Die Treppe zum Meer - Martha Grimes - E-Book

Die Treppe zum Meer E-Book

Martha Grimes

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Beschreibung

Ein spannender Fall für Inspektor Jury vor der stimmungsvollen Kulisse Cornwalls

Eigentlich wollte Melrose Plant, seines Zeichens Aristokrat und langjähriger Freund von Inspektor Jury, in Ruhe seinen Aufenthalt an der Küste Cornwalls genießen. Doch eine Serie von Todesfällen hält das Dorf in Atem. Gibt es einen Zusammenhang mit dem lange zurückliegenden, rätselhaften Tod zweier Kinder? Als die Ermittlungen der örtlichen Polizei ins Stocken geraten, hat Inspektor Jury eine zündende Idee...

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MARTHA GRIMES

DIE TREPPE ZUM MEER

Roman

Buch

Eigentlich wollte Melrose Plant, Aristokrat und langjähriger Freund von Inspektor Jury, in Ruhe seinen Aufenthalt an der idyllischen Küste Cornwalls genießen. Das passende Anwesen dazu hat er bereits ins Auge gefasst: Es ist das leer stehende Herrenhaus der Familie Bletchley, das düster und wildromantisch auf der Spitze einer steil abfallenden Klippe thront und einen herrlichen Blick über das Meer eröffnet. Allerdings umgibt den Ort eine tragische Melancholie – denn vor Jahren ertranken unter ungeklärten Umständen beide Kinder der Besitzer am Fuße der Klippen. Plant beschließt gleichwohl zu bleiben. Schon bald schließt er Bekanntschaft mit einigen Bewohnern des Dorfes, vor allem mit einem exzentrischen alten Amerikaner, der ein exklusives Sanatorium für gehobene Ansprüche führt, und mit dem jungen Lebenskünstler und Hobbyzauberer Johnny, den Plant in sein Herz schließt. Eines Tages jedoch verschwindet Johnnys Tante, Chris Wells, spurlos – und kurze Zeit später wird auf einem Küstenpfad eine Frau erschossen aufgefunden. Handelt es sich bei ihr um die Vermisste? Und gibt es womöglich eine Verbindung zwischen diesem Mordfall und dem rätselhaften Tod der Bletchley-Kinder? Als die Ermittlungen der örtlichen Polizei ins Stocken geraten, wendet sich Plant an seinen Freund Inspektor Jury. Und der hat eine zündende Idee …

Autorin

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Lamorna Wink« bei Viking, New York

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1. Auflage Copyright © der Originalausgabe 1999 by Martha Grimes All rights reserved Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2000 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

Meinen Kusinen Joanna und Ellen Jane

Oh!My name is John Wellington Wells,I’m a dealer in magic and spells,In blessings and curses,And ever-filled purses,In prophecies, witches, and knells.

Inhaltsverzeichnis

Buch und AutorinCopyrightWidmungTEIL I - WEISST DU NOCH?
Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19
TEIL II - ZAUBER UND HEXEREI
Kapitel 20
TEIL III - FLUCH UND SEGEN
Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53
TEIL IV - STELLA IM STERNENLICHT
Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62
TEIL V - DER UNGEBETENE GAST
Kapitel 63Kapitel 64Kapitel 65Kapitel 66Kapitel 67

TEIL I

WEISST DU NOCH?

1

Auf dem Kopf hatte er immer noch seine Taxifahrerkappe – eigentlich müsste er sie in seine Nummer einbauen, dachte Johnny, weil sie für einen Zauberer so ungewöhnlich war. Er saß am Spieltisch und ließ die Karten geschickt in der Hand verschwinden. Immer wieder gelangte die Herzdame nach oben. Sie bewegte sich fast wie von selbst dorthin.

Es war total einfach. Er staunte immer wieder, dass die Leute nicht dahinter kamen. Beim Zaubern ging es etwa um das Gleiche wie bei einem Mord oder in einem Kriminalroman: Ablenken, falsche Fährten legen – so einfach war das. Hier eine Spur legen, und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf etwas ganz anderes ganz woanders lenken. Es kommt darauf an, wie ein Zauberer seine Hände einsetzt. Sieht er die eine Hand scharf an, dann tut es das Publikum auch. Dadurch ist die andere frei und kann hinter den Kulissen agieren.

Er schloss die Augen und stützte sich mit dem Ellbogen auf den Spieltisch. Abgesehen von der Truhe in der Fensternische hinter ihm war der Spieltisch das interessanteste Möbelstück im Cottage. Seine Tante Chris hatte ihn – zusammen mit einigen anderen Stücken – aus dem Nachlass ihrer Tante geerbt. Er war faszinierend, er verlieh dem Haus jenes gewisse »Las Vegas«-Flair, wie Chris immer gern betonte. Der Tisch war groß, rund und mit grünem Filzflanell bespannt. Außen herum waren lauter kleine Schubladen angebracht, in denen man Spielkarten, Roulettechips und alles Mögliche aufbewahren konnte.

Nun rieb Johnny die glatte Karte blank, la carte glissée. Der Klang gefiel ihm: la carte glissée. Er steckte sie wieder zu den anderen und drückte den Stapel fest mit dem Daumen herunter. Dann breitete er die Karten fächerförmig aus und tastete sie vorsichtig ab. Da war sie, die glatte Karte. Eine nützliche Karte für allerhand Tricks.

Chris sah seiner Mutter sehr ähnlich. Das war auch das Einzige, was er mit ihr gemeinsam hatte. Seine Mutter hatte sich schon vor Jahren aus dem Staub gemacht. Sein Vater war tot.

So ist das Leben, sinnierte Johnny, während er den Kreuzkönig nach oben schob. Leben bedeutet brutale Umkehrungen im Bruchteil einer Sekunde.

Man dreht den Kopf und hat es schon verloren.

Man blinzelt, und schon ist es an einem vorbeigerast.

Man zwinkert, schon ist es weg.

2

»Bringen Sie nur ein Kännchen Gift«, sagte der elegante Herr und legte die Speisekarte des Woodbine Tea-Room wieder behutsam zwischen das Salzfässchen und die Zuckerdose.

Johnny verzog keine Miene, während er sich die Bestellung notierte. »Einmal?«

Der elegante Herr nickte. »Und für mich ein Kännchen China-Tee. Ach ja, und nicht zu vergessen einen Teller mit Scones.« Melrose sah auf seine Armbanduhr. »Sie hat sich wahrscheinlich verirrt.«

China-Tee, Scones, notierte Johnny. »Einen China-Tee, einmal Gift, eine Portion Scones.«

»Na, sagen wir, zweimal das volle Teegedeck. Was sein muss, muss sein, wir sind schließlich in Cornwall, stimmt’s? Sorgen Sie aber unbedingt dafür, dass die Kuchenplatte immer in Reichweite steht.«

Johnny schrieb die Bestellung auf und nickte. »Mit den Scones warte ich noch, die sollen ja nicht abkühlen. Ich meine, bis Ihre Freundin eintrifft.«

»Hmmm, hmmm. Das Gift ist für sie.«

»Sie muss ja eine tolle Nummer sein.«

Während er sich dem Putzen seiner Brille widmete, warf ihm der elegante Herr einen tiefen Blick zu. (Einen tiefen, grünen Blick, hätte Johnny gesagt, wenn er ihn hätte beschreiben sollen. Was der für Augen hatte.)

»O ja, das ist sie.«

Die tolle Nummer kam durch die Tür des Woodbine Tea-Room gefegt, Wind und Regen im Rücken, die sie schoben und schubsten, als hätte das Wetter eine persönliche Abneigung gegen sie.

Die tolle Nummer legte ihre Pelerine ab, schüttelte sie aus, um die Regentropfen von sich höchstselbst auf jemand anderen zu übertragen – mit Erfolg, da eine beträchtliche Menge derselben in Melrose Plants Gesicht landete.

Dann ließ sich die tolle Nummer nieder und wartete darauf, dass Melrose endlich mit der Teestunde in Gang kam.

Melrose brauchte sich keine konversationsmäßigen Verrenkungen mehr auszudenken, denn der schlagfertige junge Kellner war so schnell wieder da, als hätte er ein Skateboard unter den Sohlen. Melrose war dankbar.

Obgleich er sich erstaunt fragte, wer dieser Knabe eigentlich war. Relativ groß, dunkelhaarig, recht gut aussehend, fünfzehn, sechzehn vielleicht? Die Mädchen rannten ihm vermutlich die Bude ein, hängten sich wie die Kletten an ihn. Ganz schön selbstbewusst gab er sich ja, das musste man sagen. Trug die weiße Schürze, ohne sich dabei lächerlich vorzukommen. Guter Gott, die meisten Jungs in seinem Alter würden lieber tot umfallen, als sich dabei ertappen zu lassen, wie sie in einer Teestube bedienten, noch dazu mit umgebundener Schürze.

»Madam?« Er taxierte Agatha mit einem kurzen, prüfenden Blick: graues, zum Nest geschlungenes Haar, braunes Wollkostüm, an kleine Baumstümpfe erinnernde Fesseln. »Der Herr empfahl getrennte Kännchen, das volle Teegedeck, also Scones und diverse Kuchen, extra dicke Sahne und Marmelade.«

Agathas Miene hellte sich auf. »Wieso zwei Kännchen, Melrose?«

Nicht willens, näher darauf einzugehen, zuckte Melrose stumm die Schultern.

Der Junge antwortete an seiner Stelle. »Er dachte, Sie hätten vielleicht gern eine andere Sorte Tee. Statt Schwarztee vielleicht einen Oolong?«

Dieser Knabe, dachte Melrose, verbringt viel Zeit in der Phantasiewelt. Er hätte sich ihm dabei zu gern angeschlossen, nachdem Agatha ja nun eingetroffen war, doch die Jugend hat Schwingen und das Alter ist gefesselt. Wie sie herausgekriegt hatte, dass er nach Cornwall fahren wollte, wer es hatte durchsickern lassen, war Melrose immer noch schleierhaft. Immerhin hatte sie keinen blassen Schimmer, weshalb er hierher gekommen war.

Nachdem ihm die Anzeige mit dem zur Vermietung stehenden Anwesen in Country Life aufgefallen war, hatte er spontan beim Maklerbüro Aspry & Aspry angerufen und mit einer gewissen Mrs. Laburnum einen Besichtigungstermin drei Tage später vereinbart. Sodann hatte er ab Paddington Station einen Platz im Erster-Klasse-Abteil des Great Western reserviert und war mächtig stolz auf sich gewesen, weil er zur Abwechslung einmal ganz spontan gehandelt hatte. »Das kommt bei mir recht selten vor«, hatte er Marshall Trueblood gegenüber (selbstzufrieden) geäußert, als sie im Jack and Hammer – dem beliebtesten, besser gesagt, dem einzigen Pub von Long Piddleton – bei einem Drink saßen.

»Sie?« Trueblood roch an seinem Drink, atmete tief ein und fing prompt an zu husten. Als er fertig war, sagte er: »Das sind Sie doch immer. Sie treffen doch fast alle Entscheidungen ganz spontan.«

Melrose lehnte sich überrascht zurück. »Ich? Spontan?«

»Na, Menschenskind, war es etwa mein Vorschlag, nach Venedig zu fahren, als Viv-Viv den Termin für die Hochzeit mit Graf Dracula anberaumt hatte.«

»Ach du meine Güte, das ist doch was ganz anderes, was gaaanz anderes. Das war doch – na, Sie wissen schon, bloß ein kleiner Jux. Was ich meine, ist beispielsweise kurzerhand mal nach Äthiopien zu fahren. Einfach so. Ganz ohne großes Federlesens.«

»Wie viel Federlesens machten Sie, als Sie Vivian verkündeten, Richard Jury würde heiraten, und sie sollte sich besser schleunigst auf die Heimreise machen? Etwa zehn Sekunden, wenn ich mich recht erinnere.«

»Moment mal, Moment. Das war Ihre Geschichte, die haben Sie ausgeheckt.«

»Nein, habe ich nicht. Na gut, vielleicht doch. Also schön. Und was ist mit damals, als Sie –?«

Melrose beugte sich über den Tisch, packte Trueblood bei seiner Armani-Krawatte und zog heftig daran. »Marshall, worauf wollen Sie eigentlich hinaus? He?«

»Auf gar nichts. Auf gar nichts will ich hinaus.«

Melrose schnippte die Krawatte wieder gegen Truebloods blassgelbes Hemd. Der war heute ganz in Rosa und Bernsteingelb gekleidet und sah wie immer aus wie der Traum eines jeden Herrenschneiders.

»Außer natürlich darauf«, sagte er, »dass Sie vollkommen überstürzt handeln. Sie halten sich doch nur deshalb für einen, der seine Schachzüge sorgfältig plant und die Dinge im Voraus ausklügelt, weil Sie dann sowieso nie was unternehmen – was denn, was denn? – ich möchte nur daran erinnern, wie Sie Superintendent R. J. ausgeholfen haben. Das nenne ich mir überstürzt! Ha, ha! Kaum schnippt Jury mit dem Finger, schon rasen Sie los wie ein geölter Blitz.« Trueblood ruckte ein paar Mal mit dem Arm und machte Zischgeräusche. Dann fragte er: »Wo steckt Jury eigentlich?«

»In Irland.«

»Nord? Süd? Wo?«

»In Nordirland.«

»Grundgütiger Himmel, wieso denn?«

»Er wurde wegen eines Falls dorthin geschickt.«

»Ach, wie banal.«

Melrose runzelte nachdenklich die Stirn. »Wovon haben wir eigentlich gerade gesprochen? Ich meine, bevor … Ach ja – Cornwall.« Er zog einen kleinen Notizblock hervor, schwarz und oben mit Spiralheftung, wie Jury immer einen bei sich hatte, und blätterte ein paar Seiten um. »Bletchley. Das liegt in der Nähe von Mousehole. Schon mal davon gehört?«

»Nein. Ich kann mir auch nicht denken, wie ich dazu käme. Sie kann ich mir dort ebenfalls nicht vorstellen. Sie haben überhaupt nichts an sich, was nach Cornwall passen würde.«

»Woher wollen Sie das wissen? Sie haben doch noch nie im Leben einen Fuß in diese Grafschaft gesetzt. Woher wissen Sie, was dorthin passt und was nicht?«

»Nun, zunächst einmal ist man dort alles andere als spontan. Sie würden es dort keine Woche aushalten – Autsch!«

Währenddessen wollte Agatha im Woodbine Tea-Room von ihm wissen: »Was ist denn los mit dir, Melrose? Du siehst ja vielleicht aus.«

Was immer das heißen mochte. Er rührte lächelnd in seinem Tee, warf noch ein Stückchen Zucker hinein und dachte an die entsetzliche Zugfahrt von London hierher, die er soeben hinter sich gebracht hatte. Eigentlich hatte er sich darauf gefreut; er genoss die Anonymität von Zügen – niemand weiß, wer man ist, wohin man fährt, gar nichts.

Nun gut, die Anonymität konnte er sich an den Hut stecken. Keine Chance.

Melrose hatte schon seit geraumer Zeit keinen Zug mehr bestiegen. Als Erstes erkundigte er sich beim Schaffner, wo sich der Speisewagen befand. Der Schaffner hatte bedauert, o nein, Sir, Speisewagen gibt’s nicht mehr. Aber gleich kommt jemand mit Tee und belegten Brötchen durch. Besten Dank, Sir.

Man hatte ihm damit eine Illusion zunichte gemacht. Kein gemütliches Herumsitzen am weiß gedeckten Tisch mit Brandy, Kaffee und Zigarre mehr. Und die schönen alten Abteile, wo er mit etwas Glück der einzige Passagier war oder – mit etwas mehr Glück – auf ein sonderbares Grüppchen von Mitreisenden stoßen konnte. Der Außengang, wo man sich ans Geländer lehnen und die grüne Landschaft vorbeirasen sehen konnte. Manchmal dachte er, Züge wären nur für Filme erfunden worden. Mord im Orientexpress. Es wäre doch sagenhaft, hier in dieser abgeschiedenen, unheimlichen, beinahe klaustrophobisch anmutenden Atmosphäre dabei zu sein, wenn ein Mord begangen wurde.

Oder nur diese beiden jüngeren Herren zu beobachten, die die Köpfe zusammengesteckt hatten und sich gedämpft unterhielten. Etwas ausheckten. Zwei Fremde im Zug. Womöglich gaben sie gerade einen Mord in Auftrag.

Oder jene strickende alte Dame mit den grauen Ringellöckchen, an der er vorhin vorbeigekommen war. Vielleicht würde er sie wieder sehen, wenn sie an der nächsten Haltemöglichkeit auf einer Tragbahre aus dem Zug getragen wurde – Eine Dame verschwindet!

In letzter Zeit war er furchtbar nostalgisch – nach alten Filmen, alten Songs, alten Fotografien. In seiner Hitchcock-Träumerei sah er sie nicht kommen, bemerkte ihre Anwesenheit erst, als er hörte: »Was sitzt du da und kneifst die Augen zusammen, Melrose?«

Derart gnadenlos aus seiner Träumerei gerissen, ließ er die Zeitung sinken, sein Mund klappte auf, die Nackenhaare sträubten sich. »Agatha!«

Schmeiß die Mama aus dem Zug!

Falls es zu Nostalgie je ein Gegenmittel gegeben hatte, war es soeben durch die Tür des Woodbine Tea-Room gestürzt.

Dabei fiel ihn noch ein alter Film ein mit dem Titel Der ungebetene Gast, den er spätabends mal im Fernsehen gesehen hatte. Darin war der »ungebetene« ein Gespenst gewesen, das Türen aufriss, lachte und sang und sich in seiner unsichtbaren Gestalt der entsetzten jungen Heldin offenbarte.

Leider war sein Gespenst aber sichtbar.

Während der vergangenen sechsunddreißig Stunden hatte sie ihn im Leihwagen auf seinen Fahrten entlang der Küste von Cornwall begleitet. Immer wieder hatte er die Verabredung mit der Maklerin, die ihm das zu vermietende Anwesen zeigte sollte, verschoben und darauf gewartet, dass Agatha sich statt seiner nach einer anderen Unterhaltung umsah, die sie einen halben Tag bei Laune halten würde. Auf keinen Fall wollte er sie bei der Hausbesichtigung dabeihaben und ihren verwünschten Schatten darüber werfen lassen. Ganz zu schweigen von ihrer unablässigen Nörgelei. So was willst du doch nicht, Melrose. Sieh dir doch nur mal das Reetdach an; das muss komplett neu gedeckt werden. Und was fängst du mit so einem felsigen Grundstück an? Nein, Melrose, das ist doch nichts. Und so weiter und so fort.

Zum Glück wurden seine morbiden Betrachtungen von der Ankunft des jungen Mannes unterbrochen, der ein Kännchen hochhielt und fragte: »Den normalen Tee?«, worauf Melrose lächelnd auf sein Platzdeckchen tippte. Das andere stellte der Kellner Agatha hin. Dann holte er die dreistöckige Kuchenplatte aus der Fensternische und stellte sie ihnen ebenfalls auf den Tisch.

Melrose sah, wie er am Nachbartisch stehen blieb, etwas sagte, auf ein paar andere Tische zuging. Das Woodbine war klein, aber gut besucht. Der Knabe bediente den Raum mit der gewandten, glatten Gefälligkeit eines Politikers.

Nach einem Weilchen überließ er Agatha den Scones und der extra dicken Sahne, stand auf und ging zur Registrierkasse hinüber, wo der Jüngling gerade Rechnungen eintippte. (Er bediente nicht nur, er übernahm in diesem Lokal anscheinend auch die Funktion eines Kassierers.)

»Verzeihung.«

Der Knabe lächelte ihn strahlend an. »Ist Ihr Teegedeck okay?«

»Alles in Ordnung. Ich überlege gerade – hätten Sie im Lauf des Tages vielleicht Zeit? Ich suche nämlich jemanden, der für mich etwas erledigen könnte. Er dauert nicht mehr als, sagen wir, drei Stunden.« Er hielt einen Fünfzigpfundschein in die Höhe, den er aus seiner Brieftasche gezogen hatte.

»Dafür mach ich Ihnen einen Kopfsprung von den Klippen bei Beachy Head.«

»Die Sache wird weder so berauschend noch so gefährlich. Die Dame in meiner Begleitung, sehen Sie jetzt nicht zum Tisch hinüber, ich fürchte nämlich, sie kann Gedanken lesen, ist zu allem Überfluss auch noch meine Tante und klebt wie eine Klette an mir. Ich muss mich ihrer für ein paar Stunden entledigen, und da Sie mir äußerst einfallsreich zu sein scheinen, dachte ich, Sie könnten –«

»Sie Ihnen abnehmen.« Der Junge zuckte lächelnd die Schultern. »Stimmt. Wann?«

Melrose gab ihm den Fünfziger. »Na, sagen wir, so in einer Stunde?«

»Abgemacht.« Den Schein in die Höhe haltend, fügte er hinzu: »Und den vertrauen Sie mir an?«

»Wieso nicht? Sie haben schließlich das Gift gebracht.«

3

Der Wagen war ein funkelnagelneuer, silberfarbener Jaguar mit ochsenblutroten Ledersitzen. Dieses Maklerbüro musste seine Kunden offenbar mit dem Beweis seiner Solvenz beeindrucken. Esther Laburnum war die für das Grundstück namens Seabourne zuständige Maklerin.

Melrose hatte die Abbildung in Country Life entdeckt, als er Artikel über Gartenbau und die »Schätze des Lebendigen Nationalerbes« durchblätterte, oder über Kunsthandwerker, die sich noch in äußerst geheimnisvollen Beschäftigungen wie etwa dem Ziselieren von Fingerhüten oder dem Bau von Steingärtchen für Puppenhäuser übten. Außerdem war da noch der Artikel über die Jagd und deren gewichtige Bedeutung für Land und Nation. Die Zeilen trieften förmlich vor aufgesetzter Wichtigtuerei.

Die Beschreibungen der Immobilien nahmen gewöhnlich eine ganz andere Seite ein, wobei in der Regel davon abgesehen wurde, den Kaufpreis zu nennen. Stattdessen wurde im Text darauf hingewiesen, der Preis würde »auf Anfrage« genannt. Derartige Blasiertheit ließ Melrose darauf schließen, dass Geld für die Interessenten dieser Häuser in der Regel keine Rolle spielte. Für ihn auch nicht. Er hatte die Seite aus der Zeitschrift herausgerissen und sich zum Telefon begeben.

Das war vor ein paar Tagen gewesen, und nun war er voller Genugtuung über seinen Entschluss, sich die Sache in natura anzusehen. Als er jetzt davor stand und es betrachtete, stellte er fest, dass die Abbildung Seabourne überhaupt nicht gerecht wurde. Allerdings wäre es fast unmöglich gewesen, die Atmosphäre einzufangen, die subtile Bedrohlichkeit, jene gewisse unruhige Sentimentalität, die der Anblick in ihm wachrief. Deine Phantasie geht mit dir durch, schalt er sich. Es nützte nichts.

Architektonisch gesehen war das Haus nicht gerade beeindruckend. Es war im georgianischen Stil aus grauem Stein gebaut, der als eine Art Tarnung wirkte und das Gebäude mit der umliegenden Landschaft und dem Wald verschmelzen ließ. Es stand oben auf einer Klippe, einem schroffen, geröllübersäten Felsvorsprung über dem Meer. Wahrscheinlich hatte die Lage es Melrose besonders angetan, aber so wäre es sicher jedem ergangen, der auch nur ein Fünkchen Romantik in sich hatte. Aus dem gesamten Anblick– Haus, Wald, Felsen und Meer– schien die Farbe gewichen, was die romantische Stimmung noch steigerte. Hätte eine grimmig aussehende, bis zu den Knöcheln in Schwarz gewandete Schlossherrin die schwere Eichenholztür geöffnet, hätte sich dieser Eindruck noch erhöht. Melrose war ganz und gar bereit, sich überwältigen zu lassen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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