Die unreife Republik – Zum Zustand Österreichs - Walter Hämmerle - E-Book

Die unreife Republik – Zum Zustand Österreichs E-Book

Walter Hämmerle

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Beschreibung

»Wie wir wurden, was wir sind« Österreich ist eine erfolgreiche Republik. Noch. Denn an den Schalthebeln des Landes regiert zu oft der rationale Unsinn, die kühl kalkulierte Problemvergessenheit. Über Unwichtiges und Nebensächliches wird aufgeregt diskutiert, zentrale Fragen werden nicht einmal ignoriert. Bei der Verantwortung für dieses Schlamassel kann niemand seine Hände in Unschuld waschen – schon gar nicht die Politik, aber auch nicht Medien und Bürger*innen. Einfach mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist nicht nur billig, sondern auch falsch.

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Seitenzahl: 82

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Über das Buch

Die unreife Republik

Wie wir wurden, was wir sind Österreich ist eine erfolgreiche Republik. Noch. Denn an den Schalthebeln des Landes regiert zu oft der rationale Unsinn, die kühl kalkulierte Problemvergessenheit. Über Unwichtiges und Nebensächliches wird aufgeregt diskutiert, zentrale Fragen werden nicht einmal ignoriert. Bei der Verantwortung für dieses Schlamassel kann niemand seine Hände in Unschuld waschen – schon gar nicht die Politik, aber auch nicht Medien und Bürgerinnen und Bürger. Einfach mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist nicht nur billig, sondern auch falsch.

In dieser Streitschrift werden die Zusammenhänge zwischen diesen Akteurinnen und Akteuren pointiert beschrieben und analysiert.

Über Walter Hämmerle

Walter Hämmerle,. geboren 1971 in Lustenau, Vorarlberg; promovierter Politikwissenschafter und langjähriger Journalist; seit September 2023 Innenpolitikchef der „Kleinen Zeitung“, bis Ende 2022 Chefredakteur der „Wiener Zeitung“; zahlreiche Veröffentlichungen zu österreichischer Politik, Geschichte und Verfassung, darunter „Der neue Kampf um Osterreich. Die Geschichte einer Spaltung und wie sie das Land prägt“, Wien 2018.

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leykam:seit 1585

WALTER HÄMMERLE

Die unreife RepublikZum Zustand Österreichs

leykam:STREITSCHRIFT

Copyright © Leykam Buchverlagsges.m.b.H. & Co.KG, Graz – Wien – Berlin 2023

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Covergestaltung: Peter Eberl, www.hai.cc

© Porträt auf Umschlagseite 4: Moritz Ziegler

Satz und Typographie: Gerhard Gauster

Druck: Florjancic tisk d.o.o.

Gesamtherstellung: Leykam Buchverlag

ISBN 978-3-7011-8307-4

eISBN 978-3-7011-8323-4

www.leykamverlag.at

Auch als E-Book erhältlich.

Klimaneutral gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Kulturabteilung der Stadt Wien.

INHALT

Einleitung

Anfänge

Alibipolitik

Beitragstäter

Auswege

Quellen und Anmerkungen

Zum Autor

EINLEITUNG

„Ich will Österreich kein Loblied singen. Aber ohne diesen Wahn, den ich hatte, dass ich aus einem großen Land stamme, wäre ich nichts, wären wir alle nichts. Sie nicht, ich nicht. Auch die Skispringer gehören dazu. Alle. So, und jetzt lasst mich in Ruhe!“1

Im Gegensatz zu Peter Handke hat die Republik, die Politik wie die meisten ihrer Bewohner, verdrängt, dass Österreich ein großes Land ist. Uns stehen alle Möglichkeiten offen, auch die größten. Natürlich, wenn man sich allein auf die nackten Zahlen beschränkt, sind wir, wie es der britisch-amerikanische Historiker Tony Judt einmal formulierte, ein kleines, stabiles und unbedeutendes Land. Aber erstens sind Zahlen nicht alles, und zweitens gibt es Fakten, die uns hoch hinaus bis an die Spitze heben: Nach dem Wohlstandsindex von Eurostat, der kombiniert Wirtschaftskraft und Lebensqualität misst, liegt Österreich auf Platz vier in der EU, übertroffen nur von Luxemburg, Irland und den Niederlanden. Allerdings ist hinzuzufügen, dass die beiden bestplatzierten Länder ihren Platz außergewöhnlichen Umständen verdanken: Das kleine Herzogtum ist Heimat zahlreicher Finanzdienstleister, die Grüne Insel der europäische Hub für die US-Tech-Giganten, die sich dort enormer Standortvorteile erfreuen.

Es gäbe somit gute Gründe, ein Loblied auf Österreich zu singen, wäre da nicht diese andere fatale Charaktereigenschaft, die Franz Grillparzer schon vor mehr als 170 Jahren beschreibt:

„Das ist der Fluch von unserm edeln Haus:

Auf halben Wegen und zu halber Tat.

Mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.

Ja oder nein, hier ist kein Mittelweg.“2

Von Leopold Kohr, dem einst berühmten, heute meist vergessenen österreichischen Nationalökonomen, Staatsrechtler und Philosophen, stammt der Satz: „Wo immer etwas fehlerhaft ist, ist es zu groß.“ Kohr verleiht der Idee des Anarchismus neue politische Substanz und berichtet an der Seite Ernest Hemingways über den spanischen Bürgerkrieg, später kämpft er gemeinsam mit Otto Habsburg für die Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus. Für ihn ist alles eine Frage des Maßstabs: „Die Größe – und nur die Größe! – ist das zentrale Problem der menschlichen Existenz, im sozialen und im physischen Sinn.“ Die Lösung liegt für Kohr auf der Hand: „(…) die Idee und das Ideal der Kleinheit als einziges Serum gegen die krebsartige Wucherung der Übergröße (…).“3 In anderen Worten: Aus dem Kleinen, Dezentralen lassen sich Vorteile ziehen – ökonomische, soziale, politische. Small can be beautiful.

Die Republik hat die Ideen Kohrs zu Ausreden für ihre Unzulänglichkeiten verniedlicht, statt sich deren Vision anzueignen. Das Spiel mit der geringen Größe des Landes irritiert Außenstehende und Landsleute, die höhere Ansprüche stellen. Der Satz „Österreich ist ein kleines Land“ aus dem Mund heimischer Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger ist zu oft keine Tatsachenbeschreibung, sondern eine Ausrede für den fehlenden Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen. Manchmal bietet die geringe Größe auch Schlawinern Deckung. Österreich sei „a too small country to make good doping“: Dieser legendäre Satz Peter Schröcksnadels, der den ÖSV zum weltbesten Skiverband geformt hat, findet Eingang in den Zitatenschatz der Republik. Zu Recht. Er fällt, nachdem italienische Carabinieri bei den Olympischen Winterspielen 2006 im Privatquartier österreichischer Athleten Beweise für Blutdoping beschlagnahmen.

In dieser Republik ist nichts, keine Vertrauenskrise, keine Wut und kein Wunderwuzzi, einfach vom Himmel gefallen. Alles hat sie sich hart erarbeitet. Das gilt für das Misstrauen der Menschen in Parteien und Regierung, in Verwaltung und Wissenschaft, in Medien sowie Journalismus, und genauso auch für die Erfolge der Zweiten Republik und ihren Wohlstand. Doch dieses Kapital droht verspielt zu werden, weil die Politik fast alle Energie in symbolisch aufgeladene, aber für die Zukunft des Landes bestenfalls drittrangige Themen investiert; weil Medien, getrieben von der Sucht nach Aufregern und Klicks, diese falschen Prioritäten nicht nur hinnehmen, sondern noch befördern; weil für die Parteien Loyalität selbst bei zentralen Jobs wichtiger ist als Kompetenz; weil sich zu viele Bürgerinnen und Bürger im Zweifel lieber von der Politik abwenden als sich zu engagieren. Was den Zustand der Republik angeht, kann sich niemand die Hände in Unschuld waschen.

Natürlich steht Österreich mit seinen Problemen nicht allein da. Im Gegenteil: Rund um den Globus finden sich liberale Gesellschaften unter Druck; teils wegen weltweiter Krisen, von der Pandemie bis zum Ukraine-Krieg und den damit verbundenen Teuerungsschocks, teils aus eigenem Verschulden. Die Liste der Beispiele ist lang und beginnt bei der Führungsmacht der westlichen Welt, den USA, wo beide Parteien, zuvorderst jedoch die Republikaner, Maß und Mitte verloren haben; in Ungarn und Polen regieren korrupte Nationalisten; Großbritannien ist seit einer Dekade in Geiselhaft radikaler Brexiteers; in Italien sind Postfaschisten durch die grassierende Unzufriedenheit an die Macht gespült worden; Israels Demokratie droht, am Streit um die Justiz Schaden zu nehmen und so weiter und so fort.

Was Österreich von diesen Beispielen unterscheidet: Unser drohender Niedergang erfolgt ohne zwingende Notwendigkeit. Der Vertrauensverlust in die Institutionen mag im Gleichschritt mit der internationalen Entwicklung erfolgen, großteils ist er jedoch hausgemacht. Österreich eignet sich als perfekter Anschauungsfall, wie sich ein kleines, einst ultrastabiles und bis heute überdurchschnittlich wohlhabendes Land von ganz allein in die Krise manövriert. Dafür hauptverantwortlich ist die anhaltende Selbstverzwergung der nach wie vor tragenden Parteien der Mitte. ÖVP und SPÖ flüchten sich, statt zu gestalten, in Inszenierungen. Weil sie personell erschöpft und programmatisch orientierungslos sind, hoffen sie beide auf Wunderwuzzis, die sie zurück zu alter Glorie führen. Dann ist da die FPÖ, die ein ums andere Mal daran zerbricht, die Wut der Enttäuschten in konstruktive Politik umzuwandeln, während Grüne wie Neos daran scheitern, nachhaltig aus den Ghettos ihrer Kernklientel auszubrechen.

Trotzdem ist es zu billig und darüber hinaus sachlich falsch, mit dem Finger allein auf die Parteien zu zeigen. Nichts ist einfacher, als Politiker und Parteien pauschal als unfähige Vollversager oder habituell korrupt abzustempeln. Die Wirklichkeit ist komplizierter, oder anders formuliert: Der Zustand von Politik und Parteien hat ursächlich mit uns, den Bürgerinnen und Bürgern, unserem Handeln und Unterlassen, zu tun.

Im Folgenden soll, kurz und prägnant, Österreichs Weg zur unreifen Republik nachgezeichnet werden. Den Anfang bildet ein Ausflug in die noch immer nachwirkende Vergangenheit; in Österreich strahlt das Gestern verlässlich bis ins Heute aus. Der zweite Abschnitt widmet sich der Frage, wann, warum und wie die Parteien nach 1945 damit begonnen haben, Politik als Spiel zu betrachten. Heute ist Politik längst nicht mehr allmächtig, sondern braucht mehr oder weniger stille Helferlein. Diese Wasserträger und Beitragstäterinnen sind das Thema des dritten Kapitels. Die möglichen, ja vielfach sogar naheliegenden Auswege aus Österreichs selbstverschuldetem Schlamassel bilden als viertes Kapitel den Abschluss. Die gute Nachricht dabei lautet: Die aufgezeigten Veränderungen sind keine Zauberei; die schlechte lautet: Wir müssen uns, frei nach Peter Handke, selbst entwickeln wollen.

ANFÄNGE

„‚Und siehst du, Exzellenz, hier sind wir gestanden, und hier sind die Preußen gestanden, und wenn der Benedek den linken Flügel zur rechten Zeit hätte einschwenken lassen, hätten die Preußen den Krieg verloren.‘

‚Schad‘, sagte der andere.

‚Was schad?‘

‚Dass sie den Krieg nicht verloren haben.‘

‚Glaubst?‘

‚Alles wär anders.‘

‚Stimmt.‘“4

Ernst Fischer, der Humanist, Patriot und fast lebenslang überzeugte Kommunist, erzählt von diesem erlauschten Gespräch zweier alter Männer auf einer Grazer Parkbank 1919 in seinen unbedingt lesenswerten Memoiren. Die Niederlage, über die die beiden lamentieren, ist nicht die Katastrophe von 1918, die Rede ist von Königgrätz. Das Debakel von 1866 treibt die Einigung Deutschlands gegen und ohne das multinationale Österreich voran und zwingt das Habsburgerreich zum Ausgleich mit Ungarn. Der eben erst verlorene Weltkrieg, die Auflösung der Monarchie, der Verlust der meisten Landesteile, darunter auch etliche deutschsprachige, und die Ausrufung des kleinen Rests zur Republik: All das kümmert die beiden Alten weniger als das ewige Was-wäre-wenn längst verpasster Gelegenheiten.