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Die gesamte Traumfängergemeinde ist in Aufruhr. Das Buch der Stille wurde gestohlen! Und während schon alle verzweifelt nach der Diebin suchen, erkennt Gomes Da Cruz sie als seine Geliebte wieder, die er quasi vor einem Jahr Hals über Kopf sitzengelassen hat. Doch warum hat Athena das Buch gestohlen? Und was hat der Magier Diego Cortez damit zu tun? Eine turbulente Story, bei der jemand verflucht wird, ein anderer seinen Kopf verliert und der letzte mit seiner Familie bricht. Wird das alles ein gutes Ende nehmen? Finden wir es heraus!
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Veröffentlichungsjahr: 2021
„Die Traumfänger sind keine Kindergartengruppe, die mittags ihr Schläfchen unter den geflochtenen Namensvettern hält. Hast du denn keine Erkundigungen eingezogen, bevor du dich mit uns eingelassen hast?“
Gomez Da Cruz
„Ich nehme den Fluch nicht zurück!“
Athena Steinweg
„Wenn alles vorbei ist, lasse ich Sie mal teilhaben, wie die großen Kinder so spielen...“
Thomas Schmidt, Dritter der Beschützer des Asteriums
„Hallooooo? Es schmeckt alles wie Katzenscheiße! Da können Sie doch nicht sagen, es ist alles in Ordnung! Ich kann nichts essen und trinken, ich muss elendig verrecken, schon mal darüber nachge-dacht?“
Cristobal Da Cruz
„Du hast so sexy ausgesehen, wie du auf dem Stuhl gesessen hast, meinen Dolch in deiner Hand. Nenn mich Jenny...“
Jennifer Kern, Dritte der Beschützer des Asteriums
„Wie hast du mich gefunden?“
Leander
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
Epilog
Er keuchte.
Ein Tropfen Schweiß löste sich aus seinen roten Haaren und lief an seiner Stirn entlang. Sein Gesicht war ebenfalls rot.
Die Frau unter ihm ließ gleichermaßen einen Keuchlaut los, was ihn aber keinesfalls animierte, damit aufzuhören, was er gerade tat.
Dann ertönte das Geräusch.
Und wieder stieß die Frau einen Keucher aus, diesmal aber hörte es sich frustrierend an.
Er stöhnte auch entnervt auf.
“Geh schon ran, das hört doch nicht auf.” Sie schien sich nicht mehr konzentrieren zu können.
Mit einem weiteren Laut rollte er sich vom Bett und holte das Handy aus seiner Hosentasche, das das Klingeln nicht lassen wollte.
“Ja”, bellte er heiser hinein.
“Entschuldigen Sie die Störung, bitte!”, sagte die Stimme eines rangniedrigen Mannes. “Ihre Anwesenheit ist hier dringend erforderlich.”
“Warum?”, wollte er unwirsch wissen. Musste das gerade jetzt sein?
Der Mann am anderen Ende der Leitung räusperte sich. “Es ist eine Katastrophe eingetreten. Der Zweite und der Erste sind bereits informiert, man fragt nach Ihnen.”
“Ich bin gleich da”, versprach er und beendete das Gespräch.
Die Frau hatte sich auf den rechten Ellenbogen gestützt und beobachtete ihn, während er sich rasch anzog.
“Was Schlimmes?”, wollte sie wissen.
Er zuckte die Schultern. “Sag du es mir!”, scherzte er, ohne die Miene zu verziehen.
Leonie konzentrierte sich, warf den Kopf in den Nacken und sah in die Zeit. Nach einer Weile wurde ihr Blick wieder klar und sie sah ihn ernst an. “Du beeilst dich besser.”
So schlimm war es also! Wenn sogar seine eigene persönliche Weise dieses Gesicht machte...
In Sekunden war er angezogen, hauchte einen Kuss auf das Haupt seiner Geliebten und stürmte aus der Tür.
Was war passiert?
Warum war seine Anwesenheit dabei erforderlich?
Und war das Asterium schon informiert?
Langsam wurde ihm unheimlich, aber das sah man ihm nicht an.
Schließlich war er Thomas Schmidt, der Dritte der Beschützer des Asteriums – und ihn jagte man nicht ins Bockshorn! Soviel dazu!
Als er endlich im Gebäude des Asteriums ankam, warteten der Zweite und der Erste schon auf ihn, wobei beide düstere Gesichter hatten.
Während der Zweite häufiger mit ihm zusammenarbeitete, war der Erste der Beschützer so gut wie niemals zugegen. Dass er heute hier war, war ein guter Hinweis, dass es tatsächlich um eine ernste Sache ging.
Valentin Meisterjahn, der Zweite, seines Zeichens Empath, schluckte trocken und sah ihn an, mit einem Blick, den er nicht zu deuten wusste. „Eine Katastrophe ist passiert! Wir wurden bestohlen!“
Thomas' Augen suchten die des Ersten.
Er war ein großer, korpulenter Mann im Alter von etwa fünfzig Jahren, Halbglatze. Der Rest, der ihm an Haaren geblieben war, glänzte in hellem Silber. Seine Wangen waren weich und hingen runter. Peter Soltau war sein Name. „Jemand ist hier eingedrungen und in den Tresorraum gelangt.“ Seine Stimme war ein Flüstern.
Der Dritte sah von einem zum anderen.
„Wir haben doch Überwachungssysteme und Wächter“, gab er zu bedenken. „Ist denn nichts aufgefallen?“
Beide schüttelten den Kopf.
„Und was wurde alles gestohlen?“, wollte Thomas weiter wissen.
„Das Schlimmste, was eben eintreffen konnte“, grollte der Erste, nachdem er sich geräuspert hatte. Jetzt klang seine Stimme zwar nicht mehr wie rostige Nägel, aber seine Worte schnitten dennoch ins Fleisch. „Das Buch der Stille...“
Der Dritte schloss die Augen. Niemand sollte die Angst darin sehen. Wenn das Buch in falsche Hände kam, war das das Ende. Nicht nur das Ende der Traumfänger – das Ende von allem, was existierte.
„Hat jemand das Asterium informiert?“, wollte er wissen.
Die beiden anderen Männer schüttelten die Köpfe wie auf Kommando.
„Das wäre dann Ihre Aufgabe!“, befahl der Erste kalt.
Natürlich, das durfte er, Thomas, mal wieder ausbaden.
Klar, er hatte schon so seine Erfahrungen mit dem Asterium, aber warum schickten die ihn immer nur mit den schlechten Botschaften dort hin?
Er verzog säuerlich das Gesicht. Aus der Nummer kam er nicht raus.
Mit einem tiefen Atemzug verließ er den Raum und meldete sich an.
Der Ehrwürdige Dante würde ihm nicht den Kopf abreißen, dafür würde die nette Nina, die Frau seines Bruders, schon sorgen.
Was mit den anderen war, konnte er nicht sagen.
Minuten später konnte er dem Asterium vorsprechen.
Abschätzend sah er jeden an, den Ehrwürdigen Dante, die lichte Traumfängerin und Weise Nina, den dunklen Traumfänger Florian, den lichten Ralf und die dunkle Marianne. Jeden von ihnen würde er jetzt enttäuschen. Das tat weh! Hoffentlich konnte er seinen Job behalten...
„Willkommen zur Familienkonferenz!“, begann Dante und setzte sich hin. Sein Gesicht war blass und er griff sich an den Kopf.
„Schon wieder Schmerzen?“, wollte seine Frau Raja wissen.
„Magst du eine Heilung haben?“
Er schüttelte den Kopf. So viel konnte sie nicht gegenheilen.
Diese Kopfschmerzen würden nicht aufhören, so viel war ihm klar. Das waren Stressschmerzen.
„Wieso hast du uns alle herbestellt?“, wollte Pablo wissen. Er saß direkt neben seiner Frau Luna, die wahrscheinlich schon in jedem gelesen hatte, was sie als Empathin hervorragend beherrschte.
„Das war er nicht alleine“, ließ sich Nina, seine Kollegin vom Asterium und die Frau von Cristobal, seinem Bruder, vernehmen.
„Es geht um eine Sache katastrophalen Ausmaßes!“
Gabriel Bergström, der Leiter der lichten Instanz, legte sein engelsgleiches Gesicht in Falten. Er sah Cristobal an, seinen Konkurrenten, der die dunkle Instanz leitete. Aber auch der schien nichts zu wissen. Sein Blick glitt weiter zu Gomez, der ebenfalls am Tisch saß.
„Vielleicht fängst du endlich an!“, forderte der dunkle Instanzleiter. „Dann können wir alle wieder an unsere Arbeit.“
„Wisst ihr noch, was vor zwei Jahren war?“, kam Dante langsam mit der Sprache heraus. „Als Raja, Gabriel und Cristobal in der Alten Kammer waren, um mich zu befreien?“
Die entsprechenden Personen nickten. Die anderen waren aufgeklärt worden, was damals passiert war und sahen erstaunt auf.
Neigten sich die beiden Säulen der Erde wieder zur Seite?
„Ihr seid dorthin gekommen, indem ihr aus dem Buch der Stille gelesen habt, nicht wahr?“ Dante griff sich wieder an den Kopf und massierte seine Schläfe.
Das Buch der Stille.
Ein Überbleibsel aus der Traumfängerchronik. Das Relikt schlechthin.
„Oh ja“, erinnerte sich Cristobal und verzog den Mund. „Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das niemals getan.“
„Mir war auch unwohl dabei“, gab Gabriel zu. „Aber es ging nun mal nicht anders. Wir mussten Dante irgendwie von dort wegholen!“
Raja nickte. Und erinnerte alle an etwas. „Aber wir hätten niemals die richtige Zeile gefunden, wenn der Weise Alex uns nicht geholfen hätte.“
Jetzt nickten alle.
Der Weise Alex war ein etwa 10jähriger Junge gewesen, der Weise des Asteriums, ein genialer Charakter.
„Dieses Buch wurde gestern aus den Tresoren des Asteriums gestohlen“, vollendete Nina und atmete tief aus. „Ist allen klar, was das bedeutet? Ich frage nur, weil es mir nicht klar war.“
Kunststück! Nina war erst spät als Weise erwacht und mit einem Rutsch ins Asterium gelangt. Sie musste eine ganze Menge nacharbeiten, was die Chronik der Traumfänger betraf. So konnte sie auch nicht wissen, dass alle, die das Buch lasen, verrückt werden würden – ja, offenbar besaß dieses Buch seinen eigenen Schutz.
Aber es besaß eben auch die Geheimnisse der Traumfänger.
Es wurde der Überlieferung nach von einem der ersten Traumfänger selbst geschrieben und war dementsprechend kostbar – unbezahlbar...
„Ich verstehe das nicht!“, polterte Pablo los. „Das Buch lag also im Tresor des Asteriums. Wie konnte es von dort gestohlen werden? Ist der Tresor eine einfache Bananenkiste im Keller oder was?“
„Nein“, stöhnte Dante auf. „Das ist ein eigens gepanzerter Raum mit Wächtern und Überwachungsanlage. Ohne Kombination kommt dort niemand rein.“
„Dann hat ein Insider das Buch geklaut?“, wollte Gomez wissen.
„Keinen, den wir kennen“, meinte Dante schlicht.
„Dante, das ist mir zu kryptisch“, zischte Gabriel böse. „Gibt es ein Überwachungsvideo, das den Dieb zeigt, oder was willst du uns sagen?“
Er hatte das richtig erkannt, was allerdings nicht so schwierig war, da sich in dem Raum auch noch ein Fernsehgerät befand.
Die Fernbedienung lag vor Dante auf dem Tisch.
„Dann schauen wir mal.“ Der Ehrwürdige des Asteriums schaltete das TV ein und ließ die Aufnahme laufen.
„Das ist der Tresorraum“, kommentierte er das Bild, das nicht so spektakulär war, da es einen Raum mit Regalen und Kisten zeigte. „Und jetzt...“
Man sah ein kleines Flackern im Bild, dann war das Bild vollständig weg.
„Das war es!“, meinte Dante sarkastisch.
„Verdammt!“, fluchte Cristobal. „Heißt das, er hat die Verbindung gekappt? Warum ist das niemandem aufgefallen?“
„Ja“, nickte sein Bruder und hantierte mit der Fernbedienung.
„Das hab ich mich auch gefragt. Sehen wir weiter!“ Er ließ eine neue Aufnahme laufen. Diesmal sah man in die Vorkammer des Tresorraums, wo zwei Wächter standen. Und wie auf Kommando ertönte ein Signal, worauf beide Männer aus der Tür stürmten.
„Das ist kurz vor dem Raub passiert. Der Alarm sagte den beiden, dass ein Feuer im Labor ausgebrochen ist und alle das Gebäude verlassen sollten.“
„Nur dass es kein Feuer gab“, mutmaßte Gabriel richtig. Er biss die Zähne aufeinander.
Wieder nickte Dante. „Das gab dem Dieb ungefähr drei Minuten Zeit, in den Tresorraum zu gelangen.“
„Aber“, brachte sich Luna ins Spiel. „Man kann ihn nicht sehen!
Gibt es denn gar kein Video von ihm? Vielleicht im Hauptgebäude oder so. Schließlich muss er ja irgendwie reingekommen sein.“
„Guter Einwand“, fand Dante und startete den Player erneut.
„Das ist die Sequenz vom Eingang.“ Man sah ein Dutzend Leute, die geschäftig hin- und hereilten. Ein Wächter stand am Tresen der Info, der alles beobachtete. Nichts schien ungewöhnlich.
„Und das hier“, Dante wies auf eine Person, die mit dem Rücken zur Kamera stand, „das ist der einzige Mensch, den wir nicht identifizieren konnten.“
Sieben Augenpaare starrten auf das Bild.
Man sah eine Frau von hinten. Sie hatte ihre Haare zu einem Knoten aufgesteckt, aber einige Strähnen hatten sich gelöst und ringelten sich über die Schultern. Offenbar hatte sie sehr lange Haare, denn der Knoten war richtig dick, obwohl er straff gesteckt war. Sie trug die Uniform der Beschützer und man konnte nicht wirklich sehen, was sie mit den Händen tat, aber sie schien mit irgendwas zu hantieren.
„Wer ist das und was macht sie?“, knurrte Cristobal grollend.
Dante holte das Bild näher ran.
„Sie gibt etwas in ihr Handy ein“, erklärte er ruhig. „Und das ist das einzige Bild, wo sie zu sehen ist. Den beiden anderen Überwachungskameras ist sie ausgewichen, so dass sie praktisch im toten Winkel steht.“
„Aber sie ist eine Beschützerin“, sagte Raja und wies auf die Uniform, die die Frau trug.
Ihr Ehemann schüttelte den Kopf. „Die Kleidung sieht unserer Uniform sehr ähnlich, aber es ist keine von uns.“ Er wies auf ihren Rücken. „Die Nähte sind ganz anders, seht ihr? Und kein Beschützer würde erlauben, dass sie diese Schuhe trägt. Damit kann sie ja nicht laufen, wenn es vonnöten ist.“
Die Schuhe waren echt mörderisch, High Heels vom Feinsten.
Luna war etwas aufgefallen. „Kannst du das Bild noch näher ranholen?“, fragte sie. „Ich glaube, sie hat etwas im Nacken.“
„Richtig“, nickte Dante und fuhr mit der Kamera noch näher an sie ran. Deutlich konnte man die schwarze Farbe im Nacken der Frau sehen. „Das ist ein Tattoo, ein chinesisches Zeichen, das eigentlich aus Zweien besteht. Wir haben es rekonstruiert. Es steht für...“
„Zauberei“, vollendete Gomez mit rauer Stimme.
Jetzt sahen ihn alle an.
„Woher weißt du das?“, wollte Pablo wissen.
Sein Zwillingsbruder wedelte mit den Armen. „Hab mich selbst für ein Tattoo interessiert“, wich er aus.
Die Blicke der anderen wechselten wieder zu der Frau im TV.
Nur Luna sah Gomez noch länger an.
Er sah es und wich ihr aus.
Dante ließ das Video weiterlaufen.
Gespannt verfolgten alle die Bewegungen der Frau.
Erst als ein anderer Mann die Szene betrat, steckte sie das Handy in die Tasche.
„Hey, das bin ja ich!“, wunderte sich Cristobal. Dann schlug er sich vor den Kopf. „Das muss vorgestern gewesen sein, als ich Max besucht habe.“
„Du besuchst dieses Arschloch?“, fragte Gabriel mit Kopfschütteln.
Der dunkle Instanzleiter nickte. „So hab ich ihn wenigstens unter Kontrolle.“
„Glaubt ihr, sie hat was mit ihm zu tun?“, fragte Raja mit belegter Stimme. Dieser Max hatte ihr seinerzeit richtig Angst eingejagt.
„Kann ich mir nicht vorstellen“, meldete Cristobal. „Max ist gut unter Verschluss und ein wirklich armes Gesicht.“
„Meiner Meinung nach“, mischte sich Gabriel ein, „ hätte man ihn damals besser der Todesstrafe unterzogen. Dann hätten wir heute kein Problem mehr mit ihm.“
„Wir haben ja auch kein Problem mit ihm!“, meinte Dante ordentlich verstimmt. „Es besteht kein Grund, weshalb man annehmen könnte, die Frau würde mit ihm zusammenarbeiten.
Wahrscheinlich weiß sie nicht mal, wer er ist. Und dort, wo er jetzt ist, hat er keine Handhabe.“
„Und wenn sie das Buch gestohlen hat, um ihn freizubekommen?“, spann Gabriel die Story weiter aus.
„Wurde bereits diskutiert“, kam Nina ihrem Asteriumkollegen zur Hilfe. „In diesem Fall würde ihm ein langsam wirkendes Gift injiziert, das ihn tötet, solange er unser Gegengift nicht bekommt.“ Sie schüttelte sich bei diesen Gedanken. „Der Vorschlag kam übrigens nicht von mir.“
Welche Überraschung! Cristobal grinste. Er kannte seine Frau sehr gut und wusste, das hätte sie niemals zugelassen, wenn es nicht noch eine andere Möglichkeit gegeben hatte. Auch Dante traute er diesen Vorschlag nicht zu. Er war auch eher für eine saubere Lösung.
„Wir können Max ausschließen“, ließ sich Dante nochmals vernehmen. „Diese Frau scheint allein zu arbeiten. Und sie ist mit unseren Gebräuchen vertraut, sonst hätte sie nicht unsere Uniform an und wüsste nicht, wohin sie gehen musste.“ Er wies auf das Video. „Den Rummel um Cristobal hat sie perfekt ausgenutzt, um nach innen zu kommen.“ Dann sah er seinen älteren Bruder vorwurfsvoll an. „Warum machst du auch jedes Mal so ein Tamtam, wenn du Max besuchst?“
„Das mache ich gar nicht!“, rief der aufgebracht. „Aber anscheinend weiß da jeder, dass ich der Ehemann der Weisen Nina vom Asterium bin, und das macht mich zu einem verdammten VIP, so dass alle weiblichen Wächter zusammenlaufen, wenn ich das verdammte Gebäude betrete!“
„Ach, das wusste ich ja gar nicht...“, meinte Nina gespielt fassungslos. Ihr Ehemann wurde umschwärmt wie das Licht, das die Motten anzog?
„Kein Grund zur Sorge“, beeilte sich Cristobal zu sagen und hauchte ihr einen Kuss zu. „Ich sehe die alle nicht, glaub mir!“
„Können wir von eurem Ehestreit mal eben wieder zurück zum Thema kommen?“, warf Pablo dazwischen und grinste. Er meinte es nicht ernst.
„Sie haben gar keinen Ehestreit.“ Luna lächelte alle an. „Sie lieben sich sehr, das kann ich spüren.“
Wie auf Kommando wurde Nina rot. Cristobal weigerte sich, dafür war er zu cool. Aber er räusperte sich, als wäre es ihm unangenehm, ertappt zu werden.
„Und das ist gut so!“, schloss Raja ab. Sie klopfte ein wenig auf den Tisch, um wieder Ruhe ins Gespräch zu bringen. „Zurück zu der Frau: wer ist sie?“
Dante hob hilflos die Hände und schüttelte den Kopf.
„Hast du mal darüber nachgedacht, einen Weisen zu fragen?“,
meinte Gabriel sarkastisch. Wie blöd benahm sich Dante eigentlich? Das hätte er doch sofort machen können!
„Einen?“ Dante stieß einen Laut aus, der seine Frustration annäherend beschrieb. „Ich habe alle verfügbaren Weisen gefragt.
Was, glaubst du eigentlich, mache ich in meinem Job? Ich sitze nicht herum und schaukele mir die Eier!“ Jetzt war er sauer. Für dämlich wollte er nicht gehalten werden. „Das einzige, was alle übereinstimmend herausbekommen haben, ist: sie ist kein Traumfänger. Und sie ist reich. Und gefährlich. Das war's!
Ansonsten: Pustekuchen!“
„Dann arbeitet sie möglicherweise doch mit Max zusammen“, versuchte es Pablo nach einer Schreckenssekunde. „Der hatte doch diese Dreamboxen, so dass man nicht zu orten war.“
„Den können wir wirklich vergessen.“ Nina sagte es mit Nachdruck. „Er hat nichts damit zu tun. Und die Dreamboxen wurden vernichtet, die Technik zerstört. Das hat nichts mit dieser Frau zu tun.“
„Und dennoch kann sie keiner orten?“, fragte Cristobal verblüfft.
„Wie ist das denn möglich? Schon allein, wenn wir die Tatsache außen vorlassen, dass sie keine Traumfängerin ist. Woher weiß sie Bescheid? Sie muss einen Kontakt nach drinnen haben.
Jemand, der sie mit Infos versorgt. Sonst hätte sie nie gewusst, wie die Uniformen aussehen. Oder den Weg zum Tresorraum.“
Nina schüttelte den Kopf. „Die Weisen sagen alle, dass sie allein gearbeitet hat.“
„Warum?“, fragte sich Gabriel. „Was will sie mit dem Buch? Es ist nutzlos für sie! Sie kann es nicht mal verkaufen, weil niemand die Geheimnisse für voll nimmt. Ich kann mir auf diesen Diebstahl keinen Reim machen.“ Er raufte sich die Haare. „Und was sollen wir jetzt tun? Alle Frauen, die lange dunkle Haare haben und ein Tattoo im Nacken, einsammeln und fragen, ob sie reich sind und vielleicht unser Buch geklaut haben? Ist das der Plan?“
„Hast du einen besseren?“, fragte Dante unwirsch.
Alle schwiegen bedrückt.
Cristobal erhob sich. „Also sollen alle Instanzen versuchen, diese Frau zu finden, sehe ich das richtig?“
Dante nickte. „Das hat oberste Priorität. Fragt alle, ob einer sie kennt, geht jeder Spur nach! Das tun die Beschützer des Asteriums auch. Und jeder noch so kleine Hinweis ist nützlich.“
Allgemeines Nicken. Alle verstanden die schlimme Situation.
Aber es war alles gesagt.
Stühle wurden gerückt und man brach auf.
Die beiden letzten, die den Raum verließen, waren Luna und Gomez.
Sie fasste ihn beim Ärmel und hielt ihn auf.
Ihre karamellfarbenen Augen fanden seine, die nicht wussten, wohin sie schauen sollten.
„Ich sage es ihnen noch nicht“, flüsterte Luna leise. „Aber du musst schnell sehen, dass du die Situation aufklärst! Ich gebe dir einen Tag, bevor ich Dante alles sage, klar?“
Verschämt sah Gomez seine Schwägerin an.
Er nickte verstört.
„Danke“, hauchte er, bevor er aus dem Raum stürmte.
Erst als er wieder in seinem Auto saß, holte er Luft.
Verdammte Scheiße!
Jetzt hatte er, Gomez, wirklich Mist gebaut!
Nicht so einen Mist, dass nicht einer seiner Brüder oder sein Cousin, Dante das wieder gerade bügeln konnte, nein, es war eher so ein Mist, der einen den Kopf kosten konnte.
Und dabei war er nur so da rein gerutscht...
Er konnte sich noch genau an den Moment erinnern, als Cristobal ihn auf dem Handy angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass sein Urlaub gecancelt wurde. Angeblich hatte er sich Sorgen um ihn, Gomez, gemacht.
Haha, welche Ironie!
Hinter ihm war doch niemand her. Gut, schön, Max hatte seinerzeit versucht, ihn in den Wahnsinn zu treiben, indem er seine Auftragsliste manipulierte, aber als Gomez dann in Urlaub ging, war er für Max so interessant wie eine Fliege auf der Toilette – sprich gar nicht.
Für einen Augenblick konnte sich Gomez einreden, dass Cristobal an allem Schuld war, aber innerlich wusste er, dass das nicht wahr war. Schuld war er – nur er allein.
Wie jetzt da wieder rauskommen?
Schön, Luna hatte ihm versprochen, den anderen noch nichts zu sagen, aber Gomez spürte genau, so schnell würde er die Misere nicht bereinigen können.
Was sollte er auch tun?
Zu der Frau gehen und das Buch zurückfordern?
Die würde ihm das ja auch sofort und mit klimpernden Wimpern aushändigen und voller Liebe hauchen: „Oh, Gomez, du hast mir ja so gefehlt...“
An die Story glaube er nicht mal selbst.
Nicht mal, wenn eine gute Fee vom Himmel herabsteigen würde, um ihm einen Wunsch zu erfüllen!
Verdammt, er brauchte mindestens zehn Wünsche, um auf einen grünen Zweig zu kommen!
Wo blieb diese vermaledeite Fee? Und warum brachte sie nicht ihre Schwestern mit?
Nachdem er sich satte zwanzig Minuten bemitleidet hatte, fasste er einen Plan.
Weitere zehn Minuten später stand er im Hotel am Empfang und machte ein respektables Gesicht.
„Ich möchte gerne zu Frau Steinweg“, sagte er mit allem Ernst, den er aufbringen konnte. „Können Sie mich bitte anmelden?“
Der Mann vom Hotel bedachte ihn von oben bis unten mit missbilligendem Blick.
Gomez konnte fast hören, was der dachte: Wie ist dieser Typ bloß angezogen? Als ob so eine Jeans vom Kaufhaus eine solche Lady begeistern könnte? Niedriges Arbeitervolk...
„Wen darf ich melden?“, näselte er arrogant.
„Gomez Da Cruz“ Er bedauerte es, keine Blumen gekauft zu haben.
Der Hotelmensch wandte sich ab, um zu telefonieren, und zwar so, dass Gomez ihn nicht hören konnte. Aber er war sich sicher, dass sie ihn empfangen würde. Schließlich waren alle Frauen von Natur aus neugierig.
„Frau Steinweg empfängt niemanden“, sagte der Hotelmensch und es schien ihm richtig Freude zu machen, dass Gomez dabei zusammenzuckte.
Sein Gesicht zog sich zusammen. „Wie bitte?“
„Sie haben mich gehört.“ Auch das schien dem Kerl zu gefallen.
Er bewegte den Kopf tuntig vor und zurück. „Ich muss Sie bitten zu gehen!“
Gomez fuhr sich durch die Haare. Im Gegensatz zu seinen Brüdern trug er sie kurz. Insgeheim dachte er sich, die anderen hätten nur ein Problem damit, rechtzeitig zum Friseur zu gehen.
Er nicht. Die Friseuse war fast wie eine feste Freundin für ihn!
Er stöhnte.
Dann drehte er sich einfach um und verließ das Hotel.
In der sich spiegelnden Glasfront sah er den Typen hämisch grinsen. Nur zu, dachte er, wer zuletzt lacht, lacht am besten!
Draußen setzte er sich wieder ins Auto.
Was wusste er also?
Sie war im Haus und wollte ihn nicht sehen.
Hmmm, wieso bloß nicht?
Wahrscheinlich weil dieser degenerierte Hotelmensch ihn falsch angemeldet hatte. Wenn der etwas mehr Enthusiasmus in die Bitte um ein Gespräch gelegt hätte, dann...
Gut, das lohnte sich nicht, darüber nachzudenken.
Wie kam er nun in die oberste Etage?
Er verließ das Auto und schlich sich durch die Vorhalle des Hotels, ungesehen von seinem Freund.
Die ersten paar Stockwerke ging er durchs Treppenhaus. Im sechsten hatte er dann Glück. Er konnte sich in den Fahrstuhl schleichen und bis zum Penthouse hochfahren.
Jetzt stand er vor ihrer Suite und knetete seine Hände.
Er klopfte an.
„Wer ist da?“ hörte er ihre entzückende Stimme von innen.
„Zimmerservice“, nuschelte er mit Akzent.
„Aber ich habe nichts bestellt!“
„Eine Aufmerksamkeit des Hauses!“ Zum Teufel, hoffentlich machte sie endlich auf.
Er hörte die Hand auf dem Türknauf, hörte, wie die Tür geöffnet wurde und dann stand sie vor ihm.
Ohne nachzudenken stieß er die Tür auf, enterte den Raum und schloss dieselbige wieder.
Dann erst erlaubte er sich, sie genau anzusehen.
Ihre Augen, so dunkelblau, so wunderschön, waren verwundert aufgerissen und ihr Mund, oh mein Gott, ihr wundervoller Mund mit den Lippen, die zum Küssen gemacht wurden, stand auf wie eine persönliche Einladung.
Gomez wusste, das war keine.
Sie trug ihre Haare offen, sie fielen in herrlichen Locken über ihren Rücken und er wünschte fast, er könnte in die mahagonifarbene Pracht greifen, um sie für immer festzuhalten.
Ihr Kleid, zweifelsohne ein Stück von La Diva oder Chez Mamí oder irgendeinem anderen exquisiten Ausstatter, hüllte ihren Körper aufs Faszinierendste ein und sie trug wie immer diese ach so hohen High Heels, die ihn verwundert fragen ließen, wie sie sich damit nur fortbewegen konnte. Aber das konnte sie – perfekt geradezu.
„Athena“ grüßte mit rauer Stimme.
Ihr Mund klappte zu und sie schluckte trocken. Dann zwinkerte sie. „Was tust du hier?“
„Denk mal genau nach!“, forderte er mit einem Grinsen auf den Lippen.
„Du bist hierher gekommen“, sie stemmte die Hände in die Seiten, „hast dich hierher geschlichen, um mir ein Jahr, nachdem du mich sitzengelassen hast, zu sagen... Ja, was eigentlich?“
Er konnte es nicht abstreiten. Sie hatte mit allem Recht, was sie sagte. Wieder stöhnte er.
„Dass es mir leid tut?“, versuchte er vorsichtig.
„Es tut dir leid?“ Ihre Stimme glitt noch ein winziges bisschen höher als gewöhnlich. Dann presste sie kurz die Lippen aufeinander. „Schön, ich habe dir zugehört. Jetzt mach, dass du wegkommst!“
Sie wollte die Tür wieder öffnen, aber Gomez stellte sich direkt davor und hielt sie praktisch mit seinem Körper zu.
Beide sahen sich an.
Jeder suchte in den Augen des anderen nach Verständnis.
„Athena“, meinte Gomez nach einer Weile mit Bedauern. „Du weißt, dass ich nicht so einfach gehen kann.“
„Ich kann den Hoteldienst rufen“, gab sie zu bedenken.
Er nickte. „Aber willst du das denn auch?“
„Nenn mir nur einen Grund, warum ich das nicht sollte.“
Ein Grinsen fand sich auf seinem Gesicht ein, kurz bevor er wieder ernst wurde. „Weil du mich genau so wenig vergessen konntest wie ich dich!“ Es war keine vorsichtige Frage, es war ein Statement! Und Gomez ließ sie nicht aus den Augen.
Sie senkte ihren Blick. „Das konnte ich nicht, du hast recht.“
Jetzt sah sie ihn wieder an. „Aber das heißt nicht, dass ich mich mir nichts dir nichts in deine Arme werfe und jubele, dass du wieder da bist!“
Das Lächeln von Gomez wurde ein bisschen selbstgefälliger.
„Warum nicht? Ich würde es tun.“
Sie stieß ihn vor die Brust, nicht fest, aber fest genug, dass er es spüren musste. „Die Arroganz steht dir nicht!“
Er fing ihre Hand ein und hielt sie fest. „Ich weiß, aber ich kann nicht anders als besitzergreifend zu grinsen. Wenn ich dich jetzt küssen würde, was würde dann passieren...?“ Mit einem Ruck zog er sie an sich.
„Dann würde ich vielleicht doch den Security-Service des Hotels rufen“, murmelte sie an seinem Mund.
„Das Risiko gehe ich ein!“
Gomez Lippen trafen ihre und ein Feuerwerk explodierte.
Es war so wie vor einem Jahr, als wäre er nie weg gewesen.
Die Zeit blieb stehen!
Etwa zehn Minuten später – sie hatten sich immer noch nicht von der Tür wegbewegt – legte Athena den Kopf gegen Gomez' Brust.
„Du wirst mir wieder genau so weh tun, wenn du gehst, nicht wahr?“, wisperte sie.
Gomez schwieg. Er wusste genau, er würde ihr wieder wehtun – allerdings nicht, wenn er ging...
„Wo hast du es?“, flüsterte er leise in ihr Ohr.
Verwirrt hob sie den Kopf, während er seine Sinne in ihren herrlichen Augen versinken ließ. „Was meinst du?“
„Das Buch“, sagte er mit Nachdruck und registrierte ein leichtes Zusammenzucken ihrerseits. „Das Buch, das du gestohlen hast.“
Im nächsten Moment lag er auf dem zugegebenermaßen sehr weichen Teppichboden und sie stand über ihm, in ihren beiden Händen eine Pistole. Wo hatte sie die denn hergeholt?
Vorwurfsvoll sah er sie von unten her an. „Stehst du neuerdings auf die harte Tour, oder wie darf ich das jetzt deuten?“
Sie legte den Sicherheitshebel um und zielte direkt auf seinen Kopf. „Was weißt du davon?“ Ihre Stimme hatte leicht gezittert.
„Bitte!“ Gomez legte sarkastisch das Gesicht in Falten. „Ich hab ein bisschen mehr drauf als Blümchensex. Oder hast du vergessen, was wir...“
„Schhht!“, unterbrach sie ihn ungehalten und wedelte ein wenig mit der Waffe. „Was weißt du über das Buch?“
„Zumindest soviel“, ließ sich Gomez vernehmen, ohne seiner Stimme den süffisanten Unterton zu nehmen, „als dass du es direkt aus dem Gebäude des Asteriums gestohlen hast. Womit wir beim Thema wären!“
„Gomez, du liegst auf meinem Teppich und ich bedrohe dich mit einer geladenen Waffe!“, erinnerte Athena ihn nicht mal unfreundlich. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?“
„Mein zuversichtliches Lebensgefühl und die Tatsache, dass ich eben noch meine Zunge in deinem Mund hatte“, grinste der auf dem Teppich Liegende frech, „hat schon etwas damit zu tun.
Außerdem hast du mich gerade erst wiedergefunden. Du willst mich sicherlich nicht gleich erschießen, nur weil ich über deinen kleinen Einbruch sprechen will.“
„Führe mich nicht in Versuchung!“, wusste sie nur dazu zu sagen. Sie hielt nach wie vor die Waffe auf ihn angelegt.
Gomez legte den Kopf schief und sah sie mit Dackelblick von unten her an. Wenn das nicht wirkte...
Mit einem kurzen Ruck trat er ihr die Beine weg, und als sie auf ihn stürzte, nahm er ihr mit einer geschmeidigen Bewegung die Waffe ab. Gleich darauf lag sie unter ihm und er hielt sie fest.
„Herumzappeln wäre jetzt sehr kontraproduktiv!“, riet er ihr noch, bevor sie wie auf Kommando erstarrte.
„Geh runter!“, wagte sie zu sagen. Ihr Atem ging schwer.
„Wenn ich das nur könnte...“ Seiner ebenfalls.
„Gomez, komm zum Punkt“, forderte Athena und durchdrang ihn mit ihrem Blick. „Das ganze Hin und Her macht mich verrückt!“
Sie hielt ganz still, während er sich ebenfalls bemühte.
„Ich will das Buch!“ Damit sprang er auf und zog sie mit sich hoch. Die Waffe warf er einfach in den Nebenraum, wo sie mit einem Scheppern liegenblieb. „Die brauchen wir nicht.“
Sie schwankte leicht und er stützte sie. „Also: wo ist es?“
„Ich weiß nicht, was du meinst.“ Die Lüge glaubte sie selbst nicht. Es war einfach lächerlich, so Zeit schinden zu wollen.
Aber wenn sie es schaffte, ihn hinzuhalten, kam vielleicht gleich jemand vom Personal und sie konnte ihn hinauswerfen lassen.
Sie selbst hätte es nicht geschafft. Was war das nur für eine Anziehungskraft, die er auf sie ausübte? Er war doch nur ein Mann wie alle anderen auch. Das hieß...
„Gehörst du zu denen?“, fragte sie dann sacht.
Gomez hatte sie angelächelt, die Lüge sofort durchschaut. Als sie ihn nach seiner Berufung fragte, stutzte er etwas. „Zu denen?“
„Den Traumfängern!“ Athena bewegte sich nicht, ließ ihn aber auch nicht aus den Augen.
„Was weißt du darüber?“, wollte er wissen. Er wurde einfach nicht schlau aus ihr. Was machte sie hier nur für ein Theater?
Sie sollte ihm das Buch geben, dann würde er irgendwie mit Dante verhandeln, dass ihr nichts passierte – und vielleicht konnte man dann wieder zueinander finden. Die Sache war doch ganz klar! Worauf wartete sie? Nicht, dass er das Streitgespräch nicht bislang genossen hätte...
„Und du?“, war ihre Gegenfrage.
Er stöhnte auf. „Gut, Coming out: Ich gehöre zu denen, du nicht, das weiß ich genau. Du hast das Buch gestohlen, ich muss es wieder haben. Hol es her, dann bist du relativ aus dem Schneider.“
Als er sich zu den Traumfängern bekannt hatte, leuchteten Athenas Augen kurz auf, dann bemühte sie sich um ein gleichgültiges Gesicht. Sie schüttelte ihr Haar nach hinten, einfach, um irgendwas zu tun. „Ich bestreite, dass ich irgendwas gestohlen habe“, sagte sie bestimmt und wartete ab, wie er nun darauf reagieren würde.
„Du hast sehr gut ausgesehen auf dem Überwachungsvideo“, war seine einfache Antwort. „Ich habe dich sofort erkannt, auch wenn du den Kameras so gut es ging ausgewichen bist.“
„Eine Täuschung“, bot sie an. „Das war ich nicht! Im Übrigen lasse ich das durch meine Anwälte bereinigen oder verklage euch wegen Rufmord. Und jetzt kommst du!“
Gomez lachte gequält auf und schüttelte den Kopf. „Dann weißt du nur halb so gut Bescheid wie ich dachte. Das ist kein Kaffeekränzchen! Glaubst du, wir scheren uns um irgendwelche Anwälte? Da kommt ein Überfallkommando der Beschützer des Asteriums, deren Uniform du so gut gefälscht hast, und holt dich ab, bringt dich in eine Zelle und dann darfst du froh sein, wenn du dein Leben behältst. Vielleicht willst du es anschließend auch gar nicht mehr. So geht das bei uns!“
Sie hob die Arme in die Luft und sah sich um. „Und wo sind sie, deine Beschützer? Ich sehe niemanden außer dir!“
„Vielleicht, weil ich dir das nicht zumuten wollte, du Dummerchen!“, brüllte Gomez, indem er rot im Gesicht wurde.
„Komischerweise liegt mir was an dir und ich möchte trotz allem nicht, dass dir was passiert!“ Er atmete tief ein und beruhigte sich minimal. „Und jetzt hol in drei Teufels Namen das verdammte Buch!“
Beide erschraken, als man ein Geräusch von der Tür hörte.
Dann ging diese auf und zwei Männer in Anzügen mit Tüten auf dem Arm kamen herein, stutzten, als sie Gomez sahen.
„Frau Steinweg, wir haben alles...“ Der größere der beiden Männer stellte die Tüte auf den Beistelltisch und glitt schnell an Athenas Seite. „Alles in Ordnung hier?“
Auch der zweite Anzugträger wurde seine Einkaufstasche erstaunlich schnell los und stellte sich unauffällig in Position, gleich einen Kampf zu beginnen.
Gomez nahm es wahr und es beunruhigte ihn etwas. Er warf Athena einen eindringlichen Blick zu, sah das Glimmen in ihren Augen.
Verloren, er war verloren...
„Tony, könnten Sie bitte meinen Gast hinaus bitten?“, sagte sie auch schon in dem Moment und brachte sich hinter den angesprochenen. Er wirkte recht bullig und durchtrainiert. Nichts für eine saftige Schlägerei, fand Gomez.
„Selbstverständlich!“ Der braunhaarige Tony ging einen Schritt auf ihn zu und runzelte die Augenbrauen, was ihm ein leicht boshaftes Aussehen verlieh, das Gomez' Meinung nach absolut gewollt war.
Der andere Mann öffnete die Tür und machte eine Geste.
Gomez hob die Hände, um zu zeigen, dass er absolut ungefährlich war und auch keinen Ärger machen würde. „Alles ist gut, keine Aufregung, bitte!“ Dann sah er Athena nochmal an.
„Du weißt, dass das nicht das Ende ist, ja?“ Langsam bewegte er sich Richtung Tür.
„Das hat sich wie eine Drohung angehört!“, fand der zweite Mann, blond, mit blauen Augen ohne Wiedererkennungswert, und bewegte sich ebenfalls im Schneckentempo auf Gomez zu, wartete aber offensichtlich auf ein Wort von Athena.
Die sagte nichts.
Tony packte Gomez am Kragen und ging mit ihm aus der Tür.
Dann endlich kam ein Einwand von Athena. Aber er war nicht allzu gut für ihn, geradezu schlecht. „Tut ihm nicht zu weh...“
Die Tür knallte zu und Gomez ließ sich von Tony widerstandslos in den Fahrstuhl ziehen.
Der Blonde bediente den Knopf Richtung Parkhaus. Na toll!
„Leute!“, meinte Gomez ruhig und trocken. „Ich hab es ja verstanden, dass ich unerwünscht bin.“ Er sah dabei den Knopfdrücker unverwandt an. „Es wäre unglaublich nett, wenn ihr mich einfach irgendwo raus lasst und ich nach Hause gehe.
Wir wollen doch alle keinen Ärger, oder?“
Tony gluckste. „Na, das hätten Sie sich überlegen müssen, bevor Sie Frau Steinweg bedrohten!“ Er nickte seinem Kollegen zu. „Was meinst du, Jörg, scheißt er sich schon in die Hosen, bevor wir ihm Manieren beigebracht haben?“
Oh ja, ganz toll! Es lief also wirklich darauf hinaus, dass sich Gomez verteidigen musste. Das hatte ihm noch gefehlt!
Jörg lachte wie über einen guten Scherz.
„Ihr seid zu zweit“, fand Gomez. Man musste vielleicht einfach nur an den guten Willen appellieren. „Findet ihr das nicht reichlich unfair?“
„Das Leben ist nun mal kein Ponyhof!“, wusste der blonde Jörg mit feixendem Gesicht zu sagen.
Dämliche Aussage, fand Gomez.
Sie waren angekommen.
Tony zog Gomez in eine unbewachte Ecke und holte aus, während Jörg den Aufpasser spielte.
Sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht!
Gomez hatte Unterricht im Kampf gehabt, seitdem er laufen gelernt hatte. Und nicht nur mit dem Schwert, das er übrigens auch unter dem Mantel hatte. Sein Großvater hatte darauf bestanden, dass alle seine Enkel sich angemessen verteidigen konnten und so kam ihm das heute zugute.
Er duckte sich unter dem Schlag weg, machte eine Drehung und stieß Tony in den Rücken, so dass der nach vorne stolperte und beinahe den Boden küsste.
Dann packte Gomez Jörg am Schlafittchen und warf ihn in Richtung Tony, so dass beide übereinander fielen.
So hätte es sein sollen.
Tatsache war allerdings, dass sowohl Tony als auch Jörg ihre Hausaufgaben als gute Bodyguards gemacht hatten, und so stellten sie sich blitzschnell auf die neue Situation ein, nämlich, dass er, Gomez, nicht so unbedarft war, wie sie gedacht hatten.
Ende vom Lied: Gomez lag auf dem Boden, seine Nase blutete, sein ganzer Körper war übersät mit blauen Flecken und seine Kleidung ruiniert. Das Schwert hatte er nicht mal gezogen.
Jörg griff in seine Haare und hob den Kopf an. „Wir wollen dich nie wieder in der Nähe von Frau Steinweg sehen, klar?“
Die Bestätigung wartete er nicht ab. Abgang mit Tony. Nicht, dass Gomez etwas hätte sagen können, er versank gerade in seinen Schmerzen.
Das war ihm lange nicht passiert!
Eine Stunde und ein paar verunglückte Anläufe später saß er endlich in seinem Auto und konnte mit zusammengebissenen Zähnen das Parkhaus verlassen.
Wie er letztendlich in der dunklen Instanz ankam, konnte er nicht mehr sagen. Auch nicht, wie lange er dort im Auto gesessen hatte.
Irgendwann quälte er sich raus und fand nur mühsam seinen Raum, wo er sich erst einmal unter die Dusche begab.
Später, viel später, als er im Bademantel auf dem Sofa saß, überlegte er, wie es denn nun weitergehen sollte.
Er hatte das Buch nicht bekommen.
Und allein schaffte er es auch nicht, das war ihm klar geworden.
Wären es nur Athena und er, die das Spiel spielten, dann hätte er es hinbekommen – aber diese beiden Heinis, die im früheren Leben offenbar Straßenschläger gewesen sein mussten, würden ihm immer wieder in die Quere kommen.
Wer würde ihm helfen?
Dante?
Scheiße, der würde so schnell wie möglich die Beschützer informieren, so dass Athena in Gewahrsam kam – die Idee war einfach beschissen.
Weiter. Cristobal?
Bessere Idee, wenn auch nicht optimal. Der würde sofort in das Hotel gehen, die beiden Heinis umnatzen, Athena links und rechts ohrfeigen und dann das Buch mitnehmen. Hm, nicht ganz Gomez' Geschmack, aber effektiv.
Allerdings könnte er sich dann eine weitere Beziehung mit Athena abschminken. Also, weiter...
Pablo?
Höchstwahrscheinlich hatte ihm Luna eh schon alles gesagt, und er war auf dem Weg zu Cristobal.
Und von der Gegenseite, Gabriel?
Na, den konnte er mal schnell vergessen!
Herrje, das war doch alles scheiße! Alle Pläne schienen einen Haken zu haben.
Musste er das denn wirklich allein durchziehen?
Es klopfte.
Wer immer das auch war, er würde ihn hier im Elend vorfinden.
„Ist offen“, nuschelte er, da sein Gesicht stark geschwollen war.
Luna steckte den Kopf durch die Tür und stieß einen Laut aus, der im besten Falle als Quieker durchgehen konnte.
Schmerzhaft verzog Gomez das Gesicht. Sogar Töne taten weh!
Im Nu war sie ganz im Raum und stand händeringend vor ihm.
„Gomez, was ist dir denn passiert? Geht es dir gut?“
Welche Frage! Das konnte doch ein Blinder mit Krückstock sehen, dass es ihm nicht gut ging!
„Super“ näselte er.
Sie besah ihn von oben bis unten, um dann den Raum gleich wieder zu verlassen. „Ich hole einen Heiler, bleib hier und beweg dich nicht!“
Oh Mann! Das würde die ganze verdammte Instanz mitbekommen!
Und wie sollte er sich denn bewegen? Schon alleine nachdenken tat weh! Luna war echt lustig!
Es kam ihm wie eine Minute vor bis sie wiederkam, aber tatsächlich waren wohl eher fünf vergangen. Sie hatte Elisa im Schlepptau.
Warum verstanden die beiden sich nur so gut? Schließlich war Elisa zuerst mit Pablo zusammen gewesen, dann aber hatte sie ihn kurzfristig betrogen und er hatte Luna kennengelernt. War schon komisch, dass die beiden trotzdem Freundinnen geworden waren.
Elisa trug ihre Haare kurz, seit sie in einem Wortgefecht mit Max damals unfreiwillig eine neue Frisur bekommen hatte. Das gab ihr etwas Spitzbübisches. Aber seitdem war sie auch etwas mehr in sich gekehrt, haderte ab und zu mit ihrem Leben. Warum fiel das Gomez gerade jetzt auf?
„Scheiße“, fluchte die Heilerin und ließ ihre Hände über ihn schweben. „Bist du unter die Räder gekommen, oder was?“ Sie wartete gar nicht auf eine Antwort und fuhr weiter fort, ihn zu untersuchen. „Deine Nase und dein Jochbein sind gebrochen, des weiteren drei deiner Rippen und du hast überall Hämatome.
Das wird eine Vollheilung! Wie sieht der andere aus?“
Er zeigte mit der rechten Hand zwei Finger, ohne zu viel zu bewegen.
„Ach“, nickte sie und begann mit der Heilung. „Es waren zwei?
Na dann verstehe ich auch, warum du so aussiehst.“
„Ich hab dich mal mit Pablo trainieren sehen“, ließ sich Luna vernehmen. „Du warst so schnell mit dem Schwert. Ich kann gar nicht verstehen, dass du dich so hast zurichten lassen.“
„Weil ich kein Schwert benutzen konnte“, grummelte Gomez. Es hörte sich an, als hätte er Watte im Mund.
„Nicht reden!“, befahl Elisa, die gerade am Gesicht heilte. Das grüne Licht, das aus ihren Händen zu kommen schien, blendete ihn fast. Doch er bemerkte schon, dass es wirkte.
Langsam ging es ihm besser.
Er atmete tief durch. Oh, war das schön, wenn der Schmerz nachließ.
„Kann er jetzt reden?“, wollte Luna ungeduldig wissen, und registrierte das Nicken von Elisa. „Wer hat das getan?“
Na, das hätte er sich ja denken können, dass jetzt das Verhör kommen musste. Er stöhnte in sich hinein.
„Zwei Bodyguards, die wirklich gut ausgebildet waren“, gab er dann nach einer Weile zu. Seine Stimme klang wieder normal und er konnte gut sprechen.
„Wessen Bodyguards?“, fragte Elisa und beendete die Heilung.
Sie sah ihn ernst an. „Du musst aufpassen, das kann auch mal nach hinten losgehen!“
„Ja, ich weiß“, seufzte der Gescholtene.
„Hat das was mit der Sache heute Morgen zu tun?“, fragte Luna und hielt ihren Kopf schief.
„Das weißt du doch schon“, stöhnte Gomez. „Oder etwa nicht?“
Sie zuckte die Schultern und lächelte etwas gezwungen.
„Spätestens jetzt ja.“
„In der nächsten Zeit keine Schlägereien!“, warf Elisa dazwischen. „Ich konnte die Kallusbildung anregen und die Knochen sind jetzt einigermaßen stabil, aber das hält nicht, wenn du dir da wieder einen darauf geben lässt.“ Fast hatte sie sich wie eine Krankenhausärztin angehört. „Kann ich sonst noch was tun?“
„Danke dir!“ Er schüttelte den Kopf und zwinkerte ihr zu.
Sie zwinkerte zurück und schickte sich an zu gehen. „Ruft mich, wenn noch was ist. Ich bin verschwiegen.“
Damit verließ sie das Zimmer und ließ Luna und Gomez allein zurück.
Der wusste genau, das das Verhör jetzt umgehend weiter gehen würde. Wieder seufzte er.
Dass Luna ihn problemlos durchschauen konnte, da sie ja jedes seiner Gefühle prima lesen konnte, war ihm jetzt gar nicht so recht, aber was sollte er tun?
„Bevor du fragst“, sagte er mit dumpfer Stimme, „ich habe das Buch nicht bekommen.“
„Das wäre ja auch zu einfach gewesen, nicht?“ Luna lächelte wieder.
Lächelte sie eigentlich immer so viel? Das fiel ihm gerade auf.
Möglicherweise benutzte sie das, um eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Und jeder fiel darauf rein!
„Ich brauche mehr Zeit!“ Die Forderung unterstrich er mit einem grimmigen Aufblitzen in den Augen. „Du kannst es Pablo, Cristobal oder Dante nicht sagen – noch nicht!“
Die Frau seines Bruders senkte den Blick. „Den Teufel werde ich tun und zu Cristobal rennen. Der Typ macht mir Angst! Ich weiß nicht, wieso es Nina mit dem aushält. Allerdings: bei ihr ist er wie ein zahmes Lämmchen und uns andere grollt er an wie der Wolf aus Rotkäppchen.“ Sie schüttelte sich. „Was Pablo betrifft: er könnte dir vielleicht helfen, wenn du es nicht alleine schaffst.
Meinst du, du kommst klar? Nach dieser Schlägerei heute bin ich mir da nicht so sicher.“
Sie hatte nicht mit einem Wort gefragt, woher er die Frau auf dem Überwachungsvideo eigentlich kannte. Und dafür war er ihr sehr dankbar. Aber er wollte nicht so unter Druck gesetzt werden. Als ob er nicht schon so genug unter Druck stand...
„Wenn ich allein mit ihr reden könnte, wäre das Problem nicht so groß“, gab er zu. „Aber die beiden Heinis! Sie wird diese Kerle immer wieder vorschicken und so lange ich nicht an denen vorbei komme...“
„Pablo würde dir helfen“, bot Luna nochmal an. Sie kannte ihren Ehemann sehr gut.
Auch Gomez wusste, Pablo wäre sofort zur Stelle, würde er nur ein Wort sagen. Aber er wollte das gar nicht! Er hatte vielmehr den Eindruck, er müsse das endlich mal allein hinbekommen.
Sein ganzes Leben lang waren alle für ihn dagewesen, da er der jüngste war. Und da machte es auch gar nichts, das Pablo nur dreißig Sekunden früher zur Welt gekommen war, Gomez war das Nesthäkchen! Und so fühlte er sich auch: ein Typ, der immer die Hilfe von allen anderen brauchte.
„Den Mist, den ich verbockt habe“, sagte er heftiger als nötig, „den muss ich selbst ausbaden!“
„Schon gut.“ Luna berührte ihn am Arm. „Es ist keine Schande, falls du das meinst.“
Er entzog sich ihr. „Ich schaffe das schon. Es fehlt mir nur einer, der die Typen ablenkt.“ Jetzt fand er ihren erstaunten Blick.
„Meinst du, du kannst das?“
„Ich?“ Luna zog die Luft zischend ein. „Bist du verrückt? Wie soll ich denn zwei Schlägertypen ablenken?“
„Na, wie schon?“ Für Gomez schien das kein Problem darzustellen. „Du klimperst mit den Wimpern, knöpfst die Bluse etwas mehr auf. Eben das, was ihr Frauen so macht!“
Sie war ernsthaft verstimmt, bewegte sich zur Tür hin. „Das ist ja wohl die Höhe! Du bist immer noch bedröhnt von deiner Schlägerei! Frechheit! Ich glaube es nicht!“
Dann klappte die Tür und Gomez war allein.
Hm, zumindest hatte er Aufschub bekommen. Luna würde nicht mit Pablo reden, solange sie ihm nicht nochmal dafür die Leviten gelesen hatte – das wusste er genau.
Die Tür schlug wieder auf und Luna kam in einer Wolke duftenden Parfüms rein.
Scheiße, das war aber schnell gegangen!
„Hätte ja fast geklappt, was?“, scherzte sie und erhob den Finger. „Ich wäre auch beinahe drauf reingefallen, aber im letzten Moment fiel mir auf, dass du mich mit Absicht wütend machen wolltest, damit ich dich nicht mehr ausfrage! Böser Schwager!“
Gomez grinste. Sie war nicht wirklich böse, so viel war ihm auch klar. Aber es wäre einfacher für ihn gewesen.
„Was willst du wissen?“, stöhnte er. „Wie ich sie kennen gelernt habe? Oder warum ich sie wiedererkannt habe? Bitte zwing mich nicht, dir alles zu erzählen. Dafür schäme ich mich viel zu sehr.“
Luna nickte. „Das sehe ich dir an. Na ja, dann verrate mir doch erst einmal ihren Namen. Das wäre schon mal ein Anfang.“
Er sagte es ihr.
Eine volle Minute lang starrte sie ihn an. Ohne mit den Wimpern zu zucken. Ohne eine Regung zu zeigen.
„Athena Steinweg?“, flüsterte sie danach ergriffen. „Die Athena Steinweg?“
Mitleidsvoll nickte er.
„Die Erbin des Millionenkonzerns?“, fragte sie weiter, nicht mehr so arg überwältigt. „Die, deren Slogan ist: Steinweg – der Weg zum Erfolg?“
Wieder nickte er.
„Die Frau, die nur hochqualitative High Heels von namhaften Herstellern trägt?“ Luna hing an seinen Lippen.
„Jepp“ Gomez konnte nur bestätigen.
„Oh. Mein. Gott!“
Auch das konnte Gomez nur bestätigen.
Eine Weile lang ging Luna nur durch den Raum, kopfschüttelnd, Dinge murmelnd und hie und da anhaltend.
„Wie hast du sie kennengelernt?“, fragte sie dann völlig atemlos.
„Und: kannst du mich vorstellen?“
Er zuckte mit den Schultern. „Im Moment ist unser Verhältnis – sagen wir mal reichlich angespannt...“
„Verdammt!“ Sie begann wieder, mit kleinen Schritten durch den Raum zu gehen. Plötzlich blieb sie wieder stehen. „Wieso sollte eine unsagbar reiche Frau ein Relikt der Traumfänger stehlen müssen? Kannst du mir das mal sagen?“
„Wenn ich es wüsste, würde ich das tun“, ließ sich Gomez vernehmen. „Sie hat versucht, den Diebstahl abzustreiten, aber im Endeffekt wussten wir beide, dass sie es getan hat.“
„Das kann ich niemandem erzählen“, murmelte Luna. „Das würde mir eh keiner glauben. Aber, wenn ich so darüber nachdenke, kann ich mich an die Schuhe entsinnen, die sie im Überwachungsvideo trug. Das könnten Manolo Blahniks gewesen sein...“
„Sie trägt nur diese hohen Schuhe“, bestätigte er und nickte dazu. „Sogar ihre Hausschuhe haben einen Mörderabsatz. Nur im Bett zieht sie die aus.“
„Uhhhh“, machte Luna und verzog das Gesicht. „Zu viel an Informationen!“
„Du hast es so gewollt“, grinste er. Langsam kam sein Humor wieder zum Vorschein. Die Lage konnte noch so beschissen sein, seinen Humor durfte man niemals verlieren. Das hatte sogar sein Großvater immer gesagt.
Während sie sich vor die Stirn schlug und versuchte, die dummen Bilder aus dem Kopf zu bekommen, nahm er sie beim Arm und hielt sie fest. „Luna, würdest du mir helfen? Du brauchst dir auch nicht die Bluse aufzuknöpfen.“
„Grrrrr!“ Tatsächlich knurrte seine Schwägerin ihn an. „Du weißt offenbar genau, dass ich dir nichts abschlagen kann! Aber das kostet dich was!“
Und er wagte nicht mal darüber nachzudenken, auf welche Weise sie ihn dafür bluten lassen würde.
Tony fuhr gerade das Auto vor, während Jörg bereits im anderen Wagen saß, in dem sich auch die Utensilien befanden, die Frau Steinweg mitzunehmen gedachte. Außerdem war es ein hervorragendes Ablenkungsmanöver, falls irgendein Spasti plante, seine Auftraggeberin zu entführen. Und bislang lief alles nach Plan. Jörg saß in dem auffälligen Porsche und war schon vorgefahren, er in dem gut ausgestatteten Mercedes, der einen bequemeren Fahrkomfort für die Insassen bedeutete. Und der war auch nicht so präsent, eher unaufdringlich.
Er parkte den Wagen am Randstein und sah in den Rückspiegel.
Gleich musste Frau Steinweg auftauchen, dann könnten sie losfahren.
Im nächsten Moment wurde die Fahrertür aufgerissen und er fühlte ein... scharfes Schwert? an seiner Kehle.
Mit einem trockenen Schlucken folgte sein Blick dem Arm, der das Schwert hielt.
Es war ein weiblicher Arm, deutlich erkennbar an den sauber manikürten Fingernägeln in zartem Rosa. Nicht mal schwule Metrosexuelle hätten die Farbe benutzt.
Das Schwert kitzelte an seinem Hals und er wagte nicht, sich zu bewegen.
In der Autotür erschien ein Kopf – ein sehr hübscher Kopf.
Er gehörte zu einer molligen Frau mit honigfarbenden Haaren, die in der Sonne gülden aufblitzten.
„Sind Sie Tony oder Jörg?“, fragte die Frau und ihre Stimme hörte sich fast wie die eines Engels an.
„Tony“, hauchte er entgeistert.
„Oh“, machte der goldene Engel. „Dann haben Sie meinen Schwager Gomez arg verprügelt!“ Ihr Gesicht verzog sich missbilligend. „Das ist nicht amüsant, mein Freund!“
„Vielleicht sollten Sie besser den Käsedolch von meinem Hals nehmen, bevor ich ernstlich böse werde!“ Tony hatte sich gefangen und versuchte, sich etwas vorzubeugen.
„Na, na, na!“, schimpfte Luna und drückte das Schwert etwas fester an Tony heran. Es trat ein Tropfen Blut aus.
Ihm trat hingegen der Schweiß aus. Die meinte das wirklich ernst?
„Und, was glauben Sie, wie lange wir in dieser Position verharren können, Schätzchen?“, fragte er und versuchte, mit der Hand an seine Waffe zu gelangen.
Wieder drückte Luna etwas fester zu. „Ich schätze es nicht, von Ihnen mit einem Kosenamen betitelt zu werden! Lassen Sie Ihre Hände am Lenkrad, sonst muss ich böse werden!“
Herrgott, wie lange brauchte Gomez denn nur?
Gerade, als sie das gedacht hatte, ging die Beifahrertür auf, Gomez glitt ins Fahrzeug und schlug Tony mit der Faust ins Gesicht.
Mit einem nuschelnden „Ummpf“ sackte der zusammen und verlor das Bewusstsein.
Luna zog das Schwert weg und atmete erleichtert aus. „Das, mein liebster Schwager, das kostet dich mindestens ein Paar Jimmy Choos!“
Er wusste nicht mal, was das war, aber er hatte eine dunkle Ahnung, dass sie von Schuhen sprach.
Frauen und Schuhe...
Während er den bulligen Tony auf den Rücksitz verfrachtete, stieg Luna vorne ein und startete den Wagen.
Dann fuhr sie mit Tony davon, Gomez noch zuwinkend.
So weit, so gut!
Der Plan schien zu funktionieren – bis jetzt jedenfalls...
Justamente verließ Athena das Hotel, trat auf die Straße und bewegte sich zu der Stelle, wo eigentlich Tony hätte warten sollen.
Sie schaute sich um, offenbar verwirrt, wo der denn jetzt war.
Dann trat Gomez aus seinem Versteck.
„Was verloren?“, fragte er süffisant.
Eines musste man Athena Steinweg lassen. Sie reagierte nicht so, wie man es von einer reichen Frau erwarten würde.
Sie kreischte weder, noch fing sie an zu heulen oder ihm Geld anzubieten, wenn er sie verschonen würde.