Die Weber. Schauspiel aus den vierziger Jahren - Gerhart Hauptmann - E-Book

Die Weber. Schauspiel aus den vierziger Jahren E-Book

Gerhart Hauptmann

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Beschreibung

Der schlesische Weberaufstand von 1844 auf der Bühne. Der Protagonist: kein Individuum, sondern eine Gruppe gleichförmiger Elendsgestalten – die Weber. Hauptmann betrat damit 1892 ästhetisches Neuland. Klassenlektüre und Textarbeit einfach gemacht: Die Reihe »Reclam XL – Text und Kontext« erfüllt alle Anforderungen an Schullektüre und Bedürfnisse des Deutschunterrichts: * Schwierige Wörter werden am Fuß jeder Seite erklärt, ausführlichere Wort- und Sacherläuterungen stehen im Anhang. * Ein Materialienteil mit Text- und Bilddokumenten erleichtert die Einordnung und Deutung des Werkes im Unterricht. * Natürlich passen auch weiterhin alle Lektüreschlüssel, Erläuterungsbände und Interpretationen dazu! E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 190

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Gerhart Hauptmann

Die Weber

Schauspiel aus den vierziger Jahren

Herausgegeben von Martin Neubauer

Reclam

2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2018
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961378-9

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019406-5

www.reclam.de

Inhalt

Die WeberErster AktZweiter AktDritter AktVierter AktFünfter AktAnhang1. Zur Textgestalt2. Anmerkungen3. Leben und Zeit4. Der Weberaufstand von 18444.1 Alexander Schneer: Über die Not der Leinen-Arbeiter in Schlesien (1844)4.2 Aachener Zeitung (1844)4.3 Anonyme Karikatur: Das Elend in Schlesien (1848)4.4 Christina von Hodenberg: Aufstand der Weber (1997)5. Die Lage der Weber in der Literatur des 19. Jahrhunderts5.1 Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre (1829)5.2 Heinrich Heine: Die schlesischen Weber (1844 / 47)6. Entstehungsgeschichte der Weber6.1 Julius Grunzig: »Bei Gerhart Hauptmann« (1894)6.2 Gerhart Hauptmann: Das Abenteuer meiner Jugend (1937)6.3 Gerhart Hauptmann: Zweites Vierteljahrhundert (1938)7. Aufführungsgeschichte und zeitgenössische Rezeption der Weber7.1 Erstes Aufführungsverbot: Deutsches Theater (1892)7.2 Anonym: »Der Kaiser und das Deutsche Theater« (1894)7.3 Theodor Fontane: »Hauptmann. Die Weber« (1894)7.4 Käthe Kollwitz: Weberzug (1897)7.5 Hermann Bahr: »Deutsches Theater. Gastspiel im Carl-Theater. Erste Vorstellung: ›Die Weber‹ von Gerhart Hauptmann« (1904)8. Aspekte der Interpretation8.1 Peter Szondi: Theorie des modernen Dramas (1963)8.2 Bernhard Tempel: Alkohol und Eugenik (2010)Hinweise zur E-Book-Ausgabe

[5]Die Weber

Schauspiel aus den vierziger Jahren

[6]Meinem Vater Robert Hauptmann widme ich dieses Drama

 

Wenn ich Dir, lieber Vater, dieses Drama zuschreibe, so geschieht es aus Gefühlen heraus, die Du kennst und die an dieser Stelle zu zerlegen keine Nötigung besteht.

Deine Erzählung vom Großvater, der in jungen Jahren, ein armer Weber, wie die Geschilderten hinterm Webstuhl gesessen, ist der Keim meiner Dichtung geworden, die, ob sie nun lebenskräftig oder morsch im Innern sein mag, doch das Beste ist, was ›ein armer Mann wie Hamlet ist‹ zu geben hat.

 

Dein Gerhart 

[7]Dramatis personae

DREISSIGER, Parchentfabrikant

bei Dreißiger

FRAU DREISSIGER

PFEIFER, Expedient

NEUMANN, Kassierer

DER LEHRLING

DER KUTSCHER JOHANN

EIN MÄDCHEN

WEINHOLD, Hauslehrer bei Dreißigers Söhnen

PASTOR KITTELHAUS

FRAU PASTOR KITTELHAUS

HEIDE, Polizeiverwalter

KUTSCHE, Gendarm

WELZEL, Gastwirt

FRAU WELZEL

ANNA WELZEL

WIEGAND, Tischler

EIN REISENDER

EIN BAUER

EIN FÖRSTER

SCHMIDT, Chirurgus

HORNIG, Lumpensammler

DER ALTE WITTIG, Schmiedemeister

WEBER:

BÄCKER

MORITZ JÄGER

DER ALTE BAUMERT

MUTTER BAUMERT

BERTHA BAUMERT

[8]EMMA BAUMERT

FRITZ, Emmas Sohn, vier Jahre alt

AUGUST BAUMERT

DER ALTE ANSORGE

FRAU HEINRICH

DER ALTE HILSE

FRAU HILSE

GOTTLIEB HILSE

LUISE, Gottliebs Frau

MIELCHEN, seine Tochter, sechs Jahre alt

REIMANN

HEIBER

EIN KNABE, acht Jahre alt

FÄRBEREIARBEITER

EINE GROSSE MENGE JUNGER UND ALTER WEBER UND WEBERFRAUEN

 

Die Vorgänge dieser Dichtung geschehen in den vierziger Jahren in Kaschbach im Eulengebirge sowie in Peterswaldau und Langenbielau am Fuße des Eulengebirges. –

Das Weberlied wird gesungen nach der Melodie: »Es liegt ein Schloss in Österreich.«

[9]Erster Akt

Ein geräumiges, graugetünchtes Zimmer in Dreißigers Haus zu Peterswaldau. Der Raum, wo die Weber das fertige Gewebe abzuliefern haben. Linker Hand sind Fenster ohne Gardinen, in der Hinterwand eine Glastür, rechts eine ebensolche Glastür, durch welche fortwährend Weber, Weberfrauen und Kinder ab- und zugehen. Längs der rechten Wand, die wie die übrigen größtenteils von Holzgestellen für Parchent verdeckt wird, zieht sich eine Bank, auf der die angekommenen Weber ihre Ware ausgebreitet haben. In der Reihenfolge der Ankunft treten sie vor und bieten ihre Ware zur Musterung. Expedient Pfeifer steht hinter einem großen Tisch, auf welchen die zu musternde Ware vom Weber gelegt wird. Er bedient sich bei der Schau eines Zirkels und einer Lupe. Ist er zu Ende mit der Untersuchung, so legt der Weber den Parchent auf die Waage, wo ein Kontorlehrling sein Gewicht prüft. Die abgenommene Ware schiebt derselbe Lehrling ins Repositorium. Den zu zahlenden Lohnbetrag ruft Expedient Pfeifer dem an einem kleinen Tischchen sitzenden Kassierer Neumann jedesmal laut zu.

Es ist ein schwüler Tag gegen Ende Mai. Die Uhr zeigt zwölf. Die meisten der harrenden Webersleute gleichen Menschen, die vor die Schranken des Gerichts gestellt sind, wo sie in peinigender Gespanntheit eine Entscheidung über Tod und Leben zu erwarten haben. Hinwiederum haftet allen etwas Gedrücktes, dem Almosenempfänger Eigentümliches an, der, von Demütigung zu Demütigung schreitend, im Bewusstsein, nur geduldet zu sein, sich so klein als möglich zu machen gewohnt ist. Dazu kommt ein starrer Zug resultatlosen, bohrenden Grübelns in aller Mienen. Die Männer, einander [10]ähnelnd, halb zwerghaft, halb schulmeisterlich, sind in der Mehrzahl flachbrüstige, hüstelnde, ärmliche Menschen mit schmutzigblasser Gesichtsfarbe: Geschöpfe des Webstuhls, deren Knie infolge vielen Sitzens gekrümmt sind. Ihre Weiber zeigen weniger Typisches auf den ersten Blick; sie sind aufgelöst, gehetzt, abgetrieben – während die Männer eine gewisse klägliche Gravität noch zur Schau tragen – und zerlumpt, wo die Männer geflickt sind. Die jungen Mädchen sind mitunter nicht ohne Reiz; wächserne Blässe, zarte Formen, große, hervorstehende, melancholische Augen sind ihnen dann eigen.

KASSIERER NEUMANN,

Geld aufzählend. Bleibt sechzehn Silbergroschen, zwei Pfennig.

ERSTE WEBERFRAU,

dreißigjährig, sehr abgezehrt, streicht das Geld ein mit zitternden Fingern. Sind Se bedankt.

NEUMANN,

als die Frau stehenbleibt. Nu? stimmt’s etwa wieder nich?

ERSTE WEBERFRAU,

bewegt, flehentlich. A paar Fenniche uf Vorschuss hätt’ ich doch halt aso neetig.

NEUMANN.

Ich hab’ a paar hundert Taler neetig. Wenn’s ufs Neetighaben ankäm’ –! Schon mit Auszahlen an einen andern Weber beschäftigt, kurz. Ieber den Vorschuss hat Herr Dreißiger selbst zu bestimmen.

ERSTE WEBERFRAU.

Kennt’ ich da vielleicht amal mit’n Herrn Dreißiger selber red’n?

EXPEDIENT PFEIFER,

ehemaliger Weber. Das Typische an ihm ist unverkennbar; nur ist er wohlgenährt, gepflegt gekleidet, glatt rasiert, auch ein starker Schnupfer. Er ruft barsch herüber. Da hätte Herr Dreißiger weeß Gott viel zu tun, wenn er sich um jede Kleenigkeit selber [11]bekimmern sollte. Dazu sind wir da. Er zirkelt und untersucht mit der Lupe.Schwerenot! Das zieht. Er packt sich einen dicken Schal um den Hals. Macht de Tiere zu, wer reinkommt.

DER LEHRLING,

laut zu Pfeifer. Das is, wie wenn man mit Kletzen red’te.

PFEIFER.

Abgemacht sela! – Waage! Der Weber legt das Webe auf die Waage. Wenn Ihr ock Eure Sache besser verstehn tät’t. Trepp’n hat’s wieder drinne … ich seh’ gar nich hin. A guter Weber verschiebt’s Aufbäumen nich wer weeß wie lange.

BÄCKER

ist gekommen. Ein junger, ausnahmsweise starker Weber, dessen Gebaren ungezwungen, fast frech ist. Pfeifer, Neumann und der Lehrling werfen sich bei seinem Eintritt Blicke des Einvernehmens zu. Schwerenot ja! Da soll eener wieder schwitz’n wie a Laugensack.

ERSTER WEBER,

halblaut. ’s sticht gar sehr nach Regen.

DER ALTE BAUMERT

drängt sich durch die Glastür rechts. Hinter der Tür gewahrt man die Schulter an Schulter gedrängt zusammengepfercht wartenden Webersleute. Der Alte ist nach vorn gehumpelt und hat sein Pack in der Nähe des Bäcker auf die Bank gelegt. Er setzt sich daneben und wischt sich den Schweiß. Hier is ’ne Ruh’ verdient.

BÄCKER.

Ruhe is besser wie a Beehmen Geld.

DER ALTE BAUMERT.

A Beehmen Geld mechte ooch sein. Gu’n Tag ooch, Bäcker!

BÄCKER.

Tag ooch, Vater Baumert! Ma muss wieder lauern wer weeß wie lange!

ERSTER WEBER.

Das kommt nich druf an. A Weber wart’t an Stunde oder an’n Tag. A Weber is ock ’ne Sache.

[12]PFEIFER.

Gebt Ruhe dahinten! Man versteht ja sei eegenes Wort nich.

BÄCKER,

leise. A hat heute wieder sein’n tälsch’n Tag.

PFEIFER,

zu dem vor ihm stehenden Weber. Wie oft hab’ ich’s Euch schonn gesagt! besser putzen sollt er. Was ist denn das für ’ne Schlauderei? Hier sind Klunkern drinne, so lang wie mei Finger, und Stroh und allerhand Dreck.

WEBER REIMANN.

’s mecht’ halt a neu Noppzängl sein.

LEHRLING

hat das Webe gewogen. ’s fehlt auch am Gewicht.

PFEIFER.

Eine Sorte Weber is hier so – schade fier jede Kette, die man ausgibt. O Jes’s, zu meiner Zeit! Mir hätt’s woll mei Meister angestrichen. Dazumal da war das noch a ander Ding um das Spinnwesen. Da musste man noch sei Geschäfte verstehn. Heute da is das nich mehr neetig. – Reimann zehn Silbergroschen.

WEBER REIMANN.

E Fund wird doch gerech’nt uf Abgang.

PFEIFER.

Ich hab’ keine Zeit. Abgemacht sela. Was bringt Ihr?

WEBER HEIBER

legt sein Webe auf. Während Pfeifer untersucht, tritt er an ihn und redet halblaut und eifrig in ihn hinein. Se werden verzeihen, Herr Feifer, ich mechte Sie gittichst gebet’n hab’n, ob Se vielleicht und Se wollt’n so gnädig sein und wollt’n mir den Gefalln tun und ließen mir a Vorschuss dasmal nich abrech’n.

PFEIFER,

zirkelnd und guckend, höhnt. Nu da! Das macht sich ja etwan. Hier is woll d’r halbeEinschuss wieder auf a Feifeln geblieb’n?

WEBER HEIBER,

in seiner Weise fortfahrend. Ich wollt’s ja gerne uf de neue Woche gleichemach’n. Vergangne [13]Woche hatt’ ich bloß zwee Howetage uf’n Dominium zu leist’n. Dabei liegt Meine krank derheeme …

PFEIFER,

das Stück an die Waage gebend. Das is eben wieder ’ne richt’ge Schlauderarbeit. Schon wieder ein neues Webe in Augenschein nehmend. So ein Salband, bald breit, bald schmal. Emal hat’s den Einschuss zusammengeriss’n wer weeß wie sehr, dann hat’s wieder mal ’s Sperrittl auseinandergezog’n. Und auf a Zoll kaum siebzig Faden Eintrag. Wo is denn der iebriche? Wo bleibt da die Reelletät? Das wär’ so was!

WEBER HEIBER

unterdrückt Tränen, steht gedemütigt und hilflos.

BÄCKER,

halblaut zu Baumert. Der Pakasche mecht’ ma noch Garn d’rzunekoofen.

ERSTE WEBERFRAU,

welche nur wenig vom Kassentisch zurückgetreten war und sich von Zeit zu Zeit mit starren Augen hilfesuchend umgesehen hat, ohne von der Stelle zu gehen, fasst sich ein Herz und wendet sich von neuem flehentlich an den Kassierer. Ich kann halt balde … ich weeß gar nich, wenn Se mir dasmal und geb’n mir keen’n Vorschuss … o Jesis, Jesis.

PFEIFER

ruft herüber. Das is a Gejesere. Lasst bloß a Herr Jesus in Frieden. Ihr habt’s ja sonst nich so ängstlich um a Herr Jesus. Passt lieber auf Euern Mann uf, dass und man sieht’n nich aller Augenblicke hinterm Kretschamfenster sitz’n. Wir kenn kein’n Vorschuss geb’n. Wir miss’n Rechenschaft ablegen dahier. ’s is auch nich unser Geld. Von uns wird’s nachher verlangt. Wer fleißig is und seine Sache versteht und in der Furcht Gottes seine Arbeit verricht’t, der braucht ieberhaupt nie keen’n Vorschuss nich. Abgemacht Seefe.

[14]NEUMANN.

Und wenn a Bielauer Weber ’s vierfache Lohn kriegt, da verfumfeit er’s vierfache und macht noch Schulden.

ERSTE WEBERFRAU,

laut, gleichsam an das Gerechtigkeitsgefühl aller appellierend. Ich bin gewiss ni faul, aber ich kann ni mehr aso fort. Ich hab’ halt doch zweemal an Iebergang gehabt. Und was de mei Mann is, der is ooch bloßich halb; a war beim Zerlauer Schäfer, aber der hat’n doch au nich kenn’n von sein’n Schad’n helf’n, und da … Zwing’n kann ma’s doch nich … Mir arbeit’n gewiss, was wir ufbringen. Ich hab’ schonn viele Woch’n keen’n Schlaf in a Aug’n gehabt, und’s wird auch schonn wieder gehn, wenn ock ich und ich wer de Schwäche wieder a bissel rauskrieg’n aus a Knoch’n. Aber Se miss’n halt ooch a eenziges bissel a Einsehn hab’n. Inständig, schmeichlerisch flehend. Sind S’ock scheen gebet’n und bewilligen mer dasmal a paar Greschl.

PFEIFER,

ohne sich stören zu lassen. Fiedler elf Silbergroschen.

ERSTE WEBERFRAU.

Bloß a paar Greschl, dass m’r zu Brote komm’n. D’r Pauer borgt nischt mehr. Ma hat a Häufl Kinder …

NEUMANN,

halblaut und mit komischem Ernst zum Lehrling.

Die Leinweber haben alle Jahre ein Kind,

alle walle, alle walle, puff, puff, puff.

DER LEHRLING

gibt ebenso zurück.

Die Blitzkröte ist sechs Wochen blind,

Summt die Melodie zu Ende.

alle walle, alle walle, puff, puff, puff.

WEBER REIMANN,

das Geld nicht anrührend, das der [15]Kassierer ihm aufgezählt hat. Mer hab’n doch jetzt immer dreizehntehalb Beehmen kriegt fer a Webe.

PFEIFER

ruft herüber. Wenn’s Euch nich passt, Reimann, da braucht er bloß ein Wort sag’n. Weber hat’s genug. Vollens solche, wie Ihr seid. Für’n volles Gewichte gibt’s auch’n vollen Lohn.

WEBER REIMANN.

Dass hier was fehln sollte an’n Gewichte …

PFEIFER.

Bringt ein fehlerfreies Stick Parchent, da wird auch am Lohn nichts fehln.

WEBER REIMANN.

Dass’s hier und sollte zu viel Placker drinnehab’n, das kann doch reen gar nich meeglich sein.

PFEIFER,

im Untersuchen. Wer gut webt, der gut lebt.

WEBER HEIBER

ist in der Nähe Pfeifers geblieben, um nochmals einen günstigen Augenblick abzupassen. Über Pfeifers Wortspiel hat er mitgelächelt, nun tritt er an ihn und redet ihm zu wie das erste Mal. Ich wollte Se gittichst gebeten hab’n, Herr Feifer, ob Se vielleicht und Se wollt’n aso barmherzich sein und rech’t’n mir a Fimfbeehmer Vorschuss dasmal nich ab. Meine liegt schon seit d’r Fasnacht krumm im Bette. Se kann mer keen’n Schlag Arbeit nich verricht’n. Da muss ich a Spulmädel bezahln. Deshalb …

PFEIFER

schnupft. Heiber, ich hab’ nich bloß Euch alleene abzufertig’n. Die andern wolln auch drankommen.

WEBER REIMANN.

So hab’ ich de Werfte kriegt – aso hab’ ich se ufgebäumt und wieder runtergenommen. A besser Garn, wie ich kriegt hab’, kann ich nich zurickbringen.

PFEIFER.

Passt’s Euch nich, da braucht er Euch bloß keene Werfte mehr abzuholn. Wir hab’n ’r genug, die sich’s Leder von a Fießen dernach ablauf’n.

[16]NEUMANN,

zu Reimann. Wollt Ihr das Geld nich nehmen?

WEBER REIMANN.

Ich kann mich durchaus aso nich zufriedegeben.

NEUMANN,

ohne sich weiter um Reimann zu bekümmern. Heiber zehn Silbergroschen. Geht ab fünf Silbergroschen Vorschuss. Bleiben fünf Silbergroschen.

WEBER HEIBER

tritt heran, sieht das Geld an, steht, schüttelt den Kopf, als könnte er etwas gar nicht glauben, und streicht das Geld langsam und umständlich ein. O meins, meins! – Seufzend. Nu, da da!

DER ALTE BAUMERT,

Heibern ins Gesicht. Jaja, Franze! Da kann eens schon manchmal’n Seufzrich tun.

WEBER HEIBER,

mühsam redend. Sieh ock, ich hab’ a krank Mädel derheeme zu lieg’n. Da mecht’ a Fläschl Medezin sein.

DER ALTE BAUMERT.

Wo tutt’s er’n fehlen?

WEBER HEIBER.

Nu sieh ock, ’s war halt von kleen uf a vermickertes Dingl. Ich weeß gar nich … na, dir kann ich’s ja sag’n: se hat’s mit uf de Welt gebracht. Aso ’ne Unreenichkeit ieber und ieber bricht’r halt durchs Geblitte.

DER ALTE BAUMERT.

Ieberall hat’s was. Wo eemal’s Armutt is, da kommt ooch Unglicke ieber Unglicke. Da is o kee Halt und keene Rettung.

WEBER HEIBER.

Was hast d’nn da eingepackt in dem Tiechl?

DER ALTE BAUMERT.

Mir sein halt gar blank derheeme. Da hab’ ich halt unser Hundl schlacht’n lassen. Viel is ni dran, a war o halb d’rhungert. ’s war a klee, nettes Hundl. Selber abstechen mocht’ ich’n nich. Ich konnt’ mer eemal kee Herze nich fass’n.

[17]PFEIFER

hat Bäckers Webe untersucht, ruft. Bäcker dreizehntehalb Silbergroschen.

BÄCKER.

Das is a schäbiges Almosen, aber kee Lohn.

PFEIFER.

Wer abgefertigt is, hat’s Lokal zu verlassen. Wir kenn uns vorhero nich riehren.

BÄCKER,

zu den Umstehenden, ohne seine Stimme zu dämpfen. Das is a schäbiges Trinkgeld, weiter nischt. Da soll eens treten vom friehen Morg’n bis in die sinkende Nacht. Und wenn man achtz’n Tage ieberm Stuhle geleg’n hat, Abend fer Abend wie ausgewund’n, halb drehnig vor Staub und Gluthitze, da hat man sich glicklich dreiz’ntehalb Beehmen erschind’t.

PFEIFER.

Hier wird nich gemault!

BÄCKER.

Vo Ihn lass’ ich mersch Maul noch lange nich verbiet’n.

PFEIFER

springt mit dem Ausruf Das mecht’ ich doch amal sehn! nach der Glastür und ruft ins Kontor. Herr Dreißicher, Herr Dreißicher, mechten Sie amal so freundlich sein!

DREISSIGER

kommt. Junger Vierziger. Fettleibig, asthmatisch. Mit strenger Miene. Was – gibt’s denn, Pfeifer?

PFEIFER,

glupsch. Bäcker will sich’s Maul nich verbieten lassen.

DREISSIGER

gibt sich Haltung, wirft den Kopf zurück, fixiert Bäcker mit zuckenden Nasenflügeln. Ach so – Bäcker! – – Zu Pfeifer. Is das der? Die Beamten nicken.

BÄCKER,

frech. Ja, ja, Herr Dreißicher! Auf sich zeigend. Das is der, – auf Dreißiger zeigend – und das is der.

DREISSIGER,

indigniert. Was erlaubt sich denn der Mensch!?

PFEIFER.

Dem geht’s zu gutt! Der geht aso lange aufs Eis tanzen, bis a’s amal versehen hat.

[18]BÄCKER,

brutal. O du Fennigmanndl, halt ock du deine Fresse. Deine Mutter mag sich woll ei a Neumonden beim Besenreit’n am Luzifer versehn hab’n, dass aso a Teiwel aus dir geworn is.

DREISSIGER,

in ausbrechendem Jähzorn, brüllt. Maul halten! auf der Stelle Maul halten, sonst … Er zittert, tut ein paar Schritte vorwärts.

BÄCKER,

mit Entschlossenheit ihn erwartend. Ich bin nich taub. Ich heer’ noch gut.

DREISSIGER

überwindet sich, fragt mit anscheinend geschäftsmäßiger Ruhe. Is der Bursche nicht auch dabeigewesen?

PFEIFER.

Das is a Bielauer Weber. Die sind ieberall d’rbei, wo’s ’n Unfug zu machen gibt.

DREISSIGER,

zitternd. Ich sag’ euch also: passiert mir das noch einmal und zieht mir noch einmal so eine Rotte Halbbetrunkener, so eine Bande von grünen Lümmeln am Hause vorüber wie gestern abend – mit diesem niederträchtigen Liede …

BÄCKER.

’s »Bluttgericht« meenen Se woll?

DREISSIGER.

Er wird schon wissen, welches ich meine. Ich sag’ euch also: hör’ ich das noch einmal, dann lass’ ich mir einen von euch rausholen, und – auf Ehre, ich spaße nicht – den übergebe ich dem Staatsanwalt. Und wenn ich rausbekomme, wer dies elende Machwerk von einem Liede …

BÄCKER.

Das is a schee Lied, das!

DREISSIGER.

Noch ein Wort, und ich schicke zur Polizei – augenblicklich. – Ich fackle nicht lange. – Mit euch Jungens wird man doch noch fertig werden. Ich bin doch schon mit ganz andren Leuten fertig geworden.

[19]BÄCKER.

Nu das will ich gloob’n. Aso a richtiger Fabrikante, der wird mit zwee-, dreihundert Webern fertich, eh man sich umsieht. Da lässt a ooch noch ni a paar morsche Knoch’n iebrich. Aso eener der hat vier Mag’n wie ’ne Kuh und a Gebiss wie a Wolf. Nee nee, da hat’s nischt!

DREISSIGER,

zu den Beamten. Der Mensch bekommt keinen Schlag Arbeit mehr bei uns.

BÄCKER.

Oh, ob ich am Webstuhle derhungere oder im Straßengrab’n, das is mir egal.

DREISSIGER.

Raus, auf der Stelle raus!

BÄCKER,

fest. Erst will ich mei Lohn hab’n.

DREISSIGER.

Was kriegt der Kerl, Neumann?

NEUMANN.

Zwölf Silbergroschen, fünf Pfennige.

DREISSIGER

nimmt überhastig dem Kassierer das Geld ab und wirft es auf den Zahltisch, so dass einige Münzen auf die Diele rollen. Da! – hier! – und nu rasch – mir aus den Augen!

BÄCKER.

Erscht will ich mei Lohn hab’n.

DREISSIGER.

Da liegt Sein Lohn; und wenn Er nun nich macht, dass Er rauskommt … Es ist grade zwölf … Meine Färber machen gerade Mittag …!

BÄCKER.

Mei Lohn geheert in meine Hand. Hieher geheert mei Lohn. Er berührt mit den Fingern der rechten die Handfläche der linken Hand.

DREISSIGER,

zum Lehrling. Heben Sie’s auf, Tilgner.

DER LEHRLING

tut es, legt das Geld in Bäckers Hand.

BÄCKER.

Das muss all’s sein’n richt’chen Pass gehn. Er bringt, ohne sich zu beeilen, in einem alten Beutel das Geld unter.

DREISSIGER.

Nu? Als Bäcker sich noch immer nicht entfernt, ungeduldig. Soll ich nun nachhelfen?

[20]Unter den dichtgedrängten Webern ist eine Bewegung entstanden. Jemand stößt einen langen, tiefen Seufzer aus. Darauf geschieht ein Fall. Alles Interesse wendet sich dem neuen Ereignis zu.

DREISSIGER.

Was gibt’s denn da?

VERSCHIEDENE WEBER UND WEBERFRAUEN.

’s is eener hingeschlag’n. – ’s is a klee hiprich Jungl. – Is ’s etwa de Kränkte oder was?!

DREISSIGER.

Ja … wie denn? Hingeschlagen? Er geht näher.

ALTER WEBER.

A liegt halt da.

Es wird Platz gemacht. Man sieht einen achtjährigen Jungen wie tot an der Erde liegen.

DREISSIGER.

Kennt jemand den Jungen?

ALTER WEBER.

Aus unserm Dorfe is a nich.

DER ALTE BAUMERT.

Der sieht ja bald aus wie Heinrichens. Er betrachtet ihn genauer. Ja, ja! Das is Heinrichens Gustavl.

DREISSIGER.

Wo wohnen denn die Leute?

DER ALTE BAUMERT.

Nu, oben bei uns, in Kaschbach, Herr Dreißicher. Er geht Musicke machen, und am Tage da liegt a ieberm Stuhle. Se han neun Kinder, und’s zehnte is unterwegens.

VERSCHIEDENE WEBER UND WEBERFRAUEN.

Den Leut’n geht’s gar sehr kimmerlich. – Den regnet’s in de Stube. – Das Weib hat keene zwee Hemdl fer die neun Burschen.

DER ALTE BAUMERT,

den Jungen anfassend. Nu, Jungl, was hat’s denn mit dir? Da wach ock uf!

DREISSIGER.

Fasst mal mit an, wir wollen ihn mal aufheben. Ein Unverstand ohnegleichen, so’n schwächliches [21]Kind diesen langen Weg machen zu lassen. Bringen Sie mal etwas Wasser, Pfeifer!

WEBERFRAU,

die ihn aufrichten hilft. Mach ock ni etwa Dinge und stirb, Jungl!

DREISSIGER.

Oder Kognak, Pfeifer, Kognak is besser.

BÄCKER

hat, von allen vergessen, beobachtend gestanden. Nun, die eine Hand an der Türklinke, ruft er laut und höhnisch herüber. Gebt’n ock was zu fressen, da wird a schonn zu sich kommen. Ab.

DREISSIGER.

Der Kerl nimmt kein gutes Ende. – Nehmen Sie ihn unterm Arm, Neumann. – Langsam … langsam … so … so … wir wollen ihn in mein Zimmer bringen. Was wollen Sie denn?

NEUMANN.

Er hat was gesagt, Herr Dreißiger! Er bewegt die Lippen.

DREISSIGER.

Was – willst du denn, Jungl?

DER JUNGE

haucht. Mich h.. hungert!

DREISSIGER

wird bleich. Man versteht ihn nich.

WEBERFRAU.

Ich gloobe, a meinte …

DREISSIGER.

Wir werden ja sehn. Nur ja nich aufhalten. – Er kann sich bei mir aufs Sofa legen. Wir werden ja hören, was der Doktor sagt.

Dreißiger, Neumann und die Weberfrau führen den Jungen ins Kontor. Unter den Webern entsteht eine Bewegung wie bei Schulkindern, wenn der Lehrer die Klasse verlassen hat. Man reckt und streckt sich, man flüstert, tritt von einem Fuß auf den andern, und in einigen Sekunden ist das Reden laut und allgemein.

DER ALTE BAUMERT.

Ich gloob’ immer, Bäcker hat recht.

MEHRERE WEBER UND WEBERFRAUEN.

A sagte ja o aso was. – Das is hier nischt Neues, dass amal een’n d’r[22]Hunger schmeißt. – Na, ieberhaupt, was de den Winter erscht wern soll, wenn das hie und’s geht aso fort mit der Lohnzwackerei. – Und mit a Kartoffeln wird’s das Jahr gar schlecht. – Hie wird’s au nich anderscher, bis mer alle vollens uf’n Rick’n lieg’n.

DER ALTE BAUMERT.

Am best’n, ma macht’s wie d’r Nentwich Weber, ma legt sich a Schleefl um a Hals un knippt sich am Webstuhle uf. Da, nimm der ’ne Prise, ich war in Neurode, da arbeit mei Schwager in d’r Fabricke, wo s’n machen, a Schnupptabak. Der hat m’r a paar Kerndl gegeb’n dahier. Was trägst denn du in dem Tiechl Scheenes?

ALTER WEBER.

’s is bloß a bissel Perlgraupe. D’r Wag’n vom Ullbrichmiller fuhr vor m’r her. Da war a Sack a bissel ufgeschlitzt. Das kommt mir gar sehr zupasse, kannst gloob’n.

DER ALTE BAUMERT.

Zweiundzwanzich Miehlen sein in Peterschwalde, und fer unsereens fällt doch nischt ab.

ALTER WEBER.

Ma muss ebens a Mut nich sink’n lass’n. ’s kommt immer wieder was und hilft een a Stickl weiter.

WEBER HEIBER.

Ma muss ebens, wenn d’r Hunger kommt, zu a Vierzehn Nothelfern beten, und wenn ma dadervon etwa ni satt wird, da muss ma an Steen ins Maul nehmen und dran lutschen. Gell, Baumert?

Dreißiger, Pfeifer sowie der Kassierer kommen zurück.

DREISSIGER.

Es war nichts von Bedeutung. Der Junge ist schon wieder ganz munter. Erregt und pustend umhergehend. Es bleibt aber immer eine Gewissenlosigkeit. Das Kind ist ja nur so’n Hälmchen zum Umblasen. Es ist rein unbegreiflich, wie Menschen … wie Eltern so unvernünftig sein können. Bürden ihm zwei Schock Parchent [23]auf, gute anderthalb Meilen Wegs. Es ist wirklich kaum zu glauben. Ich werde einfach müssen die Einrichtung treffen, dass Kindern überhaupt die Ware nich mehr abgenommen wird. Er geht wiederum eine Weile stumm hin und her.