Worte der Liebe - Michael Lukas Moeller - E-Book

Worte der Liebe E-Book

Michael Lukas Moeller

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Beschreibung

Das Buch möchte Lust darauf machen, sich auf den Weg zu begeben: Erotische Zwiegespräche von Paaren, Freunden und Freundinnen aller Altersklassen, Essays zu wesentlichen Momenten dieser Art liebesfördernder Dialoge sowie Beispiele aus der Praxis machen diesen Band zu einem Aphrodisiakum.

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Michael Lukas Moeller

Worte der Liebe

Erotische Zwiegespräche: Ein Elixier für Paare

 

 

 

Über dieses Buch

Von unerhörten Lüsten hören wir täglich. Aber nur eine zählt wirklich: die eigene. Heute herrscht Sprachlosigkeit zwischen den Liebenden. Die Partner verwalten meist nur noch geschäftsmäßig ihren Alltag und haben es verlernt, sich ihr wesentliches Erleben ungestört mitzuteilen. Wie soll sich in so einer versachlichten Beziehung Erotik aufrechterhalten?

Das Buch möchte Lust darauf machen, sich auf den Weg zu begeben: Erotische Zwiegespräche von Paaren, Freunden und Freundinnen aller Altersklassen, Essays zu wesentlichen Momenten dieser Art liebesfördernder Dialoge sowie Beispiele aus der Praxis machen diesen Band zu einem Aphrodisiakum.

Vita

Michael Lukas Moeller, geboren 1937 in Hamburg. Psychoanalytiker. 1973–83 Professor für Seelische Gesundheit in Gießen, hatte er seit 1983 den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main inne. Im Jahre 2000 erster Preisträger des Internationalen Otto-Mainzer-Preises für die Wissenschaft von der Liebe.

 

Michael Lukas Moeller verstarb am 7. Juli 2002.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg,

Copyright © 1996 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Cover-Konzept anyway, Hamburg, Barbara Hanke/Heidi Sorg/Cordula Schmidt

Coverabbildung Kateryna Kovarzh/iStock

ISBN 978-3-644-01388-9

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Inhaltsübersicht

Motto

Zitate

1. «Heirate rasch und bereue in Muße»

2. Lusteinblicke Trigger, Gesten, scharfe Szenen

3. Plötzliche Anwesenheit eigentlich Abwesender

4. «Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander» (Friedrich Hölderlin)

5. Der Kampf und die Lösung des Rätsels der Erotik

6. «Das sprechende Tier der Liebe»

7. Schöner Wirbel früher Jahre

8. Opening up Unüberschätzbare Selbstoffenheit

9. Lustbewirkendes Kindheitsmilieu

10. Der Lust die eigene Gestalt geben

11. «Was ich nicht ausspreche, existiert für den anderen nicht»

12. «Trockenes Gras nähert sich nicht freiwillig dem Feuer»

13. Beredsames Beilager

14. Die Liebe ist das Kind der Freiheit

Anmerkungen

Über den Autor

Kontakt

Palavras de amor

coracão,

égua,

lua,

imensidade,

amor.

 

«Niemals habe ich eine größere Freiheit und Sicherheit in der Sprache gefunden als im Dialog, der unter Einfluß eines körperlichen Verlangens geführt wurde. Begehren und Gedächtnis reizten einander, das eine exaltierte im Schutz des anderen. Es ging dabei um gar nichts, es wurde sich anvertraut, das war alles. Der Entzug des Zwiegesprächs wirkt wie der eines Rauschmittels. Die einst stimulierten Organe erkranken, die Intelligenz, die Lust und die Bewegungsfreude, die Stimme.»

Botho Strauß, Die Widmung

Kaiser oder Näherin

 

«Es kann mich nicht sonderlich bekümmern, daß ich es nicht geschafft habe, Kaiser von Rom zu werden, aber es kann mich schmerzen, nie je mit der Näherin gesprochen zu haben, die immer gegen neun um die rechte Häuserecke biegt. Der Traum, der uns das Unmögliche verheißt, entzieht sich uns schon allein deshalb; doch der Traum, der uns das Mögliche verspricht, drängt sich in das Leben selber ein und findet nur in diesem Leben seine Lösung.»

Fernando Pessoa

 

Sexualität ist, was wir daraus machen

 

«Eine teure oder billige Ware, Mittel zur Fortpflanzung, Abwehr gegen Einsamkeit, eine Form der Kommunikation, ein Werkzeug der Aggression (der Herrschaft, der Macht, der Strafe und der Unterdrückung), ein kurzweiliger Zeitvertreib, Liebe, Kunst, Schönheit, ein idealer Zustand, das Böse oder das Gute, Luxus oder Entspannung, Belohnung, Flucht, ein Grund der Selbstachtung, eine Form der Zärtlichkeit, eine Art der Rebellion, eine Quelle der Freiheit, Pflicht, Vergnügen, Vereinigung mit dem Universum, mystische Ekstase, Todeswunsch oder Todeserleben, ein Weg zum Frieden, eine juristische Streitsache, eine Form, Neugier und Forschungsdrang zu befriedigen, eine Technik, eine biologische Funktion, Ausdruck psychischer Gesundheit oder Krankheit oder einfach eine sinnliche Erfahrung.»

Anodah Offit

 

Erhabene Ungestörtheit unablässigen Begehrens

 

«Dergestalt meditiert in Allen, die zeugungsfähig sind, der Genius der Gattung das kommende Geschlecht. Die Beschaffenheit desselben ist das große Werk, womit KUPIDO unablässig thätig, spekulirend und sinnend, beschäftigt ist. Gegen die Wichtigkeit seiner großen Angelegenheit, als welche die Gattung und alle kommenden Geschlechter betrifft, sind die Angelegenheiten der Individuen, in ihrer ganzen ephemeren Gesammtheit, sehr geringfügig: daher ist er stets bereit, diese rücksichtslos zu opfern. Denn er verhält sich zu ihnen wie ein Unsterblicher zu Sterblichen, und seine Interessen zu den ihren wie unendliche zu endlichen. Im Bewußtseyn also, Angelegenheiten höherer Art, als alle solche, welche nur individuelles Wohl und Wehe betreffen, zu verwalten, betreibt er dieselben, mit erhabener Ungestörtheit, mitten im Getümmel des Krieges, oder im Gewühl des Geschäftslebens, oder zwischen dem Wüthen einer Pest, und geht ihnen nach bis in die Abgeschiedenheit des Klosters.»

Arthur Schopenhauer Metaphysik der Geschlechtsliebe

1.«Heirate rasch und bereue in Muße»

1.«Was führt Sie zu mir?»

Mit dem Satz («Was führt Sie zu mir?») leite ich gewöhnlich das erste Gespräch mit einem Paar ein, das mich aus den unterschiedlichsten Gründen aufsucht: um die erotische Beziehung lebendiger zu entwickeln; um eine Krise besser zu meistern; um eine aushäusige Verliebtheit als Symptom der eigenen gemeinsamen Entwicklung zu verstehen und nicht nur moralisch zu verklempnern; um Klarheit zu gewinnen, ob sich diese Partnerschaft lohnt oder eine Trennung angemessener wäre; mehr und mehr auch, um eine beschlossene Trennung nicht als üblichen, seelisch unzulänglich verarbeiteten Bruch einer meist langjährigen Bindung verrotten zu lassen, sondern um die bisherige Bindung in gemeinsamem Verstehen wirklich aufzulösen und sich ihre Kostbarkeiten in einer künftigen Freundschaft zu bewahren.

Immer geht es um die Liebe und ihre Wandlungen, den Haß beispielsweise, der ihre Enttäuschungsform ist, oder die Stärkung des eigenen Selbst, damit eine große und tiefe Liebe mit ihrer enormen Verschmelzungskraft ausgehalten und ganz erlebt werden kann, statt unerträgliche Angst vor dem Schwinden der eigenen Selbständigkeit und panikartige Flucht, meist in ein anderes Verhältnis, hervorzurufen. Was die Musikkritiker der Romantik von Beethovens Symphonien sagten, gilt auch für die menschlichen Sexualitäten: Sie sind «Tauben und Krokodile zugleich». Das ist zu schnell vergessen.

Das gesprächigste aller Gefühle

«Man muß sich also selbst einen Reim darauf bilden, daß Gespräche in der Liebe fast eine größere Rolle spielen als alles andere. Sie ist das gesprächigste aller Gefühle und besteht zum großen Teil ganz aus Gesprächigkeit.»

Robert Musil

Es fallt mir schwer, von meiner Liebe zu sprechen

«Soweit ich mich auch zurückerinnere, es fällt mir schwer, von meiner Liebe zu sprechen. Die Erregung jenseits der Erotik, die darin anklingt, ist grenzenloses Glück so gut wie reines Leid: beides bringt die Wörter zum Glühen.»

Julia Kristeva

So sitzt nun ein Paar vor mir, geduckt, über meine freundliche Frage grübelnd, schon jahrzehntelang verheiratet, und findet und findet nicht zum Wort. Wo ist ihre Liebe geblieben, die sie doch sicher einst zum Bund fürs Leben führte und die sie nach so langer Zeit letztlich auch zu mir brachte? Die beiden geben auch mir Zeit, die vor meinem inneren Auge auftauchenden und vorüberziehenden Bilder, Empfindungen, Gedanken und Befunde zu betrachten, die so viele Liebesbeziehungen später nicht einmal als Verhängnis, sondern einfach als verwitterten Rest erscheinen lassen. Beispielsweise kam mir eine Längsschnittuntersuchung von über tausend Paaren in den Sinn, die aufzeigte, daß schon nach drei bis sechs Jahren eine seltsame Lage der Beziehung entstanden war. Auf die Frage: «Würden Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin heute noch einmal heiraten?» antwortete bereits die Hälfte der Frauen angesichts des einstigen Geliebten: «Nein, niemals», während «nur» ein Fünftel der Männer die ehemalige Frau ihres Herzens von sich wiesen. Nach zwei Jahrzehnten Praxis in Paarpsychoanalyse bin ich gewiß, daß dieser Zerfall der Liebe kein unvermeidbares Schicksal ist, sondern Minute für Minute als hausgemacht angesehen werden muß. Das geschieht allerdings unbemerkt. Hinsichtlich ihrer eigenen Beziehung wirken die meisten Menschen wie narkotisiert. Diese «Bewußtlosigkeit der Beziehung» ist die erste entscheidende Barriere, die eine Entfaltung erotischer Lebendigkeit verhindert.

Schweigen

Ein Schweigen dringt an mein Ohr/ Dein Schweigen auf meine stumme Frage/ warum du nichts sagtest,/ als ich dir meine Liebe verschwieg.

Faltsch Wagoni

Die Psychoanalyse hat bewirkt, daß über das Sexuelle (das bis dahin der Romantik und der Niedrigkeit überlassen war) gesprochen werden könne: das ist ihre ungeheure zivilisatorische Leistung. Daneben mag es sogar unwichtig erscheinen, welchen Wert sie als Psychologie hat.

Robert Musil

Die Kernschwierigkeit ist etwa so zu fassen: Die Paare kennen sich nicht und äußern sich nicht. Die resultierende Bewußtlosigkeit für die eigene Beziehung bewirkt eine täuschende Sicherheit.

 

Erfreulicherweise gibt es ein eindeutiges Gegenmittel – jedem zugänglich, wenn auch zuweilen mühsam zu erlernen; kostenlos, wenn auch mit seelischem Aufwand verbunden; sehr wirksam, wenn es einem gelingt, sich für diesen Weg und damit für sich selbst wirklich einzusetzen –: das wesentliche Miteinanderreden. Das Gegenteil von Gleichgültigkeit ist die Erinnerung. Dafür hatte ich die Zwiegespräche entworfen. Der Hauptbefund des Paarlebens, über den sich die Paartherapeuten der Welt ausnahmsweise einig sind, steht dazu in krassem Kontrast: die Sprachlosigkeit, «communication gap», die Kommunikationskluft.

Aufklärung

«Was nicht bewußt ist, ist auch nicht menschlich.»

Georges Bataille

Sie saß sozusagen vor mir. Ich drängte das Paar nicht. Wesentliche Worte brauchen manchmal ihre Zeit. Der Mann wirkte auf mich versteinert durch Stummheit. Es gibt so viele Arten von Schweigen, wie es Arten von Reden gibt. In der Frau dagegen wühlte die Sprachlosigkeit, sie hatte eine ganz andere, gleichsam platzende Ausstrahlung. Und plötzlich, nach etwa fünf Minuten endloser Stille, schlug sie mit dem ersten Satz wie mit einem Hammer auf den Amboß:

«Ich bin bis zur Unkenntlichkeit verheiratet.»

Und während wir noch benommen im Nachhall dieser niederschmetternden Selbstdiagnose dasaßen, holte der Mann unerwartet Luft und stieß seine Art Schmerzlaut hervor:

«Ich suche heute vergeblich die Frau, die ich vor zwanzig Jahren heiratete.»

Ich werde dieses Fazit eines Ehelebens nie vergessen. Es bringt das Dilemma vieler Beziehungen auf den Punkt. Statt den großen Zauber und die durchaus realistische Hoffnung der Liebe einzulösen, uns wechselseitig wiederzugebären; uns zu zweit lebendiger zu entwickeln, als wir es allein vermöchten; uns in Geborgenheit und wechselseitiger Anregung ganz zu uns selbst zu bringen, verkommt die Beziehung zu einer Art gegenseitiger Selbstbehinderung, zu einem Gefängnis. Statt sich zu zweit zur Freiheit zu befähigen, entsteht eine erdrückende Unfreiheit, die entsprechend resignative Bonmots widerspiegeln: «Was taten Sie vor Ihrer Heirat?» – «Was ich wollte!»

Wiedergeburten

«Denn was ist die Psychoanalyse anderes als eine endlose Suche nach Wiedergeburten vermittels der Liebeserfahrung, die immer wieder gemacht wird,  … als verheißungsvolle Voraussetzung für … ständige Erneuerung, Nicht-Tod?»

Julia Kristeva

Statt unser Selbst zu gewinnen, zu gestalten, zu verwirklichen, zu entwickeln, zu erweitern, scheint es uns enteignet zu werden – wie wenn wir an diesem Vorgang der Entselbstung gar nicht beteiligt wären. Eines Tages kennen wir uns nicht mehr wieder: Wir sind unkenntlich für uns selbst geworden.

So häufig, so unselig dieser Werdegang vom Dream-Team zum Trouble-Team ist, können wir ihn doch wenden. Vereinfacht läßt sich die gelingende und die mißlingende Paarentwicklung an positiven und negativen Selbstverstärkerkreisen der Beziehung zeigen. Um sie plastischer darstellen zu können, möchte ich auf ein weiteres Paar zu sprechen kommen:

Schlank, sportlich, lebendig, sprachbegabt kamen Angela und Alexander, beide Mitte Dreißig, zu mir und schilderten das augenblickliche Szenario ihrer fünfjährigen Ehe: Sie liebten sich noch, aber sie begegneten sich viel zuwenig.

«Ich möchte weniger arbeiten, Angela wohl auch, aber das ist nicht möglich. Die Firma habe ich von meinem Vater und Großvater übernommen. Sie besteht über Generationen und ist ein Traditionsbetrieb. Der Konkurs droht seit Jahren. Wir sind jetzt gerade aus dem Schlimmsten heraus. Aber die berufliche Arbeit verschlingt jede Minute. Nicht nur unsere beiden Kinder kommen zu kurz, entsetzt stellen wir fest, daß wir uns seit Monaten nicht mehr persönlich unterhalten haben.»

Ich schaue auf Angela. Sie ergänzt:

«Wegen der prekären Situation unserer Existenzgrundlage führe ich seit einiger Zeit verantwortlich das Büro unseres Unternehmens. Wir bringen zusammen eine gute Leistung, es gibt da keine Probleme. Allerdings arbeiten wir auch dort weitgehend getrennt. Inzwischen weiß ich nicht einmal mehr, wie Liebe geschrieben wird. Wir sind zu Ihnen gekommen, um der drohenden Leere in unserer Beziehung vorzuheugen. Sprechen wir so wenig miteinander, haben wir uns demnächst gar nichts mehr zu sagen. Wir wollen unser erotisches Leben nicht einfach so versanden lassen.»

«Von heutigen Paaren – die ja in der Regel keine gemeinsame Firma wie Sie betreiben – heißt es schon, sie seien längst keine Liebespaare mehr, sondern verkappte Business-Teams», bemerkte ich dazu. «Sie seien im Grunde ständig damit beschäftigt, Aufgaben zu erfüllen, Arbeitsziele zu erreichen. Ihre Wirklichkeit sei sachorientiert, durchfunktionalisiert. So kommen Sie mir vor. Als Psychoanalytiker geht man allerdings auch in die Schule des Verdachts, jedes Detail kann hinterfragt werden – ist die Arbeitsbelastung vielleicht nur vorgeschoben, um Ängsten voreinander aus dem Weg zu gehen? Das können wir später im Gespräch noch betrachten. Doch ich glaube in Ihrem Falle wirklich, daß die Lebensverhältnisse zu hart sind, um neben dem Druck aller Erledigungen und bei den chronischen Ängsten um die eigene Existenz genug Raum zu lassen für die Liebe und vielleicht auch andere Gefühle. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß Sie schließlich zu einer Partnerschaft werden, in der Liebe gar nicht mehr für den Zusammenhalt nötig ist, beispielsweise nach Art einer Erledigungsbindung. Ununterbrochen müssen Sie drängenden, unerledigten Aufgaben nachgehen. Das hält Sie zusammen, obwohl Sie weniger und weniger zu sich kommen. Hinter dem Wort steckt also der scheußliche Doppelsinn, daß Erledigungen uns erledigen können.»

«Das trifft es genau. Wir haben von Zwiegesprächen gehört und sind nicht zuletzt deswegen zu Ihnen gekommen», meinte Angela. «Wir müssen zuerst mehr miteinander sprechen, um die Beziehung wieder lebendiger empfinden zu können.»

«Allerdings graut mir auch davor», wirft Alexander ein, «woher wir anderthalb Stunden Zeit für diesen Austausch nehmen sollen.»

Beide Paare beriet ich. Sie lernten in den von mir angebotenen Zwiegesprächsseminaren diese Art des nichteingreifenden Miteinanderredens, die eine fruchtlose Kreisdiskutiererei verhindert, und sie ergänzten ihren Selbstentwicklungsweg durch professionelle Begleitung, im ersten Fall eine Paarberatung von zehn Stunden, im zweiten Fall die Teilnahme an einer mehrjährigen Paargruppe. Eine solche Kombination steigert sich wechselseitig: die Zwiegespräche gewinnen durch die Paartherapie an vertiefter Einsicht, die Paartherapie wird belebt durch die Entwicklungsdynamik des regelmäßigen, wesentlichen Miteinanderredens. In den meisten Fällen bringt jedoch allein das Zwiegespräch eine qualitative Wende der Beziehung. «In den letzten drei Monaten mit Zwiegesprächen haben wir mehr voneinander erfahren als in zehn Ehejahren vorher.» Die erwähnten «Glückskreise» machen etwas von dieser Dynamik einer größeren Lebendigkeit deutlich:

2.Am Anfang war das Wort

Vier Selbstverstärkerkreise der Beziehung

Das Märchen

«Was ist herrlicher als Gold?» fragte der König.

«Das Licht», antwortete die Schlange.

«Was ist erquicklicher als Licht», fragte jener.

«Das Gespräch», antwortete diese.

Johann Wolfgang Goethe

Begleitetwerden

«Liebe ist ein Begleitetwerden./ Nun mag ich nicht mehr allein über die Wege gehen,/ weil ich nicht mehr allein gehen kann.»

Alberto Caeiro

Ausreichendes, wesentliches Sprechen in der Paarbeziehung verstärkt sich durch sich selbst. Das macht den kommunikativen Glückskreis aus. Als Kernfrage stellt sich für Paare, wie sie zu einem genügend guten Miteinanderreden kommen, das nicht zur fruchtlosen Beziehungskiste mißrät. Zwiegespräche sind genau dafür entworfen. Ein anderthalbstündiges, vorher vereinbartes Gespräch pro Woche – vorzugsweise zu einem jour fixe – genügt.

Widmet sich das Gespräch speziell dem Erleben in der Liebe, wird also der wesentliche Austausch ein erotisches Zwiegespräch, dann verstärken sich bei ausreichender Ausgangslage sowohl die Neigung, sich über das Erleben des Liebens zu verständigen, wie auch die Lebendigkeit des Liebemachens selbst: erotischer Glückskreis.

Das real existierende Elend der Paarbeziehungen steht nun allerdings im krassen Gegensatz zu dieser Selbstverstärkung des Gelingens. Die Spracharmut verstärkt sich nämlich leider ebenso: kommunikativer Teufelskreis. «Unsere Ehe besteht aus zwei Monologen, für die es keine Ohren gibt.»

Und der unaufhaltsame Niedergang der Erotik nach der ersten Verliebtheit, die doch einst zur festen Partnerschaft oder Ehe führte, wird heute willenlos und resigniert als fatales Schicksal hingenommen. Diese Abstumpfungstheorie selbst halte ich für die abgestumpfteste Theorie. Vielmehr zeigt mir die Erfahrung mit Paaren, wie gesagt, daß wir unser erotisches Darniederliegen im Alltag Minute für Minute selbst herstellen. Vor allem dadurch, daß wir unser Liebesleben weitgehend ausschweigen und auf diese Weise den erotischen Teufelskreis fabrizieren.

Wesentlicher sind die Glückskreise, auf die ich daher näher eingehe. Die Teufelskreise sind nur als ständig gegenwärtige Bedrohung eines lebendigen Lebens und Liebens von Bedeutung. Ich skizziere sie nur kurz zum Abschluß.

1.Glückskreis des wesentlichen Sprechens

Selbstverstärkung der Kommunikation

 

Miteinanderreden steigert sich selbst. Auf dem Kreis schildere ich im Uhrzeigersinn die aufeinanderfolgenden Wirkungen. Angela und Alexander hatten es selbst erlebt. Sie wollten den Bann ihrer ausschließlichen Arbeitsorientierung brechen und planten eine «Liebesreise» als erotischen Neubeginn. Dabei stießen sie auf gleichsam klassische Probleme.

12 Nehmen wir an, einem Paar gelingt es, die üblichen sprachlosen Verhältnisse zu überwinden und ausreichend miteinander zu reden. Diese Ausgangslage markiert die Zwölf auf der Uhr. Angela und Alexander hatten sich durch die regelmäßigen Zwiegespräche einen solchen genügend guten Kreislauf der Beziehung geschaffen. Was folgt daraus?

Neugier

«Auf die Gefühle bin ich neugierig. Auf die Fakten, wie immer sie beschaffen sein mögen, bin ich überhaupt nicht neugierig.»

Fernando Pessoa

1 «Es war mir zunächst gar nicht klar, was und wohin ich wollte», sagte Angela zur Planung ihrer Liebesreise. «Ich hatte zunächst Marokko im Sinn, sah mich mit Alexander auf Wüstenausflügen unter dem riesigen Sternenhimmel. Das wäre der Kontrast zum eingezwängten Arbeitsleben. Dann schien mir eine USA-Fahrt reizvoller, in Hotels, zum Colorado River.» – «Mich stößt die Hitze in jedem Süden ab», erklärte Alexander. «Ich brauchte vor allem erst mal Abstand von allem und bequeme Ruhe. Ein Strandhotel an der englischen Südküste schwebte mir vor. Aber nach und nach wurde mir anderes klar: Unsere schönsten Liebeserlebnisse hatten wir in einer einsamen Hütte in Schweden. Da wollte ich schließlich unbedingt hin.» Das Zwiegespräch leitete bei beiden einen inneren Klärungsprozeß ein. Was geschieht dabei?

Im wesentlichen Sprechen nimmt jeder sich selbst wahr. Nach und nach entdeckt er seine eigenen, seine wirklichen Bedürfnisse – oft hinter einer Flut von überflüssigen Wünschen. Wenn Paare mich erstaunt fragen, wie lange man denn brauche, um zu wissen, was man im Tiefsten wirklich will, antworte ich mit der Erfahrung der Paargruppen und Zwiegesprächler: etwa zwei Jahre. Der immer noch verbreitete Slogan «Kinder mit ’nem Willen kriegen was auf die Brillen» zeigt, wie sehr wir auf die Erfüllung elterlicher Erwartungen hin aufgezogen wurden, statt auf unsere eigenen Bedürfnisse zu hören. Ja, wir verlieren sie oft ganz aus den Augen. So setzt man dann später auch alle Kraft für die große Nachfolgefigur der Eltern ein: für den Arbeitsplatz, für den Arbeitgeber, für den Partner, oft auch für die eigenen Kinder. Familiär und gesellschaftlich ist diese Orientierung am anderen geradezu ein Zwang. Die Werte einer prosozialen Gemeinschaft entsprechen dem.

Selbsthinrichtung

«Sich nach anderen richten/ sich hinrichten.»

Elazar Benyoëtz

2 Nach und nach erfährt man auch die wesentlichen Wünsche des Partners. Er bleibt dann keine bequeme Projektionsfläche mehr für die Neigung, ihn nach eigenem Bilde zu schaffen. Ich lerne ihn wirklich kennen.

Begegnung

«Das Wiedererkennen …/ beginnt mit Verwechslungen.»

Jürgen Becker

3 Da meine Wünsche und die Bedürfnisse meines Partners sich meist unterscheiden, kommt es zu einem Konflikt. Ihn wollte das Paar stets vermeiden – im wesentlichen deswegen, weil es mit ihm nicht umzugehen wußte. Nirgendwo lernt man diese fundamentale Fähigkeit. Sie müßte spätestens in der Grundschule gelehrt werden; sie ist wichtiger als die Kenntnis großer Hauptstädte.

 

4 Das erste Gebot angesichts dieser nun endlich sichtbar werdenden Unterschiedlichkeit lautet: die Differenz, den Konflikt ruhig zu tragen und nicht gleich wegzuhantieren. Wie auf einem Silbertablett stehen also deine und meine so andersartigen Wünsche da und können eine Weile interessiert betrachtet werden. Ein bekannter Psychoanalytiker, Michael Balint, bemerkte einmal, es gehöre zum reifen Erwachsenenleben, ein gewisses Maß an Spannung aus unerledigten Konflikten zu ertragen. Zwiegespräche spenden dafür übrigens die gemeinsame Kraft.

 

5 Während für die meisten Belange eines glücklichen Paarlebens schwarzer Pessimismus angebracht ist, bin ich in einer Hinsicht ein entschiedener Optimist: hinsichtlich eines lebendigen Kompromisses. Es geht zunächst darum, die Vielfalt an möglichen Lösungen für den Konflikt zu ventilieren, ohne gleich auf Biegen oder Brechen eine Entscheidung zu fällen.

 

6 So angereichert kann man sich leichter dem Auffinden eines lebendigen Kompromisses nähern. Er unterscheidet sich – als Arzt könnte ich differentialdiagnostisch sagen – sehr klar vom faulen Kompromiß. Denn beim lebendigen Kompromiß werden die Wünsche beider Seiten gleichgewichtig geachtet – und das ist spontan erstaunlich selten der Fall. Ja, ein Paar sieht sich meist gar nicht vor einer solchen inneren Aufgabe. Vielmehr wird pragmatisch gewurstelt und das gewählt, was sich aus äußeren Gründen gerade anbietet. Dadurch entsteht der faule Kompromiß: Die Wünsche einer Seite kommen zu gering zum Zuge. Das bedeutet eine Enttäuschung wesentlicher Bedürfnisse. Und diese Vernachlässigung macht – ob man es will oder nicht – einen Enttäuschungszorn, den innerhalb der Beziehung auch derjenige zu verarbeiten hat, der diesmal begünstigt wurde.

Verlust ohne Verzicht

«Alles ist verloren, wenn wir entschlossen sind, auf nichts zu verzichten.»

Carl Friedrich von Weizsäcker

Erstaunlich ist, daß in der Regel nicht der Egotrip zu solcher Schieflage führt, sondern der schnelle, oft lautlose Verzicht auf die eigenen wesentlichen Wünsche, das heißt unsere Anpassungsneigung, unser Unterordnungsverhalten.

Angela: «Es war ein Glück, daß wir uns jeder einen Freiraum für das Herausarbeiten der eigenen Vorstellungen gaben. Als Alexander vom britischen Strandhotel sprach – das mir selbst gar nicht in den Sinn gekommen wäre –, dachte ich schnell: Warum nicht? Kurze Zeit später entdeckte ich, daß ich das gar nicht wollte. Ich habe innerlich einfach ja gesagt, wo ich hätte nein sagen müssen. Es ist, als wären meine eigenen Wunschvorstellungen irgendwie flüchtiger. Eine Zeitlang wußte ich einfach nicht mehr, ob mein Verlangen unbemerkt eine Anpassung an Alexander war oder wirklich meinen Bedürfnissen entsprach. Um das herauszubekommen, muß man richtig trainieren.»

Manchmal gewinne ich den Eindruck, daß gerade die innerlich wirklich bedeutenden Wünsche Mimosencharakter haben: sie melden sich still und verschwinden bei der ersten Berührung. Gelingt es einem Paar aber – jeder für sich und für den anderen –, auf die gleichrangige Wahrnehmung aller aufgetauchten Bedürfnisse zu achten, ändert sich die Paarsituation qualitativ grundlegend. Um diesen Stand zu erreichen, ist ausführliches Miteinandersprechen nötig. Das wird immer unterschätzt. Einigen erscheint es lästig. Der seelische Gewinn ist jedoch hoch. Hätten Angela und Alexander ihre Reise ungenügend geklärt, wären sie entweder in ein blasseres Erlebnis hineingeraten oder vielleicht sogar in gereizte Stimmung und Streit, dessen tiefere Ursache – die Enttäuschung eines unbemerkten wesentlichen Bedürfnisses – sie gar nicht hätten erfassen können. So aber war der seelische Boden ihrer Tour d’amour gleichsam ohne Schlaglöcher. Sie waren entschlossen, umsichtig die Gleichrangigkeit ihrer Wünsche aufrechtzuerhalten.

 

7 Die Gleichwertigkeit des eigenen Verlangens und des Begehrens des Partners zu beachten reicht aber noch nicht ganz: Es kommt auch darauf an, daß beide Seiten zu gleichen Teilen verwirklicht werden. Das machte Angela und Alexander einiges Kopfzerbrechen. Zunächst kamen sie auf die Idee, erst einen zu bevorzugen, um dem anderen beim nächstenmal den Vorrang zu geben. Dann wurde ihnen klar, daß sie eine solche Liebesreise wohl nicht zweimal machen würden. «Die nächste Reise hätte einen ganz anderen Charakter – eben nicht so bedeutend», berichtete Alexander auf einer Paarsitzung, die auch eine Art Supervision der Zwiegespräche bot. «So kamen wir jetzt auf eine ungewöhnliche Lösung. Ein gemeinsamer Nenner war unser Wunsch nach reichlicher Abwechslung. Das half uns zu dem simplen Entschluß, die eine Hälfte in Schweden und die andere in Marokko verbringen zu wollen. Es ist nicht einmal besonders umständlich. Ich kann jedenfalls Marokko gut genießen, wenn ich unser phantasiertes Revival in Schweden nicht vermissen muß.»

 

8 Damit hatte das Paar schon die nächste wesentliche Voraussetzung erfüllt, die im Alltag – wie sich in Paargruppen zeigt – sträflich vernachlässigt wird: die gemeinsame Verwirklichung der gleichgewichteten Wünsche. In der Regel hält man das für unwichtig. Wie schnell ist beim Einkauf beispielsweise ein Entschluß ohne Rücksprache mit dem anderen getroffen, der nicht nur am anderen vorbeigeht, sondern später oft umständlich, aufwendig und gereizt tagelang ausdiskutiert werden muß. Jede Form einsamer Entscheidungen «für beide» entpuppt sich als stilles Gift in der Paarbeziehung Im Bett, in dem nicht gesprochen wird, ist das an der Tagesordnung.

 

9 Nun ist das edle Ziel erreicht, das ich etwas märchenartig das goldene Paargleichgewicht nennen könnte. In seiner Definition kommt es auf jedes Wort an: Das Paargleichgewicht ist erreicht, wenn es dem Paar gelingt, die Bedürfnisse beider Partner gleichrangig wahrzunehmen (Basisdemokratie und fundamentale Gleichwertigkeit von Mann und Frau) und gemeinsam zu gleichen Teilen zu verwirklichen (Solidarität füreinander und Gerechtigkeit). Dieser zunächst selbstverständlich scheinende Satz versteht sich leider gar nicht von selbst. Er steckt voller Barrieren. Denn die tatsächlichen Verhältnisse sind nicht so. So gibt es unter den zwölf Paarformationen, die für Deutschland typisch sind, zehn, die nicht gleichrangig, sondern hierarchisch sind. Von einer Gleichwertigkeit der männlichen und weiblichen Bedürfnisse ist keine Rede, wie sich nach wenigen Zwiegesprächen oder Paargruppensitzungen zeigt. Paaren, die mit Zwiegesprächen oder mit der Gruppe beginnen, sage ich, daß sie gar nicht erst beginnen müßten, wenn sie diese Balance aufrechtzuerhalten in der Lage sind. Sie beinhaltet nämlich vor allem die Konfliktfähigkeit des Paares, die ich für die entscheidende Voraussetzung eines – auch erotisch – glücklichen Paares halte. Das Ideal eines problemlosen Paarlebens ist völlig illusionär und verhängnisvoll für jede Harmonie und Liebe in der Beziehung Im goldenen Paargleichgewicht ist auch die Lösung eines menschlichen Urkonfliktes zwischen Autonomie und Abhängigkeit gegeben: Wieviel wende ich mich dem anderen, wieviel mir selbst zu? Die Zwiegespräche geben die Antwort fast von selbst, weil sich hier beides gleichzeitig entfaltet. Der Gegensatz von «Egoismus» und «Altruismus» ist aufgehoben, weil jede Mitteilung dem anderen und mir selbst gleichermaßen zugute kommt.

 

10 Der entscheidende Gewinn des ganzen Verlaufes ist eine befriedigendere, eine erfüllendere Beziehung. Sie entsteht, weil endlich die sorgsame Beachtung der sonst vernachlässigten, unversehens unter den Tisch fallenden wesentlichen Bedürfnisse zur Erfüllung dessen führt, was man eigentlich schon immer wollte – und nicht zu dem schrecklichen Fazit, bis zur Unkenntlichkeit verheiratet zu sein. Angela: «Es war nach den mir zunächst etwas umständlich erscheinenden Gesprächen über unsere Liebesreise ein Gefühl, als hätte ich innerlich eine erfrischende Dusche genommen. Es war ein so klares Gefühl.» Alexander: «Ich stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden, und solche solide Grundberührung hatte ich bei einer Reiseplanung noch nie gehabt.»

 

11 Hat man jedoch eine befriedigendere Beziehung, dann ist man seinem Partner auch zugeneigter. Und mit einem Menschen, der einem nähersteht, spricht man sehr viel lieber. Das Geheimnis liegt vor allem darin, daß die Selbstoffenheit, die sich in Zwiegesprächen mehr und mehr entwickelt, gleichzeitig eine Öffnung zum anderen hin bedeutet. Mit ihr macht man sich darüber hinaus einfühlbar. Der Partner hat die Chance, einen wirklich wahrzunehmen.

Das Los des Selbst

Erst war ich selbstlos, jetzt geh ich selbst los.

12 Der Kreis schließt sich also nicht nur, sondern verstärkt sich: Das genügend gute Miteinanderreden steigert sich von selbst.

2.Erotischer Glückskreis

Miteinandersprechen und erotisches Erleben verstärken sich wechselseitig

Leidenschaft

«Niemand stellt sich eine Welt vor, in der die Leidenschaft endgültig aufgehört hätte, uns zu bewegen.»

Georges Bataille

Mündigkeit

«Drum brauch’ ein Liebender die eigne Zunge, es rede jeglich Auge für sich selbst.»

Claudio in Shakespeares «Viel Lärm um Nichts»

Was man tabuisiert, kann man nicht gestalten. Ja, man klammert es aus der Entwicklung aus und beläßt es in einer Art persönlicher Verbannung. Das gilt vor allem für das übliche Liebeslager. Die Erotik der meisten Menschen fristet eine karge Existenz im inneren Exil. Erst wenn man den Mut findet, offen erotisch zu sprechen, und der Leidenschaft ihren Laut gibt, kann sich die Liebe freier und intensiver entfalten. Die Liebe wird nicht nur selbstbewußter, sondern überhaupt erst mündig. Das geschieht schon im üblichen, nicht themenzentrierten Zwiegespräch, weshalb schon dieses als wirksames seelisches Aphrodisiakum gilt, noch stärker allerdings im erotischen Zwiegespräch.

Erotische Zwiegespräche sind ein ungestörtes Gespräch zweier Menschen – nicht notwendigerweise eines Paares, es können auch gute Freunde oder Freundinnen sein – von etwa anderthalb Stunden, in denen das eigene erotische Erleben sich am goldenen Faden der freien Einfälle zu einer Art Selbstbildnis für den anderen entfaltet. Sie können einmalig vereinbart werden oder in einer Art Serie stattfinden, die noch mehr entschlüsselt. Es kann um die Lebensliebesgeschichte gehen, sich auf besondere glückliche oder unglückliche Episoden beziehen, delikate Details und die Variationen der Vorlieben zur Sprache bringen und – wo ein Liebespaar miteinander spricht – natürlich auch das Innenbild des eigenen erotischen Zusammenseins offenlegen. Thema ist stets die Antwort auf die Frage: «Was bewegt mich erotisch im Moment am stärksten?»

In den beiden vergangenen Jahrzehnten, denen ich mich der Psychoanalyse der Zweierbeziehung widmete, beobachtete ich sogar in den Paargruppen, daß auch Zwiegesprächserfahrene den Bereich ihres erotischen Erlebens viel zuwenig miteinander thematisierten. Der Bezirk ist offensichtlich zu heikel, um ohne eine Aufforderung geöffnet zu werden. In den Zwiegesprächsseminaren, die ich an wechselnden Orten durchführe, ist mir schließlich im Gespräch mit den Teilnehmern die Idee gekommen, themenzentrierte Zwiegespräche vorzuschlagen, hier also die erotischen Zwiegespräche. Das vielversprechende Dunkelfeld des eigenen Liebeserlebens kann so gezielter erhellt werden. Alle Paare haben eine solche Zentrierung als wohltuend und bereichernd empfunden. Auf eine bemerkenswerte Wirkung möchte ich jedoch hinweisen: Es kann durchaus sein, daß bei dem einen oder anderen Paar ein übliches, nicht-themenzentriertes Zwiegespräch die Erotik stärker befreit, weil Probleme, die scheinbar nicht in Zusammenhang mit der Erotik stehen, doch unterschwellig einen erheblichen Einfluß auf das Liebesleben haben – unausgesprochene Ängste, Rivalitäten oder Selbstentwertungen beispielsweise.

Jede Art von Zwiegesprächen hat eine deutliche aphrodisische Wirkung, weil sie die oft so verschlossene Seele öffnen, den Berührungsraum der Beziehung ungewohnt erweitern und Konflikte abbauen. Diese erotisierende Wirkung greift allerdings auch sofort der unbewußte seelische Widerstand auf und wirtschaftet mit ihr in die eigene Tasche der Angstvermeidung: Oft machen dann Paare, statt miteinander zu reden, abrupt Liebe, die sie doch soeben noch mit dem Gespräch von Ballast befreien wollten. Dieses blinde Handeln ist das wohlbekannte Agieren. Es hat meist einen ganz anderen Sinn, als man so denkt: Nicht das erotische Erleben, der Liebesgenuß, steht im Zentrum, sondern die Flucht vor Brenzligkeiten. Allerdings ist Agieren – recht verstanden – auch ein erster Schritt zum Bewußtwerden, ja manchmal kommt man gar nicht darum herum, um sich endlich über etwas klarzuwerden, was man bislang nicht verstand.

Größere Klarheit

«Die Zurückdämmung der Liebe erhellt ihre Phänomene mit größerer Klarheit als die Liebeserfahrung.»

Fernando Pessoa

Angela und Alexander berichteten schon in der ersten Paarsitzung, wie sie sich begegneten und lieben lernten. «Es war sofort geschehen», sagte Alexander. Diese Liebe auf den ersten Blick ist auch ein hervorragendes Beispiel für das blitzartige Oszillieren der unbewußten Kommunikation. In Sekundenschnelle ist geschehen, was das Bewußtsein oft auffällig träge hinterherhinkend weit später bemerkt. So sind auch erotische Zwiegespräche vom Bewußtsein gar nicht zu erfassen. Was wirkt und belebt, ist das wechselseitige Erleben, wobei die Worte selbst – so bedeutsam das Sprechen ist – verglichen mit der wortlosen Kommunikation durch Mimik, Gestik und Tonmodulation überraschenderweise von geringerem Einfluß sind.

Einsicht

«Handeln entschädigt, aber verwirrt.»

Fernando Pessoa

Da sich der erotische Glückskreis in gleicher Weise entfaltet und steigert wie die bereits beschriebene kommunikative Selbstverstärkung, werde ich nur die besonderen Momente für das Liebesleben hervorheben.

 

12 Es beginnt auch hier mit dem genügend guten Austausch, der sich nun allerdings dem erotischen Erleben widmet.

Wachstum der Liebe

«Liebe ist das einzige, was wächst, wenn man es verschwendet.»

Marie Luise Stangl

1 Im Zuge dieses vereinbarten Sprechens über die eigenen Liebeserfahrungen befreit sich jeder nach und nach von der gewohnten Scheu, über seine Lüste und Ängste zu reden. Man lernt seine eigenen erotischen Bedürfnisse überhaupt erst kennen und gestaltet sie bereits, indem man sie ausspricht.

 

2 Ebenso lernt man das oft unbekannte Gelände des erotischen Verlangens seines liebsten Menschen, seines Partners, kennen. Angela bemerkte nach dem ersten erotischen Zwiegespräch: «Es wurde mir so viel deutlich, daß ich mich frage, warum wir nicht vorher schon einmal den naheliegenden Einfall hatten, uns so klar, offen und detailliert über unser erotisches Erleben und unsere Wünsche auszutauschen. Am meisten verblüffte mich beispielsweise, daß Alexander bei der Selbstliebe immer ganz genaue Szenen phantasiert, während ich der Meinung war, es wäre bei anderen so wie bei mir – nämlich ohne irgendeine spezielle Vorstellung mit anderen.»

 

3 Liegen nun beide Wunschfelder offen da, bleibt die Unterschiedlichkeit nicht mehr verborgen. Alexander und Angela entdeckten den klassischen Konflikt zwischen Mann und Frau. Angela: «Es ist ja schon fast in jeder Bildzeitung zu lesen. Ich wünschte mir viel mehr Zärtlichkeit, während Alexander am liebsten direkt zur Sache kommt. Für mich entfaltet sich viel zuwenig. Mein Körper schwingt nicht richtig mit, wenn es zu schnell geht.»

 

4 Beide können nun aber auch ruhig die erotische Andersartigkeit des anderen im Vergleich mit dem eigenen Begehren betrachten. Es ist ebenso ungewohnt wie beiderseits bekömmlich, das Spannungsverhältnis des unterschiedlichen Verlangens und der unterschiedlichen Ängste einmal auszuhalten, ohne sich sofort einer polypragmatischen Abhilfe zuzuwenden, eine neue Stellung zu kreieren oder den Teppich der Leidenschaft resigniert einzufalten.

 

5 Dadurch tritt jeder aus dem bislang unbemerkten Kokon seiner eigenen erotischen Wirklichkeit heraus und entdeckt die Vielfalt der Liebe schon im eigenen Haus. Alexander: «Wir versuchten einmal, uns am ganzen Körper zart zu streicheln. Ich war völlig verblüfft, welche Bereiche für Angela erregend waren – beispielsweise die Knöchel. Sie kam mir schließlich vor, als wäre sie erotisch völlig anders ‹konstruiert› als ich. Ohne es zu merken, hatte ich mir immer vorgestellt, daß alle Menschen genauso empfinden wie ich.»

 

6 Ist die Selbstrelativierung der eigenen erotischen Welt im Gang, haben sich bereits offenere Phantasien und Wünsche abgezeichnet, dann ist das Paar besser imstande, auch im Liebesbereich einen lebendigen Kompromiß zu finden, der nicht wie üblich klammheimlich eine Seite unterschlägt oder bestimmte Lüste nicht zum Zuge kommen läßt. Das Paar lernt, die anderen Bedürfnisse als wirklich gleichwertig zu achten: Die Zärtlichkeit ist ebenso bedeutend wie der direkte sexuelle Akt und umgekehrt, die zielstrebige Vereinigung ist dem Bedürfnis nach dem Berühren des ganzen Körpers gleichrangig.

 

7 So kann das Paar auch das Liebemachen nach und nach verwandeln. Beide Seiten werden zu gleichen Teilen beachtet. Selbst wenn das manchmal auch nicht vollständig geschieht, sondern jeder nur teilweise seine Wünsche erfüllen kann, ändert sich dadurch die Liebesqualität grundlegend. Angela: «Die innere Gewißheit, daß alle meine Wünsche irgendwann zum Zuge kommen werden und denen von Alexander gleichgestellt sind, macht mir ein ganz anderes erotisches Selbstbewußtsein. Es beflügelt mich.»

 

8 Dadurch wird jeder nach und nach in der Liebe entscheidungsfähiger und handlungsbereiter. Beide beginnen die Wünsche von beiden gemeinsam umzusetzen. «Früher habe ich Alexander ganz unbemerkt immer die Führung überlassen. Irgendwie schlich ich mich dadurch auch aus der Verantwortung für das, was ich tun möchte», sagte Angela, und Alexander ergänzte: «Sie wird eine ganz andere erotische Partnerin, weil ich mich beschenkt fühle, wenn sie aktiver wird in der Liebe.»

 

9 Das goldene Paargleichgewicht der Erotik ist natürlich nicht sofort zu erwarten, aber ein verläßliches Ziel der erotischen Entwicklung zu zweit: Beide beachten die eigenen erotischen Wünsche und die des Partners gleichrangig und versuchen sie gemeinsam zu gleichen Teilen zu erfüllen. Alexander: «Es gab für mich vorher gar keine besondere Richtung, ich hatte kein besonderes Ziel. Es kam, wie es kam. Aber nun entdecke ich in den erotischen Zwiegesprächen, daß diese Bewußtlosigkeit schwere Nachteile hatte – Angela war sensibler und scheuer als ich. Im Grunde habe ich sie überfahren, ohne daß ich es wollte. Alles, was in ihr lebendig war, konnte so gar nicht aufkommen - und ging dann auch mir verloren.» Angela: «Diese eigentümliche Balance bringt mich auf eine seltsame Weise auch selbst ins Gleichgewicht. Sie ist eine Art Vorbild – und selbst wenn sie einmal im Bett nicht voll erreicht ist – sie wirkt trotzdem durch ihre innere Gegenwart.»

Das sexuelle Ich

«Als das sexuelle Ich bezeichne ich die Fähigkeit eines Menschen im Reifestadium, sexuelle Lust zu empfinden, und seine Fähigkeit, die optimalen persönlichen Bedingungen zu verstehen, unter denen er Lust erlangt.»

Avodah Offit

10 Die Liebe erhält nun einen sich ständig entwickelnden Zustrom von Phantasien, Ideen und sich auffächernden Empfindungen. Sie wird lebendiger, kreativer, vor allem aber erfüllender. Eine ganzheitlichere Liebe aber stärkt die Bindung an den Partner: Er wird geliebter.

 

11 Mit einem Menschen, mit dem mich eine innerlich freiere, weniger unterdrückte Erotik verbindet und dessen eigene Gefühle und Vorstellungen mich selbst zu neuen Entwicklungen anregen, spreche ich aber auch lieber über mein erotisches Erleben; es entfaltet sich dadurch auch jenseits der Worte.

 

12 So verstärken sich durch das erotische Zwiegespräch sowohl die Neigung, mich mit meinem Partner über mein erotisches Erleben und Verhalten auszutauschen, wie auch die Lebendigkeit des Liebens selbst.

 

Erotische Zwiegespräche fördern zuallererst mit jeder Minute die wechselseitige Einfühlung, sozusagen das A und O des Liebemachens. Sie binden das Paar auch in einen wechselseitig sich verstärkenden seelischen Entwicklungsprozeß ein. Einer wird – gerade weil er nur bei sich bleibt – gleichsam zum Promoter, zum Förderer auch des anderen, und zwar durch nicht mehr und nicht weniger, als seine besondere Art zu sein, zu lieben und die erotische Wirklichkeit wahrzunehmen. Das wechselseitige Miterleben der anderen Wirklichkeit und die wechselseitige Anregung machen den Reichtum der Zwiegespräche aus. Sie bilden auch den Boden dessen, was ich die Paarsymmetrie nenne, des eigenartigen Phänomens nämlich, daß das, was mich im Moment am stärksten angeht, in variierter Form auch den anderen bewegt.

Erotische Einsicht

Si vis amari, ama. Willst du geliebt werden, so liebe!

Seneca

In einer Folge erotischer Zwiegespräche, die sich ein Paar ja vorab gegen die widrigen Alltagsverhältnisse sichert – anderthalb ungestörte Stunden in der Woche genügen –, wird der Verstärkerkreis eine positive Entwicklung einleiten. Denkbar ist aber bei größerem inneren Widerstand – wenn also zu ängstigende Themen aufkommen – auch eine bremsende wechselseitige Induktion. In der Regel löst sich eine solche Blockade nach einiger Zeit von allein, da die Angst in Zwiegesprächen nicht nur mobilisiert, sondern auch aufgearbeitet und gemindert wird.

Erotische Zwiegespräche streben nach und nach immer tieferen seelischen Schichten zu, was natürlich nicht ohne Irritationen bleiben kann, und führen im gelingenden Falle zu einer erotischen Selbstintegration. Sie kann man nach der ersten sexuellen Blüte in der ödipalen Kindheitszeit und der zweiten in der Pubertät als die dritte sexuelle Blüte des Menschen auffassen. In einem der zahlreichen erotischen Dialoge dieses Bandes sagt ein etwa fünfzigjähriger Mann, er habe diesen Moment bei einem ganz normalen Liebemachen in einem Hotelzimmer erlebt. Plötzlich habe er gewußt, daß er, der sich in seinen bisherigen Liebesbeziehungen sehr glücklich fühlte, die Antwort auf eine ihm nicht bewußte Frage erhalten habe: ihm war plötzlich völlig klar, was Liebe bedeutete, ihn ergriff ein mächtiges Gefühl innerer Erfüllung, und er habe gleichzeitig das Empfinden gehabt, nun leicht sterben zu können, weil er das Ziel des inneren Lebendigseins erreicht hatte.

3.Teufelskreis der Sprachverarmung

Unzulängliches Miteinanderreden läßt die Beziehung versanden

«Marry in haste/ and repent in leisure.»

«Heirate rasch und bereue in Muße.»

Englisches Sprichwort

Beginnt man mit unzulänglichem Reden, wie es heute gang und gäbe ist (12), dreht sich die Selbstverstärkung ins Negative: Ich verlerne, mich selbst wahrzunehmen (1). Ich kann meinen Partner nicht erkennen und genügend verstehen (2). Da die inneren Wünsche aber bestehenbleiben, wird der Konflikt zwischen ihnen unlösbar (3). Er kann gar nicht ausgehalten werden (4) und zwingt zu einer falschen Harmonievorstellung, die die Differenzen unterschlägt (5). Weder gelingt es, beide Seiten gleichrangig (6) zu beachten, noch, zu gleichen Teilen zu realisieren (7) – und das schon gar nicht gemeinsam (8). Die unerfüllten Wünsche bereiten auf beiden Seiten einen Enttäuschungszorn (9), der sich wie ein Sediment in die Beziehung legt und über Jahre zur geheimen Verbitterung führt (10). Der Partner wird dafür projektiv schuldig gesprochen. Er gefällt einem als Figur der Selbstbehinderung und Lebensbarriere weniger und weniger. Und mit einem solchen Menschen hat man natürlich weniger Lust zu reden (11). So erlahmt das gemeinsame Miteinander bestenfalls zum parallelen Nebeneinander – beispielsweise vor dem Fernseher: Beziehungslosigkeit in der Beziehung.

4.Teufelskreis der erotischen Abstumpfung

Spracharmut hungert mit der Zeit die Erotik aus

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen: sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden. Wie anderen Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter, versuchten Küsse, als ob nichts sei, und sahen sich an und wußten nicht weiter. Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken. Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken. Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen.

Am Abend saßen sie immer noch dort. Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen.

Erich Kästner

Die erotische Einöde ist, wie gesagt, kein Naturgesetz langfristiger Beziehungen, sondern hausgemachtes Unglück – soweit sie ein Paar überhaupt noch als Elend und nicht als willkommene Ruhe erlebt: Es beginnt mit dem unzulänglichen Sprechen (12), das weder die eigenen erotischen Wünsche Gestalt werden läßt (1) noch die Lust des Partners aus der projektiven Vernebelung hebt (2). Erotische Widersprüche werden gar nicht sichtbar, obwohl sie natürlich bestehen und sich lähmend auswirken (3). Das Paar sieht nirgends einen Konflikt und wird doch von ihm bestimmt. Es erlebt Differenzen als gefährlich (4). Es kann die Vielfalt der sexuellen Ideen gar nicht aufkommen lassen und schon gar nicht entwickeln (5). So kommt es zum faulsten aller Kompromisse: Nicht einmal eine Seite wird wirklich erfüllt. Der Enttäuschungszorn belastet und labilisiert nicht nur die Beziehung, sondern mindert auch die Achtung vor der Liebe: Sie erscheint in dieser Kümmerform wenig attraktiv (6). Von gleichen Teilen kann ein solches Paar keinen Schimmer haben, weil die Liebe aus konturlosem Schweigen besteht und sich leichter in Stereotypen festfährt (7). Eine gemeinsame Realisierung entfällt, weil der Bedarf nicht existiert (8).

Das pechschwarze Ungleichgewicht hockt im unwillkommenen gemeinsamen Bett (9). Die Liebe wird zur Last oder gelassen (10). Der andere wird von dieser Dauerfrustration wie von einem Krebs durchwachsen, er erscheint belangloser, lebloser, unzufriedener, häßlicher (11). Mit ihm mag man nicht so gern sprechen und erst recht nicht lieben (12). So desertifiziert das erotische Land der Beziehung und kommt einem so normal vor wie die Karies.

3.«Doch die Verhältnisse – sie sind nicht so»

Sprachverarmende Lebensbedingungen

Die Trostlosigkeit des eigenen Liebesbettes ist zwar selbstgemacht, aber auch erheblich durch die modernen Lebensverhältnisse mitbedingt. Soziologen sprechen von einem Charakteristikum unserer Zeit: der Individualisierung, schärfer ausgedrückt: der Vereinzelung. Sie ist vor allem ein Wirtschaftszwang. Für die Erotik hat sie eine schmerzliche Doppelwirkung: Wir ersehnen die Liebe mehr denn je, gleichzeitig aber wird es fast unmöglich, sie zu realisieren.

Die Sprachlosigkeit der Paare beispielsweise erscheint vielen als ein Rätsel. Sie verbreitet sich so still, mächtig und unbemerkt wie die Wüsten dieser Erde oder das Waldsterben. Selten gut kann man an dieser Verödung die enge Verflechtung von ganz persönlichen und allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnissen erkennen. Das mehrfach bedingte Geschehen möchte ich knapp skizzieren, da man sich nur mit genauer Kenntnis dieses Elends aus ihm befreien kann.

Lebenslauf

«Leben ist das, was passiert, während man andere Pläne macht.»

Paul Thek

Was Angela und Alexander an sich erlebten, ist bei weitem nicht alles und heute wohl nicht einmal das entscheidende Moment: die berufliche Belastung. Zu ihr gehört auch die seelisch erdrückende Arbeitslosigkeit. Neuere Untersuchungen zeigen, daß die psychosozialen Pioniere der Nation, die sich über lange Zeit noch die Nähe zur Gefühlswelt, zum Aussprechen und zur Wirklichkeit der Beziehung bewahrten, die Frauen nämlich, nach und nach unter dem Einfluß der Berufswelt verschlossener werden. Das Männerprofil mit Wortknappheit, Sachorientierung und Gefühlsferne ist vermutlich ein Wirtschaftszwang, dem die Frauen nun ebenso unterliegen. In zehn Jahren hat die Verschlossenheitsschranke – und vielleicht auch die Verdrängungsschranke – um 13 Prozent zugenommen. Frauen erzählen auch ihrem intimsten Partner immer weniger das, was sie wirklich bewegt. Hinter dem Beruf stehen ein ganzes Unternehmen und der Druck der eigenen, äußeren Existenzsicherung. Hinter der Beziehung, die auf Gespräche so angewiesen ist wie die Pflanzen auf das Wasser, steht man in der Regel allein. Leisten geht eindeutig vor Lebendigsein – diese Werthierarchie vermittelt sich bei jedem Arbeitsgang von selbst und wortlos. Die psychosoziale Beschleunigung, die immer schneller werdende Veränderung unseres Alltags, ist hauptsächlich wirtschaftlich bedingt: die inzwischen weltweite Mobilität, die von Arbeitnehmern verlangt wird, zerreißt Beziehungsnetze, familiäre Verbundenheit und gewachsene, sich vertiefende Sprechräume.

400jährige Rollenteilung

«Mit der Erotisierung der Ehe (im 16. Jahrhundert) wird die Herstellung dieser Harmonie ausdrücklich an die Gattin delegiert.» – «Auf sie wird eine neue Wunschvorstellung projiziert: die des Eheglücks als lustbetonter Lebenspraxis in Abgrenzung zu den Zwängen der Selbsterhaltung.»

Maria E. Müller

Allerdings fallen den meisten Menschen als erste Wurzel der grassierenden Sprachverarmung die eigenen Eltern ein. Sie haben oft zuwenig miteinander gesprochen, konnten gar kein Beispiel einer lebendigen, wortoffenen Wirklichkeit bieten – vor allem nicht in jenem Bereich, auf den es hier besonders ankommt: in der Erotik. Wem ein gesprächsreiches Vorbild fehlt, der hat die verbale Kargheit tief verinnerlicht. Er muß sich auf den beschwerlichen Weg machen, seinen verschlossenen Mund gegen seine inneren Verhältnisse selbständig zu öffnen, um mündig zu werden. Im heutigen Zeitalter der narzißtischen Störungen wird die Unfähigkeit, wirklich von sich zu sprechen, zu einem Hauptsymptom – auch im Liebesbett. Über etwas zu sprechen fällt dagegen doppelt leicht: Man vermeidet sich selbst auf geschickte Weise. Obwohl sie nicht schweigen, sind sie stumm. So kann damit schon Werbung betrieben werden: «Kommunikation ist die Kunst, aneinander vorbeizureden und sich dabei bestens zu verstehen», stand in einer Anzeige des Kommunikationsmarktes Frankfurt.

Die Sprachverarmung der Kindheit ist jedoch noch komplexer bedingt: Nach der vaterlosen Gesellschaft bewegen wir uns – unter anderem im Zuge der dringend notwendigen Emanzipation der Frauen – auf eine elternlose Gesellschaft zu. Vater und Mutter realisieren sich im Beruf. Ihre Abwesenheit trägt zur Sprachverarmung bei. Die Entwicklung zur Einzelkindnation führt zu Geschwistermangel und läßt diesen unerschöpflichen Brunnen des Austausches versiegen. Freunde können diesen Verlust nicht gänzlich aufwiegen.

Die dritte starke Wurzel der Sprachverödung dürfte durch Massenmedien bedingt sein. Alexander Mitscherlich formulierte: Das Fernsehen lenkt zu Hause von zu Hause ab. Als Soziologen die Einwohner der abgelegenen Galapagosinseln nach Einführung des Fernsehens befragten, was sich im Alltagsleben dadurch geändert habe, erhielten sie die lapidare Antwort: «Wir sprechen jetzt kaum noch miteinander.» Die Paare in den Paargruppen werden sich bald bewußt, daß sie durch alle Formen der Massenmedien (Fernsehen, Rundfunk, Zeitschriften, Zeitungen, seltener Bücher, heute mehr und mehr Personal-Computer) ihre Gespräche verlieren. Sie brauchen sich nur den durchschnittlichen täglichen Massenmedienkonsum eines durchschnittlichen Deutschen vor Augen zu fuhren und mit der durchschnittlichen Zeit für wechselseitige Gespräche eines Paares zu vergleichen, um mit einem Schlag das Mißverhältnis zu erkennen: 5,5 Stunden Massenmedienkonsum pro Tag, das sind 330 Minuten mit steigender Tendenz, gegenüber 4 Minuten täglichen Austausches, dessen Qualität wohl nicht hoch eingeschätzt werden sollte. Aber auch hier liegen die Verhältnisse komplexer: Massenmedien sind bislang Einbahnstraßen. Sie schließen einen Dialog aus, sie trainieren unbewußt den Nichtdialog. Von Ausnahmen abgesehen bietet das Gros der Sendungen einen Sprachsalat, dessen Vorbildcharakter gegen Null geht. «Man hat sich nichts zu sagen. Das darf man nicht sagen. Darum muß man ständig etwas sagen, um nicht sagen zu müssen, daß man sich nichts zu sagen weiß.»

Ferner sehen

«Ich sehe fern, also bin ich»

Klaus Staeck

Überraschenderweise bringt also auch schon unter diesem Aspekt die sogenannte Freizeit keine Belebung der Gesprächskultur. Im Gegenteil: Sie trägt selbst als viertes Moment zur Sprachverödung bei, weil sie im wesentlichen eine Art solitärer Emanzipation darstellt. Freizeitforscher fordern eine partnerschaftliche und familiengerechte, also kommunikationsfördernde Kultur für die arbeitsfreie Zeit. «Freizeit entwickelt sich zunehmend zur Konsumzeit mit steigender Neigung zu Impuls- und Schnellkäufen.» – «Die Unfähigkeit, mit sich und dem arbeitsfreien Teil des Lebens umgehen zu können, wird zu einem der Hauptprobleme des nächsten Jahrzehnts.» Wo die Freizeit für die Selbstverwirklichung genutzt wird, entsteht ein kurioser Konflikt: Beide Partner eilen meist getrennt in ihre Workshops und Seminare – und verlieren sich und ihre Gespräche aus den Augen.

Sex-Generation

«Teenager, die durchschnittlich fünf Stunden pro Tag vor dem Fernseher sitzen, ermittelte das Center for Population Options, sehen pro Jahr rund 14000 Geschlechtsakte, von denen kaum einer länger als wenige Sekunden dauert.»

Absagendes Reden

«Fast wieder ins Reden verfallen,/ jenes Reden, das Liebe nicht einlädt zur Liebe,/ sondern absagt …

Judith Herzberg

Die Sprachverarmung hat viele Gesichter. Sie kann, wie angedeutet, auch zum Vielreden, ohne etwas zu sagen, fuhren. Ein Mann erklärte in der Paarsprechstunde: «Wissen Sie, ich gelte als begabter Unterhalter, als Salonlöwe. Ich kann leicht eine ganze Party in Schwung bringen. Über etwas zu reden fällt mir leicht. Wenn ich aber von mir persönlich sprechen soll, schnürt sich mir die Kehle zu.» Die meisten Menschen können ganz gut reden, wenn es um Regelungen des Urlaubs, des Einkaufs, des Haushalts, der Kinderbelange geht. Dieses gleichsam verwaltende, technische Reden, in dem Empfindungen, persönliches Erleben und innere Wertungen kaum auftauchen, organisiert den Alltag, die Privatbürokratie. Ganz schwierig wird es aber, wenn wir wesentlich, persönlich, gefühlsnah über unser inneres Erleben sprechen sollen. Und das reicht direkt in die intimen Bezirke unserer Existenz. Wenn wir es schon im wesentlichen Gespräch nicht vermögen und auch nicht lernen, wie sollen wir es dann in der unmittelbarsten Begegnung, beim Liebemachen, können? Auch hier ist die Gefahr, daß wir Anleitungen – zum «dirty talking» beispielsweise – wie Konfektionsware übernehmen und als fertige Versatzstücke in unsere stumme Seele einbauen. Wir mögen Englisch, Französisch, Spanisch beherrschen–Erotischaber bleibt eine uns unbekannte Fremdsprache. Es geht nicht um besonders spektakuläre Tabuworte – wie viele denken –, es geht genau um das Wort, das in einem oft flüchtigen Moment jene intensive erotische Bedeutung gewinnt, die sozusagen alles enthält.

Gabriela – seit vielen Jahren zwiegesprächserfahren und kundig geworden im wesentlichen Reden – bemerkte in der Paargruppe: «Inzwischen kann ich nach vielem Erproben auch beim Liebemachen ganz gut sprechen. Ich brauche mich nicht mehr besonders zu überwinden wie früher, als immer Berge vor mir standen und ich mich in den Schutz des Schweigens verkroch. Aber neulich hatte ich doch einen mächtigen Block. Ein harmloses Wort, das für mich in diesem Augenblick alles bedeutete, brachte ich nicht über die Lippen. Ich konnte beim Vögeln frei sprechen, nur auf diesem Wort lasteten Grabplatten.»

Bernd und Bettina erlebten trotz ihrer großen wechselseitigen Offenheit in Zwiegesprächen verblüfft, daß sich jeder über seine «intimste Stelle» – wie sie formulierten – nicht zu sprechen traute. Als es dann doch geschah, staunten sie, daß unabhängig voneinander jeder dieselbe meinte: jene handtellergroße Fläche zwischen linker Schulter und Brust, in die man seinen Kopf schmiegen konnte. Aus einem bestimmten seelischen Grund war dieses Gebiet des zärtlichen Anvertrauens sehnsuchtserfüllt, zerbrechlich, gefährdet und mit einem Bangen belegt, das keine Öffnung ins Wort erlaubte. Es ist klar, daß darin eine Dimension ihrer gesamten Liebesbeziehung eingefangen ist, die ihnen – tatkräftig und erfolgreich im Berufsleben stehend – Schwierigkeiten macht. «Das, was man altmodisch Innigkeit nennt», meinte Bettina, «es paßt überhaupt nicht in meine tägliche Arbeitswirklichkeit.»

Selbstentwicklung

«Man entwickelt sich mit seiner Sprache, mit dem, was man gern sagen würde. Denn auch die, die nur vor sich hin sprechen können, möchten etwas gesagt haben.»

Elazar Benyoetz

So haben die schweigenden Berge im Bett ihre Vorgebirge im täglichen Leben. «Ich bin ein Mann, der gut allein sein kann, aber jemanden um sich haben muß», erklärte ein Partner, dessen Frau es mit dem Schweiger nicht mehr aushalten konnte. Sie brachte ihn nur deswegen zu mir. Die Frau eines anderen Paares zog mächtigere Konsequenzen und erklärte im Erstgespräch ihrem Mann plötzlich: «Ich kann gut mit dir zurechtkommen, wenn nur deine Person nicht wäre.»

Höllische Stille

«Was für eine Stille, wenn du da bist. Was für eine/ höllische Stille. Du sitzt, und ich sitze./ Du verlierst, und ich verliere.

Janos Pilinsky

Es ist kein Zufall, daß in diesen Zitaten aus der Paarpraxis die Frauen an den stummen Männern leiden. Männer sind von Anfang an stärker funktionalisiert, auf Sachleistungen hin entworfen. Vieles spricht, wie gesagt, dafür, daß dieses Schicksal den stärker ins Berufsleben integrierten, den emanzipierten Frauen ebenfalls nicht erspart bleiben wird. Zur Zeit aber überwiegt noch ihre größere Offenheit Gefühlen, Gesprächen und Beziehungen gegenüber. Sie sind unzufriedener mit ihren Männern als die Partner mit ihnen, weil sie die Problematik eher empfinden, das Eintrocknen der Beziehung deutlicher spüren und ihre Wünsche nach einem lebendigeren Leben wacher halten. Sie bringen ihre kaum noch bessere Hälfte in die Paarberatung, selten ist es umgekehrt. Die Verwirtschaftung der Frauen, die nun den Männern auf dem Fuße folgen, wird Zeit brauchen. Das dürfte der Liebesqualität im Lande noch zugute kommen – so schmal der Zustrom auch sein mag. Die Gleichstellung der Frau wird beim heutigen Entwicklungstempo erst im Jahre 2230 erreicht sein, ermittelte und debattierte der Düsseldorfer Landtag. Das gesteigerte Selbstwertgefühl der Frauen durch Gleichrangigkeit im Arbeitsbereich müßte die Liebesfähigkeit beflügeln, doch zeigt sich, daß sich aufgrund des Berufsmilieus ihre Verschlossenheit der Wortkargheit der Männer angleicht und auf diese Weise die erotische Unmündigkeit des Paares eher zunehmen dürfte.

Ungenaues Sprechen «So wenig man bemüht ist, genau zu sprechen, so wenig wünscht man sich auch, genau verstanden zu sein.»

Elazar Benyoëtz

4.Das kleine und das größere Glück

Jeder Mensch hat ein Konzept der Liebe

 

Ob es ihm bewußt ist oder nicht: Jede und jeder haben ein persönliches Glückskonzept. Ich unterscheide zwischen dem kleinen und dem großen Glück der Liebe.

Mit dem kleinen Glück versuchen wir uns so lange zu arrangieren, bis es auffliegt. Es gründet auf wechselseitigem Mißverstehen: «Sie leben gerade so viel zusammen, daß sie sich nicht kennenlernen können», wäre die treffende Diagnose. Plötzlich drängt sich einem der Verdacht auf, daß die Sprachlosigkeit der Partnerschaften etwas mit der Scheu zu tun haben könnte, den anderen wirklich wahrzunehmen. Warum? Bleibt der andere unklar, haben wir ihn als unsere Projektionsfläche bewahrt. Was gewinnen wir dadurch? Eine Entlastung von eigener Angst. Denn die Projektion wie auch andere unbemerkte Verwandlungen des Partners sind ein unbewußter Abwehrvorgang, der uns in der Regel von unangenehmen Selbstaspekten befreit. Wir wollen uns gern von uns selbst entsorgen. In der Partnerwahl geschieht das auf beiden Seiten – nach dem Motto, doppelt genäht hält besser. So kann man eine Paarbeziehung als bipersonale Abwehrformation betrachten. Angstdosierung ist ein Geheimnis jeder Partnerwahl. Das Senken der unangemessenen Abwehrdimension einer Beziehung macht das Ziel der Paartherapie, aber auch der Zwiegespräche aus.

Das kleine Glück führt zu einem eigenartig blinden Zusammenbleiben – treffend wiedergegeben in den Worten des Lyrikers Franz Hodjak:

und weil wir uns nicht kennen,

gibt es nichts,

was uns trennt.

Wenn auf diese leicht makabre Weise alles gutgeht, entsteht im konkreten Alltag des Paares das erwähnte reibungslose Nebeneinander statt eines lebendigen Miteinanders. Diese «Beziehungslosigkeit in der Beziehung» ist wesentlich ernster zu nehmen als die nach oben schnellende Rate der Scheidungen, unter denen es immerhin auch dringend gebotene, schöpferische Trennungen gibt. Die mit der Beziehung ummäntelte Selbstisolation macht den Kern der heutigen Partnerschaften aus. Sie wird von den Partnern nicht bemerkt, weil sie unbewußt auch erwünscht ist. Viele Paare, die Zwiegespräche lernen, stellen erst bei einem fließenden wesentlichen Austausch erschrocken fest, wie trostlos ihre Lage zuvor gewesen ist. Sie waren eher Doppel-Singles denn eine Zweierbeziehung. Andererseits wird nun auch verständlich, daß die aufdeckende Wirkung der Zwiegespräche nicht jedermanns Geschmack sein kann. Aus ihrer Potenz zur seelischen Aufklärung resultiert bei jedem ein unbewußt aufkommender Vorbehalt, ein Widerstand, wie er in der Psychoanalyse gut bekannt ist. Und das, obwohl unter ihrem breiten Panorama vielfältiger positiver Wirkungen – beginnend mit Reden- und Zuhörenlernen – die erotische Belebung so erfrischend deutlich ist. So stellt sich die Frage, warum das kleine Glück nicht solide bestehen bleiben kann, wieso es denn nicht langen soll. Die Antwort ist simpel: Es gelingt nicht viel, wenn beide das Geschehen fortwährend falsch wahrnehmen.

Selbstintegrierende Liebe

«Die einzige Kraft, die dich zusammenhält, ist deine Liebe zu Henry, und darum liebst du ihn. Er tut dir weh, aber er hält deinen Leib und deine Seele zusammen. Er integriert dich. Er geißelt und peitscht dich in eine sporadische Ganzheit. Ich habe Hugo.»

Anaïs Nin

Das große Glück – oder sagen wir bescheidener: das größere Glück – ist nämlich ebenfalls in jeder und jedem als Kraft und Ziel wirksam. Nehmen Sie an, es käme jemand an Ihre Haustür, einer der sonst lästigen Versicherungsvertreter, und angenommen, es wäre diesmal der liebe Gott mit einem attraktiven Angebot. Er sichert Ihnen eine Police zu, durch die zeit Ihres Lebens alles Unglück halbiert und alles Glück verdoppelt wird. Wer würde da nicht zugreifen? Genau das ist aber das Grundgesetz der Beziehung nach dem hausbacken anmutenden, doch sehr realistischen Satz: «Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.» Meines Erachtens ist diese fundamentale Wirkung der Beziehung immer noch der entscheidende Grund, weshalb sich Paare auch in einer Zeit wie heute zusammenfinden, in der für langfristige Bindungen fast nur noch Behinderungen auszumachen sind.

Als Ideal der Partnerschaft gab Alexander beispielsweise an – wie viele mit ihm –, sie wollten sich wechselseitig miterleben und dadurch das eigene Leben vielfältiger erfahren. Das kommt einer Selbsterweiterung gleich. Angela nannte ein drittes Konzept des größeren Glücks: «Ich glaube, mich mit ihm besser verwirklichen zu können als allein.» In der Psychoanalyse wird die «longitudinale Kompensation» hervorgehoben: «Wir wollen uns jene Mutterbeziehung erschaffen, die wir in der Kindheit vermißten.» Im Zeitalter der narzißtischen Störungen gewinnt diese Dimension an Bedeutung, macht das Paarleben gleichsam zu einer therapeutischen Institution mit dem Nachteil, daß es in keiner Weise auf diese Aufgabe vorbereitet ist.

Denn so schön diese Glückskonzepte sind – wie sind sie umzusetzen?

Es gibt wissenschaftlich gut gesicherte Glücksbedingungen der Beziehung. Erforscht man beispielsweise Paare, die sich miteinander glücklich schätzen, im Vergleich zu jenen, die sich unglücklich fühlen, und versucht zu ermitteln, was ihr so unterschiedliches Befinden bedingt, dann ergibt sich ein klarer Befund: Glückliche Paare haben einen reichen Austausch miteinander, unglückliche nicht. Und auch die Gegenprobe zeigt es. Ein Paar, das viel miteinander spricht, wird glücklich, ein spracharmes nicht. Wer diese Zusammenhänge ernst nimmt, kann also wirklich seines Paarglückes Schmied werden, sofern nicht die grundlegende «Kombination zweier Lebensgeschichten», wie ich die Beziehung am liebsten definiere, geheime Unvereinbarkeiten birgt. Und das gilt nicht nur für die Harmonie des Alltags, für die Entwicklungsintensität und die erwähnte zentrale Eigenschaft eines genügend guten Paares, die Konfliktfähigkeit, für die allgemeine Lebendigkeit und Farbigkeit des Erlebens, sondern vor allem auch für ihr erotisches Glück. Alltag und Bett sind nicht zu trennen.

Angela und Alexander erlernten, wie gesagt, Zwiegespräche – zunächst autodidaktisch nach dem Buch, dann aber auch in einem Zwiegesprächsseminar. Dort führe ich in die den meisten unbekannten Zusammenhänge ein zwischen Alltagsorganisation, eigener Kindheit, Paardynamik und unvermeidlicher Prägung durch die beschleunigte Veränderung der Gesellschaft. Ein israelischer Dichter, Elazar Benyoëtz, hat mit seinen feinfühligen Zeilen Angela besonders berührt: «Wir erkennen das uns Nötigende eher als das uns Nötige.» Alexander meinte im Seminar, darin verfange sich das ganze Dilemma der Erledigungsbindung – und schnell wurde deutlich, daß es den meisten so geht, auch wenn sie nicht die Last eines bedrohten Geschäftes zu bewältigen haben. Fast alle sehen die Beziehung sinken, haben aber ununterbrochen scheinbar dringenderen Angelegenheiten nachzugehen. So beginnt der Einsatz für die Liebe mit dem schlichten Entschluß, für Zwiegespräche Zeit bereitzustellen, um dann – gestärkt durch ein stabileres Selbstbewußtsein als erste Wirkung dieser selbstreflexiven Entwicklung – auch den Mut zu finden, der Erotik genügend Entfaltungsraum zu geben. Sehr oft mündet dieser Werdegang in eine Umgestaltung des täglichen Lebens zugunsten der erotischen Lebendigkeit. Alexander: «Es gehörte viel Kraft dazu, uns gegen den Berufsdruck endlich einmal für uns selbst Zeit zu nehmen – erst sprachen wir, und dann lernten wir uns wieder lieben.»

«Brachlieben» – dieses Wort von Benyoëtz trifft den Kern des heutigen Beziehungsdilemmas. Vielleicht zeigt ein alter Bericht daraus einen Ausweg. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einer Geschichte, die von einem König berichtet, der nicht heiraten wollte. Er traf und liebte eine Prinzessin, die sich ebenfalls zu binden scheute. Bevor er sie nach ihren Gründen fragte, kam er selbst auf diese Begebenheit.

5.«Zwei Dinge sind nötig»

Worte der Liebe von Salomon und Bilqis