Die vier Zeiten meiner Mongolei - Purevdorj Gangaamaa - E-Book

Die vier Zeiten meiner Mongolei E-Book

Purevdorj Gangaamaa

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Beschreibung

Das Hirtenleben im Spiegel der Jahreszeiten. Winter, Frühling, Sommer, Herbst – die vier Jahreszeiten. Mit Berg und Wasser und Sonne und Mond befreunden sie sich. Die Menschen geleiten die Alten, führen den Nachwuchs ins Licht Jahrtausende schon ohne Pause.

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Vollständige eBook Ausgabe 2017

 

 

© 2017 SPIELBERG VERLAG, Neumarkt/Regensburg

Umschlaggestaltung: Spielberg Verlag

Umschlagbild: Gemälde v. Sarankhukhuu Lkhagvasuren

»Heimat« 2008

 

Alle Rechte vorbehalten

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

 

(eBook) ISBN: 978-3-95452-081-7

 

www.spielberg-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Das geblendete Weiß

Das erbleichte Grau

Das gesprenkelte Grün

Das vergilbte Gelb

Ein Wintertag

Ein Frühlingstag

Ein Sommertag

Ein Herbsttag

Epilog

Mein individuelles Empfinden

Dem Gedicht »Шагнал«/»Auszeichnung« von Lkhagvasuren Bavuu, ein mongolischer Staatspreisträger für Literatur, entlehnte Gedanken zu Ehren meines Bruders Byambadorj Purevdorj, eines gebürtigen Hirten. Wir, Geschwister rufen ihn mit dem Spitznamen »Bumbaga akh«/Бумбага ах.

Bitte an das Leben, eine Auszeichnung zu verleihen

Der vergangenen und zukünftigen Zeiten gedenkend.

Ich bitte das Leben,

Meinen Bruder, der

Inmitten des auglosen Sturms im tiefen Winter

Am Rande der Viehherde

Den Vater ruft,

Bis seine Stimme einzufrieren droht,

Die vier Jahreszeiten

>Winter, Frühling, Sommer, Herbst – die vier Jahreszeiten

Mit Berg und Wasser und Sonne und Mond befreunden sie sich

Die Menschen geleiten die Alten, führen den Nachwuchs ins Licht

>Jahrtausende schon ohne Pause.

Natsagdorj Dashdorj (1906–1937),

Nationaldichter der Mongolei

Anno 1934

Ausschnitt des Gedichts

Das geblendete Weiß

Die Wiese war verschneit. Von ihrem Licht wurden die Augen aller Lebewesen geblendet und tränten. Die ferne Sonne schien mehrere Tage. Dennoch war es eisig kalt. Gleißendes und flimmerndes Licht brachte die Sonne den Überwinternden. Als bestünde das verschneite Gebiet aus Tellern von Perlmutt, mit Opalen verziert. Pure unsägliche Lichtreflexion. Von unzähligen Leuchtspurgeschossen war die Gegend umgeben. Blitze, die erblinden lassen, durch Lichtbrechung verursacht. Die Kumuluswolken, die die Sonne hätten aufzehren können, erreichten die hermetisch abgeschlossene Wintersiedlung so selten wie ein Tagesstern. Der junge Hirte führte die Pferde- und Rinderherde von der Weide zum Winterstall bei den Jurten zurück. Durch die Farbe der Tiere beruhigten sich seine Augen, weshalb er auf die Pferderücken stierte. Dabei pfiff er, während sein Blick an der angenehm hellen Mähne seines Wallachs, des Ockerbraunen, hängenblieb. Beinah siebenhundert Pferde, die meisten waren Schwarzbraune. Über dreihundert Rinder, die meisten waren Rotbraune. Mit dieser, seiner Arbeit tat der Hirte den Augen seiner Mitmenschen Gutes. Der verschneite Winter hielt sich einst bei mir so auf. »Selbst das Stückchen vom dunkelbraunen Stoff meines Deels funkelte wie Licht« bemerkte der junge Hirte später.

Das erbleichte Grau

Grau wie der Schleierkrautsturm, der mich in die nicht leicht zu erörternden Geheimnisse einwob und mich wiederum befreite, ohne einen verbleichten Hauch abzustreifen. Oder: Grau wie das in der Geschichte längst versunkene aber wiedererwachende Grabdenkmal, das sich in der verrinnenden Zeit ausgeblichen erhält.

Die wolfsgrauen Frühlingsmonate hatten sich bereits ungemein produktiv angemeldet. Die Nachwuchstiere gingen gleichzeitig der Welt entgegen. Es gibt keinesfalls nur »Grau«. Selbst der Wolf ist »himmlisch«, obwohl er äußerlich grau aussieht. Zu der Zeit erzählte eine alte Hirtin ihren Kindern eine Geschichte, die weltlich und geistig aufklären sollte. Sie begann so: Es war einmal eine Wölfin, die in ihrem Bau ein Menschenkind aufzog. Es wuchs heran und eines Tages kehrte es ohne ein Wort des Dankes zurück dahin, wo es hergekommen war. Als die Mutterwölfin das Kind sah, war es vom Bau bereits weit weggelaufen. Sie lief hinterher, sie weinte und verzweifelte. Mit verzagter Stimme rief sie: »Menschensohn, bitte saug an meiner abgezehrten Brust!« – Dieser aber blickte kein einziges Mal zurück zu ihr. Die Erzählerin verstummte kurz und sprach, in Gedanken versunken, andächtig die Worte der Mutterwölfin wählend weiter: »Falls die Sintflut kommt, steige bergauf.« Nach diesen Worten hielt sie inne. »Und wie geht es weiter?« fragten die vier Zuhörer einstimmig und warteten gespannt auf die Fortführung. Die Hirtin verwandelte sich in die Mutterwölfin und sprach bedeutungsvoll: »… Du musst die Spitze des Berges erklimmen! ... Der Menschensohn ersehnte sich etwas anderes. Das ist wahr. Mein Armer!« An einem Frühlingstag musste einer der Zuhörer, der größere Knabe, wieder zurück zur weidenden Schafherde in der wolfsgrauen, matten, kargen und windstillen Schlucht reiten. Die Hirtin gab ihm ein Streichholz mit. Der Knabe solle das Feuer hüten und bewachen, das Feuer sollte ihn beschützen.

Das gesprenkelte Grün

Die Kumuluswolken schwammen über dem Steppental. Die hochstehende Sonne war wie aufgezehrt. Die Himmelswolken zerfransten sich und sahen bald wie ein löchriges Gewebe aus, das gesprenkelte Lichtbrechungen hervorbrachte: die Zirruswolken. Sogleich erschienen durch die Wolkenlichtungen auf der Bachwiese und in der Steppe viele Teiche aus Licht, die genauso wie die entstandenen Zirruswolken wirkten. Die »Lichtteiche« gaben dem Grün der Graslandschaft neue Leuchtkraft. Diese zeichnete sich von der Mitte bis zum Ufer des Lichtteiches ab, fing mit einem, einer Stichflamme gleichenden, blendenden Grün an und zog sich über ein dünnes leuchtendes Grün bis zu einem mächtigen Erdengrün hin. Anschließend verdunkelte sich das Grün des Teichufers zu einem Tiefdunkel- bis Schwarzgrün inmitten des Schattens der Steppe. Das Letztere war von den Kumuluswolken selbst gestiftet worden. »Meine« Sommersiedlung befand sich inmitten des gesprenkelten, grünen Meeres dank der Himmelslandschaft.

Das vergilbte Gelb

Stapel aufgehobener Papierblätter in alten Archiven gleichen dem vergilbten Gelb und es verbergen sich darin ebenso viele Geheimnisse und eine ebensolche Erhabenheit.

Der vergilbende Herbst sorgt dafür, dass durch das Verrinnen und Versickern des »ungebundenen« falben Grases mithilfe des still sausenden Windes die Vielfalt der Dinge in präziser Vergegenwärtigung und im Übergang – »ihr Leuchten, Sich- Zeigen, Prunken« – am Leben erhalten und weitergegeben wird. Das Singuläre des Materiellen schien dem Menschen entweder weiter oder näher gerückt. Es betrachtete sich im Augenblick in einer neuen Gewichtung und nicht in Auslöschung. So entstand eine neue Wahrnehmung. Sie ließ die in Einzelheiten klar differenzierte Umgebung im »singenden« Gestus so wie die Kleinlandschaft im Großen selbst widerspiegeln. Es waren diese Eingebungen, die mich so faszinierten: Das vergilbte Gelb war das am Platz leicht herumwirbelnde Gras im Spätherbst. Aus der Ferne erzeugte es eine Konzentration, die sich in mir festsetzte und in mir mit neuem Schwung aus unsichtbarer Tiefe hervorstrebte. So hallt der Naturkreislauf nach und dessen Unendlichkeit pulsiert seit »Jahrtausenden schon ohne Pause«.

Wie wird denn das von dem Menschen gesehen? Die menschliche Erkenntnis kommt an einem Wintertag, an einem Frühlingstag, einem Sommertag, an einem Herbsttag.

Ein Wintertag

Die Kinder saßen in der Mitte der Jurte im dunstigen Licht um den Flachtisch mit einer schwelenden Kerze; spielten mit den Handfingern bis die Hirtin mit dem Abendmahle fertig war. Das Kerzenlicht warf dunkle, riesige Schattenfiguren von jenen Fingern an die Jurtenwände. Alles war in Bewegung, um Hundeköpfe mit offenen und geschlossenen Mündern, Rinder mit verschiedenen Hörnern abzubilden. Dabei versuchten sie ihr Bestes aufzuzeigen. Das Mädchen verließ die Winterjurte, um sich zu erleichtern. Als sie über die Türschwelle trat, dampfte ihr ganzer Körper wegen der dumpfen, trockenen Kälte leicht. Das zeigte sich im Schein des Kerzenlichts durch die noch offene Jurtentür deutlich. Das Mädchen blickte euphorisch in den Himmel. Eine überwältigende schwarze Pracht, von Sternen übersät. So hatte es das noch nie gesehen.

Gebiete mit einer ungetrübten Sicht düsen in die milchig dämmernde Stille. Das tiefe Weltall, dunkel wie alles verschluckender Samt, verkörperte in ihren Augen den »Schatten seines Selbst«. Das Mädchen verlor sich infolge ihres Staunens und stand still mit erhobenem Haupt, den Blick himmelwärts. Es näherte sich dem Winterstall und empfing die Wärme der Tiere.

Diese lagen im Stall und käuten langsam wieder, wie nachdenklich träumend, denn der Tag war zwar anstrengend, aber ein erfüllter. Auf dem Rückweg sah es den Hund. Der Wachhund mit dem Namen Pavga lag zusammengerollt wie ›Mund und Arsch in einem‹ in seiner Stoffhütte neben der Großjurte – satt und schläfrig. So schön angenehm konnte der damalige Winterabend am Bergschoß »Хэрэлт« sein. Das Mädchen, das einen »Schöpfkellen« ähnlichen Kopf besaß, stand noch eine Weile draußen, streckte sich mit allen Sinnen und in alle Richtungen aus und kehrte in die Jurte zurück.

Die Winterabende, die den Augen wenig Licht gewährten, luden vermehrt zum Sprechen und Zuhören in einer von außen schneeweißen, die Wände und das Dach mit Filz gut bedeckten Jurte ein. Die Jurte war von innen verräuchert, geräumig und mit gepresstem Schafmist vom Vorjahr gut geheizt. Die Winterjurte eines alten Hirten. Der untere Teil der Jurtenwand wurde durch den frischen Kuhmist mit dem Erdboden gekittet und fror fest. Es gab vor dem Altar eine ein trübes Licht verbreitende Butterlampe, die von der Hirtin nicht aus dem Schlachtfett, sondern aus Milch gemacht wurde, um Sünde zu vermeiden und Glück zu bringen. Auf dem Lauftisch in der Mitte der Jurte strahlte ein helleres Kerzenlicht, welches der alte Hirte meist aus der Ortschaft holte. Auf dem Blechofen stand ein Kessel voll mit heißem Butterquark zum Trinken, den die Hirtin nach dem Abendbrot aus dem Fleisch- und Nudelgericht zubereitet hatte. Sie reichte den Kindern im Uhrzeigersinn vor dem Blechofen sitzend den heißen und herben Quark mit ausgestreckten Armen. Zuerst bekam der Hirte oder derjenige, der neulich zu Beginn der Ferien von der Schule nach Hause gekommen war, dann die Älteste der Geschwister und zuletzt der Jüngste. Der alte Hirte saß in der Jurte in östlicher Richtung nicht weit von seiner Frau, der Hirtin, schlürfte aus der reichlich mit Silber verzierten Wurzelholzschale den Quark und hörte dabei dem Gespräch der anderen eher kommentierend zu. Sehr selten nahm er das Erzählen in seine Hände und begann seine Rede oft so: »Dies sollte keinem Öhrchen fehlen.« Dabei lächelte er die Kinder liebevoll an und fesselte sie mit seinen Geschichten. Eines fragte: »Können Sie uns eigentlich richtig sehen?« Solche Mandelaugen hatte er. Der alte Hirte antwortete darauf mit einem Kopfnicken und sanftmütigem Humor in die Zukunft jenes Lebensdschungels hineinschauend: »Ich sehe euch voll und ganz!« Bedächtig war er, gütig und duldsam. Mit dem Blickkontakt sagte er vieles, das man verstehen konnte, wenn man wollte.

Die Hirtin hatte im Winter nur drei Melkkühe, die nicht beschält waren. Sie war bereits wieder vom Melken zurück. Nach jeder Nacht wurde zunächst das Schlafzeug aufgeräumt und dann wusch man das Gesicht und die Hände. Die kleinen und großen Menschen saßen ringsum den Tisch und frühstückten ein Milchprodukt. Das köstlichste Frühstück bestand aus Gebäck- oder Teigwaren, doch das gab es selten. Vom Wetter hing es ab, gleich dem »Tagesstern«: War es trüb, lockte ein gutes und seltenes Frühstück dann lächelnd an den kleinen Tisch.

Am frühen Morgen stand ein junger Hirte vor seiner Jurte. Der Nachbar. Im Schlaf hatte er fühlen können: Es schneit. Leise herabfallender Schnee. Der Flockenschnee in windstiller Nacht erschwerte dem Hirten den Herdenaustrieb. Er beobachtete deshalb, wo die Windspitze während und nach den Schneewehen gewesen zu sein schien. Der Wind sollte nach den Schneewehen behilflich sein, um den Schnee am Bergschoß und -hang wegzufegen. Dorthin wollte der junge Hirte seine Herde treiben. Falls der Schnee so hoch wie die Hufe eines Rindes oder eines Pferdes gefallen sein sollte, konnten auch die kleinen Tiere wie Schafe und Ziegen unter dem Schnee das quasi schockgefrostete Gras vom vergangenen Spätherbst finden. Der junge Hirte erreichte inzwischen den Bergschoß mit den Tieren und stieg vom Pferderücken ab. Er schlang die Zügel um den Sattel, entfernte die Trense, lockerte seinem Wallach die Bauchgurte und band ihm drei Füße. Er holte seine Pfeife aus dem Stiefelschaft, bildete aus dem Schaft und aus der unteren Hälfte seines Deels eine Sitzunterlage und setzte sich im Schneidersitz auf die Erde. Er zündete den Tabak im Pfeifenkopf an und zog das Fernglas aus der Brusttasche seines Deels. Er blickte von hier oben hinunter auf die schneebedeckte Steppenweite und die Spitzen und Wipfel der verwitternden Bergketten seiner Ebene, an der die Kühe oder Pferde gewohnt waren, sich aufzuhalten. Dort beruhigte der Hirte seine vom Schnee im Steppental geblendeten Augen. Die Tiere pflügten oder scharrten im Schnee geschickt mit den Vorderbeinen und zogen dann mit der Kraft ihrer Zähne das Gras aus den Wurzeln heraus. Der Hirte balsamierte durch die Geräusche der Tiere seine Seele und empfing ihre natürliche Wärme. Er war gespannt und gleichzeitig entspannt. Er brachte sich die Kunst der kleinen Schritte für den Alltag findig und erfinderisch bei. Seine Gedanken flogen in seinen Träumen zu den von ihm weit weggezogenen Geschwistern und hingen Anderem, Erkenntnissen und Erfahrungen, Gehörtem und Gesehenem im täglichen Allerlei und weltweiten Vielerlei nach. Dabei dachte er einmal an die Mittelstreckenrakete mit dem Namen »Pershing II«. Falls er am bekannten Berghang namens »Die Höhe«/»Өндөр« eine ganze, heile Rakete auffinden würde, könnte er sie auseinanderbauen, um die Technik und die Materialien zu bestaunen und zu verwenden. So gönnten der alte und junge Hirte sich ihre leibliche und seelische Stärkung.

Der »dumpfe« Winter galt bei den Steppennomaden allgemein als die bevorzugte Jahreszeit für das Erzählen, das Nähen, das Jagen und für das Spielen. Der Winter war meist selbstbestimmt von den Hirten, denn die vom reichlichen Schnee bedeckten, windstillen Wintertage zogen, durch die Natur bestimmt, von allein ihre Bahnen. Die Hirten hatten sich für den eventuell harten Winter auch gut vorbereitet. Das hieß – eingesammeltes Gras. Der Heuvorrat war bereits in der Scheune hinter dem Winterstall gelagert. Einige Säcke voll getrocknetem Quark aus verschiedenen Kräutern als Kraftfutter, meist von der wilden Lauchzwiebel, waren in der Kleinjurte für die zu fütternden Tiere. Zum vom Füttern abhängigen Vieh gehörten die Tiere, die meist vom Wuchs her winzig klein waren – die meisten Spätgeborenen, die Kranken, auch die hinkenden Alten, die ausgedehnte Hufe hatten. Wenn der Wind- oder Schneesturm einige Tage lang ihre Gebiete durchheulte, bekamen die gehegten Tiere ein kalorienreiches Stück vom Kräuter- und Lauchquark wie Мангирын хурууд. Geschwächtes Vieh, das dieses Kraftfutter fraß, kam rasch wieder zu Kräften.

Die Kinder spielten an den Wintertagen in der oberen Hälfte der Jurte mit beinahe eintausend Stück Fersengelenkknöchelchen verschiedene Spiele wie: der bunte Schildkröten-Baustein, die Reitbahn für die bedeutendsten Rennpferde, die Knöchelchen-Greifschau, das Knöchelchen-Schnipsen. Es kamen immer mehr eifrige Gesellen und Schaulustige dazu, die von der Weide oder von der Jagd die Familie besuchten und sich während der Mahlzeit besprachen. Das Ofenfeuer wurde sanfter. Alle Menschen waren zufrieden. Die Kinder spielten Schach. Die altmongolischen Schachfiguren waren meist von den Vätern geschnitzt worden. Der Knabe, der den Quirl- ähnlichen Kopf besaß, konnte sich die Züge des Spiels nicht merken. Nach seinem hartnäckigen aber verlorenen Spiel war er leider nicht mehr wohlgesonnen, sondern wurde sehr ärgerlich. Von ihm wurden die Schachfiguren nicht selten in den feuerroten Ofen geworfen. Nicht nur die Spieler, sondern auch alle anderen waren wenig entzückt. Nach einigem Zögern wurden die ziemlich unglücklich und unanständig aussehenden Schachfiguren von dem alten Hirten erneuert. Den Spielern war damit unwohl. Das Mädchen mit dem Schöpfkellen ähnlichen Kopf gab dem Knaben mit dem Quirlkopf eine mächtige Ohrfeige und sprach dabei leise, völlig ernst zu ihm: »Wenn deine Ohren und Augen ihre Leitfunktion ins Gehirn noch immer nicht beherrschen, dann sollte deine Haut das Wichtigste übernehmen.« Sie kniff ihn am Oberarm. Er wurde rot wie ein ertappter Schwindler. Gleichzeitig sprach die Hirtin: »Kein Mann darf eine Frau zurück schlagen.« Zu ihr schmunzelte der alte Hirte mit sanftem Gemüt. Daraufhin schnitzte er wieder schöne Schachfiguren.

Die drei Kinder brachten nach dem Frühstück an einem angenehmen Wintertag die vom Muttertier getrennten Kälber zur Weide auf dem Hügelpass Хэрэлт. Хэрэлт befindet sich nördlich gegenüber der Berghänge »die Höhe«/»Өндөр