nacht, Krankheiten, für die es kein Heilmittel gab, winzige Verletzungen, die den Tod bedeuten konnten. Nie genug zu essen, nie genug von irgendwas, außer Hunger, Angst und Gefahr.
Gewalt, Verlust und Trauer hatten sein ganzes Leben bestimmt, bis seine Familie es geschafft hatte, in einer der Sektionstädte aufgenommen zu werden. Bryalis bedeutete für sie den Aufstieg in ein Leben, das es wert war, so genannt zu werden.
Nicht dass sie es hier wirklich gut hatten. Bryalis besaß zwar Strom, also Elektrizität, die durch Solar- und Windenergie gewonnen wurde, sauberes Wasser, freies Wohnen für jeden legalen Bürger, freie Nahrung und Gesundheitsversorgung für jeden Menschen, Recht und Ordnung. Niemand musste hier hungern, niemand musste Angst haben, nach einem Schluck Wasser vom Fluss krank zu werden und schlimmstenfalls an Durchfall und Bluterbrechen zu sterben. Es gab warme Kleidung, es gab Arbeit für jeden, es gab Hoffnung. Sogar ein Gefühl von Sicherheit, auch das war ihnen vergönnt. Hier sein zu dürfen, in einer schwimmenden Stadt, auf Felsen und den überschwemmten Ruinen der verlorenen Zeit gebaut, das war zumindest Hoffnung. Nicht mehr und nicht weniger als das. Doch als Quomus, als Flüchtlinge vom Festland, würden sie immer verachtet werden. Sie würden ihre Vergangenheit niemals ablegen.
Nicht dass sie das tun wollten.
Als River aus der Dusche kam und blind von Wasser und Dampf nach seinem Handtuch angelte, zuckte er zusammen – eine Berührung an seiner Hand! Lebenslang antrainierte Reflexe brachten ihn augenblicklich in Kampfstellung, noch bevor er registrierte, dass es Donna war, die sich mit ihm im Raum befand.
Seine lästige ältere Schwester. Bildschön wie immer mit ihrer dunkelschimmernden Haut und ihren hüftlangen Rastalocken, in die sie buntes Holz und Perlen eingeflochten hatte. Sie trug normalerweise riesige Ohrringe, ebenfalls aus bunten Hölzern, aber offenkundig war sie gerade eben erst aus dem Bett gefallen und musste ihn mit ihrer Anwesenheit belästigen.
„Hey!“, rief River abgenervt. „Spinnst du?“ Er entriss ihr das Handtuch und wickelte sich darin ein. Familie hin oder her, mit siebenundzwanzig brauchte er nun wirklich keine Schwester, die ihm auf sein Zipfelchen starrte. Selbst wenn sie das niemals tun würde, weil er nun mal ihr kleiner Bruder war. Trotzdem!
„Selber hey!“, entgegnete sie und klang dabei sichtlich ungehalten. „Warum zur Hölle machst du hier mitten in der Nacht Randale? Ich schlafe direkt neben dem Bad, zur Erinnerung.“
„Ist das etwa meine Schuld? Wie du dich vielleicht erinnern magst, warst du diejenige, die diesen Raum sofort besetzt hat, als wir hergekommen sind.“
Wodurch River gezwungen war, mit seinen jüngeren Geschwistern Sun, Thunder, Rain, Rainbow, Cloud, Earth und Starlight in einem Raum zu schlafen, während Donna sich als Älteste ausbreiten und sämtliche Privilegien genießen konnte. Wie etwa die Einzige zu sein, die einen halbwegs vernünftigen Namen tragen durfte. Riesenfamilien waren ein Ding bei denjenigen, die sich in den Ruinen auf dem Festland durchschlagen mussten. Keine medizinische Versorgung, Nahrung war Glückssache, vernichtende Stürme, Überflutungen, irrsinnige Schneemassen und Eis im immer länger werdenden Winter und sonstige Katastrophen waren Alltag, und da war noch keine Rede von den Gefahren durch Raubtiere, Giftschlangen, Parasiten, gefährlichen Insekten. Also ja, wer sich Erfolg bei der Weitergabe seiner Gene wünschte, musste als Landbewohner auf Masse setzen. Es war nur dann möglich, wenn man viele Kinder ans Licht der Welt brachte. River hatte jedenfalls noch mehr Geschwister gehabt, an die er ungern dachte. Es tat so sehr weh, jeder Verlust war mit maßlosem Schmerz verbunden gewesen …
Dadurch, dass sie als Großfamilie hergekommen waren, waren sie auch sofortiger Verachtung und Ablehnung ausgesetzt gewesen, denn die stadtgeborenen Einwohner setzten größtenteils auf Einzelkinder, die gefördert, geliebt und verhätschelt wurden und in größtmöglicher Sicherheit aufwachsen konnten.
Donna und River maßen einander mit finsteren Blicken. Es war das übliche Spiel zwischen ihnen. Freundlicherweise schaute Donna nach kurzer Zeit als Erste fort.
„Also, was soll das?“, fragte sie. „Sonst stehst du nie freiwillig drei Sekunden vor Dienstbeginn auf.“
„Hast du’s echt vergessen? Mein neuer Job startet heute!“
„Oh … Ah, warte. Du meinst das Ding, von dem du seit drei Wochen nonstop jeden Tag stundenlang geredet hast, findet also heute statt, ja?“ Vollkommen ausdruckslos und ernst schaute sie ihn an. River blickte unbeeindruckt zurück, bis Donna schließlich erweichte und zu grinsen begann.
„Verdammt, Brüderchen, ich bin stolz auf dich, okay?“ Sie umarmte ihn kurz. Sehr kurz, bevor sie quietschend vor ihm zurückwich und sich empört beschwerte, weil er immer noch nass war. Sie hatten einander lieb, das verbale Gerangel war nur die übliche Art, ihrer geschwisterlichen Liebe Ausdruck zu verleihen.
„Kann ich mich jetzt anziehen, wäre das möglich? Ich muss mich auch noch rasieren. Und schauen, ob ich meine Sachen noch mal bügeln muss. Es wird schon verdammt komisch sein, ohne Uniform zum Dienst zu gehen. Ich bin noch nicht sicher, ob ich wirklich das blaue Hemd anziehen will. Vielleicht wäre rot doch besser. Das blaue ist neutraler und somit unauffällig, aber will ich überhaupt neutral auftreten? Die Schuhe, es ist wichtig, die richtigen Schuhe zu tragen. Du weißt ja …“
„Hör auf“, sagte sie und tätschelte ihm die Wange. Die Seite, auf die er sich großflächige Tribaltattoos hatte stechen lassen, damit auch wirklich kein Zweifel bestand, woher er stammte. „Komm runter. Mach dich nicht wahnsinnig. Es ist ein großes Ding, du hast diesen Job verdient. Du hast astreine Arbeit im einfachen Polizeidienst geleistet, sonst hätte man dich nicht befördert. Aber du und ich, wir wissen beide, deine neuen Kollegen werden sich einen Scheiß darum kümmern, welche Farbe dein Hemd hat. Sie sehen deine Rastalocken, deine Tribals, und sie wissen Bescheid. Du bist der Emporkömmling, die Landratte, der Quoten-Johnny, der Quomu, und sie werden dich nicht respektieren. Egal welchen ersten Eindruck du lieferst, es wird keine Rolle spielen. Sie werden dich verachten, sie werden blöde Witze machen, sie werden fragen, wie viele Kinder du bereits gezeugt hast, wie viele deiner Frauen schon gestorben sind, ob du hier in der Stadt noch immer seekrank wirst, ob dir nicht zu heiß ist, ob du ein Rezept für geröstete Ameisen kennst, ob du Hilfe beim Lesen brauchst und weißt, wie man die Maschinen bedient. Der ganze Scheißdreck, der uns seit der Schulzeit verfolgt hat. Es wird nicht aufhören, nur weil du jetzt in den gehobenen Dienst der Kriminalermittlung aufgestiegen bist. Sie werden dir weh tun, und ich werde sie dafür hassen. Du wirst heute Abend frustriert sein, weil man dir blöde Streiche gespielt hat, du keinen ordentlichen Schreibtisch bekommen hast und man dich Amza kochen schickt, statt dich mitarbeiten zu lassen. Weil sie dich freundlich fragen, ob du ihre Sprache verstehst und das noch nicht einmal böse meinen. Und du wirst das stumm wegstecken, breit lächeln und dich mit dem gleichen verbissenen Ehrgeiz weiter voran arbeiten, wie du es bereits die ganze Zeit getan hast. Wir werden irre stolz auf dich sein, eben weil du tapfer bist und begabt und es das ist, was zählt. Okay? Also, mach dir nicht so viel Stress, zieh das verdammte rote Hemd an, damit man dich auch ja nicht übersieht, trink dir gleich einen ordentlichen Amza und vergiss nie: Wir sind stolz auf dich. Alles klar?“
Er nickte beklommen. Sie hatte recht. Sie hatte mit jedem verdammten Wort recht, und das brannte bis tief in sein Inneres.
Er hatte ein ganzes Leben von Mobbing bereits hinter sich. Genau wie alle anderen Familienmitglieder auch. Bis auf seine jüngste Schwester Starlight hatten sie gelernt, damit klarzukommen. Starlight ging noch zur Schule, sie war sechzehn. Sie hatte am stärksten von ihnen zu kämpfen, vielleicht war es das Schicksal des Nesthäkchens. River wünschte sich so sehr, er könnte ihr helfen. Oder seine eigenen Mobber zusammenschlagen, damit sie ihn endlich in Ruhe ließen.
„Okay“, sagte er. „Ich werde das rote Hemd anziehen. Du hast mich überzeugt. Und jetzt möchte ich mich wirklich anziehen und zwar ohne Publikum.“
„Ist recht. Beeil dich, wenn ich schon mal wach bin, dann kann ich mich jetzt auch duschen. Es hat zwar nicht jeder in diesem Raum eine solch glänzende Karriere vor sich wie du, aber auch von mir erwartet man, dass ich sauber und ordentlich bin. Zumindest bei Dienstantritt. Viel Glück heute, Kleiner.“
River schluckte den passenden Kommentar dazu herunter, dann natürlich musste sie sich leicht recken, um ihm die Wange tätscheln zu können, er war schließlich mehr als ein Kopf größer als sie. Er würde halt immer ihr kleiner Bruder bleiben, und er wollte es auch gar nicht anders haben. Dass Donna keinerlei Karrierechancen besaß, weil sie bereits zu alt gewesen war, als sie nach Bryalis kamen, um die Schule erfolgreich abschließen zu können, war unfair. Ändern ließ es sich nicht, und sie war absolut zufrieden damit, im Wartungsservice zu arbeiten. Die zahllosen Kanäle und Rohre, die die Sektionsstadt am Leben hielt, mussten ununterbrochen gewartet und gereinigt werden. Es war ein schrecklich anstrengender und gefährlicher Job, doch er brachte ihr Ansehen und das Recht auf ein eigenes Haus, wann immer sie das in Anspruch nehmen wollte, statt mit über dreißig noch bei den Eltern zu wohnen, und sie musste nicht zurück aufs Festland, um dort täglich um ihr Überleben zu kämpfen. Gefährlich wurde der Job in erster Linie dadurch, dass die Kanalröhre von illegalen Einwanderer, Schleuserbanden und Schmugglern genutzt wurden. Donna störte das nicht. Sie konnte sich durchsetzen und mochte es, wenn es aufregend wurde.
River rasierte sich sorgfältig die Wangen, stutzte das Oberlippen- und Kinnbärtchen sowie die Schläfen, prüfte seine Rastalocken, die wie Schlangen um seinen Kopf tanzten. Natürlich könnte er darauf verzichten. Er könnte sich das Haar kurz schneiden, so wie die Stadtgeborenen es taten. Er hätte sich keine Tribals stechen lassen müssen. Er hätte keinen Glitzerstein in sein linkes Ohrläppchen setzen müssen. Doch er wusste genau, egal wie viel Mühe er sich gab, er würde nie aufhören, ein Quomu zu sein. Ein Festlandgeborener. Also versteckte er es nicht, sondern umarmte seine Andersartigkeit. Zeigte sie stolz und aufrecht, um es denjenigen, die hetzten und lästerten, nicht unnötig leicht zu machen. Die warteten auf Schwäche, und das wollte er ihnen nicht geben. Jahrelang hatte er wie ein Besessener gelernt, um als Jahrgangsbester die Schule abzuschließen. Um der Beste in der Ausbildungsklasse als Polizist zu sein. Hatte sich keinen Skandal, keine Schwäche, keinen Krankheitstag erlaubt, und sobald man ihn zuließ, hatte er die Laufbahn als Kriminalermittler eingeschlagen. Er war nicht am Ziel. Dort würde er vermutlich niemals ankommen. Dieser heutige Tag war lediglich ein neues Kapitel, eine Etappe seiner Reise. Es war ein Neubeginn. Ein Aufstieg, und das im wortwörtlichen Sinn. Während er bislang in den unteren Ebenen von Bryalis unterwegs gewesen war, die Baumebene niemals verlassen hatte, würde er heute zum ersten Mal den gläsernen Aufzug besteigen dürfen, der ihn in die Mittelebene der großen Kuppelstadt brachte. Dorthin, wo die besseren Familien lebten, seit mehreren Generationen stadtgeboren und bestens mit Bildung versorgt, dorthin, wo die Großbehörden angesiedelt waren. Er hoffte inständig auf Sonne, damit er das Meer endlich mal zu Gesicht bekam. Tag und Nacht hörte er das Rauschen der Wellen, doch gesehen hatte er das endlose Wasser seit Jahren nicht mehr. Allein dafür hatte die Plackerei sich gelohnt …
Kianis strich sich über das kurzgeschorene Haar. Keine Fusseln durften die Optik stören, das war von größter Wichtigkeit! Er rückte an dem kleinen Schmuckknoten herum, den er sich aus glänzend weißem Stoff um den Hals gebunden hatte. Zusammen mit dem perlmuttfarbenen Anzug, der den perfekten Kontrast zu seiner dunkelbraunen Haut bot, war er makellos gekleidet. Absolut perfekt, um das Gespräch bezüglich seiner Karriereentwicklung mit der großen Matriarchin von Bryalis zu führen.
Kianis rechnete sich gute Chancen aus, wie es mit ihm als Kriminalermittler weitergehen würde. Er hatte eine Diebstahlserie aufgeklärt, war erfolgreich gegen eine organisierte Betrügerbande vorgegangen, die Festlandfamilien vortäuschten, sie in Bryalis einschmuggeln zu können, wenn ihnen dafür ausreichend Wertmaterial gezahlt wurde. Wertmaterial waren Leder von erbeuteten Tieren, große Knochen, diverse Rauschpflanzen, die in Bryalis nicht angebaut werden durften. Außerdem Waffen und handgefertigte Kleidung oder Schmuck. Das war Luxus, den die hochgestellten Städter zu schätzen wussten.
Die Not der Menschen auf dem Festland war gewaltig, darum brachten sie sich in jegliche Art von Gefahr, um das Geforderte irgendwie leisten zu können. Am Ende standen sie beraubt da und hatten immer noch keinen Zugang zu einer sicheren Unterkunft. Und das waren dann noch die Glücklichen. Diejenigen, die lebendig zurück aufs Festland geschickt werden konnten.
Allzu viele waren von den Schleusern in wackligen Booten und auf handgezimmerten Holzflößen losgeschickt worden, und wurden während einer der häufigen Stürme von meterhohen Wellen geschluckt. Ihre Geschichten blieben unerzählt. Von ihrem Leid erfuhren sie hier auf den Inseln nur dann, wenn Familie oder Freunde herkamen und ihre Angehörigen suchten, nur um zu erfahren, dass sie nie hier angekommen waren. Eine der schlimmsten Banden, die solches Leid zu verantworten hatten, war zerschlagen worden.
Das alles hatte Kianis praktisch im Alleingang geschafft. Er war der Senkrechtstarter im Team. Eine Beförderung war das Mindeste! Auf Dauer strebte er an, Bryalis hinter sich zu lassen, diese Stadt, die für ihn selbst auch nur Leid und schreckliche Erinnerungen bedeute, obwohl er hier geboren wurde. Kianis wollte hoch hinaus!
Im Moment war das tatsächlich wörtlich zu verstehen. Das Ident-Tattoo an seinem linken Handgelenk war der Schlüssel zum Kristallfahrstuhl, der ihn von der 27. Mittelebene, auf der sich sein Haus befand – in dem er allein lebte – zum 139. Stock in der Oberebene brachte. Jeder Bewohner von Bryalis erhielt ein solches individuelles Tattoo bei Registrierung. Es war praktisch unsichtbar und konnte nicht gefälscht werden, weil die Lasererkennung jede noch so minimale Abweichung auf Femtometer-Ebene sicher herausfand und im Bereich der Attometer immer noch mit einigermaßen nachvollziehbarer Korrektheit. Ein Attometer entsprach m. Das lag im Größenfeld von Atomkernen und Elektronen. Keine KI der Welt wäre in der Lage, hochkomplexe Muster auf dieser Quantenebene absolut korrekt nachzuahmen, jedenfalls nach heutigem Stand der Technik nicht. Darum waren die Ident-Tattoos sicher und über sie wurden die Befugnisse aller Stadtbewohner exakt kontrolliert.
Man öffnete mit ihnen Türen, zeichnete Waren und Dienstleistungen ab, wies sich gegenüber Autoritätspersonen aus und regelte auch sonst alles, was das alltägliche Leben betraf. Wollte man ein Gespräch mit der Matriarchin führen, musste dies vorab im Großcomputer freigeschaltet werden. Andernfalls konnte man nicht mit dem Fahrstuhl auf die entsprechende Ebene gelangen. Der Großcomputer war zudem in der Lage, den Aufenthaltsort von jeder einzelnen Person der Stadt zumindest gebäudegenau bestimmen. Darüber wurde Protokoll geführt, was sehr praktisch war und die Polizeiarbeit im Normalfall auch erheblich vereinfachte … Einige Teile der Bevölkerung nahmen dies allerdings als Herausforderung und gaben absolut alles, um das System zu schlagen, sprich, sie fälschten oder löschten ihre Bewegungsprotokolle. Leider waren sie darin gar nicht mal schlecht, deswegen würden die Kriminalermittler niemals arbeitslos werden.
Kianis stieg in den Aufzug und berührte die Touch-Konsole mit seinem tätowierten Handgelenk. „Ebene 139“, sagte er.
„Guten Tag, Kianis.“ Die freundliche Computerstimme erfüllte die Kabine. „Die Matriarchin erwartet dich bereits.“
Er beachtete den Ausblick nicht weiter. Für ihn war das Alltag, er wohnte oberhalb der Baumebene und blickte darum jeden Tag aufs Meer hinaus, schon seit dem Tag seiner Geburt. Wasser umgab die Insel von allen Seiten, sie waren rund zwanzig Kilometer vom nächsten Zipfel des Festlands entfernt, das er noch nicht oft betreten hatte. Auch von seinem Büroraum aus hatte er einen weitschweifenden Blick über die niedrigeren Gebäude, dem dichten Wald in der untersten Ebene, der für den Sauerstoff innerhalb der Kuppel sorgte, über die Felder, die Obsthaine und Parkanlagen. Bryalis war autark, sie bauten genügend Biomasse an, um die Nahrungsreplikatoren zu füttern und somit die gesamte Bevölkerung am Leben zu halten, sie hatten stets sauber gefiltertes Wasser in beliebigen Mengen und der Sauerstoff würde ihnen auch nicht ausgehen.
Als er ausstieg, wurde er von Yöng erwartet, dem persönlichen Assistenten der Matriarchin. Der schmal gebaute, nussbraune junge Mann verneigte sich respektvoll vor ihm.
„Kianis“, sagte er unterwürfig. „Lass dich von mir führen. Ouroko erwartet dich bereits.“
Davon war auszugehen, immerhin hatte Kianis eine Einladung von der Stadtherrscherin erhalten, zu dieser Uhrzeit herzukommen. Er folgte Yöng durch die langgestreckten Gänge. Ihnen begegnete niemand, obwohl Kianis Stimmengemurmel durch einige der fest verschlossenen Türen wahrnehmen konnte.
Hier im Regierungsgebäude, das höchste Bauwerk der gesamten Stadt, war alles kreisrund angelegt, mit bodentiefen Fenstern. Man hatte darum einen erhebenden Blick auf die Stadt zu seinen Füßen, bunte Vögel flogen an den Fenstern vorbei und die Sonnenstrahlen brachen sich in den Prismen, die im Boden verlegt waren und für Mosaikflächen sorgten, deren Bilder sich veränderten, sobald man auf sie drauftrat. Die Gesichter von allen Matriarchinnen und wichtigen Persönlichkeiten der Stadt, seit Bryalis erbaut wurde, waren hier mit vielen kleinen, bunten Projektionspunkten dargestellt. Da Matriarchinnen lediglich zehn Jahre regieren durften und danach von der freien Bevölkerung die Nachfolgerin gewählt wurde, hatte es in den 877 Jahren, seit die große Kuppel sich das erste Mal beschützend über die Stadt geschlossen hatte, schon viele Herrscherinnen und herausragende Bürger gegeben. Kianis träumte durchaus davon, dass eines Tages sein eigenes Antlitz als Bodenschmuck dienen würde. In einer freien Gesellschaft wie der ihren, wo alle Bewohner der Stadt die gleichen Chancen hatten, egal welches Geschlecht sie besaßen, woher sie stammten, woran sie glaubten, wie sie aussahen … In Bryalis genügte es, ehrgeizig zu sein, um nach den Sternen zu greifen. Ob man sie erhielt … Nun, das hing wiederum von verschiedenen Faktoren ab. Im Moment jedenfalls hatte er gute Hoffnung.
Die Matriarchin saß an ihrem Verwaltungspult. Vor ihr war der Hologramm-Schirm, der sich mit Fingerberührung bearbeiten ließ und nur von ihrer Seite aus eingesehen werden konnte. Jeder Bewohner der Stadt besaß einen Holoport, einen Schmuckring am Handgelenk, der Zugang zu Wissen, Kommunikationsmodul und noch vieles mehr war.
Sie fuhr den Bildschirm mit einer entschiedenen Wischbewegung herunter und erhob sich, als Yöng sich vor ihr verneigte und mit leiser Stimme verkündete, dass ihr Besucher eingetroffen sei.
„Kianis. Bitte, nimm doch Platz“, sagte sie höflich. Er folgte der Aufforderung, setzte sich in den bequemen Stuhl, der sich sofort seinen Körperformen und seinem Gewicht anpasste. Ouroko, die Herrin von Bryalis, war eine beeindruckende Frau. Großgewachsen, schlank, sehnig geformt. Trotz ihres Alters von knapp sechzig Jahren gab es keinen Fingerbreit an ihr, der weich oder schwach zu nennen wäre, gleichgültig ob es den Körper oder den Geist betraf. Sie regierte Bryalis und die rund zweihunderttausend Einwohner dieser Stadt mit mütterlicher Strenge. Streng waren die Linien zwischen ihren dunklen Augen, das zu einer aufwändigen Frisur zurückgebundene schwarze Haar, die schmalen Lippen, die sich kein Lächeln gestatteten, die grau-blaue Uniform, auf die die goldenen Tribal der Herrscherwürde und der Familie von Ouroku per Hand aufgestickt worden waren. Ihr Teint war recht hell, was dafür sprach, dass die Matriarchin zu wenig Zeit an frischer Luft und Sonnenschein verbringen konnte.
Sie nahm wieder Platz und musterte Kianis mit dieser Mischung aus Wohlwollen und seelenprüfendem Argwohn, mit dem sie jeden Menschen betrachtete. Man fragte sich sofort, ob man irgendeinen Fehler begangen hatte, einer Nachlässigkeit schuldig war. Ob man sauber gewaschen und wohlriechend dasaß, die Kleidung ordentlich, Zähne und Nägel und Haare gepflegt waren. Ob es eine Schwäche gab, ein Versagen, das diese halbgöttliche Frau verzeihen musste.
„Ich beobachte deinen Werdegang nun schon eine Weile“, sagte sie mit tiefklingender Stimme. Es war üblich, dass eine Person von deutlich höherer Macht den Untergebenen duzte. Das änderte nichts am grundlegenden Respekt. „Du machst mir Freude, Kianis.“
„Oh.“ Er lächelte stolz, konnte es nicht verhindern, obwohl er eigentlich beherrscht bleiben wollte.
„Du leistest einen wertvollen Beitrag, um unsere geliebte Stadt sicherer zu machen“, fuhr sie fort. „Meine tief empfundene Dankbarkeit sei dir gewährt, Kianis. Deine Vorgesetzten sprechen in höchsten Tönen lobend von dir. Dein Verstand ist scharf, du siehst Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben. Du gehst nicht einfach nach Hause, wenn es noch viel zu tun gibt. Du bist ehrgeizig, und du willst noch hoch hinaus. Glaub mir, das wird sehr geschätzt, und wir wollen dir auf jegliche Weise helfen, deine Ziele zu erreichen. Denn wenn du deine Ziele erreichst, wird es uns allen besser gehen, davon bin ich überzeugt. Trotzdem gibt es ein Aber.“
Kianis fühlte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken wanderte. Er hatte so sehr gehofft, so viel investiert, das musste sich einfach auszahlen!
„Deine Vorgesetzten sind in Sorge, dass du dich übernimmst. Dass du zu viel in zu kurzer Zeit erreichen willst. Du bist noch sehr jung, und manchmal bedeutet zu große Eile, dass man ausbrennt, noch bevor man sein Ziel erreicht. Genau das fürchte ich auch für dich, und davor will ich dich schützen. Wenn du ausbrennst, nutzt das weder dir noch irgendjemand anderem. Sieh es also bitte nicht als Zurückweisung, wenn du jetzt erst einmal keine Beförderung erhältst, wie du es dir zweifellos erhofft hast. Sieh es als Gelegenheit, im geschützten Raum zu wachsen, dein wahres Potenzial noch weiter zu entfalten und dich ein wenig auszuruhen, bevor du weiter durchstartest. Wir sind nicht ignorant, und wir wollen dich nicht zurückhalten. Du wirst enttäuscht sein, und das verstehe ich. Es ist dennoch das Beste für dich, wenn du ein weiteres Jahr dort bleibst, wo du jetzt bist. Wir erwarten nicht, dass du in diesem Jahr noch viel mehr Leistung bringst, um uns zu beweisen, wie stark du bist. Das hast du uns bereits bewiesen. Ich erwarte, dass du in diesem Jahr dein bislang gesammeltes Wissen und deine Erfahrung an andere weitergibst. Ein Kriminalermittler steht niemals im leeren Raum. Alles, was du leistest, geht auf Teamstärke zurück. Dein Team profitiert von dir genauso wie du von ihm profitierst. Das ist der Punkt, an dem noch weitere Entwicklung für dich notwendig ist. Teamstärke. Du musst mehr respektieren lernen, was du deinem Team geben kannst und nicht für selbstverständlich halten, was dein Team dir gibt. Du bist kein Einzelspieler. Wir werden dir darum einen neuen Partner an die Seite stellen, einen jungen Mann, in dem wir großes Potenzial sehen. Auch er ist fleißig, sehr ehrgeizig und er hat alle bisherigen Erwartungen übertroffen. Weil er auf dem Festland geboren wurde, kann er sich nicht aus eigener Kraft weiterentwickeln. Ich habe ihn beobachtet, und ich sehe einen wundervollen Charakter und hohe Intelligenz. Entwickle ihn weiter, Kianis. Bring deinen Partner voran. Sein Erfolg wird der Maßstab sein, an dem ich dich in einem Jahr messen werde. Denn eine Beförderung wird auch bedeuten, dass du noch viel stärker die Führungsposition einnehmen wirst als bisher. Ein guter Führer denkt nicht nur an sein eigenes Wohl. Hast du das alles verstanden?“
Wie versteinert saß Kianis da und konnte es einfach nicht fassen. Er wurde zurückgestellt, um einen Wildling zu hätscheln? Wenn es schon um Teamleistung und Führungsqualitäten ging, konnte es nicht jemand aus seinem vertrauten Team sein? Ihm fiel keine geeignete Antwort ein, also starrte er die Matriarchin bloß hilflos an.
„Ich sehe, wie groß die Enttäuschung ist. Genau das bestärkt mich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Die Arbeit mit deinem neuen Partner wird dich viele Dinge lehren. Sei stolz und dankbar, dass du diese Gelegenheit geschenkt bekommst. Ich wünschte, man hätte mir ein ähnliches Angebot gemacht, als ich in deinem Alter war. Auch ich war einst ehrgeizig und wollte nichts weiter, als möglichst rasch aufzusteigen. Ich bin aufgestiegen, aber jetzt im Rückblick weiß ich, wie dumm ich damals war, wie rücksichtslos, wie respektlos. Sei ruhig wütend, mein Junge. Verfluche mich, wenn du wieder in deinem schönen Haus bist, schimpfe auf mich, halte mich für ein grausames, starrsinniges Weib, das dich zwingt, deine kostbare Jugend zu verschwenden. Wenn du einst in meinem Alter sein wirst, wirst du sehen, das Jugend länger andauert, als du es heute für möglich hältst. Du wirst vieles verstehen … Kehre nun zurück und melde dich wie gewohnt zum Dienst. Du wirst gleich deinen neuen Partner kennenlernen, und vergiss nicht, ihn respektvoll und freundlich zu behandeln und ihn so aufzubauen, dass er dich in einem Jahr nicht mehr benötigt. Das ist deine neue Berufung. Auf Wiedersehen, Kianis.“ Nun schenkte sie ihm ein schmales Lächeln und zugleich wies sie mit der Hand zur Tür. Das Gespräch war beendet. Er hatte nicht ein Wort sagen können, und er fühlte sich, als wäre dies eine Gerichtsverhandlung gewesen, bei der er mit der Höchststrafe für ein Verbrechen verurteilt worden war, das er gar nicht begangen hatte.
Seit wann war Jugend ein Vergehen? Seit wann war Ehrgeiz falsch? Wie sollte er jetzt seinen Kollegeninnen wieder gegenübertreten? Er hatte sich von ihnen verabschiedet, auf eine Weise, die klargemacht hatte, dass er nicht erwartete, sie noch allzu oft wiederzusehen. Er war sich sicher gewesen, dass man ihm die Beförderung nicht ausschlagen würde. Er war sich viel zu sicher gewesen.
Mühsam kratzte er zusammen, was er an Beherrschung in sich finden konnte, nickte der Matriarchin zu, erhob sich und ging zur Tür. Noch immer hatte er nicht die Kraft, ein einziges Wort zu sagen. Nicht einmal, um sich würdevoll zu verabschieden. Es reichte gerade, um nicht auf die Knie zu fallen und sie anzuflehen, ihn nicht dieser Schande auszusetzen. Wer würde ihn jetzt noch respektieren, nachdem er sich dergestalt blamiert hatte? Alle wussten, womit er gerechnet hatte. Alle würden wissen, dass er es nicht bekommen hatte. Stattdessen gab man ihm einen Partner, um den er nun wahrlich nicht gebeten hatte.
Ein Wildling! Ein Emporkömmling, den man ihm zweifellos bloß zuteilte, um ihn noch weiter zu demütigen. Fast empfand er einen Hauch Mitleid für diesen Kerl, der wohl nur ein Instrument sein sollte, um ihn, Kianis, zu testen. Welchen anderen Grund sollte es geben, einen Wildling in den Rang eines Ermittlers zu erheben? So etwas war seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen, soweit es ihm bekannt war. War es überhaupt jemals geschehen? Ach, das war doch alles Unsinn!
Yöng wartete vor der Tür auf ihn, verneigte sich und wies stumm den Gang hinab, zurück zum Fahrstuhl. Vermutlich konnte auch er sich kaum das hämische Grinsen verkneifen. Auf wackeligen Knien folgte Kianis ihm über den schönen Fußboden.
Hatte er nicht eben noch gedacht, dass auch sein Antlitz irgendwann in ferner Zukunft diesen Fußboden schmücken könnte? Dies würde offenkundig niemals geschehen. Im nächsten Jahr würde man sich etwas anderes ausdenken, warum er den weiteren Aufstieg nicht verdient hatte. Ja, die wollten gar nicht, dass er weiter vorankam! Das musste es sein. Er war zu gut. Vermutlich war die gesamte Regierung korrupt und er brachte zu viel Unruhe in das System, weil er die Kumpane und Verbündeten aufdeckte und aus dem Verkehr zog.
Solche und ähnlich gehässige Gedanken schossen ihm durch den Kopf, während er den schweren Rückweg antrat. Noch nie hatte er sich so bloßgestellt gefühlt. Er hatte doch alles getan! Was immer man von ihm erwartet hatte, er hatte es getan! Warum war das nicht genug? Warum tat man ihm das an?
Als der Kristallaufzug langsam nach unten schwebte, fühlte er hingegen neue Gewissheit in sich aufsteigen. Man wollte ihn also testen. Sie erwarteten gewiss, dass er scheitern würde. Dass er das hier nicht aushielt. Dass er hinwarf, sich etwas anderes suchte. Dass er nicht fähig sein würde, einen Emporkömmling zu einem guten Ermittler aufzubauen. Nun, er würde es ihnen zeigen. In einem Jahr würde entweder dieser Wildling der beste Ermittler von Bryalis sein, neben ihm selbst natürlich, oder aber der Kerl würde derjenige sein, der hinwarf und sich etwas anderes suchte. Kianis jedenfalls würde nicht aufgeben. Aufgeben war keine Option!
iver hatte sein gesamtes Leben in den Waldringen verbracht. Als man vor rund tausend Jahren begonnen hatte, die schwimmenden Inseln zu erschaffen, um den Überlebenden der Finsterzeit ein sicheres Zuhause zu bieten, da hatte man jeweils ausladende Wälder als Basis für die Kuppelstädte gepflanzt. Ohne Sauerstoff war kein Leben möglich!
Er liebte es, das Rauschen der Blätter, das Rascheln der Äste, den Duft der feuchten Erde, die zahllosen Tiere, die in diesem Ökosystem ein Zuhause gefunden hatten – von Insekten und Nagetieren zu Schlangen und kleinen Säugetieren wie Fingeräffchen und Antylox-Kätzchen bis zu Vögeln in allen Größen und Farben.
Es erinnerte ihn an seine frühe Kindheit auf dem Festland, eine Zeit, die nach wie vor seine Träume beherrschte. Es erinnerte ihn daran, wie brutal das Leben sein konnte, wie einfach und klar. Egal, wie vorsichtig man sich verhielt, egal, wie stark und gesund man war, es konnte jederzeit einfach vorbei sein. Ein Stich eines Mokulus-Skorpions etwa, kleiner als ein Fingernagel, endete in neun von zehn Fällen tödlich. Diese giftigen Geschöpfe gab es nicht auf Bryalis. Auch sonst gab es hier kein giftiges oder gefährliches Getier. Das Leben war sicherer, dafür kompliziert.
So war es River bislang nie erlaubt gewesen, den Fahrstuhl im Regierungsgebäude zu benutzen. Als Polizist für die Unterstadt war er ausschließlich auf die Baumebene beschränkt geblieben, wo er seinen Dienst versehen und unglaublich viel menschliches Leid erlebt hatte.
Menschen, die bestohlen, bedroht und jeglicher Art von Gewalt ausgesetzt wurden. Menschen, die zwar ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen hatten, aber von der höheren Gesellschaft als wertlos und verachtenswert bezeichnet wurden – wer nicht in die oberen Ebenen hinaufdurfte, war von Kultur und besserer Bildung weitestgehend ausgeschlossen, die einzige Schule für die Unterstadt war extrem überlaufen und schlecht ausgerüstet, Theaterstücke und Konzerte fanden seltener statt, obwohl die meisten Künstler und Schauspieler aus der Unterstadt stammten. Um einen Aufstieg zu schaffen, musste man sehr viel Willen und Ehrgeiz mitbringen und das Dreifache an Aufwand und Mühe leisten.
Die Oberstädter kamen gerne nach hier unten, um Menschen zu finden, die sie ausbeuten und benutzen konnten. Solche Leute wussten ganz genau, wie sie ihre Anwesenheit zu verschleiern hatten, sodass man ihnen nichts nachweisen konnte. Manche fühlten sich deswegen unantastbar, die Opfer zeigten die Verbrechen selten bis gar nicht an, weil sie nicht mit Gerechtigkeit rechneten. Zumal die Täter sich vorzugsweise die Illegalen raussuchten, die sich gar nicht wehren konnten.
Denn ja, zusätzlich zu den offiziell ungefähr zweihunderttausend Einwohnern von Bryalis kam noch einmal eine erkleckliche Anzahl an Illegalen dazu, die sich in den ausladenden Wäldern versteckten und ein Dasein in absolutem Elend ertragen mussten. Für sie gab es nichts, keine Sicherheit, keine Wohnung, keinen Zugang zu Nahrung, Medizin, Bildung, gesetzlichen Schutz vor Ausbeutung und Gewalt. Die Oberstädter wussten das, und beuteten die Illegalen aus, missbrauchten sie als Arbeitssklaven, für Sex, für unsagbare Experimente aller Art. Die Behörden bemühten sich nach Kräften, diese Illegalen zu finden, um sie entweder aufzunehmen, sofern die Ressourcen das zuließen, oder sie an halbwegs sichere Orte auf dem Festland zu bringen, wo sie bessere Chancen hatten als dort, von wo sie geflohen waren.
Für River war es schwierig gewesen, dies auf die bestmögliche Weise zu navigieren. Sich für die Opfer nach oben einzusetzen bedeutete, dass diese häufig mitsamt ihren Familien aufs Festland deportiert werden würden. Den Tätern die Stirn zu bieten, hätte ihn selbst und seine Familie in Gefahr gebracht. Nichts zu tun, hätte ihn den Respekt gekostet, den er sich im Laufe der Zeit bei den Unterstädtern verdienen konnte.
Er hatte also dafür gesorgt, dass die Bastarde und Perversen, die zum Vergnügen herkamen, sich nicht sicher fühlen konnten – schlichtweg dadurch, dass River von ihnen verlangte, die Verschleierungsprogramme abzuschalten und sich ordnungsgemäß tracken zu lassen. Allein mit dieser Maßnahme hatte er gemeinsam mit seinen Kollegen die Anzahl der Toten deutlich gesenkt. Die Illegalen selbst hatten sie in der Spur gehalten, indem sie ihnen Enttarnung und Deportation androhten, wenn sie sich eines Kapitalverbrechens schuldig machten. Diebstahl von Nahrung, Kleidung und Lebensmitteln hingegen wurden nicht weiter beachtet, sofern es erkennbar dazu diente, den Eigenbedarf zu decken.
Nun endlich war es also soweit. River betrat den legendären Kristallaufzug. Obwohl er wusste, dass er die Berechtigung besaß, fürchtete er sich davor, abgewiesen zu werden. Fürchtete, es könnte ein Irrtum gewesen sein, ein grausamer Scherz. Fürchtete, jemand würde lachend auf ihn zukommen und ihn auf seinen Platz verweisen. Oder schlimmer noch, ihn und seine Familie zurück aufs Festland deportieren. Einzig und allein, weil River hoch hinauswollte. Weil er nicht zufrieden mit dem war, das ihm zugestanden wurde.
Doch die Türen des Aufzugs öffneten sich willig, sobald er sein Tattoo einlas.
„Guten Tag, River“, sagte die freundliche Computerstimme. „Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung. Das Kriminalbüro erwartet dich bereits.“
Beim S.E.X.Y. von Bryalis – dem Section Executive Xenos Yard – wurden sämtliche Kapitalverbrechen der gesamten Stadt ermittelt, egal auf welcher Ebene sie stattfanden. Darunter verstand man alles, was potentiell als Bestrafung Verbannung aus der Stadt nach sich zog, was indirekt einer Todesstrafe gleichkam. Das waren schwerer Raub, schwere Körperverletzung, schwere Nötigung, sexueller Missbrauch von Kindern, Tieren und hilflosen Personen, Vergewaltigung, Totschlag, Menschenhandel, Gefährdung des Allgemeinwohls und Mord, sowie noch einige andere Straftaten.
Xenos war hier ein veralteter Begriff. Er stammte aus einer der Todsprachen der untergegangenen Kulturen und bedeutete soviel wie „Ausländer“ oder auch „fremd“. In der Gründungszeit war das Kriminalbüro ausdrücklich für Vergehen zuständig gewesen, die von Festlandsbewohnern begangen wurden, denen man die Eingliederung in eine der schwimmenden Städte erlaubt hatte. Dies war längst nicht mehr zutreffend.
Sexy stammte als Begriff vermutlich auch aus der uralten Finsterzeit. Man bezeichnete damit heutzutage Leute, die besonders ehrenhaft und gesetzestreu handelten, weswegen man die Abkürzung auch auf keinen Fall ändern wollte. Also egal ob „xenos“ noch aktuell war oder nicht, sexy war insgesamt der passende Begriff für die Kriminalermittlung.
River atmete tief durch, als die Aufzugtür vor ihm zur Seite wich und die freundliche Computerstimme ihm mitteilte, dass er sein Ziel erreicht hatte. Er wusste, der heutige Tag würde hart werden. Frustrierend, ernüchternd, unschön. Das war kein Katastrophendenken und keine Schwarzmalerei, es war ein Fakt. Niemand hatte auf ihn gewartet. Niemand wollte einen Emporkömmling in seiner Gruppe.
Und er wollte sich nicht unterkriegen lassen. Darum würde er bei seinem bewährten Konzept bleiben. Fröhlich sein. Immer lächeln. Er durfte sie nicht töten, darum würde er sie mit Freundlichkeit blamieren. Beobachten. Lernen. Mehr wissen als alle anderen. Auf diese Weise hatte er die Schule geschafft, die Ausbildung zum Polizisten, seine Zeit als Ordnungshüter in der Baumebene. Er würde damit auch alles andere schaffen!
„Er ist da“, wisperte Elena. Sie war eine hochgewachsene, athletische Mittdreißigerin mit blau gefärbtem Haar, grünen Augen und auffallend heller Haut. Ihre fein geschnittene, eindeutig asiatische Nase, dazu das eher markante Kinn, bewiesen einen gemischten Stammbaum, in dem es offenkundig wild abgegangen war. So wie es den meisten Überlebenden während der Finsterzeit ergangen war, als die Kontinente nacheinander durch Katastrophen und Kriege entvölkert wurden, von denen man heute nur noch aus Legenden und Mythen wusste, und die Überlebenden Zuflucht in den Tälern und Bergen Afrikas gesucht hatten.
Elena stoppte die Bewegungsautomatik an ihrem Steh-Schreibtisch, die ihre Füße in einem langsamen Rhythmus passiv durchbewegten. Sie alle besaßen solche Aktivmodule, um der Arbeit nachzugehen. Für über Fünfzigjährige, Kranke und schwangere Frauen hingegen gab es routinemäßig Arbeitspulte, an die man sich abwechselnd hinsetzen und auch hinstellen konnte.
„Er ist hübsch, nicht wahr?“, flüsterte sie ihrer Partnerin Ingre zu. Ingre stützte das Kinn auf und musterte den jungen Mann, der gerade vom Abteilungs-Wachroboter gescannt wurde. Sie war Anfang vierzig, kleidete sich mit Vorliebe Schwarz, seit sie von ihrer Frau geschieden war. Überhaupt war alles tiefschwarz an ihr, von den Körperfarben bis hin zu ihrem Humor.
„Halleluja“, murmelte sie. „Das ist ja wirklich ein totales Leckerchen!“
Wenn sie das sagte, musste es wohl stimmen … Ingre neigte nicht dazu, irgendetwas zu übertreiben, sie war sehr logikfokussiert. Wenn sie also meinte, dass der Neue gut aussah, dann basierte sie diese Beobachtung auf kontrollierbare Fakten. Unwillig hob Kianis den Kopf. Er wollte nicht wissen, wie sein neuer Partner aussah, und er wollte ihn ganz bestimmt nicht attraktiv finden. Eigentlich wollte er ihn bloß loswerden. Dieser Kerl war schuld, dass Kianis nicht befördert worden war. Seine Kolleginnen hatten sich mit Spott zurückgehalten, erniedrigt war er dennoch.
Als erstes fiel ihm das leuchtend rote Hemd auf, das der junge Mann trug. Wilde Rastalocken. Gebändigtes Bärtchen. Tribalmuster auf der Wange. Glitzerschmuck im Ohrläppchen. Dieser Mann versuchte nicht, sich anzupassen. Er war eine Festlandratte und er verbarg es nicht, sondern kokettierte damit. Kianis seufzte innerlich. Er hatte sich keine Gedanken gemacht, wie sein neuer, völlig unerwünschter Partner möglicherweise aussehen könnte. Insgesamt war er blind davon ausgegangen, dass er hässlich, blass, unauffällig, leise und sehr angepasst sein würde. So verhielten sich die meisten Emporkömmlinge, also diejenigen, die ausschließlich deswegen in höhere Ebenen befördert wurden, in denen sie eigentlich nichts verloren hatten, weil sie irgendwie durch das System nach oben gerutscht waren.
Er seufzte innerlich. Ja, er würde sich mit diesem Kerl natürlich auseinandersetzen müssen. Er wirkte jung und naiv, fröhlich, freundlich und insgesamt wie jemand, der sich gut als Leiter einer Kindergartengruppe machen würde. Das wäre doch ein schöner und wichtiger Beruf für jemanden wie ihn. Was zum Himmel machte er also bei der Kriminalermittlung?
Neben Kianis bewegte sich ein orange-weiß geflecktes Fellknäuel. Das war Muffin, eine Antylox-Katze. Muffin war vor knapp zwei Jahren im Gepäck einer Gruppe illegaler Einwanderer gefunden worden. Während man einem Teil der Leute einen Platz anbieten konnte, den Rest zurück aufs Festland gebracht hatte, war Muffin jedem Versuch ausgewichen, deportiert zu werden. Eine Antylox war recht klein, in der Regel höchstens so lang wie der Unterarm eines erwachsenen Mannes. Ihre Körper waren hochflexibel, sie waren extrem intelligent, sozial, besaßen lockige Mähnen, die ihren Gesichtern einen wilden Ausdruck verliehen. Wenn sie einen Menschen – oder eine Menschengruppe – als Familie akzeptiert hatte, dann konnte nichts und niemand sie von ihnen trennen. Sie bewiesen ihre Loyalität, indem sie Feinden mit ausgefahrenen, messerscharfen Klauen begegneten – oh, ihr Mut war legendär! – und sie entschieden für sich selbst, wer ein Feind war. Freunde hingegen nahmen sie mit ebensolcher Selbstverständlichkeit ins Rudel auf. Es gab nichts, was eine Antylox davon überzeugen konnte, dass irgendjemand anderes als sie selbst der Anführer des Rudels war. Menschen hielten sie für lebensunfähige Kätzchen, die beschützt werden mussten. Nur dass es diesen Kätzchen gestattet war, Mami oder Papi mit Futter zu versorgen. Scheiterte man an dieser Aufgabe, zogen die Antylox‘ aus und brachten haufenweise tote Nagetiere aus der Baumebene herbei, bis man die Kurve bekam und ihnen akzeptables Essen servierte. Da sie keineswegs brave Hauskätzchen waren, erwarteten sie allerdings auch nicht unbedingt, regelmäßig Futter zu erhalten und es war schwierig bis unmöglich, sie zu zähmen.
Muffin streckte sich, rollte aus seiner unmöglich verdrehten Position und sprang zu Boden. Er eilte auf den Neuankömmling zu, der gerade damit fertig war, die notwendigen Sicherheitsscans des Service-Roboters zu absolvieren. Gespannt sahen Kianis, Elena und Ingre dabei zu, wie Muffin auf ein Seitenregal an der Wand sprang und sich Auge in Auge mit dem Neuen niederließ. Der junge Mann verharrte vollkommen still und sah der Antylox geradewegs in die Augen. Dabei verhielt er sich klug, er starrte nicht unablässig in die bernsteingelben Tiefen, sondern hielt sanften Kontakt, blinzelte, wandte dann den Kopf zur Seite. Muffin maunzte leise. Als der Neuling die Hand nach ihm ausstreckte, rieb sich Muffin sofort mit dem Köpfchen dagegen – und sprang ihm in die Arme. Wow! So schnell hatte das sonst eher misstrauische und zurückhaltende Kätzchen noch nie entschieden, dass es jemanden mochte!
„Hallo“, sagte der Neuling, mit dem nun wie wild schnurrenden Katzenpäckchen im Arm. „Ich bin River, der Neue. Wo muss ich mich vorstellen?“
„Hey, River.“ Ingre erhob sich, sie war die Dienstälteste in ihrem Departement. Vier Kriminalermittler, die für die Schwerbrecher von Bryalis zuständig waren. Dazu kam ein handverlesenes Team von Forensikern, Spurenermittler, Psychologen, Profilern. Sie arbeiteten zudem Hand in Hand mit der Migrationsabteilung, dem Drogenlabor, der Strafverfolgung von häuslicher Gewalt, sexuellen Übergriffen und Betrugsfällen, und hielten engen Kontakt mit den Polizeiabteilungen der Unter-, Mittel- und Oberstadt.
„Ich bin Ingre, das dort ist meine Partnerin Elena. Der schmucke Junge da am Pult ist dein zukünftiger Partner Kianis. Sagt euch schon mal Hallo, und dann bringe ich dich zur Departmentleiterin. Oyai dürfte wohl schon auf dich warten.“
River begrüßte Elena artig mit einem hinreißenden Lächeln, bevor er zu ihm kam. Aus der Nähe war er noch attraktiver. Er versuchte, Muffin höher zu schieben, um die Hände freizubekommen. Die Katze war lautstark dagegen, weshalb River sich schließlich vor Kianis verneigte, statt ihn an beiden Unterarmen zu umfassen, wie es die Höflichkeit verlangte, wenn zwei Menschen zu engerem Kontakt zusammenkamen, etwa eine kollegiale Partnerschaft oder eine Geschäftsbeziehung. Wurde es noch persönlicher, begrüßte man sich mit Berührung der Wangen links und rechts. Die Unterstädter küssten sich auch ungeniert.
Kianis nickte ihm amüsiert zu, den Blick auf Muffin fokussiert.
„Hi“, sagte er. „Ich könnte heucheln, wie sehr ich mich freue, dich als neuen Partner begrüßen zu dürfen. Lass dir von den anderen erzählen, wie ich meinen alten Partner verloren habe. Ich habe kein Bedürfnis, dich näher kennenzulernen und wir wissen beide, dass du dich nächste Woche wieder in deine alte Abteilung zurückversetzen lässt. Aber es ist nett, dass Muffin dich mag. Das spricht dafür, dass du einen guten Charakter hast, und so etwas respektiere ich.“
Er wandte sich ab, froh, es hinter sich zu haben. Der arme Kerl konnte ja auch nichts dafür. Es war ein unfaires Experiment, diese landgeborenen Ansiedler in höhere Posten zu bringen. Praktisch keiner von ihnen schaffte es, sich dort zu halten. Sie besaßen nun einmal nicht die Bildung und Sozialisierung, die es dafür brauchte.
„Ah. Respekt.“ River schob sich vor ihn und zwang Kianis, ihn anzusehen. „Ja, wirklich, Respekt! Ich für meinen Teil freue mich, dass du dieses Wort kennst, und wie freundlich, mich damit zu bedenken. Falls du hoffst, mich billig loswerden zu können, muss ich dich allerdings enttäuschen. Ich habe Level 10-Mobbing in sämtlichen Phasen bis hin zum aktiven Mordversuch überstanden, um an diesen Platz zu gelangen. Wir sehen uns später, Kianis.“ Er zwinkerte ihm gespielt freundlich zu und drehte sich dann um.
Kianis starrte ihm entgeistert nach, wie River, mit der Katze im Arm, hinter Ingre einhermarschierte und durch die magnetgesteuerte Stahltür verschwand, hinter der die Departmentleiterin saß. Er wusste, was Muffins glühender Blick zu bedeuten hatte, den er ihm über Rivers Schulter hinweg schenkte.
Elena stellte sich neben Kianis und grinste breit, die Arme vor der Brust verschränkt.