Die Töchter des Henkers - Jana Jeworreck - E-Book

Die Töchter des Henkers E-Book

Jana Jeworreck

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Beschreibung

Unter jungen Männern des Landes Weossuno gilt es als Mutprobe, dem Henker des Königs die Liste der Todgeweihten zu bringen. Wer dabei dessen Töchter erspäht, gilt als besonders erfolgreich, denn der Vater hält die Mädchen vor der Welt versteckt. Doch vor allem die jüngere Tochter Felia träumt von einem anderen Leben und rebelliert zunehmend gegen den Vater. Außerdem gibt es Streit mit der älteren Schwester Tonja, die durch eine schwere Krankheit gezeichnet ist und als entstellt gilt. Als der Prinz des Landes und sein Freund eine Wette abschließen, sich als Boten ausgeben und den Frauen auflauern, verliebt sich Felia. Und Tonjas sehnlichster Wunsch, einmal so makellos wie ihre Schwester auszusehen, geht in Erfüllung …

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Die Töchter des Henkers
Der Bote
Hektor
Zwietracht
Die Wette
Der zweite Bote
Gewagtes Manöver
Des Wassers Lauf
Ernstes Spiel
Der Wunsch
Böses Erwachen
Schein und Sein
Erste Erkenntnisse
Hilflos
Die Fahrt
Viktor
Der unerwartete Hausgast
Anders
Sie
Er
Rollenspiel
Täuschung
Innen
Außen
Tavernengespräch
Im Labyrinth
Schwesterngespräch
Rivalen
Im Kerker
Gespräch im Treppenhaus
Die Entscheidung des Königs
Der Plan
Die Hinrichtung
Der Sturm
Viktors Erklärung
Ende
Über die Autorin
Entdecke auch:

 

 

 

 

 

Jana Jeworreck

 

 

 

 

 

Die Töchter des Henkers

 

Von Nymphen, Hexen, Prinzen und Herzenswünschen

 

 

 

Eine Märchennovelle

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage

Copyright © 2019 Jana Jeworreck

Alle Rechte vorbehalten.

Verlag: Jana Jeworreck,

Brantropstr. 73a, 44795 Bochum

Umschlaggestaltung:

Jana Jeworreck

Fotos: Pixabay, lizenzfrei

Lektorat: Mike Schröder

Printed in Germany

 

ISBN

 

 

1.

Der Bote

 

Einst lebte am Rande eines Waldes in der Mitte des Landes Weossuno ein berühmter Mann. Er war Scharfrichter des Königs und hieß Edmund Wetter. Die Leute aber gaben ihm viele unschöne Namen, denn man hasste und fürchtete ihn aufgrund seines Amtes und mied seine Gegenwart. Aus diesem Grunde hatte er sich abseits der engen Hauptstadt Ehrenberg zwischen die Bäume und Bäche des Waldes Goldrin zurückgezogen und eine Hütte gebaut.

Die einzige Person, die niemals Angst vor ihm gehabt hatte, weil sie als Nachbarskind mit ihm großgeworden war, war seine Ehefrau. Sie hatte ihm zwei Töchter geschenkt und viele Jahre waren sie glücklich miteinander gewesen. Doch dann war sie plötzlich verstorben und seither versorgte er die Mädchen allein, was ihm weitestgehend gelang.

Für die Ausübung seiner Arbeit als Vollstrecker wurde er durch einen berittenen Boten bestellt, der die Listen der Todgeweihten überbrachte. Edmund Wetter genoss es, seinem Ruf gerecht zu werden und die jungen Burschen unvermittelt anzubrüllen, sobald sie die Liste übergeben hatten. „Macht euch hinfort!“, schrie er dann und schwang dazu sein Beil, sodass die Boten voller Panik rückwärtsstolperten und davonrannten.

Danach weigerten sich immer mehr Überbringer nochmals zur Hütte zu reiten. In weinseliger Runde gestanden einige, dass sie sich vor dem schreckenerregenden Mann beinahe in die Hosen gemacht hätten.

Ein Umstand aber sorgte dafür, dass es dennoch keinen Engpass an freiwilligen Boten gab. Seit die Töchter des Henkers zu Frauen herangewachsen waren, übte die Tatsache, dass der Vater sie verbarg, eine enorme Anziehungskraft auf die Männer der Stadt und der Umgebung aus. Das Begehren, ihrer ansichtig zu werden, wurde bald größer als die Angst vor dem Freimann. Zudem herrschte viel Rivalität unter den jungen Kerlen und es wurde schließlich zu einer Mutprobe unter ihnen, die Listen zum Henker zu bringen.

Manche hatten bereits von der jüngeren Tochter, der schönen blonden Felia, erfahren, die ihren Vater in der Vergangenheit manches Mal in die Stadt begleitet hatte. Sie hatte nun in etwa siebzehn Sommer gesehen und sie zu erspähen, wurde bereits als Erfolg gewertet.

Als besondere Herausforderung galt es aber, die ältere Tochter namens Tonja zu entdecken, die bereits das neunzehnte Lebensjahr erreicht hatte. „Das Biest“ nannte man sie heimlich. Oder auch „die Missgeburt“, was aber keineswegs der Wahrheit entsprach. Vielmehr hatte sie eine schwere Krankheit gezeichnet.

Am ganzen Körper sowie im Gesicht waren ihr Narben geblieben. Weiter war das linke Auge gelähmt und das Lid hing herab. Sie versteckte sich vor Fremden, nachdem sie als Kind bei einem Ausflug in die Stadt gehänselt und mit altem Brot und anderen unschönen Dingen beworfen worden war. Von da an flüchtete sie panisch vor jedem Unbekannten, der sich ihr näherte. Um Tonja vor unnötigen Qualen zu schützen, hielt der Vater alle Personen von ihr fern.

Ihre Schwester Felia durfte seit ihrem vierzehnten Lebensjahr ebenfalls nicht mehr in die Stadt, denn bei ihr fürchtete der Vater, sie würde sich zu schnell von einem Mann einnehmen lassen.

Die Sorge war nicht unberechtigt, denn die Jüngere wollte das Leben kennenlernen. Wenn also ein Bote kam, setzte sie sich nach Möglichkeit immer ganz nah an das Fenster, sodass der Herbeigerittene sie auch durch den Schleier der Vorhänge sehen konnte.

 

An einem heißen Frühsommertag saß Edmund Wetter mit seinen Töchtern beim Mahl.

Gelangweilt stocherte Felia im Essen auf ihrem Holzbrett herum, was Tonja nervte, denn es hielt sie davon ab, sich auf das Gedicht zu konzentrieren, an das sie sich zu erinnern versuchte.

„Können wir nicht endlich mal wieder in die Stadt fahren?“, quengelte die Jüngere. „Vater, es ist doch hier so schrecklich langweilig.“

Edmund Wetter verzog missbilligend den Mund und schüttelte den Kopf.

„Es sind gefährliche Zeiten, Felia. Die Bärenmänner aus den Sümpfen des Ostens treiben in der Stadt ihr Unwesen. Es gibt Gerüchte, wonach sie den König stürzen wollen, weil er ihre kostbaren Sümpfe erobert hat. Außerdem haben wir die erste Hitzewelle des Jahres. In der Stadt, mit ihren steinernen Mauern und gepflasterten Straßen, ist es wärmer als hier im Wald Goldrin. Ich fürchte eher ...“

Unvermittelt hörte er auf zu sprechen und wirkte angespannt. Tonja kannte diesen Gesichtsausdruck nur allzu gut. Geräuschvoll schob sie den Stuhl zurück. Felia hingegen begriff nicht gleich.

„Vater, was fürchtest du?“, fragte sie.

„Felia“, sagte Tonja in belehrendem Tonfall, „Vater spürt, dass ein Bote auf dem Weg hierher ist. Es ist doch so?“

„Besser du ziehst dich zurück. Und du gehst heute mit ihr, Felia“, befahl Edmund Wetter, der die Ankunft fremder Männer auf geradezu übersinnliche Weise wahrnehmen konnte.

Die Jüngere heulte auf. „Warum das denn?“

Tonja räumte mit flinken Bewegungen den Tisch ab und hatte sich bereits ein Tuch umgeschlagen, noch bevor die jüngere Schwester mit ihrem Schwall an Einwänden fertig war. Die meisten bezogen sich ohnehin darauf, wie ungerecht es war, dass sie – Felia – ihr Leben versteckt und wie eine Gefangene verbringen musste, nur weil sie – der ausgestreckte Finger zeigte auf Tonja – vor der bösen Wirklichkeit geschützt werden müsse.

Aber Edmund Wetter ließ nicht mit sich reden. Seine Entschlossenheit erkannte Tonja daran, dass sein Blick sich verdüsterte und er zur bedrohlichen Axt griff, die immer in der Nähe abgestellt war. Niemals hätte er seinen Töchtern etwas angetan, aber ein wenig fürchtete sich Tonja schon vor ihm. Vielleicht sogar mehr als Felia.

Sie nahm die Hand ihrer Schwester und zog sie zur Hintertür.

„Komm. Es ist so ein strahlender Tag. Wir werden die Zeit schon rumzubringen wissen.“

Felia stolperte ihr widerwillig hinterher.

Die jungen Frauen liefen den üblichen Weg in den Wald hinein, bis die Hütte völlig von den Bäumen verschluckt war. Der Pfad führte zu einem kleinen Bach, der meistens munter über die Steine plätscherte. Doch aufgrund der Hitze, selbst im dichten Wald, war er nahezu ausgetrocknet.

Sie erreichten eine beschauliche Stelle nahe dem kaum vorhandenen Wasser und Tonja setzte sich. Ein spärliches Rinnsal floss gemächlich zwischen strahlend weißen Steinen hindurch, die, trocken durch die Sonne, matt und glanzlos dalagen.

Felia hingegen sammelte Gänseblümchen, die sie zu einer Kette band. Die jüngere Schwester besaß einfach nicht die Ruhe, um entspannt an einem Bachufer zu sitzen.

„Oh nein!“, rief Tonja plötzlich aus.

Ein winziger bunt schimmernder Fisch lag gestrandet in einer Pfütze, die sich auf einem Stein gebildet hatte. Das Wasser war nahezu vollständig verdunstet und der Fisch zappelte verzweifelt um sein Leben.

Tonja wollte ihn behutsam in das tropfende Wasser heben, als Felia ihr den Fisch aus der Hand riss und hoch in die Luft warf.

„Flieg, Fischchen, flieg!“, rief sie und erhielt dafür sofort eine Ohrfeige von der älteren Schwester.

Tonja fing das Tier auf und brachte es schnell in das Wasser zurück. Im selben Augenblick zogen aus dem Nichts schwere Wolken auf und es blitzte am Himmel.

Wütend sprang Felia auf Tonja zu und riss sie an den Haaren, doch die große Schwester wehrte sich.

Heftiges Donnergrollen ertönte, als würden schwere Fässer durch eine Halle gerollt.

Es dauerte nicht lange, da schlugen sich die Schwestern wie unreife Kinder. Währenddessen öffnete der Himmel seine Schleusen und ließ einen weichen Sommerregen niedergehen, fast so, als wolle er auf diese Weise die Zankenden sanft, aber entschieden voneinander trennen. Die Kleider der jungen Frauen saugten sich schnell voll Wasser und der Schlamm blieb an ihnen haften. Schwer atmend ließen sie voneinander ab.

Tonja war jedoch immer noch wütend auf Felia und dem Gesichtsausdruck der Jüngeren zufolge beruhte das auf Gegenseitigkeit, aber der Regen wurde immer stärker. Bald schienen Bindfäden aus dem grauen Himmel zu fallen.

Nach einiger Zeit fröstelte Tonja in ihrer durchweichten Kleidung. Trotz ihrer Wut sah sie von einem weiteren Kampf ab und machte sich auf den Rückweg. Felia folgte ihr missmutig.

Zügig eilten sie zur Hütte zurück. Der Bote war gewiss bereits zurückgeritten, um dem Unwetter zu entgehen.

2.

Hektor

 

Hektor, wie der Bote hieß, war keineswegs sofort umgekehrt, sondern nur zum Schein von der Hütte des Henkers fortgeritten. Außer Sichtweite des furchteinflößenden Edmund Wetter hatte der junge Mann einen weiten Bogen eingeschlagen, sein Pferd Windeseil an einem Baum angebunden und sich im Gebüsch versteckt.

Von dieser Position aus befand sich die Hütte des Henkers in seinem Rücken und vor ihm lag ein Trampelpfad, den die Töchter des Henkers vermutlich benutzt hatten.

Seine Ahnung erwies sich als richtig.

Er hatte schon aufgeben wollen, nachdem es so stark zu regnen begonnen hatte, aber dann sah er die jungen Frauen den Hang in seine Richtung entlangstolpern.

Als sie auf der Höhe seines Versteckes angekommen waren, sprang er ihnen in den Weg. Dabei hielt er bedrohlich ein Jagdmesser hoch, das er immer bei sich trug.

Die Blonde stieß einen kurzen, spitzen Schrei aus, während die Brünette erstarrte. Die Frauen wichen verängstigt zurück, was ihn nicht überraschte. Er genoss es ein wenig und ging dann weiter auf sie zu. Bisher konnte er keine der hexenhaften Eigenschaften erkennen, die man ihnen nachsagte.

Er stellte lediglich fest, dass die Jüngere der beiden tatsächlich entzückend aussah, selbst so durchnässt und mit triefenden Haaren, was ihm ungewollt ein Grinsen ins Gesicht zauberte. War das jene Magie, von der gemunkelt wurde?

Er bemerkte zugleich, dass die ältere Tochter nicht im Geringsten den Gerüchten entsprach, die über sie kursierten. Sie hatte keine Hörner, Warzen oder einen Buckel. Ihr Gesicht erschien ein klein wenig schief, es war sonnengebräunt und verdreckt mit Schlamm. Die Narben ließen sich kaum erahnen, und die Augen funkelten auffällig. Ihr Aussehen entsprach vielleicht flüchtig dem Bild einer ungebändigten Hexe. Körperlich aber war sie ebenfalls recht ansprechend, jedoch nichts im Vergleich mit ihrer Schwester.

Das Gewitter verstärkte sich. Sturmböen fegten durch die Bäume, Donner grollte und Blitze zuckten umher. Hektors Hand mit dem Messer zitterte unwillkürlich. Waren die Töchter des Henkers vielleicht tatsächlich Hexen, wie es allerorten über sie gesagt wurde? Konnten sie gar Naturgewalten wie Blitz und Donner beherrschen?

Er durfte jetzt keinen Rückzieher machen, denn sein Ruf als tollkühner Abenteurer und Frauenheld stand auf dem Spiel. Schnell riss er sich zusammen, sprang vor, griff sich eine Haarsträhne der erstarrten Brünetten und schnitt sie mit der immer gut geschärften Klinge seines Jagdmessers ab.

Die Jüngere kreischte und zugleich schlug ein Blitz in einem Baum in der Nähe ein. Sie stürzte und auch Hektor stolperte, fing sich aber und landete in ihrer Nähe auf dem Boden. Es sah aus, als hätte er vor ihr einen Kniefall gemacht. Er grinste breit und nach einem kurzen Moment der Irritation lächelte sie ebenfalls. Dann richtete er sich auf und reichte ihr seine Hand.

„Felia!“, rief ihre Schwester entsetzt, aber die Jüngere nahm sie und er half ihr hoch. Es schüttete noch immer wild, aber der Sturm ließ ein wenig nach, es donnerte lediglich.

Für einen kurzen Moment durchfuhr Hektor ein seltsames Gefühl. Felia war wunderhübsch, aber erst ihr Lächeln ließ alles erstrahlen. Eine Woge des Übermuts erfasste ihn. Blitzschnell schnitt er auch von Felias goldenem Haar eine Locke ab. Im nächsten Moment drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und schmunzelte über ihr verdutztes Gesicht.

Dann rannte er zu Windeseil zurück, stieg auf und stürmte im Galopp davon.

 

3.

Zwietracht

 

Tonja war wie vom Donner gerührt. Seit Jahren hatte sie keinen anderen Menschen außer ihrem Vater und ihrer Schwester gesehen. Felia hatte ihr zwar häufig von den schmucken Boten vorgeschwärmt, doch Tonja war es schwergefallen, ihrem Gerede zu glauben. Jetzt wusste sie, dass die Schwester nicht übertrieben hatte.

Es gab jene Männer mit funkelnden Augen und einem wunderbar frechen Lächeln. Doch offenbar war dieses Exemplar genauso grausam, wie Tonja die Menschen in Erinnerung hatte.

Sie ließ sich von Felia zurück zur Hütte ziehen, wo sie dem besorgten Vater die Begegnung mit dem Boten verschwiegen. Zu zweit in ihrer gemeinsamen Kammer sprachen sie leise über ihn.

„Ich hätte ihm auch eine Locke geschenkt, wenn er danach gefragt hätte“, sagte Felia. Wie immer klang sie dabei schrecklich eingebildet, aber Tonja kannte das schon. „Er hat mir zugeflüstert, ich sei so schön, wie man es von mir erzähle, und er wolle mich unbedingt wiedersehen.“

Sie blickte Tonja provozierend an.

„Aber ich solle ohne das Scheusal kommen.“

„Ich bin mir sicher, er wird schon wissen, was er von dir haben will“, antwortete Tonja bissig, aber die Worte der Schwester schmerzten sie mehr, als sie sich eingestehen wollte.

Narben im Gesicht und Narben auf der Seele.

In der Ferne grollte noch immer der Gewitterdonner. Die Blitze waren erloschen.

„Wenigstens habe ich sein Interesse geweckt. Er ist ein feiner Mann. Bislang der schönste aller Boten. Aber keine Bange, auch für dich gibt es sicherlich einen Platz in der Welt. Du wirst Vaters schwarze Kutte anlegen und mit Wonne deine Axt auf die Todgeweihten niedersausen lassen. Ach, aber das geht ja nicht. Frauen dürfen kein Scharfrichter sein.“

„Das stimmt nicht. Dürfen sie wohl. Klar, dass du so etwas nicht weißt. Und du wirst eines Tages erkennen, dass deine Schönheit verwelkt ist und deine ganze innere Hässlichkeit zutage tritt.“

„Immerhin war ich dann einmal schön“, antwortete Felia, doch ihr Tonfall verriet, dass Tonja sie wenigstens ein bisschen beleidigt hatte.

„Du wirst nicht damit umgehen können, dass dir nicht mehr alles zufliegt“, setzte Tonja nach. „Du kannst nichts. Und musstest dir niemals Mühe geben.“

„Und was kannst du Tolles? Außer dich verstecken?“

Darauf wusste Tonja zunächst keine Antwort. Sicherlich, sie war gut in Handarbeitsdingen, nähte, stickte und webte recht ordentlich. Doch all dies beherrschte Felia auch, wenngleich sie das meiste mit weniger Leidenschaft machte und allgemein ungeduldiger war.

„Ich habe mehr Geduld und Leidenschaft als du“, sagte Tonja.

„Pah, Leidenschaft! Leidenschaft ist das, was ich in den Augen des Boten gesehen habe. Wozu soll ich meine Talente für Nichtigkeiten vergeuden?“

Ihre geflüsterte Auseinandersetzung dauerte noch einige Zeit an und ebenso lange prasselte der Regen herab, den das Land nach der Hitze so bitter nötig hatte.

4.

Die Wette

 

Viktor nahm einen Schluck aus seinem Krug und blickte den Prinzen fordernd an. Dieser grinste siegesgewiss. Nach einem angemessenen Zögern warf Hektor, der Prinz aus dem Hause von Hohenehr, die Haarlocken auf den Tisch. Viktor nickte anerkennend und konnte seinen Frust darüber, dass der Königssohn erfolgreich gewesen war, nur schlecht verbergen.

„Nun bist du an der Reihe“, sagte Hektor. „Wenn du dich traust.“

Einige Burschen in der Taverne, in der sie sich regelmäßig für all ihre Taten mit Bier und anderem Gebräu belohnten, lachten.

„Natürlich trau’ ich mich“, sagte Viktor. „Und ich werde noch weiter gehen als du. Nicht nur eine Locke wird mein sein.“

„Sondern?“

Hektors Augen verengten sich misstrauisch. Er schien nicht begeistert davon zu sein, dass Viktor ihn übertrumpfen wollte.

„Einen Kuss werde ich mir holen. Von beiden.“

Wieder erfolgte Gelächter. Dieses Mal ein wenig lauter als vorher und mit einer Portion Spott gewürzt.

„Dann wird jemand mit dir gehen müssen, um zu prüfen, ob du diese auch wirklich erhältst“, rief einer aus der Gefolgschaft.

„Da hast du recht, Gunter. Und da du das schon so klug bemerkt hast, wirst du dieser Begleiter sein. Aber halte dich ja versteckt. Die Axt des Henkers ist immer geschärft“, rief Prinz Hektor lachend. An Viktor gewandt sagte er: „Wenn dir das gelingt, will ich die Blüte der Schönen pflücken.“

„Vielleicht werde ich das schon vor dir tun.“ Viktor meinte es nicht ernst, aber das selbstgefällige Grinsen des Prinzen konnte er nicht leiden. „Immerhin scheint sie ja recht ansprechend zu sein.“

„Spricht da der Bärenmann aus dir?“, fragte der Prinz, um Viktor zu provozieren.

„Tiefensee liegt zwar am Rande der Sümpfe, aber ich bin keiner dieser Rebellen!

---ENDE DER LESEPROBE---