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In "Die Theodicee" untersucht Gottfried Wilhelm Leibniz die fundamentalen Fragen des Leidens und des Bösen im Zusammenhang mit der Existenz eines gütigen und allmächtigen Gottes. In einem klaren, philosophisch dichten Stil entwirft Leibniz sein Konzept des besten aller möglichen Welten, in dem er die Notwendigkeit von Leid und Übel als Teil eines größeren göttlichen Plans erörtert. Dieses Werk, entstanden im kontextuellen Hintergrund des 17. Jahrhunderts, als traditionelle theologische Annahmen auf die Probe gestellt wurden, stellt eine entscheidende Auseinandersetzung mit der Problemstellung des Theodizee dar und verbindet metaphysische Argumentation mit ethischen Fragestellungen. Gottfried Wilhelm Leibniz, einer der bedeutendsten Philosophen und Mathematiker der Aufklärung, prägte die europäische Denktradition durch sein Engagement für Rationalität und Wissenschaft. Sein tiefes Interesse an der Metaphysik und die Auseinandersetzung mit theologischen Fragen dieser turbulenten Zeit motivierten ihn, dieses bahnbrechende Werk zu verfassen. Leibniz' vielseitiges Schaffen, das von mathematischen Entdeckungen bis hin zu philosophischen Grundsätzen reicht, zeugt von seinem Bestreben, die Welt und die menschliche Erfahrung durch Vernunft verständlich zu machen. Für Leser, die sich für die tiefen Fragen des Seins und der Existenz interessieren, ist "Die Theodicee" unerlässlich. Leibniz' meisterhafte Darstellung und Argumentation fördern ein kritisches Nachdenken über die Theodizeefrage und regen zu reflektierten Diskursen über Gott, Gut und Böse an. Dieses Werk ist ein zeitloser Beitrag zur Philosophie, der sowohl intellektuell herausfordert als auch erkenntnistheoretische Einsichten bietet. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Diese Sammlung versammelt die zentralen Schriften, in denen Gottfried Wilhelm Leibniz sein theodizeeisches Projekt entfaltet. Sie ist keine Auswahl belletristischer Gattungen, sondern eine sorgfältig komponierte Zusammenstellung philosophischer Abhandlungen und begleitender Analysen. Ziel ist es, den gedanklichen Bogen zu zeigen, mit dem Leibniz die Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft, die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels zusammenhängend begründet. Die Edition richtet sich an Leserinnen und Leser, die eine geschlossene, zugleich vielstimmige Darstellung dieser Fragen suchen, wie sie Leibniz in systematischer, argumentativer und diskursiver Form entwickelt hat.
Im Mittelpunkt steht die Theodizee im weiten Sinn, die durch mehrere eigenständige Stücke getragen wird: eine Abhandlung zur Übereinstimmung von Glauben und Vernunft, die große Untersuchung zu Gottes Güte, menschlicher Freiheit und dem Ursprung des Übels, eine kurze Darstellung der Streitfrage in förmlichen Schlüssen, Betrachtungen zum Problem von Freiheit, Notwendigkeit und Zufall im Anschluss an Hobbes, Bemerkungen zu einem zeitgenössischen englischen Werk über das Übel sowie eine umfassende Verteidigung der Sache Gottes. Zusammen ergeben diese Texte ein geschlossenes Ensemble, das Grundlegung, systematische Ausarbeitung, formale Verdichtung und kontroverse Klärung verbindet.
Der Umfang der Sammlung ist so bemessen, dass die argumentative Bewegung des Projekts sichtbar wird: von der grundlegenden Zusammenschau von Glaube und Vernunft über die Kernargumente der Theodizee bis zu präzisen, logisch geordneten Beweisgängen und polemisch-prüfenden Reflexionen. Statt verstreuter Einzeltexte bietet die Edition einen thematisch fokussierten Überblick, der die innere Architektur der leibnizschen Position nachvollziehbar macht. Dabei wird deutlich, wie die einzelnen Teile einander stützen: definitorische Klärungen bereiten systematische Thesen vor, diese werden in formalen Schlüssen zugespitzt und schließlich an prominenten Gegenpositionen erprobt.
Die Texte entstanden im frühen 18. Jahrhundert im Spannungsfeld zwischen naturphilosophischen Neuerungen, theologischer Debatte und einer sich konsolidierenden rationalistischen Metaphysik. Ursprünglich in einem gelehrten europäischen Diskurskontext verfasst, zeigen sie Leibniz als Autor, der systematische Strenge mit der Bereitschaft zur Auseinandersetzung verbindet. Die hier vereinten Stücke lassen erkennen, wie er auf zeitgenössische Einwände reagiert, Begriffe schärft und seine These einer rational verantwortbaren Gottesgerechtigkeit entfaltet. In dieser Zusammenschau gewinnt der historische Kontext Kontur, ohne die philosophische Relevanz auf zeitgebundene Kontroversen zu reduzieren.
Die Sammlung repräsentiert unterschiedliche Textsorten innerhalb der philosophischen Prosa. Sie umfasst ausführliche Abhandlungen, die zentrale Thesen entwickeln und stützen, ebenso wie knappe, argumentlogisch strukturierte Darstellungen, die zentrale Streitpunkte in geordnete Schlussreihen überführen. Hinzu kommen kritische Betrachtungen und Bemerkungen zu zeitgenössischen Schriften, die den Diskussionscharakter der Materie sichtbar machen. Dadurch wird die Bandbreite zwischen systematischer Entfaltung, formaler Reduktion und dialogischer Auseinandersetzung abgedeckt. Fiktive Formen, autobiografische Texte oder Dichtung sind nicht vertreten; die Sammlung konzentriert sich strikt auf philosophisch-theologische Argumentprosa.
Als Gattung dominieren Essays und Traktate, die durch Anmerkungen, Erörterungen und Gegenargumente begleitet werden. Charakteristisch ist das Wechselspiel zwischen erläuternden Passagen, begrifflicher Präzision und pointierter Argumentation. Die formale Kurzfassung der Streitfrage demonstriert exemplarisch die Tendenz, komplexe Gedankengänge in explizite Schlussformen zu überführen. Die kritischen Bemerkungen zu zeitgenössischen Veröffentlichungen zeigen eine zweite, diskurspraktische Seite: die Prüfung fremder Argumente nach Konsistenz, Voraussetzungen und Konsequenzen. So ergibt sich ein Spektrum von systematischem Vortrag bis zu prüfender, kommentierender Analyse.
Die Betrachtungen zum Problem von Freiheit, Notwendigkeit und Zufall im Anschluss an Hobbes veranschaulichen die dialogische Anlage der Sammlung. Sie zeigen, wie eine starke Position zur Notwendigkeit auf die leibnizsche Verteidigung eines verstandenen, vernunftgemäß verantwortbaren Freiheitsbegriffs trifft. Textsortlich steht hier die kritische Reflexion im Vordergrund, die fremde Thesen referiert, prüft und differenziert zurückweist oder integriert. Der Wert dieser Stücke liegt nicht nur in der Widerlegung, sondern in der Klärung terminologischer und logischer Unschärfen, die das Thema seit jeher begleiten.
Die Bemerkungen zu einem englischen Werk über den Ursprung des Übels erweitern den Diskussionshorizont. Sie gehören zur Gattung der gelehrten Anmerkung beziehungsweise Rezension und dienen der Prüfung eines parallelen Lösungsversuchs. Hier zeigt sich die Sorgfalt, fremde Argumente fair zu referieren, Stärken anzuerkennen und Schwächen herauszuarbeiten. Diese Form der Auseinandersetzung schärft das Profil der Theodizee, indem Alternativen ernst genommen und anhand gemeinsamer Maßstäbe beurteilt werden. So wird die Sammlung zugleich zu einem Dokument gelehrter Gesprächskultur und zu einer Schule methodischer Kritik.
Inhaltlich verbindet die Texte das Bemühen, die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels so zu denken, dass weder Vernunft noch Glaube preisgegeben werden. Leitend ist der Anspruch, Gründe anzugeben, die die Vereinbarkeit dieser Größen plausibel machen. Dabei spielen systematische Prinzipien eine zentrale Rolle, insbesondere die Forderung nach zureichenden Gründen und die Idee, dass die Ordnung der Dinge rational verständlich sei. Die Rede von der möglichen besten Welt ist in diesem Rahmen eine Folgeüberlegung: Sie versucht, Auswahl, Ordnung und Rechtfertigung des Wirklichen einsichtig zu machen.
Stilistisch kennzeichnet Leibniz eine Verbindung aus begrifflicher Genauigkeit, ordnender Übersicht und zuweilen knappen, zugespitzten Argumentgängen. Er arbeitet mit Definitionen, Unterscheidungen und Folgerungsbeziehungen, die er explizit macht, wenn es der Klarheit dient. Zugleich zeigt er eine diskursive Sensibilität, indem er Einwände vorwegnimmt, Varianten abwägt und den Raum des Erlaubten vom Bereich des Spekulativen trennt. So entsteht eine Prosa, die weder bloße Systemskizze noch bloße Kontroverse ist, sondern eine kontrollierte, methodisch bewusste Darlegung, die die Leserinnen und Leser schrittweise in die Problemlage hineinführt.
Als Gesamtheit bleiben die hier versammelten Schriften bedeutsam, weil sie eine klassische Antwort auf eine dauerhaft aktuelle Frage vorlegen: Wie kann eine rationale Theologie das Übel denken, ohne Gottes Güte und menschliche Freiheit zu unterminieren? Zugleich wirken sie über die Philosophie der Religion hinaus in Metaphysik und Ethik, indem sie Verantwortlichkeit, Kausalität und Ordnung der Welt betreffen. Ihre Stärke liegt nicht im schnellen Sieg über Einwände, sondern in der methodischen Disziplin, die Standpunkte prüfbar macht. Dadurch behalten sie exemplarischen Wert für philosophisches Argumentieren insgesamt.
Diese Einführung lädt dazu ein, die Sammlung als organisches Ganzes zu lesen: von der Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft über die systematische Theodizee, die formale Streitdarstellung und die kritischen Auseinandersetzungen bis zur abschließenden Verteidigung der Sache Gottes. Die Abfolge macht die innere Logik des Projekts sichtbar und erschließt, wie sich Grundgedanken in unterschiedlichen Textsorten bewähren. Wer diese Stationen durchschreitet, erhält nicht nur Zugang zu einem Schlüsseltext der Frühaufklärung, sondern auch ein Muster dafür, wie philosophische Klarheit, argumentative Strenge und diskursive Fairness zusammenwirken können.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) war ein deutscher Philosoph, Mathematiker, Jurist und Staatsdenker der Frühen Aufklärung. Er gilt neben Newton als Miterfinder der Infinitesimalrechnung und entwickelte eine umfassende Metaphysik, die mit Prinzipien wie hinreichendem Grund und vorab etablierter Harmonie verbunden ist. Als Gelehrter in höfischen Diensten verband er Forschung, Diplomatie und Organisationsarbeit. Sein Werk reicht von Logik, Naturwissenschaft und Technik bis zu Rechts- und Geschichtsschreibung. Leibniz sah Wissen als vernetztes Ganzes und strebte nach einer universalen Wissenschaftssprache. Seine Schriften und seine Korrespondenz prägten Debatten seiner Zeit und wirken bis heute in Philosophie, Mathematik und Informatik fort.
Er wuchs in Leipzig auf und studierte dort Philosophie und Recht, bevor er an der Universität Altdorf zum Doktor der Rechte promovierte. Früh prägten ihn die aristotelisch-scholastische Tradition, die neue mechanistische Naturphilosophie sowie humanistische Philologie. Wichtige akademische Lehrer waren Jacob Thomasius in Leipzig und der Mathematiker Erhard Weigel in Jena. Bereits mit De Arte Combinatoria (1666) formulierte er ein Programm symbolischer Wissenschaft, das später zur Idee einer characteristica universalis führte. Prägend wurden außerdem die Auseinandersetzung mit Descartes und Hobbes und, etwas später, die Begegnung mit Christiaan Huygens, der seine mathematische Ausbildung entscheidend förderte.
Nach frühen juristisch-diplomatischen Aufgaben in Mainz, wo er für den Staatsmann Johann Christian von Boineburg tätig war, führte ihn eine Mission in den frühen 1670er-Jahren nach Paris. Dort arbeitete er intensiv an Mathematik und Physik und lernte Huygens kennen. 1673 reiste er nach London, zeigte der Gelehrtenwelt seine Rechenmaschine und knüpfte Kontakte zu wissenschaftlichen Kreisen. Ende der 1670er-Jahre wechselte er in den Dienst des Hauses Braunschweig-Lüneburg in Hannover, wo er bis zu seinem Lebensende beratend, historiografisch und als Bibliothekar wirkte. Seine praktischen Verwaltungsaufgaben verband er fortan mit der fortgesetzten Arbeit an wissenschaftlichen und philosophischen Projekten.
Leibniz’ mathematischer Durchbruch kam mit der Infinitesimalrechnung. In Acta Eruditorum publizierte er 1684 Nova methodus pro maximis et minimis und 1686 weitere Ausarbeitungen, in denen er die Differential- und Integralnotation mit d und dem Zeichen ∫ einführte. Er entwickelte die Staffelwalze für eine Rechenmaschine und trieb die kombinatorische Analyse voran. Mit Explication de l’Arithmétique Binaire (1703) stellte er das Binärsystem dar und reflektierte dessen philosophische Tragweite. Der spätere Prioritätsstreit mit Newton wurde erbittert geführt, ändert jedoch nichts an der grundlegenden Rolle seiner Darstellung und Symbolik für die moderne Analysis und für die technische Rechenpraxis.
Als Philosoph verfasste er Texte, die zu den klassischen Werken der Metaphysik zählen. Der Discours de métaphysique (um 1686) legt zentrale Lehren dar: den Satz vom zureichenden Grund, die Identität der Ununterscheidbaren und die Lehre der möglichen Welten. Die Essais de Théodicée (1710) argumentieren für die Vereinbarkeit von göttlicher Güte, Freiheit und Übel. Die Monadologie (1714) bietet eine knappe systematische Darstellung: die Welt aus einfachsten Substanzen, den Monaden, geordnet durch prästabilierte Harmonie. Die Nouveaux essais sur l’entendement humain (1704 verfasst, postum veröffentlicht) setzen sich kritisch mit Lockes Empirismus auseinander und zeigen den rationalistischen Kern seines Denkens.
Leibniz war ein Netzwerker europäischen Formats. Er korrespondierte mit Arnauld, den Bernoullis, Huygens und später mit Samuel Clarke; die Clarke-Korrespondenz bündelt grundlegende Differenzen über Raum, Zeit und Kausalität. Als Bibliothekar in Wolfenbüttel modernisierte er Bestände und Kataloge. Er regte die Gründung von Gelehrtengesellschaften an, darunter in Berlin um 1700, und verknüpfte ihre Programme mit praktischer Staatsnützlichkeit. In der Geschichtsschreibung edierte er Quellen zur Geschichte des Welfenhauses, etwa die Scriptores rerum Brunsvicensium. Neben Naturrecht und Politik beschäftigte ihn das Projekt einer universalen Wissenschafts- und Zeichensprache, das im calculus ratiocinator und in der characteristica universalis konzeptionelle Kontur gewann.
In seinen letzten Jahren blieb Leibniz in Hannover, während sich politische Zentren verlagerten. Persönliche Anerkennung am Hof nahm ab, doch sein wissenschaftlicher Austausch hielt an. Er starb 1716. Nachwirkungen setzten in verschiedenen Wellen ein: Im 18. Jahrhundert prägte er Debatten der Aufklärung; Kant und der deutsche Idealismus setzten sich kritisch mit ihm auseinander. Im 19. und 20. Jahrhundert beförderten Editionen seiner Schriften die Rezeption der Logik, während das Binärsystem und seine Rechenideen in der Informatik neue Aktualität erhielten. Heute gilt Leibniz als Gestalt, die Disziplinen verbindet und die Möglichkeit integrierten Wissens exemplarisch verkörpert.
Die theodizeeischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz sind in der Schwellenzeit zwischen Spätrenaissance, Konfessionalisierung und früher Aufklärung entstanden. Nach dem Westfälischen Frieden von 1648 waren die politischen und religiösen Ordnungen Europas neu justiert, doch Konflikte blieben virulent. Gleichzeitig setzte die wissenschaftliche Revolution mit neuen Methoden und Institutionen ungeahnte Maßstäbe. In diesem Spannungsfeld verknüpft Leibniz philosophische, theologische und naturwissenschaftliche Überlegungen zu einer umfassenden Rechtfertigung göttlicher Weisheit. Seine Texte richten sich an eine gelehrte Öffentlichkeit, die Grundsätze von Vernunft, Erfahrung und historischer Kritik verband und die Vereinbarkeit von Glauben und Rationalität als Prüfstein der Moderne verstand.
Leibniz, geboren am 1. Juli 1646 in Leipzig und gestorben am 14. November 1716 in Hannover, verband juristische, philosophische und mathematische Bildung. Nach Studien in Leipzig, Jena und Altdorf (Doktor der Rechte 1666) trat er in kurfürstliche Dienste in Mainz (1667–1672). Reisen nach Paris und London (1672–1676) öffneten ihm die führenden Zirkel der République des Lettres. Ab 1676 stand er im Dienst des Hauses Braunschweig-Lüneburg in Hannover, wo er als Hofrat, Diplomat und Bibliothekar wirkte. Diese kosmopolitische Laufbahn prägte sein Verständnis universaler Vernunftordnungen, deren theologische Implikationen in seinen theodizeeischen Abhandlungen exemplarisch entfaltet werden.
Die Texte stehen im Kontext intensiver Bemühungen um konfessionelle Verständigung. Leibniz vermittelte zwischen Lutheranern, Reformierten und Katholiken und korrespondierte mit führenden Theologen, darunter Jacques-Bénigne Bossuet in Frankreich und Gerhard Wolter Molanus in Hannover. In den 1690er Jahren wurden wiederholt Sondierungen einer Kirchenannäherung erörtert. Die Revokation des Edikts von Nantes 1685 und die Aufnahme geflohener Hugenotten durch das Edikt von Potsdam desselben Jahres verschärften zugleich die Frage nach religiöser Toleranz. Diese historische Situation begünstigte eine Argumentation, die Frieden, Vernunft und Glaube in ein rechtliches und moralisches Ordnungsmodell integrieren wollte.
Die wissenschaftliche und publizistische Infrastruktur der Zeit trug wesentlich zur Entfaltung der Debatten bei. Die Royal Society in London (gegründet 1660) und die Académie des Sciences in Paris (gegründet 1666) setzten Standards empirischer und mathematischer Forschung. Leibniz trat während seines London-Aufenthalts 1673 in Kontakt mit Henry Oldenburg und Robert Boyle und arbeitete in Paris mit Christiaan Huygens. Periodika wie das Journal des Sçavans und die Acta Eruditorum in Leipzig (gegründet 1682) verbreiteten neue Ideen. Die theodizeeischen Schriften sind für dieses Netzwerk bestimmt und nutzen dessen methodische und kommunikative Formen, um interkonfessionelle, philosophische und naturkundliche Argumente zu verschränken.
Leibniz’ mathematische Arbeiten rahmen seine theodizeeische Perspektive. Die Veröffentlichung der Differentialrechnung in den Acta Eruditorum 1684 und Vorführungen seiner Rechenmaschine in London 1673 illustrieren die Idee harmonischer, durch Gesetzmäßigkeiten bestimmter Ordnungen. Seine Überzeugung, dass göttliche Weisheit sich in rationalen Strukturen der Natur spiegelt, stützt die Hoffnung, moralische und metaphysische Fragen ebenfalls methodisch klären zu können. Die Verbindung von Logik, Kombinatorik und mechanischer Kunst förderte ein Denken, das Notwendigkeit, Möglichkeit und Wahl rational differenziert. Diese Grundhaltung prägte die Behandlung von Freiheit, Kausalität und Verantwortlichkeit, die für das theodizeeische Unternehmen zentral sind.
Die Sammlung erschien 1710 in Amsterdam, einem Zentrum gelehrter Publizistik, das konfessionell sensiblen Debatten Freiräume bot. Die Texte schließen an Leibniz’ frühere Metaphysik- und Logikstudien an und absorbieren zeitgenössische Kritik. Amsterdam war auch deshalb naheliegend, weil dort viele französischsprachige Werke der Aufklärung und der Exegese ediert wurden. Die Zusammenstellung orientiert sich am Publikum der République des Lettres und zielt auf Leserinnen und Leser in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und England. Die formale Mischung aus Abhandlungen, Erwiderungen und systematischen Expositionen spiegelt die Dialogizität der damaligen Gelehrtenkultur wider.
Ein unmittelbarer Auslöser war die skeptische Herausforderung durch Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique, dessen erste Auflage 1697 und erweiterte Ausgabe 1702 in Rotterdam erschien. Bayle problematisierte die Vereinbarkeit göttlicher Allmacht und Güte mit der Präsenz des Übels und verwies auf historische Beispiele religiöser Gewalt. Leibniz’ Antworten setzen an dieser europaweit diskutierten Problemstellung an. Indem er Daten, Texttraditionen und logische Unterscheidungen zusammenführt, versucht er, dem Skeptizismus eine positive Rationalität entgegenzustellen, die Glauben nicht suspendiert, sondern seine Vernünftigkeit ausweist. Die Theodizee positioniert sich damit in einem hochverdichteten Kontroversraum.
Gleichzeitig prägten englische Debatten über Notwendigkeit und Freiheit den Diskurs. Thomas Hobbes’ deterministische Positionen, bereits seit Leviathan 1651 einflussreich, wurden im späten 17. Jahrhundert in England und auf dem Kontinent breit rezipiert. Die Frage, ob menschliche Handlungen frei oder notwendig sind, war nicht nur philosophisch, sondern auch moral- und rechtspraktisch brisant. Leibniz greift diese Problemstellung in Auseinandersetzung mit neuzeitlicher Naturwissenschaft und Logik auf, um einen Begriff der Freiheit als rationaler Spontaneität zu verteidigen, der mit Vorsehung und Gesetzmäßigkeit vereinbar bleibt. Damit knüpft er an eine europäische Debatte an, die Theologie und Physik gleichermaßen betraf.
Leibniz’ juristische Schulung und seine Tätigkeit als Hof- und Staatsrat prägten sein Verständnis von Gerechtigkeit. Aufbauend auf der naturrechtlichen Tradition von Hugo Grotius (De iure belli ac pacis, 1625) und Samuel Pufendorf (De jure naturae et gentium, 1672) entwickelt er eine normative Perspektive, in der göttliche Gerechtigkeit nicht Willkür, sondern Ordnung ist. Politische Friedenssicherung, Vertragsrecht und Legitimität staatlichen Handelns bilden Hintergrundfolien. Die Idee, dass das Gute das Vernünftige und das Vernünftige das Rechtsgemäße ist, erlaubt es, moralische und metaphysische Fragen unter gemeinsamen Prinzipien zu betrachten und das Verhältnis von Freiheit, Schuld und Strafe rational zu beleuchten.
Als Bibliothekar in Hannover und Wolfenbüttel sowie als Historiker des Hauses Braunschweig-Lüneburg verband Leibniz Quellenstudien, Diplomatie und Wissenschaftsorganisation. 1700 wurde in Berlin eine neue Akademie der Wissenschaften gegründet, deren erster Präsident er wurde. Diese Institutionalisierung der Forschung unter dem brandenburgisch-preußischen Hof förderte interdisziplinäre Projekte und den Austausch mit Paris und London. Die theodizeeischen Texte profitieren von dieser wissenschaftspolitischen Agenda: Sie beanspruchen Systematik, Öffentlichkeit und Vermittelbarkeit. Zugleich dient der höfische Kontext dem praktischen Ziel, religiöse Spannungen zu entschärfen und eine rationale Kultur der Debatte zu etablieren, in der Glaubensfragen argumentativ ausgetragen werden können.
Leibniz’ Weltinteresse reichte über Europa hinaus. Mit Novissima Sinica (1697) popularisierte er Berichte der Jesuitenmissionen und reflektierte die Vereinbarkeit chinesischer Moralphilosophie mit natürlicher Theologie. 1703 publizierte er seine Erklärung der binären Arithmetik in den Pariser Mémoires, wobei er Parallelen zum Yijing zog. Dieses interkulturelle Programm verstärkte die Überzeugung einer universalen Vernunftordnung, die in verschiedenen Traditionen Spuren hinterlässt. Der Gedanke einer prästabilierten Harmonie erhielt dadurch kulturvergleichliche Resonanz. In den theodizeeischen Schriften fungiert dieses Panorama als Indiz, dass Vernunft und Glaube weder lokal noch konfessionell beschränkt sind, sondern global Orientierung stiften können.
Die unmittelbare politische Kulisse der Jahre um 1710 war vom Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) geprägt, der weite Teile Europas verwüstete. Die extreme Kälte des Winters 1709, die Ernten vernichtete, verschärfte die Frage nach Leid und Vorsehung. Zugleich stand das Haus Hannover durch den Act of Settlement von 1701 in dynastischer Nähe zur englischen Krone, was Leibniz’ politische Tätigkeit tangierte. In einer Zeit, die Naturkatastrophen, Seuchen und Kriege erlebte, suchten gelehrte Kreise nach Deutungsmodellen, die Zerstörung nicht als Widerlegung göttlicher Güte verstehen mussten. Die theodizeeischen Texte artikulieren diese Suche nach Sinn angesichts historischer Kontingenz.
Die sprachliche und verlegerische Strategie zielt auf maximale Reichweite. Leibniz schrieb vielfach auf Französisch, der lingua franca der Gelehrtenwelt, und veröffentlichte in den Niederlanden, wo Verleger in Amsterdam und Rotterdam kontroverse Schriften in hoher Qualität verbreiteten. Die Adressierung eines europäischen Publikums erklärt die Mischung aus theologischer Argumentation, philosophischer Systematik und gelehrter Gelehrsamkeit. Übersetzungen ins Deutsche und lateinische Zusammenfassungen stellten Anschluss an Universitäten und Hofzirkel her. Die theodizeeischen Texte sind so gebaut, dass sie in Predigt, Rechtslehre, Naturphilosophie und Moral einen gemeinsamen Nenner anbieten: die Vernünftigkeit göttlicher Ordnung.
Theologisch stehen die Schriften im Schatten der Gnadenstreitigkeiten zwischen Jesuiten und Dominikanern, der Jansenismus-Kontroversen (Port-Royal), sowie der Auseinandersetzung zwischen Bossuet und Fénelon um die Mystik des disinteressierten Gottesliebe, die 1699 verurteilt wurde. Fragen nach Prädestination, hinreichender Gnade und menschlicher Kooperation mit der Gnade waren scharf umstritten. Leibniz sucht eine Mittelposition, die göttliche Voraussicht mit echter Kontingenz verbindet. Dabei knüpft er an scholastische Differenzierungen (Aquin, Suárez) ebenso an wie an neuzeitliche Rationalität. Die theodizeeische Perspektive interpretiert Erlösung, Gesetz und Freiheit als komplementäre Dimensionen einer einen Weisheit, die sich in Geschichte und Natur zeigt.
Die Verlagslandschaft der Niederlande bot durch vergleichsweise milde Zensurbedingungen ein Forum für religionspolitisch heikle Debatten. Bayle publizierte in Rotterdam; Amsterdam wurde zum Knotenpunkt geistesgeschichtlicher Transfers zwischen Frankreich, England und dem Reich. Gleichzeitig etablierte Leipzig mit den Acta Eruditorum seit 1682 ein deutschsprachiges Schaufenster für internationale Gelehrsamkeit. Diese Infrastruktur erlaubte es, Kontroversen über Determinismus, Vorsehung und moralisches Übel über Grenzen hinweg zu führen. Leibniz’ theodizeeische Texte sind auf diese Zirkulation hin geschrieben: Sie zitieren, paraphrasieren und systematisieren, um aus Disputen belastbare Grundsätze herauszuarbeiten und sie einem breiten, doch gelehrten Publikum zugänglich zu machen.
Leibniz’ späte Jahre waren von großen Kontroversen begleitet. Der Prioritätsstreit über die Infinitesimalrechnung mit Isaac Newton kulminierte im Commercium Epistolicum der Royal Society (1712) und belastete Beziehungen nach London. 1715–1716 korrespondierte Leibniz mit Samuel Clarke über Raum, Zeit, Vorsehung und Wunder, was die theodizeeische Thematik in ein physikalisch-metaphysisches Koordinatensystem rückte. Sein Tod 1716 in Hannover fiel in eine Phase, in der sein Ruf als Universalgelehrter feststand, aber politische und persönliche Spannungen anhielten. Diese Konfliktlagen verstärkten die Stoßrichtung der theodizeeischen Texte: rationale Verteidigung göttlicher Ordnung gegen Skepsis und Mechanizismus.
Die Wirkungsgeschichte bestätigt die zentrale Stellung der Texte in der europäischen Aufklärung. Christian Wolff systematisierte Leibniz’ Gedanken im deutschen Sprachraum und prägte eine rationalistische Schulphilosophie. Die Erdbebenkatastrophe von Lissabon 1755 verschärfte die öffentliche Theodizeefrage und provozierte literarische Reaktionen, etwa Voltaires Candide 1759, die leibnizianischen Optimismus satirisch zugespitzt kritisieren. Im späten 18. Jahrhundert reflektierte Immanuel Kant die Grenzen der Theodizee unter Bedingungen kritischer Vernunft. Gleichwohl blieb die Grundintuition wirksam: dass Glaube und Vernunft nicht Gegensätze, sondern korrelative Zugänge zur Weltordnung sind, deren moralischer Sinn auch unter Leid rational verteidigt werden kann.
Leibniz argumentiert, dass echte Offenbarung und richtige Vernunft nicht im Widerspruch stehen und gibt Regeln, um scheinbare Konflikte durch präzise Begriffsbildung und Auslegung zu lösen. Er unterscheidet Geheimnisse über der Vernunft von Behauptungen gegen die Vernunft und verankert Glaubensinhalte in einer rationalen Theologie.
Das Kernstück der Theodizee: Gott wählt die beste aller möglichen Welten, sodass die Zulassung von Übeln (metaphysische, physische, moralische) einem größeren Gesamtguten dient. Zugleich versöhnt Leibniz göttliches Vorauswissen mit menschlicher Freiheit durch eine Unterscheidung von Arten der Notwendigkeit und die Bewahrung moralischer Verantwortung.
Die Debatte wird in formale Argumente und Syllogismen zerlegt, um Prämissen und logische Folgerungen transparent zu machen. So markiert Leibniz die entscheidenden Dissense über Gottes Vollkommenheit, Möglichkeit, Wahl des Besten und den Ursprung des Übels.
Leibniz kritisiert Hobbes’ Necessitarismus und Materialismus und verteidigt echte Kontingenz sowie moralische Verantwortlichkeit. Er differenziert zwischen Arten der Notwendigkeit, Zufall und Freiwilligkeit, um eine nicht-fatalistisches Freiheitsverständnis zu stützen.
Auseinandersetzung mit einer zeitgenössischen Abhandlung über das Übel, in der Leibniz zustimmende Punkte anerkennt, aber Begriffe zu Ursache, Willenshandlung und göttlicher Mitwirkung schärft. Er betont das Verständnis des Übels als Privation und die Vereinbarkeit göttlicher Güte mit der Weltordnung.
Systematische Verteidigung der göttlichen Gerechtigkeit im Einklang mit Weisheit, Güte und Macht gegenüber skeptischen Einwänden. Leibniz unterscheidet zwischen Zulassung und Verursachung des Übels und zeigt, wie die göttliche Regierung auf maximale Ordnung und Vollkommenheit zielt.
1. Ich beginne mit der Vorfrage in Betreff der Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, und des Gebrauchs der Philosophie in der Theologie; denn diese Frage ist von grossem Einfluss auf den Gegenstand meiner Abhandlung und Herr Bayle geht überall auf dieselbe zurück. Ich nehme an, dass zwei Wahrheiten sich nicht widersprechen können[1q], dass der Glaube es mit der Wahrheit zu thun, welche Gott auf eine ausserordentliche Weise offenbart hat und dass die Vernunft eine Verknüpfung von Wahrheiten ist und zwar in Vergleich mit dem Glauben, von solchen Wahrheiten, welche der menschliche Geist durch seine Natur ohne Unterstützung vom Licht des Glaubens erreichen konnte. Diese Definition der Vernunft (d.h. von der rechten und wahrhaften Vernunft) hat Manchen überrascht, der gewohnt ist, gegen die in einem unbestimmten Sinne genommene Vernunft zu eifern. Man hat mir entgegnet, dass man niemals eine solche Erklärung von derselben gehört habe; allein diese Gegner haben nie mit Männern verkehrt, welche sich über diese Dinge genau ausdrückten, und doch hat man eingeräumt, dass man die Vernunft in diesem von mir gegebenen Sinne nicht tadeln könne. Uebrigens wird die Vernunft in diesem Sinne auch mitunter der Erfahrung entgegengestellt, da sie in einer Verknüpfung der Wahrheiten besteht und daher berechtigt ist, sie anders als die Erfahrung gethan hat, zu verbinden, um daraus gemischte Schlussfolgerungen zu ziehen. Indess hat die reine und blose Vernunft es im Unterschied von der Erfahrung nur mit Wahrheiten zu thun, welche von den Sinnen unabhängig sind. Man kann auch den Glauben mit der Erfahrung vergleichen, weil der Glaube (rücksichtlich der Gründe, auf die sich seine Wahrheit stützt) von der Erfahrung derer abhängt, welche die Wunder, auf welche die Offenbarung gegründet wird, gesehen haben, so wie von den glaubwürdigen Ueberlieferungen, durch welche die Kenntniss dieser Wunder auf uns gelangt ist; sei es mittelst der Schriften oder mittelst des Berichts derer, die diese Schriften aufbewahrt haben; ohngefähr so wie man sich auf die Erfahrung derer stützt, welche China gesehen haben und auf die Glaubwürdigkeit ihrer Berichte, wenn man an die Wunder glaubt, die von diesem fernen Lande erzählt werden. Ich sehe dabei noch ganz von den Einwirkungen des heiligen Geistes auf unser Inneres ab, welcher die Seelen erfasst, sie überzeugt und zum Guten führt, d.h. zum Glauben und zur Liebe, ohne dass man immer Gründe dafür verlangt.
2. Nun zerfallen die Vernunft-Wahrheiten in zwei Arten. Die eine befasst die ewigen Wahrheiten, welche unbedingt der Art nothwendige sind, dass das Entgegengesetzte einen Widerspruch enthalten würde. Dieser Art sind die Wahrheiten, deren Nothwendigkeit eine logische, metaphysische oder mathematische ist, und die man nicht bestreiten kann, ohne in Widersinnigkeiten zu gerathen. Es giebt aber, als eine zweite Art, auch Wahrheiten, die man positive nennen kann, welcher Art die Gesetze sind, welche der Natur zu geben Gott gefallen hat, oder solche, welche von diesen abhängen. Wir lernen sie entweder durch die Erfahrung kennen, d.h. a posteriori, oder durch die Vernunft und a priori, d.h. durch die Erwägung der Angemessenheit, welche zu deren Wahl veranlasst hat. Diese Angemessenheit hat auch ihre Regeln und Gründe, indess ist es die freie Wahl Gottes und nicht eine geometrische Nothwendigkeit, welche das Angemessene vorziehen lässt und zur Wirklichkeit überführt. Man kann daher sagen, dass die physische Nothwendigkeit auf der moralischen Nothwendigkeit ruht, d.h. auf einer Auswahl des Weisen, welche seiner Weisheit würdig ist, und dass sowohl die eine, wie die andere von der geometrischen Nothwendigkeit unterschieden werden muss. Diese physische Nothwendigkeit bewirkt die Ordnung in der Natur;[3q] sie besteht in den Gesetzen der Bewegung und in einigen andern allgemeinen, die es Gott gefallen hat, den Dingen bei deren Erschaffung zu geben. Gott hat sie daher nicht ohne Grund gegeben; denn er thut nichts aus Eigensinn oder gleichsam zufällig, oder aus einer reinen Gleichgültigkeit. Indess können diese allgemeinen Gründe für das Wohl und die Ordnung, welche zu diesen Gesetzen geführt haben, mitunter durch die stärkeren Gründe einer höhern Ordnung durchbrochen werden.
3. Hieraus erhellt, dass Gott seine Geschöpfe von den ihnen vorgeschriebenen Gesetzen befreien und bei ihnen das hervorbringen kann, wozu ihre Natur nicht hinreicht, indem er ein Wunder thut. Wenn die Geschöpfe dadurch zu Vollkommenheiten und Kräften erhoben werden, welche vornehmer sind, als die, zu denen sie durch ihre eigene Natur gelangen können, so nennen die Scholastiker eine solche Kraft eine gehorchende, weil das Geschöpf sie durch den Gehorsam erlangt, welchen es dem Befehle dessen leistet, welcher ihm das verleihen kann, was es nicht hat. Indess geben die Scholastiker gewöhnlich solche Beispiele von dieser Kraft, welche ich für unmöglich halte, z.B. wenn sie behaupten, Gott könne den Geschöpfen eine erschaffende Kraft ertheilen. Es kann auch Wunder geben, welche Gott durch den Dienst von Engeln verrichtet; hier werden die Naturgesetze ebensowenig verletzt, wie wenn die Menschen der Natur durch die Kunst nachhelfen, da die Kunst der Engel nur dem höhern Grade nach von der unserigen verschieden ist. Indessen bleibt es immer wahr, dass der Gesetzgeber von den Naturgesetzen Ausnahmen gewähren kann, während die ewigen Wahrheiten, z.B. die geometrischen, durchaus keine Ausnahme gestatten und daher der Glaube ihnen nicht widersprechen kann. Deshalb ist ein unbesieglicher Einwand gegen die Wahrheit nicht möglich; denn wenn dieser Einwand in einem Schlusse gesteht, der sich auf die Prinzipien oder auf unbestreitbare Thatsachen stützt, und aus einer Verkettung ewiger Wahrheiten besteht, so ist der gefolgerte Schlusssatz gewiss und unabwendbar und das ihm Entgegengesetzte muss falsch sein, sonst könnten zwei sich widersprechende Sätze zugleich wahr sein. Ist aber der Einwand nicht so beweisbar, so führt er nur zu einem wahrscheinlichen Satz, welcher gegen den Glauben nichts vermag, da man anerkennt, dass die Geheimnisse der Religion den Erscheinungen widersprechen können. Nun erklärt Herr Bayle in der nach seinem Tode erschienenen Antwort an Herrn Le Clerc, wie er nicht behaupte, dass es Schlussfolgerungen gegen die Glaubenswahrheiten gebe und somit verschwinden alle jene unüberwindlichen Schwierigkeiten und jener angebliche Widerstreit der Vernunft mit dem Glauben.
Hi motus animorum atque haec discrimina tantaPulveris exigui jactu compressa quiescunt.
(All diese Bewegung der Geister und diese grossen Gegensätze Erlöschen und kommen durch den Wurf von ein wenig Staub zusammengedrückt zur Ruhe.)
4. Sowohl die protestantischen, wie die römisch-katholischen Theologen stimmen, wenn sie die Sache mit Sorgfalt behandeln, mit diesen von mir aufgestellten Sätzen überein; alles was man gegen die Vernunft sagen kann, trifft nur jene angebliche Vernunft, welche durch falschen Schein verdorben ist und gemissbraucht wird. Es ist ebenso, wie mit den Begriffen von der Gerechtigkeit und Güte Gottes. Man spricht manchmal von ihnen, als wenn man keine Vorstellung und keine Definition von ihnen hätte. Wäre dies wahr, so hätte man keinen Halt, weshalb man Gott solche Eigenschaften beilegen und ihn deren rühmen sollte. Seine Güte und seine Gerechtigkeit unterscheiden sich ebenso, wie seine Weisheit, von der unserigen nur durch ihre unbegrenzt höhere Vollkommenheit, deshalb können die einfachen Begriffe, die nothwendigen Wahrheiten und die beweisbaren Folgerungen der Philosophie der Religion nicht widersprechen. Wenn in der Theologie einige philosophische Grundsätze zurückgewiesen werden, so ist es nur der Fall, weil man ihnen nur eine physikalische, oder moralische Nothwendigkeit zuspricht, die nur das betrifft, was gewöhnlich eintritt und deshalb sich nur auf die Wahrscheinlichkeit stützt, die aber, sofern Gott es für gut findet, auch nicht zutreffen kann.
5. Aus dem Gesagten erhellt, dass die Ausdrücke Derer mitunter an Verwirrung leiden, welche die Philosophie mit der Theologie oder den Glauben mit der Vernunft in Streit bringen. Sie vermengen das Erklären, Begreifen, Beweisen, Behaupten mit einander. Selbst Herr Bayle ist, glaube ich trotz seines Scharfsinns, nicht immer frei von dieser Verwechselung. Die Mysterien können so weit erklärt werden, als zum Glauben an sie nöthig ist[2q], aber man kann sie nicht begreifen noch verständlich machen, wie sie geschehen. Selbst in der Naturwissenschaft erklärt man mehrere wahrnehmbare Eigenschaften nur bis zu einem gewissen Punkte, aber doch nur in unvollkommener Weise, weil man sie nicht begreift. Ebensowenig können wir mittelst der Vernunft die Mysterien erklären, denn alles, was sich a priori oder durch die reine Vernunft beweisen lässt, kann begriffen werden. Wenn wir also an die Mysterien auf Grund der Beweise für die Wahrheit der Religion glauben (die man Beweggründe des Glaubens nennt), so bleibt uns nur die Fähigkeit übrig, dass wir sie gegen die Einwürfe aufrecht erhalten können. Ohnedem hätte unser Glaube an sie keinen festen Grund; denn alles, was auf eine ernste und schlussgerechte Weise widerlegt werden kann, muss falsch sein. Die Beweise für die Wahrheit der Religion, die nur eine moralische Gewissheit gewähren können, würden durch Einwürfe von einer unbedingten Gewissheit aufgewogen, ja selbst aufgehoben werden, wenn sie überzeugend und streng beweisend wären. Dies Wenige könnte mir genügen, um die Schwierigkeiten bei dem Gebrauch der Vernunft und der Philosophie in Bezug auf die Religion zu beseitigen, wenn man es nicht oft mit den Vorurtheilen mancher Personen zu thun hätte. Da jedoch der Gegenstand wichtig und mehrfach sehr verdunkelt worden ist, so dürfte es zweckmässig sein, wenn ich mehr in Einzelnes eingehe.
6. Die Frage nach der Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft ist von jeher ein grosses Problem gewesen. In den Anfängen der Kirche fügten die christlichen Schriftsteller sich den platonischen Gedanken, die ihnen am geläufigsten waren und damals die meiste Verbreitung hatten. Nach und nach nahm aber Aristoteles die Stelle von Plato ein, als sich der Geschmack an Systemen verbreitete und als selbst die Theologie in Folge der Beschlüsse der allgemeinen Concilien systematischer wurde, welche bestimmte und inhaltliche Formeln festgestellt hatten. Der heilige Augustin, Boethius und Cassiodorus im Abendlande, so wie Johannes von Damascus im Morgenlande haben am meisten dazu beigetragen, dass die Theologie die Gestalt einer Wissenschaft erhalten hat, abgesehen von Beda, Alcuin, dem heiligen Anselmus und einigen andern in der Philosophie bewanderten Theologen. Zuletzt traten die Scholastiker auf; die Menge der Klöster liess der Speculation freien Lauf und unterstützt von der Aristotelischen, aus dem Arabischen übersetzten Philosophie gelang es endlich eine Zusammenstellung der Theologie und Philosophie zu machen, in welcher die meisten zweifelhaften Fragen aus dem Eifer hervorgingen, mit dem man sich bemühte, den Glauben mit der Vernunft zu versöhnen. Indess geschah dies nicht überall mit dem wünschenswerthesten Erfolge, da die Theologie durch das Unglück der Zeiten, sowie durch Unwissenheit und Hartnäckigkeit sehr herabgekommen war, und weil die Philosophie neben ihren eigenen grossen Mängeln, noch mit den Mängeln der Theologie belastet war, die ihrerseits wieder von den Folgen ihrer Verbindung mit einer höchst dunkeln und unvollkommenen Philosophie zu leiden hatte. Indess muss man mit dem unvergleichlichen Grotius anerkennen, dass unter dem widerwärtigen Mönchslatein mitunter Gold verhüllt ist. Ich habe deshalb mehrmals gewünscht, dass ein Mann von Fähigkeit, der vermöge seines Amtes das Latein der Scholastiker zu lernen hat, daraus das Beste ausziehen möchte und dass ein zweiter Petavius oder Thomasius in Bezug auf die Scholastiker dasselbe gethan hätten, was diese beiden gelehrten Männer in Bezug auf die Kirchenväter geleistet haben. Dies wäre eine sehr interessante und wichtige Arbeit für die Kirchengeschichte; sie würde die Dogmengeschichte bis zur Herstellung der Wissenschaften befassen (durch welche die Dinge ein anderes Ansehen erhalten haben) und selbst noch darüber hinaus gehen, da selbst auch nach den Tridentinischen Concil viele Dogmen, wie z.B. das von der physischen Vorherbestimmung, von dem mittleren Wissen, von der philosophischen Sünde, von den gegenständlichen Vorbestimmtheiten und von anderen in der speculativen Theologie, so wie selbst Gewissensfälle in der praktischen Theologie lebhaft verhandelt worden sind.
7. Kurz vor diesen Veränderungen und vor der grossen Spaltung der abendländischen Kirche, welche noch jetzt fortdauert, gab es in Italien eine Anzahl Philosophen, welche diese Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft, die ich behaupte, bekämpften. Man nannte sie Averroisten, weil sie sich zu einem berühmten arabischen Schriftsteller hielten, welchen man vorzugsweise den Commentator nannte und welcher am meisten unter den Erklärern des Aristoteles von seiner Nation in dessen Sinn eingedrungen zu sein schien. Dieser Commentator behauptete, in Fortführung des von den griechischen Erklärern bereits Gelehrten, dass nach Aristoteles und selbst nach der Vernunft (was beides damals beinah für dasselbe galt) die Unsterblichkeit der Seele nicht bestehen könnte. Seine Gründe sind die folgenden: Nach Aristoteles vergeht das menschliche Geschlecht nicht; wenn also die Seele der Einzelnen nicht untergeht, muss man zur Seelenwanderung gelangen, die dieser Philosoph verworfen hat; oder wenn neue Seelen hinzukommen, so muss man eine unendliche Menge solcher in alle Ewigkeit beharrenden Seelen annehmen. Nun ist aber eine wirkliche Unendlichkeit unmöglich, wie derselbe Aristoteles lehrt; also muss man schliessen, dass die Seelen, d.h. die Formen der organischen Körper mit diesen Körpern untergehen müssen, oder dass dies wenigstens mit der leidenden Vernunft geschehen muss, welche dem Einzelnen eigenthümlich angehört. Es würde also dann nur die thätige Vernunft übrig bleiben, welche allen Menschen gemeinsam ist und welche nach Aristoteles von Aussen in den einzelnen Menschen eintritt und welche überall sich bethätigen muss, wo die Organe dazu geeignet sind, wie der Wind eine Art Musik hervorbringt, wenn er in die dazu eingerichteten Orgelpfeifen eingeblasen wird.
8. Allein es kann wohl nichts schwächeres geben, als diesen Beweis; Aristoteles hat nirgends die Seelenwanderung widerlegt, noch die Ewigkeit des Menschengeschlechts bewiesen und endlich ist es falsch, dass es kein wirkliches Unendliches geben könne. Dessen ungeachtet galt diese Beweisführung bei den Aristotelikern für unwiderleglich und liess sie glauben, dass es unter dem Monde eine gewisse Vernunft gebe und dass die Theilnahme an derselben den thätigen Theil unseres Verstandes bilde. Weniger strenge Anhänger des Aristoteles gingen indess weiter bis zur Annahme einer allgemeinen Seele, welche den Ozean für alle besonderen Seelenbilde; nur diese allgemeine Seele solle als eine selbständige bestehen, während die einzelnen besonderen Seelen entstehen und vergehen. Nach dieser Ansicht entstehen die Seelen der Thiere durch eine gleichsam tropfenweise Absonderung aus diesem Ozean, sobald sie einen Körper treffen, den sie beleben können und bei der Zerstörung des Körpers gehen sie unter, indem sie sich wieder mit dem Ozean der Seelen verbinden, so wie die Flüsse sich im Meere verlieren. Manche glaubten sogar, dass Gott diese allgemeine Seele sei, obgleich Andere annahmen, dass sie untergeordnet und geschaffen sei. Diese schlechte Lehre ist sehr alt und sehr dazu geeignet, die gewöhnliche Lehre zu verdunkeln. Sie ist in den schönen Versen Virgils (Aeneide. VI. Vers 724) ausgesprochen:
»Im Anfange ernährte ein innerer Geist den Himmel und die Erde und die glänzenden Gefilde und den leuchtenden Körper des Mondes und die Titanischen Gestirne; der durch alle Glieder ergossene Geist bewegte die ganze Masse und mischte sich mit dem grossen Körper.«
Und auch anderwärts (Georgica IV. Vers. 221):
»Denn die Gottheit schreitet durch alle Länder und Meere und den tiefen Himmel. Von daher entnimmt ein jedes der Hausthiere, der Heerden, der Männer, aller Arten der wilden Thiere und jedes Geborene sein schwächliches Leben und wenn sie sich auflösen, so muss es dahin zurückgegeben und zurückgebracht werden.«
9. Einige haben die Weltseele Plato's in diesem Sinne aufgefasst; aber die Stoiker haben wahrscheinlich diese gemeinsame Seele angenommen, welche alle andern aufzehrt. Die Anhänger dieser Meinung könnten Monophysiten heissen, weil nach ihnen nur eine Seele wahrhaft beharrt. Nach Herrn Bernier herrscht diese Meinung beinah allgemein unter den Gelehrten in Persien und in den Staaten des Gross-Mogul; selbst bei den Kabbalisten und Mystikern scheint sie Eingang gefunden zu haben. Ein Deutscher aus Schwaben, welcher vor einigen Jahren zum Judenthum übergetreten war und unter dem Namen »Der deutsche Moses« seine Lehre vortrug, hat, im Anhalt an die Lehre Spinoza's, angenommen, dass Spinoza die alte Kabbala der Hebräer erneuert habe; auch scheint ein Gelehrter, welcher diesen jüdischen Proselyten widerlegt hat, derselben Ansicht gewesen zu sein. Man weiss, dass Spinoza nur eine Substanz in der Welt anerkennt, von welcher die einzelnen Seelen nur vorübergehende Zustände bilden. Valentin Weigel, Pastor in Zschopau in Sachsen, ein Mann von Geist, vielleicht von etwas zu viel Geist, obgleich man ihn zu einem Enthusiasten hat machen wollen, war vielleicht auch einigermassen dieser Ansicht; ebenso der sogenannte Johann Angelus, ein Schlesier, welcher eine Anzahl kleiner deutscher, frommer und niedlicher Verse in Gestalt von Epigrammen verfasst hat, die kürzlich wieder aufgelegt worden sind; überhaupt könnte der von den Mystikern gestaltete Gott in diesem schlechten Sinne genommen werden. Schon Gerson hat gegen Ruysbroek, einen Mystiker geschrieben. Seine Absicht war anscheinend gut und seine Ausdrücke kann man entschuldigen, indessen thut man besser, wenn man in einer Weise schreibt, die keiner Entschuldigung bedarf, obgleich ich anerkenne, dass die übertriebene und gleichsam dichterische Ausdrucksweise mehr als die regelmässige zu rühren und zu überreden vermag.
10. Die Vernichtung von allem, was uns zu eigen angehört und die von den Quietisten sehr weit getrieben wird, dürfte bei Manchem auch nur eine verstellte Gottlosigkeit sein, wie das, was man von dem Quietismus des Foe berichtet, dem Gründer einer grossen Sekte in China. Nachdem er 40 Jahre seine Religion gepredigt hatte und sich dem Tode nahe fühlte, erklärte er seinen Schülern, dass er ihnen die Wahrheit unter dem Schleier von Bildern verhüllt habe, und dass alles auf Nichts zurückkomme, welches Nichts das oberste Prinzip der Dinge sei. Dies war, wie es scheint, noch schlimmer, als die Meinung der Averroisten. Beide Lehren können nicht aufrecht erhalten werden und überschreiten die wahren Grenzen. Dennoch haben einige Neuere ohne Bedenken diese allgemeine und eine Seele angenommen, welche die andern verschlingt, und sie hat unter den sogenannten starken Geistern nur zu viel Beifall gefunden. Herr von Preissac, ein Soldat und geistvoller Mann, der sich auch mit Philosophie abgegeben, hat sie in seinen Abhandlungen öffentlich aufgerichtet. Das System der im Voraus eingerichteten Harmonie kann dieses Uebel am besten heilen, da es zeigt, dass es nothwendige, einfache und unausgedehnte Substanzen giebt, welche durch die ganze Natur verbreitet sind. Diese Substanzen bestehen unabhängig von allen anderen, ausgenommen von Gott und sie sind niemals von jedwedem organischen Körper getrennt. Wenn man meint, dass die Seelen, welche nur Wahrnehmung und Empfindung, aber keine Vernunft haben, sterblich seien, oder dass nur vernünftige Seelen eine Empfindung haben können, so bietet dies den Monophysiten viele Angriffspunkte, da man die Menschen kaum dazu überreden wird, dass die Thiere keine Empfindung haben und, wenn man einmal zugiebt, dass der Empfindungsfähige untergehen könne, so kann die Unsterblichkeit der Seele kaum noch auf die Vernunft gestützt werden.
11. Ich habe dies hier beiläufig erwähnt, weil ich dies in einer Zeit für zweckmässig hielt, wo man nur zu sehr dahin neigt, die natürliche Religion bis auf ihre Fundamente umzustürzen. Ich komme nun zu den Averroisten zurück, welche meinten, ihre Lehre durch die Vernunft begründet zu haben. In Folge dessen erklärten sie die menschliche Seele nach der Philosophie für sterblich, aber dabei versicherten sie, dass sie sich der christlichen Theologie unterwürfen, welche die Seele für unsterblich erklärt. Indess galt diese Unterscheidung für verdächtig, und diese Trennung der Vernunft vom Glauben wurde laut durch die damaligen Prälaten und Doktoren verworfen und im letzten Lateranischen Concil unter Leo X. verdammt. Dabei wurden die Gelehrten ermahnt, an der Beseitigung der Schwierigkeiten zu arbeiten, welche sich zwischen der Theologie und Philosophie zu entspinnen schienen. Indess erhielt sich die Lehre von deren Unverträglichkeit gleichsam incognito; Pomponacius wurde derselben verdächtig, obgleich er sich anders erklärte und die Sekte der Averroisten erhielt sich durch mündliche Ueberlieferung und man glaubt, dass der zu seiner Zeit berüchtigte Philosoph Cesar Cremonin eine Hauptstütze derselben gewesen ist. Der Arzt Andreas Caesalpinus, ein verdienstlicher Schriftsteller, der nach Michael Servet der Entdeckung des Blutumlaufs sehr nahe war, wurde von Nicolaus Taurel (in einer Schrift: Die gefällten Alpen) beschuldigt, dass er zu diesen Peripatetikern, den Gegnern der Religion, gehöre. Spuren dieser Lehre finden sich auch in dem »Circulus Pisanus« des Claudius Berigard, eines Schriftstellers, der von Geburt Franzose, nach Italien ging und in Pisa Philosophie lehrte. Insbesondere ergeben aber die Schriften und Briefe von Gabriel Naudé, so wie die Naudaeana, dass zur Zeit, wo dieser gelehrte Arzt in Italien war, der Averroismus noch bestand. Die Corpuscular-Philosophie, die bald nachher eingeführt wurde, scheint diese übertriebene Peripatetische Sekte beseitigt oder mit ihr sich gemischt zu haben und manche Atomisten möchten wohl gerne Lehren, wie die der Averroisten aufstellen, wenn die Verhältnisse es gestatteten. Indess wird dieser Missbrauch dem Guten in der Corpuscular-Philosophie keinen Schaden thun, da sie sich sehr gut mit den gründlichen Sätzen Plato's und Aristoteles' verträgt und beide mit der wahren Theologie sich vereinigen lassen.
12. Die Reformatoren, namentlich Luther, haben, wie ich bereits bemerkt, mitunter sich so geäussert, als wenn sie die Philosophie verwürfen und sie als einen Feind des Glaubens betrachteten. Aber richtig aufgefasst, verstand Luther unter Philosophie nur das, was dem gemeinen Lauf der Natur entspricht oder vielleicht sogar das, was man davon in den Schulen lehrte. So sagt er, es sei in der Philosophie, d.h. in der Natur-Ordnung unmöglich, dass das Wort Fleisch werde und er geht zu der Behauptung fort, dass das, was in der Naturwissenschaft wahr sei, in der Moral falsch sein könne. Aristoteles war der Gegenstand seines Zornes und seit dem Jahre 1516, wo er vielleicht noch nicht an die Reform der Kirche dachte, hatte er den Plan, die Philosophie zu reinigen. Indess besänftigte er sich später und gestattete es, dass man in der Apologie des Augsburgischen Bekenntnisses über Aristoteles und dessen Moral sich günstig aussprach. Der gelehrte und gemässigte Melanchthon stellte kleine Systeme über einzelne Zweige der Philosophie auf, die sich mit den geoffenbarten Wahrheiten vertrugen und für das tägliche Leben von Nutzen sind, so dass sie noch heute des Lesens werth sind. Nach ihm erhob sich Peter von Ramée; seine Philosophie kam sehr in Aufnahme und die Sekte der Ramisten wurde in Deutschland mächtig. Die Protestanten folgten ihr und sie wurde selbst in der Theologie benutzt. Erst als die Corpuscular-Philosophie wieder erweckt wurde, vergass man die des Ramée und das Ansehen der Peripatetiker sank.
13. Trotzdem entfernten sich verschiedene protestantische Theologen so viel sie konnten, von der scholastischen Philosophie, welche bei ihren Gegnern herrschte, ja sie verachteten die Philosophie überhaupt, die ihnen verdächtig war. Zuletzt brach der Streit in Helmstädt durch die Bitterkeit des Daniel Hofmann, eines sonst gewandten Theologen, aus, der bei der Quedlinburger Zusammenkunft sich Ansehn verschafft hatte, wo er mit Tilemann Heschusius sich auf die Seite des Herzogs Julius von Braunschweig gestellt hatte, als dieser die Concordienformel nicht annehmen wollte. Ich weiss nicht, wie der Dr. Hofmann sich gegen die Philosophie ereiferte, anstatt sich auf den Tadel der Missbräuche zu beschränken, welchen die Philosophen mit ihr treiben; er hatte es aber auf den berühmten Johann Caselius abgesehen, welcher von den Fürsten und Gelehrten seiner Zeit geachtet wurde und der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig (der Sohn des Herzogs Julius, des Gründers der Universität) unterzog sich selbst der Mühe, die Sache zu untersuchen und verdammte demnächst den Theologen. Seitdem sind noch einige ähnliche kleine Zwiste vorgekommen, es ergab sich aber immer, dass sie auf Missverständnissen beruhten. Der berühmte Professor Paul Slevogt in Jena in Thüringen, dessen Abhandlungen, so weit sie noch vorhanden sind, zeigen, wie sehr er in der scholastischen Philosophie und in der Hebräischen Literatur bewandert war, hatte in seiner Jugend unter dem Titel: Pervigilium (Die Nachtwachen), eine kleine Schrift über den Streit des Theologen und des Philosophen, welcher sich auf deren beiderseitige Prinzipien stützt, bei Gelegenheit der Frage veröffentlicht, ob Gott die accidentelle Ursache des Uebels sei. Man ersah indess bald, wie er nur zeigen wollte, dass die Theologen mitunter philosophische Ausdrücke missbrauchen.
14. Gehe ich auf meine Zeit über, so entsinne ich mich, dass als Luis Meyer, ein Arzt in Amsterdam, 1666 anonym die Schrift: Die Philosophie als Auslegerin der heiligen Schrift veröffentlichte (mit Unrecht haben Mehrere sie seinem Freunde Spinoza zugeschrieben), die holländischen Theologen sich erhoben und durch ihre Gegenschriften zu grossen Streitigkeiten unter sich Anlass gaben. Viele meinten, dass die Cartesianer in ihren Widerlegungen des anonymen Philosophen, der Philosophie zu viel zugestanden hätten. Johann von Labadie griff (noch vor seiner Trennung von der reformirten Kirche, die angeblich wegen einiger Missbräuche, die sich in die politische Praxis eingeschlichen hatten und die ihm unerträglich schienen, geschah), die Schrift des Herrn von Wollzogen an und that ihr viel Schaden; von der andern Seite bekämpften Herr Vogelsang, Herr von der Waeyen und einige andere Anti-Coccejaner das Buch ebenfalls mit vieler Bitterkeit; allein der Angeklagte gewann seine Sache auf einer Synode. Seitdem sprach man in Holland von theologischen Rationalisten und Nicht-Rationalisten, eine Partei-Unterscheidung, deren Herr Bayle oft erwähnt und wo er sich zuletzt gegen die ersteren entscheidet. Indess hat man wohl die Regeln noch nicht genau aufgestellt, in denen beide Parteien übereinstimmen und in denen es nicht der Fall für die Frage ist, wie weit von der Vernunft bei der Erklärung der heiligen Schrift Gebrauch zu machen ist.
15. Ein ähnlicher Streit scheint noch seit kurzem die Kirchen des Augsburgischen Bekenntnisses zu beunruhigen. Einige Magister auf der Universität Leipzig hielten bei sich Privatvorlesungen für die Studenten, welche angeblich die heilige Philologie lernen wollten, wie dies bei dieser und einigen andern Universitäten gebräuchlich ist, wo dieser Zweig des Studiums noch nicht der theologischen Facultät vorbehalten ist. Diese Magister nahmen das Studium der heiligen Schriften und die Uebung der Frömmigkeit strenger, als es ihre Collegen gewöhnt waren. Man sagt, sie hätten manche Dinge übertrieben und sie seien im Verdacht von mehreren Neuerungen in der Lehre gerathen. Man gab ihnen deshalb den Namen der Pietisten, als einer neuen Sekte. Dieser Name hat seitdem in Deutschland viel von sich reden gemacht, und ist wohl oder übel auf alle diejenigen angewandt worden, welche man im Verdacht hatte, oder bei denen man wenigstens so that, als hätte man sie im Verdacht des Fanatismus und selbst einer Heuchelei, die sich unter den Schein der Reform verhülle. Da nun einige Zuhörer dieser Magister sich durch ein sehr auffallendes Benehmen bemerklich gemacht hatten, unter andern durch eine Verachtung der Philosophie, von der sie die Lektionshefte verbrannt haben sollten, so glaubte man, dass ihre Lehrer die Philosophie verwürfen; indess rechtfertigten diese sich sehr gut und man konnte sie weder dieses Irrthums, noch der ihnen nachgesagten Ketzereien überführen.
16. Die Frage über den Gebrauch der Philosophie in der Theologie ist unter den Christen viel verhandelt worden und wenn man in das Einzelne einging, hatte man Mühe, sich über die Grenzen dieses Gebrauchs zu vereinigen. Die Mysterien der Dreieinigkeit, der Fleischwendung und des heiligen Abendmahls gaben am meisten Gelegenheit zum Streit. Die neuen Photinianer bekämpften die beiden ersten Mysterien und bedienten sich gewisser philosophischer Sätze, von denen Andreas Kessler, ein Theolog augsburgischen Bekenntnisses einen kurzen Abriss in den Abhandlungen gegeben hat, welche er über die Socinianische Philosophie veröffentlichte. Ueber ihre Metaphysik kann man sich indess besser durch die Socinianische Philosophie, welche der Socinianer Christoph Stegmann verfasst hat, unterrichten; sie ist noch nicht gedruckt, aber ich habe sie in meiner Jugend gesehen und man hat sie mir vor kurzen mitgetheilt.
17. Calovius und Scherzer, welche Schriftsteller beide mit der scholastischen Philosophie genau bekannt sind und einige andere geschickte Theologen haben den Socinianern weitläufig und oft mit Erfolg geantwortet. Man begnügte sich indess mit allgemeinen, etwas oberflächlichen Entgegnungen, wie sie ihnen meistens entgegengestellt wurden und die darauf hinauslaufen, dass ihre Lehren für die Philosophie, aber nicht für die Theologie passten und dass dies ein Fehler jener Gebietsverwechselung sei, welche metabasis eis allo genos (Uebergang in anderes Gebiet) heisst, wenn nämlich jemand die Philosophie in dem verwendet, was die Vernunft übersteigt; vielmehr müsse die Philosophie als die Magd und nicht als die Herrin der Theologie in Gemässheit des Titels von dem Buche des Schotten Robert Baronius, Philosophia Theologiae ancillans, behandelt werden. Sie sei eine Hagar neben der Sara, die mit ihrem Ismael aus dem Hause gejagt werden müsse, wenn sie die störrische spielen wolle. In diesen Antworten liegt etwas richtiges, allein man könnte einen falschen Gebrauch davon machen, in unpassender Weise die natürlichen Wahrheiten mit den geoffenbarten in Widerstreit bringen und deshalb haben die Gelehrten sich bemüht, das was in den natürlichen oder philosophischen Wahrheiten nothwendig und unbedingt ist von dem zu sondern, was dies nicht ist.
18. Die beiden protestantischen Parteien sind immer einig, wenn es sich um den Krieg gegen die Socinianer handelt und da die Philosophie dieser Sektirer nicht zu der streng begründeten gehört, so sind letztere oft gründlich geschlagen worden. Dagegen haben dieselben Protestanten sich unter einander über das Sakrament des Abendmahls veruneinigt, als die Partei der Reformirten (d.h. derer, welche hier mehr dem Zwingli als dem Calvin folgten) die Theilnahme an dem Körper von Jesus Christus auf eine blos figürliche Stellvertretung zurückzuführen schien, indem sie den Satz der Philosophie benutzten, wonach ein Körper nicht zugleich an zwei Orten sein kann, während die Evangelischen (die sich in einem engeren Sinn so nennen, um sich von den Reformirten zu unterscheiden) sich mehr an den Wortsinn halten und mit Luther annehmen, dass diese Theilnahme eine wirkliche sei und dass hier ein übernatürliches Mysterium bestehe. Sie verwerfen in Wahrheit die Lehre von der Umwandelung der Substanz und halten diese in den Schriftworten nicht für begründet, auch billigen sie eben so wenig die Lehre der Mitumwandelung, oder der Impanation (der Annahme, dass der Körper Jesu in dem Brote enthalten sei), was man ihnen nicht zur Last legen kann, da sie den Sinn dieser Auffassung nicht genug kennen; denn sie lassen den Einschluss des Körpers Jesu Christi in das Brot nicht zu und verlangen nicht einmal eine Verbindung des einen mit dem andern; sondern sie verlangen eine Mitbegleitung in der Art, dass beide Substanzen gleichzeitig genossen werden. Sie meinen, dass die gewöhnliche Bedeutung der Worte Jesu Christi bei einer so wichtigen Gelegenheit beibehalten werden müsse, wo es sich um den Ausspruch seines letzten Willens handle. Um diese Auffassung von aller Widersinnigkeit, die uns davon abwendig machen könnte, zu befreien, behaupten sie, dass der philosophische Satz, welcher das Dasein und die Theilnahme der Körper auf einen einzigen Ort beschränkt, nur eine Folge des gewöhnlichen Laufes in der Natur sei. Sie heben damit die Gegenwart des Körpers unseres Heilands im gewöhnlichen Sinne dieses Wortes nicht als eine solche auf, da eine solche dem gefeiertsten Körper angemessen sein könne. Sie nehmen ihre Zuflucht noch nicht zu einer, ich weiss nicht, welcher Ausbreitung von Ubiquität, welche den Körper zerstreuen und nirgends bestehen lassen würde; auch lassen sie nicht die vielfache Verdoppelung einiger Scholastiker zu, als wenn derselbe Körper hier sitzen und dort aufrecht stehen könnte, sondern sie sprechen sich zuletzt so aus, dass es scheint, dass die Meinung Calvins, welche durch die Bekenntnisse mehrerer der Lehre dieses Mannes folgenden Kirchen bestätigt wird, und wonach er eine Theilnahme an der Substanz behauptet, nicht so weit von dem Augsburgischen Bekenntnisse abweicht, als man vielleicht meint. Die Abweichung von letzterem besteht wohl nur darin, dass Calvin für diese Theilnahme den wahren Glauben neben der Aufnahme der Symbole durch den Mund fordert und deshalb die Unwürdigen davon ausschliesst.
19. Hieraus erhellt, dass die Lehre von der wirklichen und substantiellen Theilnahme durch eine richtig aufgefasste Analogie zwischen der unmittelbaren Wirksamkeit und der Gegenwart sich aufrecht erhalten lässt (ohne dass man die sonderbaren Meinungen einiger Scholastiker zu Hülfe zu nehmen braucht), und da mehrere Philosophen der Ansicht sind, dass selbst innerhalb der natürlichen Ordnung ein Körper aus der Entfernung unmittelbar auf mehrere von ihm abstehende Körper gleichzeitig einwirken könne, so halten sie dafür, dass um so viel mehr die göttliche Allmacht es bewirken könne, dass ein Körper bei verschiedenen Körpern gleichzeitig gegenwärtig sein könne, da der Uebergang von der unmittelbaren Wirksamkeit zur Gegenwart nicht gross sei und vielleicht das eine von dem andern abhänge. Allerdings haben die neueren Philosophen seit einiger Zeit die unmittelbare natürliche Einwirkung eines Körpers auf einen andern von ihm entfernten verworfen und ich gestehe, dass ich auch dieser Ansicht bin; allein diese Wirkung in die Ferne ist kürzlich durch den ausgezeichneten Herrn Newton in England wieder aufgenommen worden, welcher es als eine natürliche Eigenschaft der Körper hinstellt, dass sie im Verhältniss ihrer Massen und der anziehenden Strahlen die sie erhalten, sich gegenseitig anziehen und zu einander streben. Der berühmte Herr Locke hat in seiner Antwort an den Herrn Erzbischof Stillingfleet erklärt, dass er selbst nach Einsicht des Briefes von Herrn Newton das, was er in seinem Versuch über den Verstand in Folge der neueren Ansichten gesagt, zurücknehme, nämlich dass ein Körper unmittelbar auf einander nur durch Berührung seiner Oberfläche und durch Stoss in Folge eigner Bewegung einwirken könne. Herr Locke erkennt an, dass Gott Eigenschaften in den Stoff verlegen könne, die denselben auch in die Ferne wirken lassen. In dieser Weise halten die Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses fest, dass ein Körper je nachdem Gott es bestimme, nicht allein unmittelbar auf mehrere von einander entfernte Körper einwirken, sondern dass er auch selbst bei ihnen sein und in einer Weise von ihnen aufgenommen werden könne, ohne dass die örtlichen Abstände und die räumlichen Entfernungen ein Hinderniss abgäben. Wenn diese Wirkung auch über die Kräfte der Natur gehe, so könne man doch nicht zeigen, dass sie die Macht des Schöpfers der Natur übersteige, da dieser leicht die der Natur von ihm gegebenen Gesetze aufheben oder nach seinem Gutfinden in einzelnen Fällen davon befreien könne, wie er ja in derselben Weise das Eisen auf dem Wasser habe schwimmen lassen und die Wirkung des Feuers auf den menschlichen Körper gehemmt habe.
20. Bei Vergleichung des Rationale Theologicum von Nicolas Vedelius mit der Widerlegung von Johann Musäus habe ich gefunden, dass diese beiden Schriftsteller, deren einer als Professor in Franecker gestorben ist, nachdem er in Genf gelehrt hatte und der andere zuletzt der erste Theologe in Jena geworden ist, in den Hauptregeln über den Gebrauch der Vernunft sehr übereinstimmen und dass sie nur in der Anwendung dieser Regeln auseinandergehen. Sie sind einverstanden, dass die Offenbarung nicht denjenigen Wahrheiten widersprechen könne, deren Nothwendigkeit die Philosophen eine logische oder metaphysische nennen, d.h. deren Gegensätze einen Widerspruch enthalten würden, sie geben auch beide zu, dass die Offenbarung die Regeln überschreiten könne, deren Nothwendigkeit eine physische genannt werde, und welche ihren Grund nur in den Gesetzen haben, wel che der Wille Gottes der Natur vorgeschrieben hat. Deshalb bezieht sich die Frage, ob die Gegenwart eines Körpers in mehreren Orten nach der natürlichen Ordnung möglich sei, nur auf die Anwendung jener Regel und man müsste, um diese Frage durch Vernunftschlüsse streng zu entscheiden, genau erklären, worin das Wesen der Körper bestehe. Selbst die Reformirten sind darüber nicht einig; die Cartesianer beschränken sie auf die Ausdehnung, aber ihre Gegner widersprechen und ich glaube, dass selbst Gisbert Voetius, der berühmte Utrechter Theologe, die angebliche Unmöglichkeit des Seins an mehreren Orten bezweifelte.
21. Wenn nun auch die beiden protestantischen Parteien darin einig sind, dass man die erwähnten beiden Nothwendigkeiten, die metaphysische und die physische unterscheiden müsse und dass selbst bei den Mysterien von ersterer keine Ausnahme zugelassen werden könne, so sind sie doch noch nicht genügend über die Auslegungsregeln einig, welche bestimmen, in welchen Fällen man den Buchstaben verlassen könne, wenn man noch nicht sicher ist, ob die Worte den unerlässlichen Wahrheiten widersprechen. Denn sie sind einig, dass man in gewissen Fällen die wirkliche Auslegung verlassen müsse, wenn sie auch nicht zu unbedingt Unmöglichem führt, sofern sie nur im Uebrigen wenig passt. So sind z.B. alle Ausleger einverstanden, dass unser Herr es bildlich meinte, als er sagte, Herodes sei ein Fuchs; und man muss dies annehmen, anstatt mit einigen Fanatikern sich einzubilden, dass Herodes für die Zeit, während die Worte unseres Herrn andauerten, wahrhaft in einen Fuchs verwandelt worden sei. Dies gilt aber nicht auch für die fundamentalen Stellen über die Mysterien, wo man nach den Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses sich an den Wortsinn halten müsse. Da nun diese Frage mehr der Auslegungskunst und nicht eigentlich der Logik angehört, so gehe ich hier um so weniger darauf ein, als sie mit den Streitigkeiten wenig zusammenhängt, welche sich seit kurzem über die Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft erhoben haben.
22. Die Theologen aller Parteien, denke ich (die Fanatiker ausgenommen), sind wenigstens darin einig, dass kein Glaubensartikel einen Widerspruch enthalten, noch so genauen Beweisen, wie es die mathematischen sind, widersprechen darf, bei denen das Gegentheil ihres Schlusssatzes ad absurdum, d.h. zu einem Widerspruch geführt werden kann. Der heilige Athanasius hat mit Recht über das unverständliche Geschwätz einiger Schriftsteller seiner Zeit gespottet, welche behaupteten, Gott habe ohne Leiden gelitten. Passus est impassibiliter. Welche lächerliche Lehre, die zugleich aufbaut und niederreisst. Gewisse Schriftsteller haben daher zu schnell eingewendet, dass die heilige Dreieinigkeit dem wichtigen Grundsatz widerspreche, wonach zwei Dinge, welche dieselben mit einem dritten sind, auch unter einander dieselben sind; d.h. wenn A dasselbe ist wie B und wenn C dasselbe ist wie B, so müssen auch A und C unter sich dieselben sein. Denn dieser Grundsatz folgt unmittelbar aus dem Satz des Widerspruchs und ist die Grundlage der ganzen Logik; ohne ihn giebt es keine sicheren Begründungen. Wenn man also sagt, der Vater sei Gott und der Sohn sei Gott und der heilige Geist sei Gott und es dennoch nur einen Gott giebt, obgleich diese drei Personen verschieden sind, so muss das Wort Gott am Anfang dieses Satzes nicht die gleiche Bedeutung, wie am Schlusse haben. In Wahrheit bezeichnet es bald die göttliche Substanz, bald eine Person der Gottheit. Man muss also allgemein sich hüten, die nothwendigen und ewigen Wahrheiten um der Aufrechthaltung eines Mysteriums willen, Preis zu geben, weil man fürchtet, dass die Feinde der Religion daraus ein Recht hernehmen möchten, die Religion und die Mysterien überhaupt herabzuwürdigen.
23. Die Unterscheidung, die man gewöhnlich zwischen dem, was über die Vernunft geht und dem, was gegen die Vernunft geht zieht, passt gut auch zu der Unterscheidung der beiden Arten von Nothwendigkeit. Denn was gegen die Vernunft geht, geht auch gegen die unbedingt gewissen und ausnahmlosen Wahrheiten und das, was über die Vernunft geht, widerstreitet nur dem, was man zu erfahren oder zu begreifen gewöhnt ist. Ich wundere mich deshalb, dass Männer von Geist diese Unterscheidung nicht gelten lassen und dass auch Herr Bayle dazu gehört. Diese Unterscheidung hat sicherlich ihren guten Grund. Eine Wahrheit ist über
