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Der Titel ist fiktiv und orientiert sich an dem irischen Ort Glendalough.
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Seitenzahl: 108
Veröffentlichungsjahr: 2017
Der Regenschauer ließ nach. Nur noch wenige einzelne Tropfen verliefen sich auf ihrem Weg zur Erde und fielen in das saftig grüne Gras. Anders als gewohnt, war an diesem generell verregneten Tag der Boden der Insel leuchtender als der Himmel. Die verschiedenen Grautöne der Wolken, welche der Sonne nicht einmal die Chance boten, auf die Erde zu schauen, ließen die Landschaft ebenso grau und trüb erscheinen. Die hohen Felsen und Berge wie auch die Blätter der unzähligen Bäume waren von einem matten Dunkel und wirkten nicht sonderlich einladend. Das Gras jedoch war saftig und hell, grün strahlend.
Gareths Stiefel sammelten mit jedem Schritt, den er machte, neue Regentropfen aus dem Gras auf, er trug sie kurz durch die Luft und setzte sie bei seinem nächsten Schritt auf einem anderen Grashalm ab. Gareth wusste, dass die Sonne bald untergehen würde, auch wenn er sie nicht sah, daher beschloss er, sein Nachtlager hier am Waldrand, im Schutze der Bäume, aufzuschlagen. Er machte ein winziges Feuer aus den letzten trockenen Ästen und spannte eine lederne Decke zwischen zwei Eiben auf. Er stellte seine Tasche ab und legte sich der Länge nach auf seinem Gepäckstück nieder. Es sah nicht nur unbequem aus, es war unbequem. Doch Gareth konnte es sich nicht leisten, auf dem nasskalten Boden seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Mit dem Blick gen Osten beobachtete er, wie die Wolken immer dunkler wurden. Bis sich auch sein Bewusstsein verdunkelte und er in einen tiefen Schlaf fiel.
Das Nächste, was er wahrnahm, war das Knacken von dünnen Ästen. Gareth richtete sich wachsam auf und ließ seinen Blick durch das Dunkel des Waldes schweifen. An den unrhythmischen und vor allem leichtfüßig wirkenden Geräuschen erkannte er schnell, dass es sich um ein Tier handelte. Der Lautstärke und Entfernung zur Folge, betrug das Gewicht des Tiers etwa fünf Kilogramm, wahrscheinlich ein Fuchs. Selbst jetzt, in der Dunkelheit der Nacht, erschien der Himmel noch grau statt schwarz. Gareth konnte sehen, wie die Äste der Bäume vor dem Grau des Himmels, im Wind hin und her schwangen und wie Arme entstellter Ungeheuer nach ihm zu greifen schienen. Ein Käuzchen schrie auf und Gareth zuckte zusammen. Sein Blick wanderte über die Felder hinter dem Waldesrand und er erkannte weit in der Ferne ein einzelnes, unscheinbares Licht. Eine Siedlung, ein Einsiedler oder ein Feuer von Reisenden? Er fand keine Antwort auf seine Fragen.
Einzelne Tropfen begannen auf sein Lederdach zu schlagen und vermehrten sich rasch. Er behielt das Licht weiterhin im Auge, während er wieder auf seine Tasche niedersank. Das regelmäßige Rasseln der Tropfen ließ ihn schnell wieder ermüden und er versank erneut in Schlaf.
Verwirrende und bizarre Bilder zuckten in seinem Kopf. Er spürte Wasser über die Reling eines schwer schwankenden Schiffes in sein Gesicht spritzen. Leblose Körper lagen nebeneinander auf rauen splittrigen Holztischen, sie hatten keine Gesichter, und da war ein Wesen: Ein Monster mit einem menschlichen Körper, doch es bewegte sich wie ein Tier und es hatte zwei Gesichter. Eines menschlich, doch Gareth erkannte es nicht. Er erkannte nur verschwommene Züge. Auf der Rückseite des kahlen Schädels, fand sich ein zweites. Höhnisch grinsend, mit einem Mund von der linken Schläfe bis zur rechten, bestückt mit fingerlangen und gelb blitzenden, spitzen Zähnen. Die Augen aufgerissen und gezeichnet vom Wahnsinn. Sabbernd und Fratzen ziehend hüpfte es auf und ab wie ein Harlekin und schrie, als wäre es direkt der Hölle entflohen. Es riss den Kopf herum, starrte ihn an und sprang aus nächster Nähe Zähne fletschend auf ihn zu.
Gareth erwachte.
Die Sonne musste eben erst aufgegangen sein. Es war feucht, kleinste Wasserpartikel schwebten spürbar durch die kalte Morgenluft und bildeten vor dem Waldrand eine immer dichter werdende Wand aus Nebelschwaden.
Gareth packte seine Habseligkeiten zusammen und machte sich mit knurrendem Magen auf in die Wand aus undurchdringlichem Weiß.
Die Zeit verflog kaum merklich. Er wusste nicht, wie lange er nun schon durch den Nebel wanderte. Es konnte eine halbe Stunde sein, oder bereits zwei. Durch den Sichtkreis von etwa vier Metern, der ihn stetig umhüllte, drang nichts anderes als grüne Halme mit unzähligen Tautropfen. Doch die Nebeldecke über ihm wurde allmählich heller. Plötzlich kam etwas Dunkles auf ihn zu.
Gareth erschrak und stoppte augenblicklich.
Doch die Silhouette bewegte sich ebenfalls nicht mehr, wie angewurzelt stand sie im Nebel.
Gareth machte leise zwei Schritte auf den Fremden zu und bemerkte, dass die Bewegung des Fremden seine Bewegungen waren. Mit jedem Schritt, den Gareth auf ihn zu trat, kam auch der Unbekannte näher, aber nur, weil Gareth seinen Sichtradius mit sich zog. Er tastete sich weiter und unmittelbar vor ihm stellte er fest, dass der Fremde wirklich angewurzelt war. Es war ein Baum, genauer gesagt eine Esche, die mit einer Vielzahl weiterer Bäume hinter sich einen neuen Waldrand bildete.
»Der nächste Wald?«, fragte sich Gareth verblüfft.
Am gestrigen Abend hatte er die Entfernung zwischen seinem Nachtlager und dem nächsten Waldstück auf sechs Meilen geschätzt. War er schon so lange unterwegs oder hatte er sich im Nebel verirrt? Es hatte keinen Sinn darüber nachzugrübeln, entschlossen setzte er seinen Weg fort und betrat den moosigen Boden.
Er war wieder einige Zeit unterwegs gewesen, bis das Bellen von Hunden zwischen den hohen Bäumen die Stille zerriss. Sie kamen rasch näher, die Laute waren in einer mittleren Tonlage, laut, vor allem aber aggressiv.
»Bluthunde«, stellte Gareth besorgt fest und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Schnell stand fest, es gab keine! Er hatte keinerlei Orientierung, war schwer bepackt und die Hunde kamen definitiv schneller voran als er. Gareth lehnte sich gegen eine massive Eiche, um durchzuatmen und einen klaren Gedanken zu fassen. Für Hektik war keine Zeit, im Gegenteil, eine Kurzschlussreaktion würde ihn viel mehr Zeit kosten, unter Umständen sogar das Leben. Gareth ließ sein Gepäck zu Boden fallen und begann, sich in die Rinde der Eiche zu krallen. Stück für Stück zog er sich mühsam an dem alten Baum hoch. Es kostete ihn Unmengen an Kraft, zu dem ersten dicken Ast zu gelangen, an dem er sich festhalten konnte. In der Baumkrone angekommen, lauschte er in den Nebel hinein und stellte fest, dass die Hunde verstummt waren. Ganz unvermittelt herrschte plötzlich eine unheimliche Stille. Keine Hunde mehr, doch auch keine Vögel, kein Knacken von Ästen, nicht einmal der Wind rauschte leise durch die Blätter. Gareth überkam, neben einem unguten Gefühl, eine tiefe Angst und Kälte. Sie erfüllte sein Inneres wie Gift und er wäre dankbar gewesen, auch nur das leiseste Geräusch zu hören, selbst wenn es die Hunde wären.
Seine Gebete wurden erhört. Das Bellen hallte erneut durch den Wald, deutlich näher. Es dauerte nicht mehr lange bis Äste unter schweren Schritten brachen und das Schnüffeln der Hunde zu hören war. Sie mussten direkt unter ihm sein.
»Hallo? Ist dort jemand?«, klang eine Männerstimme von unten zu ihm hoch.
Gareth schätze die Person von ihrer Stimme her auf Mitte dreißig bis vierzig. Sollte er antworten, er war sich nicht sicher …
»Ich habe Ihr Gepäck gefunden. Kommen Sie heraus«, erklang die Stimme ein weiteres Mal.
»Ich bin hier oben«, beschloss Gareth zu antworten.
»Wer seid Ihr?«
»Mein Name ist Gareth Gwyn. Ich bin auf der Durchreise.«
»Warum seid Ihr dort oben?«
»Ich habe die Hunde gehört und fürchtete um mein Leben.«
»Sie können herunterkommen. Die Hunde sind abgerichtet und angeleint.«
Unter Knarren und Knacken kletterte Gareth vorsichtig den Baum hinab und landete mit beiden Füßen hart auf dem vom Laub bedeckten Boden. Der Fremde war gerade noch in seinem Sichtradius und trat nun mit erhobenem Gewehr auf ihn zu.
»Was macht Ihr denn?«, fragte Gareth erschrocken, wich zurück und stieß gegen die Eiche.
»Eine Vorsichtsmaßnahme«, antwortete der stämmige Herr, »wie war noch der Name?«
»Gareth Gwyn.«
»Ihr sagtet, Ihr seid auf der Durchreise?«
»Richtig«, bestätigte Gareth, »mein Gepäck habt Ihr ja bereits gesehen.« Gareth setzte einen Schritt zur Seite, um sein Gepäck zu suchen, doch der Fremde hielt ihn zurück.
»Stehen bleiben!«, befahl er und Gareth gehorchte. Der Mann bewegte sich langsam um ihn herum, die Waffe weiterhin auf ihn gerichtet und die Hunde an der Leine seiner linken Hand, die das Gewehr stützte. Er sah die große Tasche an dem Baumstumpf liegen und zog seine Augen zu einem schmalen Spalt zusammen.
»Was ist da drin«, fragte er misstrauisch.
»Das ist mein Reisegepäck, es sind nur Kleider, Geld, ein Buch und diverse Karten«, antworte Gareth. »Verratet Ihr mir was dieses Theater soll, was wollt Ihr von mir?«
»Wisst ihr überhaupt, wo Ihr seid?«, fragte der Fremde.
»Nicht genau, ich wollte nach Westen, an die Küste. Aber ich scheine mich im Nebel verirrt zu haben.«
»An die Küste?«, der Mann lachte aus vollem Bauch, »da seit Ihr hier falsch. Hier hinter dem Wald liegt Dunroe, mein Heimatdorf.«
»Den Namen habe ich noch nie gehört.«
»Das glaube ich, wir sind auch nicht sonderlich interessiert an Besuchern.«
»Das dachte ich mir schon«, antwortete Gareth mit hörbarer Ironie in der Stimme und blickte auf die Gewehrmündung vor seiner Nase.
Der Fremde überlegte kurz, dann senkte er das Gewehr etwas, richtete es jedoch nicht völlig zu Boden.
»Verratet Ihr mir nun, warum Ihr mich auf diese Weise begrüßt?«, fragte Gareth.
Der Fremde zögerte sichtlich, »in letzter Zeit wurden mehrere Menschen in der Nähe des Dorfes gerissen.«
»Was meint Ihr mit … gerissen?«, Gareth zeigte sich etwas verstört.
»Wir fanden Leichen, Dorfbewohner und auch Fremde. Schrecklich entstellt, wahrlich zerrissen, in Stücke.«
Gareth grauste es augenblicklich. Er sah in den alles umhüllenden Nebel und konnte sich nicht gegen den Gedanken erwehren, dass die Bestie just in diesem Moment, nur wenige Schritte von ihnen entfernt, im Schutze des Nebels lauerte, um sich auf sie zu stürzen.
»Wer oder was hat sie getötet?«, fragte er vorsichtig nach.
»Wer oder was auch immer, es hat letzte Nacht meinen Bruder Patrick getötet. Ich werde es finden und zur Strecke bringen.«
Gareth wurde auf Grund der Situation sichtlich unruhiger. Sein Gegenüber deutete dies jedoch fehl und erhob wieder sein Gewehr. »Würdet Ihr für mich Eure Tasche öffnen?«
Gareth nickte bloß und folgte gehorsam der Bitte. Er zeigte seine Habseligkeiten und daraufhin senkte der Fremde endgültig seine Waffe.
»Ihr müsst verzeihen, aber so lange wir nicht wissen, was durch diese Wälder streift und eine Spur des Todes hinterlässt, sind wir doch sehr vorsichtig, was Fremde betrifft.« Er beugte sich nieder und klopfte den Hunden sanft auf ihren Rücken. Sie verhielten sich die gesamte Zeit über völlig ruhig und bewegten sich keinen Inch.
»Mein Name ist Shawn O' Sullivan«, stellte sich der Fremde vor.
»Sehr erfreut«, antwortete Gareth und schüttelte Shawn die Hand.
»Unser Dorf, Dunroe, liegt etwa drei Meilen von hier, Ihr solltet einige Tage bei uns bleiben. Zumindest so lange, bis ich diesen Mörder aufgespürt habe. Es ist zu gefährlich, jetzt durch diese Wälder zu streifen.«
»Was ist mit Euch O' Sullivan, geht Ihr nicht mit mir zusammen zurück ins Dorf? Ich könnte jemand brauchen, der mir den Weg zeigt.«
»Ihr werdet den Weg ganz sicher finden. Das Dorf liegt im Tal zwischen den Glenlough Bergen. So lange ihr nicht bergauf lauft, könnt Ihr es nicht verfehlen.« Wieder klopfte er den Hunden über den Rücken. »Wir drei kehren erst zurück, wenn es dunkel wird.«
»Dann hoffe ich, Euch heute Abend im Dorf zu sehen.«
»Trefft mich in der Taverne, nach Sonnenuntergang«, er klopfte Gareth auf die Schulter, »viel Glück mein Freund«, dann verschwand Shawn in der dichten Nebelbank hinter Gareth und ließ ihn mutterseelenallein.
Gareth nahm sein Gepäck wieder auf, versuchte sich grob zu orientieren und stapfte in das Weiß vor seinen Augen. Etwas verängstigt hing er seinen Gedanken nach, welch ein Wesen sich in den Wäldern der Umgebung herumtreiben mochte.
Er schreckte aus den Tiefen seines Geistes hoch, denn ein Rabe, irgendwo über ihm, verborgen im Nebel, schrie lauthals spottend zu ihm herab. Gareth zuckte zusammen und machte einen Schritt zur Seite. Sein Fuß glitt ins Leere und sackte ab. Mit Schrecken musste er feststellen, dass er mit seinem rechten Fuß im Moor steckte. Mühsam befreite er sich aus dem alles verschlingenden Schlamm, indem er seinen gesamten Körper auf den noch festen Boden legte und sich nach vorn zog. Schniefend kam er wieder auf die Beine und sein kondensierender Atem vermischte sich sofort mit dem Nebel um ihn herum. Achtsam und vorsichtig setzte er eilig seinen Weg fort und kam nach einer geschlagenen Stunde an eine Lichtung. Hier wurden nicht nur die Bäume, sondern auch der Nebel lichter und Gareth erkannte die Umrisse zweier einfacher grauer Häuser.
Gareth trat aus den Bäumen hervor und überquerte den schmalen Grünstreifen zum Dorf. Mit jedem Schritt erkannte er hinter den ersten beiden Häusern weitere Gebäude. Jedes glich dem vorherigen, wie ein Ei dem anderen. Die Gebäude waren aus grauen Steinen errichtet, die Ziegel der Dächer waren von Ruß geschwärzt. Die einzige Farbe bekamen sie dank des saftigen Efeus, welcher vom Boden hinauf bis zum Schornstein rankte. Aus vereinzelten drang dunkler Rauch hinauf in den weißen Nebel. Auf der ungepflasterten Straße war keine Menschenseele zu sehen und die winzigen Häuser wirkten wie verlassen. Doch das Klirren eines Hammers, der auf Metall prallte, wurde vom leichten Wind durch die Luft getragen und drang an Gareths Ohr.
Gareth machte die ersten Schritte auf die schlammige Straße und schritt zwischen den Häusern entlang auf das Klirren zu. Dunroe, welches im Tal zwischen den Glenlough Bergen lag, bestand nur aus dieser einen Straße. Alle Gebäude zogen daran entlang.
Gareth blickte sich um, die verschiedensten verdreckten Schilder schmückten die grauen Gebäude. Eine Wolfshaut, gespannt über ein Holzgestell, stand vor einer Tür, über welcher - kaum noch lesbar - ›Gerberei Gwen‹, geschrieben stand. Hinter den verschmutzten kleinen Fenstern war kein Licht zu erkennen. Das Dorf lag wie ausgestorben.