Die Träume der Libussa / Die Ketzerin von Carcassone - Zwei Romane in einem Band - Tereza Vanek - E-Book

Die Träume der Libussa / Die Ketzerin von Carcassone - Zwei Romane in einem Band E-Book

Tereza Vanek

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Beschreibung

Die Träume der Libussa Die Gründung Prags als Hintergrund eines großen historischen Romans Mitte des 8. Jahrhunderts, im Land der Behaimen an der Moldau. Als Libussa überraschend zur Herrscherin bestimmt wird, will sie auf ihren Geliebten, den Bauernsohn Premysl, nicht verzichten. Mit einer List erreicht sie, dass die Göttin selbst Premysl zu ihrem vorbestimmten Ehemann erklärt. Gemeinsam gründet das Paar an der Moldau eine neue Stadt, die ihrem Volk Reichtum und Glanz schenken soll. Doch die christlichen Frankenkrieger wollen Libussa und ihre alte Religion gewaltsam vertreiben. Die Ketzerin von Carcassonne Zwei starke Schwestern kämpfen für ihre Freiheit - und um die Liebe. In Carcassonne, im Süden Frankreichs, entscheidet sich ihr Schicksal ... Köln 1205. Die Schwestern Adelind und Hildegard müssen Hals über Kopf aus dem Kloster fliehen, in das sie als Kinder gegeben wurden, als Hildegard ungewollt schwanger wird. Bei einer Gauklertruppe finden die Frauen Zuflucht - und Adelind die Liebe. Ihr Schicksal führt sie bis nach Südfrankreich. Als die Mädchen dort in die Obhut von Esclarmonde de Foix kommen, einer Gräfin, die den Lehren der Katharer folgt, finden auch sie neue Kraft im Glauben. Doch der Konflikt mit dem Papst spitzt sich dramatisch zu. Und er gipfelt schließlich in dessen Aufruf zum Kreuzzug, der in einem blutigen Inferno endet ...

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Kurzbeschreibung:

Die Träume der Libussa 

Die Gründung Prags als Hintergrund eines großen historischen Romans

Mitte des 8. Jahrhunderts, im Land der Behaimen an der Moldau. Als Libussa überraschend zur Herrscherin bestimmt wird, will sie auf ihren Geliebten, den Bauernsohn Premysl, nicht verzichten. Mit einer List erreicht sie, dass die Göttin selbst Premysl zu ihrem vorbestimmten Ehemann erklärt. Gemeinsam gründet das Paar an der Moldau eine neue Stadt, die ihrem Volk Reichtum und Glanz schenken soll. Doch die christlichen Frankenkrieger wollen Libussa und ihre alte Religion gewaltsam vertreiben.

Die Ketzerin von Carcassonne

Zwei starke Schwestern kämpfen für ihre Freiheit - und um die Liebe. In Carcassonne, im Süden Frankreichs, entscheidet sich ihr Schicksal ...

Köln 1205. Die Schwestern Adelind und Hildegard müssen Hals über Kopf aus dem Kloster fliehen, in das sie als Kinder gegeben wurden, als Hildegard ungewollt schwanger wird. Bei einer Gauklertruppe finden die Frauen Zuflucht - und Adelind die Liebe. Ihr Schicksal führt sie bis nach Südfrankreich. Als die Mädchen dort in die Obhut von Esclarmonde de Foix kommen, einer Gräfin, die den Lehren der Katharer folgt, finden auch sie neue Kraft im Glauben. Doch der Konflikt mit dem Papst spitzt sich dramatisch zu. Und er gipfelt schließlich in dessen Aufruf zum Kreuzzug, der in einem blutigen Inferno endet ...

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Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

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Copyright © 2018 by Tereza Vanek

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-222-2

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Die Träume der Libussa

1. Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

2. Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Der Libussa-Mythos

Die Ketzerin von Carcassonne

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Epilog

Die wichtigsten historischen Daten

Nachwort

Über das Buch:

 Die Gründung Prags als Hintergrund eines großen historischen Romans

Mitte des 8. Jahrhunderts, im Land der Behaimen an der Moldau. Als Libussa überraschend zur Herrscherin bestimmt wird, will sie auf ihren Geliebten, den Bauernsohn Premysl, nicht verzichten. Mit einer List erreicht sie, dass die Göttin selbst Premysl zu ihrem vorbestimmten Ehemann erklärt. Gemeinsam gründet das Paar an der Moldau eine neue Stadt, die ihrem Volk Reichtum und Glanz schenken soll. Doch die christlichen Frankenkrieger wollen Libussa und ihre alte Religion gewaltsam vertreiben.

Edel Elements Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2017 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

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Copyright © 2008 by Tereza Vanek

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Kossack GbR, Hamburg

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-894-0

facebook.com/EdelElementswww.edelelements.de

Prolog

Die Frau saß vor dem Eingang einer Höhle. Er hatte sie bereits von weitem gesehen, denn sobald der Mond hinter den Wolken verschwand, war ihr Lagerfeuer das einzige Licht in der tiefschwarzen Nacht. Sie musste sein Kommen bemerkt haben, hatte sich aber nicht in die Höhle zurückgezogen. Ihr Gesicht war den brennenden Holzscheiten zugewandt.

»Sei gegrüßt«, sagte er in der Sprache der Kelten und sprang vom Pferd. Im Feuerschein sah er die Zeichen auf ihrer Stirn, die mit den Flammen zu tanzen schienen. Sonst bewegte sich nichts an ihr, und seinen Gruß schien sie nicht zu hören. »Ich bin Krok, der Stammesführer der Behaimen.« Trotz der nächtlichen Kühle nahm er seinen Umhang ab. Sie sollte an den Tätowierungen auf seinen Armen erkennen, dass sie Verbündete waren. Wenn er in von Christen besiedelte Gebiete reiste, ließ Krok die Symbole stets bedeckt, um keine Furcht oder Feindseligkeit heraufzubeschwören. Doch hier, am Berg der Göttin, war der rechte Ort, sie mit Stolz zu zeigen. Er setzte sich unaufgefordert ans Feuer. »Ich weiß, es ist Männern untersagt, hierherzukommen.«

Sie hob den Kopf, ein erstes Zeichen, dass sie lebendig war und keine Steinstatue. Ihr Gesicht glich dem eines Wiesels, spitz und forsch. »Warum kommst du dann?«

»Weil es wichtig ist. Wie gesagt, ich bin ...«

»Ich weiß, wer du bist. Gibt dein Rang dir das Recht, die alten Regeln zu brechen?«

»Ich will keine Regeln brechen, sondern bitte dich, sie meinetwegen einmal zu missachten. Höre mich an, denn meine Lage ist ernst, und ich brauche deinen Rat.«

»Hast du keinen anderen Ratgeber, Stammesführer der Behaimen? Gibt es unter euren Leuten keine Weisen?«

»Es gibt niemanden, der mich besser beraten könnte als du. Meine Schwester Scharka ist schon oft zu dir gekommen. Du kannst dich sicher an sie erinnern.«

»Zu mir kommen viele Frauen aus vielen Völkern. Wir verehren alle dieselbe Göttin, ganz gleich, ob wir sie Rigani, Freya oder Mokosch nennen.«

»Meine Schwester war die Fürstin unseres Stammes, der Cechen, außerdem Hohe Priesterin aller Stämme der Behaimen. Das musst du gewusst haben.«

Sie musterte ihn nachsichtig, wie eine gutmütige Mutter ihr vorlautes Kind. »Natürlich wusste ich das, Krok. Und ich weiß auch, dass sie heute Morgen gestorben ist. Bist du aus diesem Grund zu mir gekommen?«

Er war versucht zu fragen, wer ihr von Scharkas unerwartetem Tod erzählt hatte, besann sich dann aber eines Besseren. Die Keltin könnte meinen, er wollte ihre seherischen Fähigkeiten in Frage stellen. Natürlich konnte sie es von einer Frau aus seinem Volk erfahren haben, die an diesem Tag zufällig bei der Seherin gewesen war, doch viele Jahre des Verhandelns mit Stammesoberhäuptern und Königen hatten Krok gelehrt, dass man die Begabung anderer Menschen niemals unnötig anzweifeln sollte.

»Ja, das ist der Grund meines Besuches. Ich brauche deinen Rat.«

Die Keltin zog ihre buschigen Brauen zusammen. Ihr Wieselgesicht betrachtete ihn misstrauisch, aber nicht ohne Neugierde.

»Wie du weißt, sind die Behaimen den alten Traditionen treu geblieben. Besitz und Stellung im Clan gehen von der Mutter auf die Töchter oder auch auf die Söhne über, wenn es sich um Aufgaben handelt, die Männern zufallen. Der Fürstenclan der Cechen führt unser Volk seit der Zeit des großen Samo, dem es gelang, die Stämme zu einen und uns vom Joch der Awaren zu befreien. Die erste Hohe Priesterin unseres Volkes war bereits eine Fürstin der Cechen, ihr Bruder der Anführer aller Stämme unseres Volkes. Ich selbst bin Stammesführer geworden, weil eine Cechen-Fürstin mich gebar und die fürstlichen Clans der übrigen Stämme meiner Ernennung zustimmten. Es ist meine Aufgabe, mit unseren Freunden und Feinden zu verhandeln, damit mein Volk in Frieden leben kann, oder auch einen Krieg anzuführen, falls dieser notwendig ist. Doch in allen anderen Fragen, die unser Wohl und Wehe betreffen, soll eine Frau die große Göttin auf Erden vertreten und Entscheidungen treffen.«

Er ging davon aus, dass seine Rede der Keltin gefallen würde. Auch unter ihren Leuten hatten Römer und andere Eindringlinge bereits dafür gesorgt, dass Männer begannen, alle Macht für sich zu beanspruchen. Sie selbst besaß nur noch den Einfluss einer Priesterin, der allerdings beträchtlich war, da man ihre Klugheit schätzte.

»Die Zeiten sind nicht einfach«, fuhr Krok nach einer kurzen Pause fort und wollte zu einer längeren Rede ansetzen, doch die Keltin fiel ihm sogleich spöttisch ins Wort:

»Und wann sind sie das jemals gewesen?«

Er ärgerte sich über ihr barsches Verhalten, aber als Gesandter seines Volkes hatte er lernen müssen, sich niemals unbedacht herausfordern zu lassen. »Du hast natürlich recht. Wir hatten schon immer Feinde und waren Gefahren ausgesetzt. Aus unserer Heimat im Osten haben uns schrägäugige Riesen vertrieben, die unsere Dörfer und Siedlungen unter den Hufen ihrer Pferde begruben. Unser Volk musste fortziehen und sich aufteilen. So kamen meine Ahnen mit ihrem Anführer Cech in diese Gegend, wo wir ein neues Zuhause fanden. Seit meine Schwester und ich die Behaimen anführen, bemühen wir uns um Frieden zwischen allen Stämmen, aber auch mit anderen Völkern, so dass wir seit Jahren nicht mehr in den Kampf ziehen mussten. Doch nun droht eine neue Gefahr von den Franken. Es heißt, ihr König plane, sein Reich auszudehnen.«

»Jeder Sieger stößt einmal auf einen Gegner, der ihn besiegt«, meinte die Keltin gleichmütig. Krok begriff sofort, worauf sie anspielte. »Ich weiß, meine Leute haben euer Volk einst von den Bergen in die Niederungen getrieben«, gab er unumwunden zu, denn es hatte wenig Sinn, diesen Umstand zu leugnen. »Wir brauchten selbst Land, um zu leben. Doch es war stets mein Ziel, Frieden mit deinen Leuten zu wahren. Ich habe großen Respekt vor eurem Wissen, das viel älter und tiefer ist als das unsere.«

Diese Schmeichelei zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Die Miene der Keltin blieb verschlossen. »Unsere Zeit ist vorbei, Krok«, meinte sie nach einer Weile des Schweigens. »Das weiß ich schon lange. Ihr habt euer Volk nach dieser Gegend benannt, aber ihr wisst wohl nicht einmal, woher dieser Name eigentlich stammt. Die großen Boii, ein keltischer Stamm, hatten einst das Sagen in diesem Land, das ihr jetzt beansprucht. Doch das ist schon lange her. Bereits die Germanen haben uns besiegt, noch bevor ihr gekommen seid. Später werden andere Völker die Gegend beherrschen. Vielleicht das deine, vielleicht die Franken. Was kümmert es mich?«

Krok holte Luft. Nun endlich wusste er, mit welchen Worten er den Gleichmut der Keltin erschüttern konnte: »Wir nahmen euer Land, doch wir ließen euch an anderer Stelle in Frieden leben. Wir raubten euch nicht eure Sitten und euren Glauben. Die Franken werden anders sein. Als Anhänger des Gekreuzigten dulden sie nur ihren einen Gott, dessen Leichnam sie regelmäßig verspeisen. Eine wie dich werden sie töten, wenn sie sich nicht zu ihrem Christus bekehrt.«

Die Keltin spuckte ins Feuer. Krok war sich nicht sicher, ob dieser Ausdruck der Verachtung den Franken galt oder ihm.

»Wie können diese Franken die große Mutter leugnen? Wissen sie nicht, wer sie geboren hat?«

»Sie verehren die Mutter ihres Gottessohnes. Aber sie haben eine Jungfrau aus ihr gemacht«, erklärte Krok. Er war den Christen auf einmal fast dankbar dafür, denn mit dieser Ungeheuerlichkeit halfen sie ihm, die Priesterin für seine Sache zu gewinnen.

»Ich habe davon gehört«, meinte sie langsam. »Zwar darf ich diesen Ort nicht verlassen, aber manche Frauen gehen meinetwegen einen weiten Weg. Nun gut, jetzt sage mir endlich ohne Umschweife: Warum bist du gekommen?«

»Weil ich die alten Sitten wahren will«, betonte Krok nochmals, doch sie verzog nur ungeduldig das Gesicht.

»Das habe ich bereits begriffen. Worum genau geht es dir?«

»Ich muss eine Nachfolgerin bestimmen, die zukünftige Fürstin der Cechen, die auch Hohe Priesterin aller Behaimen ist. Meine Schwester starb völlig unerwartet. Sie hatte keine Zeit, eine ihrer Töchter für dieses Amt auszuwählen. Aber ich weiß, dass sie mit allen drei Mädchen oft zu dir kam. Vielleicht kannst du mir sagen, für welche Tochter sie sich entschieden hätte?«

Aufmerksam musterte er das spitze Gesicht der Keltin. Sie wirkte nicht überrascht wegen seiner Bitte, aber vermutlich schickte es sich nicht für eine weise Frau, Staunen zu zeigen. Erst nach längerem Nachdenken sagte sie: »Es stimmt, dass deine Schwester gelegentlich hierherkam, um mit mir gemeinsam die Göttin zu ehren. Manchmal sprachen wir auch über die unterschiedlichen Sitten unserer Völker. Sie hatte Respekt vor meinen Leuten. Trotzdem, Krok, kanntest du sie besser als ich. Ihr wart vom selben Blut. Weißt du wirklich nicht, was ihr Wunsch gewesen wäre?«

Krok warf ihr einen ungeduldigen Blick zu. Warum hatten Weise und Seher nur diese Unart, klare Antworten zu verweigern? Auch Dragoweill, der Anführer der Wilzen, klagte oft über die endlos langen widersprüchlichen oder rätselhaften Aussagen seiner Druiden. »Leider hat sie mit mir nie darüber gesprochen«, sagte er höflich. »Deshalb komme ich jetzt zu dir.«

»Aber du kennst sie doch, deine drei Nichten. Warum entscheidest du nicht selbst, Stammesführer der Behaimen?«

Warum beantwortest du nicht einfach meine Frage, Priesterin der Kelten?, dachte Krok ungeduldig, wählte aber seine tatsächlichen Worte mit größerer Vorsicht:

»Dies scheint mir eine Angelegenheit der Frauen zu sein.«

Falls die Keltin diese Aussage löblich fand, so zeigte sie es nicht. »Dann nenne mir die Aufgaben einer Fürstin und Hohen Priesterin. Was soll sie tun, das dir als Stammesführer nicht zusteht?«

»Als Hohe Priesterin vertritt sie die Sonnengöttin Mokosch auf Erden. Deshalb leitet sie die religiösen Feiern und Zeremonien aller Behaimen. Unsere Leute können in Streitfällen zu ihr kommen. Meine Aufgabe als Stammesführer ist es, Verhandlungen mit anderen Völkern zu fuhren. Und ich kann die fürstlichen Clans all unserer Stämme auffordern, mit mir in den Krieg zu ziehen. Doch ohne die Zustimmung der Hohen Priesterin verstößt jeder Kriegszug gegen die Wünsche der Götter.«

Er und seine Schwester Scharka hatten sich jedoch nicht nur diese Aufgaben geteilt. Sie waren die zwei wichtigsten Pfeiler gewesen, die das Herrschaftsgebäude stützten. Absprachen mit anderen behaimischen Stämmen wie den Lukanern, den Lemuzi oder den Kroaten, Verträge mit den Häuptlingen der benachbarten Völker und auch die Fragen des Umgangs mit den verbleibenden keltischen Grüppchen in den Wäldern, all das hatten sie in Übereinkunft entschieden. Die Erinnerung an Scharka stach ihn wie ein Messer. Warum musste ein Mensch so schnell, so unerwartet an einem scheinbar harmlosen Fieber sterben? Es war großenteils Scharka zu verdanken, dass nun Frieden im Umland herrschte. Die Vorstellung, von jetzt an allein für das Wohl seines Volkes verantwortlich zu sein, erschreckte Krok. Seine drei Nichten waren noch heranwachsende Mädchen, die ihre Mutter keinesfalls ersetzen konnten. Angst und Unsicherheit hatten den Stammesführer zu der Priesterin getrieben, doch als Krieger hüllte er sich darüber in Schweigen.

»Beschreibe mir die drei Mädchen, Krok. Was sind ihre guten Eigenschaften und welche ihrer Eigenarten missfallen dir?«

Krok seufzte erleichtert.

»Kazi«, begann er, »ist die Älteste. Sie beschäftigt sich viel mit der Kräuterkunde und mit der Heilkunst. In dieser Hinsicht vertrauen ihr unsere Leute. Sie trifft sich manchmal mit den weisen Frauen der Kelten und Germanen, ja sogar mit den Druiden, um von ihnen zu lernen.«

Die Priesterin nickte. »Ja, sie ist auch bei mir gewesen. Ein sehr wissbegieriges Mädchen. Aber nun sage mir, Krok, glaubst du, sie wäre eine gute Fürstin und Hohe Priesterin? Immerhin haben die Menschen Vertrauen zu ihr.«

Krok schüttelte entschieden den Kopf. Diese Frage war einfach zu beantworten.

»Kazi lebt in ihrer eigenen Welt. Manchmal treibt sie sich tagelang in den Wäldern herum, um nach Kräutern zu suchen. Anderes beschäftigt sie kaum. Zwar vermag sie die körperlichen Leiden der Menschen zu lindern, aber sonst meidet sie Gespräche. Am liebsten ist sie allein oder unter anderen Heilern, mit denen sie über Salben und Tränke reden kann. Die Fürstin der Cechen muss sich mit allen Belangen unseres Volkes befassen. Außerdem sollte sie gut mit Menschen umgehen können. Kazi ist zu verschlossen.«

»Da stimme ich dir zu, Krok. Und wie ist es mit der nächsten Tochter?«

Krok dachte gern an das große, kräftige Mädchen. Von seinen drei Nichten glich Thetka ihrer verstorbenen Mutter am meisten. Zu wissen, dass es sie gab, war erleichternd wie ein kühler Schluck Wein nach einem schweren Tag.

»Thetka ist ganz anders als Kazi. Sie will an allem teilhaben. Schon als kleines Mädchen bat sie mich, ihr das Bogenschießen beizubringen. Sie ist eine verflucht gute Jägerin geworden. Jedes Mal, wenn ich von einer Reise zurückkehre, fragt sie mich über andere Völker und ihre Sitten aus. Sie versteht es, sich in Auseinandersetzungen zu behaupten. Bei meinen Leuten ist sie sehr angesehen.« Er blickte erwartungsvoll in das Gesicht der Priesterin, doch konnte er darin nicht die erhoffte Begeisterung erkennen.

»Mir ist auch aufgefallen, wie gut Thetka sich durchsetzen kann und wie schnell sie andere Menschen auf sich aufmerksam macht«, bemerkte die Keltin. »Aber sage mir, Krok, wozu nutzt sie diese Fähigkeiten? Um Recht zu schaffen und Streit zu schlichten? Oder geht es ihr nicht eher darum, für ihr eigenes Wohl zu sorgen, manchmal auch auf Kosten anderer?«

Krok fühlte sich, als wäre ein unbekannter Gegner plötzlich von einem Baum gesprungen, um sich auf ihn zu stürzen. Auf einmal ärgerte ihn das Gespräch mit der Priesterin und er fragte sich, warum er eigentlich hergekommen war. »Natürlich ist sie ein wenig rücksichtslos. So sind starke Menschen eben, solange sie jung sind. Verständnis für andere, das kommt erst mit den Jahren.«

»In manchen Fällen. Aber auch bei Thetka?« Die Priesterin schien nicht zu bemerken, dass ihre Frage ihm missfiel. Oder es war ihr gleichgültig. Ihr Gesicht verriet nichts.

»Ich würde es sie lehren«, lenkte er ein, »Thetka braucht die nötigen Weisungen, um auf den richtigen Weg zu kommen, so wie alle jungen Menschen. Ich habe großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten.«

Die Priesterin nickte. Sie stocherte mit einem Stab in den glühenden Scheiten herum, da die Flammen zu erlöschen drohten. Kroks Anwesenheit schien sie vergessen zu haben, das Feuer nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

»Warum bist du zu mir gekommen, wenn deine Wahl bereits getroffen ist?«, fragte sie nach einer Zeit des Schweigens, die dem Stammesführer endlos erschien.

Wieder hatte Krok das Gefühl, unerwartet angegriffen zu werden. Diesmal aber erkannte er die Ursache seines Zorns. Die Priesterin hatte ihn besser durchschaut als er sich selbst. »Ich wollte deinen Segen als Dienerin der Göttin. Ich weiß, wenn du meine Wahl gutheißt, dann hätte meine Schwester dies auch getan«, antwortete er ehrlich. Die Priesterin schien das zu würdigen, denn diesmal ließ sie ihn nicht warten, bevor sie antwortete. »Ich heiße deine Wahl nicht gut, Krok. Du bevorzugst Thetka, weil sie dir gleicht, weil es ihr darum geht, zu erringen und zu behalten. Willst du, dass der Stammesführer und die Hohe Priesterin des Volkes der Behaimen sich gleichen? Dass sie von derselben Art sind? Dann wähle Thetka, und du hast trotz allem meinen Segen.«

Krok musterte die Keltin staunend. Ihr Vorwurf hatte so sicher ins Ziel getroffen wie der Pfeil eines geübten Schützen. »Natürlich soll die Hohe Priesterin anders sein als der Stammesführer. Sie ist die Tochter der Göttin, zuständig für Eintracht in unserem Volk und für sein Wohlergehen. Aber wir waren uns doch einig, dass Kazi trotz ihrer Heilkünste gänzlich ungeeignet ist. Thetka denkt in vielen Dingen selbstsüchtig und will im Mittelpunkt stehen, doch mit dem richtigen Einfluss ...«

»Gibt es nicht noch eine dritte Tochter?«

Diesmal zögerte Krok lange mit seiner Antwort. Die Frage der Priesterin ließ ihn an deren Fähigkeiten als weiser Frau zweifeln.

»Libussa ist noch ein Kind«, meinte er schließlich.

»Kinder werden erwachsen, Krok. Du hast selbst gesagt, junge Menschen brauchen Zeit, um den richtigen Weg zu finden. Außerdem ist aus Libussa längst eine junge Frau geworden. Sie hat an eurem letzten Fest zu Ehren der Göttin teilgenommen.«

»Ja, und seitdem reitet sie ständig fort, um sich mit irgendeinem jungen Mann zu treffen, wie ich vor kurzem erfahren habe. Einem Bauernjungen! Selbst als ihre Mutter starb, war sie bei ihm.«

»Sie ahnte nichts davon, wie nah ihre Mutter dem Tode war, Krok. Als Libussa aufbrach, gab es noch keine Anzeichen einer Krankheit. Oft kann sie Ereignisse voraussehen, aber zurzeit ist sie, nun ja, mit anderem beschäftigt.« Die Priesterin lächelte nachsichtig, als hätte sie Verständnis für das Mädchen. Eine seltsame Haltung bei einer Frau, die ihr Leben der Göttin geweiht hatte, fand Krok.

»Libussa rennt jeder Laune hinterher, von ihren Wünschen und Sehnsüchten getrieben. Was für eine Fürstin und Hohe Priester in wäre sie?«

»Hattest du nicht auch einmal deine Sehnsüchte, Krok?«

Er senkte den Blick und fragte sich, ob die Priesterin von Aislinn, der hübschen Keltin, wusste. Oder von den vielen anderen, die es vor ihr in seinem Leben gegeben hatte. Auch Scharka, seine Schwester, war in diesen Dingen nicht zurückhaltend gewesen. Kazi hatte die dunklen Haare ihres keltischen Vaters geerbt. Danach war ein behaimischer Krieger zu ihr gekommen, und Thetka wurde geboren. Wer Libussa gezeugt hatte, wusste Krok nicht genau. Es stand einem Mann der Behaimen nicht zu, sich in die Belange seiner Schwestern und Nichten einzumischen, wenn es um die Auswahl von Liebhabern ging. »Sie rennt diesem Mann hinterher, obwohl die guten Sitten erfordern, dass er sich zu ihr begibt«, erklärte er trotzdem empört.

»Warum bist du so streng mit ihr? Libussa weiß genau, was sie tut, und wenn sie andere Wege nimmt als die üblichen, so hat sie ihre Gründe dafür. Sie kommt zu mir, wenn sie befürchtet, etwas Unangemessenes zu tun. Der Dienst an den Göttern ist ihr sehr wichtig. Glaube mir, Krok, das Mädchen handelt nicht unüberlegt. Kannst du mir sagen, warum du nicht bereit warst, sie in Erwägung zu ziehen?«

»Libussa folgt in allem ihrem Herzen, auch wenn sie dabei gegen unsere Bräuche verstößt. Sie ist gutgläubig und vertrauensselig. Streit ist ihr verhasst, denn sie versucht stets, Verständnis für den Gegner aufzubringen, und träumt von Frieden durch beidseitige Einsicht. Versteh mich nicht falsch, hohe Frau. Das Mädchen ist ein liebenswerter Mensch, und kaum jemand redet schlecht von ihr. Aber sie sieht der Wirklichkeit nicht ins Gesicht.« Er fand, dass er sich sehr treffend und unvoreingenommen ausgedrückt hatte.

Die Priesterin hielt ihren Blick auf die lodernden Flammen gerichtet. Ihm schien, als begännen die Zeichen auf ihrer Stirn wieder zu tanzen. »Libussa ist, was du nicht bist. Ihr Männer habt eure Götter des Krieges und des Donners und der Schlacht. Wir Frauen verehren die Muttergöttin, die das Leben schenkt. Sie ist es, die aus Libussa spricht, Krok. Weder Kazi noch Thetka hören ihre Stimme so klar wie das jüngste Mädchen. Dir mag Libussa leicht zu beeindrucken und gutgläubig vorkommen. Aber gib ihr Zeit, dann wird sie vom Leben lernen. Ich weiß, dass keine andere deiner Nichten der großen Göttin so nahesteht wie das jüngste Kind deiner Schwester. Mehr habe ich dir nicht zu sagen. Nun geh und tu, was dir richtig erscheint.«

Krok suchte nach Worten, um der weisen Frau zu widersprechen, doch die Priesterin beachtete ihn nicht mehr. Ihre Augen waren geschlossen, und sie murmelte leise unverständliche Worte. Er beobachtete, wie sich ihr Oberkörper dabei vor- und zurückwiegte, als habe eine unsichtbare Macht von ihr Besitz ergriffen.

Er stieg wieder auf sein Pferd und murmelte Worte des Abschieds, auf die er keine Antwort erhielt. Dann galoppierte er eilig los. Der nächtliche Wald war die Wohnstatt von Geistern und Dämonen, vor denen selbst ein tapferer Krieger Respekt hatte.

»Libussa«, murmelte er auf dem Weg nach Chrasten, wo sein Clan sich niedergelassen hatte. »Nun, wenn sie meint, dann eben Libussa. Es steht mir nicht an, die Wahl der Göttin in Zweifel zu ziehen.« Was er natürlich trotzdem tat.

Als der Reiter nicht mehr zu sehen war, löschte die Keltin das Feuer. Die letzte Darbietung hatte ihren Zweck erfüllt. Es tat ihr leid, dass sie Krok so unfreundlich verabschiedet hatte, aber Männer hatten nicht das Recht, an diesen Ort zu kommen. Sie wollte nicht, dass er bis zum Morgengrauen blieb und von den ersten Frauen gesehen wurde, die sie aufsuchten.

Er ist kein schlechter Kerl, der Stammesführer der Behaimen, dachte sie, als sie sich zum Schlafen in ihre Höhle zurückzog. Ich glaube, er wird dem Willen der Göttin folgen, auch wenn er ihn nicht versteht.

An Libussa wollte sie im Augenblick nicht denken. Sollte das Mädchen je von diesem Gespräch erfahren – wie zornig und enttäuscht wäre sie von ihrer engsten Vertrauten, die nur zu gut wusste, welches Leben sie sich in Wahrheit wünschte! »Jenen, die nicht nach Macht streben, soll sie zufallen«, murmelte die Keltin, während sie sich auf ihre Felle legte und die warme Wolldecke über sich ausbreitete. Hättest du mir nicht von deinen Träumen und Ahnungen erzählt, Mädchen, dachte sie kurz vor dem Einschlafen, dann hätte ich ihn Thetka wählen lassen, denn so übel ist sie nicht. Doch mir scheint, du hast eine besondere Aufgabe in der Welt, Libussa. Du musst den Weg gehen, der dir bestimmt ist, auch wenn er dir nicht gefällt. Den meisten von uns gefällt er nicht immer.

1. Teil

1

Libussa ließ ihre Stute über die Lichtung galoppieren, und die hügelige, dicht bewaldete Landschaft zog an ihr vorüber. Das Gefühl völliger Freiheit war wie ein Rausch, der sie in ihren Erinnerungen schwelgen ließ – in ihren Erinnerungen an das Kupala-Fest vor einigen Wochen, bei dem sie zur Frau geworden war.

Wie alle jungen Mädchen und Frauen hatte sie Blumen in den Fluss geworfen und war anschließend selbst hinterhergesprungen. Bei Einbruch der Dämmerung war das rituelle Bad vorüber. Nun gab es Tänze ums Lagerfeuer und für diesen Festtag speziell gebraute Tränke. Auch Libussa griff nach einem Becher. Bald schon begann die Welt um sie herum zu verschwimmen, doch alles erstrahlte in einem hellen Licht, was von der Gegenwart zweier Götter zeugte: Morana und Jarilo, die Kinder der großen Sonnengöttin, feierten ihre heilige Hochzeit. So konnte das Land Früchte hervorbringen, um die Menschen zu ernähren. Da Jarilo der Sohn des Wassergottes Veles war und Morana den Herrn des Donners und der Lüfte, Perun, zum Vater hatte, trat durch diese Heirat Frieden ein zwischen zwei alten Erzfeinden. Es war der glücklichste Augenblick des Jahres. Denn bald schon würde Morana aus Eifersucht Jarilo töten und ihn so wieder zu seinem Vater in die Unterwelt zurückschicken. Doch ohne ihren Gemahl welkte Morana dahin. Sie wurde zur alten, bitteren Todesgöttin, und die Kälte des Winters legte sich über das Land. Erst mit dem nächsten Frühling kehrte Jarilo wieder unter die Lebenden zurück und umwarb Morana erneut.

Aber an all das hatte Libussa irgendwann an diesem Abend nicht mehr gedacht, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, die Heiligkeit dieses Festes keinen Augenblick zu vergessen. Sie wollte nicht sein wie so viele andere Mädchen, die bei dieser Gelegenheit nur Ausschau nach gut aussehenden jungen Männern hielten. Die heilige Hochzeit würde vollzogen, nichts weiter, hatte sie sich immer wieder gesagt, um ihre eigene Nervosität zu bekämpfen. Es war ihre erste Teilnahme an diesem bedeutenden Ritual, und danach würde sie in ihrem Volk als Frau anerkannt werden. Vor ihr lag der Eintritt in eine geheimnisvolle Welt. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder fürchten sollte.

Kazi, ihrer ältesten Schwester, gefielen diese Feste nicht. Sie begleitete ihre Familie nur aus Pflichtgefühl, und Libussa war nicht entgangen, wie ihr dunkler Haarschopf in der Sicherheit des Waldes verschwand, als Männer und Frauen immer ungezwungener aufeinander zugingen. Ganz anders Thetka. Sie liebte die Aufmerksamkeit der jungen Krieger aller anwesenden Stämme, drehte sich wie wild im Kreis und sprang mehrfach über das Feuer, damit auch niemand sie übersah.

Scharkas Töchter. Die Kinder der Fürstin der Cechen. Jeder angesehene Krieger, jeder männliche Spross eines fürstlichen Clans strahlte vor Stolz, wenn es ihm gelungen war, die heilige Hochzeit mit einer von ihnen zu vollziehen.

Aber genau das hatte Libussa nicht gewollt. Sie war in einem schlichten, nur mit Holzperlen verzierten Gewand gekommen, das ihre Kinderfrau Kveta früher getragen hatte. Ihr Haar hatte sie wie die Töchter der Bauern zu zwei Zöpfen geflochten und mit Blumen geschmückt. Von dem Schmuck, den ihre Mutter zu diesem Anlass freudig verlieh, wählte sie nur ein paar Armreifen aus Kupfer.

Wer immer er sein würde, er sollte sie nicht kennen. Jede Frau war bei diesem Fest die Göttin Morana, ebenso wie jeder Mann Jarilo verkörperte. Nichts weiter als das hatte Libussa sich zunächst gewünscht. Einen Fremden, den sie bald vergessen würde und der nicht damit prahlen sollte, dass sie bei der heiligen Hochzeit seine Gefährtin gewesen war.

Während des Tanzens schwand die Furcht allmählich. Der Trank zeigte seine Wirkung. Sie sprang und wirbelte herum wie die anderen, befreit durch das sichere Gefühl, Teilnehmerin an einem uralten Ritual zu sein. Noch nie zuvor hatte sie sich Morana so nahe gefühlt. Es war, als tanzte die Göttin selbst an ihrer Seite.

Vielleicht hatte Morana sie zu dem Jungen geführt. Der Gedanke gefiel ihr, auch wenn er vermessen war. Sie konnte sich erinnern, wie sie beschloss, Slavoniks Blicken zu entkommen. Er stammte aus dem fürstlichen Clan der Kroaten, ein fast so mächtiger Stamm wie die Cechen, und versuchte bei diesen Gelegenheiten stets, eine von Scharkas Töchtern zu verführen, um sich dadurch bei seinen Freunden aufzuspielen. Libussa wusste genau, dass heute sie an der Reihe sein sollte.

Er war genau das, was sie nicht wollte. Ein Mann, für den sie wie eine zusätzliche Tätowierung wäre, die ihn als Krieger von Rang und Namen auszeichnete. Sie zog sich weiter von den Lagerfeuern zurück, um nicht von ihm gesehen zu werden, als sie plötzlich ein anderes, völlig unbekanntes Gesicht vor sich erblickte. Der junge Mann mochte etwa in ihrem Alter sein und nahm vermutlich auch zum ersten Mal an diesem Fest teil. Er hielt sich im Hintergrund und beobachtete aufmerksam, wie aus dem Getümmel von Menschen bei den Feuern allmählich einzelne Paare entstanden. Als Libussa an seiner Seite auftauchte, wirkte er überrascht und lächelte sie verlegen an.

»Gefällt dir das Fest?«

Die Frage schien ihr unangemessen, denn Rituale sollten nicht gefallen, sondern die Götter ehren. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie daher ausweichend. »Ich habe noch nie zuvor daran teilgenommen.« Sie wollte nicht verraten, dass eben jener Teil des Rituals, der am wichtigsten, am heiligsten war, ihr Unbehagen einflößte. Wie kam es, dass Kazi davor flüchtete, während es Thetka doch zu gefallen schien?

»Ich bin auch zum ersten Mal hier«, bestätigte er ihre Vermutung. »Es ist, na ja, etwas, an das man sich gewöhnen muss.«

Einen Jungen an ihrer Seite zu wissen, dem Kupala noch ebenso fremd war wie ihr, schien beruhigend. Sie fühlte sich sicherer bei jemandem, der ihr Unbehagen teilte.

»Wer bist du? Kommst du aus einem Dorf in der Nähe?«, führte er die Unterhaltung beharrlich fort, als sei dies ein ganz gewöhnlicher Tag, an dem Fremde nur miteinander redeten. Er konnte nicht im Gebiet der Cechen wohnen, sonst hätte er sie gekannt. Libussa war erleichtert. Vermutlich war er im Gefolge des fürstlichen Clans eines anderen Stammes gekommen. Der Junge trug die grobe Kleidung eines Bauern, aber sein feines nachdenkliches Gesicht verriet, dass er kein einfältiger Mensch sein konnte. Aus den braunen Augen sprach völlige Offenheit, vielleicht, weil ein Mann einfacher Herkunft nicht unter dem Druck stand, unbedingt Eindruck machen zu müssen. Er hatte hellbraunes Haar, das ihm knapp bis zu den Schultern reichte, denn nur Krieger wie Slavonik waren so eitel und verfügten über die Muße, sich Zöpfe zu flechten oder das Haar mit Schweinefett kunstvoll auf ihren Köpfen hochzutürmen, um den Frauen zu gefallen.

»Es ist nicht üblich, hier seinen Namen zu nennen«, beantwortete sie ausweichend seine Frage. Der Rausch schien durch die kurze Unterhaltung bereits nachgelassen zu haben. Warum nahm er sie nicht einfach an der Hand und zog sie mit zu den Feuern, wo sich andere Paare bereits in den Armen lagen? Dort wäre es einfacher, nur Teil eines Ganzen zu sein. Zu tun, was alle taten.

»Ich glaube, mir gefallen diese Feste nicht«, sagte er unerwartet. »Wir sind keine Tiere.«

Zorn wallte in Libussa auf, verstärkt durch die Wirkung des berauschenden Trankes. »Das ist ein heiliges Ritual!«, zischte sie ihn an. »Du redest wie die Christen, die sich ihrer Körper schämen, und beleidigst unsere Götter.«

Er hob abwehrend die Arme. »Darum geht es nicht. Ich finde nichts Verwerfliches an diesem Fest. Nur gefällt es mir nicht, mich vor allen Leuten auf eine Fremde zu stürzen. Das ist alles.«

Wenn sie ihm ihren Namen nannte, wären sie sich dann weniger fremd? Könnten sie mehr sein als nur die Stellvertreter Jarilos und Moranas bei einem jährlichen Ritual? Der Junge schien ein angenehmer Mensch zu sein. Doch sobald er wusste, wer sie war, würde sich sein Verhalten vielleicht ändern. Dennoch gefiel es ihr, dass er so offen mit ihr sprach.

Lange Zeit herrschte Schweigen. Libussa hatte Angst, den Fremden anzusehen. Er sollte nicht merken, welche Gedanken ihr durch den Kopf gingen, wie wohl sie sich in seiner Gegenwart fühlte, denn dadurch hätte sie mehr preisgegeben, als bei einem solchen Fest üblich war.

»Willst du mit mir in den Wald gehen, Mädchen ohne Namen?«, fragte er schließlich mit einem verlegenen Grinsen und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie reichte ihm die ihre. Seine Handflächen waren rau vor Schwielen. Er musste wirklich ein Bauer sein, doch in diesem Moment hatte das keine Bedeutung.

Abseits vom Lachen und Geschrei der Feiernden war der nächtliche Wald ein verzauberter Ort, das Reich der Geister und Vilas, unsterblicher, wunderschöner Frauen, die über ihn herrschten. Libussa mochte das Kratzen der Bauernhände, die sich auf ihr Gesicht legten.

»Das heilige Ritual also?«, murmelte er. Seine Augen blitzten spöttisch auf und sie hörte ihr eigenes nervöses Lachen.

»Wie auch immer du es nennen magst«, sagte sie. Sosehr sie sich bemühte, sie konnte in ihm nicht einfach eine Verkörperung des göttlichen Jarilo sehen. Und sie wollte jetzt nicht nur Morana sein, auch wenn sie immer noch die Gegenwart der Göttin fühlte. Der Rausch hatte nachgelassen, aber ihre Furcht kam nicht zurück. Der Junge flößte ihr Vertrauen ein. Bereitwillig ließ sie sich neben ihm auf der feucht duftenden Erde nieder.

»Ganz gleich, was wir jetzt tun, Mädchen ohne Namen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Du sollst zunächst wissen, wer ich bin. Premysl aus dem Dorf Staditz. Es liegt am Fluss Beiina, im Gebiet des Lemuzi-Stammes. Ich wohne dort mit meiner Mutter und Schwester.«

Sie nickte und schlang ihre Arme um ihn. Er folgte der Ermunterung zaghaft, als habe ihn auf einmal der Mut verlassen. »Ich weiß, dass Männer manchmal zu grob sein können«, murmelte er, ohne sie dabei anzusehen.

Libussa verstand nicht, warum er so redete. Kazi gefielen diese Feste nicht. Doch fast alle anderen Fürstentöchter, die sie kannte, liebten Kupala. Nun, da sie sich an den warmen Körper dieses Fremden presste, stieg Sehnsucht nach noch größerer Nähe in ihr auf.

»Wenn ich etwas tue, das dir zuwider ist, dann musst du es sagen. Versprich es mir«, kam es wieder von dem Bauernjungen, diesmal mit mehr Entschlossenheit. Libussa lachte auf.

»Das verspreche ich. Und ich kratze dir die Augen aus, wenn du dann nicht aufhörst.«

Diese Worte schienen ihn zu beruhigen, denn er löste den Gürtel an ihrem Gewand, aus dem sie sich sogleich selbst befreite. Allmählich ergriff ein anderer Rausch von ihr Besitz, ein Sehnen in ihrem Unterleib, das immer stärker wurde, je länger sie die schwieligen Hände auf ihrer Haut spürte. Dafür also, dachte sie, hat mir die Göttin den Körper einer Frau geschenkt. Am nächsten Morgen erwachte Libussa neben dem Jungen, im Schutz des Waldes sicher und geborgen, aber sie wusste, sie würde dieses Reich der Geister bald verlassen müssen. Ihre Mutter, Kazi und Thetka suchten vermutlich schon nach ihr. Sie schlüpfte rasch in ihr Kleid. Premysl schlief noch. Sie küsste ihn zaghaft auf die Wange. Es war besser so gewesen als mit einem Fremden inmitten aller anderen Paare, auch wenn sie dadurch ein wenig gegen das Ritual verstoßen hatte. Der Junge hatte nicht einfach Scharkas jüngste Tochter in ihr gesehen, deren Verführung seinen Ruhm vergrößern sollte, sondern ein unbekanntes junges Mädchen.

Aber es war vorbei. Von einer unerklärlichen Angst erfüllt, lief Libussa fort und hoffte, dieser Premysl aus Staditz würde sie bald vergessen, denn er war nicht Teil ihrer Welt.

Sobald sie den Wald verlassen hatte, tauchte der Ort des Festes vor ihr auf. Schlafende, erschöpfte Körper lagen wie nachlässig hingeworfen um die erloschenen Feuerstellen. Libussa schritt über sie hinweg, denn sie hatte bereits die gesattelten Pferde der Cechen-Fürstin gesehen. Ihre Mutter verfügte über unerschöpfliche Energie, der eine Nacht im Taumel des Rausches nichts anhaben konnte. Auch Thetka saß bereits auf ihrem Pferd, und Kazi kletterte gerade hoch. Libussa eilte hinzu, strich über den Kopf ihrer Stute Steka und schwang sich in den Sattel.

»Wo bist du denn so lange gewesen, Kind?«, hörte sie die vorwurfsvolle Stimme ihrer Mutter. Sie gab eine ausweichende Antwort und war froh, dass Scharka von den Cechen das Zeichen zum Aufbruch gab, anstatt sie weiter auszufragen.

Während sie mit dem Gefolge Wälder und Wiesen durchquerte, schien das Geschehene bereits unwirklich zu werden. Dieser Junge war vielleicht kein echter Mensch gewesen, sondern ein Geist des Waldes, der menschliche Gestalt angenommen hatte. Der Gedanke beruhigte sie, denn die Erinnerung an diese körperliche Nähe zu einem fremden Bauernjungen war ihr auf einmal unangenehm. Besser, alles schnell zu vergessen. Sie flüchtete vor Thetkas neugierigen Fragen, indem sie Steka neben Kazis Pferd laufen ließ. Die älteste Schwester schwieg wie gewöhnlich, denn sie war nach dem Kupala-Fest stets schlechter Laune. Thetka schäkerte mit einigen Kriegern aus dem Gefolge, so dass sich Libussa erleichtert in ihre Gedanken versenken konnte. Sie wollte sich innerlich auf die Zeremonie vorbereiten, bei der sie vor allen Angehörigen des Stammes zur Frau erklärt werden sollte, sich von der Erinnerung an die letzte Nacht befreien, auch wenn sie ahnte, dass sie diesen Jungen nicht so schnell vergessen würde. Zunächst merkte sie nicht, dass das kräftige, große Pferd ihrer Mutter sich zu ihrer Stute Steka gesellte.

»Slavonik war verärgert«, riss Scharka von den Cechen sie dann plötzlich aus ihren Überlegungen.

»Was kümmert mich Slavonik?« Libussa fühlte Ärger in sich aufsteigen.

»Er gehört dem fürstlichen Clan eines mächtigen Stammes an. Wir brauchen die Loyalität der Kroaten.«

»Ich dachte, Onkel Krok hätte für Frieden gesorgt.«

»Kein Frieden dauert ewig, Libussa. Es kommen immer wieder neue Feinde.«

Libussa fühlte sich, als hätte man ihr die Haut abgezogen. Jeder Windhauch schmerzte sie. Die Erfahrung der vergangenen Nacht war zu innig, zu zärtlich gewesen, um auf die Ebene der Verhandlungen zwischen fürstlichen Clans herabgewürdigt zu werden.

»Hätte ich es mit Slavonik treiben sollen, damit er unser Verbündeter wird? Ist es nicht ein heiliges Ritual, im Namen der Göttin? Und du verlangst, dass ich es für deine persönlichen Ziele missbrauche! Du redest wie die Christen, die ihre Töchter als Pfand geben.«

Nun traf sie der Blick ihrer Mutter wie ein Faustschlag. »Sei froh, dass wir nicht wie die Christen sind. Dann würden wir dich mit Slavonik verheiraten, und du wärest ihm Untertan, bis einer von euch stirbt. Aber hier ging es nur um eine einzige Nacht, Libussa. Er ist ein gut aussehender junger Kerl. Was wäre so schlimm daran gewesen?«

»Ich kann ihn nicht leiden«, murrte Libussa und fand plötzlich selbst, dass sie sich wie ein bockiges Kind anhörte. Deshalb setzte sie zu einer Begründung an: »Er ist so sehr von sich eingenommen. Jedes Mal, wenn eine Frau ihn als Gefährten wählt, wissen sofort alle seine Freunde davon. Das ist für ihn wie ein Wettkampf unter Kriegern, den er gewonnen hat.«

Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »So sind Männer eben. Glaub mir, ich kenne sie.«

»Es ist allgemein bekannt, wie gut du sie kennst.«

Kaum waren die bissigen Worte ausgesprochen, hätte Libussa viel darum gegeben, sie wieder zurücknehmen zu können. In den Augen ihrer Mutter lag plötzlich nicht nur Unzufriedenheit, sondern auch ein stummer Vorwurf. »Wir sind in diesen Dingen nicht wie Völker, in denen allein die Männer herrschen, mein Kind. Bei uns gehört eine Frau nicht einem einzigen Mann. Sie kann selbst entscheiden, mit wem sie ihr Lager teilt. Mir scheint, das hast du gerade eben vergessen.«

Libussa senkte den Kopf. Es hatte jetzt keinen Sinn, sich zu entschuldigen, dazu kannte sie ihre stolze, störrische Mutter zu gut. Ihren eigenen Ärger zu erklären wäre aber ebenso vergebliche Mühe gewesen. Scharka hatte mit vielen Männern das Lager geteilt, aber nur Thetkas Vater Jaromir war ihr so nahe gewesen, dass sie mit ihm zusammenleben wollte. Nach seinem tödlichen Jagdunfall hatte sie tief um ihn getrauert. Danach, vermutete Libussa, hatte ihre Mutter einfach nur Trost und Ablenkung gesucht, und so war ihre jüngste Tochter entstanden. Libussa störte sich nicht daran. Aber was ihre Mutter bei dem Fest von ihr erwartet hatte, wäre ein Missbrauch der heiligen Hochzeit und damit auch Verrat an den Göttern gewesen. Sie wusste genau, was ihre Mutter zu diesen Erklärungen sagen würde. »Bei allen Göttern und Geistern des Waldes, Kind! Warum musst du die Dinge immer so schrecklich ernst nehmen?«

»Weil das meine Natur ist«, erwiderte Libussa in Gedanken und ließ ihr Pferd hinter dem ihrer Mutter laufen, um weitere Gespräche zu vermeiden, bis sie endlich den Fluss Vltava erreicht hatten und die Wehrtürme von Chrasten vor ihren Augen auftauchten.

Während die Vorbereitungen für Libussas Weihe zur Frau im Gange waren, schien ihre Mutter verärgert und mied Gespräche. Libussa war erleichtert, denn so brauchte sie nicht zu erzählen, mit wem sie sich in den Wald geschlichen hatte. Für Thetka, die sie mit Fragen bedrängte, erfand sie die Geschichte von einem Unbekannten aus einem weit entfernt lebenden Stamm, vielleicht gar aus den Ländern Rus. Es sei kaum möglich gewesen, mit ihm zu reden, denn Menschen aus jener Gegend hatten eine merkwürdige Aussprache, auch wenn sie einst zum selben Volk gehört hatten wie die Behaimen.

Erst an dem Tag der Zeremonie sah Libussa wieder ein Lächeln auf den Lippen ihrer Mutter, denn das Herz einer jeden Frau, die ein Mädchen zur Welt gebracht hatte, war bei diesem Anlass mit Stolz erfüllt. Durch Töchter, die zu Frauen wurden, bestand der Clan fort und konnte größer und mächtiger werden.

In einem Kleid aus weißem Leinen, das mit Stickerei und Glassteinen verziert war, schritt Libussa zum Schrein der großen Sonnengöttin Mokosch, wo man bereits Schalen mit Obst sowie geschlachtete Tiere neben der hölzernen Statue als Opfer dargebracht hatte. Sie spürte die Blicke der Anwesenden auf ihrem Rücken, während sie der Tradition entsprechend Mutter und Schwestern umarmte, Treue zum Clan und Einhaltung der alten Sitten bis zu ihrem Tode schwor. Anschließend ertönte der Gesang der Schamanen, junger Männer aus dem Volk, die aufgrund ihrer besonderen Verbundenheit mit dem Reich der Götter und Geister von der Hohen Priesterin für diese Ausbildung ausgewählt worden waren. Fürstin Scharka überreichte ihrer jüngsten Tochter die Kopfbedeckung erwachsener Frauen. Ihre Kindsmagd Kveta hatte sie aus rotem Tuch angefertigt und mit aufwändiger Stickerei verziert. Eine dünne Kette aus Silber wurde ihr dazu um die Stirn gebunden und am Hinterkopf befestigt. An dieser Kette hingen sechs Ringe. Libussa sollte jeweils drei davon an ihren Schläfen tragen, was sie als ungebundene, erwachsene Frau kenntlich machte.

Die Ringe wären nicht nötig gewesen. Der Stamm der Cechen war der angesehenste in der Gegend, und sein fürstlicher Clan rühmte sich der Verwandtschaft mit dem großen Samo, der die Behaimen einst vom Joch der Awaren befreit hatte. Nicht umsonst waren die fürstlichen Clans aller benachbarten Stämme zum anschließenden Fest im großen Saal von Chrasten erschienen, um Libussa als erwachsene Frau zu begrüßen. Bisher hatten deren Söhne um Thetka geworben, denn Kazi hatte sich mittlerweile den Ruf zugelegt, unnahbar und außerdem eine Zauberin zu sein. Jetzt sollte es neben der launischen, schwierigen Thetka, die sich viele Liebhaber wählte, ohne bei einem bleiben zu wollen, noch eine weitere mögliche Gefährtin geben.

Libussa ließ sich zwischen ihrer Mutter und Onkel Krok vor den versammelten Gästen nieder. Einen Augenblick genoss sie es sogar, im Mittelpunkt zu stehen. Slavonik, der gemeinsam mit seiner Mutter und seiner heranwachsenden Schwester Sylva neben Krok Platz gefunden hatte, sah zunächst finster in ihre Richtung. Sie wich seinem Blick aus, konnte aber nicht übersehen, dass er sich wie üblich herausgeputzt hatte. Der Gürtel, an dem Schwert und Kampfaxt hingen, war mit einer silbernen Schnalle besetzt, die den Kopf eines Drachens darstellte. Glassteine blitzten als Augen des Ungeheuers. Slavonik hatte von den Kelten die Angewohnheit übernommen, sein Haar blau zu färben. Durch Tierfett in Form gehalten, wand es sich auf seinem Kopf wie eine Schlange. Mit seiner Eitelkeit stellte der Kroaten-Sohn fast jede Frau in den Schatten. Ermutigt durch Libussas Aufmerksamkeit hob er nun den Weinbecher und lächelte sie an.

»Hat dir das Kupala-Fest gefallen, Libussa? Du warst irgendwann verschwunden«, meinte er, nun ganz ohne Ärger in seiner Stimme. Offenbar wollte er einen neuen Versuch wagen, sie für sich zu gewinnen. Der spöttische Unterton seiner Worte gefiel Libussa nicht, aber sie wusste, dass ihre Mutter es ungehörig fände, wenn sie zu dem Kroaten-Sohn allzu abweisend wäre.

»Wir haben uns eben aus den Augen verloren«, erwiderte sie ausweichend. Slavoniks Lächeln kündigte eine bissige Bemerkung an, und zunächst war Libussa erleichtert, als Thetka sich ihnen zuwandte.

»Libussa hat sich einfach mit einem Unbekannten aus dem Lande Rus davongeschlichen«, erklärte ihre Schwester und betrachtete dabei zufrieden den Unmut auf Slavoniks Gesicht. Dann hob sie ihren Weinbecher, um mit ihm anzustoßen. Libussa nutzte die Gelegenheit, sich umzusehen, ob sie nicht mit jemand anderem ein Gespräch beginnen könnte.

Weiter hinten an der Tafel saßen die Mitglieder des fürstlichen Clans der Doudlebi, die derzeit keinen ungebundenen Sohn hatten und tatsächlich nur aus Respekt gegenüber Libussas Familie gekommen waren, außerdem noch die Lukaner neben den Leitmeritzern, die sich seit Generationen wegen Nichtigkeiten bekämpften, aber bei diesem Anlass friedlich miteinander feierten. Radka, die älteste Tochter der Lukaner-Fürstin, lächelte Libussa zu, als sich ihre Blicke trafen, und kam herbei.

»Macht ein bisschen Platz. Ich möchte mit der soeben zur Frau gewordenen Schönheit plaudern. Ihr Männer müsst bis zum nächsten Kupala-Fest warten, denn sie scheint mir gerade nicht auf eure Gesellschaft erpicht.« Der großen, kräftigen Radka fiel es niemals schwer, ihre Wünsche durchzusetzen. Selbst Slavonik rückte mürrisch zur Seite, wodurch er näher an Thetka heranrutschte, die zufrieden lächelte.

»Nun erzähl schon, du zarte junge Vila aus dem Reich der Geister. Wie war er, dein Fremdling?«, fragte Radka vorwitzig und ließ sich von der Magd einen weiteren Becher Met bringen. Libussa spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie hasste es, vor anderen Menschen rot zu werden, doch je mehr sie sich deshalb schämte, desto schlimmer wurde es.

»Ich kann mich kaum erinnern. Du weißt, all diese Tränke, von denen sich einem der Kopf dreht. Das ist schlimmer als zu viel Wein oder Met. Ich habe fast alles vergessen«, erklärte sie. Radkas Augen blitzten spöttisch auf, aber sie schien Libussas Verlegenheit zu verstehen, da sie nicht weiter nachfragte.

»Sieh dir mal meinen Bruder an«, fuhr sie stattdessen fort. »Er verbrachte das Kupala-Fest mit Irina von den Leitmeritzern, was unsere Mutter ebenso wenig begeisterte wie die Leitmeritzer-Fürstin. Und jetzt habe ich so eine seltsame Ahnung, dass er kaum noch von ihrer Seite weichen kann. Edle, weise Libussa, nutze deine seherischen Fähigkeiten, die dich zur Schülerin der keltischen Priesterin gemacht haben, und sage mir, wohin wird all dies führen?«

Libussa überhörte bewusst den Spott in Radkas Stimme und richtete ihren Blick auf Lecho von den Lukanern. Er unterhielt sich angeregt mit der dunkelhaarigen, schmächtigen Irina. Die Augen der jungen Frau waren aufmerksam auf sein Gesicht gerichtet, als gäbe es niemanden außer ihm im großen lauten Saal. Libussa fühlte einen Stich in ihrer Brust. Die Nähe zwischen diesen zwei Menschen weckte ihre Sehnsucht nach einem Erlebnis, das sie vergessen wollte.

»Ich kann die Zukunft nicht auf Befehl voraussagen«, erklärte sie Radka, »aber vielleicht geht meines Onkels Wunsch nach Einheit zwischen allen Stämmen dadurch in Erfüllung, dass aus diesen beiden ein Paar wird.«

Radka nickte.

»Ja, das wäre nicht schlecht. Ich werde Lecho jedenfalls ermutigen, seine Wünsche durchzusetzen. Auch wenn unsere Mutter und ihr neuer Gefährte dagegen sein sollten.«

Libussa war froh, dass Radka sich so vernünftig zeigte. Der kurze Moment der Sehnsucht war so plötzlich vergangen, wie er gekommen war. Sie fühlte sich leicht und sorglos, völlig frei von dem Wunsch, selbst mit jemandem ein Paar zu bilden. Sie würde sein wie Thetka. Sich Zeit lassen mit der Wahl eines Gefährten. Und irgendwann wollte sie bei ihrer keltischen Lehrerin am Berg der Göttin leben. Nur konnte sie nicht verstehen, warum dieser friedliche Ort mit der Höhle und der plätschernden Quelle, wo die alte Frau ihre Weissagungen machte, nie in ihren Träumen auftauchte.

Die Mägde brachten das Essen. Hölzerne Schüsseln mit Gemüsebrühe wurden hereingetragen, und der Geruch von gebratenem Fleisch erfüllte die Luft. Fladenbrotscheiben erschienen auf dem Tisch, und die anwesenden Gäste streckten gierig ihre Hände aus. Libussa nahm sich einen Hähnchenschenkel und biss hinein, erfreut, dass ihr Appetit wiederkehrte. Es musste an der Aufregung wegen der bevorstehenden Zeremonie gelegen haben, dass sie in den letzten Tagen nur wenig gegessen hatte. Sie nahm etwas Fladenbrot und zog eine der dampfenden Schüsseln zu sich, während eine Magd erneut ihren Weinbecher füllte. Das Fest begann ihr allmählich zu gefallen.

»Was soll das, du kleine Schlampe!«, hörte sie plötzlich eine laute männliche Stimme und blickte erschrocken in die Richtung, aus der sie kam. Dort saß Fürstin Olga vom Stamm der Lemuzi, die wie immer mit Schmuck behängt und auffällig bunt gekleidet war. Ihr jüngerer Sohn Neklan hatte eine der Mägde an der Gurgel gepackt und schüttelte sie. Sein Bruder Vojtan war ebenfalls aufgesprungen, und Ludmilla, Fürstin Olgas einzige Tochter, saß mit ängstlich aufgerissenen Augen daneben.

»Neklan von den Lemuzi, lass das Mädchen!«, rief Krok und stürzte sich auf den jungen Mann. Er befreite die Magd mühelos aus Neklans Griff. Sie taumelte ein paar Schritte zurück und schnappte hustend nach Luft.

»Ich bitte um Vergebung, Herr!«, keuchte sie. »Aber Fürst Neklan, er ... er ist zudringlich geworden. Ich musste mich wehren.«

»Sie hat meinen Sohn gestoßen!« Fürstin Olga hatte ihren rundlichen Körper drohend aufgerichtet. »So ein Benehmen steht einer Dienstmagd nicht zu!«

Kroks Miene wurde finster. Er musterte die Anwesenden, ratlos, gegen wen sich sein Zorn wenden sollte.

»Dana ist ein gutes Mädchen, das stets seine Aufgaben erfüllt. Sie würde sich niemals ohne Grund schlecht benehmen«, kam es nun von Libussas Mutter, die ebenfalls hinzugekommen war.

Kroks dunkle Augen richteten sich Unheil verkündend auf Neklan. »Stimmt es, dass du diese Magd belästigt hast?«

Neklan sah wütend und beleidigt aus, doch er schwieg.

»Ganz gleich, was mein Sohn getan haben mag, dieses Mädchen sollte bestraft werden«, antwortete seine Mutter an seiner Stelle. »Es steht einer Bauernmagd nicht zu, ihre Hand gegen einen Fürsten zu erheben.«

Fürstin Scharka wandte sich nun an Ludmilla, die erschrocken zusammenfuhr, sobald sie angesprochen wurde.

»Stimmt es, dass dein Bruder sich ungehörig benommen hat?«

Ludmillas Stimme war ein heiseres Flüstern.

»Er ... er hat sie angefasst. Das ist wahr. Dann hat sie ihn geschubst. Aber nur leicht, fast wie im Scherz.«

Kroks Augen funkelten zornig, doch es gelang ihm, seine Stimme zu bändigen. Ein Streit im großen Saal sollte unter allen Umständen vermieden werden. »Ein Fürstensohn hat in seinem Verhalten ein Vorbild für alle Männer zu sein«, erklärte der Stammesführer laut. »Unsere Sitten und Traditionen geben ihm kein Recht, seine Macht über Untergebene zu missbrauchen. Wenn eine Dienstmagd belästigt wird, dann darf sie sich wehren. Ich schlage vor, dass wir diesen Vorfall alle vergessen.«

Neklan verzog angewidert das Gesicht, widersprach aber nicht, sondern setzte sich wieder an die Tafel neben Ludmilla. Vojtan folgte seinem Beispiel. Nur Olga von den Lemuzi blieb stehen, und ihre schrille Stimme hallte durch den Saal: »Das reicht. Wir fahren zurück nach Zabrusany. Ich dulde nicht, dass meine Söhne beleidigt werden, nur weil Ludmilla irgendeinen Unsinn erzählt.« Sie warf ihrer Tochter einen vernichtenden Blick zu, und als der Fürstenclan der Lemuzi geschlossen hinausging, trottete Ludmilla wie ein geschlagener Hund hinterher.

Es erhob sich ein Gemurmel, doch niemand schien die Lemuzi sonderlich zu vermissen. Libussa schmerzte es, dass Ludmilla wie üblich nicht in der Lage gewesen war, gegen ihre herrische Mutter aufzubegehren. Was für eine Fürstin sollte aus einem derart verängstigten Mädchen werden, das mit weit aufgerissenen Augen in eine Welt starrte, die es nicht begriff? Doch auf ihren Schultern würde einmal die Zukunft des Lemuzi-Stammes ruhen.

Und dann holte sie plötzlich die Erinnerung ein. Staditz. Gebiet der Lemuzi. Auf einmal glaubte sie, die rauen, warmen Hände wieder auf ihrem Körper zu spüren. Der Wein, den man zu ihren Ehren trank, verstärkte ihre Sehnsucht nach einer anderen Art von Rausch.

Sie wollte sein wie Thetka. Das bedeutete, sich einen neuen Liebhaber zu suchen. Slavonik wäre sicher nicht abgeneigt und ihrer Mutter würde es gefallen. Sie musste ihn ja nicht auf Dauer zu ihrem Gefährten machen.

Sie richtete ihre Augen auf das stolze Gesicht des jungen Mannes und sah, wie ihr Blick dort ein selbstgefälliges Grinsen hervorrief. Ich kann es nicht, dachte sie. Nicht mit einem Mann, den ich nicht einmal mag. Aber wie konnte ich es dann mit einem Fremden? Er war mir in dem Wald so nahe. Als würden seine Hände mehr berühren als nur meine Haut.

Nun, da Premysl sich wieder in ihren Kopf geschlichen hatte, verfolgte er sie die nächsten Wochen wie ein echter Waldgeist. Beim Ankleiden und Kämmen fragte sie sich, ob es ihm gefallen würde, sie in diesem Augenblick zu sehen. Oder ob er sie bereits vergessen hatte, so wie es ihr zunächst gelungen war, ihn aus ihrer Erinnerung zu verbannen, auch wenn er sich des Nachts manchmal in ihre Träume gedrängt hatte und dabei ihren Namen rief, den er doch nicht kannte. In diesen Träumen schien er ein Vertrauter, der ihr etwas mitteilen wollte. Dabei wusste sie nicht einmal, was für ein Mensch er wirklich war. Nur dass sein Gesicht ihr gefallen hatte und der Klang seiner Stimme und auch die Wärme, die von seinem sehnigen Körper ausging. Und das Gefühl, dass sie ihm selbst als Fremde nicht gleichgültig gewesen war.

Die Sehnsucht und ihre Träume wurden zu einem so starken Fieber, dass Libussa schließlich tat, was Kranke zu tun pflegen. Sie wandte sich an die Heilerin. Kazi, ihre schweigsame älteste Schwester, konnte zuhören und zeigte außerdem die Bereitschaft, sich auch um andere Dinge als ihre eigenen Sorgen und Vorlieben zu kümmern.

Als Libussa Kazis Kammer betrat, saß diese mit ihrem Kater auf dem Boden. Ein Stück hinter ihr lag der riesige Hund, gleich neben dem Käfig mit der blinden Drossel. Diese Tiere waren die steten Begleiter der Heilerin. Den Hund hatte sie vor Jahren gerettet, als er noch ein Welpe war. Eine Bisswunde an seinem Bein, vermutlich Folge eines Zweikampfs mit einem Wildtier, war vereitert, und er schien ein hoffnungsloser Fall, den man erschlagen wollte. Kazi probierte ihre Heilkünste an dem kleinen Tier aus, das später zu ihrem riesigen humpelnden Schatten wurde. Er tollte kaum herum wie andere Hunde, als fürchte er, Kazi könne plötzlich wieder aus seinem Leben verschwinden, wenn er nicht ständig Acht gab. Die Drossel war Kazi durch ihr wirres, zielloses Flattern aufgefallen, und sie hatte sich ihrer angenommen. An ihrer Blindheit war nichts zu ändern, so dass Kazi ihr aus Holz einen Käfig baute, in dem sie in Sicherheit war und sich zurechtfinden konnte. Manchmal summte sie dem Vogel Melodien vor und behauptete, er tanze dazu. Sie war der einzige Mensch, der in seinen Käfig greifen konnte, ohne bei dem Tier Panik auszulösen. Den Kater hatte sie noch nicht lange. Da er bereits fast alle Zähne verloren hatte, taugte er nicht als Mäusefänger und wäre in einem Sack in den Fluss geworfen worden, hätte die verrückte Heilerin ihn nicht im letzten Moment noch an sich gerissen. Sie fütterte ihn mit Milchbrei und schnitt Fleisch in kleine Stückchen, die er schlucken konnte. Des Nachts war er ihr Kopfkissen und sein lautes Schnurren füllte den Raum. Nun lag er ausgestreckt vor ihren Füßen, umgeben von Tonschüsseln mit verschiedenen Kräutern und Tränken, die Kazi untereinander zu mischen begann.

»Mein alter Meister Zahnlos hat eine üble Bisswunde«, erklärte sie Libussa zur Begrüßung. »Er hielt sich für unbesiegbar und hat sich mit einem Wiesel angelegt.«

Libussa äußerte Mitgefühl und strich dem verletzten Kater über den Kopf. »Kazi«, begann sie dann vorsichtig, »bei deinem ersten Kupala-Fest, da ... da hast du doch auch ...«

»Ich habe das Ritual vollzogen, das ist richtig. Das war meine Pflicht damals.«

Der Kater hatte zu zappeln und zu wimmern begonnen, als Kazi seine Wunde auswusch. Sie schloss ihn zur Beruhigung in die Arme. Die Liebe, die aus ihren Gesten sprach, schien Libussa wärmend wie ein Herdfeuer.

»Weißt du noch, wer es war? Denkst du manchmal an ihn?«

»Natürlich weiß ich, wer es war. Aber wieso sollte ich daran denken? Es ist vorbei.« Kazi sprach widerwillig wie von einer unangenehmen Erinnerung.

Libussa hatte das Gefühl, den falschen Weg eingeschlagen zu haben. »Thetka hat nach dem ersten Mal ständig davon geredet und auch jetzt kann sie den Mund nicht halten«, meinte sie daher.

»Thetka hört sich allgemein gern reden. Außerdem hat sie eine Schwäche für Slavonik, mit dem sie bei ihrem ersten Kupala-Fest zusammen war«, erwiderte Kazi, ohne den Blick von ihrem Kater abzuwenden. Libussa nickte. Thetkas Benehmen beim letzten Fest bestätigte Kazis Annahme.

»Warum wirbt Slavonik nicht um Thetka, wenn sie ihm zugetan ist?«, fragte sie daher verwirrt. »Ich hatte immer den Eindruck, dass er es auf eine von uns dreien abgesehen hat, weil wir zu dem angesehensten Fürstenclan der Behaimen gehören.« Es war Libussa peinlich, ihr eigentliches Anliegen auszusprechen, und so kam ihr die kurze Abschweifung sehr gelegen.

»Ja, das stimmt. So sehe ich Slavonik auch«, meinte Kazi. »Ich glaube, er will warten, bis feststeht, welche von uns die Nachfolge unserer Mutter antreten wird. Vorher wollte er uns alle drei beim Kupala-Fest ausprobieren. Nur dich hat er dabei nicht bekommen, das hat mir gefallen.«

Kazi grinste, während sie eine Salbe auf der Wunde des ruhig daliegenden Katers verteilte. Die Frage nach dem Partner bei ihrem ersten Fest war damit beantwortet. Libussa beschloss, ohne weitere Umwege endlich auf ihr Ziel zuzugehen.

»Ich war mit einem anderen zusammen, das ist richtig«, sagte sie. »Und jetzt kann ich diesen Jungen nicht vergessen. Die Erinnerung verfolgt mich. Nachts, da erscheint er mir im Traum, und dann wirkt er so vertraut, als würde ich ihn schon seit Jahren kennen. Ich sehe dann noch andere Dinge. Ein kleines Dorf, an dem nichts Ungewöhnliches ist. Zwei... zwei Ochsen ...«

Sie verstummte aus Angst, sich lächerlich zu machen. Doch wer Tiere so liebte wie Kazi, fand wohl nichts Dummes daran, von ihnen zu träumen.

»Ich sehe einen Fluss«, fuhr Libussa fort. »Und einmal, da... da trafen Männer aus Chrasten dort ein. Bohumil, der Älteste der Schamanen, du weißt schon, er war der Erste, den unsere Mutter für diese Aufgabe auswählte, führte sie an. Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll, aber es muss irgendwie mit diesem Jungen zusammenhängen.«

Sie musste sehr gequält geklungen haben, denn Kazi hielt bei ihrer Arbeit inne, was sie so gut wie nie tat.

»Du hast den Wunsch, den Jungen wiederzusehen, das wäre die einfachste Erklärung für diese Träume. Dann geht es dir wohl wie Thetka mit Sklavonik. Mach es ihr nach und suche dir andere Männer. Das hilft vielleicht.«

Libussa seufzte. »Ich will keinen anderen, verstehst du nicht? Ich fühle mich zu keinem anderen hingezogen. Nur dieser Junge, der...«

»Er kann aber nicht so fühlen wie du«, unterbrach Kazi sie barscher als notwendig. »Sonst wäre er doch schon längst mit Geschenken beladen hier aufgetaucht und würde um dich werben. Warum auch nicht? Du bist neben Thetka die beste Partie in unseren Ländern.«

Sie streichelte dem Kater noch einmal über den Kopf und ließ ihn dann laufen. Das Gespräch schien für sie beendet, doch Libussa setzte nun zur Erklärung an.

»Der Junge weiß nicht, wer ich bin. Er ist ein Bauer aus einem Dorf, das zum Besitz der Lemuzi gehört. Mich hatte er vorher noch nie gesehen und ich habe ihm meinen Namen nicht genannt. Und selbst wenn er ihn herausfände, wie soll er mit Geschenken hierherkommen? Ein Bauer hat weder Silber noch Pferde.«

Kazi fuhr sich mit der Hand über die Stirn, ein Zeichen, dass die Neuigkeit sie verwirrte und ihr nicht sogleich ein Rat einfiel. Das geschah selten.

»Kennst du denn den Namen des Dorfes, in dem er lebt?«, fragte sie schließlich.

Libussa nickte.

»Na, dann reite hin.« Kazi begann, ihre Utensilien in einen Beutel zu packen. Gespräche waren für sie nie ein Grund zur Untätigkeit gewesen.

»Einfach so?« Libussa fühlte sich verwirrt. Der Rat klang einleuchtend und war dabei ungeheuerlich. Männer begaben sich zu Frauen, nicht umgekehrt. So forderte es die Tradition.

»Wie anders als einfach so? Du nimmst ein Pferd, setzt dich drauf und reitest los. Was ist so schwer daran?«

»Vielleicht denkt er nicht mehr an mich?«, murmelte Libussa.

»Das«, erklärte Kazi schulterzuckend, »wirst du nur herausfinden, wenn du zu ihm reitest. Außerdem kennst du ihn noch kaum. Vielleicht siehst du etwas in ihm, das er gar nicht ist. Die Wirklichkeit ist meist ein besseres Heilmittel gegen schwärmerische Sehnsucht als alle Tränke, die ich dir zur Beruhigung anbieten könnte. Sieh dir den Jungen genauer an, vielleicht ist der Spuk dann auch schon vorbei. Du kannst natürlich auch weiter schmachten und dich quälen, wenn es dir so lieber ist. Ich muss jetzt aber gehen. Kveta hat mir erzählt, dass ihre Schwester einen schlimmen Husten hat, und ich habe versprochen, nach ihr zu sehen.«