Die Staatskanzlei - Bettina Raddatz - E-Book

Die Staatskanzlei E-Book

Bettina Raddatz

4,6
16,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer hat einen der Top-Beamten ermordet? Und was wird in der Staatskanzlei verschwiegen und vertuscht? Der zweite Band von Bettina Raddatz' Krimitrilogie bietet neue Blicke hinter die Fassaden der Regierungszentralen. Wie in ihrem erfolgreichen Krimierstling Der Spitzenkandidat gelingt es der Politinsiderin Bettina Raddatz auch in Die Staatskanzlei, Spannung und Unterhaltung mit authentischen Einblicken in das Innenleben der Politik zu verbinden. Führte sie im ersten Band vor allem die Intrigen innerhalb der Partei vor, so erhalten wir nun Einblicke in die Regierungszentrale mit einer spannenden, klassischen Krimihandlung um ihre beiden Protagonisten Verena Hauser und Bernd Wagner. Die Ehefrau des Opfers ist als Hauptverdächtige in Untersuchungshaft, als ein zweiter Beamter nach dem gleichen Muster ermordet wird. Alle Recherchen beginnen von vorne, die politische Klasse ist alarmiert. Raddatz' Beschreibungen werfen ein beängstigenden Bild auf die wachsende "organisierte Verantwortungslosigkeit" in den deutschen Behörden und Regierungszentralen: Skrupellosen Geschäftemachern wird das Feld überlassen. Die Autorin spricht hochbrisante aktuelle Themen wie verhängnisvolle Seilschaften zwischen Politik und Kapital sowie illegalen Organhandel an.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 495

Bewertungen
4,6 (16 Bewertungen)
11
4
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bettina Raddatz

Die Staatskanzlei

Kriminalroman

Bettina Raddatz

Die Staatskanzlei

Kriminalroman

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printed in Austria

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

1. Auflage 2012© 2012 by Braumüller GmbHServitengasse 5, A-1090 Wienwww.braumueller.at

Covermotiv: istockphoto / © Alex NikadaISBN der Printausgabe: 978-3-99200-058-6

E-Book-Ausgabe © 2012ISBN 978-3-99200-061-6

Handlung und Personen sind frei erfunden, jede Übereinstimmung mit lebenden Personen wird ausgeschlossen.

Prolog

NOVEMBER 2010HEMMINGEN BEI HANNOVER

Die Frau in dem schwarzen Golf spürte die klamme Kälte nicht. Ihre ganze Konzentration galt der Eingangstür in dem Haus gegenüber. Wenige Sekunden noch, dann würde die grelle Gartenbeleuchtung angeknipst werden und die korpulente Frau mit dem Gang einer Watschelente in der Haustür erscheinen. Das war jeden Abend so, immer um Viertel nach acht. Ihren übergewichtigen Dackel hinter sich herziehend würde sie den matschigen Fußweg Richtung Sportplatz einschlagen.

Der graue Nerzmantel der Frau wirkte zerschlissen. Der karierte Wollschal des Dackels sah dagegen neu aus. Als Frauchen und Hund aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, verließ sie ihr Auto und ging zum Nachbarhaus. Sie schaute sich um. Die Straße war menschenleer. Mit einem großen Schritt zur Seite wich sie dem Hundekot aus, eine unschöne Hinterlassenschaft des Dackels von nebenan. Das schiefe Holztor der Gartenpforte knarrte, es musste geölt werden. Das grelle Licht der Straßenlaterne war zu weit entfernt, um das Grundstück zu beleuchten, das sie in diesem Moment betrat.

Im Vorgarten bot der mannshohe, sperrige Wacholderbusch Schutz. Mit einem Griff in die rechte Manteltasche vergewisserte sie sich. Die Sauer Backup fühlte sich eisig kalt an. Der Klingelton ihres Handys ließ sie zusammenzucken. Sie drückte ihre Mutter weg. Auch ohne sich zu vergewissern, wusste sie, wer es war. Niemand sonst rief sie an. Sie wollte keine Kontakte, hatte genug mit sich selbst und den nächtlichen Besuchern zu tun.

Inzwischen war fast eine Stunde vergangen und die mollige Nachbarin nebst übergewichtigem Dackel längst wieder in ihrem sicherlich wohlig warmen Haus verschwunden. Die Gartenbeleuchtung hatte die Alte ausgeschaltet. Totale Dunkelheit umhüllte sie. Der Ostwind trieb ihr Tränen in die Augen. Seit Tagen piesackte das Sturmtief Susanne die Bürger der niedersächsischen Tiefebene. Vielleicht hätte sie besser im Auto auf ihn warten sollen. Dann endlich, ihre Füße fühlten sich wie Eisklumpen an und ihre Hände waren trotz der Handschuhe verfroren, kam er die Straße entlanggeschlurft. In Gedanken versunken, die Aktentasche prall gefüllt, betrat er das Grundstück und knipste das Licht an der Gartenpforte an.

Haus und Garten wirkten vernachlässigt. Den Hausbesitzer schien es nicht zu stören, er lebte für seine Arbeit. Auch die Abende verbrachte er fast immer am Schreibtisch. Dass er seit Wochen beobachtet wurde, hatte er nicht bemerkt. Sie lächelte bei dem Gedanken, dass die Arbeit, die er mit nach Hause gebracht hatte, niemals beendet werden würde. Jedenfalls nicht von ihm. Während er den Schlüssel in die Haustür steckte, trat sie leise hinter dem Busch hervor.

Er zuckte zusammen, als er die Pistole in seinem Rücken spürte. Ihre Stimme klang fest. „Kein Wort, sonst knall ich dich ab.“ Er stammelte ihren Namen. Fragend und dennoch in dem Wissen, dass keine Antwort kommen würde. Sie konnte die Angst förmlich riechen. Ein merkwürdiges Gemisch aus Schweiß und Urin. Er ahnte, was ihm bevorstand. Ihm, dem hochmütigen, kaltschnäuzigen Spitzenbeamten, dem niemand etwas anhaben konnte. So hatte er es zumindest geglaubt. Bis zu diesem Moment. Sie folgte ihm ins Haus, das er zum letzten Mal in seinem Leben betreten sollte.

1

HANNOVER

Gewaltverbrecher zur Strecke zu bringen, darin war Verena Hauser richtig gut. Selbst ihre größten Neider beim Landeskriminalamt, kurz LKA genannt, stellten das nicht in Abrede. Wenn es allerdings darum ging, den inneren Schweinehund zu überwinden, sah die Sache anders aus. Auch heute wieder. Bis Weihnachten keinen Tropfen Alkohol mehr, hatte sie sich ganz fest vorgenommen. Als sie den Vorsatz gefasst hatte, war das Wetter allerdings nicht annähernd so scheußlich wie an diesem Novemberabend. Sturm und Kälte, eine ungemütliche Mischung. Besonders wenn es niemanden gab, mit dem man kuscheln konnte.

Widerstrebend ging sie zum Wandschrank, in dem die Minibar eingebaut war. Wie zufällig streifte ihr Blick den schmalen Wandspiegel. Die kleinen Falten um die Augen und die Mundwinkel herum waren in den letzten Wochen tiefer geworden, eine unschöne Folge von Überstunden in stickiger Büroluft. Sie sah keinen Tag jünger aus als vierzig. Wenige Monate noch, dann war es so weit. Sie würde ihren Geburtstag nicht feiern. Seitdem ihre Beziehung mit Franz gescheitert war, gab es wenig Grund zum Feiern in ihrem Leben. Franz hätte eine Riesenfete für sie ausgerichtet. Der teuerste Partydienst, musikalische Untermalung, ein Bauchredner, an nichts hätte er gespart. Für den Inhaber einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit Steuerberatung spielte Geld keine Rolle. Es gab immer genug.

Ihr Blick fiel aus dem Fenster. Die kahlen Bäume vor ihrem Wohnzimmer bogen sich im Sturm. Ein lausiges Wetter. Winter in der norddeutschen Tiefebene müsste verboten werden. Mit dem gut gefüllten Weinglas fläzte sie sich auf das Sofa, griff nach der Fernbedienung, zappte sich durch das Programm. Nach fünf Minuten gab sie frustriert auf.

Das Glas war schnell leer. Unversehens hatte der Rest der Flasche den Weg ins Glas gefunden. Mit dem zweiten Glas besserte sich ihre Stimmung. Eigentlich hatte sie keinen Grund zur Betrübnis. Als Dezernentin beim LKA hatte sie beruflich mehr erreicht, als viele Frauen von sich sagen konnten. Ein krisenfester Job war in der heutigen Zeit Gold wert. Sie war gesund und konnte eine gemütliche Wohnung ihr Eigen nennen. Alles im grünen Bereich also und dennoch nagte in letzter Zeit das Gefühl an ihr, dass es in ihrem Leben nicht rund lief.

Damals, als Franz sie aus seinem Leben und seiner feudalen Stadtvilla in Isernhagen-Süd, einem Villenvorort von Hannover, katapultiert hatte, hatte sie das tiefe Loch, das sich vor ihr auftat, ignoriert. Eine kurze, heftige Affäre mit einem Kollegen aus der Polizeidirektion hatte sie abgelenkt, ihre Arbeit auch.

Vor einigen Wochen, ein banaler Anlass hatte den Ausschlag gegeben, war sie aus heiterem Himmel in eine Sinnkrise gestürzt. Es war einer jener grässlichen Sonntage, die für Singles jenseits der dreißig eine schwere Prüfung sind. Was tun, wenn es draußen stürmt und regnet und der Gedanke, die warme Wohnung zu verlassen, genauso unerträglich ist wie das Alleinsein? Pest oder Cholera? Sich aufraffen, irgendwohin gehen, verfolgt von mitleidigen Blicken, oder in den eigenen vier Wände bleiben und die ganze Zeit hoffen, dass das Telefon klingelt? Das Telefon hatte nicht geklingelt, sie war den ganzen Tag mit sich und ihrer trübseligen Stimmung allein geblieben. Und sie wusste, dass sich solche Tage häufen würden. Tage, an denen die Angst sie umtrieb. Angst vor dem Alleinsein, Angst vor dem Alter, Angst, das Leben zu verpassen.

Nach der Tagesschau war doch noch Besuch gekommen. Ihr Kollege und Freund Stollmann hatte auf dem Rückweg von einem Wochenendausflug Durst verspürt und sich auf ein Glas Wein bei ihr eingeladen. Warum konnte sie sich nicht in einen wie Stolli verlieben? Es hatte Zeiten gegeben, da war er interessiert, doch damals war sie noch mit Franz liiert gewesen. Zugegeben, an manchen Tagen sah er aus wie ein Penner. Auf Äußerlichkeiten gab er nichts. Ihn küssen, sie konnte es sich nicht vorstellen. Und mehr schon gar nicht.

In ihre Gedanken hinein klingelte das Telefon. Ihre beste, da einzige Freundin Dagmar wollte sich bei ihr ausweinen. Zoff mit ihrem Mann. Danach fühlte Verena sich besser.

Gegen Mitternacht ging sie beschwipst ins Bett. Vor ihr lag ein freier Tag. Ausschlafen war angesagt und nicht in aller Herrgottsfrüh in ihrem ungemütlichen Büro aufschlagen. Auch über das Wetter, über eine Erkältung oder über beides murrende Kollegen blieben ihr erspart.

Nach zwei Stunden war es mit der Nachtruhe vorbei. Sie wachte schweißgebadet auf. Das passierte in letzter Zeit häufiger. Doch nicht etwa die Wechseljahre? War sie nicht zu jung dafür? Tiefe, langsame Atemzüge halfen nicht. Die Grenze zwischen Schlafen und Wachsein war überschritten. Schlaflosigkeit war ein treuer Begleiter ihrer Nächte geworden. Erst gegen Morgengrauen fiel sie schließlich in einen unruhigen Schlaf, der ihr einen unangenehmen Gast bescherte: eine dicke graue Ratte, die in ihr Bett krabbelte und an ihrem Schlafanzug knabberte. Sie kämpfte verzweifelt mit dem Ungeheuer, als ihr Handy sie aus dem Albtraum erlöste. Ein Blick auf den Wecker zeigte ihr, dass es kurz vor halb acht war. Sie vermutete ihre Mutter. Am anderen Ende meldete sich eine männliche Stimme. Ihr Kollege Stollmann. Noch im Halbschlaf dachte sie, den freien Tag kann ich abhaken.

„Na, Verena, noch geträumt, während unsereins Dienst schieben muss?“ Stollmann hatte in dieser Nacht vertretungsweise die Leitung des mobilen Einsatzkommandos 1 (MEK 1) übernommen. Er hatte schlechte Nachrichten.

„Ein Beamter der Staatskanzlei ist erschossen worden, ein hohes Tier. Ministerialdirigent. Er heißt Alexander Heise. Seine Zugehfrau hat ihn um halb sieben tot in seinem Haus aufgefunden. Du sollst sofort zum Tatort kommen. Hemmingen, am Sportfeld, eine kleine Stichstraße, die …“

„Ich weiß, wo das ist“, unterbrach Verena ihn. Ihre Freundin wohnte nur zwei Straßen weiter.

Ihr letzter Mordfall lag gerade erst drei Wochen zurück. Eine junge Frau war von ihrem Freund vergewaltigt und erdrosselt worden. Und ihr Schreibtisch war randvoll mit Routinefällen.

„Wieso ausgerechnet ich?“, murrte sie. „Ich hatte den letzten Mordfall im LKA. Warum nicht Hirschmann oder meinetwegen der Leiter des MEK 1?“

„Weil der Direktor es so entschieden hat. Also pronto, pronto, schöne Frau. Setz deinen knackigen Hintern in Bewegung!“ Er nannte Verena noch die Hausnummer, bevor er auflegte.

Knackiger Hintern? Das war einmal, dachte Verena, bevor sie sich einer eiligen Katzenwäsche unterzog. Jeans und Pullover vom Vortag lagen noch auf dem Badezimmerstuhl, beides nicht mehr ganz sauber. Tote achten nicht auf den Dresscode, sagte sie sich. Hastig trank sie im Stehen ein viel zu kaltes Glas Orangensaft. Ihr Magen würde es ihr irgendwann heimzahlen. Auf dem Weg zu ihrem Auto, das sie in Ermangelung einer eigenen Garage auf der Straße geparkt hatte, aß sie ein trockenes Knäckebrot. Es schmeckte muffig. Verenas knallroter BMW Z3, ein Geschenk von Franz, fiel unter den anderen Fahrzeugen ins Auge. In der ersten Wut hatte sie ihn zurückgeben wollen. Jetzt freute sie sich, dass sie ihn behalten hatte.

2

HEMMINGEN

Stopp-and-go auf dem Südschnellweg. Ein liegen gebliebener Lastwagen. Sie brauchte zu der angegebenen Adresse vor den Toren der niedersächsischen Landeshauptstadt länger als erwartet. Die schmale Straße war voller Autos: Polizeifahrzeuge, vor der Garage von Heises Haus eine schwarze Audi-Limousine mit dem Kennzeichen der Landesregierung, dahinter ein Übertragungswagen des Fernsehsenders Niedersachsen TV und mehrere Zivilfahrzeuge, vermutlich von Journalisten. Vergeblich suchte sie nach einer Parklücke und fuhr schließlich genervt ans Ende der Straße. Als Stellplatz musste der Wendeplatz herhalten.

Draußen empfing sie eisig kalter Wind. Wann verdünnisierte sich das Sturmtief endlich? Vor der Absperrung des Hauses standen Menschen, die sie neugierig musterten. Bianca Fröhlich, Journalistin der Allgemeinen Niedersachsenzeitung stürzte auf sie zu. Die langen schwarzen Haare waren unter einen Wollmütze versteckt. Trotz des dicken Anoraks sah die junge Redakteurin verfroren aus. „Werden Sie die Ermittlungen leiten, Frau Hauser? Und stimmt es, dass Ministerialdirigent Heise erschossen wurde?“

Verena Hauser war keine Unbekannte in der Landeshauptstadt, Bianca Fröhlich die rechte Hand von Max Hollmann, Redakteur für alles Politische in der Landeshauptstadt. Auch wenn sie an unterschiedlichen Fronten arbeiteten, respektierten die beiden Frauen einander. Jetzt war jedoch nicht der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch. Mit den Worten „jetzt nicht“ schlängelte sich die Polizeibeamtin an der Journalistin vorbei.

Zwei missmutig aussehende Polizisten, der Ältere mit Schniefnase und entzündeten Augen, bewachten die Eingangstür des unscheinbaren Bungalows, der einen neuen Anstrich nötig hatte. Der Erkältete erkannte sie und grüßte ehrerbietig. Im Hause war lange nicht gelüftet worden. Stollmann war in ein Gespräch mit einem distinguiert wirkenden weißhaarigen Herrn vertieft. Der Mann war riesig, ihr ein Meter dreiundachtzig langer Kollege musste zu ihm aufschauen. Als er Verena bemerkte, verdrehte er die Augen. Seine Art, ihr zu bedeuten, dass ihm sein Gegenüber „gewaltig auf den Keks ging“, wie Stolli sich bei solchen Gelegenheiten auszudrücken beliebte. Der Riese mit den schlohweißen Haaren stellte sich als Staatssekretär Haders und Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei vor. Sein Händedruck war feucht und lasch.

„Die Leute von der KOST sind schon da, sogar Inga höchstpersönlich“, sagte Stollmann an Verena gerichtet und zeigte in das Zimmer am Ende des Flurs. Die Leiterin der KOST, Inga Schulz, war neben Verena die einzige weibliche Führungskraft in der Behörde. Sie konnten gut miteinander. Auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren. Ihr Kollege machte sich nicht die Mühe, dem Staatssekretär zu erklären, dass KOST die Abkürzung für die Koordinierungsstelle Kriminaltechnik des LKA war. Das war typisch für Stolli. Ranghöheren Beamten zeigte er gerne die kalte Schulter. Seine Sympathien galten den Menschen, die das Glück nicht gepachtet hatten und auf der Karriereleiter am unteren Ende standen. Sein Einsatz für Benachteiligte hatte ihm manches Mal Ärger mit der vorgesetzten Dienststelle eingebracht.

Inga, die über der Leiche hockte, war nicht erfreut, sie zu sehen. Ihre Stimme klang gereizt. „Komm ja nicht zu nahe, Verena, wir haben gerade erst angefangen.“

Auf dem Parkettboden lag in einer Blutlache ein stattlicher Mann um die fünfzig. Das volle dunkle Haar war akkurat geschnitten, die Gesichtshaut trotz der Blutleere gebräunt. Die schwarzen Augen waren weit geöffnet. Angst, Panik, Entsetzen? Die Leichenstarre war bereits eingetreten. Im Nähertreten bemühte sich Verena, den unangenehmen Geruch zu ignorieren. Vermutlich ohnehin nur Einbildung. Für sie rochen alle Leichen ekelig, selbst wenn es noch nichts zu riechen gab.

„Muench nicht hier?“, erkundigte sie sich nach dem Gerichtsmediziner.

Inga schaute genervt zu ihr hoch.

„Der ist schon wieder weg. Er war, wie immer, die Hektik in Person. Sobald wir fertig sind, bekommt er unseren Kunden, um ihn auf Herz und Nieren zu überprüfen. Die Todesursache steht bereits fest. Muench meinte, der Täter hätte sich die zweite Kugel sparen können. Die erste ist in die rechte Herzkammer eingedrungen und hat vermutlich zum sofortigen Tod geführt. Die Projektile konnten wir sicherstellen. Der Mord muss irgendwann gestern Abend passiert sein.“

„Die Frau, die ihn gefunden hat. Was ist mit der? Kann ich mit ihr reden?“

„Heises Putze? Die war nicht ansprechbar. Der Notarzt hat sie ins Friederikenstift mitgenommen, vermutlich ein Trauma. Vor morgen kriegst du aus der nichts raus, wenn überhaupt.“

„Mann, pass doch auf!“, herrschte sie ihren Mitarbeiter an, der Spuren sicherstellte und sie versehentlich geschubst hatte. Verena musste es ausbaden. „Besser, du verziehst dich“, wurde sie unwirsch aufgefordert. „Du stehst hier nur im Weg. Den Staatssekretär habe ich auch schon rausgeschmissen. Er wollte sich aufspielen. Aber nicht mit mir.“

Ihre Kollegin war nicht nur tüchtig, sondern auch resolut. Beides trug nicht zu ihrer Beliebtheit in der männlichen Kollegenschaft bei. Auch das schweißte sie zusammen. Sie waren beide Außenseiter. Verena warf einen letzten Blick auf den Toten. Er sah nicht wie ein Ministerialbeamter aus, eher wie ein in die Jahre gekommener Fitnesstrainer.

Der Staatssekretär war verschwunden, Stollmann redete in sein Handy. Nichts Angenehmes, wie Verena den Wortfetzen entnahm. Offenbar ging es mal wieder um seine Scheidung. Ein düsteres Kapitel im Leben ihres Kollegen. Nachdem er das Telefonat beendet hatte, wandte er sich Verena zu. „Ätzend, die raffgierige Anwältin meiner Ex. Ganz zu schweigen von dem blasierten Staatssekretär. Ich frag mich immer wieder, wie solche Typen es schaffen, Spitzenpositionen zu ergattern. Stell die vor: B 9! Er verdient doppelt so viel wie wir.“

„Wenn du auf Geld und Karriere scharf bist, hättest du beizeiten in eine Partei eintreten sollen. Aber das hätte dir auch nicht gepasst. Du pochst doch bei jeder Gelegenheit auf deine Eigenständigkeit. Was wollte der Staatssekretär überhaupt hier?“

„Sich wichtig tun, von der Journaille wahrgenommen werden. Was weiß ich. Sag, Verena, nimmst du mich mit deinem schnittigen Schlitten mit? Die MEK-Leute bleiben noch. Sie wollen sich in der Nachbarschaft umhören. Vielleicht hat jemand den Schuss gehört.“

„Ja, klar. Im Moment können wir hier nichts beschicken. Du kennst ja Inga. Sie fühlt sich behindert, wenn sich jemand, der nicht der Spusi angehört, der Leiche auf zwanzig Meter nähert.“

Stollmann war schlecht drauf. Während der Fahrt ins Präsidium schimpfte er. Dass er bei seiner Suche nach Süßigkeiten in ihrem Handschuhfach nicht fündig wurde, erhöhte seinen Ärger. „Ich bin vom Pech verfolgt. Erst ein Anruf der beknackten Anwältin meiner Ex, dann der eitle Fatzke von Staatssekretär. Vermutlich steht als Nächstes der Innenminister auf der Matte.“

Abfällige Bemerkungen über Politiker folgten. Verena hörte nur mit halbem Ohr zu. Wenn Stollmann sich in Rage redete, unterbrach man ihn besser nicht. Das forderte seinen Widerspruch heraus und verlängerte die ihr hinlänglich bekannten Tiraden. Auch wenn er in vielem recht hatte, es galt einen Mord aufzuklären. Das musste jetzt im Vordergrund stehen. In Gedanken entwickelte sie ihre Strategie für die nächsten Stunden. Die ersten Stunden nach einem Mord waren entscheidend: die richtigen Weichen stellen, bloß nichts übersehen und vor allem ein Gespür entwickeln.

„Sie sind wie ich, Sie haben eine hoch entwickelte Intuition“, hatte ihr früherer Chef sie auf seiner Abschiedsfeier gelobt. In letzter Zeit zweifelte sie manchmal, ob es mit ihrer Intuition wirklich so weit her war. So viel stand jedenfalls fest: Was das männliche Geschlecht betraf, war das Gegenteil der Fall.

3

HANNOVER

Der Parkplatz des LKA war wieder einmal brechend voll. Verena parkte ein anderes Auto zu und legte die Parkkarte mit ihrer Telefonnummer gut sichtbar auf die Ablage. An der Fahrstuhltür das obligate „Außer Betrieb“-Schild. Stolli verzog sich grummelnd in Richtung Kantine. Vier Treppen mit achtzig Stufen lagen vor ihr, gut für ihre Figur und für ihre in letzter Zeit bedenklich nachlassende Kondition. Oben angekommen schnappte sie nach Luft. Mehr Sport war dringend angesagt. Kaum hatte sie, noch immer außer Atem, ihr Büro betreten, stürmte Petra Schramm herein. Die Kriminalinspektorin zur Anstellung war vor drei Wochen in Verenas Dezernat für Sonderermittlungen versetzt worden. Der erste Mordfall sorgte für Aufregung.

Seitdem die junge Kollegin zu Verenas Team gehörte, tummelten sich auffällig viele männliche Kollegen in den Büroräumen ihres Dezernats. Ihrer neuen Assistentin, die großen Wert auf ihr Äußeres legte, gefiel das. Ein Grund mochte sein, dass ihre Verehrer ausnahmslos im Dienstrang höher gestellt waren. Verena fand das ständige Kommen und Gehen weniger lustig. Man musste ihrer neuen Mitarbeiterin zugutehalten, dass sie wissbegierig und eifrig war. Sie bot Verena gleich am ersten Tag an, sie zu duzen. Die beiden Frauen trennten fast zwanzig Jahre.

Jetzt sprudelte es aus ihrer Assistentin heraus.

„Das Vorzimmer des Direktors hat schon zweimal nach Ihnen gefragt, Chefin. Herr Ritter will Sie umgehend sprechen. Nach Stollmann hat er auch fragen lassen. Irgendeine Sache mit Europol.“

„Herr Stollmann ist in der Kantine. Lauf runter und sag ihm Bescheid. Sein Handy wird ausgeschaltet sein, er wollte frühstücken.“

„Und ich soll das tun?“ Der hübsche Schmollmund beeindruckte Verena nicht.

„Siehst du noch jemanden im Raum?“

Statt einer Antwort drehte Frau Schramm sich auf dem Absatz um und stürzte davon. Allein gelassen griff Verena nach ihrer Handtasche. Der neue Direktor war ein gut aussehender Mann. Nicht besonders groß, aber stattlich, volles Haar und stahlblaue Augen. Mit seinem zurückhaltenden, bestimmten Auftreten strahlte er Autorität aus, ohne überheblich zu wirken. Sie hatte sich auf Anhieb zu ihm hingezogen gefühlt.

Der Blick in den Taschenspiegel bereitete ihr alles andere als Vergnügen: Die Falten um den Mund herum hatten seit gestern Abend an Schärfe gewonnen, ihre grünen Augen, ihr größtes optisches Plus, wirkten heute mausgrau. Der rote Lippenstift sorgt für Farbe. Vermutlich war ohnehin alles für die Katz. Ein attraktiver Mann wie Jürgen Ritter konnte ganz andere Frauen haben. Jüngere und hübschere. Frauen, die nicht in die Kategorie „entsorgte Lebenspartnerin“ gehörten.

Das Lächeln, mit dem der Direktor sie begrüßte, sorgte für vorübergehendes Herzrasen bei Verena. Es kursierten viele Gerüchte über ihn. Eines lautete, dass er beim Hamburger Innensenator in Ungnade gefallen und gezwungen worden sei, die Hansestadt mit Weltstadtflair gegen die von den Hanseaten als miefige Provinzhauptstadt belächelte Landeshauptstadt einzutauschen. Ein anderes besagte, dass er aus privaten Gründen in die Provinz geflüchtet sei. Seine Frau war kürzlich verstorben.

Sie glaubte seine Augen bei ihrem Anblick kurz aufblitzen zu sehen. Vielleicht war es nur Einbildung, vielleicht auch mehr. Sollte ihr Interesse auf Gegenseitigkeit beruhen? Nichts wünschte sie sich mehr.

Er bot ihr mit einer einladenden Geste Platz an. Dann wollte er ihre ersten Eindrücke vom Tatort hören. Viel hatte sie nicht zu berichten. Dass es eine Soko geben und sie die Leiterin sein würde, war bereits entschieden.

Er reichte ihr eine Liste mit zwanzig Namen. „Neben Ihnen und Stollmann soll Kriminaldirektor Hirschmann als Führungskraft der Soko Heise angehören. Der Innenminister höchstpersönlich hat darauf bestanden. Er schließt nicht aus, dass der Mord auf das Konto politischer Terroristen geht. Die Regierung wurde in letzter Zeit von radikalen Tierschützern bedroht. Auch islamistische Fundamentalisten hält er für möglich.“

Es hätte der Erklärung nicht bedurft. Dass Kriminaldirektor Hirschmann über beste Kontakte ins Innenministerium verfügte, war allgemein bekannt. Außerdem leitete er das Dezernat für politisch motivierte Ausländerkriminalität und Islamismus. Ihr Vorschlag, dem ranghöheren Kollegen die Leitung der Soko zu übertragen, war dennoch nicht willkommen. Der Direktor hielt an seiner Entscheidung fest.

Die anderen Namen auf der Liste: drei Beamte des gehobenen Dienstes, der Rest mittlerer Dienst, darunter ein Querulant und zwei notorische Arbeitsverweigerer. Sie legten enorme Kreativität an den Tag, wenn es darum ging, sich vor Arbeit zu drücken. Ihre Krankenstandszeiten waren überdurchschnittlich hoch, ihre Arbeitsleistungen tendierten gegen null. In der Privatwirtschaft wären sie längst geflogen, im öffentlichen Dienst mogelten sie sich durch.

Ritters stahlblaue Augen verwirrten Verena. Sie zwang sich, seinem Blick auszuweichen. „Pressekonferenz noch heute? Wir werden kaum etwas sagen können. Frau Schulz und ihre Leute sind noch am Tatort, die Obduktion durch die Gerichtsmedizin steht noch aus“, gab sie zu bedenken.

Ritter widersprach. „Wir können der Presse mitteilen, dass Alexander Heise aus nächster Nähe erschossen wurde. Bisher gehen die Medien vermutlich von Selbstmord aus, denken an Burn-out oder Depressionen. Der Minister möchte vermeiden, dass sich dieser Eindruck festsetzt.“

Sein Ton ließ keinen Zweifel aufkommen. Widerspruch war zwecklos. Verena sagte widerstrebend ihre Teilnahme zu. In ihrem Büro glühte Frau Schramm vor Neugier. Verena gab ihr die Liste. Die erste Sitzung der Soko Heise sollte in einer Stunde stattfinden, genug Zeit für ihre aufgeregte Mitarbeiterin, die Leute zusammenzutrommeln.

4

Das Büro des Pressesprechers der Landesregierung mit Ausblick auf den Innenhof gehörte zu den schönsten in der Staatskanzlei. Die weiß lackierten Designermöbel, ein Geschenk eines niedersächsischen Möbelherstellers im Hochpreissegment, waren ursprünglich für den Regierungschef bestimmt. Als der nach einem Urlaub in der Toskana eine neue Ausstattung im mediterranen Stil verlangt hatte, waren die wertvollen Möbelstücke im Büro des Regierungssprechers gelandet. Die farbenfrohen Ölgemälde in kräftigen Rot- und Gelbtönen, die die Wände schmückten, hatten das gleiche Schicksal erlitten. Der Künstler war ein Freund des Regierungschefs. Dass seine Gemälde dennoch aus seinem Büro verbannt worden waren, war einer Liaison des Ministerpräsidenten mit einer Aquarellmalerin geschuldet. Die Affäre war nach wenigen Wochen beendet. Die Aquarelle, die ein empfindliches Loch in den Etat für Bürobedarf der Staatskanzlei gerissen hatten, eine kostspielige Hinterlassenschaft. Wagner hatte den Verdacht, dass sein Chef die Bilder längst über war, sich aber angesichts der hohen Ausgaben dafür nicht traute, sie entfernen zu lassen.

Der aufreibende Job des Regierungssprechers ließ dem Pressesprecher wenig Zeit, das Ambiente seines luxuriösen Büros zu genießen. Nicht, dass er seinen Job nicht mochte. Das Gegenteil war der Fall. Er verdiente fast doppelt so viel wie zuvor als Politikredakteur der Friesenzeitung. Und es war niemals langweilig. In den knapp drei Jahren als Regierungssprecher war Wagner so viel herumgekommen wie vorher in seinem gesamten 34-jährigen Leben nicht. Auf Auslandsreisen war er stets dabei, bei Kabinettsitzungen sowieso und selbst bei den streng geheimen Klausurtagungen der Landesregierung. Und es war immer etwas los. Besonders die Scharmützel, die sich sein Chef mit dem Bundeskanzler lieferte, sorgten für Spannung. Nach Wagners interner Statistik stand es 5 : 4 für den Ministerpräsidenten.

Es gefiel ihm, die Politik der Landesregierung zu verkaufen. Die Bürgerpartei stand ihm politisch nahe und er schätzte den Regierungschef, nicht nur als Politiker. Allerdings erwies sich sein Job in letzter Zeit als schwierig. Es bedurfte erheblicher Kreativität, Erfolgsgeschichten zu inszenieren, obwohl es keine gab. Im achten Jahr ihrer Regierung bestimmten Ideenlosigkeit und Amtsmüdigkeit das Bild. Nur der trotz häufiger Krisensitzungen anhaltende Koalitionsstreit sorgte für ungewollte Abwechslung.

Wagner war der engste Vertraute des Regierungschefs. Ihm gegenüber nahm sich der Chef kein Blatt vor den Mund. Weder das Kabinett noch die Ministerriege blieben von seiner beißenden Kritik verschont. Selbst der Parteivorsitzenden Alfred Bitter, Albi genannt, fand vor seinen Augen wenig Gnade. Ein politisches Fossil wie Albi passe nicht in die heutige Zeit, hatte der Ministerpräsident seinem Regierungssprecher mehr als einmal kundgetan. Keiner kannte die wahren Gedanken des Regierungschefs so gut wie Wagner. Das Vertrauen adelte ihn, stattete ihn mit Macht aus, die für einen Beamten ungewöhnlich war. Wagner wusste damit umzugehen. Dass sein launischer Chef ihm jederzeit das Vertrauen entziehen konnte, war ihm immer gegenwärtig.

Einer der Gründe, weshalb Wagner das uneingeschränkte Wohlwollen seines zu cholerischen Ausbrüchen neigenden Vorgesetzten genoss, war neben seiner uneingeschränkten Loyalität die Tatsache, dass er, obwohl selbst Journalist, die verbalen Attacken gegen die „Wadenbeißer, Schmeißfliegen und Vollblödidioten“, wie der Ministerpräsident Journalisten zu bezeichnen pflegte, mit Himmelsgeduld ertrug.

Und dann waren da noch die ständigen Affären seines Chefs. Von Wagner wurde erwartet, dass er Ohren und Augen offen hielt und die Feuerwehr spielte. Niemand sollte davon erfahren. Anfänglich hatte der Regierungssprecher sich darüber amüsiert, dann war Ernüchterung eingetreten. War es Torschlusspanik, die den Endfünfziger antrieb? Die Ehefrau schienen die Eskapaden ihres Mannes nicht zu stören. Die vorbildliche fast dreißigjährige Ehe war ohnehin nur eine Fassade, die für die Öffentlichkeit ihren Sinn erfüllte.

Die Ermordung eines hohen Beamten der Staatskanzlei stellte den Regierungssprecher vor völlig neue Herausforderungen. Und ausgerechnet heute fühlte er sich hundsmiserabel. Kopfschmerzen und Schwindel vernebelten sein Hirn.

Der Absacker am Vorabend mit seinem Freund Max Hollmann von der Allgemeinen Niedersachsenzeitung war außer Kontrolle geraten. Erst weit nach Mitternacht war er nach dem Verzehr von Gänsebrust mit Rotkohl und Klößen, heruntergespült mit anderthalb Flaschen Rotwein und zwei Weizenkorn, nach Hause gewankt. Eigentlich war Wagner auf Diät, er musste abnehmen. Immerhin hatte er dieses Mal drei volle Tage durchgehalten, bis gestern Abend. Jetzt hämmerte sein Kopf, als ob drei Presslufthammer gleichzeitig auf ihn einschlagen würden.

Seinem Freund ging es an diesem Vormittag vermutlich auch nicht besser. Sonst wäre er längst hier aufgeschlagen. Wenn irgendwo im Großraum Hannover etwas los war, das mit Politik zu tun hatte, Hollmann stand auf der Matte. Und die Ermordung eines ranghohen Regierungsbeamten war ein höchst politischer Vorgang. Allein die Tatsache, dass Heise die Politische Abteilung des Regierungschefs geleitet hatte, gab Anlass zu Spekulationen. Spekulationen, die die Regierung gerade jetzt nicht gebrauchen konnte.

Die Arbeitslosenzahlen waren im letzten Halbjahr gegen den Bundestrend gestiegen, das Haushaltsloch auch und die Lehrergewerkschaften spielten verrückt. Von den Frauenverbänden unter Führerschaft der schrillen Peters, die immer lautstärker die Quote auf allen Führungsebenen von Politik und Wirtschaft forderten, ganz zu schweigen.

Das jüngste Techtelmechtel seines Chefs mit der schönen Frau Stigler aus dem Vorzimmer von Alexander Heise gehörte auch nicht gerade zu den Erfolgsmeldungen der Landesregierung. Noch hatte kaum jemand von der Sache Wind bekommen, trotzdem war das Ganze mehr als delikat. Der Vorfall am Rande der vorgezogenen Nikolausfeier im Gästehaus der Landesregierung war zweifelsohne schlagzeilenträchtig. Sex mit einer Untergebenen, dazu fast dreißig Jahre jünger, die Medien würden sich mit Wonne darauf stürzen.

Der Chef hatte abgewiegelt. „Ich hatte zu viel getrunken und wollte mich kurz hinlegen. Wozu ist das Appartement im Gästehaus gut, wenn nicht für solche Fälle, Wagner? Die Stigler ist eine gestandene Frau und freiwillig mitgekommen. Sie wird wissen, was sie tut. Außerdem geht es niemanden etwas an, außer meine Frau vielleicht, aber die …“ Der Satz blieb unvollendet. Wie in solchen Fällen üblich. Um Ausreden war er nie verlegen.

Wagners Erinnerung war eine andere. Von wegen freiwillig. Der Ministerpräsident hatte sich an sie rangemacht und dann vorgeschlagen, sich für eine Weile zurückzuziehen. Eines Tages würden die ständigen Frauengeschichten den Regierungschef in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Wagner fühlte sich verpflichtet, seinen Chef vor sich selbst zu schützen. Aber der wollte es nicht zulassen.

Und jetzt ein Mord in der Staatskanzlei! So etwas hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben. Ohne Rücksprache mit dem Chef würde Wagner keinen Mucks von sich geben. Sollte die Journaille Amok laufen und sein Vorzimmer mit Mails und Telefonaten bombardieren. Kommentare zu Mordfällen waren Neuland für ihn und als Regierungssprecher konnte man sich schnell die Finger verbrennen.

Wo blieb der Ministerpräsident bloß? Von der Bundeshauptstadt nach Hannover mit Blaulicht und Tempo 210 brauchte der Fahrer nicht länger als anderthalb Stunden. Wagner hatte oft genug Blut und Wasser auf der Rückbank des Dienstwagens geschwitzt, während sein Chef ungerührt vom waghalsigen Tempo des Fahrers Akten studierte oder telefonierte.

Er rappelte sich auf, um seine Sekretärin um extra starken Kaffee zu bitten, als die ihren Kopf durch die Tür steckte. Gestern noch platinblond, war sie heute tiefschwarz, was sie älter aussehen ließ. Ihre Schwester verkaufte Perücken, seine Mitarbeiterin diente als Versuchskaninchen. Im Kollegenkreis sorgte das für hämische Bemerkungen. Jetzt brachte sie gute Nachrichten. Der Chef war endlich eingetroffen und hatte sein Zweitbüro im Gästehaus der Landesregierung im Zooviertel bezogen. Sie machte auf Hektik. „Das Vorzimmer des Staatssekretärs hat angerufen. Sie sollen sich sputen. Der Fahrer wartet auf dem Parkplatz.“

Das Gästehaus war eine kluge Entscheidung, befand Wagner. Dort würden die Journalisten sie nicht vermuten.

Er griff nach seiner Jacke und eilte zum Hinterausgang. Auf dem Flur standen Beamte und Angestellte in kleinen Gruppen zusammen. Die Nachricht, dass ihr Vorgesetzter erschossen worden war, hatte sie erreicht. Der Rundfunksender Niedersachsen und die privaten Rundfunksender berichteten im Zehnminutentakt und die Internetnachrichtendienste hatten die Meldung auf Platz eins gesetzt.

Trauer vermochte Wagner auf keinem der Gesichter zu entdecken, nur Neugier, bei einigen gepaart mit Entsetzen. Niemand in der Staatskanzlei wollte ihm einfallen, der Heise gemocht hatte. Selbst Heises rechte Hand Gesine Terberg hatte nur so getan. Aber die Terberg war ohnehin eine merkwürdige Person. Es hieß, sie sei nicht ganz klar im Kopf. Für kurze Zeit war sie in seinem Team tätig gewesen. Personalchef Jochen Niemann war seiner Bitte, die Dame zu versetzen, nachgekommen. Nicht wegen der Arbeit wollte Wagner sie loswerden, die war okay. Sie bedrängte ihn, entwickelte Angewohnheiten einer Stalkerin. Die Abschiebung in Heises Abteilung galt als Strafversetzung.

Der Staatssekretär, sein Gesichtsausdruck verdrossen wie immer, hatte sich auf der Rückbank des gepanzerten Dienstwagens ausgebreitet. Sie hatten bereits in aller Früh miteinander gesprochen, sich über den Mordfall ausgetauscht. Auf Wagners Gruß reagierte er daher mit einem unverständlichen Knurren. Der Regierungssprecher versuchte gar nicht erst, ein Gespräch in Gang zu bringen. Haders Fahrer, wie sein Chef Ostfriese und nicht minder wortkarg, murmelte etwas in seinen Bart, das sich wie „moin, moin“ anhörte.

Wagner schloss die Augen und versuchte die Übelkeit zu verdrängen. In seinem Magen rumorte es, sein Schädel brummte und überhaupt war heute ein total beschissener Tag.

5

Das im Zooviertel gelegene Gästehaus der Landesregierung, eine um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erbaute Villa im Still der Neorenaissance, umgeben von einem weitläufigen Park, wirkte imposant. Der äußere Eindruck täuschte allerdings, im Inneren herrschte eine düstere, beklemmende Atmosphäre. Die dunkle Holzvertäfelung im Treppenhaus, die schmalen, bleiverglasten Fenster, durch die kaum Licht drang, und der stets muffige Geruch über den Räumen wirkten alles andere als einladend. Auch das Chefbüro versprühte trotz der stets mit üppigem Blumenschmuck gefüllten Bodenvasen allenfalls Fünfzigerjahre-Charme. Der Ministerpräsident saß hinter seinem aktenfreien, ausladenden Schreibtisch, vor sich ein Glas Wasser. Trotz seiner durch regelmäßige Besuche im Sonnenstudio hart erarbeiteten Bräune sah er blass aus. Unter seinen Augen lagen Schatten. Der braune Boss-Anzug, letzte Woche anlässlich einer Dienstreise im Factory-Outlet Wolfsburg erstanden, wobei Wagner kurzzeitig in die Rolle des Modeberaters geschlüpft war, wirkte zerknittert. Auch die obligatorische Fliege saß schief.

Förmlichkeiten waren heute nicht angesagt. Ohne seine Mitarbeiter zu begrüßen, kam der Ministerpräsident sofort zur Sache. „Furchtbar, einfach furchtbar, was unserem Herrn Heise widerfahren ist. Ich kann es gar nicht fassen. Gestern Nachmittag haben wir noch telefoniert und jetzt ist er tot.“

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!