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In "Die Theodicee" bietet Gottfried Wilhelm Leibniz eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Problem des Bösen und der Frage nach der Güte Gottes. Der Text, verfasst im Jahr 1710, ist nicht nur ein bedeutendes Werk der Aufklärung, sondern auch eine tiefgreifende Analyse der metaphysischen und moralischen Theorien seiner Zeit. Durch eine kunstvolle Verbindung von rationalistischem Denken und theologischen Überlegungen entwirft Leibniz seine Argumentation für die Existenz eines maximal Guten, der das Beste aus allen möglichen Welten erschaffen hat, auch wenn diese Welt Leid und Übel umfasst. Sein literarischer Stil ist geprägt von einer klaren, präzisen Sprache, die es dem Leser ermöglicht, komplexe Gedanken nachvollziehbar zu erfassen. Gottfried Wilhelm Leibniz, ein zentraler Denker der Aufklärung, war nicht nur Mathematiker, sondern auch Philosoph und Naturwissenschaftler. Sein Leben war von einer unermüdlichen Neugier geprägt, die ihn dazu brachte, die Grundlagen des Wissens zu hinterfragen und ein System zu entwickeln, das rationales Denken mit metaphysischen Annahmen verbindet. Die persönlichen und kulturellen Herausforderungen seiner Zeit haben ihn dazu inspiriert, die Fragen nach dem Bösen und der Ordnung des Universums eingehend zu untersuchen, was in "Die Theodicee" eine klare Reflexion findet. Dieses Buch ist für jeden Leser empfehlenswert, der tiefer in die philosophischen Diskurse der Aufklärung eintauchen und die zeitlosen Fragen nach Gut und Böse, sowie der menschlichen Existenz ergründen möchte. Leibniz' komplexe Argumentationen und klaren Erklärungen bieten einen faszinierenden Zugang zu einem der bedeutendsten Themen der Philosophie und laden dazu ein, über die eigene Wahrnehmung von Gott und der Welt zu reflektieren. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Diese Werksammlung stellt unter dem Titel Die Theodicee die maßgeblichen Schriften Gottfried Wilhelm Leibniz’ zusammen, in denen er sein philosophisch-theologisches Projekt der Rechtfertigung göttlicher Güte angesichts von Freiheit und Übel entwickelt. Ziel ist es, den Kern dieses Denkens in seiner argumentativen Breite und historischen Einbettung zugänglich zu machen, ohne den systematischen Zusammenhang zu zerreißen. Die vorliegenden Texte zeigen Leibniz als Denker, der Vernunft und Glauben weder trennt noch vermischt, sondern in ein Verhältnis geordneter Übereinstimmung zu setzen sucht. So entsteht ein Panorama rationaler Theologie, das auf Metaphysik, Logik und Ethik gleichermaßen gründet.
In der Sammlung finden sich die Abhandlung über die Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, die Abhandlung über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Uebels sowie eine Kurze Darstellung der Streitfrage, auf förmliche Schlüsse zurückgeführt. Hinzu treten die Betrachtungen über das Werk, welches Herr Hobbes im Englischen über die Freiheit, die Nothwendigkeit und den Zufall veröffentlicht hat, die Bemerkungen zu der Schrift vom Ursprung des Uebels, welche vor kurzem in England erschienen ist, und die Schrift Die Sache Gottes vertheidigt durch die Versöhnung seiner Gerechtigkeit mit seinen übrigen Vollkommenheiten und mit all seinen Handlungen.
Die hier vereinten Texte repräsentieren unterschiedliche Gattungen und Darstellungsmodi: systematische Abhandlungen, philosophisch-theologische Essays, polemische Bemerkungen und eine formal straff gefasste Zusammenstellung der Streitpunkte in Schlussform. Damit zeigt die Ausgabe die Spannweite leibnizscher Schreibweise zwischen argumentativer Entfaltung, kritischer Auseinandersetzung und didaktischer Verdichtung. Die Abhandlungen entfalten Grundgedanken Schritt für Schritt, die Betrachtungen und Bemerkungen reagieren auf zeitgenössische Beiträge, und die formale Kurzfassung modelliert den Kern der Kontroverse in logischer Gestalt. Diese Vielfalt ist nicht Beiwerk, sondern Teil der Methode, unterschiedliche Lesarten zu prüfen und zu ordnen.
Der historische Hintergrund dieser Schriften ist eine europaweite Debatte über Freiheit, Notwendigkeit und Zufall sowie über den Ursprung des Übels. In den naturphilosophischen und theologischen Auseinandersetzungen jener Zeit profilieren sich Positionen, die entweder auf strenge Notwendigkeit setzen oder Kontingenz und Willensfreiheit stark machen. Leibniz zielt auf eine vermittelnde, aber präzise Bestimmung, welche die Ansprüche der Vernunft ernst nimmt, ohne die Autorität des Glaubens preiszugeben. Die hier versammelten Texte zeigen, wie er die großen Streitpunkte seiner Zeit ordnet, Einwände gewichtet und die Grenzen und Möglichkeiten rationaler Klärung absteckt.
Inhaltlich kreisen alle Stücke um eine Leitfrage: Wie lässt sich die Güte Gottes denken, wenn es Übel gibt, und wie verhält sich menschliche Freiheit zur Ordnung der Welt? Die Abhandlung über die Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft legt das Programm einer verträglichen Koexistenz beider Erkenntnisweisen vor. Die Abhandlung über Güte, Freiheit und Ursprung des Übels entwickelt sodann die metaphysischen und moralphilosophischen Grundlagen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Prüfung von Begriffen wie Notwendigkeit, Möglichkeit und Kontingenz, deren sorgfältige Unterscheidung das argumentative Rückgrat der gesamten Theodizee bildet.
Methodisch arbeitet Leibniz mit begrifflicher Schärfe, systematischer Architektur und logisch gezügelter Phantasie. Die Kurze Darstellung der Streitfrage, auf förmliche Schlüsse zurückgeführt, demonstriert die Bereitschaft, philosophische Ergebnisse der formalen Prüfung zu unterwerfen. Diese Rationalisierungsleistung ist nicht bloß Technik, sondern Ausdruck eines Vertrauens, dass geordnete Argumente Verständigung ermöglichen. Zugleich sucht Leibniz die Vielfalt der Phänomene zu respektieren: moralische, physische und metaphysische Aspekte des Übels werden unterschieden, ohne deren Zusammenhänge aus dem Blick zu verlieren. So verbindet sich Strenge der Beweisführung mit Sensibilität für Mehrdeutigkeiten.
Die Sammlung dokumentiert außerdem die dialogische Verfasstheit leibnizscher Philosophie. Die Betrachtungen zu dem von Hobbes veröffentlichten Werk zeigen, wie Leibniz deterministischen Deutungen der Notwendigkeit entgegentritt und alternative Freiheitsbegriffe präzisiert. Die Bemerkungen zu der Schrift vom Ursprung des Uebels aus England knüpfen an eine zeitgenössische theologische Diskussion an, in der Ursachen, Verantwortlichkeit und die Stellung des Willens neu vermessen werden. Indem er diese Beiträge aufnimmt, ordnet und kritisiert, macht Leibniz seine eigene Position transparent und überprüft sie an den stärksten Gegenargumenten.
Stilistisch verbindet Leibniz eine nüchterne, auf Begriffsarbeit gegründete Diktion mit einer ausgesuchten Höflichkeit des Streits. Selbst in kontroversen Passagen suchen die Texte weniger den Widerpart zu widerlegen als die Voraussetzungen der Debatte zu klären. Die Argumentation setzt häufig bei allgemein zugänglichen Überzeugungen an und führt Schritt für Schritt zu differenzierten Einsichten. Diese Sorgfalt im Umgang mit Einwänden, das Bemühen, Definitionen zu stabilisieren, und die Offenheit, alternative Sichtweisen ernsthaft zu prüfen, geben der Theodizee ihre anhaltende Überzeugungskraft und erhellen ihren philosophischen Anspruch.
Die Bedeutung dieser Zusammenstellung reicht über ihren historischen Ort hinaus. Die Frage nach dem Übel, nach Freiheit und nach der Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft bleibt für Philosophie, Theologie und Ethik bis heute virulent. Die hier präsentierten Texte bieten begriffliche Werkzeuge, um vorschnelle Gegensätze zu vermeiden und komplexe Phänomene in klaren Unterscheidungen zu halten. Indem sie die Verbindung von metaphysischer Systematik und praktischer Vernunft kultivieren, eröffnen sie Gesprächsräume zwischen Disziplinen und Traditionen. Diese Anschlussfähigkeit erklärt, warum die Theodizee weiterhin Leserinnen und Leser in unterschiedlichen Kontexten findet.
Für die Lektüre empfiehlt sich eine doppelte Bewegung: zunächst der Zugang über die Abhandlung zur Übereinstimmung von Glauben und Vernunft, die Maßstäbe und Methode der Auseinandersetzung klärt; sodann die vertiefende Studie der Abhandlung über Güte, Freiheit und Ursprung des Übels. Wer die Argumentstruktur rasch überschauen möchte, findet in der kurzen Darstellung in Schlussform eine kondensierte Orientierung. Die begleitenden Betrachtungen und Bemerkungen führen exemplarisch in die Debatten mit einflussreichen Zeitgenossen ein und zeigen, wie sich die systematischen Vorschläge im Streitgespräch bewähren.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die leitenden Begriffe, deren Mehrdeutigkeit ohne sorgfältige Führung leicht in Missverständnisse führt. Notwendigkeit lässt sich nicht mit Zwang gleichsetzen, Kontingenz nicht mit bloßem Zufall, und Freiheit bedarf einer genau ausgeleuchteten Beziehung zu Gründen und Zwecken. Ebenso verlangt der Ausdruck Übel nach Unterscheidungen, die seine Erscheinungsformen begreiflich machen. Die vorliegenden Texte geben hierfür begriffliche Markierungen und bieten Prüfsteine, um die Tragweite einzelner Thesen abzuschätzen. So erschließt sich die Theodizee als ein System, das Differenzierungen nicht scheut, sondern aus ihnen Stärke gewinnt.
Die Schrift Die Sache Gottes vertheidigt setzt den apologetischen Akzent der gesamten Unternehmung und fasst deren Ziel zusammen: die Gerechtigkeit Gottes mit seinen übrigen Vollkommenheiten und allen Handlungen in ein widerspruchsfreies Verhältnis zu setzen. In Verbindung mit den übrigen Stücken wird sichtbar, dass Leibniz weder bloße Rechtfertigung noch bloße Kritik betreibt, sondern eine Verständigung von Vernunft und Glauben versucht, die dem Ernst der Einwände standhält. Diese Ausgabe lädt dazu ein, die Einheit dieses Projekts in seiner Vielfalt zu erfassen und es im eigenen Nachdenken weiterzuführen.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) war ein Schlüsseldenker der frühen Aufklärung, dessen Werk Philosophie, Jurisprudenz, Theologie, Mathematik und Politik verband. Als systematischer Denker suchte er, die neuen Wissenschaften mit überlieferten Lehren zu versöhnen und eine rationale Ordnung des Wissens zu entwerfen. In seinen deutschen Schriften zur Theodizee und zur Rationalität des Glaubens, die in dieser Sammlung vertreten sind, arbeitet er an der Versöhnung von Glauben und Vernunft sowie an der Verteidigung der Güte Gottes. Dabei verbindet er strenge Argumentation mit einem Optimismus, der die Welt als sinnvoll geordnet begreift, ohne menschliche Freiheit und Verantwortung aufzugeben.
Ausgebildet wurde Leibniz in Philosophie und Recht, zunächst in Leipzig, dann in Jena, wo ihn der Mathematiker und Philosoph Erhard Weigel prägte. Früh erwarb er Vertrautheit mit scholastischer Logik, römischem Recht und humanistischer Philologie. Nach weiterführenden Studien schloss er seine juristische Laufbahn mit einer Promotion in Altdorf ab. Die Auseinandersetzung mit antiker und mittelalterlicher Metaphysik verband er mit dem Studium neuzeitlicher Strömungen, insbesondere der kartesischen Philosophie. Zugleich beobachtete er kritisch materialistische und mechanistische Positionen seiner Zeit, etwa bei Hobbes, und suchte, durch präzise Begriffsarbeit zwischen Notwendigkeit, Möglichkeit und Freiheit zu unterscheiden, ohne in Skeptizismus zu verfallen.
Beruflich begann Leibniz als juristischer und politischer Berater, zunächst im Dienst eines Mainzer Ministers, woraus diplomatische Missionen nach Paris und London erwuchsen. Dort trat er mit führenden Gelehrten und Naturforschern in den Austausch und verfeinerte seine mathematischen und philosophischen Projekte. Später wirkte er viele Jahre am Hof in Hannover, wo er als Gelehrter, Bibliothekar und Historiker tätig war und größere Unternehmungen zur Geschichte und Genealogie verfolgte. Die Tätigkeit an Höfen und in Gelehrtennetzwerken prägte seine Schreibweise: Er verfasste Abhandlungen, Gutachten und Erwiderungen, die aktuelle Debatten aufnahmen und systematisch in eine umfassende metaphysische und theologische Perspektive einordneten.
Zentral für sein theologisches und philosophisches Programm sind die Abhandlung über die Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft und die Abhandlung über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Uebels. In ihnen bekräftigt Leibniz, dass geoffenbarte Wahrheiten und vernünftige Erkenntnis einander nicht widersprechen, wenn man ihre Bereiche und Methoden sauber unterscheidet. Zugleich entwickelt er eine Theodizee, die Gottes Güte mit der Existenz des Übels vereinbar macht und die Freiheit des Menschen verteidigt. Die Argumentation stützt sich auf klare Begriffsunterscheidungen und die Einsicht, dass moralische Verantwortung mit einer geordneten, rational verständlichen Welt einhergehen kann.
Die Kurze Darstellung der Streitfrage, auf förmliche Schlüsse zurückgeführt, bringt eine umstrittene Debatte – Freiheit versus Notwendigkeit – in die strenge Form logischer Ableitungen. Damit zeigt Leibniz, wie sich scheinbar unversöhnliche Positionen präzisieren lassen. In den Betrachtungen über das Werk, welches Herr Hobbes im Englischen über die Freiheit, die Nothwendigkeit und den Zufall veröffentlicht hat, setzt er sich eingehend mit hobbesianischem Determinismus und Zufallsbegriffen auseinander. Er verteidigt die Vereinbarkeit von Kausalordnung und echter Kontingenz, gestützt auf klare Prinzipien der Begründung. So verbindet er systematische Philosophie mit der Analyse konkreter zeitgenössischer Kontroversen.
Seine Bemerkungen zu der Schrift vom Ursprung des Uebels, welche vor kurzem in England erschienen ist, dokumentieren die fortgesetzte Auseinandersetzung mit Einwänden gegen die Theodizee. Leibniz prüft argumentativ, wo Missverständnisse entstehen, und führt differenziert aus, wie physisches, moralisches und metaphysisches Übel zu unterscheiden sind. In Die Sache Gottes vertheidigt durch die Versöhnung seiner Gerechtigkeit mit seinen übrigen Vollkommenheiten und mit all seinen Handlungen vertieft er diese Linie: Gottes Gerechtigkeit steht nicht isoliert, sondern in innerer Harmonie mit Weisheit und Güte. Damit konsolidiert er das Projekt, Glauben und Vernunft zu einer kohärenten Sicht der Welt zu vereinen.
In seinen späten Jahren arbeitete Leibniz weiter an historischen, naturwissenschaftlichen und systematischen Vorhaben, häufig unter schwierigen politischen Bedingungen. 1716 starb er in Hannover. Sein Nachruhm gründet auf der Verbindung scharfer logischer Werkzeuge mit einem umfassenden Entwurf rationaler Theologie und Metaphysik. Die hier versammelten Schriften prägten Debatten der Aufklärung und fanden Resonanz bei Philosophen, Theologen und Juristen. Sie beeinflussten die Schule des Rationalismus und regten kritische Relektüren von Freiheit, Rechtfertigung und Verantwortung an. Bis heute dienen seine Analysen als Referenz in Fragen der Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft sowie der rationalen Erörterung des Übels.
Gottfried Wilhelm Leibniz, geboren 1646 und gestorben 1716, verfasste seine Theodizee-Schriften im Übergang von der Spätscholastik zur Aufklärung. Die Sammlung entstand in einer Epoche intensiver Debatten über Vernunft und Offenbarung, Naturwissenschaft und Theologie, Recht und Politik. Als Hofrat und Bibliothekar im Dienst des Hauses Braunschweig-Lüneburg bewegte sich Leibniz im europäischen Gelehrtennetzwerk und nutzte französische Sprache und Druckorte, um ein breites Publikum zu erreichen. 1710 wurden seine theodizeealen Abhandlungen veröffentlicht. Sie adressieren Fragen, die aus den Krisen des 17. Jahrhunderts, aus neuen naturwissenschaftlichen Erklärungen und aus religionspolitischen Konflikten erwuchsen.
Die Jahrzehnte nach dem Westfälischen Frieden 1648 brachten keine ungetrübte Stabilität. Konfessionelle Lager blieben misstrauisch, absolutistische Monarchien erstarkten, und Kriege belasteten die Bevölkerung. Besonders einschneidend war die Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes 1685, die Flüchtlingsbewegungen und Debatten über religiöse Duldung auslöste. In diesem Umfeld verbanden sich moralische, politische und seelsorgerliche Fragen mit dem Problem des Übels. Leibniz’ Sammlung reagiert auf diese Lage mit dem Versuch, Leiden, Freiheit und göttliche Gerechtigkeit rational zu erhellen, ohne konfessionelle Gräben zu vertiefen.
Die naturwissenschaftliche Revolution veränderte die intellektuelle Landschaft nachhaltig. Mechanistische Erklärungen und mathematische Methoden, die bei Descartes, Huygens, später Newton und anderen entwickelt wurden, ließen traditionelle Kausalitätsvorstellungen wanken. Deterministische Deutungen drohten menschliche Verantwortlichkeit zu relativieren. Gleichzeitig weckte die neue Wissenschaft Erwartungen an strenge Begründung auch in der Theologie. Leibniz, selbst Mathematiker, band seine Metaphysik an Prinzipien wie den zureichenden Grund und suchte, naturwissenschaftliche Einsichten mit moralischen und theologischen Anliegen zu vermitteln. Die Sammlung reflektiert diese Bemühungen, ohne ihre Inhalte auf physikalische Modelle zu reduzieren.
Die europäische Gelehrtenrepublik wurde durch Salons, Höfe, Akademien und Journale zusammengehalten. Französisch fungierte als Lingua franca, weshalb Leibniz seine theodizeealen Texte auf Französisch verfasste und so über konfessionelle und territoriale Grenzen hinweg anschlussfähig machte. Die Widmung an Sophie Charlotte, Königin in Preußen, verweist auf den höfischen Resonanzraum, in dem religiöse und philosophische Gespräche geführt wurden. Unter ihrem Patronat und in Berlin entstand ein Klima, das systematische Vernunftkritik religiöser Fragen begünstigte. Die Sammlung steht somit im Spannungsfeld von Hofkultur, Öffentlichkeit und gelehrtem Austausch.
Ein zentraler Bezugspunkt ist die Skepsis Pierre Bayles, dessen Dictionnaire ab 1697 mit kritischen Artikeln zu Theodizee, Freiheit und Fatalismus provozierte. Bayle stellte die Fähigkeit der Vernunft in Frage, das Übel mit göttlicher Güte zu vereinbaren. Die Abhandlung über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels antwortet auf diese Herausforderung, indem sie eine rationale Verteidigung religiöser Grundüberzeugungen versucht. Nicht polemische Zuspitzung, sondern systematische Klarstellung steht im Vordergrund. Die Sammlung zeigt, wie Bayles Einwände die Agenda der frühen Aufklärungstheologie prägten.
Debatten über Freiheit und Notwendigkeit waren seit dem 17. Jahrhundert auch durch Thomas Hobbes’ Schriften geprägt. Hobbes hatte eine stark deterministische Sicht vertreten, die in England und auf dem Kontinent weiterdiskutiert wurde. Leibniz’ Betrachtungen über das Werk, welches Herr Hobbes im Englischen über die Freiheit, die Notwendigkeit und den Zufall veröffentlicht hat, stehen in dieser Tradition der Auseinandersetzung. Sie situieren die Frage nach menschlicher Verantwortlichkeit im Spannungsfeld von naturgesetzlicher Ordnung und moralischer Zurechnung. Damit erschließt die Sammlung transnationale Diskurse, die Philosophie, Theologie und Rechtsdenken verbanden.
Die Kurze Darstellung der Streitfrage, auf förmliche Schlüsse zurückgeführt, zeigt die Nähe zu gelehrten Disputationsformen, die im 17. Jahrhundert fortwirkten. Die formale Reduktion komplexer theologischer Kontroversen auf logische Argumentationsketten war ein Mittel, Streitpunkte präzise zu fassen und Missverständnisse zu mindern. Dieses Verfahren, das aus der Scholastik überliefert und durch die mathematische Methode erneuert wurde, diente dazu, die Rationalität religiöser Aussagen sichtbar zu machen. In der Sammlung fungiert es als Brücke zwischen Tradition und Innovation, zwischen Argumentationsdisziplin und aufklärerischem Klarheitsideal.
Mit der Abhandlung über die Übereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft reagiert Leibniz auf die wachsende Autorität der Naturerkenntnis und des historischen Bibelstudiums. Englische und niederländische Debatten über natürliche Religion, inspiriert durch Autoren wie Locke und in populärer Form durch deistische Schriften verbreitet, forderten traditionelle Dogmatik heraus. Leibniz sucht hier eine Balance: Offenbarung soll nicht gegen Vernunft ausgespielt, sondern als deren Vollendung verstanden werden. Diese Position zielte auf intellektuelle Versöhnung in einer Zeit, in der konfessionelle Abgrenzung und rationalistische Kritik einander scharf gegenüberstanden.
Die Sache Gottes vertheidigt durch die Versöhnung seiner Gerechtigkeit mit seinen übrigen Vollkommenheiten und mit all seinen Handlungen knüpft an die damalige Jurisprudenz und das Naturrecht an. Seit Grotius und Pufendorf wurde göttliche Gerechtigkeit häufig in rechtlichen Kategorien erörtert. Die Sammlung übernimmt diese Sprache der Rechtfertigung, ohne Gott einem menschlichen Tribunal zu unterwerfen. Sie zeigt, wie das frühneuzeitliche Denken juristische, moralische und metaphysische Register verband, um Verantwortung, Schuld und Strafe zu diskutieren. Dadurch bindet sie Theologie an die politischen und rechtlichen Diskurse absolutistischer Staatsbildung.
Konfessionelle Konflikte prägten die intellektuelle Agenda. Innerprotestantische Differenzen zwischen lutherischer Orthodoxie, Reformiertentum und Pietismus standen Jansenismus und jesuitischer Kontroverstheologie gegenüber. Leibniz engagierte sich über Jahrzehnte in Unionsgesprächen und brieflichen Vermittlungen, um Verständigung zwischen Konfessionen zu fördern. Seine theodizeealen Texte zielen auf Positionen, die über konfessionelles Bekenntnis hinaus argumentative Kraft besitzen. So versucht die Sammlung, die Frage nach Freiheit, Gnade und moralischer Verantwortlichkeit anschlussfähig zu formulieren und die verhärteten Fronten der Kontroverstheologie durch einen rationalen Minimalkonsens zu durchbrechen.
Die Bemerkungen zu der Schrift vom Ursprung des Üebels, welche vor kurzem in England erschienen ist, verorten die Sammlung in einem lebhaften angelsächsischen Diskurs über Ursachen des Übels. Eine dort publizierte Abhandlung, die um die Jahrhundertwende weithin diskutiert wurde, gab Anlass, konkurrierende Modelle von Willensfreiheit, Zufall und göttlicher Vorsehung zu prüfen. In Kontinentaleuropa griffen Journal- und Gelehrtennetzwerke solche Beiträge rasch auf. Leibniz’ Bemerkungen zeigen, wie die Theodizeefrage grenzüberschreitend geführt wurde und wie kontinentale Philosophen auf englische Theologen und Moralphilosophen reagierten.
Leibniz’ Metaphysik der späten 1690er und frühen 1700er Jahre, mit Prinzip des zureichenden Grundes und Harmonieideen, bildet den Hintergrund der Sammlung. Ohne systematische Lehrschrift sein zu wollen, setzt sie jene Grundsätze voraus, nach denen Weltordnung, Kausalität und moralische Verantwortung miteinander verbundene Ebenen eines rationalen Ganzen bilden. Damit wendet sich die Sammlung gegen radikale Skepsis und simplen Fatalismus gleichermaßen. In ihrer historischen Situation dient diese Metaphysik als Versuch, wissenschaftliche Erklärungsmodelle und religiöse Sinnstiftung zu integrieren, ohne einer Seite einen Alleinanspruch zu geben.
Die Veröffentlichungspraxis der Zeit begünstigte grenzüberschreitende Zirkulation. Druckorte in den Niederlanden, insbesondere Amsterdam, boten Freiräume für kontroverse Werke, und Zeitschriften wie das Journal des savants, die Acta Eruditorum oder Nouvelles de la République des Lettres verbreiteten Rezensionen. Die Aufnahme der Theodizee-Schriften in diese Öffentlichkeit verhalf ihnen zu einer Leserschaft, die vom Hof bis zur Universität reichte. Die Sammlung entstand somit nicht nur für eine lokale höfische Debatte, sondern für die gesamte europäische Gelehrtenrepublik, die nach methodischer Strenge und geordnetem Meinungsstreit verlangte.
Leibniz’ Kontakte nach Brandenburg-Preußen und seine Beteiligung an der Gründung der Berliner Akademie der Wissenschaften (1700) verweisen auf institutionelle Rahmenbedingungen der Sammlung. Akademische Patronage ermöglichte, Forschung und Religionsphilosophie zusammenzuführen. In diesem Milieu galten Ordnung, Maß und Nutzen als Leitwerte. Die theodizeealen Schriften spiegeln diese Haltung, indem sie metaphysische Fragen mit Bildungs- und Staatszielen in Beziehung setzen. Das Bestreben, rationale Religionskultur zu fördern, fiel zusammen mit politischen Ambitionen, konfessionell zersplitterte Gesellschaften durch Aufklärung und Toleranz zu befrieden.
Die Rezeption im deutschsprachigen Raum wurde durch die Schulbildung und Universitäten des 18. Jahrhunderts geprägt. Der von Christian Wolff geprägte Rationalismus systematisierte leibnizianische Motive und machte sie für akademische Lehrpläne fruchtbar. Dabei wurden theodizeeale Argumente in Logik-, Metaphysik- und Ethikvorlesungen eingebettet. Gleichzeitig regte die Sammlung pietistische Kritik an, die den Primat des Herzens und der Frömmigkeit betonte und vor rationalistischer Überschreitung warnte. So trug die Sammlung zu einer produktiven Spannung zwischen gelehrter Systematik und religiöser Erneuerungsbewegung bei, die das 18. Jahrhundert prägte.
Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts verschob sich die Diskussion. Erschütternde Katastrophenereignisse und satirische Stimmen stellten Optimismus und Rechtfertigungsmodelle auf neue Proben. Literarische und philosophische Kritiken zielten auf die Plausibilität rationaler Verteidigungen der Weltordnung. Zugleich blieb die Theodizeefrage ein Prüfstein für Naturtheologie, die angesichts wachsender Historisierung der Religion nach tragfähigen Argumenten suchte. Die Sammlung stand hier als Referenz, an der sich Befürworter einer vernunftgeleiteten Religionsphilosophie wie deren Kritiker orientierten, diskutierten und ihre eigenen Antworten schärften.
Rückblickend kommentiert die Sammlung ihre Zeit, indem sie glaubens- und vernunftsbezogene Konflikte in eine verfahrensmäßige Ordnung bringt. Sie macht sichtbar, wie frühneuzeitliche Europa eine gemeinsame argumentative Bühne ausbildete, auf der Bibelexegese, Metaphysik, Naturwissenschaft und Rechtssprache interagieren. Spätere Deutungen sahen in ihr sowohl ein Schlüsselzeugnis für leibnizianische Systembildung als auch einen historischen Versuch, Frieden in religiös-politische Streitigkeiten zu bringen. Dadurch bleibt die Sammlung ein Dokument jener Epoche, die die Grundlagen moderner Religionsphilosophie und intellektueller Öffentlichkeit gelegt hat.
Leibniz zeigt, dass geoffenbarte Wahrheiten und vernünftige Erkenntnis sich gegenseitig stützen, statt einander auszuschließen. Er grenzt die Bereiche ab, beharrt auf der Unmöglichkeit eines echten Widerspruchs zwischen Glauben und dem Prinzip des zureichenden Grundes und plädiert für eine methodische Theologie. Der Ton ist vermittelnd und apologetisch, mit Fokus auf Klärung von Missverständnissen.
Das Kernstück der Theodicee entwickelt die These, dass Gott unter allen möglichen Welten die beste wählt und Übel nur zulässt, insofern daraus größeres Gutes folgt. Leibniz unterscheidet verschiedene Arten des Übels und verteidigt eine Freiheit des Menschen, die mit göttlichem Vorwissen und der Ordnung der Welt vereinbar bleibt. Der Ton ist argumentativ und differenzierend, mit vielen Gegenargumenten und präzisen Unterscheidungen.
In der Auseinandersetzung mit Hobbes prüft Leibniz Begriffe wie Freiheit, Nothwendigkeit und Zufall und wendet sich gegen einen reduktiven Kompatibilismus, der Freiheit auf die Abwesenheit äußerer Hindernisse verkürzt. Die Bemerkungen zu einer englischen Schrift über den Ursprung des Uebels klären Differenzen über Privation, Wille und göttliche Mitwirkung und verteidigen die Vereinbarkeit von Gottes Güte mit der Realität des Bösen. Der Ton ist kritisch-sachlich und zielt auf begriffliche Präzision statt Polemik.
Die kurze Darstellung führt die Kontroverse um Vorsehung, Freiheit und Übel auf formale Schlüsse zurück und macht die argumentative Architektur der Theodicee transparent. Die Verteidigung der Sache Gottes zeigt, wie sich göttliche Gerechtigkeit mit Allwissenheit, Güte und den historischen Handlungen Gottes versöhnen lässt, und beantwortet typische Einwände zu Vorhersehung, Gnade und Verdammnis. Der Ton ist systematisch und defensiv, mit starkem Fokus auf logische Konsistenz.
Wiederkehrend sind das Prinzip des zureichenden Grundes, die Wahl der besten möglichen Welt und eine Freiheitslehre, die Kontingenz mit Ordnung verbindet. Typisch ist die Arbeit mit feinen Unterscheidungen (Arten des Übels, Stufen der Notwendigkeit) und die Versöhnungsabsicht zwischen Glauben und Vernunft. Insgesamt verbindet das Werk optimistischen Theismus mit nüchterner Argumentationsdisziplin und kontinuierlicher Streitgesprächsform.
1. Ich beginne mit der Vorfrage in Betreff der Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, und des Gebrauchs der Philosophie in der Theologie; denn diese Frage ist von grossem Einfluss auf den Gegenstand meiner Abhandlung und Herr Bayle geht überall auf dieselbe zurück. Ich nehme an, dass zwei Wahrheiten sich nicht widersprechen können[1q], dass der Glaube es mit der Wahrheit zu thun, welche Gott auf eine ausserordentliche Weise offenbart hat und dass die Vernunft eine Verknüpfung von Wahrheiten ist und zwar in Vergleich mit dem Glauben, von solchen Wahrheiten, welche der menschliche Geist durch seine Natur ohne Unterstützung vom Licht des Glaubens erreichen konnte. Diese Definition der Vernunft (d.h. von der rechten und wahrhaften Vernunft) hat Manchen überrascht, der gewohnt ist, gegen die in einem unbestimmten Sinne genommene Vernunft zu eifern. Man hat mir entgegnet, dass man niemals eine solche Erklärung von derselben gehört habe; allein diese Gegner haben nie mit Männern verkehrt, welche sich über diese Dinge genau ausdrückten, und doch hat man eingeräumt, dass man die Vernunft in diesem von mir gegebenen Sinne nicht tadeln könne. Uebrigens wird die Vernunft in diesem Sinne auch mitunter der Erfahrung entgegengestellt, da sie in einer Verknüpfung der Wahrheiten besteht und daher berechtigt ist, sie anders als die Erfahrung gethan hat, zu verbinden, um daraus gemischte Schlussfolgerungen zu ziehen. Indess hat die reine und blose Vernunft es im Unterschied von der Erfahrung nur mit Wahrheiten zu thun, welche von den Sinnen unabhängig sind. Man kann auch den Glauben mit der Erfahrung vergleichen, weil der Glaube (rücksichtlich der Gründe, auf die sich seine Wahrheit stützt) von der Erfahrung derer abhängt, welche die Wunder, auf welche die Offenbarung gegründet wird, gesehen haben, so wie von den glaubwürdigen Ueberlieferungen, durch welche die Kenntniss dieser Wunder auf uns gelangt ist; sei es mittelst der Schriften oder mittelst des Berichts derer, die diese Schriften aufbewahrt haben; ohngefähr so wie man sich auf die Erfahrung derer stützt, welche China gesehen haben und auf die Glaubwürdigkeit ihrer Berichte, wenn man an die Wunder glaubt, die von diesem fernen Lande erzählt werden. Ich sehe dabei noch ganz von den Einwirkungen des heiligen Geistes auf unser Inneres ab, welcher die Seelen erfasst, sie überzeugt und zum Guten führt, d.h. zum Glauben und zur Liebe, ohne dass man immer Gründe dafür verlangt.
2. Nun zerfallen die Vernunft-Wahrheiten in zwei Arten. Die eine befasst die ewigen Wahrheiten, welche unbedingt der Art nothwendige sind, dass das Entgegengesetzte einen Widerspruch enthalten würde. Dieser Art sind die Wahrheiten, deren Nothwendigkeit eine logische, metaphysische oder mathematische ist, und die man nicht bestreiten kann, ohne in Widersinnigkeiten zu gerathen. Es giebt aber, als eine zweite Art, auch Wahrheiten, die man positive nennen kann, welcher Art die Gesetze sind, welche der Natur zu geben Gott gefallen hat, oder solche, welche von diesen abhängen. Wir lernen sie entweder durch die Erfahrung kennen, d.h. a posteriori, oder durch die Vernunft und a priori, d.h. durch die Erwägung der Angemessenheit, welche zu deren Wahl veranlasst hat. Diese Angemessenheit hat auch ihre Regeln und Gründe, indess ist es die freie Wahl Gottes und nicht eine geometrische Nothwendigkeit, welche das Angemessene vorziehen lässt und zur Wirklichkeit überführt. Man kann daher sagen, dass die physische Nothwendigkeit auf der moralischen Nothwendigkeit ruht, d.h. auf einer Auswahl des Weisen, welche seiner Weisheit würdig ist, und dass sowohl die eine, wie die andere von der geometrischen Nothwendigkeit unterschieden werden muss. Diese physische Nothwendigkeit bewirkt die Ordnung in der Natur; sie besteht in den Gesetzen der Bewegung und in einigen andern allgemeinen, die es Gott gefallen hat, den Dingen bei deren Erschaffung zu geben. Gott hat sie daher nicht ohne Grund gegeben; denn er thut nichts aus Eigensinn oder gleichsam zufällig, oder aus einer reinen Gleichgültigkeit. Indess können diese allgemeinen Gründe für das Wohl und die Ordnung, welche zu diesen Gesetzen geführt haben, mitunter durch die stärkeren Gründe einer höhern Ordnung durchbrochen werden.
3. Hieraus erhellt, dass Gott seine Geschöpfe von den ihnen vorgeschriebenen Gesetzen befreien und bei ihnen das hervorbringen kann, wozu ihre Natur nicht hinreicht, indem er ein Wunder thut. Wenn die Geschöpfe dadurch zu Vollkommenheiten und Kräften erhoben werden, welche vornehmer sind, als die, zu denen sie durch ihre eigene Natur gelangen können, so nennen die Scholastiker eine solche Kraft eine gehorchende, weil das Geschöpf sie durch den Gehorsam erlangt, welchen es dem Befehle dessen leistet, welcher ihm das verleihen kann, was es nicht hat. Indess geben die Scholastiker gewöhnlich solche Beispiele von dieser Kraft, welche ich für unmöglich halte, z.B. wenn sie behaupten, Gott könne den Geschöpfen eine erschaffende Kraft ertheilen. Es kann auch Wunder geben, welche Gott durch den Dienst von Engeln verrichtet; hier werden die Naturgesetze ebensowenig verletzt, wie wenn die Menschen der Natur durch die Kunst nachhelfen, da die Kunst der Engel nur dem höhern Grade nach von der unserigen verschieden ist. Indessen bleibt es immer wahr, dass der Gesetzgeber von den Naturgesetzen Ausnahmen gewähren kann, während die ewigen Wahrheiten, z.B. die geometrischen, durchaus keine Ausnahme gestatten und daher der Glaube ihnen nicht widersprechen kann. Deshalb ist ein unbesieglicher Einwand gegen die Wahrheit nicht möglich; denn wenn dieser Einwand in einem Schlusse gesteht, der sich auf die Prinzipien oder auf unbestreitbare Thatsachen stützt, und aus einer Verkettung ewiger Wahrheiten besteht, so ist der gefolgerte Schlusssatz gewiss und unabwendbar und das ihm Entgegengesetzte muss falsch sein, sonst könnten zwei sich widersprechende Sätze zugleich wahr sein. Ist aber der Einwand nicht so beweisbar, so führt er nur zu einem wahrscheinlichen Satz, welcher gegen den Glauben nichts vermag, da man anerkennt, dass die Geheimnisse der Religion den Erscheinungen widersprechen können. Nun erklärt Herr Bayle in der nach seinem Tode erschienenen Antwort an Herrn Le Clerc, wie er nicht behaupte, dass es Schlussfolgerungen gegen die Glaubenswahrheiten gebe und somit verschwinden alle jene unüberwindlichen Schwierigkeiten und jener angebliche Widerstreit der Vernunft mit dem Glauben.
Hi motus animorum atque haec discrimina tantaPulveris exigui jactu compressa quiescunt.
(All diese Bewegung der Geister und diese grossen Gegensätze Erlöschen und kommen durch den Wurf von ein wenig Staub zusammengedrückt zur Ruhe.)
4. Sowohl die protestantischen, wie die römisch-katholischen Theologen stimmen, wenn sie die Sache mit Sorgfalt behandeln, mit diesen von mir aufgestellten Sätzen überein; alles was man gegen die Vernunft sagen kann, trifft nur jene angebliche Vernunft, welche durch falschen Schein verdorben ist und gemissbraucht wird. Es ist ebenso, wie mit den Begriffen von der Gerechtigkeit und Güte Gottes. Man spricht manchmal von ihnen, als wenn man keine Vorstellung und keine Definition von ihnen hätte. Wäre dies wahr, so hätte man keinen Halt, weshalb man Gott solche Eigenschaften beilegen und ihn deren rühmen sollte. Seine Güte und seine Gerechtigkeit unterscheiden sich ebenso, wie seine Weisheit, von der unserigen nur durch ihre unbegrenzt höhere Vollkommenheit, deshalb können die einfachen Begriffe, die nothwendigen Wahrheiten und die beweisbaren Folgerungen der Philosophie der Religion nicht widersprechen. Wenn in der Theologie einige philosophische Grundsätze zurückgewiesen werden, so ist es nur der Fall, weil man ihnen nur eine physikalische, oder moralische Nothwendigkeit zuspricht, die nur das betrifft, was gewöhnlich eintritt und deshalb sich nur auf die Wahrscheinlichkeit stützt, die aber, sofern Gott es für gut findet, auch nicht zutreffen kann.
5. Aus dem Gesagten erhellt, dass die Ausdrücke Derer mitunter an Verwirrung leiden, welche die Philosophie mit der Theologie oder den Glauben mit der Vernunft in Streit bringen. Sie vermengen das Erklären, Begreifen, Beweisen, Behaupten mit einander. Selbst Herr Bayle ist, glaube ich trotz seines Scharfsinns, nicht immer frei von dieser Verwechselung. Die Mysterien können so weit erklärt werden, als zum Glauben an sie nöthig ist[2q], aber man kann sie nicht begreifen noch verständlich machen, wie sie geschehen. Selbst in der Naturwissenschaft erklärt man mehrere wahrnehmbare Eigenschaften nur bis zu einem gewissen Punkte, aber doch nur in unvollkommener Weise, weil man sie nicht begreift. Ebensowenig können wir mittelst der Vernunft die Mysterien erklären, denn alles, was sich a priori oder durch die reine Vernunft beweisen lässt, kann begriffen werden. Wenn wir also an die Mysterien auf Grund der Beweise für die Wahrheit der Religion glauben (die man Beweggründe des Glaubens nennt), so bleibt uns nur die Fähigkeit übrig, dass wir sie gegen die Einwürfe aufrecht erhalten können. Ohnedem hätte unser Glaube an sie keinen festen Grund; denn alles, was auf eine ernste und schlussgerechte Weise widerlegt werden kann, muss falsch sein. Die Beweise für die Wahrheit der Religion, die nur eine moralische Gewissheit gewähren können, würden durch Einwürfe von einer unbedingten Gewissheit aufgewogen, ja selbst aufgehoben werden, wenn sie überzeugend und streng beweisend wären. Dies Wenige könnte mir genügen, um die Schwierigkeiten bei dem Gebrauch der Vernunft und der Philosophie in Bezug auf die Religion zu beseitigen, wenn man es nicht oft mit den Vorurtheilen mancher Personen zu thun hätte. Da jedoch der Gegenstand wichtig und mehrfach sehr verdunkelt worden ist, so dürfte es zweckmässig sein, wenn ich mehr in Einzelnes eingehe.
6. Die Frage nach der Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft ist von jeher ein grosses Problem gewesen. In den Anfängen der Kirche fügten die christlichen Schriftsteller sich den platonischen Gedanken, die ihnen am geläufigsten waren und damals die meiste Verbreitung hatten. Nach und nach nahm aber Aristoteles die Stelle von Plato ein, als sich der Geschmack an Systemen verbreitete und als selbst die Theologie in Folge der Beschlüsse der allgemeinen Concilien systematischer wurde, welche bestimmte und inhaltliche Formeln festgestellt hatten. Der heilige Augustin, Boethius und Cassiodorus im Abendlande, so wie Johannes von Damascus im Morgenlande haben am meisten dazu beigetragen, dass die Theologie die Gestalt einer Wissenschaft erhalten hat, abgesehen von Beda, Alcuin, dem heiligen Anselmus und einigen andern in der Philosophie bewanderten Theologen. Zuletzt traten die Scholastiker auf; die Menge der Klöster liess der Speculation freien Lauf und unterstützt von der Aristotelischen, aus dem Arabischen übersetzten Philosophie gelang es endlich eine Zusammenstellung der Theologie und Philosophie zu machen, in welcher die meisten zweifelhaften Fragen aus dem Eifer hervorgingen, mit dem man sich bemühte, den Glauben mit der Vernunft zu versöhnen. Indess geschah dies nicht überall mit dem wünschenswerthesten Erfolge, da die Theologie durch das Unglück der Zeiten, sowie durch Unwissenheit und Hartnäckigkeit sehr herabgekommen war, und weil die Philosophie neben ihren eigenen grossen Mängeln, noch mit den Mängeln der Theologie belastet war, die ihrerseits wieder von den Folgen ihrer Verbindung mit einer höchst dunkeln und unvollkommenen Philosophie zu leiden hatte. Indess muss man mit dem unvergleichlichen Grotius anerkennen, dass unter dem widerwärtigen Mönchslatein mitunter Gold verhüllt ist. Ich habe deshalb mehrmals gewünscht, dass ein Mann von Fähigkeit, der vermöge seines Amtes das Latein der Scholastiker zu lernen hat, daraus das Beste ausziehen möchte und dass ein zweiter Petavius oder Thomasius in Bezug auf die Scholastiker dasselbe gethan hätten, was diese beiden gelehrten Männer in Bezug auf die Kirchenväter geleistet haben. Dies wäre eine sehr interessante und wichtige Arbeit für die Kirchengeschichte; sie würde die Dogmengeschichte bis zur Herstellung der Wissenschaften befassen (durch welche die Dinge ein anderes Ansehen erhalten haben) und selbst noch darüber hinaus gehen, da selbst auch nach den Tridentinischen Concil viele Dogmen, wie z.B. das von der physischen Vorherbestimmung, von dem mittleren Wissen, von der philosophischen Sünde, von den gegenständlichen Vorbestimmtheiten und von anderen in der speculativen Theologie, so wie selbst Gewissensfälle in der praktischen Theologie lebhaft verhandelt worden sind.
7. Kurz vor diesen Veränderungen und vor der grossen Spaltung der abendländischen Kirche, welche noch jetzt fortdauert, gab es in Italien eine Anzahl Philosophen, welche diese Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, die ich behaupte, bekämpften. Man nannte sie Averroisten, weil sie sich zu einem berühmten arabischen Schriftsteller hielten, welchen man vorzugsweise den Commentator nannte und welcher am meisten unter den Erklärern des Aristoteles von seiner Nation in dessen Sinn eingedrungen zu sein schien. Dieser Commentator behauptete, in Fortführung des von den griechischen Erklärern bereits Gelehrten, dass nach Aristoteles und selbst nach der Vernunft (was beides damals beinah für dasselbe galt) die Unsterblichkeit der Seele nicht bestehen könnte. Seine Gründe sind die folgenden: Nach Aristoteles vergeht das menschliche Geschlecht nicht; wenn also die Seele der Einzelnen nicht untergeht, muss man zur Seelenwanderung gelangen, die dieser Philosoph verworfen hat; oder wenn neue Seelen hinzukommen, so muss man eine unendliche Menge solcher in alle Ewigkeit beharrenden Seelen annehmen. Nun ist aber eine wirkliche Unendlichkeit unmöglich, wie derselbe Aristoteles lehrt; also muss man schliessen, dass die Seelen, d.h. die Formen der organischen Körper mit diesen Körpern untergehen müssen, oder dass dies wenigstens mit der leidenden Vernunft geschehen muss, welche dem Einzelnen eigenthümlich angehört. Es würde also dann nur die thätige Vernunft übrig bleiben, welche allen Menschen gemeinsam ist und welche nach Aristoteles von Aussen in den einzelnen Menschen eintritt und welche überall sich bethätigen muss, wo die Organe dazu geeignet sind, wie der Wind eine Art Musik hervorbringt, wenn er in die dazu eingerichteten Orgelpfeifen eingeblasen wird.
8. Allein es kann wohl nichts schwächeres geben, als diesen Beweis; Aristoteles hat nirgends die Seelenwanderung widerlegt, noch die Ewigkeit des Menschengeschlechts bewiesen und endlich ist es falsch, dass es kein wirkliches Unendliches geben könne. Dessen ungeachtet galt diese Beweisführung bei den Aristotelikern für unwiderleglich und liess sie glauben, dass es unter dem Monde eine gewisse Vernunft gebe und dass die Theilnahme an derselben den thätigen Theil unseres Verstandes bilde. Weniger strenge Anhänger des Aristoteles gingen indess weiter bis zur Annahme einer allgemeinen Seele, welche den Ozean für alle besonderen Seelenbilde; nur diese allgemeine Seele solle als eine selbständige bestehen, während die einzelnen besonderen Seelen entstehen und vergehen. Nach dieser Ansicht entstehen die Seelen der Thiere durch eine gleichsam tropfenweise Absonderung aus diesem Ozean, sobald sie einen Körper treffen, den sie beleben können und bei der Zerstörung des Körpers gehen sie unter, indem sie sich wieder mit dem Ozean der Seelen verbinden, so wie die Flüsse sich im Meere verlieren. Manche glaubten sogar, dass Gott diese allgemeine Seele sei, obgleich Andere annahmen, dass sie untergeordnet und geschaffen sei. Diese schlechte Lehre ist sehr alt und sehr dazu geeignet, die gewöhnliche Lehre zu verdunkeln. Sie ist in den schönen Versen Virgils (Aeneide. VI. Vers 724) ausgesprochen:
»Im Anfange ernährte ein innerer Geist den Himmel und die Erde und die glänzenden Gefilde und den leuchtenden Körper des Mondes und die Titanischen Gestirne; der durch alle Glieder ergossene Geist bewegte die ganze Masse und mischte sich mit dem grossen Körper.«
Und auch anderwärts (Georgica IV. Vers. 221):
»Denn die Gottheit schreitet durch alle Länder und Meere und den tiefen Himmel. Von daher entnimmt ein jedes der Hausthiere, der Heerden, der Männer, aller Arten der wilden Thiere und jedes Geborene sein schwächliches Leben und wenn sie sich auflösen, so muss es dahin zurückgegeben und zurückgebracht werden.«
9. Einige haben die Weltseele Plato's in diesem Sinne aufgefasst; aber die Stoiker haben wahrscheinlich diese gemeinsame Seele angenommen, welche alle andern aufzehrt. Die Anhänger dieser Meinung könnten Monophysiten heissen, weil nach ihnen nur eine Seele wahrhaft beharrt. Nach Herrn Bernier herrscht diese Meinung beinah allgemein unter den Gelehrten in Persien und in den Staaten des Gross-Mogul; selbst bei den Kabbalisten und Mystikern scheint sie Eingang gefunden zu haben. Ein Deutscher aus Schwaben, welcher vor einigen Jahren zum Judenthum übergetreten war und unter dem Namen »Der deutsche Moses« seine Lehre vortrug, hat, im Anhalt an die Lehre Spinoza's, angenommen, dass Spinoza die alte Kabbala der Hebräer erneuert habe; auch scheint ein Gelehrter, welcher diesen jüdischen Proselyten widerlegt hat, derselben Ansicht gewesen zu sein. Man weiss, dass Spinoza nur eine Substanz in der Welt anerkennt, von welcher die einzelnen Seelen nur vorübergehende Zustände bilden. Valentin Weigel, Pastor in Zschopau in Sachsen, ein Mann von Geist, vielleicht von etwas zu viel Geist, obgleich man ihn zu einem Enthusiasten hat machen wollen, war vielleicht auch einigermassen dieser Ansicht; ebenso der sogenannte Johann Angelus, ein Schlesier, welcher eine Anzahl kleiner deutscher, frommer und niedlicher Verse in Gestalt von Epigrammen verfasst hat, die kürzlich wieder aufgelegt worden sind; überhaupt könnte der von den Mystikern gestaltete Gott in diesem schlechten Sinne genommen werden. Schon Gerson hat gegen Ruysbroek, einen Mystiker geschrieben. Seine Absicht war anscheinend gut und seine Ausdrücke kann man entschuldigen, indessen thut man besser, wenn man in einer Weise schreibt, die keiner Entschuldigung bedarf, obgleich ich anerkenne, dass die übertriebene und gleichsam dichterische Ausdrucksweise mehr als die regelmässige zu rühren und zu überreden vermag.
10. Die Vernichtung von allem, was uns zu eigen angehört und die von den Quietisten sehr weit getrieben wird, dürfte bei Manchem auch nur eine verstellte Gottlosigkeit sein, wie das, was man von dem Quietismus des Foe berichtet, dem Gründer einer grossen Sekte in China. Nachdem er 40 Jahre seine Religion gepredigt hatte und sich dem Tode nahe fühlte, erklärte er seinen Schülern, dass er ihnen die Wahrheit unter dem Schleier von Bildern verhüllt habe, und dass alles auf Nichts zurückkomme, welches Nichts das oberste Prinzip der Dinge sei. Dies war, wie es scheint, noch schlimmer, als die Meinung der Averroisten. Beide Lehren können nicht aufrecht erhalten werden und überschreiten die wahren Grenzen. Dennoch haben einige Neuere ohne Bedenken diese allgemeine und eine Seele angenommen, welche die andern verschlingt, und sie hat unter den sogenannten starken Geistern nur zu viel Beifall gefunden. Herr von Preissac, ein Soldat und geistvoller Mann, der sich auch mit Philosophie abgegeben, hat sie in seinen Abhandlungen öffentlich aufgerichtet. Das System der im Voraus eingerichteten Harmonie kann dieses Uebel am besten heilen, da es zeigt, dass es nothwendige, einfache und unausgedehnte Substanzen giebt, welche durch die ganze Natur verbreitet sind. Diese Substanzen bestehen unabhängig von allen anderen, ausgenommen von Gott und sie sind niemals von jedwedem organischen Körper getrennt. Wenn man meint, dass die Seelen, welche nur Wahrnehmung und Empfindung, aber keine Vernunft haben, sterblich seien, oder dass nur vernünftige Seelen eine Empfindung haben können, so bietet dies den Monophysiten viele Angriffspunkte, da man die Menschen kaum dazu überreden wird, dass die Thiere keine Empfindung haben und, wenn man einmal zugiebt, dass der Empfindungsfähige untergehen könne, so kann die Unsterblichkeit der Seele kaum noch auf die Vernunft gestützt werden.
11. Ich habe dies hier beiläufig erwähnt, weil ich dies in einer Zeit für zweckmässig hielt, wo man nur zu sehr dahin neigt, die natürliche Religion bis auf ihre Fundamente umzustürzen. Ich komme nun zu den Averroisten zurück, welche meinten, ihre Lehre durch die Vernunft begründet zu haben. In Folge dessen erklärten sie die menschliche Seele nach der Philosophie für sterblich, aber dabei versicherten sie, dass sie sich der christlichen Theologie unterwürfen, welche die Seele für unsterblich erklärt. Indess galt diese Unterscheidung für verdächtig, und diese Trennung der Vernunft vom Glauben wurde laut durch die damaligen Prälaten und Doktoren verworfen und im letzten Lateranischen Concil unter Leo X. verdammt. Dabei wurden die Gelehrten ermahnt, an der Beseitigung der Schwierigkeiten zu arbeiten, welche sich zwischen der Theologie und Philosophie zu entspinnen schienen. Indess erhielt sich die Lehre von deren Unverträglichkeit gleichsam incognito; Pomponacius wurde derselben verdächtig, obgleich er sich anders erklärte und die Sekte der Averroisten erhielt sich durch mündliche Ueberlieferung und man glaubt, dass der zu seiner Zeit berüchtigte Philosoph Cesar Cremonin eine Hauptstütze derselben gewesen ist. Der Arzt Andreas Caesalpinus, ein verdienstlicher Schriftsteller, der nach Michael Servet der Entdeckung des Blutumlaufs sehr nahe war, wurde von Nicolaus Taurel (in einer Schrift: Die gefällten Alpen) beschuldigt, dass er zu diesen Peripatetikern, den Gegnern der Religion, gehöre. Spuren dieser Lehre finden sich auch in dem »Circulus Pisanus« des Claudius Berigard, eines Schriftstellers, der von Geburt Franzose, nach Italien ging und in Pisa Philosophie lehrte. Insbesondere ergeben aber die Schriften und Briefe von Gabriel Naudé, so wie die Naudaeana, dass zur Zeit, wo dieser gelehrte Arzt in Italien war, der Averroismus noch bestand. Die Corpuscular-Philosophie, die bald nachher eingeführt wurde, scheint diese übertriebene Peripatetische Sekte beseitigt oder mit ihr sich gemischt zu haben und manche Atomisten möchten wohl gerne Lehren, wie die der Averroisten aufstellen, wenn die Verhältnisse es gestatteten. Indess wird dieser Missbrauch dem Guten in der Corpuscular-Philosophie keinen Schaden thun, da sie sich sehr gut mit den gründlichen Sätzen Plato's und Aristoteles' verträgt und beide mit der wahren Theologie sich vereinigen lassen.
12. Die Reformatoren, namentlich Luther, haben, wie ich bereits bemerkt, mitunter sich so geäussert, als wenn sie die Philosophie verwürfen und sie als einen Feind des Glaubens betrachteten. Aber richtig aufgefasst, verstand Luther unter Philosophie nur das, was dem gemeinen Lauf der Natur entspricht oder vielleicht sogar das, was man davon in den Schulen lehrte. So sagt er, es sei in der Philosophie, d.h. in der Natur-Ordnung unmöglich, dass das Wort Fleisch werde und er geht zu der Behauptung fort, dass das, was in der Naturwissenschaft wahr sei, in der Moral falsch sein könne. Aristoteles war der Gegenstand seines Zornes und seit dem Jahre 1516, wo er vielleicht noch nicht an die Reform der Kirche dachte, hatte er den Plan, die Philosophie zu reinigen. Indess besänftigte er sich später und gestattete es, dass man in der Apologie des Augsburgischen Bekenntnisses über Aristoteles und dessen Moral sich günstig aussprach. Der gelehrte und gemässigte Melanchthon stellte kleine Systeme über einzelne Zweige der Philosophie auf, die sich mit den geoffenbarten Wahrheiten vertrugen und für das tägliche Leben von Nutzen sind, so dass sie noch heute des Lesens werth sind. Nach ihm erhob sich Peter von Ramée; seine Philosophie kam sehr in Aufnahme und die Sekte der Ramisten wurde in Deutschland mächtig. Die Protestanten folgten ihr und sie wurde selbst in der Theologie benutzt. Erst als die Corpuscular-Philosophie wieder erweckt wurde, vergass man die des Ramée und das Ansehen der Peripatetiker sank.
13. Trotzdem entfernten sich verschiedene protestantische Theologen so viel sie konnten, von der scholastischen Philosophie, welche bei ihren Gegnern herrschte, ja sie verachteten die Philosophie überhaupt, die ihnen verdächtig war. Zuletzt brach der Streit in Helmstädt durch die Bitterkeit des Daniel Hofmann, eines sonst gewandten Theologen, aus, der bei der Quedlinburger Zusammenkunft sich Ansehn verschafft hatte, wo er mit Tilemann Heschusius sich auf die Seite des Herzogs Julius von Braunschweig gestellt hatte, als dieser die Concordienformel nicht annehmen wollte. Ich weiss nicht, wie der Dr. Hofmann sich gegen die Philosophie ereiferte, anstatt sich auf den Tadel der Missbräuche zu beschränken, welchen die Philosophen mit ihr treiben; er hatte es aber auf den berühmten Johann Caselius abgesehen, welcher von den Fürsten und Gelehrten seiner Zeit geachtet wurde und der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig (der Sohn des Herzogs Julius, des Gründers der Universität) unterzog sich selbst der Mühe, die Sache zu untersuchen und verdammte demnächst den Theologen. Seitdem sind noch einige ähnliche kleine Zwiste vorgekommen, es ergab sich aber immer, dass sie auf Missverständnissen beruhten. Der berühmte Professor Paul Slevogt in Jena in Thüringen, dessen Abhandlungen, so weit sie noch vorhanden sind, zeigen, wie sehr er in der scholastischen Philosophie und in der Hebräischen Literatur bewandert war, hatte in seiner Jugend unter dem Titel: Pervigilium (Die Nachtwachen), eine kleine Schrift über den Streit des Theologen und des Philosophen, welcher sich auf deren beiderseitige Prinzipien stützt, bei Gelegenheit der Frage veröffentlicht, ob Gott die accidentelle Ursache des Uebels sei. Man ersah indess bald, wie er nur zeigen wollte, dass die Theologen mitunter philosophische Ausdrücke missbrauchen.
14. Gehe ich auf meine Zeit über, so entsinne ich mich, dass als Luis Meyer, ein Arzt in Amsterdam, 1666 anonym die Schrift: Die Philosophie als Auslegerin der heiligen Schrift veröffentlichte (mit Unrecht haben Mehrere sie seinem Freunde Spinoza zugeschrieben), die holländischen Theologen sich erhoben und durch ihre Gegenschriften zu grossen Streitigkeiten unter sich Anlass gaben. Viele meinten, dass die Cartesianer in ihren Widerlegungen des anonymen Philosophen, der Philosophie zu viel zugestanden hätten. Johann von Labadie griff (noch vor seiner Trennung von der reformirten Kirche, die angeblich wegen einiger Missbräuche, die sich in die politische Praxis eingeschlichen hatten und die ihm unerträglich schienen, geschah), die Schrift des Herrn von Wollzogen an und that ihr viel Schaden; von der andern Seite bekämpften Herr Vogelsang, Herr von der Waeyen und einige andere Anti-Coccejaner das Buch ebenfalls mit vieler Bitterkeit; allein der Angeklagte gewann seine Sache auf einer Synode. Seitdem sprach man in Holland von theologischen Rationalisten und Nicht-Rationalisten, eine Partei-Unterscheidung, deren Herr Bayle oft erwähnt und wo er sich zuletzt gegen die ersteren entscheidet. Indess hat man wohl die Regeln noch nicht genau aufgestellt, in denen beide Parteien übereinstimmen und in denen es nicht der Fall für die Frage ist, wie weit von der Vernunft bei der Erklärung der heiligen Schrift Gebrauch zu machen ist.
15. Ein ähnlicher Streit scheint noch seit kurzem die Kirchen des Augsburgischen Bekenntnisses zu beunruhigen. Einige Magister auf der Universität Leipzig hielten bei sich Privatvorlesungen für die Studenten, welche angeblich die heilige Philologie lernen wollten, wie dies bei dieser und einigen andern Universitäten gebräuchlich ist, wo dieser Zweig des Studiums noch nicht der theologischen Facultät vorbehalten ist. Diese Magister nahmen das Studium der heiligen Schriften und die Uebung der Frömmigkeit strenger, als es ihre Collegen gewöhnt waren. Man sagt, sie hätten manche Dinge übertrieben und sie seien im Verdacht von mehreren Neuerungen in der Lehre gerathen. Man gab ihnen deshalb den Namen der Pietisten, als einer neuen Sekte. Dieser Name hat seitdem in Deutschland viel von sich reden gemacht, und ist wohl oder übel auf alle diejenigen angewandt worden, welche man im Verdacht hatte, oder bei denen man wenigstens so that, als hätte man sie im Verdacht des Fanatismus und selbst einer Heuchelei, die sich unter den Schein der Reform verhülle. Da nun einige Zuhörer dieser Magister sich durch ein sehr auffallendes Benehmen bemerklich gemacht hatten, unter andern durch eine Verachtung der Philosophie, von der sie die Lektionshefte verbrannt haben sollten, so glaubte man, dass ihre Lehrer die Philosophie verwürfen; indess rechtfertigten diese sich sehr gut und man konnte sie weder dieses Irrthums, noch der ihnen nachgesagten Ketzereien überführen.
16. Die Frage über den Gebrauch der Philosophie in der Theologie ist unter den Christen viel verhandelt worden und wenn man in das Einzelne einging, hatte man Mühe, sich über die Grenzen dieses Gebrauchs zu vereinigen. Die Mysterien der Dreieinigkeit, der Fleischwendung und des heiligen Abendmahls gaben am meisten Gelegenheit zum Streit. Die neuen Photinianer bekämpften die beiden ersten Mysterien und bedienten sich gewisser philosophischer Sätze, von denen Andreas Kessler, ein Theolog augsburgischen Bekenntnisses einen kurzen Abriss in den Abhandlungen gegeben hat, welche er über die Socinianische Philosophie veröffentlichte. Ueber ihre Metaphysik kann man sich indess besser durch die Socinianische Philosophie, welche der Socinianer Christoph Stegmann verfasst hat, unterrichten; sie ist noch nicht gedruckt, aber ich habe sie in meiner Jugend gesehen und man hat sie mir vor kurzen mitgetheilt.
17. Calovius und Scherzer, welche Schriftsteller beide mit der scholastischen Philosophie genau bekannt sind und einige andere geschickte Theologen haben den Socinianern weitläufig und oft mit Erfolg geantwortet. Man begnügte sich indess mit allgemeinen, etwas oberflächlichen Entgegnungen, wie sie ihnen meistens entgegengestellt wurden und die darauf hinauslaufen, dass ihre Lehren für die Philosophie, aber nicht für die Theologie passten und dass dies ein Fehler jener Gebietsverwechselung sei, welche metabasis eis allo genos (Uebergang in anderes Gebiet) heisst, wenn nämlich jemand die Philosophie in dem verwendet, was die Vernunft übersteigt; vielmehr müsse die Philosophie als die Magd und nicht als die Herrin der Theologie in Gemässheit des Titels von dem Buche des Schotten Robert Baronius, Philosophia Theologiae ancillans, behandelt werden. Sie sei eine Hagar neben der Sara, die mit ihrem Ismael aus dem Hause gejagt werden müsse, wenn sie die störrische spielen wolle. In diesen Antworten liegt etwas richtiges, allein man könnte einen falschen Gebrauch davon machen, in unpassender Weise die natürlichen Wahrheiten mit den geoffenbarten in Widerstreit bringen und deshalb haben die Gelehrten sich bemüht, das was in den natürlichen oder philosophischen Wahrheiten nothwendig und unbedingt ist von dem zu sondern, was dies nicht ist.
18. Die beiden protestantischen Parteien sind immer einig, wenn es sich um den Krieg gegen die Socinianer handelt und da die Philosophie dieser Sektirer nicht zu der streng begründeten gehört, so sind letztere oft gründlich geschlagen worden. Dagegen haben dieselben Protestanten sich unter einander über das Sakrament des Abendmahls veruneinigt, als die Partei der Reformirten (d.h. derer, welche hier mehr dem Zwingli als dem Calvin folgten) die Theilnahme an dem Körper von Jesus Christus auf eine blos figürliche Stellvertretung zurückzuführen schien, indem sie den Satz der Philosophie benutzten, wonach ein Körper nicht zugleich an zwei Orten sein kann, während die Evangelischen (die sich in einem engeren Sinn so nennen, um sich von den Reformirten zu unterscheiden) sich mehr an den Wortsinn halten und mit Luther annehmen, dass diese Theilnahme eine wirkliche sei und dass hier ein übernatürliches Mysterium bestehe. Sie verwerfen in Wahrheit die Lehre von der Umwandelung der Substanz und halten diese in den Schriftworten nicht für begründet, auch billigen sie eben so wenig die Lehre der Mitumwandelung, oder der Impanation (der Annahme, dass der Körper Jesu in dem Brote enthalten sei), was man ihnen nicht zur Last legen kann, da sie den Sinn dieser Auffassung nicht genug kennen; denn sie lassen den Einschluss des Körpers Jesu Christi in das Brot nicht zu und verlangen nicht einmal eine Verbindung des einen mit dem andern; sondern sie verlangen eine Mitbegleitung in der Art, dass beide Substanzen gleichzeitig genossen werden. Sie meinen, dass die gewöhnliche Bedeutung der Worte Jesu Christi bei einer so wichtigen Gelegenheit beibehalten werden müsse, wo es sich um den Ausspruch seines letzten Willens handle. Um diese Auffassung von aller Widersinnigkeit, die uns davon abwendig machen könnte, zu befreien, behaupten sie, dass der philosophische Satz, welcher das Dasein und die Theilnahme der Körper auf einen einzigen Ort beschränkt, nur eine Folge des gewöhnlichen Laufes in der Natur sei. Sie heben damit die Gegenwart des Körpers unseres Heilands im gewöhnlichen Sinne dieses Wortes nicht als eine solche auf, da eine solche dem gefeiertsten Körper angemessen sein könne. Sie nehmen ihre Zuflucht noch nicht zu einer, ich weiss nicht, welcher Ausbreitung von Ubiquität, welche den Körper zerstreuen und nirgends bestehen lassen würde; auch lassen sie nicht die vielfache Verdoppelung einiger Scholastiker zu, als wenn derselbe Körper hier sitzen und dort aufrecht stehen könnte, sondern sie sprechen sich zuletzt so aus, dass es scheint, dass die Meinung Calvins, welche durch die Bekenntnisse mehrerer der Lehre dieses Mannes folgenden Kirchen bestätigt wird, und wonach er eine Theilnahme an der Substanz behauptet, nicht so weit von dem Augsburgischen Bekenntnisse abweicht, als man vielleicht meint. Die Abweichung von letzterem besteht wohl nur darin, dass Calvin für diese Theilnahme den wahren Glauben neben der Aufnahme der Symbole durch den Mund fordert und deshalb die Unwürdigen davon ausschliesst.
19. Hieraus erhellt, dass die Lehre von der wirklichen und substantiellen Theilnahme durch eine richtig aufgefasste Analogie zwischen der unmittelbaren Wirksamkeit und der Gegenwart sich aufrecht erhalten lässt (ohne dass man die sonderbaren Meinungen einiger Scholastiker zu Hülfe zu nehmen braucht), und da mehrere Philosophen der Ansicht sind, dass selbst innerhalb der natürlichen Ordnung ein Körper aus der Entfernung unmittelbar auf mehrere von ihm abstehende Körper gleichzeitig einwirken könne, so halten sie dafür, dass um so viel mehr die göttliche Allmacht es bewirken könne, dass ein Körper bei verschiedenen Körpern gleichzeitig gegenwärtig sein könne, da der Uebergang von der unmittelbaren Wirksamkeit zur Gegenwart nicht gross sei und vielleicht das eine von dem andern abhänge. Allerdings haben die neueren Philosophen seit einiger Zeit die unmittelbare natürliche Einwirkung eines Körpers auf einen andern von ihm entfernten verworfen und ich gestehe, dass ich auch dieser Ansicht bin; allein diese Wirkung in die Ferne ist kürzlich durch den ausgezeichneten Herrn Newton in England wieder aufgenommen worden, welcher es als eine natürliche Eigenschaft der Körper hinstellt, dass sie im Verhältniss ihrer Massen und der anziehenden Strahlen die sie erhalten, sich gegenseitig anziehen und zu einander streben. Der berühmte Herr Locke hat in seiner Antwort an den Herrn Erzbischof Stillingfleet erklärt, dass er selbst nach Einsicht des Briefes von Herrn Newton das, was er in seinem Versuch über den Verstand in Folge der neueren Ansichten gesagt, zurücknehme, nämlich dass ein Körper unmittelbar auf einander nur durch Berührung seiner Oberfläche und durch Stoss in Folge eigner Bewegung einwirken könne. Herr Locke erkennt an, dass Gott Eigenschaften in den Stoff verlegen könne, die denselben auch in die Ferne wirken lassen. In dieser Weise halten die Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses fest, dass ein Körper je nachdem Gott es bestimme, nicht allein unmittelbar auf mehrere von einander entfernte Körper einwirken, sondern dass er auch selbst bei ihnen sein und in einer Weise von ihnen aufgenommen werden könne, ohne dass die örtlichen Abstände und die räumlichen Entfernungen ein Hinderniss abgäben. Wenn diese Wirkung auch über die Kräfte der Natur gehe, so könne man doch nicht zeigen, dass sie die Macht des Schöpfers der Natur übersteige, da dieser leicht die der Natur von ihm gegebenen Gesetze aufheben oder nach seinem Gutfinden in einzelnen Fällen davon befreien könne, wie er ja in derselben Weise das Eisen auf dem Wasser habe schwimmen lassen und die Wirkung des Feuers auf den menschlichen Körper gehemmt habe.
20. Bei Vergleichung des Rationale Theologicum von Nicolas Vedelius mit der Widerlegung von Johann Musäus habe ich gefunden, dass diese beiden Schriftsteller, deren einer als Professor in Franecker gestorben ist, nachdem er in Genf gelehrt hatte und der andere zuletzt der erste Theologe in Jena geworden ist, in den Hauptregeln über den Gebrauch der Vernunft sehr übereinstimmen und dass sie nur in der Anwendung dieser Regeln auseinandergehen. Sie sind einverstanden, dass die Offenbarung nicht denjenigen Wahrheiten widersprechen könne, deren Nothwendigkeit die Philosophen eine logische oder metaphysische nennen, d.h. deren Gegensätze einen Widerspruch enthalten würden, sie geben auch beide zu, dass die Offenbarung die Regeln überschreiten könne, deren Nothwendigkeit eine physische genannt werde, und welche ihren Grund nur in den Gesetzen haben, wel che der Wille Gottes der Natur vorgeschrieben hat. Deshalb bezieht sich die Frage, ob die Gegenwart eines Körpers in mehreren Orten nach der natürlichen Ordnung möglich sei, nur auf die Anwendung jener Regel und man müsste, um diese Frage durch Vernunftschlüsse streng zu entscheiden, genau erklären, worin das Wesen der Körper bestehe. Selbst die Reformirten sind darüber nicht einig; die Cartesianer beschränken sie auf die Ausdehnung, aber ihre Gegner widersprechen und ich glaube, dass selbst Gisbert Voetius, der berühmte Utrechter Theologe, die angebliche Unmöglichkeit des Seins an mehreren Orten bezweifelte.
21. Wenn nun auch die beiden protestantischen Parteien darin einig sind, dass man die erwähnten beiden Nothwendigkeiten, die metaphysische und die physische unterscheiden müsse und dass selbst bei den Mysterien von ersterer keine Ausnahme zugelassen werden könne, so sind sie doch noch nicht genügend über die Auslegungsregeln einig, welche bestimmen, in welchen Fällen man den Buchstaben verlassen könne, wenn man noch nicht sicher ist, ob die Worte den unerlässlichen Wahrheiten widersprechen. Denn sie sind einig, dass man in gewissen Fällen die wirkliche Auslegung verlassen müsse, wenn sie auch nicht zu unbedingt Unmöglichem führt, sofern sie nur im Uebrigen wenig passt. So sind z.B. alle Ausleger einverstanden, dass unser Herr es bildlich meinte, als er sagte, Herodes sei ein Fuchs; und man muss dies annehmen, anstatt mit einigen Fanatikern sich einzubilden, dass Herodes für die Zeit, während die Worte unseres Herrn andauerten, wahrhaft in einen Fuchs verwandelt worden sei. Dies gilt aber nicht auch für die fundamentalen Stellen über die Mysterien, wo man nach den Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses sich an den Wortsinn halten müsse. Da nun diese Frage mehr der Auslegungskunst und nicht eigentlich der Logik angehört, so gehe ich hier um so weniger darauf ein, als sie mit den Streitigkeiten wenig zusammenhängt, welche sich seit kurzem über die Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft erhoben haben.
22. Die Theologen aller Parteien, denke ich (die Fanatiker ausgenommen), sind wenigstens darin einig, dass kein Glaubensartikel einen Widerspruch enthalten, noch so genauen Beweisen, wie es die mathematischen sind, widersprechen darf, bei denen das Gegentheil ihres Schlusssatzes ad absurdum, d.h. zu einem Widerspruch geführt werden kann. Der heilige Athanasius hat mit Recht über das unverständliche Geschwätz einiger Schriftsteller seiner Zeit gespottet, welche behaupteten, Gott habe ohne Leiden gelitten. Passus est impassibiliter. Welche lächerliche Lehre, die zugleich aufbaut und niederreisst. Gewisse Schriftsteller haben daher zu schnell eingewendet, dass die heilige Dreieinigkeit dem wichtigen Grundsatz widerspreche, wonach zwei Dinge, welche dieselben mit einem dritten sind, auch unter einander dieselben sind; d.h. wenn A dasselbe ist wie B und wenn C dasselbe ist wie B, so müssen auch A und C unter sich dieselben sein. Denn dieser Grundsatz folgt unmittelbar aus dem Satz des Widerspruchs und ist die Grundlage der ganzen Logik; ohne ihn giebt es keine sicheren Begründungen. Wenn man also sagt, der Vater sei Gott und der Sohn sei Gott und der heilige Geist sei Gott und es dennoch nur einen Gott giebt, obgleich diese drei Personen verschieden sind, so muss das Wort Gott am Anfang dieses Satzes nicht die gleiche Bedeutung, wie am Schlusse haben. In Wahrheit bezeichnet es bald die göttliche Substanz, bald eine Person der Gottheit. Man muss also allgemein sich hüten, die nothwendigen und ewigen Wahrheiten um der Aufrechthaltung eines Mysteriums willen, Preis zu geben, weil man fürchtet, dass die Feinde der Religion daraus ein Recht hernehmen möchten, die Religion und die Mysterien überhaupt herabzuwürdigen.
23. Die Unterscheidung, die man gewöhnlich zwischen dem, was über die Vernunft geht und dem, was gegen die Vernunft geht zieht, passt gut auch zu der Unterscheidung der beiden Arten von Nothwendigkeit. Denn was gegen die Vernunft geht, geht auch gegen die unbedingt gewissen und ausnahmlosen Wahrheiten und das, was über die Vernunft geht, widerstreitet nur dem, was man zu erfahren oder zu begreifen gewöhnt ist. Ich wundere mich deshalb, dass Männer von Geist diese Unterscheidung nicht gelten lassen und dass auch Herr Bayle dazu gehört. Diese Unterscheidung hat sicherlich ihren guten Grund. Eine Wahrheit ist über unserer Vernunft, wenn unser Geist (und jeder erschaffene Geist) sie nicht zu verstehen vermag und der Art ist, nach meiner Ansicht, die heilige Dreieinigkeit. Der Art sind die Wunder, die Gott sich allein vorbehalten hat, wie z.B. die Schöpfung; der Art ist die gewählte Ordnung der Welt, welche von der allgemeinen Harmonie und von einer bestimmten gleichzeitigen Kenntniss unendlich vieler Dinge abhängt. Dagegen kann eine Wahrheit niemals gegen die Vernunft sein. Ein Glaubenssatz, der von der Vernunft bekämpft und widerlegt worden ist, kann durchaus nicht für unbegreiflich erklärt werden, vielmehr kann man sagen, dass nichts leichter zu verstehen und nichts offenbarer ist, als seine Widersinnigkeit. Denn ich habe gleich Anfangs gesagt, dass unter Vernunft ich hier nicht die Meinungen und das Gerede der Menschen befasse und auch nicht deren Gewohnheit über die Dinge nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur zu urtheilen, verstehe, sondern die unverletzliche Verknüpfung der Wahrheiten.
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