Die Verblendung des Duluoz - Jack Kerouac - E-Book

Die Verblendung des Duluoz E-Book

Jack Kerouac

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Geschichte von Kerouacs Alter Ego Jack Duluoz erzählt von dessen Highschool-Erlebnissen in Massachusetts und seiner Zeit als Football-Stipendiat an der Columbia Universität. Gerade als Jack in sein glamouröses Erwachsenenleben ausbrechen will, bricht auch der Zweite Weltkrieg aus, Jack tritt der US Navy bei und bereist die Welt. Während er Erfahrungen sammelt, erkennt er die Grenzen seiner ursprünglichen Pläne und kehrt zurück nach New York, wo die Beat-Bewegung gerade ihren Anfang nimmt, zurück in einen Tumult aus Drogen, Sex und wahnhaftem Schreiben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 432

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jack Kerouac

Die Verblendung des Duluoz

Eine abenteuerliche Erziehung 1935 - 1946

 

 

Aus dem Englischen von Hans Hermann

 

Über dieses Buch

Die Geschichte von Kerouacs Alter ego Jack Duluoz erzählt von dessen High-School-Erlebnissen in Massachusetts und seiner Zeit als Football-Stipendiat an der Columbia Universität. Gerade als Jack in sein glamouröses Erwachsenenleben ausbrechen will, bricht auch der Zweite Weltkrieg aus, Jack tritt der US Navy bei und bereist die Welt. Während er Erfahrungen sammelt, erkennt er die Grenzen seiner ursprünglichen Pläne und kehrt zurück nach New York, wo die Beat-Bewegung gerade ihren Anfang nimmt, zurück in einen Tumult aus Drogen, Sex und wahnhaftem Schreiben.

 

«Ein lauter Roman. Ein Frontalangriff auf das Leben, eine vollkommene Hingabe an das Gefühl.» (The Guardian)

Vita

Jack Kerouac, am 12. März 1922 in Lowell/Massachusetts geboren, diente während des Zweiten Weltkriegs in der Handelsmarine, trampte später jahrelang als Gelegenheitsarbeiter kreuz und quer durch die USA und Mexiko und wurde neben William S. Burroughs und Allen Ginsberg der führende Autor der Beat Generation. Mit «On the Road» schrieb er eines der berühmtesten Bücher des 20. Jahrhunderts. Er starb am 21. Oktober 1969 in St. Petersburg/Florida.

Für Σταυροῦλα

 

Das heißt auf griechisch «Vom Kreuz»,

und außerdem ist es der Vorname

meiner Frau STAVROULA.

 

Ganz besonders danke ich

Ellis Amburn für sein großartiges

Einfühlungsvermögen und seine

Sachkenntnis.

Erstes Buch

1

Na schön, mein Weibchen, vielleicht bin ich tatsächlich ein Du-weißt-schon-Loch, aber wenn ich dir erst die Schwierigkeiten aufgezählt habe, die ich zu überwinden hatte, um von 1935 praktisch bis jetzt, 1967, in Amerika zu überleben, wenngleich ich natürlich weiß, daß jeder auf dieser Welt seine eigenen Schwierigkeiten hatte, dann wirst du verstehen, daß meine ganz speziellen Qualen daher rühren, daß ich gegen all die Trottel überempfindlich bin, mit denen ich mich herumschlagen mußte, um auch nur einFootball-Star der High School zu werden; ein Student, der Kaffee serviert und Geschirr spült und bis in die Nacht hinein dem Ball nachrennt und in drei Tagen Homers Ilias liest, das alles gleichzeitig, und, so wahr mir Gott helfe, ein LITERAT zu werden, dessen Erfolg nicht zum glücklichen Triumph wurde, so wie früher, sondern zum Signal für seinen eigentlichen Untergang. (Da ja ohnehin niemand meine Gedankenstriche mag, halte ich mich an die gewöhnliche Zeichensetzung, für die junge Generation von Analphabeten.)

Schau, außerdem rühren meine Qualen, wie ich sie nenne, daher, daß die Menschen sich so sehr geändert haben, nicht erst in den letzten fünf Jahren, Herrgott noch mal, oder in den letzten zehn Jahren wie McLuhan sagt, sondern in den letzten dreißig Jahren, und zwar in solchem Ausmaß, daß ich sie gar nicht mehr als Menschen oder mich selbst als wirkliches Mitglied von dem erkenne, was sich Menschheit nennt. Ich kann mich an 1935 erinnern, als ausgewachsene Männer, die Hände tief in den Jackentaschen, pfeifend die Straßen entlanggingen, ohne jemanden zu beachten und ohne von jemandem beachtet zu werden. Und außerdem gingen sie schnell, zur Arbeit oder zum Einkaufen oder zur Freundin. Doch heutzutage, sag mal, wieso kommen denn die Leute so schlotterig und langsam daher? Wohl weil sie gewohnt sind, nur über Parkplätze zu gehen? Hat sie das Automobil zu der Einbildung gebracht, daß sie wie eine Bande nichtsnutziger Strolche daherkommen, ohne ein bestimmtes Ziel?

In Herbstnächten vor dem Krieg in Massachusetts konnte man immer irgendeinen Burschen sehen, der zum Abendessen nach Hause ging, die Fäuste tief in den Seitentaschen seines Jacketts vergraben; pfeifend und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt ging er mit großen Schritten, schaute sich nicht mal nach den anderen Leuten auf dem Gehweg um, und nach dem Abendessen konnte man beobachten, wie derselbe Bursche auf dieselbe Weise aus dem Haus eilte, zu dem Süßwarenladen an der Ecke oder zu einem Besuch bei Joe oder ins Kino oder zum Billardspielen oder zur Nachtschicht in die Fabrik oder zu seinem Mädchen. Heute siehst du das nicht mehr in Amerika, nicht nur, weil jeder einen Wagen fährt und blödsinnig erhobenen Hauptes die idiotische Maschine durch die Fallgruben und Strafbestimmungen des Verkehrs dirigiert, sondern weil heutzutage keiner ohne jegliche Neugier daherkommt, mit gesenktem Kopf und pfeifend; jeder betrachtet jeden anderen auf dem Gehweg, schuldbewußt und, noch schlimmer, neugierig und mit vorgetäuschter Teilnahme, oft mit «Hip»-Interesse, nur ja nichts versäumen, wohingegen es in jenen Tagen Filme von Wallace Beery gab, der sich an einem verregneten Morgen im Bett umdrehte und sagte: «Ach was, ich schlaf weiter, ich versäum heute sowieso nichts.» Und er hat nie etwas versäumt. Heute hört man vom «schöpferischen Mitwirken in der Gemeinschaft», und niemand wagt es, einen ganzen Regentag zu verschlafen, niemand wagt zu überlegen, ob er tatsächlich etwas versäumt.

So unbekümmert und pfeifend, wie ich dir das hier erzähle, gingen damals in Lowell, Massachusetts, erwachsene Männer samstags und sonntags hinaus zum Dracut Tiger Park, nur um Kindern beim Football auf einem Sandplatz zuzusehen. Da sind sie, im kalten Novemberwind, Männer und Jungen, Seitenlinien; ein paar Spinner stellen sogar eine selbstgefertigte Meßkette mit zwei Absteckpflöcken, um die downs messen zu können – das heißt den jeweils gutgemachten Boden. Wenn im Football eine Mannschaft mehr als 10 Yards erobert hat, bekommt sie vier weitere Versuche, um die nächsten 10 Yards zu erobern. Irgend jemand muß genau aufpassen und sich, wenn es knapp hergeht, sofort auf den Platz stürzen und exakt messen, wieviel zur benötigten Distanz noch fehlt. Zu dem Zweck gibt es zwei Burschen, die die Meßkette an den zwei Pflöcken halten, und sie müssen wissen, wie man auf den Platz rennt; sie müssen sich dabei auf ihren Parallel-Instinkt verlassen können. Ich bezweifle, ob in dieser von Mandala-Mosaik-Perlen überzogenen Welt von heute überhaupt noch jemand weiß, was parallel bedeutet, abgesehen von überspannten Hochschulmathematikern, Vermessern, Zimmerleuten usw.

Hier kommt nun also dieser Haufen sorgloser Männer und auch Jungen, ja sogar Mädchen und etliche Mütter, hier kommen sie daherspaziert, eine ganze Meile quer über die Wiesen des Dracut Tiger Parks, nur um ihre dreizehn und siebzehn Jahre alten Jungen auf dem Auf und Ab eines holprigen Platzes Football spielen zu sehen, ohne Torpfosten, so ungefähr auf 100 Yards bemessen, durch einen Tannenbaum am einen Ende und einen Pflock am anderen.

Aber 1935 bei meinem ersten Spiel auf einem Sandplatz, etwa im Oktober, keine derartige Menge: Es war früh am Samstag morgen, meine Truppe hatte die Soundso-Mannschaft von Rosemont herausgefordert; ja in Wirklichkeit waren es die Dracut Tiger (wir) gegen die Rosemont Tiger, Tiger überall; wir hatten sie in Lowells Zeitung Sonne durch einen kleinen Artikel herausgefordert, der von unserem Mannschaftsführer Scotcho Boldieu geschrieben und von mir selbst redigiert worden war: «Die Dracut Tiger, Alter zwischen 13 und 15, fordern jede beliebige Footballmannschaft, Alter zwischen 13 und 15, zu einem Spiel am Samstag morgen auf dem Platz der Dracut Tiger oder jedem andern Platz heraus.» Es war keine formelle Liga oder so was, eben Kinder, und doch erschienen dann die größeren Jungen, um die Yardgewinne offiziell mit Meßkette und Absteckpflöcken zu messen.

In diesem Spiel war ich – obwohl wahrscheinlich der jüngste Spieler auf dem Platz – auch der einzige, der das war, was man im Football groß nennt, das heißt, ich hatte dicke Beine und einen schweren Körper. Ich erzielte neun touchdowns und wir gewannen 60:0, wobei wir dreimal den Zusatzpunkt nicht gewinnen konnten. Ich dachte von diesem Morgen an, ich würde mein ganzes Leben lang auf diese Weise touchdowns machen und niemand könnte mich anpacken oder stoppen, aber ernsthafter Football kam dann in der folgenden Woche, als die größeren Jungen, die immer bei meinem Vater in Pawtucketville Social Club im Billardzimmer und in der Kegelbahn herumlungerten, beschlossen, uns ein bißchen zu zeigen, wie man Köpfe einschlägt. Sie taten das, zum mindesten einige von ihnen, deshalb, weil mein Vater sie immer wieder aus dem Club hinauswarf, da sie nie einen Nickel für eine Cola oder eine Runde Billard oder einen Groschen für eine Kegelpartie hatten und nur herumlungerten, rauchten und die Beine von sich streckten und so den Durchgang für die echten Stammgäste blockierten, die hierherkamen, um zu spielen. Ich hatte ja keine Ahnung von dem, was auf mich zukommen würde, an jenem Morgen nach den neun touchdowns, als ich rauf in mein Schlafzimmer rannte und mit der Hand in sauberer Blockschrift eine große Schlagzeile mitsamt Spielbericht für die Zeitung niederschrieb: DULUOZ ERZIELT9 TOUCHDOWNS BEI DRACUTS ÜBERWÄLTIGENDEM60:0-SIEG ÜBER ROSEMONT! Diese Zeitung, das einzige Exemplar, verkaufte ich für drei Cents an Nick Rigolopoulos, meinen einzigen Kunden. Nick war ein kranker Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, der sehr gerne meine Zeitung las, da er nichts anderes zu tun hatte und bald an den Rollstuhl gebunden sein würde.

Und dann das große Spiel, zu dem, wie gesagt, Männer mit den Händen in den Taschen pfeifend und lachend durch den Park kamen, mit Frauen, Töchtern, Gruppen anderer Männer, Jungen, die sich alle entlang den Seitenlinien aufstellten, um dabei zu sein, wenn sich die sensationellen Dracut Tigers mit einem stärkeren Team messen würden.

Tatsache ist, daß die «Billard»-Mannschaft durchschnittlich sechzehn bis achtzehn Jahre alt war. Aber ich hatte auch einige kräftige Jungen auf meiner Seite. Ich hatte Iddyboy Bissonnette als meinen center, der größer und älter war als ich, der aber nicht gerne im Hinterfeld herumrannte, sondern lieber im Sturm, um den runners Lücken zu öffnen. Er war hart wie ein Fels und wäre später einer der größten line-men in der Footballgeschichte der Lowell High School geworden, wenn sein Zeugnisdurchschnitt nicht bei Fünf oder Vier minus gelegen hätte. Mein quarterback war der kluge und starke kleine Scotcho Boldieu, der wunderbare Pässe werfen konnte (und später ein großartiger Werfer im Baseball war). Ich hatte noch einen drahtigen, starken Kerl namens Billy Artaud, der wahrhaftig einen runner rammen konnte, und wenn es ihm gelang, gab er eine Woche lang damit an. Ich hatte andere, die weniger wirkungsvoll waren, wie Dicky Hampshire, der eines Morgens tatsächlich in seinem besten Anzug als right end spielte, weil er auf dem Weg zu einer Hochzeit war; er hatte Angst, seinen Anzug schmutzig zu machen, und niemand durfte ihn anfassen, und er faßte niemanden an. Ich hatte G.J. Rigolopoulos, der ziemlich gut war, wenn ihn die Wut packte. Für das große Spiel gelang es mir, Bong Baudoin von den inzwischen eingegangenen Rosemont Tigers zu verpflichten, und er war stark. Aber wir waren alle erst dreizehn und vierzehn.

Vom Anstoß weg fing ich den Ball und lief nach innen, und die großen Jungen fielen über mich her. Während ich in dem Gewühl ganz unten lag und den Ball an mich klammerte, schlug mir, abgeschirmt durch die Körper, plötzlich der vom Billardzimmer verstoßene siebzehnjährige Halmalo ins Gesicht und sagte zu seinen Kumpeln: «Packt dieses kleine Christkind Duluoz.»

Mein Vater war an der Seitenlinie und sah es. Er ging auf und ab, wobei er an seiner Zigarre paffte, das Gesicht rot vor Zorn. (Ich werde in dieser Art schreiben, um die Sache zu vereinfachen.) Nach drei erfolglosen Versuchen, 10 Yards vorzustürmen, müssen wir durch einen Abstoß den Ball aufgeben; wir tun das, der safety man der älteren Jungen läuft ein paar Yards zurück, und nun haben sie ihren ersten Versuch. Ich erzähle Iddyboy von dem Schlag, den ich im Gewühl abbekommen habe. Sie führen ihren ersten Versuch aus, und einer aus der vorderen Reihe der älteren Jungen steht mit einer blutigen Nase wieder auf. Alles ist wütend.

Beim nächsten Versuch erhält Halmalo den Ball aus der Mitte und beginnt, um seinen left end herumzutänzeln, langbeinig und dünn, mit guter Abschirmung, glaubt, gegen diese kleinen Anfänger könne er bis zur Torlinie marschieren. Tiefgebückt komme ich angerannt, so tief, daß seine Abschirmungsspieler in ihrem Eifer glauben, ich sei auf meine Knie gefallen, und sobald sie ein wenig auseinander gehen, um andere anzugreifen und Halmalo den Weg zu bahnen, tauche ich durch jene Lücke und stürze auf ihn zu, mit dem Kopf voraus, genau gegen die Knie, und ich drücke ihn zehn Yards zurück, dabei rutscht er auf dem Arsch, der Ball kullert über die Seitenlinie, und er findet sich wieder im Reich der Träume.

Er wird bewußtlos vom Platz getragen.

Mein Vater schreit: «Ha ha ha, du wirst nicht noch mal einen dreizehnjährigen Jungen schlagen mon maudit crève faim!»(Letzteres ist frankokanadisch und heißt, so in etwa, «du verdammter Hungerleider im Geiste!»)

2

Ich kann mich wirklich an den Ausgang jenes Spiels nicht mehr entsinnen, ich glaube, wir haben gewonnen; würde ich zum Pawtucketville Social Club hinuntergehen und fragen, so glaube ich nicht, daß sich jemand daran erinnern würde; ich weiß nur, und das mit Sicherheit, daß die alle lügen würden. Der Grund, weshalb ich heutzutage so verbittert und wie gesagt, «in Qualen» bin, oder jedenfalls einer der Gründe, ist der, daß jedermann angefangen hat zu lügen, und da sie lügen, nehmen sie an, daß ich auch lüge: Sie übersehen die Tatsache, daß ich mich an viele Dinge sehr gut erinnern kann (natürlich habe ich auch einiges vergessen, wie das Ergebnis jenes Spiels), aber ich glaube wirklich, daß Lügen eine Sünde ist, es sei denn, es handelt sich um eine unschuldige Lüge, hervorgerufen durch Gedächtnisschwund; gewiß ist es eine Todsünde, falsche Aussagen zu machen und falsches Zeugnis abzulegen, doch was ich sagen wollte, ist dies: Da das Lügen in der Welt von heute so überhandgenommen hat (unter anderem ausgelöst durch die marxistisch-dialektische Propaganda und die Techniken des Komintern), kann einer die Wahrheit sagen, und trotzdem wird jedermann, da ihn aus dem Spiegel ein Lügner ansieht, annehmen, daß auch der Wahrheit-Sager lügt. (Dialektischer Materialismus und die Techniken des Komintern waren die ursprünglichen Tricks des bolschewistischen Kommunismus, das heißt, du hast das Recht zu lügen, wenn du auf der Seite der Bolschewiki bist.) Daher diese schreckliche neue Redensart: «Du willst mich wohl hochnehmen.» Mein Name ist Jack («Duluoz») Kerouac, und ich wurde am 12. März 1922 in Lowell, Massachusetts, Lupine Road 9, geboren. «Ach, du willst mich wohl hochnehmen.» Ich schrieb dieses Buch Die Verblendung des Duluoz. «Ach, du willst mich wohl hochnehmen.» Wie jene Frau, mein Weibchen, die mir vor einiger Zeit einen Brief schrieb und darin – hör dir das bloß an – ausgerechnet behauptete:

«Sie sind nicht Jack Kerouac. Es gibt keinen Jack Kerouac. Seine Bücher wurden überhaupt nicht geschrieben.»

Die sind eben plötzlich aus dem Computer gekommen, meint sie wohl, sie wurden programmiert, sie wurden von irren Intellektuellen, bebrillten Soziologen mit wirren Informationsdaten gefüttert, und schon kam das vollständige Manuskript aus dem Computer, alles sauber im doppelten Zeilenabstand getippt, so daß es die Verlagsdruckerei nur noch drucken muß, die Verlagsbuchbinderei binden, der Verlag vertreiben, mit Einband und Schutzumschlag samt Waschzettel, so daß dieser nicht existente «Jack Kerouac» nicht nur einen Zwei-Dollar-Scheck als Honorar aus Japan bekommen kann, sondern auch den Brief dieser Frau.

Nun war David Hume bestimmt ein großer Philosoph, und Buddha hatte Recht im Hinblick auf die Ewigkeit, aber das geht ein klein bißchen zu weit. Natürlich stimmt es, daß mein Körper nichts ist als ein elektromagnetisches Gravitationsfeld, wie jener Tisch dort drüben, und selbstverständlich stimmt es, daß der Geist in Wirklichkeit nicht existiert, im Sinne der alten Dharma-Meister, wie etwa Hui-Neng; aber andererseits, wer ist nicht derjenige, der er ist, wegen der Ignoranz eines Idioten?

3

Die Aufzählung meiner Klagen hat noch nicht mal angefangen; keine Angst, ich werd’s nicht langatmig machen. Was ich im Moment zu bemeckern habe, ist die Tatsache, daß mich Halmalo, oder wie er nun richtig geheißen haben mag, «dieses kleine Christkind Duluoz» genannt hat, während er mir jenen heimtückischen Schlag ins Gesicht versetzte. Und daß heute keiner diese Geschichte glaubt. Und daß heute keiner mit den Händen in den Taschen pfeifend über Wiesen geht oder nicht mal auf Bürgersteigen. Daß ich längst übergeschnappt sein werde, bevor ich mit meinem Gemeckere zu Ende bin, und daß ich sogar glauben werde, ähnlich jenen LSD-Köpfen auf Abbildungen in der Zeitung, die in Parks sitzen und entzückt den Himmel anstarren, um zu zeigen, wie high sie sind, wo sie doch nur vorübergehend die Opfer einer Kontraktion der Blutgefäße und der Nerven im Gehirn sind, die die Illusion einer Abgeschlossenheit (eines Verschließens) von äußeren Notwendigkeiten herbeiführt, daß ich also zu glauben anfange, ich bin gar nicht Jack Duluoz, und meine Geburtsurkunde, die Geburtsurkunden meiner Familie und die dokumentierte Herkunft, die Berichte über meine sportliche Aktivität in den Zeitungsausschnitten, die ich habe, meine eigenen Niederschriften und veröffentlichten Bücher, daß sie alle gar nicht wirklich existieren, sondern allesamt Lügen sind, ja daß selbst meine eigenen Träume, die ich nachts im Schlaf geträumt habe, überhaupt gar keine Träume sind, sondern Erfindungen meiner hellwachen Phantasie; dann bin ich gar nicht «ich bin», sondern lediglich ein Spion im Körper eines anderen und tue so, als sei ich ein Elefant, der durch Istanbul geht und in dessen Zehen sich Eingeborene verfangen haben.

4

Jeder, der sich im Football auskennt, weiß, daß die besten Footballspieler einmal auf dem Sandplatz anfingen. Ich denke zum Beispiel an Johnny Unitas, der nicht mal die High School besuchte, und ich denke an Babe Ruth im Baseball. Nach diesen ersten Spielen auf Sandplätzen kamen einige Spiele gegen die Griechen in North Common, bei denen es furchtbar blutig zuging. Es ist klar, daß Blut fließt, wenn ein Kanuck wie Leo Boisleau (jetzt in meiner Mannschaft) und ein Grieche wie Sokrates Tsoulias frontal zusammenstoßen. Das Blut, meine Liebe, floß an jenem Samstag morgen wie in einer homerischen Schlacht. Stell dir vor, wie Putsy Keriakalopoulos auf dem staubigen, verrückten Platz versucht, an Iddyboy vorbeizutanzen oder an einem so verrückt anstürmenden Bullen wie Al Didier vorbei. Die Kanucken (Frankokanadier) gegen die Griechen. Das Schönste dabei ist, daß diese beiden Mannschaften später den Kern für die Footballmannschaft der Lowell High School bildeten. Stell dir vor, wie ich versuche, mit einer Körpertäuschung den angreifenden Orestes Gringas oder seinen Bruder Telemachus Gringas ins Leere hechten zu lassen. Stell dir vor, wie Christy Kelakis versucht, einen Paß über die Finger des langen Al Roberts zu zirkeln. Diese späteren Spiele auf dem Sandplatz waren so furchtbar, daß ich an Samstagen Angst davor hatte, morgens aufzustehen und mich zu zeigen. Andere derartige Spiele wurden auf dem Platz der Bartlett Junior High School ausgetragen, wo wir als Kinder alle hingegangen waren, andere auf dem Platz der Dracut Tigers, andere auf der Kuhweide bei der St.-Rita-Kirche. Es gab noch andere, wildere Kanuckenteams aus der Gegend der Salem Street, die sich nie an uns wandten, da sie nicht wußten, wie man sich mit Hilfe der Sportseite einer Zeitung um ein Spiel bemüht. Sonst glaube ich, daß eine Kombination ihrer Mannschaft mit der unsrigen und die Kombination anderer griechischer oder sogar polnischer oder irischer Mannschaften in der Stadt … Mein Gott, mit anderen Worten, «homerisch» wäre noch gar kein Ausdruck gewesen.

Aber das nur als Beispiel dafür, wo ich lernte, Football zu spielen. Weil ich doch aufs College gehen wollte und irgendwie wußte, daß mein Vater nie das Geld für die Studiengebühren aufbringen konnte, wie es dann auch tatsächlich war. Ich war darauf versessen, auf irgendeinem Campus zu landen, Pfeife rauchend, mit Strickweste, eben dabei, wie Bing Crosby im Mondschein irgendeiner Studentin ein Ständchen zu bringen, drunten bei der alten Ox Road, und vom Studentenhaus herüber dringen Fetzen des Alma Mater-Lieds. Davon träumten wir, ein Ergebnis der vielen Filme, die wir uns im Rialto-Kino angesehen hatten. Ein weiterer Traum war es, die College-Ausbildung erfolgreich abzuschließen und ein großer Versicherungsagent zu werden, auf dem Kopf einen grauen Filzhut, in Chicago aus dem Zug zu steigen mit Aktenmappe, von einer blonden Frau auf dem Bahnsteig umarmt zu werden im Rauch und Dreck der lärmenden, aufregenden Großstadt. Kannst du dir vorstellen, wie das heute aussehen würde? Mit der Verunreinigung der Luft und so und dem Magengeschwür des leitenden Angestellten, den Anzeigen in der Time und den Autostraßen von heute, wo Autos zu Millionen in alle Richtungen rasen, rein in den Kreisverkehr und rum im Kreis, in freudiger Stimmung zu immer neuen Magengeschwüren? Und dann sah ich mich, als College-Absolvent, erfolgreicher Versicherungsmann, ich werde älter zusammen mit meiner Frau in dem holzgetäfelten Haus, wo Elchgeweihe an den Wänden von meinen erfolgreichen Jagdexpeditionen nach Labrador künden, und während ich, weißhaarig, Bourbon aus meiner Hausbar nippe, gebe ich meinem Sohn den Segen, wohl bekomm’s, zum nächsten Herzinfarkt. (So sehe ich das heute.)

Als wir uns auf staubigen, blutigen Plätzen herumbalgten und bekriegten, dachten wir nicht im Traum daran, daß wir alle dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fallen würden, einige von uns gefallen, andere verwundet, die übrigen um die unschuldigen Ambitionen von 1930 gebracht.

Ich werde hier mein vorletztes Jahr in der Lowell High School überspringen; es war die übliche Geschichte des Jungen, der das Alter oder die «Dienstjahre» nicht hat, um regelmäßig spielen zu dürfen, obwohl der eigentliche Grund dafür, daß mich Trainer Tam Keating nicht spielen ließ, der war, daß er glaubte, ich habe noch zwei Jahre in der High School, weil ich doch erst fünfzehn war, und er mich für mein zweitletztes und letztes Jahr «schonen» wollte. Auch war da etwas faul im Staate Merimack, denn im Training Mann-gegen-Mann schenkte er mir nichts, und ich eroberte ganz korrekte und hart erkämpfte Yards und hätte das auch in jedem offiziellen Match tun können; oder politische Machenschaften sind mit im Spiel, die aber mein Vater keineswegs unterstützte, denn als etwa um 1930 eine Abordnung von Bürgern aus Lowell zu ihm kam und ihn fragte, ob er sich um den Posten des Bürgermeisters bewerben wolle, war er so ehrlich, zu antworten: «Sicher, ich werde mich um den Bürgermeisterposten bewerben, aber wenn ich gewinne, werde ich jeden Gauner aus Lowell hinausjagen, und dann wird niemand in der Stadt übrigbleiben.»

5

Ich weiß nur, wie die Saison in meinem letzten Jahr verlief; urteile selbst, oder wenn du nichts davon verstehst, laß einen Trainer urteilen: Ich wurde fürs erste Spiel des Jahres nur aufgestellt, weil sich Pie Menelakos am Knöchel verletzt hatte. Zugegeben, er war ein ganz schön trickreicher runner, aber er war so klein, daß er zehn Fuß durch die Luft flog, wenn ihn einer rammte. Und zugegeben, er war geschmeidig. Aber weil der Trainer irgendwie glaubte, er brauche einen Mann zum Blocken, einen fullback wie Rick Pietryka und den sauberen kleinen Werfer Christy Kelakis, war für mich als runner kein Platz mehr frei in der Hintermannschaft. Was aber den fullback angeht, so konnte ich im Getümmel meinen Kopf tief runternehmen und glatt zehn Yards nach vorne stürmen, ohne mich auch nur umzusehen. Was den halfback angeht, so konnte ich einen schlecht geworfenen Paß fangen, bei dem der Ball hinter mir runterkam, indem ich mich einfach um meine Achse drehte, den Ball an mich zog und dann in der ursprünglichen Richtung auf und davon lief. Ich gebe zu, ich konnte nicht so gut abblocken wie Bill Demmons, der quarterback, oder Pässe werfen wie Kelakis. Aus irgendeinem Grund mußten Pietryka und Menelakos aufgestellt werden, und mein Vater behauptete, irgendwer werde dafür bezahlt. «Typisch für die Stinkstadt am Merimack», sagte er. Außerdem war er in Lowell nicht sehr beliebt, denn er blieb niemandem etwas schuldig, der ihm mit irgendwelchem Gefasel daherkam. Er schlug einem Ringkämpfer die Faust aufs Maul, im Laurier Park unter der Dusche, weil ein Ringkampf arrangiert oder abgesprochen worden war. Er packte einen griechischen Patriarchen bei seinen Gewändern am Hinterteil und warf ihn aus seiner Druckerei hinaus, weil dieser sich über den Preis für Rundschreiben beschwerte. Dasselbe machte er mit dem Besitzer des Rialto-Kinos, Tausend-Dollar-Grossman nannte er ihn. Eine Gruppe von Kanucken-«Freunden» hatte ihn um sein Geschäft betrogen, und er sagte, vor 1984 werde der Merimack nicht gesäubert sein. Er hatte auch der Kommission des Bürgermeisters schon gesagt, was zum Teufel er von der Ehrlichkeit hielt. Er brachte eine kleine Wochenzeitung, den Lowell Scheinwerfer, heraus, in dem die Korruption im Rathaus aufgedeckt wurde. Wir wissen, daß es in allen Städten gleich aussieht, aber er war ein außergewöhnlich ehrlicher und aufrichtiger Mensch. Er war nur der Herr «Kugelrund», 1,65 Meter groß und über zwei Zentner schwer, aber Angst hatte er vor niemandem. Er räumte ein, daß ich ein erbärmlicher Schlagmann beim Baseball war, aber was Football anbetrifft, da sagte er, man könne sich kaum einen besseren runner denken. Seine Ansicht wurde später von Francis Fahey bestätigt, damals Trainer vom Boston College und später von Notre Dame, der tatsächlich zu uns nach Hause kam und sich mit meinem Vater im Wohnzimmer unterhielt.

Aber er hatte allen Grund, wütend zu sein, wie diese Aufzeichnungen zeigen werden. Wie gesagt, zum ersten Spiel wurde ich aufgestellt. Zuerst möchte ich jedoch noch sagen, daß wir eine tolle Angriffsreihe hatten: Der große Al Swoboda war right end, ein 1,93 Meter großer Litauer oder Pole, so stark wie ein Ochse und genauso sanftmütig. Telemachus Gringas (oben erwähnt) als right tackle, mit dem Spitznamen Duke und Bruder des großen Orestes Gringas, und die beiden waren die härtesten, grobknochigsten und ehrlichsten Griechen weit und breit. Duke sogar mein Kumpel als kleiner Junge, wir waren zwölf etwa, als wir während eines kurzen Monats beschlossen, Freunde zu werden, samstags legten wir nachts die anderthalb Meilen vom Kearny Square zurück, wobei wir, Arme um die Schultern, uns gegenseitig halb stützten, und Duke jetzt erwachsen, ein ruhiger Bursche, aber eine Zweizentner-Bombe, mit lustigen schwarzen Augen. Hughie Wain, right guard, ein großer 205 Pfund schwerer ruhiger Bursche von der Andover Street, wo die reichen Leute wohnten, mit der Kraft und dem Auftreten eines Bullen. Joe Mellis als center, ein Pole mit dynamischen, rasanten, dramatischen, bürstenschnittigen Attacken, später zum Spielführer für die Mannschaft des nächsten Jahres gewählt und dazu vorgesehen, fullback zu spielen, als Leichtathlet ein guter 300-Yard-Läufer. Chet Rave left guard, ein eigenartiger, gesprächiger Fels von einem Mann von siebzehn Jahren, dazu ausersehen, als einziges Mitglied dieser Lowell-Mannschaft, außer mir, von großen College-Mannschaften ernsthaft umworben zu werden (in seinem Fall die Georgia University). Jim Downing left tackle, ein 1,93 m großer affektierter Ire, und hüte dich vor denen. Und Harry Kiner left end, schnell und gut in der Verteidigung und mit Knochen aus Stein.

Ich spielte also im ersten Spiel des Jahres gegen die Greenfield High School (und das hier sind die Aufzeichnungen, die ich erwähnte, vom ganzen Jahr, Spiel um Spiel), und erzielte zwei touchdowns, die annuliert wurden, holte tatsächlich fünf der sieben first downs im ganzen Spiel, lief durchschnittlich 10 Yards pro Versuch, und rannte einmal 20 Yards und kam damit bis auf Zentimeter an die Torlinie heran, und Kelakis übertrug sich selbst die Ehre, den touchdown auszuführen (er hatte die einzelnen Spielzüge zu bestimmen).

Bis zum zweiten Spiel der Saison war Menelakos’ (Mennys) Knöchel wieder geheilt, und trotz meiner Leistung nahm er meinen Platz in der Mannschaft ein. Ich durfte nur die letzten beiden Minuten spielen, gegen die Gardner High School im Westen von Massachusetts, erhielt den Ball nur zweimal, schaffte beide Male einen first down, einmal 12 und einmal 13 Yards, holte mir eine blutige Nase und aß Chair-City-Eiscreme nach dem Spiel (wird in Gardner hergestellt).

(In diesen beiden ersten Spielen leichte Siege für Lowell.)

Für das dritte Spiel wurde ich schon gar nicht mehr aufgestellt, sondern erst in der zweiten Hälfte auf den Platz geschickt, gegen Worcester Classical, fing einen Abstoß des Gegners und lief 64 Yards mit dem Ball, durch die gesamte Mannschaft, bis über die Torlinie, erzielte darauf noch zwei weitere touchdowns, nach einem Lauf von jeweils 25 Yards, lief nur siebenmal mit dem Ball und legte dabei durchschnittlich 20,6 Yards zurück. Auch das ist in der Zeitung festgehalten. (Lowell gewann auch dieses Spiel.)

Als der «große Prüfstein» für Lowell kam, das Spiel gegen Manchester, kam ich trotzdem nicht als großer Held in die Mannschaft, sondern saß auf der Reservebank, als auf einmal die Schulkinder auf den Tribünen mit Sprechchören anfingen: «Wir wollen Duluoz, wir wollen Duluoz.» Wenn das nicht der Gipfel ist! Ich mußte dasitzen und zusehen, wie einige dieser Nichtsnutze herumhüpften und -tänzelten, wie sich jemand ein Beinchen verstaucht, und es ist der heroische Pietryka, der schnell noch den Helm abnimmt, während er humpelnd vom Platz geführt wird, damit ja jeder sein tragisches Haar in der Herbstbrise wehen sieht. Angeblich ein full back mit der Wirkung eines Rammbocks, pflügte er sich einen Weg so schwerfällig wie eine alte Kuh, und hätte vor ihm Bill Demmons nicht verbissen und unauffällig Angreifer abgeblockt, wäre er gar nicht rechtzeitig zur Anspiellinie zurückgekommen, um durch die sich öffnende Lücke zu schlüpfen. Die hochgerühmte Mannschaft aus Manchester war jedoch überbewertet worden, Lowell High School gewann 20:0, und ich durfte nur einmal im letzten Augenblick mit dem Ball laufen, der quarterback forderte einen schnellen Vorstoß durch die Mitte, während ich im Bogen nach außen ausbrechen wollte, und so wurde ich im Gewühl zugedeckt, und der Ruf «Wir wollen Duluoz» verstummte, und das Spiel war nach einer Minute oder weniger als einer Minute zu Ende.

Ich gebe zu, sie brauchten mich ohnehin nicht in diesem Spiel (20:0), aber als dann das fünfte Spiel kam, wurde ich wieder nicht aufgestellt, durfte aber ein Viertel lang spielen und machte drei touchdowns, von denen einer nicht anerkannt wurde, gegen die Keith Academy, und wir gewannen 43:0. Es ist aber nicht verwunderlich, wenn man was vom Football versteht, daß ich entweder von da an oder schon vorher ganz unauffällig von Francis Faheys Leuten vom Boston College genau beobachtet wurde, die sich schon darauf einstellten, nach Notre Dame zu gehen, mit anderen Worten, man interessierte sich für mich in den höchsten Rängen des amerikanischen Footballs, und darüber hinaus brachte der Boston Herald in dieser Woche eine Schlagzeile in seinem Sportteil, ganz oben auf der Seite, DULUOZ IST DER ZWÖLFTE MANN IN DER LOWELL HIGH SCHOOL ELF, und das war sehr seltsam, gleich wie man’s ansieht. Selbst in meinem eigenen, sechzehn Jahre alten, taufrischen Hirn schlummerte der Verdacht, daß irgend etwas nicht stimmte, wenngleich ich den Behauptungen meines Vaters, daß Parteilichkeit im Spiele sei, nicht so recht glauben konnte (oder wollte). Der Trainer, Tam Keating, warf mir gelegentlich, so schien es, einen Blick schwachen und gleichgültigen Bedauerns zu, als ob es nicht an ihm läge, daß meine sichtbar echten Fähigkeiten ungenützt blieben. Mein Vater wurde langsam wütend. Ein Sportreporter, Joe Callahan, der später unter Francis Faheys Herrschaft Pressechef für Notre Dame werden sollte und dann Präsident der Boston Patriots in der American Football League, begann in seinen Sportkommentaren in bezug auf mich anzudeuten, daß «Zahlen nicht lügen». Ein Sportreporter, der meinen Vater haßte, schrieb über mich, «ich sähe aus» wie ein Footballspieler. War das nicht süß?

6

Das nächste Spiel gegen Malden war ein Zusammentreffen der damaligen Giganten im High School Football in Massachusetts, obwohl meiner Meinung nach Lynn Classical an Härte uns beiden überlegen war. Maldens riesige, muskelbepackte guards und tackles, mit Wagenschmiere unter den Augen wir Irokesen mit Kriegsbemalung, hielten den ganzen Nachmittag ein 0:0-Unentschieden gegen uns (wobei ich immer noch der Meinung bin, Iddyboy Bissonnette hätte dabeisein müssen, aber der Trainer sagte mir, daß seine Zeugnisse nicht gut genug seien; nach ein paar Trainings-Stunden, wo er den Knäbchen gewaltig eingeheizt hatte und wo er alten Knaben genauso eingeheizt hätte, schickten sie ihn nach Hause). Niemand konnte den Ball lange halten an jenem Nachmittag gegen Malden. Aber unsere tolle Abwehrkette mit Swoboda, Wain, Rave, Downing, Melis, Gringas usw. fackelte auch nicht lange. An jenem Nachmittag spielte es keine Rolle, ob ich mit dem Ball rannte oder von Anfang an spielte, oder nur ein Viertel lang spielte oder gar nicht; es war ein Spiel der Verteidiger, reines Pingpong BLONG: reichlich langweilig, aber von interessierten Zuschauern verfolgt.

Meinen einzigen schwerwiegenden Patzer machte ich im Spiel gegen Lynn Classical: Sie schlugen uns 6:0 in Lynn, aber wenn ich nur den verdammten Paß mit meinen glitschigen idiotischen Fingern auf der Torlinie hätte annehmen können, einen sauberen Paß von Kelakis genau in meine Hände, dann hätten wir vielleicht gewonnen oder jedenfalls unentschieden gespielt. Ich habe mir nie vergeben, daß ich mich bei diesem Paß so ungeschickt anstellte. Wenn es im Football nur keinen schweinsledernen Ball gegeben hätte, sondern einen schönen alten schlotterigen Socken, mit dem man als Zehnjähriger spielt. Ich leugne nicht, ich hielt das Leder immer mit einer Hand, wenn ich lief, und daher ließ ich es oft fallen. Das war ein Punkt, der dem Trainer vielleicht nicht gefiel. Aber nur so konnte ich mit aller Kraft laufen und Haken schlagen, mit der Ausdauer eines Leichtathleten, und überhaupt ließ ich den Ball auch nicht öfter fallen als die anderen.

Dem Malden-Spiel folgte ein lächerliches Spiel in New Britain, Connecticut, gegen ein starkes Team, unsere ganze Truppe stellte in der Nacht vor dem Spiel ihr Hotelquartier auf den Kopf, zwar kein Saufgelage oder derlei, wie das die Burschen heutzutage so treiben, aber es war einfach unmöglich, so zu schlafen, wie man das zu Hause in der Nacht vom Freitag zum Samstag tut, und so gab es für uns eine ernüchternde Niederlage. (Einige waren nachts ausgestiegen und zu einem Tanz gegangen.)

Und jetzt hatten sie alle Nerven, die großen Anreißer der Mannschaft, die Stars, mußten sich ausruhen nach jenem Fiasko in Connecticut, und ich stand allein da mit einem Häufchen mittelmäßiger Bürschchen, als es galt, gegen Nashua (die Geburtsstadt meiner Eltern) anzutreten, in Schlamm und Regen, aber wie gesagt, nur als Beispiel dafür, wie ich behandelt wurde. Nach dem Spiel, du wirst es kaum glauben … aber Moment noch. Es wurde das härteste, beste Footballspiel, das ich je hingelegt habe, und es war das Spiel, das Fahey endgültig überzeugte und auch Lu Gibble von Columbia, und andere Interessenten, wie Duke University, auf mich aufmerksam machte. Da die Helden sich durch türkische Bäder im «Rex» erholten, versteht es sich von selbst, daß ich diesmal von Anfang an spielte, in ekelhaft süßlich riechendem Schlamm, gegen eine Anzahl großer starker Griechen, Polaken, Kanucken und Yankee Boys, und wir prallten so oft aufeinander, bis wir alle dermaßen von Dreck überzogen waren, daß weder unsere Gesichter noch die Nummern auf den Jerseys zu erkennen waren. Der Zeitungsbericht beschränkte sich auf die Wiedergabe der Szenen, die zu touchdowns führten, 19:13 zugunsten Nashuas, führte aber nicht Buch darüber, welche Entfernungen mit dem Ball zurückgelegt wurden; ich hatte nämlich mit dem Kopf ganz tief von insgesamt 149 Yards für Lowell 130 selbst erobert, darunter ein Lauf von 60 Yards, wo ich von einem langbeinigen end rücklings umgelegt wurde, doch gelang mir ein Lauf von 15 Yards bis über die Torlinie im Anschluß an einen Paß. Beide Seiten verloren immer wieder den schlüpfrigen Ball aus den Händen, blockierten Abstöße des Gegners, schlitterten in die auffangbereiten Arme der Zuschauer an den Seitenlinien, und doch bleibt dieses Spiel für mich in der Erinnerung das schönste, das ich je gespielt habe, und das wichtigste, da ich (zusammen mit Bill Demmons) als Arbeitspferd ohne äußeren Glanz eingesetzt wurde, und so ein Spiel hinlegte, das nur ein professioneller Zuschauer richtig zu würdigen weiß, das Spiel eines einsamen, unauffälligen Rückgrats, das sich mit schlamm- und blutverkrusteten Lippen wie ein Rammpfahl durch den Dreck wühlt, ein Traum, der auf die alten Gipper- und Albie-Booth-Spiele zurückgeht, in alten Wochenschau-Filmen, auf denen es dauernd Bindfäden zu regnen scheint.

Mit der kompletten Mannschaft hätten wir dieses Spiel natürlich gewinnen können, ein guter Mann macht noch keine Mannschaft, aber nein, die Helden mochten Regen und Schlamm nicht.

In der Nacht darauf wachte ich zu Hause aus tiefem Schlaf auf und hatte üble Muskelkrämpfe, «Charlie Horses» wie wir sie nannten, so daß ich schrie vor Schmerzen, doch mir hatte ja niemand ein türkisches Bad im «Rex» angeboten, nach all dem wahnwitzigen, glitschigen, wühlenden Schieben und Stoßen, mit praktisch lauter Kindern in meiner Mannschaft.

(Aber hat auch nur jemand versucht, unsere Chancen für das nächste Spiel in zehn Tagen, den großen Kampf an Thanksgiving, zu verbessern?)

7

Okay, aber mit dem großen Footballspiel an Thanksgiving kommt das Zusammentreffen der geheiligten Feinde, Lowell gegen Lawrence, auf einem Platz so hart wie Eis bei Temperaturen unter dem Nullpunkt. Jetzt waren die «Helden» wieder fit, und das Spiel begann ohne mich. Die Helden mußten doch ihren großen Tag haben, mit Übertragung im Rundfunk und 18000 Zuschauern. Ich sitze im Stroh, vor der Reservebank, mit mon derrière dans paille (meinem Arsch im Stroh), wie die Franzosen sagen. Die erste Hälfte geht vorüber, weder hüben noch drüben ein touchdown. In der zweiten Hälfte denken sie, sie könnten mich brauchen und nehmen mich in die Mannschaft. (Wahrscheinlich meinen sie, ich spielte gegen Nashua miserabel, da werde ich auch jetzt niemandem auffallen.) Einmal stehe ich fast frei, aber irgend so ein Bürschchen von Lawrence bringt mich im letzten Moment mit einer fleischigen, italienischen Hand zu Fall. Aber ein paar Spielzüge später wirft mir Kelakis über die Hände des outside end hinweg aus 3 Yards Entfernung den Ball zu, und ich fange ihn und renne die Seitenlinie entlang, stürme und stoße mich voran, runter den Kopf, hoch den Kopf, Pause, weiter, Downing fabriziert einen herrlichen Abwehrblock, ein anderer macht es ihm nach, immer wieder anrempelnd laufe ich weiter, 18 Yards, und schaffe es gerade bis zur Torlinie, wo sich einer von Lawrence auf mich stürzt und sich anhängt, aber ich springe einfach aus seiner Umklammerung und lande auf meinem Gesicht, mit dem einzigen touchdown des Tages. Das Ergebnis lautet 8:0, weil Harry Kiner bereits einen Abstoß von Lawrence abgeblockt hat und dann in der Endzone den Ball unter sich begrub, somit zwei Punkte für uns. Wir hätten also ohnehin 2:0 gewonnen. Was hatten wir doch für eine Verteidigungskette! Nach Spielende der übliche Spektakel usw., ich renne sofort vor allen anderen vom Platz zu den Umkleidekabinen, um mich schnell für Thanksgiving-Dinner zu Hause umzuziehen, und wer kann denn das schon sein, der da in der Umkleidekabine der Lowell High School herumflucht und seinen Helm durch die Gegend kickt, wer anders als Pie Menelakos, geradeso als ob wir verloren hätten, fluchend, weil ich es war und nicht er, der den einzigen touchdown des Spiels machte?

Da hast du’s also.

Er erhält ein Angebot von Norwich in Vermont, während zu mir Francis Fahey kommt, und ein paar Tage später Lu Libbles Leute.

In diesem Fall also, mein Weibchen, könnte ich verbittert sein, ich bin verbittert, aber Gott gab mir die Gelegenheit, mir selbst zu helfen.

Armer Pa, sitzt inzwischen zu Hause, Truthahn, Kirschkuchen, kostenloses Kegeln auf allen Bahnen, hurra, mein Traum, aufs College zu gehen, nimmt Gestalt an, wie Errol Flynn.

Und trotzdem sage ich: Was soll das alles? Du wirst vielleicht sagen, ich sei ein Angeber in Footballdingen, obwohl all diese Aufzeichnungen in den Zeitungsarchiven, Morgue genannt, zur Verfügung stehen; also gut, ich bin ein Angeber, aber ich würde es nicht so nennen, denn wozu nützt das alles, sagt doch der Prediger Salomos: «Eitelkeit der Eitelkeiten … alles ist eitel.» Du bringst dich um, ins Grab zu kommen. Insonderheit bringst du dich um, ins Grab zu kommen, noch bevor du auch nur stirbst, und der Name jenes Grabs ist «Erfolg», der Name jenes Grabes ist Ballaballa Bumbum Bockmist.

Zweites Buch

1

Ich prahle noch immer, aber ich sage noch immer die Wahrheit: Während dieser ganzen Zeit holte ich Einser und Zweier in der High School, vor allem deswegen, weil ich mindestens einmal in der Woche der Schule fernblieb, das heißt die Schule schwänzte, nur damit ich in die städtische Bibliothek von Lowell gehen und mich in aller Ruhe etwa mit alten Schachbüchern beschäftigen konnte, die gelehrtes Denken wie einen süßen Duft ausströmten, und dann ihre alten Einbände, die mich dazu brachten, mir andere wohlriechende Bücher vorzunehmen, Bücher wie Goethe, Hugo, William Penns Maxims sogar, ich las einfach, um mir selbst damit zu imponieren. Und doch führte dieser Umweg zu wirklichem Interesse am Lesen. Führte zur sorgfältigen Lektüre von H.G. Well’s Outline of History, zu stumpfsinnigem Eindringen in die Harvard-Klassiker und tiefer Ehrfurcht vor dem winzigen Druck auf Zwiebelschalenpapier, so weiß wie Schnee, wie man das in der Elften Ausgabe der Encyclopaedia Britannica (Ency. Brit. XI Ed.) findet, mit ihren genauen Berichten von überhaupt allem, was bis zum Jahr 1910 geschah, mit weitschweifiger und trefflicher Ausdrucksweise zum letzten Mal von Oxfords und Cambridges Gelehrten zusammengestellt – ich liebte Bücher und den Geruch der alten Bibliothek, und ich las immer in dem rückwärtigen, kreisrunden Raum, mit einer Büste Cäsars in der hellen Morgensonne und all den Enzyklopädien auf halbkreisförmigen Regalen um mich herum. Diesen Selbstunterricht erweiterte ich dadurch, daß ich gegen 11 Uhr morgens aus der Bibliothek schlenderte, auf der Dutton Street beim YMCA über die Eisenbahnschienen ging, damit mich Joe Maple, mein Englischlehrer, ja nicht etwa vom Fenster aus sehen konnte, überquerte die Eisenbahnbrücke in der Nähe des Kaufhauses, über Schienen, die auf nackten Querschwellen befestigt waren, so daß man die tiefen Strudel des Kanals mit den darin treibenden Schneemassen sehen konnte, dann Middlesex hinunter zum Rialto-Kino, wo ich die alten 1930er-Filme mit all ihren Details sorgfältig studierte. Sicher, das haben die meisten von uns gemacht, aber nicht, nachdem sie um 8.15 Uhr zur Bibliothek statt zur Schule gegangen waren und in aller Ruhe bis 11 Uhr dort gelesen hatten, oder?

Hinzu kommt, daß ich in jenem Winter für die Leichtathletik-Mannschaft der Lowell High School die meisten Punkte sammelte und sogar noch Zeit für mein erstes Liebesabenteuer mit Maggie Cassidy fand, im gleichnamigen Roman ausführlich beschrieben.

Ich war also ein Football- und Leichtathletik-Star, ein hervorragender Schüler, selbständig, ja geradezu verrückt vor Selbständigkeit, so daß ich bei Schneestürmen in Lowell völlig allein draußen in den menschenleeren Wäldern von Dracut mit einem Hockeyschläger umherstreifte, dabei bis zu den Knien einsank, nur um mir fürs Sonntagessen Appetit zu holen und unter den Tannen stehenbleiben und die verrückten Krähen krächzen hören zu können. Da ich außerdem gut aussah und stark war, konnten mich damals bestimmt viele Leute überhaupt nicht ausstehen, selbst du, mein Weibchen; im letzten Herbst ist es dir einmal herausgerutscht: «Ich war nie so beliebt wie du.» In Wirklichkeit war ich überhaupt nicht beliebt, den meisten war ich richtig verhaßt, denn schließlich geht es ja auch ein bißchen zu weit, allen Leuten in allen Dingen überlegen sein zu wollen, doch selbstverständlich wurde ich zum Ball eingeladen, den die Mädchen des Schülerausschusses gaben, und mein Bild war in der Zeitung, innerhalb der «Nachrichten aus der Gesellschaft». Selbst dafür hatte ich noch Zeit, ha ha, als ob ich mir etwas daraus gemacht hätte oder heutzutage machte. Das war auch Eitelkeit, einschließlich dieser letzten Bemerkung, dieses Bemühen, jedermann zu demütigen. Du wirst dich freuen, wenn ich dir sage: Keine Angst, ich erhielt meine wohlverdiente Strafe.

Nun mußte ein College ausgesucht werden. Meine Mutter bestand auf Columbia, denn sie hatte sowieso vor, dorthin, nach New York, zu ziehen und die große Stadt zu sehen. Mein Vater wollte mich aufs Boston College schicken, weil ihm seine Arbeitgeber von der Callahan Druckerei in Lowell Beförderung zusagten, wenn er mich überreden könne, dorthin zu gehen und unter Francis Fahey zu spielen. Die deuteten auch an, er werde seine Stelle verlieren, sollte ich ein anderes College wählen. Wie gesagt, Fahey kam zu uns ins Haus, und ich besitze heute noch eine Postkarte, die er Callahan schrieb und wo er sagt: «Jack muß aufs Boston College, koste es, was es wolle.» (Dem Sinn nach jedenfalls.) Aber ich wollte auch nach New York und die große Stadt sehen, was zum Kuckuck hätte ich von Newton Heights oder South Bend, Indiana, an Samstagabenden lernen können, und außerdem hatte ich so viele Filme über New York gesehen, daß ich … nun ja, es hat keinen Sinn, sich darüber auszulassen, die Hafengegend, Central Park, Fifth Avenue, Don Ameche auf dem Bürgersteig, Hedy Lamarr an meinem Arm im Ritz. Ich gab meiner Mutter recht, wie immer. Sie sagte mir nicht nur, ich solle Maggie Cassidy zu Hause zurücklassen und in New York zur Schule gehen, sondern sie lief mit den erbärmlichen Ersparnissen aus ihrem Schuhladen, die sie in ihrem Korsett verbarg, zu McQuade’s und kaufte ein großes sportliches Jackett und Krawatten und Hemden, und sie vereinbarte mit ihrer Stiefmutter, daß ich bei ihr in Brooklyn wohnen konnte, in einem schönen großen Zimmer mit hoher Decke, wo ich ungestört war, um lernen zu können und gute Zeugnisse zu bekommen und vor den großen Footballspielen gut auszuschlafen. Es kam zu schlimmen Auseinandersetzungen in der Küche. Mein Vater wurde gefeuert. Niedergeschlagen nahm er außerhalb der Stadt Arbeit an, und an den Wochenenden fuhr er in alten verschmutzten Zügen zurück nach Lowell. Das einzige, was ihn in seinem jetzigen Leben glücklich machen konnte, denkt man an die zischenden Heizkörper und die Kakerlaken in alten Hotelzimmern New Englands im Winter, war eigentlich, daß ich erfolgreich war und ihn auf diese Weise rechtfertigte.

Daß er gefeuert wurde, ist natürlich ein Skandal, das habe ich der Callahan Druckerei nie vergessen, und noch eine schwarze Feder an meinem Hut des «Erfolgs». Denn was ist schließlich Erfolg? Du bringst dich und ein paar andere um im Bestreben, in deinem Beruf zur Spitze zu kommen, sozusagen, damit du in mittleren Jahren oder etwas später zu Hause bleiben und in Frieden deinen Garten pflegen kannst. Wenn es aber soweit ist, kommen, weil du irgendwie eine bessere Mausefalle erfunden hast, Menschenmassen in deinen Garten gestürmt und zertrampeln all deine Blumen. Was soll denn das?

2

Columbia hatte dafür gesorgt, daß ich zuerst eine Prep School in New York besuchte, um Kurse in Mathematik und Französisch nachzuholen, Fächer, die ich auf der Lowell High School übergangen hatte. Kleine Fische für mich, bis zu meinem sechsten Lebensjahr konnte ich überhaupt nur Französisch sprechen, so war ich natürlich ein Einser-Kandidat. Mathematik war etwas Elementares, ein Kanuck kann immer zählen. Die Prep School war in Wirklichkeit eine weiterführende High School, genannt Horace-Mann-Schule für Jungen; ich nehm an, der komische alte Horace Mann hat sie gegründet, und es war in der Tat eine elegante Schule, mit Efeu an den Granit-Mauern, mit Rasenflächen, Aschenbahnen, Tennisplätzen, Turnhallen, vergnügten Rektoren und Lehrern, und das alles auf einer Anhöhe über dem Van-Cortlandt-Park im nördlichen Teil von Manhattan, New York. Nun, da du ja noch nie dort warst, hat es wenig Sinn, ins Detail zu gehen, jedenfalls lag die Schule in der 246. Straße in New York, und ich wohnte bei meiner Stief-Großmutter in Brooklyn, täglich zweieinhalb Stunden Fahrzeit mit der U-Bahn in beiden Richtungen.

Nichts kann so ein ehrgeiziges Bürschchen aufhalten, nicht mal heute; folgendermaßen wurde ich damit fertig (ein typischer Tag):

Am ersten Abend vor dem ersten Schultag sitze ich an meinem großen Tisch in der Mitte meines hohen Zimmers, ganz aufrecht auf meinem Stuhl, mit der Feder in der Hand, die Bücher vor mir aufgebaut und flankiert von vornehmen bronzenen Buchstützen, die ich im Keller gefunden habe. Es ist der sehr feierliche Anfang meines Strebens nach Erfolg. Ich schreibe: «Journal. Herbst 1939. 21. September. Mein Name ist John L. Duluoz, ob das nun den geneigten Leser interessiert oder nicht. Es scheint mir jedoch geboten, für das materielle Dasein dieses Journals irgendeine Erklärung vorzulegen …» und ähnliches Schuljungen-Gerede, und darauf folgt: «Und ich werde die Verwendung von Feder und Tinte zu verteidigen wissen.» («Heiliger Bimbam!» denke ich. «Sapperment! Heiliger Strohsack!») Und dann füge ich mit meinem Federhalter hinzu: «Es scheint, daß Männer wie Thackeray, Johnson, Dickens und andere ihre gewaltigen Bücher mit Feder und Tinte schreiben mußten, und obwohl ich, nicht bescheiden, eine gewisse Fertigkeit im Maschinenschreiben eingestehe, meine ich, es stünde mir schlecht an, meine literarischen Versuche mit der Mühelosigkeit zu beginnen, die der Schreibmaschine eigen ist. Ich meine, ein Zurückgreifen auf die alte Methode wäre ein stiller Tribut an die alten Gladiatoren, an die unsterblichen Seelen des Journalismus. Bleibt! Ich will damit keineswegs sagen, daß ich ein Schäfchen in ihrer Herde bin, sondern daß das, was für sie gut genug war, auf jeden Fall auch mir gut anstehen würde.»

Nachdem das erledigt ist, gehe ich hinunter ins Erdgeschoß, wo meine Stiefgroßmutter Tante Ti Ma, ihre Wohnung in einem Stil eingerichtet hat, der Zigeuner-Elemente, geraffte Vorhänge, hängende Perlenketten in Türrahmen, mit viktorianischen Elementen kombiniert: Spitzendeckchen, tausend Puppen, Bequemlichkeit, schöne, saubere, gepflegte Stühle; und da sitzt sie und liest ihre Zeitung, die dicke, fette, zufriedene Ti Ma. Ihr Mann ist Nick der Grieche, Evangelakis, den sie nach dem Tod meines Großvaters mütterlicherseits in Nashua, New Hampshire, traf und heiratete. Ihre Tochter Yvonne, blauäugige Gefährtin ihrer Mutter, ist mit Joey Robert verheiratet, der jeden Abend um elf mit der Daily News von seinem Job im Lagerhaus einer Spedition zurückkommt, sich in seinem Unterhemd an den Küchentisch setzt und liest. Dort unten haben sie für mich zu jeder Zeit große, gewaltige Gläser voll Milch und herrliche Sandtörtchen von Cushman in Brooklyn. Sie sagen: «Geh nur bald ins Bett, Jacky, morgen ist Schule und Training. Du weißt, was deine Mama sagte, du mußt es weit bringen im Leben.» Aber bevor ich zu Bett gehe, vollgestopft mit Torte und Eiscreme, richte ich noch mein Lunch für den nächsten Tag: immer dasselbe: ein Sandwich mit gewöhnlicher Butter, das andere mit Erdnußbutter und Marmelade, dazu lege ich Obst, einen Apfel oder eine Banane, wickele alles schön ein und stecke es in eine Tüte. Dann nimmt mich Nick, Onkel Nick, am Arm und sagt: «Wenn du mehr Zeit hast, erzähl ich dir weiter von Vater Coughlin. Wenn du noch mehr Bücher willst, im Keller sind noch eine ganze Menge.» Er gibt mir einen staubigen alten Roman von Jules Romain, genannt Ekstase, oder nein, ich glaube es war Verzückung. Ich nehme das Buch mit hinauf und stelle es zu den anderen. Mein Zimmer ist von dem Tante Yvonnes durch nichts als eine riesige doppelte Glastür getrennt, aber auch da Zigeunervorhänge. Mein eigenes Zimmer hat einen unbrauchbaren offenen Kamin aus Marmor, ein kleines Waschbecken in einer gewölbten Nische und ein riesiges Bett. Aus den breiten Brooklyn-Thomas-Wolfe-Fenstern sehe ich genau das, was Wolfe immer sah, sogar genau im gleichen Monat: Altes rotes Licht fällt auf die Fenster der Lagerhäuser in Brooklyn, wo Männer in Unterhemden auf den Simsen lehnen und auf Zahnstochern kauen, während sie eine Pause einschieben.

Ich lege meine säuberlich gebügelten Hosen, Sportjackett, Schulbücher und Schuhe sorgfältig zurecht, die Socken dazu, wasche mich dann und gehe zu Bett. Ich stelle den Wecker auf – rate mal – 6 Uhr morgens!

Um 6 Uhr stöhne ich und stehe auf, wasche mich, ziehe mich an, gehe nach unten, nehme die Lunchtüte und stürze hinaus in den brodelnden Verkehr auf den belebten Straßen Brooklyns und gehe drei Häuserblocks weit zur U-Bahn der IRT beim Bahnhof an der Fulton Street. Dann geht’s hinunter und durch das Gedränge in die U-Bahn, zusammen mit Hunderten von Leuten, alle mit Zeitungen und Lunchtüten. Bis zum Times Square muß ich stehen, eine volle dreiviertel Stunde, jeden geschlagenen Tag. Doch was mache ich Hohlkopf in dieser Lage? Ich ziehe mein Mathematikbuch heraus und mache meine ganzen Hausaufgaben in einer Ecke, wo das Lunch zwischen meinen Füßen halbwegs sicher ist und wo ich mich dann drehen und wenden und mich, mit dem Gesicht zur schwankenden Wagenwand, meinen Büchern widmen kann. Was da für ein Gestank herrscht, wo keine frische Luft hereinkommt und Hunderte von Mäulern die alte Luft verbrauchen; das widerliche Parfüm der Frauen; der bekannte Knoblauch-Geruch des alten New York; hustende alte Männer, die verstohlen zwischen ihre Füße spucken. Wer hat das je durchgemacht?

Jedermann.