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Die Wahrheit beginnt zu zweit E-Book

Michael Lukas Moeller

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Beschreibung

«Eigentlich wollten wir einfach glücklich sein, aber wir konnten nicht miteinander reden.» Dieser Satz eines Paares, das sich trennte, ist der typische Abgesang auf die heute allseits belasteten Beziehungen. In Paarbeziehungen wird oft zu wenig miteinander gesprochen. Der Psychoanalytiker und Bestsellerautor Michael Lukas Moeller hat das früh erkannt und durch seine Arbeit zahlreichen Paaren zu neuem Glück in der Partnerschaft verholfen. «Die Wahrheit beginnt zu zweit» eröffnet Paaren (und nicht nur ihnen) mit Hilfe einfacher, aber erprobter Regeln die Möglichkeit, offene und ehrliche Zwiegespräche zu führen, die es ihnen gestatten, das gemeinsame Leben und Glück in der Partnerschaft auf Dauer selbst in die Hand zu nehmen. Das intensive Gespräch hat viele Paarleben tiefgreifend verändert. Ein Paar: «In den letzten drei Monaten mit Zwiegesprächen haben wir mehr voneinander erfahren als in zehn Ehejahren vorher.»

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Seitenzahl: 332

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Michael Lukas Moeller

Die Wahrheit beginnt zu zweit

Das Paar im Gespräch

Informationen zum Buch

«Eigentlich wollten wir einfach glücklich sein, aber wir konnten nicht miteinander reden.» Dieser Satz eines Paares, das sich trennte, ist der typische Abgesang auf die heute allseits belasteten Beziehungen. In Paarbeziehungen wird oft zu wenig miteinander gesprochen. Der Psychoanalytiker und Bestsellerautor Michael Lukas Moeller hat das früh erkannt und durch seine Arbeit zahlreichen Paaren zu neuem Glück in der Partnerschaft verholfen. «Die Wahrheit beginnt zu zweit» eröffnet Paaren (und nicht nur ihnen) mit Hilfe einfacher, aber erprobter Regeln die Möglichkeit, offene und ehrliche Zwiegespräche zu führen, die es ihnen gestatten, das gemeinsame Leben und Glück in der Partnerschaft auf Dauer selbst in die Hand zu nehmen. Das intensive Gespräch hat viele Paarleben tiefgreifend verändert. Ein Paar: «In den letzten drei Monaten mit Zwiegesprächen haben wir mehr voneinander erfahren als in zehn Ehejahren vorher.»

Informationen zum Autor

Michael Lukas Moeller, geboren 1937, gestorben 2002 in Frankfurt. Studium der Medizin und Philosophie. Als ausgebildeter Psychoanalytiker habilitierte er sich für das Fach Psychotherapie und Psychosomatische Medizin. 1983 übernahm er den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie an der Universität Frankfurt. Im Rahmen seines Lebenswerks wurde er im Jahr 2000mit dem ersten «Internationalen Otto Mainzer Preis für die Wissenschaft von der Liebe» ausgezeichnet.

Neben zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten stehen die Buchveröffentlichungen: «Die Liebe ist das Kind der Freiheit». (rororo 60594), «Worte der Liebe. Erotische Zwiegespräche. Ein Elixier für Paare». (rororo 60433) und «Gelegenheit macht Liebe. Glücksbedingungen in der Partnerschaft». (rororo 61169).

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Wovon die Rede ist

Einblick Sprachlose Paare

Erstes Kapitel – «In den letzten drei Monaten mit Zwiegesprächen haben wir mehr voneinander erfahren als in zehn Ehejahren vorher»

Anna und Matthias im Zwiegespräch

Entwicklung kennt keine Sicherheit: Alles fließt

«Krieg ist aller Dinge Vater»

Geboren heißt verlassen werden

Zwiegespräche: Fenster zum gemeinsamen Unbewussten

Beziehung heißt Entwicklung zu zweit

Zweites Kapitel – «Dass wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen»

Erlebnisse der ersten Zwiegespräche

«Meine wesentlichste Erfahrung ist, dass mich Zwiegespräche sehr entlasten» – Katrin und Robert: neun Monate Zwiegespräche

«Ich habe das Gefühl, erotisch befreit zu sein» – Christine und Andreas: drei Jahre Zwiegespräche

Die ganze Beziehung ist die erogene Zone

Drittes Kapitel – Was beide angeht, können nur beide lösen

Die Grundordnung der Zwiegespräche

Bei sich bleiben

Wir werten den anderen ab, wenn wir uns selbst minderwertig fühlen: Paar-Rassismus

Wechselseitige Kolonialisierung

Die dritte Position

Viertes Kapitel – Die Wirklichkeit der guten Beziehung

Fünf Bedingungen einer guten Beziehung

Erste Einsicht: «Ich bin nicht du und weiß dich nicht»

Zweite Einsicht: Wir sind zwei Gesichter einer Beziehung und sehen es nicht

Dritte Einsicht: «Dass wir miteinander reden, macht uns zu Menschen»

Vierte Einsicht: In Bildern statt in Begriffen sprechen

Fünfte Einsicht: Ich bin für meine Gefühle selbst verantwortlich

Fünftes Kapitel – Im Anfang ist das Paar

Barrieren nach der ersten Begeisterung

«Schon beim Aufwachen reicht’s mir – denn abends ist Zwiegespräch»

Selbstkontrolle gegen das Scheitern

Zwiegespräche verbessern sich selbst

Aller Anfang ist schwer

Was unterscheidet Zwiegespräche von anderen wesentlichen Gesprächen?

Wodurch wirken Zwiegespräche?

Zwiegespräche enthalten die Gestalt der genügend guten Mutter

Neun Namen der Zwiegespräche

«Was sagt dein Gewissen? Du sollst werden, der du bist»

Für Célia

Einmaleins

Einer hat immer unrecht: aber mit zweien beginnt die Wahrheit. –

Einer kann sich nicht beweisen: aber zweie kann man bereits nicht widerlegen.

Friedrich Nietzsche,

Die fröhliche Wissenschaft,

Drittes Buch, Nr.260

Wovon die Rede ist

O ihr Guten! auch wir sind

Tatenarm und gedankenvoll!

Friedrich Hölderlin;

Ode an die Deutschen

«Mein Essen mit André»

 «Wenn du lange mit jemandem zusammengelebt hast, wirst du ständig hören: ‹Was ist denn bloß los?! So toll wie früher ist es auch nicht mehr, aber das ist ja natürlich. Der erste Blütenstaub ist hin. Aber so ist das nun mal.› Ich bin gar nicht dieser Meinung, aber ich denke, du müsstest dir eigentlich ständig diese Frage stellen – und zwar mit schonungsloser Offenheit: ‹Ist meine Ehe überhaupt noch eine Ehe? Ist das sakrale Element noch da?› Genau wie die Frage nach dem sakralen Element in deiner Arbeit: ‹Ist es noch da?› Glaub mir, es ist ein ziemlich schreckliches Erlebnis, plötzlich sagen zu müssen: ‹Mein Gott, ich dachte, ich hätte mein Leben gelebt, aber ich hab überhaupt nicht gelebt. Ich bin Künstler gewesen. Ich habe niemals wirklich gelebt. Ich hab die Rolle des Vaters gespielt ebenso wie die des Ehemannes. Ich hab die Rolle des Gauners, des Regisseurs gespielt. Ich hab mit jemandem im gleichen Zimmer gelebt, hab ihn aber nicht bemerkt. Ich hab ihn auch niemals gehört, war nie wirklich mit ihm zusammen.› Ja, ich weiß, manche Leute, die leben oft völlig aneinander vorbei. Ich meine, das Gesicht des Betreffenden könnte sich in ein Wolfsgesicht verwandeln – und es würde gar nicht auffallen. Es würde gar nicht auffallen. Nein, es würde gar nicht auffallen.»

Wovon die Rede ist

Wer so von sich sprechen kann, wie viel Glück hat er im Leben gehabt – und ist doch nie glücklich geworden. Mich beeindruckte diese Passage aus dem Film «Mein Essen mit André» von Louis Malle, weil sie ein typisches menschliches Dilemma widerspiegelt – nicht nur der Männer, meine ich.

André leidet an seinem ungelebten Leben.1Nun muss er sich «eigentlich ständig diese Frage stellen – und zwar mit schonungsloser Offenheit»: Warum lebe ich lange mit jemandem zusammen, lebe mit ihm im gleichen Zimmer – und nehme ihn doch nicht wahr? Warum habe ich ihn niemals gehört? Warum war ich nie wirklich mit ihm zusammen? Warum haben wir beide, auf engstem Raum bei Tag und Nacht, aneinander vorbeigelebt?

Die meisten Menschen leiden stumm an ihrem Leben ohne Liebe. Sie können darüber nicht sprechen. Sie haben resigniert. Darum sagen sie sinngemäß, was André von anderen dauernd zu hören bekommt: «So toll wie früher ist es auch nicht mehr. Aber das ist ja nur natürlich. Der erste Blütenstaub ist hin, aber so ist das nun mal.»

Ich bin seit über zwanzig Jahren in der Praxis und in der wissenschaftlichen Forschung als Paartherapeut tätig. Wie gut kenne ich dieses tonlose Leiden an einer verbrauchten Liebes- und Lebensbeziehung: «So ist das nun mal.»

«Ich bin gar nicht dieser Meinung», sage ich mit André dagegen. Gerade weil ich mit Hunderten von ratlosen Paaren gearbeitet und dabei erlebt habe, dass es so nicht sein muss. Dass wir etwas tun können gegen die Resignation. Dass unsere häusliche Misere keineswegs der natürliche Lauf der Dinge ist, sondern hausgemacht. Jawohl: hausgemacht – wenn auch unter dem Druck der gesellschaftlich bedingten Verhältnisse. Ein verheiratetes Paar in den USA bringt täglich nur noch vier Minuten für ein gemeinsames Gespräch auf.2Es dürfte bei uns nicht viel anders sein.

Wenn ich beispielsweise Paare im psychotherapeutischen Gespräch frage, wann sie denn zum letzten Mal zusammenhängend und intensiv miteinander gesprochen hätten – und zwar über das, was sie erlebt haben und was sie wirklich bewegt–, beginnen die meisten zu stutzen, zu überlegen und schließlich erstaunt zu antworten: «Ich kann mich gar nicht mehr erinnern – vielleicht im Urlaub letztes Jahr?»

Dann fragt sich, warum sie überhaupt noch eine Beziehung haben. Manche haben sie, weil sie sich reibungslos vermeiden. Sie machen in der Paarpraxis dementsprechend den Eindruck, als seien sie nur aus Versehen da. Leider nur wenige kommen, um rechtzeitig zu verhüten, was unvermeidlich bevorzustehen scheint: das langsame Abstumpfen der Beziehung, das Versanden im Alltag, das Dahinsinken der Lebendigkeit und nicht zuletzt der Liebe. Alle sagen, dass Blütenstaub eben vergehe. Doch macht das Unisono diese Behauptung nicht wahrer. Dennoch ist wohl nicht zu bestreiten, dass ein Verblassen der Beziehung die traurige Regel ist. Mit diesem Buch will ich aufzeigen, dass eine solche Entwicklung kein Zwang des Schicksals ist. Sie muss und sollte nicht einfach hingenommen werden.

Denn für das Dahinschwinden der Beziehung gibt es klare Ursachen. Wenn wir in einer Zeit leben, die denkbar schlechte Bedingungen für die Beziehung und die Liebe bietet, müssen wir etwas tun. Und das können wir, weil die Verhältnisse sich weitgehend durch uns selbst auswirken. Viel ist schon gewonnen, wenn wir eine Beziehungskrise wenigstens so weit klären können, dass sie nicht das übliche, hasserfüllte Ende nimmt. Noch mehr haben wir erreicht, wenn es uns gelingt, ernste Krisen, alltägliche Gereiztheit oder zu glattes Nebeneinander gar nicht erst entstehen zu lassen. Warum ist das so schwer? «Wir wollten einfach glücklich sein. Wir liebten uns, aber wir konnten nicht miteinander reden.» Dieser Satz über eine gescheiterte, geschiedene Ehe hat sich mir eingeprägt. Er trifft ins Schwarze: Die Sprachlosigkeit der Paare, ihre Kommunikationskluft, gilt unter Psychotherapeuten als die größte Bedrohung, ja als Ursache des weltweiten Beziehungssterbens. Von denen, die heiraten, wird sich heute in Mitteleuropa bereits jede dritte Frau, jeder dritte Mann scheiden lassen. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Das Getrenntsein bei bestehender Ehe – wie André es im Extrem beschreibt – ist viel umfassender, wahrscheinlich schon der Normalfall.

Die meisten Paare, die zu mir kommen, haben – ähnlich wie André – immerhin entdeckt, dass ihre Beziehung brachliegt. Sie wissen nicht mehr, wo sie eigentlich stehen. Sollen sie zusammenbleiben oder nicht? Lohnt sich ihre Beziehung überhaupt noch?

Einer meinte: «Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was Beziehung überhaupt ist.» Er scheint mir eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Obwohl die Antwort auf diese Frage sehr einfach ist, brauchte ich Jahre, bis es mir schließlich wie Schuppen von den Augen fiel: Wenn wir uns aufeinander beziehen, halten wir unsere Beziehung lebendig. Aber genau das tun wir immer seltener, immer oberflächlicher, immer aufgabenbezogener. Dinge, die wir zu erledigen haben, Erziehungsfragen, Urlaubspläne, Berufsprobleme, Geldausgaben – darüber zu sprechen, gilt heute schon als höchstpersönlich und ist doch nur eine Form der Alltagsverwaltung, in der wir uns auf anderes, nicht auf uns beziehen. Sofern Paare heute noch miteinander reden, geht es um dieses organisierende, regelnde, sachbezogene, sozusagen technische «Gespräch über etwas» und nicht um das unmittelbare, erlebnisnahe «Sprechen aus sich heraus». Doch nur das Sich-einander-Mitteilen hält eine Beziehung am Leben und befähigt sie zur Entwicklung.

Es kommt also darauf an, dass wir lernen, miteinander wesentlich zu reden. Genau darum geht es in diesem Buch. Es handelt von der Wiederentdeckung des Selbstverständlichen: dem persönlichen, konzentrierten, regelmäßigen Paargespräch.

Die Ehe ist vor allem ein langes Gespräch, sagt Nietzsche. Und er fragt den Leser, den er sich – wie vor hundert Jahren üblich – als Mann vorstellt: «Glaubst du, dich mit dieser Frau bis ins Alter hinein gut zu unterhalten? Alles andere in der Ehe ist transitorisch, aber die meiste Zeit gehört dem Gespräche an.»3

Auch wer kein Paartherapeut ist, weiß, wie sehr das zutrifft. Sich lieben heißt vor allem: sich verstehen. Das ist: verstanden werden und sich verständlich machen. Und das bedeutet: gut miteinander reden können. Die Kunst des Liebens gründet auf dem wechselseitigen Gespräch, dem «Kreislauf des Paares». Glückliche Paare unterscheiden sich darin von unglücklichen.

Diese Zwiegespräche stelle ich an Beispielen aus dem Leben von Paaren vor. Weil sie sich von anderen wesentlichen Gesprächen erheblich unterscheiden – beispielsweise durch ihre Kontinuität, durch die wachsende Bindung an diesen gemeinsamen seelischen Ort und durch das erklärte Ziel, sich einfühlbar zu machen–, bewirken solche Zwiegespräche ein freundlicheres Klima in der Beziehung. Ja, sie können als seelisches Aphrodisiakum gelten. Denn fast alle erotischen Störungen und Flauten entstehen, weil wir – oft ohne es gewahr zu werden – Probleme mit unserer Beziehung haben; weil wir zu wenig über unsere wirklichen Wünsche und Ängste sprechen; und weil sich Missverständnisse zwischen uns legen.

Erst nach und nach erkannte ich den Zusammenhang einiger grundlegender Einsichten in die Psychodynamik der Zweierbeziehung. Sie ergaben sich gleichermaßen aus meinen Forschungen zur Psychoanalyse des Paarlebens – vor allem im Rahmen eines Projektes zur Entwicklung der Paargruppentherapie – wie aus meinem Engagement für die Selbsthilfegruppenbewegung. Beide Schwerpunktaktivitäten haben sich hier wechselseitig befruchtet. Zwiegespräche kann man als die Tätigkeitsform einer Zweipersonen-Selbsthilfegruppe ansehen. Mit ihnen erreicht die Bewegung der Selbsthilfegruppen den privaten Bereich. Darin liegt meines Erachtens die hohe sozialpolitische Bedeutung dieser Zwiegespräche. Viel zu wenig wird beachtet, wie abhängig unsere Gesundheit und Krankheit vom Paarleben sind. Werden Zwiegespräche auch von Psychotherapeuten, Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und ähnlichen Berufsgruppen vermittelt – wie ich es seit Jahren mit gutem Erfolg bei meinen Klienten tue–, dann eröffnet sich hier eine ganz neue Perspektive für die Zukunft des Helfens.

Die bis zum Überdruss bekannten Streitstrategien und Partnerschaftsdebatten, diese endlose Beziehungsdiskutiererei – das sind keine Zwiegespräche, das sind Zwiespaltgespräche. In solchen «Beziehungskisten» will ich dem anderen weismachen, wie er wirklich ist. Mein seelischer Schwerpunkt liegt beim Gegenüber. Dagegen versuche ich im Zwiegespräch, dem anderen zu zeigen, wie ich mich selbst gerade erlebe. So bleibe ich mit meinem Schwerpunkt bei mir und damit – für viele überraschend – im Zentrum der Beziehung.

Genau so redet André. Weil er wirklich von sich spricht, macht er sich einem anderen verständlich – einem eher entfernten Freund in diesem Falle. Indem er bei sich bleibt, indem er anschaulich sagt, was er meint, indem er den anderen teilnehmen lässt an seinen Selbstbeobachtungen und Überlegungen, kann ihn der andere miterleben. Darin sehe ich das Ideal einer lebendigen Partnerschaft. André entwirft für sich und für seinen Freund ein Selbstporträt – kein statisches, sondern ein werdendes, nicht als Fertigprodukt, sondern als offene Entwicklung. Damit beginnt er sein Leben zu ändern, ja, er beginnt zu leben, er, der von sich sagt: «Mein Gott, ich dachte, ich hätte mein Leben gelebt, aber ich hab überhaupt nicht gelebt.»

Wäre der angesprochene und zuhörende Partner seine Ehefrau, seine Gefährtin oder eine andere wesentliche Person– Kind, Vater, Mutter oder Freund – und redete sie ebenso wie er offen, ausführlich und gefühlsnah über das, was sie bewegt, dann sähen wir ein Zwiegespräch vor uns, einen Austausch von Selbstporträts, eine Beziehung zweier Menschen, die sich mehr und mehr verstehen, statt sich zu entfremden; die sich miteinander entwickeln, statt ihr Dasein nebeneinander fortzufristen; die ihre Bindung vertiefen, statt abzustumpfen – und sei es auch, um zu erkennen, dass sie besser nicht zusammenlebten. Diese Gegenwärtigkeit in der Beziehung ist für mich das von André so genannte «sakrale Element».

Allerdings: Der seelische Umbruch, der Aufbruch dieses Mannes, dem es gelingt, zu sich zu stehen, statt wie üblich beschuldigend auf seine Partnerin auszuweichen, ist ebenso klar, wie seine Worte in einem entscheidenden Moment fehl am Platze sind. Sie wenden sich nicht an den Menschen, den es angeht. Sie bleiben – so wahr und echt sie auch sind – beziehungslos und können daher die wesentliche menschliche Bindung nicht entwickeln helfen. André, Sinnbild für viele von uns, bleibt also nach wie vor Gefangener jener selbstbewirkten Isolation, die er mit den Worten beschrieb: «Ich hab mit jemandem im gleichen Zimmer gelebt, hab ihn aber nicht bemerkt. Ich hab ihn auch niemals gehört, war nie wirklich mit ihm zusammen.» Wer einige Zeit Zwiegespräche geführt hat, wird glücklicherweise diesen Leidenszustand hinter sich haben. Denn er hat nicht nur wieder Sprechen gelernt, sondern ebenso Zuhören.

Wer leicht «über etwas» reden kann, vermag häufig nur schwer von sich zu sprechen. Die eigentümliche Hemmung, wenn das Gespräch persönlich wird, hat wohl jeder erfahren – am deutlichsten, wenn die Sprache angesichts eines geliebten Menschen versagt, dem wir uns noch nicht eröffnet haben. Ähnliche Ängste mobilisieren auch Zwiegespräche. Sie werden deshalb mit zahllosen Argumenten abgewehrt. Ein häufiger Anfangswiderstand versteift sich beispielsweise auf die Behauptung, Zwiegespräche seien zu künstlich, zu gewollt. Von einem geplanten Filmbesuch, Theaterabend oder Freundestreffen würde man das nie sagen. Solche Ängste schwänden zwar durch die Zwiegespräche, doch verhindern sie diese eben auch. Mit unbewusster Konsequenz vereiteln sie ihre eigene Auflösung. Indem ich mit diesem Buch auch das Bewusstsein für solche geheimen Vorbehalte zu schärfen versuche, will ich zu den Paar-Zwiegesprächen ermutigen und befähigen.

Dass diese Kunst zu erlernen ist, habe ich in vielen Jahren beruflich und auch persönlich erfahren. Ohne das regelmäßige, konzentrierte Zwiegespräch der Liebenden bleibt die Beziehung brachliegen, sie stumpft ab und verstummt. Wir verlernen es, uns aufeinander zu beziehen, wenn es uns an wesentlichem, wechselseitigem Austausch mangelt. So stirbt die Beziehung ab, sie wird im wahrsten Sinne totgeschwiegen – oft, ohne dass wir es merken. Aus dem Gespräch kommt Heilung. Sigmund Freud nannte die psychoanalytische Methode «talking cure», «Redekur».4

In einer Zeit der Überflutung durch pausenlos tönende Massenmedien steigt die Skepsis gegenüber Worten. Wie wir mit ihnen die Wahrheit sagen können, so können wir auch mit ihnen lügen. Der Boom bei Angeboten, die Beziehung körpernah und ohne Worte neu zu erfahren, ist eine deutliche Antwort darauf. Sicher ist Sprache nicht alles, aber ebenso sicher ist ohne Sprache alles nichts. Dass wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen.

Das Zwiegespräch ist ein einfaches, uns Menschen natürliches Verfahren: Es ist fast ein angeborenes Verhalten. Wer es erlebt hat, will es nicht mehr missen. Ich selbst habe in der Therapie mit Paaren, in der Lehrtätigkeit mit Studierenden, in Seminaren mit Interessierten und in meinem persönlichen Leben als Mann, Freund, Vater die wohltuende Wirksamkeit, die Mobilisierung der Entwicklung zu zweit, ja das «Glückspotential» regelmäßiger Zwiegespräche erfahren. Ich verstehe nun besser, was Nietzsche mit dem Satz meinte: «Einer hat immer unrecht: aber zu zweien beginnt die Wahrheit» – wenn sie auch dort nicht endet.5

Einblick

Sprachlose Paare

«Sie leben gerade so viel zusammen,

dass sie sich nicht kennenlernen können.»

Silvia Giacomoni, Lob der Ehe

«Wohl brach ich die Ehe

aber zuerst brach die Ehe – mich.»

Friedrich Nietzsche,

Also sprach Zarathustra1

1 Von Küssen, die nicht sprechen können

Es war einmal eine Zeit, in der sich jungen Engländerinnen und Amerikanern reichlich Gelegenheit bot, Rendezvous zu erleben. Doch schien der Teufel seine Hand im Spiel zu haben: Erst lief alles nach Wunsch, man kam sich näher und näher, fast ganz nah… Doch dann war es aus: Die Liebenden waren schockiert, empört und plötzlich abgekühlt. Ernüchtert gingen die britisch-amerikanischen Liebespaare auseinander.

Was war geschehen?

Der Amerikaner hielt bald nach dem Kennenlernen die Zeit für gekommen, einen zärtlichen Kuss zu wechseln, einen leichten, nicht allzu verbindlichen, aber natürlich auch keinen flüchtigen. Erschrocken bemerkte er, wie erschrocken seine englische Partnerin war. Sie zeigte sich im Laufe des Abends zunehmend bedeckt. Die Atmosphäre war gestört. Er schien mit einem harmlosen Kuss seine Erwählte verletzt zu haben. Was hatte er nur falsch gemacht?

Es gab aber auch Engländerinnen, die den ersten Kuss deutlich erwiderten. Am Ende wollten sie aber gleich mit aufs Zimmer. Das nun fanden die jungen Amerikaner zu plötzlich, fast obszön. Sie begannen, an ihrem guten Geschmack zu zweifeln, und beschlossen, mit solchen «Ladys» lieber Schluss zu machen.

Die Lösung des Rätsels ist einfach: Ein Kuss bedeutete damals in den vierziger Jahren einer Engländerin sehr viel. Er ging in ihrem Erleben so weit, dass er ein gemeinsames Bett verhieß. Die Amerikaner sahen den Kuss aber nicht so. Er war für sie eine freundliche Geste, eine leichte Berührung unter Menschen, die sich näher gekommen sind. Mehr nicht. Zwischen Kussgeben und Miteinanderschlafen lagen Welten für die jungen Männer aus Übersee.

So musste der erotische Anfang schiefgehen. Das unterschiedliche Erleben des Küssens entzweite das ahnungslose Paar: Die Engländerin fand empörend, wie schnell der Amerikaner mit diesem Kuss zur Sache ging, während der Amerikaner sie für eine spröde Zicke halten musste, die schon bei einem so harmlosen Beginn die Flucht ergriff.

Ging es aber, wie er es gewohnt war, dann war es nicht so, wie er dachte: Erwiderte die Engländerin nämlich seine Zärtlichkeit, dann verstand sie seinen und ihren Kuss schon als Sesam-öffne-dich und nicht, wie er, als ersten, zarten Annäherungsversuch. Sollten dann Taten folgen, zog sich, in den Augen der Engländerin, der amerikanische Eroberer plötzlich und kränkend zurück. In seinen Augen war sie hingegen gleich ein Flittchen. Kurz: Es wurde nichts aus ihnen. Weil ihr Erleben nicht aufeinander abgestimmt war, enttäuschten sie sich bitter.

Diese Geschichte ist für mich ein Gleichnis für das Dilemma heutiger Paare. Sie berichtet vom Misslingen der Beziehung durch Sprachlosigkeit.

Denn: Keine Enttäuschung, keine Abwertung, keine Verletzung, keine plötzliche Trennung hätte sich entwickelt, wenn beide miteinander über sich und ihr Erleben gesprochen hätten. Das Nächstliegende lag ihnen fern: statt am anderen herumzurätseln, sich mit ihm auszutauschen. Dann hätten sie die Küsse zum Sprechen gebracht und eine schöne Zeit gehabt.

Woher wissen wir heute, was die alliierte Liebe damals, vor fast fünfzig Jahren, so schwierig gemacht hat? Wir wissen das aus einer Untersuchung unter Mitwirkung von Margaret Mead, die bei der Stationierung amerikanischer Truppen in England im Zweiten Weltkrieg die einzigartige Chance erkannte, die Dynamik der Begegnung fremder Kulturen besser zu verstehen.2Die Kommunikationstheoretiker teilten die erotische Begegnung in eine amerikanische und eine englische Schrittfolge von jeweils dreißig Stufen ein: vom ersten Blick bis zum vollzogenen Beischlaf. Lag ein Kuss bei den Amerikanern in ihrer Skala ganz am Anfang (etwa Stufe 5), so war er bei den Engländerinnen eher am Ende (etwa Stufe 25) zu finden. So einfach ließen sich Schmerz und Durcheinander in die Reihe bringen. Peinlich für die Wissenschaft – und ausgerechnet für die Kommunikationstheorie – ist die Kommunikationslosigkeit, die in dieser Untersuchung enthalten ist. Fasziniert von den sauberen Skalen und Relationen entdeckte keiner den wirklichen Herd des Misslingens. Denn dass wir anders sind als unsere Partner, ist keine menschliche Tragik. Des Pudels Kern ist, dass wir uns wechselseitig nicht einfühlbar machen. Wir reden einfach zu wenig über das, was uns wesentlich angeht.

Wer aber das Elend nicht sieht, kommt nicht aus ihm heraus. Der hauptsächliche Erkenntnisgewinn für ein gutes Paarleben ist klar: Reden tut not. Nicht in Form des fruchtlosen Kreisdiskutierens innerhalb einer Beziehungskiste, sondern so, dass wir einander miterleben können. Dafür sind die Zwiegespräche entworfen.

2 «Wer die Einsamkeit fürchtet, sollte nicht heiraten»

Diesen Satz Anton Tschechows hätte ich nicht verstanden, als ich in die Ehe ging. Wer aber wagt, diese ungemütliche Einsicht späterhin zu bestreiten?

Sie gilt dreifach:

Trotz der Beziehung bleiben wir allein. So verstehe ich ihre erste Bedeutung.

Die Einsamkeit wird innerhalb der Beziehung stärker empfunden als im Alleinsein. Das empfinde ich als zweite Erkenntnis.

Drittens heißt es für mich auch: Missbrauche die Heirat nicht, um deine Trennungsängste zu beschwichtigen.

Trifft der Ausspruch Tschechows denn wirklich auf uns zu? Wir können uns selbst befragen. Aber der Blick in die eigene Beziehung ist unzuverlässig. Er gleicht Angaben von Augenzeugen, die in das Geschehen verwickelt waren. Schauen wir anderen zu. Da überblicken wir unsere eigene Lage klarer.

«Nach Einschätzung der Mehrheit verlaufen die meisten Ehen gleichgültig oder unglücklich», ergibt die letzte repräsentative Umfrage in der Bundesrepublik.3Frauen sind noch skeptischer als Männer. Sie sind benachteiligter in der Gesellschaft, belasteter und ehrlicher. Ginge es Männern ebenso, wären die Antworten gleichlautend. In den letzten Jahrzehnten verstärken sich Tendenzen: Weniger Ehen werden geschlossen. Mehr werden geschieden. Jede dritte Heirat löst sich auf. Viele Paare heiraten erst gar nicht.

Das ist die Spitze eines Eisbergs. Sie zeigt: Es ist schwerer geworden, eine Beziehung einzugehen, zu führen und zu halten.

Ein Ausweg aus dem Dilemma ist das reibungslose Nebeneinander in der Zweierbeziehung. Wie eine sich langsam ausdehnende Wüste verdrängt es das Miteinander. Ein Widerspruch wächst heran und wird Alltag: die Beziehungslosigkeit in der Beziehung. Sie bedeutet doppelte Einsamkeit.

3 Wir müssen zu unserer Beziehung Beziehung gewinnen

Wir leben in Beziehungen. Aber die Beziehung leben wir nicht. Auch wenn sie uns das Leben bedeutet. Das jedoch ist kein Schicksal. Wir machen ja unsere Beziehung selbst. In tausend kleinsten Handlungen Tag für Tag. Wir schieben uns wechselseitig die Schuld zu. Das ist die Illusion, die uns entlasten soll. Wir irren uns.

Was ist zu tun? Wir müssen zu unserer Beziehung Beziehung gewinnen. Wie? Indem wir uns bewusst vornehmen, was im verplanten Alltag verloren geht: wesentlicher miteinander über uns zu sprechen.

«Wir haben im letzten Vierteljahr durch unsere Zwiegespräche mehr über uns erfahren als in zehn Ehejahren vorher», sagte eines der Paare, denen ich diese «wesentlichen Gespräche» empfohlen und erläutert hatte. Den meisten geht es ähnlich. Ich kann das Gleiche von mir sagen. In den Beziehungen, die mir viel bedeuten, erlebe ich Zwiegespräche als die beste Chance, sich wechselseitig einfühlbar zu machen.

Es klingt paradox: Weil keiner den anderen durchröntgen will, wird die Beziehung durchsichtig. Dann gelingt Bindung oder Trennung leichter. Auch schwere Probleme werden lösbar. Der andere ist wirklich anders – entdecken wir nach einiger Zeit – und bleibt uns trotzdem nah. Die Gelegenheiten, die Beziehung zu genießen, mehren sich. Zwiegespräche sind ein seelisches Aphrodisiakum. Und es ist kein Geheimnis, warum: Das erotische Erleben zeigt uns mit entwaffnender Deutlichkeit, wie es um uns wirklich steht. Zwiegespräche entstören und beleben die Beziehung. Manchmal so intensiv, dass wir sie körperlich fortsetzen wollen: indem wir Liebe machen.

So kam es, dass Susanne sich eines Tages versprach. Sie hatte es schwer mit den «Zwies». Deshalb war sie besonders verblüfft über ihre Fehlleistung: «Wann machen wir denn unsere Sweets?», fragte sie Alexander.

«Da war mir nun endgültig klar, dass uns die Gespräche guttaten», meinte sie später. Es machte ihr besondere Mühe, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. In ihrer Kindheit und auch heute noch brachten die Eltern keinerlei Interesse auf, wenn sie einmal von sich erzählen wollte. Solche seelische Mitgift ist vielleicht die größte Hürde für Zwiegespräche. Sie ist inzwischen leider unsere häufigste Ausstattung. Die Beziehungsschwäche zwischen Eltern und Kindern kennzeichnet die Bundesrepublik gegenüber anderen europäischen Ländern und Nordamerika.4Aber auch diese Barriere wird in Zwiegesprächen nach und nach abgebaut.

«Die gute Wirkung habe ich erst bemerkt, als wir die Gespräche hin und wieder haben ausfallen lassen. Alexander wurde für mich blasser, schemenhafter. Die Stimmung war schneller gereizt. Nicht schlimm, aber deutlich zu spüren. Ganz ohne Zwies wäre mir das wohl überhaupt nicht aufgefallen.»

Seit einem guten Jahr hatten sie den Rhythmus der Gespräche gefunden. «Ich glaube», sagt Alexander, «wir genießen die Gespräche inzwischen. Auch wenn es mal hart hergeht. Weil so viel ausgesprochen ist, durchströmt mich zum Schluss fast immer ein versöhnliches Gefühl.»

4«Alle streben danach zu ergreifen, was sie nicht wissen, keiner strebt danach zu ergreifen, was er schon weiß»

Tschuangtse

Wesentliche Gespräche kennt jedes Paar. Nur zu wenig. Vor allem zu unregelmäßig, etwa bei besonderen Gelegenheiten: nach Krach, an Hochzeitstagen und falls es im Urlaub einmal wirklich Ruhe geben sollte. Da kann sich nicht viel entwickeln. Wir wissen das alle aus eigener Erfahrung. Erstaunlich, fast unheimlich ist nur, dass wir das eigene Wissen nicht ergreifen.

Warum liegt die Eigenerfahrung so brach? Warum fällt es uns so schwer, zu ihr zu stehen? Ist es wirklich nur die Abwehr unbehaglicher seelischer Erfahrungen, die Angst vor uns selbst und dem Dunkeln in der Beziehung, was uns den Zugang zu dem, was wir bereits wissen, versperrt? Daran denke ich zwar als Psychoanalytiker zuerst, doch glaube ich es nicht. Es steckt mehr dahinter. Denn die Einsicht, dass Reden heilt, klären hilft und Beziehung stiftet, ist längst gewonnen. Sie wird nur nicht angewandt. Wir sehen alles ein, tun aber nichts. Es ist für mich die Abwehr des Tuns. Sie ist die Schwester einer weiteren wenig beachteten Abwehrform: der Wendung in die Passivität. Träumen wir zum Beispiel von anderen Menschen, die etwas tun, was wir nicht tun würden, empören wir uns gern. Wir verkennen, dass wir jede kleinste Einzelheit im Traum selbst entworfen haben. Wer sonst? Wir sind diese anderen selbst.

So verfahren wir auch in der Beziehung. «Der andere ist schuld», fühlen, denken und sagen wir. Aber der gerechte Beobachter in uns weiß, dass jede Beziehung eine unteilbare Schöpfung zu zweit ist.

Wir haben viel gewonnen, wenn wir unsere verborgene Aktivität wieder entdecken. Denn erst wenn wir erkennen, dass wir unsere Beziehungen selber machen, können wir begründet hoffen, dass unser Handeln sie auch ändert. So versuche ich hier nur aufzuzeigen, was Sie alles schon wissen. Vielleicht gewinnen Sie auf diesem Wege größeres Zutrauen zu Ihrer eigenen Erfahrung. Und ergreifen sie auch. «Es gibt nichts Gutes, außer man tut es». (Erich Kästner). Diese Wahrheit ist so einfach wie haarig. Auch sie beginnt zu zweit.

5«Wenn jemand hungert, gib ihm keine Fische, lehre ihn zu fischen»

Chinesisches Sprichwort

Um im Bild zu bleiben: Zwiegespräche sind keine geschenkten Fische. Vielmehr lernt mit ihnen ein Paar, wie man sich aus dem Strom ernährt.

Es genügen anderthalb Stunden einmal in der Woche. Es sollte nicht weniger sein, sonst reißt der sich entspinnende unbewusste Faden. Nur in Ausnahmefällen ist mehr zu empfehlen. Nehmen Sie sich eine ungestörte Zeit, wann immer Sie wollen. Aber vereinbaren Sie das Zwiegespräch wirklich zu zweit. Da nämlich fangen die Schwierigkeiten meist schon an. «Ich habe doch ganz klar gesagt…», beginnen unsere Vorwurfsätze. Aber wir haben selten darauf geachtet, ob der andere es gerade aufnehmen konnte. So sprechen wir als Einzeltäter. Das Zwiegespräch aber lebt von Anbeginn aus dem Zweierhandeln. Anders wird es nichts.

Zwiegespräche dienen dem Austausch von Selbstporträts. Das ist der entscheidende Unterschied zur fruchtlosen Diskussion, zur «Beziehungskiste». In ihnen will einer dem anderen weismachen, wie er wirklich ist. Der seelische Schwerpunkt liegt dann ganz beim anderen. Im Zwiegespräch dagegen zeige ich dem anderen, wie ich mich selbst gerade erlebe. Da bleibe ich mit meinem Schwerpunkt bei mir – und damit auch in der Beziehung.

Entscheidend ist das eigene Erleben während des Miteinandersprechens. Das entwickelt sich von selbst: durch unbewusste, gleichsam natürliche Selbstregulation. Sich die Vorgänge bewusst zu machen, ist manchen eine zusätzliche Lust oder Sicherheit. Aber keine Voraussetzung.

6«Es ist klar, dass überflüssige Güter das Leben selbst überflüssig machen»

Pier Paolo Pasolini5

Wissen ist heute das zentrale Produkt der Informationsgesellschaft. Wir müssen es herstellen und konsumieren. Wie alles expandiert auch das Wissen. Die Beschleunigung der Wissensproduktion lässt jede Information schnell veralten. Wir werden informationsabhängig, informationssüchtig, informationskrank. Es ist nur selten klar, ob Wissen uns orientiert oder verwirrt. Rudolf Augstein: «Das gedruckte Wort verliert langsam an Kraft, es wächst die Zahl derer, die durch zu viele Informationen nicht mehr informiert sind.»6Eine Krankheitslehre der Information steht zu erwarten.

Der Glaube an das Expertenwissen ist das Haupthindernis jeder Eigeninitiative. Das sind meine Erfahrungen im Bereich der Selbsthilfegruppen. Diese selbstgesteuerten Gruppen haben sich dennoch stürmisch entwickelt. Nicht zuletzt mit Hilfe einer paradoxen Berufsgattung: den Helfern zur Selbsthilfe. Deren Wissen besteht hauptsächlich darin zu vermitteln, wie und wann es ohne Expertenwissen gut oder gar besser geht. Das ist theoretisch verzwickt, denn gelehrt wird, dass besser nicht gelehrt wird. Aber es bewährt sich praktisch. Seit anderthalb Jahrzehnten habe ich erfahren, wie Selbsthilfegruppen mit gutem Erfolg angeregt und ermutigt werden können.

Ich trete also entschieden für maßvolles Wissen ein: so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Wir vergessen gern: Gemessen an der weltweiten Wissensexplosion werden auch die Wissbegierigsten und Lerneifrigsten unter uns täglich dümmer. Und wir denken selten daran, dass es auch eine Überdosis Wissen gibt, die giftig sein kann. Es kommt heute besonders darauf an zu wissen, was für ein lebendiges Leben zu wissen nötig ist. «Es ist klar, dass überflüssige Güter das Leben selbst überflüssig machen.» Dieser Satz von Pasolini ist für mich jenes Lebenswissen, um das es geht. Er gilt auch für die Wissensgüter.

So gehören beispielsweise zum erfreulichen Bereich des Basiswissens Kenntnisse über das Misslingen von Zwiegesprächen. Denn mit diesen Einblicken gelingen sie.

7Geteilte Freude ist doppelte Freude – geteiltes Leid ist halbes Leid: ein Grundgesetz der Beziehung

Unsere Zuneigung zueinander wächst, je mehr wir voneinander erfahren. Das ist ein klassisches Ergebnis der Sozialpsychologie und der menschlichen Verhaltensforschung. Diese Erkenntnis bleibt für das Verhältnis der Menschen zueinander sträflich ungenutzt.

Viele befürchten das Gegenteil. Ihre Schwächen wollen sie mit Distanz abschirmen. Doch kann sich die Bindung sehr vertiefen, wenn es gelingt, die eigenen Unsicherheiten und Ängste dem anderen einzugestehen. Wörtlich bedeutet Sympathie «Mitempfinden». Einander-Mitteilen stärkt dieses Mitempfinden am wirkungsvollsten. So wächst Sympathie. Wir müssen uns nur Gelegenheiten bieten, um die Fähigkeit zu entwickeln, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen. Zwiegespräche sind dafür wie geschaffen. Jeder von uns hat das schon erfahren. Aber seltsam: Wir stehen nicht zu uns und unserer Erfahrung.

«Geteilte Freude ist doppelte Freude – geteiltes Leid ist halbes Leid.» Diese einfache Gleichung ist ein grundlegendes Beziehungsgesetz. Es macht leuchtend klar, warum Lebensbindungen uns trotz aller Widrigkeiten so mächtig anziehen.

Frauen sind gesprächsbegabter als Männer. Sie sind gefühlsnäher, angstoffener und situationsgebundener. Das sind in den entwickelteren Kulturen die drei bedeutendsten seelischen Geschlechtsunterschiede. Ausnahmen gibt es auch bei uns. In der Regel aber teilen sich Frauen offener mit als Männer. Ihnen müsste mehr Sympathie im Leben entgegenkommen. Anders gesagt: Sie müssten mehr geliebt werden als Männer. Das ist nach den neuesten Befunden kaum noch zu vertuschen. Denn Männer wollen die Beziehung eher bewahren als Frauen.7Sie lieben ihre Frauen mehr als diese sie. Frauen scheinen im Paarleben also die geliebteren Wesen zu sein. Dennoch finden sie offensichtlich den Zugang zu ihren wortkargen Männern nicht mehr so gut. Männer scheinen auf eine besondere Art zu klammern: Sie wollen die Frau im Haus behalten. Die Brüsseler EG-Kommission hat den bundesdeutschen Männern beim Thema Gleichberechtigung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, nur 26% wünschen eine gleiche Verteilung der Rollen in der Ehe (beide berufstätig, beide teilen sich die Hausarbeit), in Frankreich sind es 45%. Die «bundesdeutschen Paschas»8stehen noch nach den Spaniern und Griechen am unteren Ende. Bezahlte Tätigkeit für Frauen wünschen nur 31% der Männer, in der EG insgesamt aber 47%.

Männer ließen die Frauen im Stich, ist heute eine überholte Ansicht. Sie dürfte sich halten, weil Männer wenig über Beziehung sprechen und Frauen dadurch der Schulddruck genommen wird, den eine vollzogene oder beabsichtigte Trennung entstehen lässt. Wer sich trennen möchte, muss ein starkes Beziehungsgefühl haben: Denn nur deswegen leidet er am Beziehungsmangel.

Vielleicht sagt deshalb der portugiesische Dichter José Saramago: «Außer vom Gespräch der Frauen wird die Welt von den Träumen in ihrer Umlaufbahn gehalten.»9

Die Wahrheit aber beginnt zu zweit. Die Träume der Männer und ihre Gespräche sind nur verschollen. Sie müssen wieder aufgefunden werden.

8Ein Paar, das nicht miteinander spricht, verlernt sich kennen

Ein Erstgespräch in meiner Praxis. Kurt B., ein Mann in den mittleren Jahren, saß vor mir. «Mein Freund ist plötzlich von seiner Frau verlassen worden, stellen Sie sich das einmal vor. Er ahnte wirklich nichts. Aus heiterem Himmel.»

Kurt B. sprach bezeichnenderweise nicht von sich. Auch bemerkte er nicht, dass er von sich sprach, während er nicht von sich sprach. Er spricht in der üblichen Art, in der wir alle von uns sprechen. Achten Sie einmal darauf. Die alltäglichen Belanglosigkeiten, auf die wir in einem Gespräch wie zufällig kommen, das Wetter, der Klatsch, die neueste Nachricht: Es sind nicht nur beliebige Fakten, sondern zugleich Symbole, Gleichnisse der Beziehung, die uns im Augenblick bewegt. Die Fähigkeit, das Ausgesprochene auf seine tiefere Bedeutung hin zu übersetzen, ist recht schnell zu erlernen. Aber wir scheuen uns davor. Wir nehmen in der Regel Abstand von uns. Merkwürdig befangen bleiben wir, wenn wir uns zeigen, wie wir ohnehin sind.

«Hätten Sie meinen Freund einen Tag vorher gefragt, wie es um seine Ehe steht, er hätte sie als wirklich gut bezeichnet.» Das ist eine Standardmelodie in der Paarpraxis. «Mir kann so etwas nicht passieren», fuhr Kurt B. entschlossen fort. «Meine Ehe ist in Ordnung.»

«Da könnten Sie nun genau in der Lage Ihres Freundes sein», warf ich ein. «Wollen Sie mir das vielleicht sagen?»

Kurt B. ist in keiner ungewöhnlichen Situation. Sie ist in der Paarpraxis alltäglich. Und dies in doppeltem Sinne: Sie gilt nämlich für Patienten ebenso wie für Psychotherapeuten. Beide Gruppen haben vermehrt mit Beziehungsstörungen zu ringen.10Ich gehe davon aus, dass ich mich auch deswegen so für die Klärung von Beziehungen einsetze.

Die plötzliche Trennung, wie Kurt B. sie schließlich vor sich sah, ist ein Symptom der Sprachlosigkeit. Zu ihr gehören zwei. Lange hat sich – wie beim Herzinfarkt – dieser Tag des Schmerzes vorbereitet, Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Bei vielen allerdings schwelt die Krise, ohne je zu einer Trennung zu führen. Es entwickelt sich eine «Beziehungslosigkeit in der Beziehung», ein reibungsloses Nebeneinander statt eines lebendigen Miteinanders. Entwickelt es sich aber wirklich aus der untergründigen Krise oder gar erst nach dem Eklat, wie die meisten annehmen? Nein. Alles spricht dafür, dass die Methode, eine krisenhafte Beziehung unbearbeitet abzubrechen statt sie aufzulösen, dasselbe Verhalten ist, das zur Krise führte.

Es ist eine Meisterleistung der täglichen, energieverzehrenden Verleugnung, sich wechselseitig die Signale der Distanzierung, der Trennung und der Kritik nicht bewusst zu machen. Wenn die Wahrnehmungsschranke aber geschlossen bleiben soll, muss sie von beiden geschlossen gehalten werden. Auch das geschieht im Wesentlichen unbewusst. Bewusstes Verschweigen ist nur eine letzte Absicherung. Besonders absurd wird dieses Paarverhalten, bedenkt man die seelischen Vorgänge der unbewussten Beziehung. Das tägliche Zusammensein – und sei es auch noch so kärglich in seiner Substanz – übermittelt ununterbrochen von Unbewusstem zu Unbewusstem alles, was vorgeht. So wie die Kinder alles vom Familiengeschehen mitbekommen, ohne zu wissen, was, so erfährt Unbewusstes vom Unbewussten alles «irrtumslos»11. Wir «wissen» also schon längst die Geheimnisse, die wir uns gestehen wollen oder nicht. Allerdings können wir sie mit unserem unbewussten Wissen nicht zuordnen. Das Gefühl verwirrt uns. Wir bleiben unterschwellig misstrauisch und finden doch immer wieder alles in Ordnung.

So dürfte der Paaralltag bei vielen aussehen. Es kommt nicht zur offenen Krise. Das ist kein Trost. Das chinesische Schriftzeichen für Krise setzt sich zusammen aus dem Bild für Gefahr und dem Bild für Rettung. Ein Paar, das eine Krise riskiert, hat plötzlich seine wesentliche Beziehung wieder. Jetzt kann es sich mitteilen – und verstehen.

Vorteilhafter, als eine Krise zu bearbeiten, ist es natürlich, sie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das bedeutet: auch ohne Leidensdruck für sich tätig zu werden und sich den Entwicklungsgewinn bewusst zu machen. Dafür ist dieses Buch geschrieben.

9Paaren mangelt es an Austausch: «communication gap» – Kommunikationskluft

Der bedeutendste und unstrittigste Befund zur Paarbeziehung in den modernen Industriegesellschaften ist ihr Mangel an wesentlichem wechselseitigem Austausch. Die Paartherapeuten nennen das «communication gap», Kommunikationskluft.

Dieser Befund ist politisch, vor allem ökonomisch verursacht. Paaren fehlt heute Zeit für sich selbst. Zeit ist Geld – auch die sogenannte private Zeit. Die Durchfunktionalisierung des Menschen vom Kindergarten an fordert ihren Tribut. Die Sprachlosigkeit der Paare ist im Klartext Beziehungslosigkeit. Sie nimmt zu. Ich erinnere noch einmal an die kärglichen vier Gesprächsminuten, die ein durchschnittliches Paar täglich für sich aufbringt (siehe Seite 16).

Ich kann hier nur die drei Hauptwurzeln andeuten: den alles durchdringenden Wirtschaftszwang, die Massenmedienfreizeit und den fundamentalen Wandel seelischer Entwicklungsbedingungen. Ein gemeinsamer Nenner ist die psychosoziale Beschleunigung – nach meiner Einschätzung zur Zeit das stärkste seelische Gift. Sie ist das Resultat der immer schneller aufeinander folgenden technischen Innovationen.

Im Zentrum steht der Wirtschaftszwang. Menschen müssen funktionieren, das heißt etwas leisten. Dass sie wirklich leben (wie auch lieben) und ihre Identität ausbilden, gilt als sogenannte Privatangelegenheit, ja als «provinzielles» Problem.12

Im privaten Raum aber geschieht nichts Besseres. Freizeit wird heute von der Freizeitindustrie bedient und beherrscht. Die Massenmedien – einzig mögliche Träger der kritischen Bewusstseinsbildung – vermitteln vor allem Unterhaltung. Diese Zerstreuung des Selbst kostet nicht nur Geld. Sie sorgt zugleich für eine doppelte Beziehungslosigkeit. Die erste entsteht dadurch, dass sich mit dem Massenmedium nicht kommunizieren lässt. Die zweite hat Alexander Mitscherlich in den Satz gefasst: Das Fernsehen lenkt zu Hause von zu Hause ab.13Konsumiert einer Fernsehen, Radio oder Zeitung, so geht die Beziehung zum anderen verloren. Das ist ein unbemerktes Training in Beziehungslosigkeit, täglich fünf Stunden nach den letzten Berechnungen für jeden Bundesbürger.14Massenmedien berauben die Konsumenten also ihrer persönlichen Kommunikation. Das ist ihre strukturelle Hauptwirkung, jenseits aller Inhalte.

Die seelischen Entwicklungsbedingungen – vor allem der entscheidenden ersten drei Lebensjahre – verändern sich so rapide, dass die Wissenschaft mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht Schritt halten kann. Ich habe die Situation unter dem Begriff «Männermatriarchat» skizziert.15Kurz gesagt, steht in der vaterlosen Gesellschaft die Mutter wider Willen als einzige Identifikationsfigur für die Kinder zur Verfügung. Die Einfühlung – eine Eigenschaft der Beziehung, nicht der Person – ist zwischen der überlasteten Mutter und dem Kind stark behindert. Der Wechsel von den neurotischen zu den narzisstischen Störungen seit dem letzten Weltkrieg ist durch diese «Uneinfühlsamkeit» bedingt. Er wird beschleunigt durch den rapiden Beziehungsverlust der ersten Kindheitsjahre: Kleinstfamilie, Vaterentzug, Geschwisterlosigkeit. Die überforderte, selbst an Beziehungsarmut leidende und enttäuschte Mutter ist die Mutter der Enttäuschung. Sie wird später im Leben bei jedem intensiveren Paarleben als sogenannte «negative Mutter» wechselseitig übertragen. Diese kaum vermeidbare Aktualisierung macht die Beziehung unwirtlich und beschwerlich – fatalerweise gerade bei tieferen Bindungen. Auch sie lässt die Zweierkommunikation veröden.

Die Qualität der Beziehungen definiert die Lebensqualität entscheidend. Gesundheit und Krankheit sind von der Paarbeziehung abhängig.16Das wird in der Wissenschaft ebenso wenig wahrgenommen