Die Wagenburg oder Die Flüchtlinge von Ratz - Michael Scharang - E-Book

Die Wagenburg oder Die Flüchtlinge von Ratz E-Book

Michael Scharang

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Beschreibung

Ein Pfarrer mit Frau und Kindern, ein Großbauer ohne Arbeiter, ein Bürgermeister, der kein Problem damit hat, gegen das Gesetz zu verstoßen, wenn es der Sache dient – vor diesem Hintergrund erzählt Michael Scharang die märchenhafte Geschichte, wie das kleine Dorf Ratz dank Flüchtlingen zu neuem Leben erblüht. Suleman ist gelernter Bäcker. Nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde, flüchtet er aus Wien nach Ratz, einen kleinen, beinahe ausgestorbenen Ort nahe der tschechischen Grenze. Er eröffnet eine Bäckerei und nach und nach kommen immer mehr Flüchtlinge in den Ort. Sie arbeiten im Wirtshaus, gründen viele neue Geschäfte, ein Hotel, eine landwirtschaftliche Genossenschaft und plötzlich scheint sich in Ratz jedes Problem in nichts aufzulösen. Doch die Gefahr von außen lauert, die Behörden drohen einzuschreiten und der Kampf um Ratz beginnt. In »Die Wagenburg« entwirft Michael Scharang eine bessere Wirklichkeit: Humorvoll, kritisch und ironisch erinnert er daran, dass unsere Gesellschaft nicht so bleiben muss, wie sie ist.

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Seitenzahl: 315

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Michael Scharang

DIE WAGENBURGODERDIE FLÜCHTLINGE VON RATZ

Roman

Michael Scharang

DIE WAGENBURGODERDIE FLÜCHTLINGE VON RATZ

Roman

Czernin Verlag, Wien

Gedruckt mit Unterstützung der Stadt Wien, Kultur, und des Landes Steiermark

Scharang, Michael: Die Wagenburg oder Die Flüchtlinge von Ratz / Michael Scharang

Wien: Czernin Verlag 2024

ISBN: 978-3-7076-0828-1

© 2024 Czernin Verlags GmbH, Wien

Lektorat: Karin Raschhofer-Hauer

Autorenfoto: Herbert Neubauer, picturedesk.com

Umschlaggestaltung und Satz: Mirjam Riepl

Coverabbildung: Shutterstock

Druck: Finidr, Český Těšín

ISBN Print: 978-3-7076-0828-1

ISBN E-Book: 978-3-7076-0829-8

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

1

Was für ein schöner Tag, sagte der Pfarrer zu sich, als er aus der Kirche trat. Es war der Freitag der ersten Maiwoche. Der Pfarrer, er war um die dreißig, ging von der Kirche, die in der Mitte des Hauptplatzes stand, hinüber zum Pfarrhaus. Nein, dachte er, solange die Sonne scheint, gehe ich nicht in die Kanzlei. Und so setzte er sich auf die Bank im Vorgarten und bewunderte die prächtigen Rosen. Ihre Knospen waren aufgesprungen, die Rosenstöcke standen bereits in voller Blüte. Der Pfarrer führte das darauf zurück, dass er sie im April mit Pferdemist gedüngt hatte.

Er stopfte seine Pfeife. Sie war ein Geschenk des damaligen Präsidenten der Caritas, den der Pfarrer während seines Theologiestudiums in Wien kennengelernt hatte. Er hätte den Präsidenten gern zum Freund gehabt. Der war oft nach Afrika gereist und hatte, zurück in Österreich, das verheerende Wirken der westlichen Kolonisatoren angeprangert. Das war für die beiden ein wichtiges Gesprächsthema, denn der Pfarrer stammte aus Afrika, aus dem Kongo. Sein Großvater, Patrice Lumumba, hatte das Land in die Freiheit geführt und war deshalb ermordet worden.

Immer wenn der Pfarrer sich eine Pfeife stopfte, dachte er an den Präsidenten der Caritas. Der war leider früh verstorben. Er hatte einmal zum Pfarrer gesagt: Wir, die nicht an Gott glauben, sind diejenigen, die die katholische Kirche zusammenhalten. Der Pfarrer hatte diesen Satz nicht verstanden. Überdies beschäftigte ihn die Frage, ob er an Gott glaube, nicht. Manchmal glaubte er an ihn, manchmal nicht.

Er war vorhin in der Kirche gewesen, um Zwiesprache mit Gott zu halten. Du hast es so eingerichtet, hatte der Pfarrer gesagt, dass ich hier in diesem Ort gelandet bin. Das ist eine schwere Prüfung. Ratz liegt im Sterben. Die Leute ziehen weg. Es gibt kein Kaufhaus mehr, keinen Bäcker, keinen Fleischhauer, kein Wirtshaus, keinen Arzt und keine Apotheke. Ein Lehrer und eine Lehrerin unterrichten eine Handvoll Kinder, der Lehrer ist zugleich auch Bürgermeister. Der Polizist sitzt im Wachzimmer und weiß nicht, wozu. Das Teuflische, lieber Gott, hatte der Pfarrer gesagt, ist, dass ich im Dienst der Kirche stehe und den Laden nicht wie der Bäcker zusperren und woanders hingehen kann. Ich habe ja nichts anderes gelernt. Ich könnte aber nach Wien gehen und es dort auf dem Bau als Hilfsarbeiter versuchen. Ich bitte dich also, lieber Gott, treibe es nicht zum Äußersten.

Die Sonne verschwand hinter dem Kirchturm, widerwillig ging der Pfarrer in die Pfarrkanzlei. Er musste für den Sonntag eine Predigt schreiben. Was sollte er der Pfarrgemeinde sagen? Wieder die alte Litanei? Dass man in einer gottverlassenen Gegend lebe, dass es von Woche zu Woche schlechter werde? Er öffnete einen Schrank, nahm eine Flasche heraus und trank ein Gläschen Slibowitz. Da klopfte es an der Tür, herein trat ein Fremder. Mein Sohn, sagte der Pfarrer, kann ich dir helfen? Ich würde gern den Pfarrer sprechen, erwiderte der Fremde. Ich bin der Pfarrer, war die Antwort. Setz dich. Der Fremde nahm Platz und schüttelte ungläubig den Kopf. Du bist der Pfarrer?, fragte er. – So ist es. Du kommst ins Pfarrhaus und triffst auf einen Pfarrer. Was führt dich zu mir?

Das ist schnell gesagt, erwiderte der Fremde. Ich komme aus Wien. Ich habe einen Asylantrag gestellt, der ist abgelehnt worden. Ich bin aus Syrien geflüchtet, bin aber im Libanon aufgewachsen. Die Behörde hat behauptet, ich sei Libanese. Mit diesen Leuten zu reden ist aussichtslos. Nun droht mir die Abschiebung. Deshalb bin ich von Wien weg, um unterzutauchen. Hier in Ratz sucht dich niemand, sagte der Pfarrer, das ist ein ausgestorbener Ort. Du kannst hierbleiben und wirst von mir verköstigt. Ich will aber arbeiten, sagte der Fremde, ich bin Bäcker. Der Pfarrer stand auf. Bäcker!, rief er. Und er erzählte dem Fremden, dass der Niedergang von Ratz damit begonnen hatte, dass die Bäckerei zusperrte. Na gut, sagte der Fremde, dann sperren wir sie wieder auf.

Du kannst, erwiderte der Pfarrer, hier im Pfarrhaus wohnen. Ich lebe mit meiner Frau und unseren beiden Kindern im ersten Stock. Dort sind noch ein paar Zimmer frei. Du bist katholischer Pfarrer und verheiratet?, fragte der Fremde. Selbstverständlich bin ich nicht verheiratet, erwiderte der Pfarrer. Mia wird von der Kirche dafür bezahlt, dass sie das Pfarrhaus sauber hält und für mich kocht. Die Rosen im Vorgarten habe ich gepflanzt, den Gemüsegarten hinter dem Haus bestellen wir gemeinsam.

Der Fremde stand auf und betrachtete die Fotos an der Wand. Links, sagte der Pfarrer, das ist mein Großvater. Er war Freiheitskämpfer im Kongo und wurde ermordet. Er hieß Lumumba. Ich heiße wie er: Patrice Lumumba. Die Leute hier nennen mich Patrice. Die beiden daneben sind mein Vater und meine Mutter. Nach der Ermordung des Großvaters kamen wieder die Kolonisatoren an die Macht. Mein Vater war der Meinung, es sei schon gefährlich, den Namen Lumumba zu tragen. Er brachte mich, ich war zehn Jahre alt, in ein Kloster, das von österreichischen Missionaren betrieben wurde, und versicherte ihnen, dass ich Priester werden wolle. Das war meine Rettung. Meine Eltern flohen aus dem Land, ich weiß nicht einmal, ob sie noch leben.

Und wie, fragte der Fremde, bist du hierhergekommen? Ich bin, antwortete der Pfarrer, bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr bei den Missionaren geblieben. Ich habe Deutsch gelernt, Englisch, Französisch und Latein, die Geschichte wurde mir als Kirchengeschichte beigebracht. Schließlich hat man mich nach Wien geschickt, wo ich zum Priester ausgebildet wurde. Von Wien wurde ich nach Ratz geschickt. Die Kirchenoberen wussten wohl, wie es um diese Gegend stand. Der Niedergang hatte bereits begonnen. Einem gebürtigen Österreicher hätte man diesen Ort nicht zugemutet.

Der Pfarrer ging hinaus auf den Gang und rief: Mia, wir haben heute Abend einen Gast. Man aß miteinander zu Abend, die beiden Kinder, das Mädchen fünf, der Bub sechs, freuten sich über den Fremden, der ihnen abenteuerliche Geschichten von seiner Flucht nach Österreich erzählte. Am Tag darauf hatte der Pfarrer vor, mit dem Gast den Bürgermeister aufzusuchen. Auf dem Weg dorthin hielt er jedoch inne und machte einen Abstecher in die Kirche. Den Fremden nahm er mit. Lieber Gott, sagte der Pfarrer, du hast meine Bitte erhört und hast uns einen Erlöser geschickt, einen Bäcker. Das Wichtigste: Ich brauche keine meiner trostlosen Predigten zu schreiben, ich erzähle einfach die Geschichte vom Bäcker. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen.

Der Bürgermeister saß allein beim Frühstück, seine Frau hatte sich zurückgezogen. Nehmt Platz, sagte er, und greift zu! Unter der Woche bin ich Lehrer, fuhr er fort, am Samstag erledige ich meine Amtsgeschäfte. Die bestehen darin, dass ich am späten Vormittag mit dem Frühstück beginne, am Nachmittag ein Schläfchen mache, danach beginnt das Abendessen. Man frisst und säuft sich zu Tode, etwas anderes kann man in Ratz nicht tun. Irrtum, erwiderte der Pfarrer. Der Bürgermeister schaute ihn erstaunt an. Dieser Mann, er ist libanesischer Syrer … Nein, unterbrach ihn der Fremde, ich bin syrischer Libanese. Jedenfalls, fuhr der Pfarrer fort, ist sein Asylantrag abgelehnt worden. Er ist hier in Ratz untergetaucht. Doch nicht darauf kommt es an: Er ist Bäcker. Oh!, rief der Bürgermeister und legte das Speckbrot zurück auf den Tisch.

Dieser Mann, sagte der Pfarrer … der Fremde unterbrach ihn: Mein Vorname ist Suleman! Und ich, fuhr der Bürgermeister dazwischen, bin der Werner. Suleman, sagte der Pfarrer, wird die Bäckerei in Betrieb nehmen. Ist das möglich?, fragte Suleman. Ich bin illegal hier. Der Bürgermeister klopfte ihm auf die Schulter. Hier in Ratz, sagte er, ist alles illegal. Patrice lebt mit Mia zusammen und hat mit ihr zwei Kinder. Jemand hat ein Motorrad mit Beiwagen zurückgelassen, ich habe es Patrice zur Verfügung gestellt, er klappert damit die umliegenden Pfarrgemeinden ab, ohne einen Führerschein zu besitzen. Unser guter Hirte ist ein Ausbund an Illegalität. Da wirst du gar nicht auffallen.

Sie gingen zur Bäckerei, der Bürgermeister hatte einen Schlüssel, Suleman inspizierte die Räume, insbesondere die Backstube, und sagte: Alles gut in Schuss. Allein, fuhr er fort, schaffe ich das allerdings nicht, ich brauche zwei Mitarbeiter, das wird aber kein Problem sein. Wann werden die hier sein?, fragte der Pfarrer. Morgen, war die Antwort. Was brauchst du an Material?, fragte der Bürgermeister. Ich sage dir, was ich für eine Woche brauche, antwortete Suleman. Der Bürgermeister schrieb alles auf einen Zettel. Ich kenne den Filialleiter des Supermarkts in der nächsten Stadt, sagte er, er soll seinen Laden morgen für uns aufsperren, dann sind die Sachen am Abend in der Bäckerei. Pünktlich am Sonntagabend kamen auch zwei Bäcker, die Suleman mit dem Handy angerufen hatte, ebenfalls Asylwerber, die abgewiesen worden waren, in Ratz an und wurden im Pfarrhaus untergebracht. Den Sonntag über berichtete der Pfarrer in den vielen Gemeinden, die er besuchen musste, dass die Bäckerei in Ratz wieder aufsperren würde.

Suleman und seine Helfer nahmen am Montagfrüh die Arbeit auf, um acht Uhr öffnete das Geschäft. Vor der Bäckerei hatte sich bereits eine Menschenschlange gebildet. Der Pfarrer und der Bürgermeister standen in der Nähe und umarmten einander vor Freude. Eines Tages, sagte der Bürgermeister, wird der Besitzer der Bäckerei zurückkommen. Wir haben sein Geschäft unerlaubt in Besitz genommen. Wir haben es Flüchtlingen überlassen, die illegal im Land sind. Selbstverständlich haben sie keine Arbeitserlaubnis. Früher oder später werden wir im Gefängnis landen.

Das wäre nicht schlecht, erwiderte der Pfarrer, als Gefängnisgeistlicher hätte ich dort ein gutes Leben. Spar dir deine Witze, sagte der Bürgermeister. Wir müssen den Polizisten aufsuchen und uns mit ihm beraten. Auf dem Weg zum Posten kamen sie an der Schule vorbei. Der Bürgermeister, der auch Lehrer war, sagte: Ich habe meine Kollegin angerufen und sie gebeten, heute auch meine Klasse zu unterrichten. Der Polizist freute sich über den Besuch und schaltete die Kaffeemaschine ein. Wir müssen mit dir eine komplizierte Sache besprechen, sagte der Bürgermeister. Und er berichtete dem Polizisten von der Bäckerei und den Flüchtlingen, die sich illegal im Land aufhielten.

Meine Frau, erwiderte der Polizist, ist vor einer Viertelstunde hier gewesen. Sie ist von der Bäckerei gekommen. Der Verkäufer hat sie gebeten, von dem Brot zu kosten, ehe sie einen ganzen Laib kauft. Noch nie habe sie so gutes Brot gegessen, hat sie erzählt. Wir sind froh, fuhr der Polizist fort, dass wir wieder eine Bäckerei haben, noch dazu eine so gute. Und was denkst du über die Leute, die dort arbeiten?, fragte der Bürgermeister. Der Polizist machte für jeden einen großen Espresso.

Wie ihr wisst, sagte er, habe ich eine Tochter. Sie ist Krankenschwester und hat hier beim Arzt als Assistentin gearbeitet. Nun ist sie in der Stadt in einem Krankenhaus beschäftigt. Ihr Freund, der in Ratz ein kleines Geschäft als Optiker gehabt hat, arbeitet als Angestellter bei einem Optiker in der Stadt. Die beiden haben dort eine Wohnung gemietet. Seit vier Wochen ist unsere Tochter nicht mehr hier gewesen. Das schmerzt uns.

Ich habe, fuhr der Polizist fort, nur ein Interesse: dass das Leben nach Ratz zurückkehrt und meine Tochter und ihr Freund wieder hier arbeiten können. Die Bäckerei ist ein guter Beginn. Wir brauchen auch einen Fleischhauer. Die Bauern und Winzer rund um Ratz haben viel zu wenige Arbeiter. In Österreich leben unzählige Flüchtlinge, deren Asylanträge abgelehnt worden sind, wir werden sie nach Ratz holen. Bist du übergeschnappt?, fragte der Bürgermeister. Dasselbe könnte ich dich fragen, erwiderte der Polizist, du hast die Bäckerei aufgesperrt und sie den Flüchtlingen übergeben.

Lasst diesen blöden Streit, sagte der Pfarrer. Wie geht es weiter? Ich mache uns noch einen Kaffee, sagte der Polizist und ging zur Maschine. Wir müssen, fuhr er fort, die Dinge genau besprechen. Beginnen wir mit dem heutigen Tag. Die Bäcker scheinen ein gutes Geschäft zu machen. Sie müssen das Material bezahlen, das sie brauchen. Dann steht ihnen der ortsübliche Lohn zu. Es wird ein Gewinn bleiben. Was machen wir damit? Der Polizist setzte sich zu den anderen. Die schauten ihn fragend an. Wir drei, fuhr der Polizist fort, werden den Gewinn verwalten. Ich lege größten Wert darauf, dass in der Illegalität Ordnung herrscht.

Und dann?, fragte der Pfarrer. Ich glaube, erwiderte der Bürgermeister, dass nach der Bäckerei die Fleischhauerei wieder in Betrieb gehen sollte. Ich werde heute noch, sagte der Pfarrer, mit den Bäckern sprechen, sie werden geeignete Leute finden. Ein paar kann ich noch im Pfarrhaus unterbringen. Die Fleischhauer, meinte der Polizist, werden es nicht so leicht haben wie die Bäcker. Wer wird sie beliefern? Das ist kein Problem, erwiderte der Bürgermeister. Ich weiß, bei welchen Bauern der frühere Fleischhauer eingekauft hat.

Nachdem die drei ihren Kaffee getrunken hatten, sagte der Pfarrer: Wichtig wäre auch, das Wirtshaus wieder aufzusperren. Das ist Zukunftsmusik, erwiderte der Polizist. Wir können nicht auf die Zukunft setzen, sagte der Pfarrer. Wer weiß, wann Beamte aus Wien kommen, die Ausländer festnehmen und abschieben? Je schneller wir das Leben hierher zurückbringen, desto schwieriger wird es für die Behörden, Ratz ins Nichts zurückzustoßen. Ich kann mir vorstellen, dass sogar der Kardinal in Wien sich schützend vor unser Projekt stellt. Kennst du ihn?, fragte der Polizist. Er ist mein bester Freund, antwortete der Pfarrer. Und mein bester Freund, sagte der Bürgermeister, ist der Bundeskanzler. Und meiner, so der Polizist, der Innenminister.

Also, ihr Deppen, sagte der Pfarrer, was kommt nach dem Fleischer und Selcher? Meine Freunde, erwiderte der Polizist. Er machte eine lange Pause, dann fuhr er fort: Aus Gründen, die wir kennen, leben fast keine Menschen mehr in Ratz. Wie ändern wir das? Außerhalb des Kirchplatzes, sagte der Bürgermeister, stehen viele kleine Häuser leer, dort haben ältere Leute gelebt, zumeist Pensionisten, nun wohnen sie in der Stadt. Der Pfarrer und ich werden zu ihnen fahren, wir werden versuchen sie zu überreden, dass sie nach Ratz zurückkehren. Da komme ich mit, erwiderte der Polizist.

Am Montagabend kochte Mia Schönfeld groß auf. Ihr war zu Ohren gekommen, dass die Bäckerei den ganzen Tag gut besucht gewesen war, ein großer Erfolg, dachte sie, nicht nur für die Bäcker, sondern auch für den Pfarrer. Als man beim Essen saß, sagte Suleman: Unsere Kunden waren sehr froh, dass die Bäckerei wieder offen hat. Nicht wenige aber bedauern, dass es kein Lebensmittelgeschäft mehr bei uns gibt. Der Pfarrer schlug sich gegen die Stirn und rief: Was sind wir für Idioten! Wir denken an einen Fleischhauer, ein Wirtshaus, aber nicht an das Wichtigste: ein Lebensmittelgeschäft!

Du musst nicht an alles denken, erwiderte Suleman. Wir werden das Problem lösen. Im Haus neben der Bäckerei befindet sich eine Drogerie, selbstverständlich geschlossen. Wir werden die Mauer ins Nebenhaus durchbrechen und in der ehemaligen Drogerie ein Lebensmittelgeschäft einrichten. Wer wird den Durchbruch machen?, fragte der Pfarrer. Vier Bauarbeiter, erwiderte Suleman, sie kommen morgen. Wir haben keine Erlaubnis, in das Nebenhaus durchzubrechen, sagte der Pfarrer. Wir haben für nichts eine Erlaubnis, erwiderte Suleman. Wahrscheinlich werden wir bald verhaftet und abgeschoben. Bis dahin geben wir unser Bestes. Damit ihr euch gern an uns erinnert. Der Pfarrer brachte die Rede nun auf die Fleischhauer. Ich werde mich darum kümmern, sagte Suleman, und gebe dir morgen Bescheid.

Am Dienstagvormittag saßen der Pfarrer und Mia auf der Bank, genossen die Sonne und bewunderten die Rosen. Am Freitag ist Suleman nach Ratz gekommen, sagte der Pfarrer. Freitag, Samstag, Sonntag, Montag. In diesen vier Tagen hat sich hier mehr getan als in den vier Jahren zuvor. Ich beobachte mit Vergnügen, Patrice, wie du aufblühst, erwiderte Mia. Auch mich lässt das alles nicht kalt. Ich muss dir aber gestehen, fuhr sie nach einer Weile fort, ich habe den Niedergang von Ratz nicht nur bedauert. Es ist ruhig und beschaulich geworden hier.

Patrice nickte. Du hast recht, sagte er, wir beide haben kein schlechtes Leben gehabt. Wir werden von der Kirche bezahlt, der Lehrer und der Polizist bekommen ein Gehalt. Aber ein ehemals lebendiger Ort, der nur mehr aus einer Handvoll Leuten besteht, ist doch gespenstisch. Denk an unsere Kinder, die hier leben müssen. Die Kinder, erwiderte Mia, haben sich noch nicht beschwert. Du unterrichtest das Mädchen auf der Geige, den Buben am Klavier, spielst mit ihnen Fußball, wir machen Ausflüge, erklären den Kindern die Pflanzen, am Abend singe ich mit ihnen.

Patrice seufzte. Ach, Mia, sagte er, du hast recht. Ich will auch nicht schlecht über die vergangenen Jahre reden. Nun ist aber, noch dazu ohne unser Zutun, eine andere Zeit angebrochen. Ich muss hinüber zur Schule, der Bürgermeister unterrichtet bis elf, dann fahren wir mit seinem Auto in die Stadt, der Polizist kommt auch mit. Wir besuchen Leute, die aus Ratz weggezogen sind, und wollen sie zur Rückkehr überreden.

Das Auto wurde auf dem Hauptplatz abgestellt, man verabredete sich für den Abend im Rathauskeller. Jeder hatte eine Liste von Leuten, die er besuchen wollte. Ganz oben auf der Liste des Pfarrers stand ein altes Ehepaar, das er kannte, weil es nicht nur jeden Sonntag in die Messe gegangen war, sondern ihn auch stets für seine Predigten gelobt hatte. Die beiden waren über den Besuch hocherfreut und richteten eine Jause mit Kaffee und Kuchen.

Der Pfarrer berichtete, dass die Lage in Ratz sich verbessere, man könne wieder einkaufen, und fragte, ob das Ehepaar bereit sei, in sein Haus zurückzukehren. Lieber Herr Pfarrer, sagte die Frau, mein Mann hat vor Kurzem einen Schlaganfall erlitten, und ich kann, wie Sie sehen, nur am Stock gehen. Wir werden bald ins Altersheim übersiedeln. Und was, fragte der Pfarrer, passiert mit Ihrem Haus? Ich weiß es nicht, antwortete die Frau. Das Haus ist zwar nur einstöckig, aber langgestreckt und verfügt über viele Räume. Wir haben ja vier Kinder. Die leben alle in Wien und sind an dem Haus nicht interessiert. Wir haben aber eine Enkeltochter, die geht noch zur Schule. Sie besucht uns öfters und hat gemeint, wir sollten das Haus nicht verkaufen. Ihr gefalle Ratz und sie würde später, wenn sie erwachsen sei, gern die Wochenenden dort verbringen.

Ein kluges Mädchen, sagte der Pfarrer. Die Frage ist, was bis dahin mit dem Haus passiert. Bleibt es unbewohnt, verkommt es. Sie haben recht, erwiderte der Mann. Das bereitet mir große Sorgen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, sagte der Pfarrer. Sie vermieten das Haus an mich. Ich sorge dafür, dass anständige Leute dort wohnen. Muss irgendetwas instand gesetzt werden, sorge ich dafür.

Gott hat Sie geschickt, erwiderte die Frau. Der Mann nickte und schlug vor, wie viel der Pfarrer monatlich an Miete zu zahlen habe. Der winkte ab, bot das Dreifache und sagte: Dabei bleibt es. Die Frau stand auf und kam mit einem Karton zurück. Ich zeige Ihnen Fotos, sagte sie, da sehen Sie, wie es in Ratz ausgeschaut hat, lange bevor Sie gekommen sind. Bild für Bild legte sie auf den Tisch. Der Karton war noch halb voll, da schaute der Pfarrer auf die Uhr und sagte, er müsse sich nun verabschieden, er sei mit dem Bürgermeister gekommen, der warte schon auf ihn.

Im Rathauskeller saßen der Polizist und der Bürgermeister an einem Tisch und tranken Wein. Der Pfarrer begann zu erzählen: Das Ehepaar Burgstaller kehrt nicht nach Ratz zurück, es geht ins Altersheim. Die beiden vermieten aber ihr Haus, und zwar an mich. Das kommt mir sehr gelegen. Heute kommen vier Bauarbeiter. Ich kann sie nicht im Pfarrhaus unterbringen. Sie werden im Haus Burgstaller wohnen. Und du zahlst die Miete?, fragte der Bürgermeister. Der Pfarrer nickte. Die Bauarbeiter, fuhr er fort, machen einen Durchbruch zwischen Bäckerei und Drogerie. Die Bäckerei hat großen Zulauf, so wird es auch mit dem Lebensmittelgeschäft sein. Vom Gewinn bezahlen wir die Bauarbeiter. Ich werde dann Zimmer an sie vermieten. In dem Haus gibt es noch mehrere Räume, die werden sich nach und nach füllen. Mit wem?, fragte der Polizist.

Der Pfarrer bestellte ein Glas Wein, der Kellner brachte die Speisenkarten, die drei suchten etwas aus und bestellten. Ich habe, sagte der Bürgermeister, schon lange nicht mehr in einem Wirtshaus gegessen. Bald, erwiderte der Pfarrer, wird es auch in Ratz wieder ein Wirtshaus geben. Dort werden ein Koch, zwei Küchengehilfen und drei Kellner arbeiten. Und wo werden sie wohnen? Ich verstehe, sagte der Polizist. Wie war euer Nachmittag?, fragte der Pfarrer. Die beiden berichteten. Sie waren ebenfalls erfolgreich gewesen. Insgesamt hatten sie acht Familien besucht, alle waren bereit, nach Ratz zurückzukehren. Das ist nicht viel, sagte der Polizist. Unsinn, sagte der Pfarrer. Am Freitag ist Suleman gekommen, wir haben bei null angefangen. Heute ist Dienstag.

Am Tag darauf bekam der Pfarrer Besuch von Mattaschütz. Von den Bauern runde um Ratz hatte er den größten Hof. Unaufgefordert setzte er sich und verlangte ein Glas Slibowitz. Der Pfarrer schenkte ihm ein. Lieber Patrice, sagte Mattaschütz, in Ratz tut sich einiges. Der Pfarrer nickte. Er war über den Besuch des Großbauern nicht erfreut. Er wusste, dass dieser Kerl seine Arbeiter nicht nur schikanierte, sondern auch schlecht bezahlte. Ich würde, fuhr Mattaschütz fort, gern etwas dazu beitragen. Wer hindert dich daran?, fragte der Pfarrer.

Nach einer Weile erwiderte Mattaschütz: Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst. Du bist sogar in deinen Predigten auf mich losgegangen. Trotzdem bin ich jetzt hier. Ich habe keine Arbeiter mehr. Niemand will in einem Ort beschäftigt sein, in dem es nicht einmal ein Wirtshaus gibt. Ich habe gehört, das soll sich ändern. Und man sagt, dass seit ein paar Tagen Flüchtlinge die Bäckerei betreiben und bald auch ein Lebensmittelgeschäft. Ich würde dringend solche Leute brauchen. In den Weingärten hängen die frischen Triebe bis zum Boden, wenn die nicht geschnitten werden, gibt es im Herbst keinen Wein.

Wenn das so ist, sagte der Pfarrer, können wir ins Geschäft kommen. Wie meinst du das?, fragte Mattaschütz. Der Pfarrer überhörte die Frage und erkundigte sich, wie viele Arbeiter der Großbauer brauche. Zehn für den Anfang, erwiderte Mattaschütz. Wie bringst du sie unter?, fragte der Pfarrer. Fünf auf dem Bauernhof, die anderen auf dem Heuboden, antwortete Mattaschütz. Der Pfarrer schüttelte den Kopf. Vielleicht, fuhr Mattaschütz fort, kann ich sechs auf dem Bauernhof unterbringen.

Niemand wird auf dem Heuboden schlafen, sagte der Pfarrer. Du bringst fünf Leute bei dir unter, die anderen werden in Ratz wohnen. Ich habe ein Haus gemietet, früher hat die Familie Burgstaller dort gewohnt. Ist dir die bekannt? Ich kenne den Herrn Burgstaller, antwortete Mattaschütz, ich habe bei ihm meine Bankgeschäfte erledigt, als es in Ratz noch eine Bank gab. Ich habe also, fuhr der Pfarrer fort, dieses Haus gemietet, dort werde ich fünf von deinen Arbeitern unterbringen. Die Miete zahlst du. Der Lohn wird von mir festgelegt, hier verdient jeder gleich viel. Du führst hier, erwiderte der Großbauer, ein strenges Regiment. Gehört das zu den Aufgaben eines Pfarrers? Wenn es dir nicht passt, sagte der Pfarrer … Nein, nein, rief der Bauer, mit ist alles recht.

Er lehnte sich zurück und bat um ein weiteres Gläschen Slibowitz. Der Pfarrer schenkte ihm ein, dann wollte er die Flasche zurück in den Schrank stellen, überlegte es sich aber und schenkte sich ebenfalls ein Gläschen ein. Noch etwas, sagte er. Die Bäckerei und das Lebensmittelgeschäft machen Gewinn. Der kommt in einen Topf, den der Bürgermeister, der Polizist und ich verwalten. So geben wir dem illegalen Treiben den Anschein von Legalität. Wir werden das Geld für Investitionen brauchen. Als Nächstes sollen die Fleischhauerei und das Wirtshaus in Betrieb gehen. Ich habe gehört, dass die zwei Gebäude in einem schlechten Zustand sind.

Die beiden Männer stießen miteinander an. Die Leute, die dort arbeiten werden, fuhr der Pfarrer fort, sind schon auf dem Weg nach Ratz. Wir werden ihnen einen Kredit geben, damit sie die Betriebe sanieren können. Den werden sie zurückzahlen. Aber das alles, lieber Mattaschütz, kann jederzeit ein Ende haben. Die Polizei wird aus der Stadt anrücken und die Flüchtlinge verhaften und abschieben.

Eines ist sicher, Patrice, erwiderte Mattaschütz: Das wird nicht passieren. Der Pfarrer schaute ihn fragend an. Ich kann dir das garantieren, fuhr er fort. Mehr will ich dazu nicht sagen. Nur eines noch: Wenn ein Bauer größer ist als der andere, ist er ein Gauner. Das trifft auf mich zu. Ich habe andere zugrunde gerichtet. Das ist vorbei. Du, Patrice, kümmerst dich um den Ort, ich bin ab jetzt für die Umgebung zuständig. Ich werde zu den anderen Bauern gehen und ihnen sagen, dass wir dank deiner Hilfe Arbeiter bekommen und dass ich ihnen, wenn sie wollen, helfen werde, ihre Betriebe wieder in Gang zu bringen.

Du hast zu viel Slibowitz getrunken, sagte der Pfarrer, anders kann ich mir diesen Gesinnungswandel nicht erklären. Wir werden aus diesem Elend herauskommen, erwiderte Mattaschütz, stand auf, umarmte den Pfarrer, ging hinaus, setzte sich auf den Traktor und fuhr los.

2

Nach dem Abendessen gingen Suleman und der Pfarrer in dessen Kanzlei. Was gibt es Neues?, fragte der Pfarrer. Sulemann zögerte mit der Antwort. Dann sagte er: Ich weiß nicht, ob du dich darüber freuen wirst. Wir erwarten etliche Flüchtlinge, darunter sind erstmals Familien mit Kindern. Großartig, erwiderte der Pfarrer. Soviel mir bekannt ist, sagte Suleman, sind einige der Kinder unter sechs Jahre alt, andere sollten schon die Schule besuchen. Genau das brauchen wir, erwiderte der Pfarrer. Suleman schaute ihn fragend an. Die Schule in Ratz, fuhr der Pfarrer fort, hat viel zu wenige Schülerinnen und Schüler. Und für die Kleinen werden wir einen Kindergarten eröffnen. Neben meiner Kanzlei gibt es zwei Räume, die nicht genutzt werden.

Ich würde gern ein Glas Wein trinken, sagte Sulemann. Der Pfarrer ging hinauf, um eine Flasche und zwei Gläser zu holen. Dann stopfte er sich eine Pfeife. Die beiden Männer prosteten einander zu. Wichtig ist, sagte der Pfarrer, dass auch Frauen kommen. Eine lebendige Gemeinde ohne Frauen ist absurd. Wir werden versuchen, vor allem in Ratz Beschäftigung für sie zu finden. Wie weit sind die Arbeiten im Wirtshaus gediehen? Die Bauarbeiter, erwiderte Suleman, sind mit der Renovierung der Räume beschäftigt. Ich muss dir gestehen, fuhr er fort, dass ich mich nicht auch noch darum kümmern kann. Ich stehe von der Früh bis zum Abend in der Bäckerei.

Der Pfarrer schenkte nach und überlegte lange. Dann sagte er: Suleman, ich mache dir einen Vorschlag. Ich weiß, dass du gern als Bäcker arbeitest. Aber du wirst jemanden finden, der vorübergehend für dich einspringt. Du bekommst selbstverständlich weiter deinen Lohn. Ich brauche dich. Es kommen immer mehr Leute, sie müssen untergebracht werden, man muss mit ihnen besprechen, wo sie arbeiten wollen. Ich habe mit dem Großbauern Mattaschütz ein Abkommen getroffen, er braucht für den Anfang zehn Arbeiterinnen und Arbeiter. Er wird mit den anderen Bauern reden, die brauchen sicher auch Hilfe. Wir legen den Lohn fest, jeder verdient hier das Gleiche, wir bringen die Leute unter, die Bauern müssen die Miete zahlen. Du siehst, ich brauche deine Unterstützung. Ab nun ist meine Kanzlei auch deine.

Soll ich, fragte Suleman, für dich auch die Messe lesen und Predigten halten? Das ist eine gute Idee, antwortete der Pfarrer, du brauchst den Leuten nur zu erzählen, was in Ratz vor sich geht. Sie werden dir begeistert zuhören. Und ich kann endlich den ganzen Tag im Vorgarten sitzen und die Rosen bewundern. Die Aufgabe eines Pfarrers ist es, über Gott und die Welt nachzudenken und nicht über Flüchtlinge und Illegalität. Im Übrigen, wir haben keinen Wein mehr. Kannst du bitte noch eine Flasche holen? Gern, sagte Sulemann. Und bring auch Brot und Schinken mit, rief ihm der Pfarrer nach. Sie stießen miteinander an. Eines, sagte der Pfarrer, muss ich dir noch erzählen. Zum Mattaschütz, dem wohlhabendsten und einflussreichsten Mann in dieser Gegend, habe ich gesagt, dass jederzeit die Behörde kommen, die Flüchtlinge festnehmen und abschieben kann. Er hat geantwortet: Ich garantiere dir, das wird nicht passieren. Ich habe gefragt, wie er das meint. Seine Antwort: Das könne er nicht sagen. Merkwürdig, erwiderte Suleman. Stehen wir also unter dem Schutz dieses Mannes? Keine Ahnung, sagte der Pfarrer.

Am nächsten Vormittag kam ein Bauer in die Pfarrerkanzlei. Auch Suleman war anwesend. Der Mattaschütz, sagte der Bauer, hat mit mir und den anderen Bauern gesprochen. Die Zeit der Feindschaft sei vorbei, wir müssten zusammenhalten. Das habe er mit dem Pfarrer vereinbart. Der nickte und erklärte dem Bauern, wie er mit Mattaschütz verblieben sei. Auch ich, sagte der Bauer, würde dringend ein paar Arbeiter brauchen. Auch Frauen?, fragte der Pfarrer. Selbstverständlich, antwortete der Bauer. Wie viele kannst du bei dir unterbringen?, fragte der Pfarrer. Höchstens drei, war die Antwort. Auch eine Familie mit Kind?, fragte der Pfarrer. Der Bauer nickte. Dann komm in ein paar Tagen wieder, sagte der Pfarrer, und wende dich an Suleman, der ist für die Flüchtlinge zuständig.

Nachdem der Bauer sich verabschiedet hatte, sagte Suleman: Wir erwarten in dieser Woche mehr als dreißig Neuankömmlinge. Wie viele Flüchtlinge leben illegal in Österreich?, fragte der Pfarrer. Ich schätze, antwortete Suleman, mehrere Hundert. Wenn die alle zu uns kommen, sagte der Pfarrer, wird Ratz zur Großstadt. Zuerst, erwiderte Suleman, müssen wir die Neuankömmlinge im Haus Burgstaller unterbringen. Dann werden wir sie verteilen. Die vier Bauarbeiter, die dort wohnen sollten, sind nicht eingezogen. Nachdem sie den Durchbruch von der Bäckerei in die ehemalige Drogerie gemacht haben, sind sie in die Räume über der Drogerie vorgedrungen. Wie wäre es, fragte er, mit einer kleinen Jause?

Der Pfarrer ging in den ersten Stock und richtete Brot, Butter und Wurst. Aber bitte keinen Wein, sagte Mia, nicht schon am Vormittag, du machst Suleman sonst noch zum Säufer. Sie gab Patrice eine Flasche Traubensaft mit. Die beiden Männer aßen und tranken. Die Bauarbeiter haben mir berichtet, sagte Suleman, dass die Räume oberhalb der Drogerie in einem erbärmlichen Zustand sind und die Männer mit der Sanierung begonnen haben. Immer mehr Flüchtlinge werden kommen, und wir werden Wohnungen für sie brauchen. Außerdem haben die Männer mir berichtet, dass sechs weitere Bauarbeiter gekommen sind. Die kümmern sich um das Wirtshaus und die Fleischhauerei.

Der Pfarrer seufzte. Ich fürchte, sagte er, das alles wächst uns über den Kopf. Wie sollen wir die Bauarbeiter bezahlen? Kein Problem, erwiderte Suleman. Die Leute aus den umliegenden Gemeinden sind froh, dass sie zum Einkaufen nicht mehr in die Stadt fahren müssen. Sie kommen zu uns. Wir machen gute Geschäfte, der Gewinn kommt in den Topf. Da müsste schon so viel Geld drinnen sein, dass wir zwanzig Bauarbeiter bezahlen können. Und wie werden die verköstigt?, fragte der Pfarrer. So wie wir, antwortete Suleman. In der Bäckerei wurden ein Tisch und Sessel aufgestellt. Die Bauarbeiter bekommen Brot, Butter, Wurst und Bier.

Ein Problem macht mir zu schaffen, sagte der Pfarrer. Der Bürgermeister fährt dreimal in der Woche in die Stadt, um im Supermarkt die Sachen zu kaufen, die ihr in der Bäckerei und im Lebensmittelgeschäft braucht. Dank seiner Freundschaft mit dem Filialleiter bekommt er alles stark verbilligt. Dieses Hin- und Herfahren, hat er angedeutet, werde ihm zu mühsam. Sag ihm, erwiderte Suleman, er soll noch einige Zeit durchhalten. Wir haben noch ein Problem, fuhr er fort. Beim Durchbruch und der Sanierung der Wohnungen ist viel Schutt angefallen, der lagert hinter der Kirche. Wohin damit?

Der Pfarrer dachte nach. Komm, sagte er. Sie gingen zur Beiwagenmaschine, der Pfarrer bat Suleman, sich in den Beiwagen zu setzen, sie fuhren zu Mattaschütz. Als Suleman ausstieg, stand ihm der Angstschweiß auf der Stirn. Du fährst wie ein Verrückter, sagte er. Gott, erwiderte der Pfarrer, hält seine schützende Hand über uns. Mattaschütz kam ihnen entgegen. Welche Ehre, rief er und bat die zwei ins Haus. Der Pfarrer stellte Suleman vor. Ich habe viel von dir gehört, sagte Mattaschütz, du scheinst ja die wichtigste Person in Ratz zu sein. So ist es, erwiderte Suleman. Mattaschütz bat die beiden, in dem schönen, großen, holzgetäfelten Raum Platz zunehmen. Er holte eine Flasche Slibowitz und drei Gläser, dann setzte er sich zu Suleman und dem Pfarrer.

Ich lebe allein, sagte Mattaschütz, meine Frau hat mich vor zwei Jahren verlassen. Sie ertrage es nicht, hat sie gesagt, in einer Gegend zu leben, aus der die Leute wegziehen. Außerdem sei ich ein widerlicher Kerl. Sie ist in die Stadt gezogen. Ihr Vater hat dort ein großes Elektrogeschäft. Sie hat es, wie ich gehört habe, bereits übernommen. Wenn ihr für die Sanierungsarbeiten Kabel braucht, geht zu ihr und grüßt sie von mir. Wir brauchen, sagte der Pfarrer, eine Menge Material. Die Bauarbeiter sollen eine Liste machen. Damit fahren du und ich zu deiner Frau. Ich werde ihr sagen, dass du kein widerlicher Kerl mehr bist. Warum willst du das tun?, fragte Mattaschütz. Damit deine Frau uns Rabatt gewährt, antwortete der Pfarrer. Du bist ein gerissener Geschäftsmann, sagte der Großbauer. Gott hat mir aufgetragen, erwiderte der Pfarrer, für meine Gemeinde zu sorgen.

Mattaschütz schenkte ein. Ich würde Hilfe brauchen, sagte er, der Haushalt ist völlig heruntergekommen. Wir erwarten in dieser Woche Flüchtlingsfamilien, erwiderte der Pfarrer, Männer, Frauen, Kinder. Vielleicht ist eine Frau darunter, die sich um deinen Haushalt kümmern will. Kommt nicht infrage, sagte Suleman. Der Pfarrer schaute ihn verständnislos an. Immer sind es die Frauen, fuhr Suleman fort, die für den Haushalt zuständig sein sollen. In diesem Fall wird es ein Mann sein. Ich werde aus euch noch zivilisierte Menschen machen. Alle schwiegen. Dann sagte der Pfarrer: Wir werden uns bemühen. Er stopfte sich eine Pfeife.

Nach einer Weile berichtete er Mattaschütz von dem Schutt, der sich hinter der Kirche aufgetürmt hatte. Ich werde, sagte Mattaschütz, einen Anhänger hinstellen. Wenn die Bauarbeiter den Schutt hinaufgeschaufelt haben, hole ich ihn ab. Die Bauarbeiter, erwiderte Suleman, haben dafür keine Zeit. Gut, sagte der Pfarrer, dann machen wir zwei das. Nein, mischte sich Mattaschütz ein, wir drei. Und wo, fragte der Pfarrer, bringen wir den Schutt hin? In die aufgelassene Schottergrube, antwortete Mattaschütz.

Ein Problem haben wir noch, sagte der Pfarrer. Und er berichtete, dass der Bürgermeister dreimal in der Woche in die Stadt fahre, um Lebensmittel herbeizuschaffen, und dass ihm das zu viel werde. Mattaschütz lachte. Lieber Patrice, sagte er, ich kaufe schon lange nicht mehr in der Stadt ein. Unweit von hier grenzt Österreich an Tschechien. Der Fluss bildet die Grenze. Weit und breit keine Brücke. Aber man kann nach Tschechien telefonieren. Ich habe herausgefunden, dass es in der Nähe der Grenze eine Stadt mit einem Lebensmittelgroßhandel gibt, und ich habe den Besitzer nach den Preisen seiner Waren gefragt. Ich bin fast vom Sessel gefallen. Alles ist um die Hälfte billiger als hier.

Ich habe mir ein großes Motorboot gekauft, es liegt am Ufer des Flusses, und bin hinübergefahren. Der Besitzer des Großhandels hat mich mit einem Lieferwagen abgeholt, ich habe seinen Laden inspiziert: In einer Riesenhalle, wohlsortiert, lagert die beste Ware. Gestern, fuhr Mattaschütz fort, war ich wieder dort und habe eine große Bestellung aufgegeben. Schließlich erwarte ich Arbeiterinnen und Arbeiter, die verköstigt werden müssen. Und morgen fahre ich wieder hin. Suleman, sag mir, was ihr braucht. Mattaschütz nahm einen Zettel, Suleman gab an, was in der Bäckerei und im Lebensmittelgeschäft gebraucht wurde. Das heißt, sagte der Pfarrer, wir kaufen billiger ein und verkaufen zum ortsüblichen Preis. Suleman nickte. Ich weiß, sagte er, was du denkst: Dadurch erhöht sich der Gewinn. Der wiederum kommt in den Topf, und wir haben mehr Geld für Investitionen.

Die beiden fuhren zurück nach Ratz. Suleman hatte den Pfarrer gebeten, nicht wieder so zu rasen, widerwillig hatte der das Tempo gedrosselt. Im Lauf der Woche kamen achtundzwanzig Flüchtlinge, Frauen, Männer, Kinder. Suleman brachte sie im Haus Burgstaller unter. Er entschuldigte sich dafür, dass es beengt war, erklärte aber, dass sie bald aufgeteilt würden und sie sich aussuchen könnten, wo sie arbeiten wollten. Ein neues Problem tauchte auf: Die wenigsten konnten Deutsch. Der Pfarrer beruhigte Suleman: Das sei kein Problem. Man werde Deutschkurse einrichten.

Unter den Neuankömmlingen waren drei Kleinkinder und einige im schulpflichtigen Alter. Die drei Kleinen waren tagsüber bei Mia, zu ihnen gesellten sich deren zwei Kinder. Die spielten und sprachen mit den Kleinen. Mia wunderte sich, wie gut die Kinder miteinander auskamen. Die Kleinen lernten gewissermaßen spielerisch Deutsch. Die Älteren kamen in die Schule, der Bürgermeister und seine Kollegin verteilten sie auf die zwei Klassen, auch sie lernten erstaunlich schnell.

Schwieriger war es mit den Erwachsenen, die mussten tagsüber arbeiten. Suleman hatte mit ihnen verhandelt, wo sie beschäftigt sein wollten. Der Pfarrer war froh, dass die Sanierungsarbeiten für das Wirtshaus schnell vonstattengingen. Es mangelte an Geschirr, Gläsern, Tischtüchern und Servietten. Der Pfarrer bestand darauf, dass dieses Lokal keine heruntergekommene Kneipe werden dürfe. Er schrieb eine Liste von Sachen, die Mattaschütz aus Tschechien beschaffen sollte, dazu kamen Bier, Wein und Lebensmittel.

Die baldige Eröffnung des Wirtshauses war dem Pfarrer wichtig. Die Bauarbeiter hätten dann ein ordentliches Mittagessen. Ihm ging es aber auch um die Arbeiter, die bei den umliegenden Bauern beschäftigt waren. In der Früh und zu Mittag wurden sie von den Bauern verköstigt, nach dem Arbeitstag, der nach einer Weisung des Pfarrers nicht acht, sondern nur sechs Stunden dauerte, mussten sie zum Deutschkurs nach Ratz. Das Problem, wie sie dorthin gelangten, hatte Mattaschütz gelöst: In Tschechien waren zwanzig Fahrräder gekauft worden. Und nach dem Deutschkurs sollten die Leute ins Wirtshaus essen gehen.

Der Pfarrer und Suleman berieten mit den Neuankömmlingen, wer im Wirtshaus arbeiten sollte. Der Pfarrer wunderte sich, in wie vielen Sprachen Suleman sich unterhalten konnte. Du musst wissen, sagte Suleman, in Syrien, wo ich die Schule besucht habe, hat es vor dem Bürgerkrieg das beste Bildungssystem der ganzen Region gegeben. Eine der Flüchtlingsfrauen behauptete, im besten Restaurant von Casablanca Vizeküchenchefin gewesen zu sein. Sie suchte eine Frau und einen Mann als Küchengehilfen aus. Zwei Frauen, deren Kinder tagsüber bei Mia waren, bewarben sich als Kellnerinnen.

Eine Woche später wurde das Wirtshaus eröffnet. Der Andrang war enorm. Der Pfarrer hatte einen großen Tisch reserviert für Mia und die Kinder, den Bürgermeister und