Die Traumfänger II - Cristobal - - Medea Calovini - E-Book

Die Traumfänger II - Cristobal - E-Book

Medea Calovini

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Beschreibung

Cristobal Da Cruz, Leiter der Dunklen Instanz der Traumfänger und Halbbruder von Dante, trifft auf einen Feind, der zur Bedrohung für alle werden könnte. Warum können die Weisen nicht mehr in die Zeit sehen? Was hat die junge Nina damit zu tun? Ist Cristobals Instanz unterwandert worden? Ihm steht eine turbulente Zeit bevor, in der sich die Spreu vom Weizen trennt und Familienmitglieder plötzlich mit dem Feind paktieren. Schafft es Cristobal mit seiner unnachahmlichen Art, eine Lösung für alle Parteien zu finden? Finden wir es heraus!

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Seitenzahl: 570

Veröffentlichungsjahr: 2019

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in Gedenken an

meinen Neffen Michael

(1985 – 2019)

Now you are flying with the angels.

„Im Moment ist es einfach so, dass ich die Dunkeln sowie die Lichten um den Verstand bringen werde. Das habe ich doch schon fast geschafft, nicht wahr? Dann werden Sie wahrscheinlich die Beschützer des Asteriums um Hilfe bitten, aber das nützt Ihnen auch nichts. Und schließlich und endlich werden Sie alle einsehen müssen, dass Sie nicht gegen mich ankommen.“

Max Heinze

„Oh, mein Gott! Sag mir jetzt bloß nicht, dass du dieser gemeingefährliche Cristobal Cruz bist, auch wenn du mit deinen dunklen Haaren und Augen so aussiehst!“

Nina Blume

„Okay, dann sag ich es eben nicht.“

Cristobal Da Cruz

„Du machst den Gemütszustand deines Bruders davon abhängig, ob er eine volle oder leere Kaffeetasse nach mir wirft?

Das musst du mir aber mal erklären!“

Elisa Michalski

„...“

KHP

„Und ich dachte, das Asterium sei ein Hort an Integrität und Aufrichtigkeit...“

Pablo Da Cruz

Inhaltsverzeichnis

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Epilog

Eins

„Und deshalb muss ich unbedingt mit dir sprechen“, sagte die Stimme aus dem Mobiltelefon.

Im Hintergrund war ein Poltern zu hören, dann ein lautes Glasscheppern und anschließendes Geschrei.

„Warte mal kurz!“, forderte es auf der anderen Seite des Telefons und Cristobal hörte, wie das Teil auf die Seite gelegt wurde. Von weiter weg war Tumult zu erahnen, immer noch das laute Geschrei und ein Mann und eine Frau diskutierten, wie es denn zu dieser verfahrenen Situation hatte kommen können. Cristobal grinste.

„War das meine Nichte?“, wollte er wissen, als sein Bruder Dante endlich wieder den Hörer in die Hand nahm.

„Ja“, seufzte der. „Seit Maya zu krabbeln begonnen hat, ist gar nichts mehr sicher vor ihr. Gerade hat sie angefangen, sich an der Lieblingsbodenvase von Anna Lieberg hochzuziehen. Ich denke, den Rest der Geschichte hast du wohl mitbekommen.“

Er machte eine Pause, während die Geräusche im Hintergrund leiser wurden. „Tante Anna hat sie mitgenommen und irgendein Helferlein macht die Scherben weg“, plauderte er weiter und räusperte sich dann. „Also, ich muss dich unbedingt mal sprechen, hast du gerade Zeit?“

„Sicher“ Cristobal nickte. Er befand sich gerade in seinem Büro in der Zentrale der Dunklen Traumfänger und legte ganz ungeniert die Füße auf seinen Schreibtisch. „Um was geht es?“

Dante schien nach irgendetwas zu kramen, denn man hörte jetzt Papier rascheln. Seit er beim Asterium war, war er immer so verplant, fast immer bei der Arbeit. „Ist dir in letzter Zeit etwas komisch vorgekommen?“, wollte er dann wissen. „Ich meine, im Hinblick auf die Träume? Wir beim Asterium haben eine ganze Menge Anfragen von Weisen, die plötzlich nicht mehr die Träume ausmachen können.“

Cristobal wusste nicht ganz genau, was sein Bruder meinte, aber ja, auch er hatte Beschwerden. Und die hatten sogar etwas mit den Weisen zu tun. „Dann scheint das ein größeres Problem zu sein?“, wollte er wissen. „Bei uns gibt es auch Ungereimtheiten.

Wir bekommen zwar immer noch volle Listen, aber wenn ich meine Leute schicke, dann ist dort entweder kein Traum, oder er ist schon weg. Kommt in letzter Zeit verflucht häufig vor. Was ist mit Gabriel? Ist das bei ihm auch so?“

Im letzten Jahr waren Gabriel, Dante und er die Hauptpersonen in einer Story gewesen, bei der Dante die ganze Erde gerettet hatte und anschließend von ihm, Cristobal, Gabriel, seinem anderen Bruder, und seiner jetzigen Frau Raja gerettet werden musste. Das Ende war gewesen, dass Dante nun beim Asterium, der höchsten Instanz der Traumfänger, arbeitete und Gabriel und er, Cristobal selbst, zwar tolerierten, dass sie beide Dantes Brüder waren, aber ansonsten die beiden entgegengesetzten Instanzen der Traumfänger leiteten. Gabriel war also immer noch ein Konkurrent – irgendwie.

„Er hat ähnliche Probleme“, gab Dante zu. „Eine Idee, was da los ist?“

„Keine einzige“, antwortete der andere. „Ist eine verdammt beschissene Situation. Andauernd schneit hier einer rein, der sich beschweren will: entweder ein Weiser, den einer von den Traumfängern angekackt hat, oder einer von denen, die den Traum nicht gefunden haben. Ich hab gerade vor einer halben Stunde Pablo losgeschickt, aber eine ganze Stunde früher. Er sollte mal nachschauen, ob der Kandidat nun wirklich träumt, oder ob die Weisen alle einen Sprung haben. Ist aber noch nicht zurück...“

Pablo war eigentlich Cristobals Cousin; sie waren aber als Brüder aufgewachsen, da niemand vorher gesagt hatte, dass Dantes Mutter auch die Mutter von Cristobal war. Aber für ihn war Pablo, genau wie dessen Zwillingsbruder Gomez, immer noch sein Bruder – und das sahen die beiden ebenso.

Dante lachte. „Gabriel hat es auch so gemacht. Er lässt gerade ebenfalls einen Träumer überwachen, hat aber noch keine neuen Daten.“

Verdammt, der hatte also auch schon die Idee gehabt. Cristobal verzog ärgerlich die Brauen. Dabei dachte er, er wäre der wirklich Schlauere von den beiden.

Er brummte etwas Zustimmendes.

„Das ist wirklich sehr beunruhigend“, ließ sich Dante vernehmen.

„Wenn du etwas erfährst, wäre es mir lieb, wenn du mich benachrichtigen könntest. Wir brauchen da nicht den Umweg übers Sekretariat des Asteriums machen.“

„Danke, Ehrwürdiger!“, grinste Cristobal, weil er genau wusste, dass Dante dieser Titel bis zur Weißglut reizen würde.

Es war auch so: Dante grollte etwas Unfreundliches und legte dann auf, ohne sich zu verabschieden. Erstaunlich, wie gut der einzuschätzen war.

Aber in einem hatte er recht: die Sache war wirklich besorgniserregend. Was passierte, wenn die beiden Säulen der Erde wieder mit Träumen unterversorgt würden, so dass sie sich zur Seite neigten? Das war gerade erst im letzten Jahr passiert und es hatte alle Mühe und Kraft gekostet, dieses Problem zu beheben. Nochmal konnten sie das nicht, soviel war klar!

Es klopfte.

Einer seiner Brüder, Gomez, trat ein. Er war von allen der Schweigsame und konnte sich selten zu einem Kommentar durchringen. Aber er leistete soweit gute Arbeit.

Heute sah er allerdings so aus, als hätte er die nicht so wirklich geleistet.

„Scheiße“, ließ er sich vernehmen und plumpste auf einen Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand.

„Was ist los?“, wollte Cristobal mit schiefem Seitenblick wissen – als ob er nicht schon eine Ahnung hätte...

„Der Traum war nicht da oder er war schon weg!“, beklagte sich der andere. „Das war jetzt das dritte Mal!“

Cristobal schüttelte den Kopf und nahm die Füße vom Tisch.

„Die Lichten haben übrigens dieselben Probleme, wie mir Dante gerade erzählt hat. Zeit, mir das selber mal anzusehen!“

Er erhob sich und streckte sich, warf einen Blick auf die auf dem Tisch liegenden Listen und fand, dass es erst spät abends wieder einen Traum gab, der sich lohnte. Eigentlich war der für Gomez zugeteilt gewesen, aber den wollte Cristobal jetzt übernehmen. Also schickte er seinen Bruder weg und fing an, sein Schwert zu putzen und nachzudenken.

Konnte es sein, dass die ganzen Weisen plötzlich verlernt hatten, die Träume richtig zu sehen? Oder war es eine Massenhypnose? An seinen Leuten konnte es sicher nicht liegen, schließlich kannte er jeden persönlich und die waren topp. Und außerdem hatte der Bastard Gabriel die gleichen Probleme.

Cristobal schickte sich an, das Büro zu verlassen und setzte sich in seinen Wagen.

Bis zum Träumer zu gelangen, war nicht wirklich schwierig, aber nicht aufzufallen, das war ein Punkt, der noch zu knacken galt.

Der Weise hatte vorausgesehen, dass der Traum in einer Gartenanlage geträumt werden würde, und zwar genau von einem jugendlichen Einbrecher.

Zuerst einmal musste Cristobal also das richtige Hüttchen finden und das ohne aufzufallen.

Dummerweise fiel er immer irgendwie auf, das lag wahrscheinlich daran, dass er über 190 cm groß war – oder, dass er einen schwarzen Ledermantel trug – oder einfach nur daran, dass ihn viele Leute für dämonisch hielten. Und Cristobal hatte dem nichts hinzuzufügen, er genoss es sichtlich, wenn die anderen Leute die Straßenseite wechselten, sobald er einen bösen Blick auf sie warf.

Also nicht gerade die besten Voraussetzungen, um in einer Gartenanlage von Spießern, die ihren Rasen mit einer Schere schnitten, ungesehen herumzulaufen.

Sicher, es war schon dunkel geworden und er konnte sich möglichst im Schatten halten, aber was würde wohl passieren, wenn einer von den Besitzern gerade dann vor die Hütte treten würde, wenn er vorbeihuschen wollte?

Als er über einen Zaun stieg, ging auf dem umzäunten Nachbargrundstück das Licht an. Was war denn da los? Hatten diese Gärtner jetzt schon Bewegungsmelder? Cristobal knurrte.

„Ist da wer?“, wollte ein beleibter Mann wissen, der justamente auf die Terrasse stolperte, mit einer Taschenlampe das Gelände ausleuchtend.

„Das war bestimmt der blöde Köter vom Heinze!“, kam von hinten aus dem Häuschen die Stimme einer Frau. „Ich hab was knurren gehört.“

Cristobal grinste in sich hinein und verbarg sich hinter einem Baum.

„Wenn der meine Tulpenzwiebeln ausgräbt...“, wetterte der Mann, konnte aber niemanden ausmachen und ging wieder hinein.

Aufatmend stieg Cristobal über den nächsten Zaun.

Verdammt, welches blöde Häuschen enthielt denn nun den dämlichen Träumer? Das konnte doch nicht so schwer sein.

Ganz hinten befand sich eine Art Ruine, ein völlig verlassenes Grundstück, das wild vor sich hinwucherte.

Komisch, dass diese Gärtnerspießer das erlaubten. Gab es da keine Vorschriften?

Aber innerlich dankte Cristobal dafür, schließlich könnte sich dieser jugendliche Einbrecher diese, wenn auch recht zweifelhafte, Unterkunft ausgesucht haben – eine andere Möglichkeit schien es jetzt und hier nicht zu geben.

Ein Blick in das Innere des windschiefen Häuschens genügte, um den Jungen auszumachen. Und Junge war hier das richtige Wort: der Bengel konnte nicht älter als dreizehn oder vierzehn sein – und außerdem völlig verdreckt. Wie lange war der wohl schon von zuhause weggelaufen?

Cristobal zuckte die Schultern und wurde kurz nochmal abgelenkt durch den Mann von vorhin, der erneut auf der Terrasse stand, weil er angeblich wieder etwas gehört hatte.

Verdammt unruhige Gegend hier!

Auch dieses Mal verschwand der Mann wieder in dem Haus, offenbar hatte er sich nochmal geirrt.

Auf der ehemaligen Veranda konnte sich Cristobal ungesehen postieren, lehnte sich an die Wand und harrte der Dinge, die da doch bald kommen mussten.

Und die da auch kamen!

Der Junge begann zu träumen, man konnte es sehen: die Traumblase kam direkt aus seinem Kopf heraus und sie leuchtete in allen Regenbogenfarben – so intensiv, dass sie ein leichtes Licht auf Cristobal warf.

Das war neu – so farbig hatte er noch niemals einen Traum gesehen und für einen Moment lang war er irritiert. Dann hob er sein Schwert und hieb es mit einem Schwung auf die Blase, dass sie explodieren musste.

Ja, so hätte es sein sollen...

War es aber nicht.

Der Traum teilte sich in zwei Hälften und wurde grau.

Völlig verblüfft stieß Cristobal ein Geräusch aus.

Was war das denn?

Der Traum hätte platzen müssen!

Und jetzt hatte er ein Problem: es waren nämlich jetzt zwei Träume, die da herum schwebten!

Cristobal holte erneut aus und versuchte, die rechte graue Traumblase zum Platzen zu bringen. Doch die teilte sich erneut in zwei gleichgroße Blasen, die ihrerseits verwirrt umherschwirrten.

Wieder stieß er einen Laut der Frustration aus. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! So einen Traum hatte er noch niemals gesehen!

Und normalerweise schwebten die Träume in die Höhe, auf dem Weg zur entsprechenden Säule: die bunten, pastellfarbenen zur lichten Säule, die schwarzen Träume zur dunklen Säule. Doch diese Träume waren grau, damit keiner besonderen Säule zugeordnet, und die hatten auch gar keine Lust, irgendwo hinzuschweben, soviel war mal klar. Die grauen Träume bewegten sich auf und ab im ruinierten Haus, weg von ihm, um ihn zu verhöhnen.

Mit dem Schwert konnte er sie nicht zum Platzen bringen, damit würde er nur noch mehr Blasen heraufbeschwören, überlegte er blitzschnell. Er griff in seine Hosentasche und beförderte ein Feuerzeug hervor, das in der Dunkelheit gespenstisch aufleuchtete, als er es bediente.

Kaum hatte er die Flamme in Richtung der Träume gebracht, machte es auch schon ein klatschendes Geräusch und die Blasen explodierten Zufrieden nickte er, das war der richtige Gedanke gewesen.

Als er den letzten Traum hoffentlich zur Hölle befördert hatte, atmete er auf. Zum Glück hatte der Junge nichts mitbekommen, sonst hätte Cristobal den noch irgendwie schlafen legen müssen.

Verdammte Brut, jetzt fing das hier auch noch an zu gewittern!

Ein Blitz durchzuckte die Landschaft!

Er musste hier weg, bevor es noch anfing zu regnen.

In dem Moment als sich Cristobal bückte, um sein Schwert aufzuheben, das er abgelegt hatte, bemerkte er zwei Dinge auf einmal. Nämlich: es blitzte schon wieder – und es donnerte nicht!

Langsam hob er den Kopf.

Da! Wieder ein Blitz! Er hatte direkt hinein gesehen!

Na, das würde ein ausgesprochen gutes Foto werden...

Mit einem unterdrückten Wutschrei jumpte Cristobal aus der Ruine direkt auf den Blitz zu – zumindest dort, wo er den vermutete, der die Fotos machte. Nur, dass der nicht mehr da war!

Kunststück, dachte sich Cristobal, ich wäre auch nicht stehengeblieben.

Etwas orientierungslos versuchte er auszumachen, wo der Typ denn nun hingerannt war, und es dauerte auch nicht lange, da sah er in der Dunkelheit, wie jemand den Weg zum Ausgang hinunterlief, offensichtlich in großer Hast.

Die legte er dann auch sogleich an den Tag.

Er musste den Typen unbedingt erwischen, es ging einfach nicht, dass da Fotos von ihm existierten – schon gar nicht, wie er mit der neuen Situation umgegangen war.

Und: Cristobal konnte sich nicht daran erinnern, wann der Typ angefangen hatte, Fotos zu machen. Eines war nur sicher: diese Fotos mussten sofort gelöscht werden, da gab es gar nichts!

Zum dritten Mal heute Abend ging das Licht in der Parzelle von eben an und der Mann mit der Taschenlampe erschien auf der Terrasse, laut rufend: „Da ist doch wer! Wer ist da?“

Das Licht der Taschenlampe streifte den Fotografen und Cristobal konnte kurz sehen, dass es sich ebenfalls um einen Jungen handeln musste, der ein dunkles Kapuzenshirt trug.

Mittlerweile waren sie an seinem Auto vorbeigerannt und auf dem Feldweg, der zur Gartenanlage führte. Jetzt rannte der Junge von der Straße ab, direkt in das umliegende Gebüsch.

„Bleib endlich stehen!“, grollte Cristobal, der kurz hinter ihm war.

„Das nützt dir gar nichts, ich hab dich eh gleich!“

Noch ein Sprung, dann grapschte er das Kapuzenshirt und beide landeten auf dem Boden, der, noch aufgeweicht vom letzten Regen, den Fall etwas bremste.

Der Junge zappelte wild herum, trat wie unter Aufputschmitteln nach Cristobal, der ihn schüttelte wie einen Apfelbaum.

„Jetzt hör schon auf damit, das ist doch...“, begann er entnervt, doch dann verstummte er, denn der Junge hatte ihn an einer besonders delikaten Stelle erwischt. Der Rest des Satzes ging in einem Stöhnen unter. Er krampfte sich zusammen, nicht ohne seine Linke in das Shirt des Jungen zu rammen und ihn damit unter sich zu bringen. Der strampelte in unverminderter Schnelligkeit weiter, erneut traf er Cristobal fast in der Körpermitte.

Wieder stöhnte er gequält auf, also lange hielt er das nicht mehr durch, so viel war mal klar!

Mit aller Kraft, die er hatte, holte er aus und schlug seine Rechte gegen den Kopf des Jungen, in der Hoffnung, er würde ihn damit wenigstens für einen Moment lang ruhig bekommen.

Er hörte einen unterdrückten Schrei, dann knickte der Kopf nach seitwärts weg und der Junge lag ganz still unter ihm.

Bewusst langsam atmete Cristobal ein und aus und versuchte, sich damit in den Griff zu bekommen. Nach einer Weile half es dann auch, der scharfe Schmerz wich einem dumpfen Gefühl.

Mit zusammengebissenen Zähnen rollte er sich von dem Jungen und drehte ihn auf den Rücken.

Dann riss er ihm die Kapuze vom Kopf.

Scheiße! Dreimal gottverdammte Scheiße!

Er sah in ein schmales Gesicht, eingerahmt von so hellblonden Haaren, dass sie schon fast silbern wirkten. In Höhe des Jochbeins erkannte er eine Prellmarke und es verfärbte sich schon blau. Der Rest des Gesichtes war so weiß wie das eines Gespenstes. Die Augen waren geschlossen und mit langen hellbraunen Wimpern umrahmt, der Mund halb geöffnet mit weichen Lippen.

Nein, das war kein Junge – das war eine junge Frau.

Verdammte Scheiße – und er hatte sie bewusstlos geschlagen!

Zwei

„Wenn du nicht mein Vorgesetzter wärst, hätte ich dir bestimmt schon eine Ohrfeige verpasst“, beschwerte sich die Heilerin Elisa. „Kannst du mir mal sagen, was du gemacht hast? Sie als Sandsack missbraucht oder was?“

„Klappe!“, forderte Cristobal mit dunkler Stimme. „Du bist vielleicht die Verlobte meines Bruders Pablo, aber das heißt nicht, dass du dich mir gegenüber unverschämt betragen kannst.“ Er warf ihr einen bösen Blick zu und machte eine Bewegung mit der Hand. „Mach einfach deine Arbeit und heil sie, aber flotti!“

Elisa ließ sich durch die Aussagen ihres Instanzchefs nicht aus der Ruhe bringen. Sie hatte nur einen Blick auf die verdreckte Frau geworfen, die Cristobal da auf der Couch in seinem Büro liegen hatte, und festgestellt, das das Gesicht dieser Frau in ein ungesundes Blau gefärbt war. Dem zufolge hatte ihr Chef dieser Dame einen Schwinger verpasst, der nicht von schlechten Eltern war. Ein Glück, dass die Kleine noch bewusstlos war, sonst hätte sie wahrscheinlich vor Schmerzen geweint! Die war sowieso ein so zartes Wesen! Wenn man mal von dem Hämatom absah, sah die so aus, als hätte sie einen gewaltigen Eisenmangel, so weiß wie die war! Elisa begann mit der Heilung und bemerkte sehr schnell, dass sie recht gehabt hatte: Eisenmangel und Blutarmut.

Offensichtlich aß die Frau nicht wirklich genug.

„Was hat sie dir getan, dass du sie so behandelt hast?“, wollte die Heilerin dann wissen.

„Mir in die Eier getreten!“, knurrte Cristobal unwirsch und holte aus dem Nebenzimmer ein schwarzes T-Shirt aus seinem Kleiderschrank.

„Ohhhh“ Elisa verdrehte die Augen. „Und das rechtfertigte das brutale Vorgehen? Du bist so ein...“

Den Rest verkniff sie sich dann doch.

Ihr Chef winkte ab. „Das interessiert hier keinen!“ Er warf ihr einen Waschlappen und das T-Shirt zu und drehte sich um.

„Du solltest ihr noch den Dreck abwaschen und sie dann umziehen.“

„Wieso?“, wollte die Heilerin wissen. „Bleibt sie etwa hier?“

Sie wunderte sich doch, dass Cristobal sich umgedreht hatte.

So viel Anstand hatte sie ihm nicht zugetraut. Aber was hatte der bloß mit dem Mädel vor?

„Darauf kannst du Gift nehmen!“ Cristobal steuerte auf den Schreibtischstuhl zu und stöhnte, als er endlich drin saß.

Elisa lächelte in sich hinein. Nein, sie gönnte ihm das gar nicht...

„Und was willst du mit ihr machen? Sie ist krank, weißt du?

Anämie und Eisenmangel sind nicht unbedingt Dinge, mit denen man spaßen sollte.“

„Ich bring sie nicht um“, versprach er dann mit geschlossenen Augen. „Keine Angst...“

Das genügte Elisa. Sie wusste zwar, dass Cristobal ein eiskalter Hund war, aber seinem Wort konnte sie trauen.

Diese Frau oder vielmehr gesagt das Mädel war immer noch nicht aufgewacht. Und das, obwohl Elisa gesagt hatte, dass sie keine Schäden zurückbehalten hätte. Also entweder war sie schon vorher unglaublich müde gewesen oder sie war jetzt so erschöpft von dem Kampf, den Cristobal mit ihr geführt hatte, dass sie immer noch wie im Koma dalag.

Apropos Kampf: er fühlte sich auch nicht wirklich wiederhergestellt. Elisa hatte sich schlichtweg geweigert, ihn vollständig zu heilen und hatte nur eine Notfallbehandlung gemacht. So konnte er sich ganz gut bewegen, hatte aber immer noch ein dumpfes Schmerzgefühl, das ihn daran erinnerte, was passiert war.

Elisa hatte das Mädel gewaschen, ihr das T-Shirt angezogen und die dreckigen Sachen mitgenommen, um die zu säubern.

Im Moment lag die Kleine in seinem Metallbett – und er hatte ihr eine Hand in einer Handschelle festgekettet. Das andere Ende hatte er am Rahmen des Bettes festgemacht. Und den Schlüssel hatte er weit weg auf das Fensterbrett gelegt.

Cristobal hatte keine eigene Wohnung und die brauchte er eigentlich auch nicht. Er lebte praktisch in seinem Büro. Und hinter demselben gab es einen Raum, in dem er sein Bett, seinen Schrank und was er sonst noch benötigte, unterbringen konnte. Und hier und jetzt saß er nun, das Bett mit dem Mädel genau im Blickfeld. Er hatte das Büro abgeschlossen, so dass ihn niemand mehr stören konnte und wartete jetzt darauf, wann die Kleine endlich aufwachen würde.

Kleine war das richtige Wort. Sie konnte nicht größer als 160 cm sein, klar, dass er sie für einen Jungen gehalten hatte. Und sie war so zierlich, dass sie fast durchbrechen musste, wenn er sie bloß böse ansah. Das Bemerkenswerteste an ihr waren ihre Haare, die wirklich so blond waren, blonder als platinblond. Und das schien ihre wirkliche Haarfarbe zu sein, eine solche Farbe hatte er noch niemals gesehen, die konnte einfach nicht künstlich sein. Sie hatte sie kinnlang schneiden lassen und das stand ihr sehr gut, wie er fand. Er war auch gespannt, was sie sagen würde. Aus ihrer Kamera, die erstaunlicherweise eine gute Qualität aufwies, hatte er einfach den Chip raus genommen und ihn im PC angeschaut. Er hatte ziemlich dämlich ausgesehen auf einem dieser Fotos.

In dem Moment bewegte sie sich und schlug die Augen auf.

Hatte er gesagt, die Haare seien das Bemerkenswerteste an ihr gewesen? Nun, er hatte sich geirrt. Es waren definitiv die Augen.

Die waren von einem intensiven grün-blau, auch eine Farbe, die er noch niemals gesehen hatte. Wenn er es nicht genau gewusst hätte, hätte er es für farbige Kontaktlinsen gehalten. Als ob es die in der Farbe gegeben hätte...

Sie bewegte sich jetzt heftiger, bemerkte, dass ihre Hand in einer Handschelle steckte und rüttelte daran, was ein metallisches Geräusch verursachte. Dann richtete sie sich auf und schaute Cristobal direkt an.

Er las die Angst in ihrem Blick und grinste etwas. „Na? Sind wir wieder klar?“

Sie flüchtete mit einem Kiekser ans Kopfende, schaute dann an sich runter und bemerkte, dass sie jetzt ein viel zu großes T-Shirt trug. „Sie... Sie haben mich... ausgezogen?“, fragte sie entgeistert. Voller Panik zog sie die Decke wieder über sich.

Cristobal grinste nochmal und zuckte mit den Schultern. „Deine Sachen waren völlig verdreckt“, erklärte er und machte eine kurze Pause, in der er sie nicht aus den Augen ließ. „Aber du kannst dich beruhigen, das war meine Heilerin, die dich umgekleidet hat. Und sie hat dich auch geheilt, also kannst du unbesorgt sein: der große böse Mann hat dir nichts getan.“

Er erhob sich langsam und ging zum Couchtisch. „Noch nicht...“,

murmelte er dabei. Mit Schwung nahm er einen Pizzakarton vom Tisch und legte ihn an das Fußende des Bettes. Dann nickte er ihr zu. „Iss das!“

Noch immer hockte sie am Kopfende und starrte ihn voller Angst an, warf dann aber einen Blick auf den Pizzakarton.

Ihr Magenknurren konnte er bis ans andere Ende des Raumes hören.

Wieder lachte er, diesmal lauter. „Jetzt mach schon, das ist nicht vergiftet!“

Er öffnete den Karton, nahm ein Achtel raus und setzte sich wieder auf den Schreibtischstuhl, den er in der Nähe platziert hatte. Mit Elan biss er einmal ab und nickte ihr zu.

Ganz langsam angelte sie nach dem Karton, nahm ebenfalls ein Achtel raus und aß den ersten Bissen vorsichtig.

Er bildete sich ein, fast so etwas wie ein genussvolles Stöhnen gehört zu haben und grinste in sich hinein. Egal, ob es zwei Uhr nachts war: Pizza ging immer! Diese hier war zwar schon nicht mehr so warm, aber dennoch gut, fand er.

Sie schlang das erste Achtel fast runter, nahm sich dann ein zweites, wagte allerdings nicht, den Blick von ihm zu nehmen.

Als er sich erhob, hörte sie auf zu kauen.

Er ging nur zum Tisch, nahm eine kleine PET-Flasche mit Mineralwasser hoch und legte sie wie den Pizzakarton ans Fußende des Bettes.

Und erst als er sich wieder gesetzt hatte, holte sie sich die Flasche und trank ein paar Schlücke.

Nach dem dritten Achtel war sie wohl fertig, sie schob den Karton wieder ans Bettende und beobachtete Cristobal kritisch.

Der nahm ihn auf und legte ihn auf den Tisch.

„Keinen Hunger mehr?“, fragte er freundlich, während er sich wieder so setzte, dass er alles im Blick hatte.

Sie schüttelte den Kopf, ließ sich aber zu keinem Kommentar herab. Immer noch konnte er merken, dass sie Angst hatte, aber es kam ihm nicht mehr so viel vor wie noch vor einer Viertelstunde.

„Lust auf ein kleines Gespräch?“, wollte er mit hochgezogenen Augenbrauen wissen.

Sie zuckte widerwillig mit den Schultern. „Hab ich da eine Wahl?“, fragte sie dann mit leiser Stimme.

„Man hat immer eine Wahl“, klärte Cristobal sie auf. „Bei dir sind die Möglichkeiten im Moment allerdings begrenzt. Natürlich kannst du meine Fragen einfach so nicht beantworten, aber das wird dir nicht helfen, irgendwann aus diesem Bett herauszukommen. Und ich werde leicht ungehalten, das schon mal im Vorfeld.“

In ihren Augen blitzte etwas auf. „Und was machen Sie dann?

Mich vergewaltigen?“ Es hatte sich sogar etwas atemlos angehört.

Jetzt lachte Cristobal laut auf. „Davon nehme ich heute mal Abstand. Du hast mir die Eier poliert! Ich nehme an, das weißt du noch.“

„Aus Versehen“, gab sie zu. „Ich wollte nur weg.“ Sie zog die Decke ein bisschen höher, als würde sie frösteln, biss sich kurz auf die Unterlippe.

„Weißt du, wer ich bin?“, fragte Cristobal sie direkt.

„Sie sind der Typ, der die Blasen kaputtgemacht hat“, meinte sie nach einer Weile. „Und Sie sind sauer, weil ich Sie dabei fotografiert habe.“ Wieder biss sie sich auf die Lippe.

Wie zur Bestätigung nickte er. „Das auch, aber ich wollte wissen, ob du meine Position kennst!“

Ihr Gesicht war ein Fragezeichen. Sie schüttelte den Kopf. „Ich kenne nicht mal Ihren Namen“, prustete sie schließlich aus, wobei sie völlig vergaß, Angst zu haben.

„Ich kenne deinen Namen ja auch nicht“, ließ sich Cristobal vernehmen. „Dann fang mal an, vielleicht verrate ich dir dann meinen.“

Sie zögerte etwas, schien sich dann aber bewusst zu werden, dass ihr im Augenblick gar keine andere Möglichkeit blieb, als bei dem Spiel mitzuspielen. „Ich bin Nina“, sagte sie dann ein wenig atemlos. „Kann ich Sie vielleicht auch was fragen?“

„Okay, Nina“ Cristobal gab sich freundlich. „Dann schieß mal los mit deiner Frage.“

Sie holte Luft und durchbohrte ihn mit Blicken. „Wenn ich alles mache, was Sie wollen...“ Dabei schluckte sie etwas. „Lassen Sie mich dann gehen?“ Man merkte ihr an, dass sie Angst vor der Antwort hatte. Sie krampfte die Finger der linken Hand um die Decke und hörte auf zu atmen.

Cristobal sagte bewusst eine ganze Weile nichts und sah sie nur ruhig an. „Vielleicht...“, meinte er dann vorsichtig. „Das kommt ganz darauf an, wie du ‚alles‘ definierst. Meinst du wirklich

„alles“? An deiner Stelle wäre ich da vorsichtiger!“

Er grinste anzüglich.

Nina schloss gequält die Augen. Dann öffnete sie sie wieder und es sah fast so aus, als hätte sie die Tränen weggeblinzelt, die da fast im Anmarsch waren. „Ich meinte damit, dass ich nicht weiß, was Sie von mir wollen, aber bereit bin mitzuarbeiten. Verstehen Sie mich?“

„Ich denke schon.“ Cristobal erhob sich und registrierte, dass sie zusammenzuckte. „Ich will von dir im Moment nur, dass du mir die Fragen beantwortest, die ich dir stelle. Und zwar wahrheitsgemäß. Und wenn es in meiner Macht liegt, dann lass ich dich auch wieder gehen. Soviel dazu! Bist du bereit?“ Er holte sich ebenfalls eine Flasche Mineralwasser, nahm einen Schluck und wartete auf ein Einverständnis ihrerseits. Als sie endlich nickte, setzte er sich wieder. „Gehörst du zu Gabriels Leuten?“

„Gabriel?“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich kenne keinen Gabriel. Nein, ich gehöre zu gar keinem...“

Cristobal überlegte. Zu seiner Truppe gehörte diese Kleine aber auch nicht. Was sollte das Theater? Sie hatte ihn während der Traumphase fotografieren können – und da lief die Zeit um einiges schneller. Das konnte nur bedeuten, dass sie ebenfalls zu den Traumfängern gehörte. Oder war sie, wie sein Bruder Dante, auch durch das interne Netz gerutscht, ohne Ahnung zu haben, was da los war? Nein, die Familien hatten immer eine gute Kontrolle, das konnte es nicht sein. „Für wen arbeitest du denn dann?“, wollte er wissen.

„Ich mache den Nachtdienst in der Tankstelle auf der Goethestraße“, sagte sie schnell. „An vier Tagen in der Woche. Das reicht zwar nur gerade zum Leben, aber eine andere Stelle habe ich im Moment nicht.“

Tankstelle? Was hatte denn eine verschissene Tankstelle mit den Traumfängern zu tun?

Verstimmt schüttelte er den Kopf. „Wer hat dir gesagt, dass du mich fotografieren sollst?“ Es hörte sich schon gefährlicher an und sie bemerkte das.

Um Himmels Willen, sie hatte diesen Kerl verärgert. Und die nächste Antwort würde ihm auch nicht gefallen, wusste sie.

„Niemand hat mir das gesagt! Ich hab Sie gesehen und fand das ziemlich komisch, da hab ich die Kamera draufgehalten. Das war doch nur ein Zufall, bitte, glauben Sie mir...“

Seine Hand fuhr hoch und gebot ihr zu schweigen.

Eine Weile lang passierte gar nichts und sie atmete angestrengt.

„Warum warst du in der Gartenanlage?“, fragte Cristobal lauernd, nachdem er sie fixiert hatte.

Sie schluckte. „Ich fand es ziemlich komisch, als der Mann das Teil in der alten Hütte hingelegt hat und wollte nachsehen. Aber das ging nicht so schnell, da kam erst der Junge, der sich zum Schlafen da hinlegte und dieser Mann von Parzelle vier, der immer mit der Taschenlampe herumleuchtete. Dann kamen Sie und – rums – die Blasen waren überall. Das war seltsam und ich wollte nur ein paar Fotos machen, damit ich sicher sein konnte, nicht geträumt zu haben.“

Cristobal versuchte, aus dem Durcheinander von Worten den Sinn zu erkennen. Den Mann von Parzelle vier kannte er, schließlich hatte der auch hinter ihm hergeleuchtet – und den schlafenden Herumstreuner konnte er auch unterbringen, aber...

„Welcher Mann hat welches Teil wohin gelegt?“

„Den hab ich auch fotografiert“, erklärte Nina schnell. „Der war als Erstes da, hat das Teil in die Hütte gelegt, da war es noch hell. Dann kam der Junge, der hat sich sofort hingelegt, und ich hatte schon Angst, dass das eine Bombe war, hat aber nicht so ausgesehen, und dann...“

„Stopp“, unterbrach Cristobal ihren Redefluss und ging an seinen PC im Büro. Dort hatte er die Bilder auf den Desktop gezogen und schaute sie sich noch mal genauer an.

Richtig, auf einem war ein Mann zu sehen, helle Haare, dunkleres Outfit, der etwas in die Hütte brachte. Er war nur von weitem auf dem Foto und nur von hinten. Das Gesicht war nicht zu sehen. Und das Teil, das er dort platzierte, auch nicht.

Aber er hatte definitiv etwas in der Hand, das konnte man sehen.

Was war das nur?

Cristobal schloss den Ordner wieder und kehrte in sein Privatzimmer zurück.

Nina schaute ihn ängstlich an, harrte der Dinge, die da kommen würden.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, grollte er dann. „Wieso warst du in der Gartenanlage?“

„Ich...“, stotterte sie, eingeschüchtert durch die Lautstärke, mit der Cristobal die Frage gestellt hatte. „Ich hab davon geträumt...

Ja, das klingt seltsam, ich weiß, aber es war so...“

Ihre Unterlippe zitterte und er nahm wahr, dass sie schon ganz wund vom ewigen Daraufbeißen war.

Er schüttelte den Kopf.

Viele Gedanken gingen ihm durchs Hirn.

Vielleicht konnte man die Bilder vergrößern, so dass man das Teil, das der Mann dort hingelegt hatte, besser zu sehen bekam.

Und vielleicht log diese Nina ja ganz bewusst und man hatte sie auf ihn angesetzt. Er wusste praktisch gar nichts über sie.

„Dein Familienname!“, forderte er sie barsch auf. „Und das Geburtsdatum!“

„Blume“, sagte sie ganz leise. „Nina Blume und ich wurde ungefähr so am 07.11. geboren. Ich bin 23 Jahre alt.“

„Wieso ungefähr?“, wunderte er sich.

Sie senkte den Blick. „Ich bin ein Findelkind und wurde ein paar Tage später vor einer Kirche abgelegt.“

Scheiße!

Also das Familienerfassungsprogramm der Traumfänger, in der jeder Familienname, der jemals einen Traumfänger hervorgebracht hatte, eingetragen war, brachte hier auch nichts.

Und er konnte ihr jetzt ja nicht ein Schwert in die Hand drücken, um herauszufinden, ob sie es ganz toll finden würde.

Hinterher schlug sie ihm die Rübe ab!

„Hast du schon mal solche Blasen gesehen?“, fragte er ungehalten nach. „Ich meine, bevor die Sache in der Gartenanlage passierte?“

„Nicht wirklich“, meinte sie vorsichtig.

Oha, sie verschwieg ihm etwas, bemerkte Cristobal ganz richtig.

Er machte ihr mit der Hand ein Zeichen weiterzureden, so arrogant es eben ging. Sie sollte merken, dass sie mit ihm nicht spielen konnte.

Sie riss die Augen auf, die Angst war wieder zu sehen, dass Cristobal sie durchschaut hatte. „Ich habe schon mal davon geträumt.“

Da war es wieder. Offensichtlich schien sie recht häufig von diesen Sachen zu träumen. Hatte sie nicht eben auch gesagt, sie wäre nur in die Gartenanlage gekommen, weil sie davon geträumt hatte? War das ein Trick? Er hatte noch niemals von einem Traumfänger gehört, der vorher träumte, wo er die Leute fand, dessen Träume er geleiten oder zerstören musste. Das hieß... Moment mal! Weise konnten sehen, welche Träume wo sein würden. Und die machten das fast so ähnlich, als würden sie träumen.

Könnte das sein, dass die kleine Nina Blume eine Weise war?

Er schaute sie prüfend an.

Nun ja, weise sah sie nicht gerade aus – aber das war jetzt kein Qualitätsmerkmal. Er musste noch an den Weisen Alexander vom Asterium denken, ein etwa zehnjähriger Junge, der einer der besten gewesen war.

„Kannst du das beeinflussen?“, wollte er wissen.

„Wie meinen Sie das denn jetzt?“ Nina sah schon wieder ungläubig aus, so als wüsste sie nicht, was er wollte. Entweder sie wusste es wirklich nicht oder sie war eine ganz hervorragende Schauspielerin. „Sie meinen, ob ich Einfluss auf meine Träume habe? Das ist ja völlig verrückt...“

„So verrückt ist das gar nicht“, murmelte er und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

Verdammt, es war genau 3.13 Uhr, und zwar mitten in der Nacht.

Jetzt würde er keinen Weisen finden, der ihm helfen könnte, herauszufinden, was mit Nina so abging.

Und morgen war Sonntag, da ging alles langsamer – ja auch die Traumfänger machten sonntags meist Pause.

Außerdem war er langsam müde, er begann schon zu gähnen.

Also: morgen war auch noch ein Tag, an dem man tätig werden könnte.

Cristobal begann, sein Hemd aufzuknöpfen und hörte einen erstickten Ausruf vom Kopfende des Bettes.

Nina hatte die Augen weit aufgerissen und sich die Hand vor den Mund gepresst.

Grinsend knöpfte er weiter, zog dann das Hemd ganz aus. Das darunter hervorgekommene T-Shirt flog auch in hohem Bogen auf den Stuhl.

„Was...“, kiekste Nina, „Was haben Sie vor?“

Die Hose war dran. Langsam machte er den Gürtel auf, zog ihn mit einem Ruck aus der Hose, wobei Nina zusammenzuckte.

„Deal?“, fragte er kalt lächelnd und wartete, bis sie völlig starr vor Angst anfing zu nicken.

„Also“, begann Cristobal und zog die Hose komplett aus, so dass er nur noch in Boxer-Shorts im Raum stand. „Ich werde dich nicht vergewaltigen und du trittst nicht mehr um dich, klar?“

Dabei legte er den Kopf schief.

Ninas Augen waren so groß wie Untertassen. „Sie wollen... Sie wollen hier im Bett...“ Sie schien es nicht fassen zu können.

„Glaubst du vielleicht, ich schliefe hier auf der viel zu kleinen Couch?“, grollte Cristobal und machte das Oberlicht aus, so dass nur noch ein kleines Licht auf der Nachttischkonsole leuchtete.

„Komm schon, ich stehe zu meinem Wort – was ist mit dir?“

Noch immer kam keine Regung aus dem Bett, Ninas Mund stand offen, sie bewegte sich nicht.

„Deal?“, hakte Cristobal nach.

Ihr Mund klappte zu. Sie schluckte. „Hab ich vielleicht eine Wahl?“

„Nein“ Cristobal schnappte sich die Decke, hob sie hoch und legte sich zu ihr ins Bett. „Ich hab ja auch keine, also leg dich jetzt vernünftig hin und lass uns in drei Teufels Namen endlich schlafen. Morgen darfst du dann vielleicht von hier weg, versprochen.“

Sie rutschte in eine Position, die der Embryonalstellung recht nahe kam, war aber stocksteif.

„Mach dich mal locker!“, sagte es nahe ihres Ohrs und Cristobal legte einen Arm um sie. „Es passiert dir nichts, meine Eier sind so was von blau – du bist echt sicher vor mir, solang du mich nicht trittst.“

Nina schüttelte den Kopf.

Sie lag hier mit einem Riesenkerl, der sie mit Handschellen an sein Bett gefesselt hatte, wie ein trautes Ehepaar zusammen, und der Typ, dessen Namen sie nicht mal kannte, glaubte wirklich, sie könnte auch nur eine Sekunde schlafen?

Was war das? Schlief der Kerl etwa schon?

Oh nein, verdammt – er schnarchte!

Cristobal wurde wach mit einem steifen Hals. Shit, da hatte er wohl falsch gelegen.

Eigentlich wollte er sich umdrehen, aber das ging nicht.

Plötzlich war er hellwach!

Was war da los?

Er versuchte, die Arme zu bewegen und es dauerte knapp drei Sekunden, bis er festgestellt hatte, dass die in Handschellen steckten, die ihrerseits am Kopfende seines Bettes angebracht worden waren.

Langsam hob er den Kopf.

Nina saß in seinem Schreibtischstuhl mit angezogenen Beinen, die Arme darum gelegt und sah ihn an.

Mit einem Stöhnen ließ er den Kopf wieder sinken.

„Nina!“, grollte er. „Mach das sofort wieder los!“

Sie sagte nichts, reagierte gar nicht.

Wieder hob Cristobal den Kopf und versuchte, sie mit Blicken zu töten. „Verdammt noch mal, mach mir diese verfluchten Handschellen ab, sonst...“

„Sonst was?“ Sie nahm eine Wasserflasche und nahm einen Schluck, ohne sich darum zu kümmern, dass er wie wild mit den Händen zappelte.

Entnervt gab Cristobal auf. Es brachte überhaupt nichts, sich die Handgelenke wundzuscheuern, wusste er. Er stöhnte wieder.

„Nina“, meinte er dann einschmeichelnd. „Du willst mich hier doch nicht liegenlassen. Komm schon, ich hab dir die ganze Nacht nichts getan – wie bist du eigentlich aus den Handschellen rausgekommen?“

Sie gab einen Laut von sich, der ein kurzer Lacher sein konnte.

„Das war nicht schwer. Mein Handgelenk ist viel zu dünn für die Dinger. Ich bin einfach rausgeschlüpft. - Und Sie haben mir doch die ganze Nacht was getan! Sie schnarchen!“

Cristobal verdrehte die Augen. Das hatte ihm noch niemand gesagt! Er presste seinen Kopf ein paarmal in das Kissen. So langsam wurde er wütend! Ausgetrickst von einem kleinen Mädchen – das ging doch gar nicht. Er knirschte mit den Zähnen.

„Ich komm hier wohl nicht raus ohne Sie“, gab Nina nach einer Weile fast schüchtern zu.

„Ganz richtig!“, bestätigte er mit zusammengebissenen Zähnen.

„Meine Leute werden hier jeden Moment auftauchen und dich tot prügeln!“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wohl eher nicht“, meinte sie lächelnd und ging ein bisschen im Raum auf und ab. „Die sind zu freundlich, die haben nur angeklopft und als sie nichts hörten, sind sie gegangen.“

Verdammt, verdammt, dreimal verdammt!

Seine Leute wussten genau: war das Büro verschlossen, durften sie ihren Chef auf keinen Fall stören.

Sogar Pablo kam nicht hinein, wenn es zu war, und der war sein Bruder.

Das konnte ja heiter werden.

„Und wenn sie hereinkommen, ist das für Sie ja auch nicht gerade toll“, sinnierte Nina weiter. Sie stand jetzt auf der linken Seite neben dem Bett. „Ist irgendwie peinlich für Sie, nicht?“

Er drehte den Kopf zur Seite, sah sie mit vernichtendem Blick an und seufzte. „Was willst du?“

Eine Spur von Angst trat in ihre Augen, so als hätte sie nur kurz den Mut verloren. Dann war es aber auch schon vorbei.

„Ich will nur hier weg“, sagte sie leise. „Und meine Kamera...“

„Hmmm“, machte er langsam. „So wird das aber nichts.“ Er klackerte kurz mit den Handschellen. „Du hast schon recht gehabt, als du sagtest, ohne mich kämst du nicht raus. Ich bin derjenige, der dich durch die Tür bringt – und das kann ich nicht, so lange ich hier liege. Pech gehabt, Kleine!“

Sie schloss einen Augenblick lang die Lider, dann setzte sie sich auf das Bett. „Wenn ich Sie losmache, lassen Sie mich dann gehen?“

Cristobal lachte laut auf. „Ich will dir mal ganz ehrlich was sagen:

in einer solchen Situation wird dir jeder alles versprechen, was du willst. Aber ob er es dann auch hält, ist eine ganz andere Sache. Und zurück zum Thema: selbstverständlich lasse ich dich dann gehen! Mach daraus, was du willst!“

Ein besorgter Ausdruck fand sich auf Ninas Gesicht ein. „Heißt das jetzt, Sie lügen mich an?“

„Oh Mann, das gibt es doch gar nicht!“, regte sich Cristobal auf.

„Bist du wirklich so dumm oder tust du nur so?“

„Ich versteh Sie nicht...“, jammerte Nina.

Er verdrehte die Augen. „Ich versuch es ganz langsam: zwar liege ich hier und bin dazu verurteilt, abzuwarten und aller Dinge auszuharren, aber die Zeit spielt da für mich. Irgendwann kommt einer und befreit mich. Und du bist dann am Arsch. Sicher, ist nicht gerade schmeichelhaft für mich, wenn die mich so finden, aber... ach, scheiß der Hund drauf! Und jetzt überlege mal, was ich mit dir mache, wenn ich wieder auf dem Damm bin. Kleiner Tipp: ich bin jetzt schon mächtig sauer!“ Mit einem dämonischen Grinsen sah er sie an. „Und raus kannst du hier auch nicht, da dir die Klamotten fehlen. Solltest du tatsächlich aus der Tür kommen, warten da draußen meine Leute, die sehr schnell herausfinden, dass du hier eine Geisel bist. Eine wahnsinnsschlechte Situation für dich! Und jetzt versuch doch nochmal, mich zu erpressen. Na los, mach was Ungewöhnliches, mir wird schon ganz langweilig!“

Sie stand auf und setzte sich wieder auf den Stuhl. Offenbar überlegte sie, wie sie aus dieser Sache wieder rauskam.

„Tick-tack!“, machte Cristobal sehr selbstzufrieden.

„Ach halten Sie doch den Mund!“, kreischte sie aufgebracht und sprang vom Stuhl auf. „Sie machen mich ganz wahnsinnig mit dem ganzen Scheiß hier! Wissen Sie was? Ich mach Sie jetzt los und dann gehen wir zusammen durch die Tür – Sie bringen mich nach Hause und dann trennen sich unsere Wege! Ganz genau so machen wir es, verstanden?“

Schon ging sie zum Fensterbrett, holte die Schlüssel und näherte sich seinen Händen. Dann hielt sie inne. „Dumme Idee“, murmelte sie gerade noch, bevor sie sich wieder auf den Stuhl setzte und mit den Schlüsseln spielte.

Wieder verdrehte Cristobal die Augen. Wenn er nicht bald hier loskam, würde er einen Krampf im Nacken bekommen. Und er hasste Krämpfe schlechthin. Obwohl er bemerkte, dass sie ganz verwirrt war, half ihm das jetzt nicht wirklich weiter. Wenn er sie doch bloß dazu bekommen könnte, ihn loszumachen.

„Ich würde nochmal darüber nachdenken“, riet er ihr mit einem Grollen in der Stimme. „Vielleicht können wir einen Handel machen. So nach dem Motto: du machst mich los und ich helfe dir bei deinem Problem. Na, wie wär's damit?“

Sie schwieg so lange, bis er wieder den Kopf hob. Unglücklich zuckte sie mit den Schultern. „Ich dachte, ich hätte meine Situation dadurch verbessert, dass ich Sie still gestellt habe, aber das ist nicht so. Doch losmachen kann ich Sie auch nicht!

Dann verprügeln Sie mich! Und wenn ich zu lange nachdenke, kommt einer von Ihren Angestellten.“ Sie straffte sich und erhob sich von dem Stuhl, näherte sich wieder dem Bett. „Ich will, dass Sie mir beim Grab Ihrer Mutter schwören, dass Sie mir nichts tun!“ Ihre Augen funkelten.

Er sah sie amüsiert an. „Meine Mutter lebt aber noch...“

Nun verdrehte sie die Augen. „Dann eben bei allem, was Ihnen heilig ist! Ich will Ihr Wort!“

Innerlich grinste Cristobal, nickte aber brav. „Sicher, das ist genau das, was ich auch will!“

Offenbar bemerkte sie nicht, dass er sich dreist aus der Situation laviert hatte. Langsam kam sie mit ihren Fingern und dem Schlüssel an die Handschellen heran und für einen kurzen Moment brach Cristobal der Schweiß aus. Was, wenn sie es sich nochmal anders überlegen würde?

Aber nein, der Schlüssel fand das Schloss und mit einem Klicken gingen die Handschellen auf. Nachdem sie auch die zweite Hand befreit hatte, sprang sie aus dem Bett und versteckte sich hinter dem Schreibtischstuhl – als ob das etwas nützen würde...

Cristobal stieg aus dem Bett, er lockerte die Schultern, knackte dann mit dem Kopf und der Halswirbelsäule erst links, dann rechts und ging ganz langsam auf sie zu.

Panik machte sich in Ninas Augen breit, aber sie floh nicht, wusste ja auch nicht, wohin sie gehen sollte.

Dann stand er vor ihr, legte seine Hände links und rechts auf ihre Schultern und Nina sah in seinem Gesicht nicht, was er jetzt mit ihr vorhatte.

Er begann sie zu schütteln, und zwar so heftig, dass ihr Kopf von vorne nach hinten schlug.

„Mach. Das. Nie. Wieder!“, sagte er gefährlich leise, während er sie immer noch schüttelte.

Dann ließ er sie abrupt los, lockerte nochmal seine Nackenmuskulatur und steuerte die Tür zum Badezimmer an.

Minuten später hörte Nina, wie die Dusche anging.

Noch immer schlotterte sie, atmete vor Angst heftig und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie begann zu weinen.

Als Cristobal wieder aus dem Bad kam, konnte er sie zuerst nicht ausmachen. Dann sah er aber aufatmend, dass sie sich in die Ritze zwischen Bett und Nachtkonsole gequetscht hatte und dort weinend hockte. Er schüttelte den Kopf, nahm sich neue Klamotten aus dem Schrank und zog sich wortlos an. Danach ging er ins Büro, schloss die Fronttür auf, nahm das Tablett vom Boden hoch und stellte es auf das Bett.

„Komm da raus!“, forderte er barsch.

Auf dem Tablett waren frische Brötchen, Butter und Marmelade, sowie eine ganze Thermoskanne frischen Kaffees. Ja, sein Sekretär Thomas hatte strikte Instruktionen zu befolgen, was seinem Chef an einem Sonntagmorgen vor die Tür gestellt werden musste. Aus dem Schrank nahm Cristobal eine weitere Tasse und einen Teller.

„Jetzt mach endlich!“, wiederholte er genervt. „Da drin kannst du doch nicht frühstücken!“ Er reichte ihr die Hand.

Ninas Gesicht war tränenüberströmt und obwohl es Cristobal niemals zugegeben hätte, rührte es ihn doch.

Warum war sie denn jetzt so verstört? Er hatte sie doch gar nicht geschlagen... Oder war es einfach die Situation, dass sie wieder am Anfang standen?

„Nina“, bat er sie eigentümlich sanft. „Bitte...“

Noch immer hielt er ihr die Hand hin, wartete darauf, dass sie endlich aus der Ecke kam. Er konnte unmöglich frühstücken, wenn sie da weiter hockte.

Endlich, endlich nahm sie die Hand und ließ sich von Cristobal aus der Enge ziehen. Er platzierte sie aufs Bett, direkt neben dem Tablett und goss ihr eine Tasse Kaffee ein.

„Milch? Zucker?“, wollte er mit einem Seitenblick wissen.

Bei beiden nickte sie und Cristobal tat wie gewünscht. Dann reichte er ihr die Tasse.

Schniefend nahm sie diese an und kostete vorsichtig.

Währenddessen schnitt er ein Brötchen auf, tat Butter und Marmelade drauf und reichte es ihr mit einem Teller.

Verwundert sah sie ihn an. „Warum machen Sie das?“

Jetzt war es an ihm, verwundert auszusehen. „Ich kann doch nicht essen, wenn du hungrig daneben sitzt. Was denkst du denn von mir?“

„Die meiste Zeit verstehe ich Sie überhaupt nicht“, murmelte sie verzagt und biss vorsichtig in das Brötchen. Es war lecker.

Cristobal sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass er ihren Geschmack getroffen hatte und bereitet sich selbst ein Brötchen zu, in das er herzhaft biss.

Er nickte ihr zu, doch weiterzuessen und sie machte das auch.

Die Situation war völlig daneben, fand sie. Sie saß hier mit einem Typen zusammen, dessen Namen sie nicht kannte – sie hatte sogar die Nacht mit ihm verbracht! Außerdem hielt er sie hier gefangen und sie trug nichts weiter als ein T-Shirt von ihm, in dem sie fast unterging, und ihren Slip. Und der Typ nötigte sie zum Essen. Sie schüttelte den Kopf.

„Was ist?“, wollte Cristobal wissen. Er trank einen Schluck Kaffee.

„Was wollen Sie eigentlich überhaupt von mir?“, fragte sie und sah ihn schräg an. „Sie haben mich doch nicht hier hergebracht, um sich darüber zu beschweren, dass ich Sie fotografiert habe.

Oder um mich zu bestrafen, dass ich Sie getreten habe. Ich habe kein Geld, dass ich Ihnen geben könnte, ich kann Ihre Fragen nicht beantworten und ich kann Ihnen bei Ihren Problemen gar nicht weiterhelfen. Und trotzdem lassen Sie mich nicht gehen!

Ich verstehe das alles nicht...“

Cristobal bereitete ein neues Brötchen zu und gab ihr die Hälfte ab. „Nun ja“, meinte er lächelnd. „Wie du dir vielleicht schon gedacht hast, ist das nicht eben natürlich, dass du mich bei der Aktion mit den Blasen fotografieren konntest. Eigentlich hättest du mich gar nicht sehen dürfen. Damit hast du dich geoutet als meiner Berufung zugehörig. Dazu komme ich später noch. Und ich brauche ganz einfach noch mehr Infos zu dem Mann, der das Teil in die Hütte gelegt hat. Deshalb kann ich dich nicht gehen lassen. Außerdem sind deine Sachen noch nicht trocken, sonst hätten sie schon vor der Tür gelegen. Und so reizvoll ich dich in meinem T-Shirt finde, ich kann dich damit nicht draußen herumspazieren lassen, sonst müsste ich ja jeden, der dich anzüglich ansieht, in Grund und Boden prügeln, nicht wahr?“ Er grinste.

„Ist das eine schlechte Angewohnheit von Ihnen?“, fragte sie zweifelnd. „Ich meine, alle verprügeln zu wollen?“

Er zuckte die Schultern. „Wer kann, der kann.“

Es klopfte an der Tür und Cristobal erhob sich, um zu öffnen.

Sein Sekretär Thomas stand davor und hielt ein paar Listen in der Hand, sowie Ninas gereinigte Sachen.

Mit kühlem Blick unterzeichnete er die Listen, riet Thomas, ihn heute nicht mehr zu stören und nahm ihm die Klamotten ab.

Thomas stellte keine Fragen. Er kannte seinen Chef, da war es gar nicht gut, Fragen zu stellen. Und er hatte ihn schon des Öfteren vertreten, das konnte er aus dem Effeff.

Cristobal schickte sich an, die Tür wieder zuzuschließen und nahm Ninas Sachen mit ins Hinterzimmer.

Die schaute ihn abwartend an, als er hereinkam und schielte nach ihren Klamotten.

„Willst du vielleicht erst einmal duschen gehen?“, bot er ihr an.

Dann grinste er schelmisch. „Ich passe auch auf, dass keiner kommt.“

Für ein paar Sekunden kam ein Lächeln auf Ninas Gesicht, dann wurde sie aber wieder ernst und nickte nur. Sie schnappte sich ihre Anziehsachen und verschwand im Bad.

Während die Dusche rauschte, gönnte sich Cristobal noch eine schöne Tasse Kaffee. Und er dachte darüber nach, wie er denn weiter verfahren könnte.

Er hatte vor, Nina einem Weisen vorzustellen. Der würde auf jeden Fall herausfinden, wie es um sie stand, soviel war mal klar.

Er begab sich zum PC und schickte eine E-Mail raus, um einen Weisen zu kontaktieren. Der war im Zentrum und würde gleich erreichbar sein. Mit ein paar Worten schilderte er die Umstände und wartete die Antwort nicht ab. Das würde auch so funktionieren. Und er wollte noch Gomez fragen, ob der die Fotos vielleicht bearbeiten könnte, schließlich war er derjenige, der sich gut mit diesen Computerdingen auskannte. Also schnappte er sich das Telefon.

Gomez nahm nach dem dritten Klingeln ab.

„Kannst du mir ein paar Fotos vergrößern, ich hab da einen Kerl, der was in der Hand hat, und ich will wissen, was das ist!“, klärte ihn Cristobal auf. Dabei fiel ihm ein, dass das Teil ja vielleicht auch noch in der Gartenanlage liegen könnte.

Und so schickte er Gomez kurzerhand dahin, er solle das mal eruieren. In jedem Fall sollte er sich melden.

Gomez versprach, alles in seiner Macht Stehende zu tun und legte auf.

Als Cristobal ins Hinterzimmer zurückkam, war Nina auch aus dem kleinen Bad gekommen und strich sich verlegen durch die noch feuchten Haare.

Sie hielt ihm das T-Shirt hin und bedankte sich.

„Nicht dafür“, beeilte sich Cristobal zu sagen und wies dann auf die Fronttür. „Kann's dann losgehen?“

Mit hochgezogenen Augenbrauen forschte Nina in seinem Gesicht nach, ob er es denn auch ernst meinte. „Sie lassen mich wirklich gehen, ja?“, wollte sie argwöhnisch wissen.

Jetzt lachte Cristobal auf, es hörte sich sogar wirklich richtig gut an. „Ja sicher, aber wir besuchen vorher noch einen Kumpel von mir. - Es stand nie zur Debatte, dass du dein restliches Leben hier fristen solltest.“

Eigentlich schade, dachte er bei sich. Diese Augen würde er vermissen, echt.

Nina bewegte sich langsam auf die Tür zu. „Ich war mir da nie so sicher...“, gab sie zu.

Mit einem Schulterzucken dirigierte Cristobal sie aus dem Büro und direkt auf das Zentrum zu.

Dort wartete ein etwas älterer Mann schon auf die beiden.

„Das ist Jürgen!“, stellte Cristobal den unscheinbaren Mittfünfziger vor, der beide freundlich grüßte.

Er bot Nina auch sofort einen Platz an und entschuldigte sich, er müsste nochmal etwas klären.

Cristobal zog ihn etwas vom Tisch weg und senkte seine Stimme. „Weiser Jürgen, am besten, Sie schauen direkt mal nach, ob sie eine Weise oder eine Schauspielerin ist. Ich hatte Ihnen ja schon per E-Mail geschrieben, auf was Sie achten müssen. Nennen Sie aber um Gottes Willen keine Namen.“

Der Weise nickte. „Da ist kein Problem. Sie scheint ja ganz offen zu sein. Wenn Sie in zehn Minuten wiederkommen, bin ich soweit im Bilde.“ Er nickte ihm nochmal zu und schickte sich an, zum Tisch zurückzugehen.

Nina schaute etwas unsicher hinter Cristobal her, der ihr zugewunken hatte, als er sich entfernte, aber dieser Jürgen schien ja ganz nett zu sein. Außerdem wollte der nur Sachen über diesen Mann, der das Teil in die Hütte gelegt hatte, wissen, nahm sie an. Na, wenn sie sich da mal nicht geirrt hatte...

Cristobal ging weiter. Er wollte an der Befragung auf keinen Fall teilnehmen, da hätte er gestört. Und in der Zwischenzeit konnte er nach der Heilerin Elisa Ausschau halten.

Die traf er dann auch sogleich in Begleitung von Pablo, sie saßen im Aufenthaltsraum der Heiler und hielten Händchen.

„Hey“, grüßte Cristobal mit etwas säuerlicher Miene. „Kann ich mir Elisa kurz ausborgen?“

„Du borgst sie dir verdammt häufig aus“, ließ sich Pablo vernehmen. „Ist deine kleine Verdächtige immer noch krank?“

Dabei grinste er wissend.

Elisa sprang auf, war beunruhigt. „Wirklich? Geht es ihr schlechter? Hast du sie wieder geschlagen?“

„Was habt ihr alle?“, knurrte Cristobal. „Die ist quietschfidel! Ich laufe doch nicht herum und schlage kleine Mädchen! Das war Notwehr!“

„Und das aus dem Mund eines Typen, der über 190 cm groß ist“, grummelte Elisa. Doch bevor ihr Chef wirklich böse werden konnte, winkte sie ab. „Ich weiß, sie hat dich schlimm erwischt.

Was gibt es denn?“

Er war verstimmt, zog die Stirn in Falten. „Ich brauch dich in ungefähr einer Viertelstunde. Halt dich bereit!“ Dann wandte er sich an Pablo. „Was hast du wegen des Termins gestern herausgefunden?“

Der wusste, auf was sein Bruder anspielte. „Du meinst, den Traum, zu dem ich schon vorher gefahren bin? Nichts, da war alles so wie immer. Ich hab ihn zur Säule geleitet. Alles wunderbar. Ich verstehe das alles nicht.“

„Offenbar gibt es da jemanden, der eine Art Gerät versteckt, bevor sich die Träume seltsam verhalten“, erklärte Cristobal und ging näher auf das Geschehen von gestern ein. „Ich bleibe dran und erzähle es dir später.“ Er warf Elisa noch einen Blick zu. „Bis gleich im Zentrum.“

Mittlerweile war eine gewisse Zeit vergangen und Cristobal kehrte ins Zentrum zurück. Als der Weise Jürgen seiner ansichtig wurde, ließ er Nina am Tisch zurück und kam auf ihn zu.

„Sie hat Tendenzen“, nickte er Cristobal zu. „Man kann das verstärken, so dass sie als Weise arbeiten kann.“ Er machte eine Pause. „Ich kann das aber genauso gut blocken, so dass sie gar nichts merkt. Was ist Ihnen lieber? Soviel ich mitbekommen habe, kennt sie gar nichts von den Traumfängern.“ Abwartend schaute er seinen Instanzchef an.

Der nickte. „Sie hat also gar keine Ahnung, um was es geht?“

Jürgen bestätigte. „Sie ist harmlos, aber interessiert. Beide Möglichkeiten stehen ihr offen. Was, wünschen Sie, soll ich tun?“

Nochmal warf Cristobal einen Blick auf Nina, die sich Mühe gab, nicht unruhig auf dem Stuhl hin- und herzurutschen.

„Blocken Sie es!“, forderte er dann hart. „Haben Sie auch Infos zu dem Mann mit dem Teil bekommen?“

„Erstaunlicherweise nichts Neues“, gab der Weise zu. „Sie hat sein Gesicht nicht gesehen und das Gerät auch nicht richtig.“

Bedauernd hob er die Schultern hoch.

„Blocken Sie es jetzt!“, wiederholte Cristobal. „Können Sie das, ohne dass sie es merkt?“

„Sicher“, meinte Jürgen. „Sie bekommt das nicht mit.“

Er machte sich auf den Weg und setzte sich wieder an den Tisch zu Nina.

Cristobal beobachtete beide, wie Jürgen mit ihr sprach, dabei ein paar Gesten mit der Hand machte.

Einmal hatte er den Eindruck, Nina fühlte sich nicht wohl, da sie mit der Hand an ihren Kopf griff, aber das war nur kurz.

Nach einer Weile nickte Jürgen ihm zu.

Langsam kam er näher.

„Alles in Ordnung?“, fragte er und sah Nina an, die ihm ihrerseits zunickte, aber er meinte eigentlich Jürgen, der ihm zuzwinkerte.

„Komm nochmal mit auf den Flur, bevor wir gehen!“, forderte er Nina auf, die ihm sofort und ohne Kommentar folgte.

Was er auf dem Flur wollte, wusste sie nicht, aber sie war sich sicher, er würde sie bald gehen lassen.

Auf dem Flur war niemand und Cristobal blieb in einer recht dunklen Ecke stehen.

Er drehte sich zu ihr herum, sah sie an.

Nina schaute ihn ebenso an, fragend mit großen Augen. „Was machen wir hier?“

Mit einem Ruck presste Cristobal sie gegen die Wand und hielt ihre Handgelenke fest, was sie zu einem überraschten Ausruf veranlasste.

„Ich will nur noch herausfinden, wie du schmeckst, bevor du dich nicht mehr an mich erinnerst“, meinte er an ihrem Mund, bevor er seine Lippen hart auf ihre presste.

Völlig verwirrt ließ sich Nina küssen.

Und, oh mein Gott, es war fantastisch!

Nicht, dass sie nicht schon geküsst worden war, nein, aber es war niemals so gewesen wie mit diesem Typen, dessen Namen sie nicht kannte. Ihre Knie wurden weich.

Vorsichtig schob er seine Zunge in ihren Mund und stöhnte, während er ihre Hände festhielt und gleichzeitig mit dem Daumen kleine Kreise auf ihr Handgelenk malte, die ihr Schauder über Schauder den Rücken herunterliefen ließen.

Sie stöhnte auch und rieb lasziv an ihm.

Dieser Mann küsste wie ein Gott!

Langsam und wie unter Zwang löste sich Cristobal von ihr.

Er knurrte.

Dann zog er sie in den Flur, wo schon Elisa stand.

„Gedankenlöschung, sofort!“, sagte er zu ihr. „Ab gestern Mittag.“

Damit schubste er Nina in Elisas Arme und verließ den Flur ohne ein weiteres Wort.

Drei

Nina saß auf einer Bank im Park. Sie saß da schon eine ganze Weile, wie lange konnte sie nicht ausmachen. Eigentlich hatte sie nur ein paar Minuten Pause machen und dann einige hübsche Fotos schießen wollen. Wie lange war das jetzt her?

Ein junger Mann, ungefähr ihr Alter, kam zu der Bank, setzte sich neben sie und grüßte lächelnd. „Hey!“

Sie grüßte ebenfalls, obwohl sie den Mann gar nicht kannte.

Aber man war ja höflich.

„Alles okay mit dir?“, wollte er mit einem Seitenblick wissen. „Du siehst verwirrt aus.“

„Nein, nein“, antwortete sie schnell. „Ich hab nur gerade ein wenig Pause gemacht. Will noch schnell ein paar Fotos machen, wo das Licht gerade so gut ist.“ Sie erhob sich. Beim Kontrollieren der Kamera fiel ihr auf, dass sie noch kein einziges Foto gemacht hatte. Ihre Speicherkarte war leer. Seltsame Sache, das!

„Du könntest ein Foto von mir machen“, grinste der Mann und erhob sich ebenfalls. „Ich bin übrigens Max.“

„Hi, Max“, antwortete sie. „Ich bin Nina. Kennen wir uns von irgendwo her vielleicht?“ Er kam ihr schon bekannt vor, aber sie wusste nicht, wo sie ihn hinstecken sollte.

„Noch nicht“, gab Max zu, „aber das wird sich bald ändern, nehme ich an.“

Na, das war mal eine neue Anmache, fand Nina. Okay, schlecht sah der Typ nicht aus mit seinen hellbraunen kurzen Haaren und seinem freundlichen Gesicht. Aber er war so gar nicht ihr Typ.

Neuerdings stand sie eher auf den etwas dämonischeren großen Kerl – obwohl der auch Ärger bedeuten konnte. Max war das krasse Gegenteil. Er wirkte wie ein harmloser Student.

„Ich muss leider gehen“, beeilte sie sich zu sagen. „Vielleicht ein anderes Mal.“

Sie nickte ihm nochmal zu und wollte sich dann abwenden, aber dieser Max stand plötzlich direkt neben ihr. „Lauf doch nicht gleich weg! Ich brauche deine Hilfe!“

„Wieso das denn?“ Nina hielt inne. Der sah nicht so aus, als hätte er ein Problem. War das wieder eine Art Anmache. Sie runzelte die Stirn.

„Komm!“, meinte Max gleichmütig. „Wir gehen da rüber und ich zeig es dir!“

Widerstrebend ließ sich Nina mitziehen. Die Sache war ihr nicht geheuer. Und dieser Max schien direkt auf eine Buschgruppe zuzuhalten.

„Warte mal!“, machte sie ungemütlich und blieb stehen. „Was hast du denn im Gebüsch vor?“ Argwöhnisch beäugte sie den Menschen.

Der lachte. „Nicht, was du denkst! Da liegt jemand und schläft.

Und gleich passiert etwas Tolles, was du dir ansehen sollst!“