Die Tröstungen der Philosophie - Anicius Manlius Severinus Boethius - E-Book

Die Tröstungen der Philosophie E-Book

Anicius Manlius Severinus Boethius

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Beschreibung

"Die Tröstungen der Philosophie", lateinisch Consolatio philosophiae (auch De consolatione philosophiae "Über den Trost der Philosophie") ist das Hauptwerk des spätantiken römischen Philosophen Boethius. Es umfasst fünf Bücher und gilt als letztes bedeutendes philosophisches Werk der Antike. Boethius verfasste die Consolatio um die Mitte der zwanziger Jahre des 6. Jahrhunderts, nachdem er auf Geheiß des Ostgotenkönigs Theoderich verhaftet worden war, weil er hochverräterischer Beziehungen zum oströmischen Kaiser verdächtigt wurde. Das Werk ist als Dialog zwischen dem Autor und der personifizierten Philosophie, die ihn tröstet und belehrt, konzipiert. Als Anhänger des Neuplatonismus schöpft Boethius sein Gedankengut vor allem aus den Werken Platons, des Aristoteles und der Neuplatoniker. Oft nimmt er zustimmend auf Lehren Platons Bezug. Daneben ist auch der Einfluss stoischer Vorstellungen erkennbar. (aus wikipedia.de)

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Die Tröstungen der Philosophie

De consolatione philosophiae

Anicius Manlius Severinus Boethius

Inhalt:

Anicius Manlius Torquatus Severinus Boethius – Biografie und Bibliografie

Die Tröstungen der Philosophie

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Viertes Buch

Fünftes Buch

Die Tröstungen der Philosophie, Anicius Boethius

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

Anicius Manlius Torquatus Severinus Boethius – Biografie und Bibliografie

Röm. Staatsmann und Philosoph, geb. zwischen 470 und 475 n. Chr. in Rom aus hochangesehener Familie, gest. 525 in Pavia, widmete sich, wie berichtet wird, vom 10.–28. Lebensjahr in Athen philosophischen und mathematischen Studien, wurde 510 zum Konsul ernannt, genoss mehrere Jahre hindurch das Vertrauen des Ostgotenkönigs Theoderich, der damals in Italien herrschte, wurde jedoch als Mitglied des Senats ungerechterweise auf Hochverrat angeklagt, auf Befehl Theoderichs zu Pavia eingekerkert und nach langer und harter Gefangenschaft ungehört hingerichtet, welche despotische Gewalttat Theoderich später schmerzlich bereut haben soll. Das gleiche Schicksal erlitt mit ihm sein Schwiegervater, der Senator Symmachus. Im Kerker hatte B. sein berühmtes, in dialogische Form eingekleidetes »Trostbuch der Philosophie« (»De consolatione philosophiae«, in 5 Büchern) verfasst, das sich an die alte Philosophie, namentlich die platonische und stoische, anschließt, so dass die Angabe, er sei Christ gewesen, sehr zweifelhaft ist. Das kleine, in einer reinen und edlen Sprache abgefasste Buch, in dem mit der Prosa Poesie abwechselt, stand das ganze Mittelalter hindurch im höchsten Ansehen. B. unterhält sich darin mit der Philosophie, die ihn belehrt dass alles irdische Glück wandelbar sei, dass der Weise die wahre Ruhe und Sicherheit nur in der Tugend finde, sowie dass nach Gottes Absicht alles Missgeschick dem Menschen doch zum Heile gereiche. Seine übrigen Schriften bestehen in Übersetzungen und Erläuterungen älterer Werke mathematischen und philosophischen Inhalts, z. B. der »Geometrie« des Eukleides, namentlich aber der logischen Schriften des Aristoteles (der »Categoriae«, der »Analytica«, der »Elenchi sophistici«, »Hermeneia« etc.), wodurch er großen Einfluss auf die Scholastik gewann; ferner in der Schrift »De musica«, in 5 Büchern, und mehreren Lehrbüchern logischen Inhalts (»De syllogismo categorico«, »De syllogismo hypothetico« u. a.), die im Mittelalter viel gebraucht wurden. Die Echtheit der ihm beigelegten christlich-theologischen Traktate ist wiederholt, so von Nitzsch (»Das System des B. und die ihm zugeschriebenen theologischen Schriften«, Berl. 1860), angefochten worden und steht noch nicht fest. Gesamtausgaben der Werke des B. erschienen zu Venedig 1491–92, 2 Bde.; korrekter zu Basel 1546 und 1570; zuletzt in Mignes »Patrologia«, Bd. 63 und 64 (Par. 1847). Von den vielen Ausgaben der "Consolatio" sind außer der ersten (Nürnb. 1473) die von Obbarius (Jena 1843) und Peiper (Leipz. 1871, mit den theologischen Schriften) anzuführen. Übersetzt wurde die Schrift in viele Sprachen. Eine angelsächsische Übersetzung, angeblich von Alfred d. Gr., wurde zuletzt von Sedgefield (Lond. 1899), eine altdeutsche (aus dem Anfang des 11. Jahrh.) von Graff (Berl. 1837), dann von Hattemer (»Denkmale des Mittelalters«, Bd. 3, St. Gallen 1847), eine griechische des Maximus Planudes von Bétant (Genf 1871) herausgegeben. Neuere deutsche Übersetzungen lieferten Wortberg (Greifsw. 1826), Weingärtner (Linz 1827) und Scheven (in Reclams Universal-Bibliothek). Die Schrift »De musica« wurde mit mathematischen Schriften (»De arithmetica« und »Geometria«) zusammen von Friedlein (Leipz. 1867), in deutscher Übersetzung allein von O. Paul (das. 1872) herausgegeben. Von den Arbeiten zu Aristoteles veröffentlichte Meiser eine kritische Übersetzung der doppelten Kommentare zur »Hermeneia« (Leipz. 1877–80, 2 Bde.). Vgl. Bergstedt, De vita et scriptis Boethii (Upsala 1842); Hildebrand, B. und seine Stellung zum Christentum (Regensb. 1885); Stewart, B., an essay (Edinb. 1891).

Die Tröstungen der Philosophie

Erstes Buch

Ich, der begeistert und frisch einst fröhliche Weisen geschaffen,

 Muß nun, kummergebeugt, singen ein trauriges Lied!

Also geboten es mir die trostlos klagenden Musen;

 Ach, mein eigener Sang lockt mir die Thränen hervor.

Denn nur die Musen allein verscheuchte das herbe Geschick nicht;

 Treue Begleiter, wie sonst, folgen auch heute sie mir!

Sie, die mit Ruhm geschmückt die fröhliche, goldene Jugend,

 Trösten den trauernden Greis, jetzt, da das Glück ihn verließ!

Plötzlich brach es herein, von Leiden beschleunigt, das Alter,

 Und es erschien die Zeit, welche den Schmerzen gehört.

Schneeige Weiße bedeckt zu früh die Haare des Hauptes,

 Schlaff auch erzittert die Haut um den entkräfteten Leib!

Selig der Tod, wenn er nicht den Lebensfrohen dahinrafft,

Wenn er dem Trauernden naht, der ihn so oft sich gewünscht!

Wehe, wenn er mit taubem Ohr den Beladenen abweist,

 Wenn er nicht schließen will, grausam, das thränende Aug'!

Trügendes Glück umschmeichelte mich mit flüchtigen Gaben:

 Da, mit vernichtender Kraft, nahte die Stunde des Leids!

Jetzt, da, veränderten Blicks, so finster das Leben mich anschaut,

 Zieht es, erbarmungslos, qualvoll unendlich sich hin!

Weshalb habt ihr so oft mein Schicksal gepriesen, o Freunde?!

 Ach, wer im Unglück versank, stand auch im Glücke nicht fest!

Während ich solche Gedanken still für mich im Herzen bewegte und meine jammernde Klage mit dem Schreibgriffel aufzeichnete, da erschien mir zu Häupten eine Frauengestalt von ehrfurchtgebietender Hoheit, mit glühenden Augen von so durchdringender Kraft, wie sie sonst den Menschen nicht eigen ist. Frisch war ihre Gesichtsfarbe und unerschöpft ihre Körperkraft, obgleich sie schon ein so langes Leben hinter sich zu haben schien, daß man sie kaum noch unserem Zeitalter zurechnen konnte. Ihre Gestalt war eine wechselnde. Bald nämlich schrumpfte sie auf das gewöhnliche Maß der Menschen zusammen, bald wieder schien sie mit der Höhe des Scheitels die Wolken zu berühren. Hätte sie das Haupt noch höher erhoben, so wäre sie in den Himmel selbst eingedrungen und den Blicken der Menschen entschwunden. Ihre Kleider waren von den dünnsten Fäden, aber aus unverwüstlichem Stoff, mit der feinsten Kunstfertigkeit gewebt und zwar, wie sie mir später erzählte, das Werk ihrer eigenen Hände. Äußerlich zeigten sie indes die Verschossenheit eines vernachlässigten Alters, verwitterten und bestaubten Gemälden vergleichbar. Im untersten Saum war der griechische Buchstabe P, im obersten ein Th eingewirkt zu lesen und zwischen beiden wurden gewisse, in Form einer Treppe angeordnete Stufen sichtbar, mittelst deren, wie es schien, ein Aufstieg von dem unteren zu dem oberen Buchstaben stattfinden sollte. - Gewaltthätige Hände hatten übrigens das ganze Gewand zerrissen und einzelne Teile davon, deren sie habhaft werden konnten, mit sich fortgenommen.

In der rechten Hand, trug die Gestalt Bücherrollen, in der linken ein Scepter.

Als sie nun die Musen der Dichtkunst, die meinen Klagen die Worte liehen, an meinem Lager stehen sah, da begann sie erregt zu werden und sprach mit finster funkelnden Augen: »Wer hat diese Theaterdirnen zu diesem Kranken zugelassen, um seine Leiden nicht nur durch kein Heilmittel zu lindern, sondern durch süßes Gift nur noch mehr zu entfachen? Denn sie sind es, die mit den unfruchtbaren Dornen der Affekte die fruchtschwangere Saat der Vernunft töten und den Geist der Menschen an die Krankheit gewöhnen, statt ihn davon zu befreien! Erträglicher würde mir ihre Missethat noch erscheinen, wenn sie, wie gewöhnlich, irgend einen untergeordneten Geist durch ihre Lockungen auf Abwege gebracht hätten. Aber nun diesen Mann, der in eleatischen und akademischen Studien aufgezogen ist!

Nun aber fort mit euch, ihr Sirenen, die ihr eure Opfer bis an den Rand des Verderbens so süß umschmeichelt! Überlaßt diesen Mann mir und meiner Muse zur Pflege und zur Heilung!«

So gescholten senkte der Chor der Musen traurig das Antlitz zur Erde und als diese falschen Trösterinnen die Schwelle verließen, zeugte ihr Erröten von ihrer tiefen Beschämung.

Ich aber, dessen Gesicht noch von den strömenden Thränen verdunkelt war, so daß ich noch nicht erkennen konnte, wer denn dieses Weib von so majestätischer Hoheit sei, ich erwartete staunend, mit zu Boden gesenktem Blick, was sie nun weiter beginnen werde. Sie aber trat näher herzu, ließ sich auf dem äußersten Ende meines Lagers nieder, blickte mir in das tieftraurige, von Schmerz zu Boden geneigte Antlitz und beklagte dann in folgenden Versen die Verwirrung meines Geistes:

»Wehe, wie tief hinab sank in den Abgrund

Dein umdüsterter Geist, blind für das eigne

Licht, und in dunkle Nacht will er sich senken,

Wenn, von des Lebens Sturm mächtig entfesselt,

Ins Unendliche wächst nagende Sorge?!

Du, dem der Himmel einst offen erstrahlte!

Der durch den Äther frei pflegte zu schweifen!

Der du die Sonne sahst, rosigen Scheines,

Der du geschaut des Monds eisige Klarheit!

Auch die schweifende Bahn aller Gestirne,

Die am Himmelsgezelt ziehn ihre Kreise,

Hat dein siegender Geist sicher berechnet!

Auch die Gründe, warum pfeifende Stürme

Wild bewegen des Meers ruhige Fläche;

Welche Gewalt im Kreis schwinge den Erdball,

Wie sich in roter Glut Phöbus erhebe,

Um in hesperische Flut niederzutauchen;

Wer denn dem Lenz verliehn mildere Lüfte,

Daß er mit blumiger Pracht schmücke die Erde:

All dies hast du erforscht, und die verborgnen

Kräfte der reichen Natur hast du erkundet!

Nun aber liegst du da, Nacht vor den Augen!

Auf deinem Nacken ruht lastende Fessel,

Beugt dir nieder das Haupt, und an der toten

Erde haften, o Schmach, starr deine Blicke!«

»Doch nicht zu klagen ist es jetzt an der Zeit,« fuhr sie fort, »sondern zu heilen!« Und nun richtete sie den vollen Blick ihrer Augen auf mich und fragte: »Bist du denn wirklich derselbe, der, mit meiner Milch gesäugt, mit meiner Kost aufgezogen, zur Vollkraft männlichen Geistes emporgestiegen ist? Und habe ich denn nicht wahrlich solche Waffen bereitet, die dich sicher in unbesiegter Festigkeit geschützt hätten, wenn du sie nicht selber vorschnell von dir geworfen hättest?! Erkennst du mich denn nicht? Warum schweigst du? Aus Scham oder aus ratloser Bestürzung? Ich wünschte wohl, aus Scham, aber ich sehe, es ist eine tiefe Bestürzung, die dich gebannt hält!« -Als sie mich aber auch hieraus nicht nur schweigend, sondern völlig sprachlos und stumm sah, da berührte sie mit der Hand leicht meine Brust und sprach: »Es hat keine Gefahr! Er leidet an der allen enttäuschten Gemütern gemeinsamen lethargischen Krankheit! Er hat sich selbst ein wenig vergessen, aber die Erinnerung wird ihm schon zurückkommen, wenn er nur mich erst wieder erkannt hat. Damit er das kann, will ich seine Augen ein wenig aufhellen, denn der Nebel irdischer Dinge hält sie umdüstert!« - So sprach sie und mit der Falte ihres Gewandes trocknete sie meine in Thränen schwimmenden Augen.

Siehe, da riß der Schleier der Nacht, es hob sich das Dunkel,

 Wieder wie früher erstarkte das Augenlicht!

Wie wenn der schnelle Nordwest in Haufen die Wolken versammelt,

 Nebel und Regen umdüstern das Himmelszelt,

Wenn sich die Sonne verhüllt, kein Stern am Himmel erglänzet,

 Finstere Nacht überflutet das Erdenrund:

Wenn dann, verjagend die Nacht, aus thrakischer Grotte der Nordwind

 Fährt, und befreit den Tag, den gefesselten:

Siehe, da leuchtet auf einmal hervor die funkelnde Sonne!

 Staunend gewahrt ihre Strahlen der Schauende!

Ganz ebenso löste sich nun auch der Nebel meines Kummers und ich faßte Mut, das Antlitz derer, die mich heilen wollte, zu erkennen zu suchen. Und so erkannte ich sie denn auch, als ich meine Augen ihr zuwandte und sie genau betrachtete, sie, meine Pflegerin, in deren Hause ich von Jugend auf heimisch gewesen war, die Philosophie! »Warum aber,« fragte ich sie nun, »bist du, o Lehrerin aller Tugenden, aus den oberen Regionen in die Einsamkeit meines Verbannungsortes herabgekommen? Etwa, damit auch du, gleich mir, angeklagt und mit falschen Beschuldigungen verfolgt werdest?!« Sie antwortete: »Sollte ich denn dich, meinen Schüler, im Stich lassen und dir nicht die Bürde tragen helfen, die du um der Verhaßtheit meines Namens willen auf dich genommen hast? Wahrlich, nicht ziemt es mir, der Philosophie, den Unschuldigen unbegleitet seinen Weg gehen zu lassen, als ob ich eine Verletzung meiner selbst fürchtete und Angst empfände wie vor etwas ganz Neuem und Unerhörtem! Du glaubst doch nicht, daß die Weltweisheit jetzt zum erstenmal unter sittenverderbten Menschen von Gefahren bedrängt ist? Habe ich nicht schon bei den Alten, noch vor der Zeit unseres Platon, schwere Kämpfe mit dem Frevelmut des Aberwitzes bestehen müssen? Und hat der nämliche Platon es nicht selber erlebt, wie sein Lehrer Sokrates den Sieg eines schuldlosen Todes mit meinem Beistand errungen hat? Als dann der Haufe der Epikuräer und Stoiker und die übrigen die Erbschaft des Sokrates jeder für sich an sich zu reißen bemüht war und mich, die ich widersprach und mich widersetzte, wie eine Kriegsbeute behandelte, da zerrissen sie mein Kleid, das ich mit meinen eigenen Händen gewirkt hatte, und zogen ab in dem Glauben, daß mit den abgerissenen Fetzen ich selbst ganz und gar ihr eigen geworden sei. Da in ihnen nun aber wenigstens einige Spuren meines Wesens vorhanden zu sein schienen, so hielt sie der Unverstand für meine Jünger und mancher von ihnen wurde darum durch den Wahn der ungebildeten Menge ins Verderben gerissen! Denn wenn du auch nichts weißt von der Verbannung des Anaxagoras, von dem Gifttod des Sokrates und von den Foltern, die Zenon erlitt, obgleich diese Dinge ja sonst allgemein bekannt sind, so könntest du doch einen Canius kennen und einen Seneka und einen Soranus, deren Andenken noch nicht alt und doch auch nicht unberühmt ist! Nichts anderes zog diese Männer ins Verderben, als daß sie in meinem Geist unterwiesen waren und deshalb den Bestrebungen jener Frevler weit fern stehen mußten!

Du darfst dich also nicht darüber wundern, wenn wir auf dem bewegten Meer des Lebens von den von allen Seiten wehenden Stürmen übel mitgenommen werden, wir, denen es vornehmlich bestimmt ist, den Schlechtesten am meisten zu mißfallen! Diese letzteren bilden nun zwar ein zahlreiches Heer, das aber trotzdem zu verachten ist, da es von keinem großen Führer einheitlich gelenkt, sondern vom Irrtum in planlosem, unbeständigem Wahn mit fortgerissen wird. Rafft dieser sich aber wirklich einmal zu größerer Kraftleistung auf und rüstet sich zur Schlacht gegen uns, dann wird unser Feldherr seine Truppen in eine feste Stellung zusammenziehen, die Feinde aber werden mit dem Plündern, wertloser Beutestückchen ihre Zeit verlieren. Ja, mit Verachtung sehen wir herab auf jene, die nur immer das Schlechteste sich zu eigen zu machen suchen, sicher sind wir vor dem ganzen wilden Ansturm, hinter einem festen Wall, gegen den der anrückende Unverstand sich nimmer heranwagen darf!«

Wer, ein fertiger Mann, mit heiterm Sinne

Achtet nicht des Geschickes rauher Willkür,

Wer ihm immer gefaßt ins Auge blicket,

Unerschüttert, ob Glück es bringt, ob Unglück:

Den schreckt nimmer das wilde Droh'n des Meeres,

Das bis tief in den Grund die Fluten aufregt,

Nicht der tückische Berg, der dampfend schleudert

Aus geborstener Esse Glutgeschosse,

Nicht die zackige Bahn der hellen Blitze,

Sie, die größte Gefahr der stolzen Türme!

Weshalb fürchten so sehr die armen Menschen

Nichts vermögender Fürsten wildes Wüten?

Fürchte nichts und erhoffe nichts: es steht dann

Vor dir waffen- und machtlos jede Drohung!

Doch wer zittert in Furcht, und wünscht begehrlich

Sich vergängliches Gut, das nicht ihm zukommt:

Der läßt fallen den Schild, dem Feinde weichend,

Schlägt sich selber in schwere Sklavenketten!

»Fühlst du dies nun nicht?« fragte sie dann, »und dringen diese Worte nicht ein in deinen Sinn? Oder machen sie nicht mehr Eindruck auf dich als in jener Fabel das Saitenspiel auf den Esel? Was weinst du? Was zerfließt du in Thränen?!

 ›Rede heraus, nichts hehlend, damit wir beide es wissen!‹

Wenn du die Mühwaltung des Arztes erwartest, mußt du deine Wunden bloßlegen!«

Da raffte ich endlich meine Geisteskräfte zusammen und sprach: »Bedarf es denn noch einer Erinnerung und ist es nicht an sich offenbar genug, wie grausam das Geschick gegen mich wütet?! Mahnt daran nicht schon das Äußere dieses Ortes? Ist es etwa die Bibliothek, die du dir als deinen sichersten Sitz in meinem Heim in Rom selber erkorst? In der du so oft mit mir saßest und mit mir über alles Wissen von den göttlichen und menschlichen Dingen Zwiesprache hieltest? War so etwa mein Aussehen und waren so meine Mienen, als ich mit dir die Geheimnisse der Natur erforschte, als du mir die Bahnen der Gestirne mit dem Zirkel beschriebst, als du unsere Sittenlehre und alle unsere Lebensprinzipien auf himmlische Vorbilder zurückführtest? Ist dies der Lohn dafür, daß ich dir folgte? Du hattest doch durch den Mund des Platon jenes Wort verkündet, daß diejenigen Staaten glücklich sein werden, die von Philosophen regiert werden oder deren Regenten sich der Philosophie befleißigen! Und hast du es nicht durch den Mund desselben Mannes feierlich ausgesprochen, daß der zwingende Grund für die Weisen, sich des Staates anzunehmen, darin bestehe, daß sie die Leitung des Gemeinwesens nicht sittenlosen und frevelhaften Menschen überlassen wollen, die durch ihre Herrschaft Verderben und Untergang über alle Guten bringen würden?! Der Autorität dieser Aussprüche folgte ich, als ich mich bestrebte, das von dir in stiller Muße Erlernte in der praktischen Staatsverwaltung anzuwenden. Du selbst und die Gottheit, die dich in den Geist der Menschen einziehen ließ, ihr wißt es, daß mich nur das Interesse an der Verwirklichung alles Guten bewog, die staatsmännische Laufbahn einzuschlagen! Deswegen hatte ich auch so schwere und unerbittliche Kämpfe mit den Übelgesinnten zu bestehen, und weil ich frei meinem Gewissen folgte, erfuhr ich den Haß der Gewaltigen, dem ich mich immer mutig aussetzte, wenn es das Recht zu schützen galt. Wie oft habe ich mich dem Konigastus, der das Vermögen jedes Schwachen an sich zu reißen suchte, entgegengestellt, wie oft habe ich eine von Triggvilla, dem Vorsteher des königlichen Hauses, begonnene oder gar schon fast vollendete ungerechte That noch im letzten Augenblick vereitelt, wie oft habe ich die Unglücklichen, die von der stets unbestraften Habgier der Barbaren mit unzähligen Verleumdungen umgarnt waren, durch mein Ansehen, mit eigener Gefahr, geschützt! Nie hat es jemand vermocht, mich vom Recht zum Unrecht hinüberzuziehen! Das traurige Geschick der Provinzialen, die bald durch private Räubereien, bald durch den Druck der Staatssteuern an den Rand des Verderbens gebracht wurden, habe ich ebenso schmerzlich empfunden, wie sie selber, die es erlitten. Als in der Zeit der bitteren Hungersnot die schwere und scheinbar unabwendbare Maßregel eines Aufkaufs alles Getreides anbefohlen war, welche die Provinz Campanien in schwerste Bedrängnis zu bringen drohte, da habe ich um des Allgemeinwohls willen den Kampf mit dem Gardepräfekten aufgenommen, habe ihn mit Wissen des Königs Theoderich durchgekämpft und habe es schließlich erreicht, daß jener Aufkauf nicht zur Ausführung kam. Den Konsular Paulinus, dessen Güter die gemeinen Kreaturen am Königshofe fast schon zu verschlingen hoffen durften, habe ich von den geöffneten Rachen dieser Hyänen glücklich noch hinweggerissen! Um ferner zu verhindern, daß der Konsular Albinus durch die auf eine im voraus schon entschiedene Anklage hin verhängte Strafe zu Grunde gerichtet werde, stellte ich mich dem Ankläger Cyprianus entgegen und zog mir dadurch den Haß auch dieses Menschen zu. Habe ich also nicht genug Übelwollen und Erbitterung gegen mich entflammt?! Weil ich aber so, aus Liebe zur Gerechtigkeit, nichts that, um mir den Schutz der Höflinge zu gewinnen, so hätte ich darum doch bei den übrigen um so sicherer zu sein verdient. Aber auf welcher Männer Anklage hin bin ich schließlich gefallen?! Einer von ihnen, Basilius, früher aus dem königlichen Dienst entlassen, ist nur durch die Last seiner Schulden zur Anzeige meines Namens veranlaßt worden. Die beiden andern aber, Opilo und Gaudentius, waren früher wegen unzähliger und mannigfaltiger Vergehen durch königlichen Strafbefehl verbannt worden, hatten demselben jedoch nicht Folge leisten wollen und sich deshalb in den Schutz eines heiligen Gotteshauses begeben. Als nun der König dies erfuhr, drohte er, falls sie nicht bis zu einem bestimmten Tage die Stadt Ravenna verlassen hätten, so würden sie, mit Brandmalen an der Stirn gezeichnet, schimpflich hinausgejagt werden. Ist eine größere Strenge überhaupt möglich? Und dennoch: als dann an jenem Tage diese selben Menschen als Ankläger gegen mich auftraten, da wurde ihre Anklage angenommen! Was sagst du nun? Haben meine Thaten das verdient? Oder waren etwa jene durch ihre vorausgegangene Verurteilung als gerechte Ankläger qualifiziert?! Und ist es also nicht wahr, daß die Schickung vor gar nichts zurückschreckt, wenn sie nicht einmal auf die Unschuld des Angeklagten oder die Gemeinheit der Ankläger Rücksicht nimmt?

Fragst du nun nach dem Hauptpunkt der Anklage, so bestand dieser darin, daß ich das Heil des Senats gewollt haben soll. Wie aber hat sich das geäußert? Ich werde beschuldigt, den Denunzianten gehindert zu haben, Dokumente vorzulegen, durch die er den Senat in einen Majestätsprozeß hätte hineinziehen können. Was meinst du nun, du, meine Lehrmeisterin? Soll ich das Verbrechen leugnen, um dir keine Schande zu machen? Aber das, was mir vorgeworfen wird, das habe ich ja wirklich gewollt, und werde nie aufhören, es zu wollen. Soll ich gestehen? Dann würde ich verurteilt und damit mein Thun, die Delatoren in ihrem Treiben zu hindern, für die Zukunft unmöglich gemacht werden. Und soll ich es denn ein Unrecht nennen, daß ich das Heil jenes Standes gewünscht habe? Der Senat selbst hat freilich durch seine Dekrete gegen mich bewirkt, daß es eigentlich ein Unrecht ist, ihm beizustehen! Aber die sich selber stets belügende Unvernunft kann doch den wahren Wert der Dinge nicht ändern und, getreu dem Wort des Sokrates, glaube ich unter keinen Umständen die Wahrheit verleugnen und die Lüge bestätigen zu dürfen!

Übrigens überlasse ich die Beurteilung der ganzen Sache dir und den wahren Philosophen. Den wirklichen Verlauf der Angelegenheit habe ich, damit er der Nachwelt nicht verborgen bleibe, schriftlich zum Andenken aufgezeichnet. Denn was soll ich hier noch über die gefälschten Briefe sagen, in denen ich angeblich überführt werde, die Freiheit Roms erhofft zu haben. Der hiermit geübte Betrug würde klar zu Tage getreten sein, wenn ich mich des Geständnisses der Ankläger selbst hätte bedienen dürfen, das doch sonst in allen Verhandlungen von dem größten Gewicht zu sein pflegt. Kann man denn überhaupt noch auf irgend eine Freiheit hoffen? Wie wünschte ich, daß man es könnte! Ich würde mich der Worte des Canius bedienen, als Cajus Cäsar, der Sohn des Germanicus, behauptete, er habe um eine gegen ihn angezettelte Verschwörung gewußt. Canius sagte: ›Hätte ich darum gewußt, so würdest du nichts davon wissen!‹

Schwerer Kummer hat natürlich mein Gemüt lähmend ergriffen angesichts aller dieser von bösen Menschen gegen die Tugend angezettelten Anschläge. Aber das ist noch nicht das schlimmste. Mit dem höchsten Entsetzen hat mich vielmehr die Thatsache erfüllt, daß jene Frevler ihre verruchten Pläne auch wirklich ausführen konnten! Denn daß wir böse Absichten fassen, das liegt vielleicht in der Mangelhaftigkeit unserer Natur, aber daß ein jeder seine schändlichen Anschläge gegen die Unschuld vor den Augen der Gottheit auch durchsetzen kann, das ist etwas Furchtbares! Daher fragte auch dein Jünger Epikur nicht mit Unrecht: ›Wenn es einen Gott giebt, woher stammt dann das Böse, und woher das Gute, wenn es keinen giebt?!‹

Wenn übrigens jene Frevler, die nach dem Blut aller Guten und dem des ganzen Senats lechzen, auch mich zu verderben wünschten, den sie stets als einen Verteidiger der Guten und des Senats gesehen hatten, so war das ja etwas ganz Natürliches. Aber habe ich denn auch von seiten der Senatoren selber die gleiche Behandlung verdient? Du wirst dich gewiß noch daran erinnern - denn du warst ja immer bei mir und leitetest mich in all meinem Thun und Reden - du wirst dich noch daran erinnern, sage ich, wie sicher ich mein Verderben vor Augen sah, als damals in Verona der König, der alle Senatoren zu verderben wünschte, die gegen Albinus erhobene Anklage wegen Majestätsverbrechens auf den ganzen Senat auszudehnen suchte, und ich dann für die Unschuld des gesamten Senats einzutreten wagte! Du weißt auch, daß ich dies alles der Wahrheit gemäß berichte und mich dabei in keiner Weise mit eitlem Selbstlob brüste! Wird ja doch der Wert der inneren Zustimmung und Befriedigung des eigenen Gewissens nur herabgemindert, wenn man mit seinen Thaten prahlt und äußeren Ruhm dafür einzuernten sucht! Aber was meiner Unschuld geschah, das siehst du ja! Statt des Lohnes der wahren Tugend erhielt ich die Strafe für ein erfundenes Verbrechen, und wann sind wohl jemals die Richter einer offen eingestandenen Schandthat gegenüber so einmütig in ihrem strengen Urteil gewesen, daß sich nicht wenigstens einige von ihnen durch die Rücksicht auf die Irrtumsfähigkeit des Menschengeistes und die für einen jeden so unberechenbare Schicksalsfügung erweichen ließen?! Wäre ich angeklagt gewesen, die Anzündung der heiligen Tempel, die Ermordung der Priester mit ruchlosem Schwert, den Tod aller Guten geplant zu haben, dann würde ich doch persönlich vernommen und das Urteil nur nach meinem Geständnis oder meiner Überführung gefällt worden sein. Nun aber werde ich, fünfhundert Meilen weit entfernt, ohne reden und mich verteidigen zu können, gerichtet und zum Tode verurteilt, weil ich zu viel Eifer für das Wohl des Senats gezeigt habe! Ja wahrlich, die Senatoren verdienten es, daß niemals jemand dieses Verbrechens überführt werden könnte!