Die Welt an sich - Ulf Danielsson - E-Book

Die Welt an sich E-Book

Ulf Danielsson

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Beschreibung

»Seine Worte sind wunderschön und seine Sätze quellen über von all den poetischen Details des Universums.«  Göteborgs Posten Alle Welt redet davon, die Natur zu schützen.Doch durch unser Denken in abstrakten Modellen und Analysen, die sie uns eigentlich verständlich machen sollten, ist das Gespür fur die Natur abhandengekommen. Ulf Danielsson wirbt für moderne Naturwissenschaften, in denen der Mensch wieder seinen Platz hat, und entwirft eine Welt, deren Unendlichkeit wieder sinnlich und körperlich erfahrbar wird. Ulf Danielsson zeigt den blinden Fleck der modernen Naturwissenschaften: Wissenschaftler rechnen und rechnen, aber der Mensch, mit all seinen Sinnen, spielt keine Rolle mehr. Doch dabei ist das Universum keinesfalls nur Mathemtik. Wir leben in Welt und Weltall, aber nicht in den abstrakten Gleichungen. Wir sind Lebewesen und keine Maschinen. Mit unseren Körpern und unseren Sinnen erforschen und erkennen wir die wirkliche Welt, wie sie ist. So könnten wir die Natur wieder begreifen und uns von ihr ergreifen lassen, denn dies alles umgreift und umfasst die unendliche »Die Welt an sich«. »Die Welt an sich wird ein moderner Klassiker werden.«  Martin Hägglund , Autor von This Life. Secular Faith and Spiritual Freedom

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Seitenzahl: 258

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Cover for EPUB

Ulf Danielsson

Die Welt an sich

Und wie wir sie begreifen können

Aus dem Schwedischenvon Susanne Dahmann

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel»Världen själv« im Verlag Fri Tanke förlag, Lidingön

© 2020 by Ulf Danielsson

Für die deutsche Ausgabe

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH,

gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

unter Verwendung einer Abbildung von © Fri Tanke & Ulf Danielsson

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-608-96596-4

E-Book ISBN 978-3-608-11937-4

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

I

 Alles ist Physik – eine Einführung

Was die Welt ist

Der Ursprung des Dualismus

Das Bewusstsein ist ein physikalisches Phänomen

II

 Lebendige Wesen sind keine Maschinen

Der Code

Lebendige Maschinen

III

 Das Universum ist keine Mathematik

Das Multiversum

Die parallelen Welten der Quantenmechanik

Ist alles Mathematik?

Es gibt keine Naturgesetze

Hilberts Traum

Das Paradox von Russell

Gödel zerstört den Traum

Wie man den Außerirdischen Mathematik beibringt

IV

 Es gibt einen Unterschied zwischen Modell und Wirklichkeit

Was ist real?

Modelle für die Wirklichkeit

Das Theorem von Löwenheim und Skolem

Die verkörperte Sprache

V

 Computer haben kein Bewusstsein

Körper und Seele

Wie man Schach spielt

Woher weiß man, ob jemand da ist?

Gibt es Zombies?

Eine dritte Möglichkeit

Simulierte Welten

Das Trilemma der Simulation

Gefahren der Zukunft

VI

 Nicht alles lässt sich berechnen

Das Leben selbst

Das Schiff des Theseus

Das, was nicht berechnet werden kann

Douglas Hofstadter zu Besuch

Alles Große besteht aus Kleinem

Emergenz – stark oder schwach

Offen oder geschlossen

VII

 Der Mensch ist nicht einzigartig

Denken wie ein Oktopus

Mathematik in Fleisch und Blut

Bewegung, ich bewege mich, ich rede

Ein Gehirn in einer Schale

Die Kontinuität des Lebens

VIII

 Es gibt keinen freien Willen

Nachwort

Anhang

Lesetipps

I Alles ist Physik – eine Einleitung

II Lebendige Wesen sind keine Maschinen

III Das Universum ist keine Mathematik

IV Es gibt einen Unterschied zwischen Modell und Wirklichkeit

V Computer haben kein Bewusstsein

VI Nicht alles lässt sich berechnen

VII Der Mensch ist nicht einzigartig

VIII Es gibt keinen freien Willen

Zitierte Literatur

Anmerkungen

I

Alles ist Physik – eine Einführung

»… Naturobjekte müssen vor aller Theorie erfahren sein.«

Edmund Husserl

Ich habe ein Geheimnis zu erzählen: Lebewesen sind keine Maschinen, es gibt keine Mathematik außerhalb unseres Kopfes, die Welt ist real und keine Simulation, ein Computer kann nicht denken, Ihr Bewusstsein ist keine Illusion und Ihr Wille ist nicht frei.

Ich bin Theoretischer Physiker und verdiene mein Geld damit, die Grundlagen des Universums mit Hilfe der Mathematik zu erforschen. Die Geschichte hat gezeigt, dass dies eine erfolgversprechende Methode ist, die uns ein nahezu umfassendes Bild von allem bietet, was wir im Universum vorfinden. Die Physik hat ans Licht gebracht, wie die Welt, die uns umgibt, aus mikroskopisch kleinen Bestandteilen zusammengesetzt ist, die allgemeingültigen Gesetzen gehorchen, während das Weltall eine Geschichte hat, die bis zum Anfang vor fast 14 Milliarden Jahren zurückreicht. Berauscht von unserem Erfolg kann man leicht vergessen, dass die mathematischen Modelle schließlich doch etwas anderes sind als die reale, wirkliche Welt.

Die Mathematik regiert die Welt nicht, wir benutzen sie vielmehr, um zu beschreiben, was wir im Universum entdecken, und was für die Mathematik gilt, gilt genauso für die Naturgesetze. Es gibt draußen unter den Sternen oder im Innersten der Atome keine Naturgesetze. Sie bilden lediglich einen Weg, um unser Wissen über das Universum zusammenzufassen. Die Natur ist, was sie ist, während wir als biologische Organismen so weit wie möglich versuchen, das, was wir sehen, zu verstehen.

Dieses Missverständnis gründet auf einer historisch verwurzelten dualistischen Sichtweise auf das Leben, die das menschliche Bewusstsein über die Welt selbst erhebt. Wir träumen von einer ewigen und übernatürlichen Sphäre, welche die sterbliche Materie kontrollieren kann. Denn trotz allen Wissens, das die Wissenschaften uns über das Universum enthüllt haben, ist uns die Befreiung von einer im Grunde religiösen Weltsicht noch nicht gelungen. Wir benutzen weiterhin Konzepte und Metaphern, die unser Denken in die Irre leiten. Die Physik wird als eine Wissenschaft hingestellt, die schöne und mathematisch exakte Gesetze liefert, welche unabhängig und autonom existieren und über die Materie herrschen. Das Einfache und Schöne zu suchen, war in vielen Zusammenhängen eine erfolgreiche Methode, doch hat sie auch ihre Risiken. Ein in seinen Grundzügen schönes oder einfaches Universum ist uns schlicht nicht garantiert.

All das ist insgeheim eng mit dem Glauben an eine transzendente Seele verbunden. Unser Ich wurzelt jedoch in unserem Körper, und das muss aus dem einfachen Grund so sein, weil es Mathematik, Sprachen, Symbole und vor allem Bedeutung und Semantik nicht ohne einen physischen Körper geben kann. Unser Ich selbst ist keine Illusion, sondern es ist körperlich und muss als ein Gegenstand der Materie durch die Physik beschreibbar sein. In diesem Buch vertrete ich die Auffassung, dass alles Physik ist und dass außerhalb von Materie keine Wirklichkeit existiert.

Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass wir auch nur annähernd verstünden, wozu diese Welt der Materie imstande ist. Angesichts unserer durch die Biologie begrenzten Auffassungsmöglichkeiten, ist es wahrscheinlich, dass so weit entfernte grundlegende Wahrheiten über die Welt vorliegen, dass wir nicht einmal die richtigen Fragen formulieren können. Es geht dabei nicht um unzugängliche oder abgelegene Phänomene – vergleichbar Kants Ding an sich –, sondern vielmehr um Aspekte ebenjener uns umgebenden Welt, der wir angehören und die wir in unserem täglichen Leben erfahren. Ich werde begründen, dass diese subjektive Erfahrung zu jenen Phänomenen gehört, die eine ganz neue Herangehensweise erforderlich machen.

Diese Notwendigkeit gilt auch für die Unterscheidung zwischen lebenden Organismen und toten Maschinen. Es geht hier nicht um unwesentliche Details, sondern um einen Paradigmenwechsel von der gleichen Wucht wie damals, als Newton seine Mechanik formulierte oder als die Relativitäts- und die Quantentheorie vorgestellt wurden. Diese subjektive Erfahrung ist auch wesentlich dafür, wie wir auf uns selbst schauen und wie wir leben und unser Leben schätzen.

Was die Welt ist

Wir leben in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit verschwimmen. Es geht nicht nur um die Rolle der Fiktion in der Unterhaltung oder in den sozialen Medien, sondern auch um unser Verhältnis zur Natur und zu den physischen Grundlagen unseres Wohlbefindens und Überlebens. Wir unterliegen der Vorstellung, dass wir vorwiegend in einer kulturellen und sozialen Welt leben, in der wir die Regeln selbst bestimmen.

In der Populärkultur spielt man mit der Idee, das ganze Universum könne durch Simulation in einem Computer abgebildet werden. Es gibt sogar Menschen, die so weit von der Wirklichkeit entfernt sind, dass sie tatsächlich glauben, man könne unser Bewusstsein mit technologischer Hilfe von unseren Körpern befreien und ganz in elektronischer Form hochladen. Die Art und Weise, wie hier die Physik betrachtet wird, ist weit entfernt von der manchmal recht brutalen, aber gleichzeitig auch wunderbaren Wahrheit über uns selbst, wie sie uns die Wissenschaft offenbart hat. Als biologische Wesen sind wir in organischen und sterblichen Körpern gefangen und zugleich Teil eines Universums, das niemals zuvor geheimnisvoller und großartiger wirkte.

Selbst unter den Repräsentanten der Wissenschaft gibt es viele, die sich fragen, ob die Welt wirklich existiert. Sie sind von der Mathematik und der Computertechnik so eingenommen, dass sie keine Unterschiede mehr zwischen der realen Welt und dem, was in einem Computer simuliert werden kann, erkennen. Es gibt sogar Menschen, die glauben, dass die Welt im Grunde reine Mathematik sei. Sie sind fasziniert davon, was die Physik über das Universum zu sagen hat, und überwältigt von der Macht und Schönheit der Mathematik. Das Ergebnis ist ein Aberglaube von fast religiösen Ausmaßen darüber, was die Technologie an Gutem oder Bösem hervorbringen kann. Andere wiederum ziehen den Schluss, dass gerade die Computer, die uns diese Entdeckungen ermöglichen, die beste Metapher für das Universum selbst seien. Dieses Phänomen ist nicht neu. Im 19. Jahrhundert waren die Dampfmaschinen die Speerspitze der Technologie, und entsprechend betrachtete man das Universum als ein mechanisches Uhrwerk. Heute glauben wir es besser zu wissen und vergleichen das Universum mit einem Computer. Oder noch besser: Das Universum ist nichts als reine Information, bei der auch wir selbst und alles, was uns ausmacht, also auch unser Denken, in eine Reihe von Einsen und Nullen übersetzt werden könnten. Im besten Fall könnte das ein Weg zu ewigem Leben sein. Wäre das nicht wunderbar?

Das Problem ist nur, dass es nicht stimmt.

Alles was wir sehen und erfahren, das körperliche Universum wie auch das Leben und das Bewusstsein sind verschiedene Aspekte derselben Welt. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, so viel wie möglich darüber herauszufinden, wie dieses unser Universum funktioniert. Sie tut dies mit Hilfe ihrer verschiedenen Disziplinen, also der Physik, der Chemie und der Biologie, die über die Medizin und Neurowissenschaften auch in die Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften und die Philosophie hineinwirken. Sie alle haben ihre eigene Sprache und ihre eigenen Kriterien für die Wahrheit. Wir betrachten diese verschiedenen Wissenszweige als mehr oder weniger unabhängig voneinander. Es gibt die weitverbreitete Ansicht, dass die Physik die Basis von allem oder vielleicht der Gipfelpunkt sei und von ihr alles andere abgeleitet werden könne. Ein Biologe muss sich ziemlich gut mit Chemie auskennen, um die Prozesse innerhalb der Zellen eines Tieres oder einer Pflanze zu verstehen. Der Chemiker wiederum vertraut auf die physikalischen Theorien über die Atome. Die Entdeckungen der Grundlagenphysik, die bis zur Ebene der Atome und noch tiefer vorgedrungen sind, haben für die meisten von uns im Grunde keine Bedeutung. Obwohl man behauptet, das Universum in all seiner Komplexität und Schönheit sei die Folge der grundlegenden Gesetze der Teilchenphysik, hilft das einem Chemiker wenig und einem Experten für Nordische Mythologie noch viel weniger. Wer die Wanderung von Zugvögeln zum Thema hat, muss sich nicht um die Spekulationen über die Quantengravitation kümmern, und die meisten Physiker sind davon überzeugt, dass sämtliches Wissen über die Lebewesen keinerlei Relevanz für die mathematischen Berechnungen über den Urknall hat. Unser Universum, und insbesondere das Wissen darüber, ist in bequeme Portionen aufgeteilt, um uns das Leben als Wissenschaftler so einfach wie möglich zu machen. Deshalb gibt es auch für andere Wissenschaften außer der Physik noch Platz, sowohl für die Naturwissenschaften wie auch für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Zwar geschehen die herausragenden wissenschaftlichen Entdeckungen oftmals gerade an den Grenzen zwischen den normalerweise getrennten Wissenschaftsbereichen, wenn man aus einem neuen Blickwinkel heraus auf alte Probleme schaut. Aber abgesehen davon wird die seit langem etablierte und übergreifende Hierarchie kaum in Frage gestellt.

Ich muss zugeben, dass ich selbst eine Sicht auf die Welt habe, die auf den ersten Blick noch extremer zu sein scheint. Für mich ist die Physik nicht nur die Basis von allem, sondern sie ist alles. Ich definiere die Physik als eine Studie der Welt selbst in all ihren Aspekten.

Es ist eine Welt, der wir als organische Wesen angehören und in der wir durch die Evolution langsam unseres Selbst bewusst wurden, als die Materie aus ihrem ewigen Schlummer erwachte.

Die Physik handelt nicht davon, wie ein freier und unabhängiger Beobachter, der außerhalb der Welt schwebt, diese von einer gehörigen Distanz aus betrachtet. Unsere organischen Körper, alle unsere Gedanken inklusive der wissenschaftlichen Modelle, die wir erschaffen, sind Teil ebender Welt, die wir so gern von außen betrachten möchten. Die Physik, die ich mir vorstelle, handelt von allem, nichts darf beiseite gelassen werden. Es ist buchstäblich eine Sache von Leben und Tod.

Der Ursprung des Dualismus

In seinem bemerkenswerten Buch Das Prinzip Leben beschreibt der deutsche Philosoph Hans Jonas (1903–​1993), wie sich die Welt durch die Jahrtausende hindurch verändert hat. Es handelt davon, wie sich das Leben dem Tod geschlagen geben musste. In der Frühzeit war die Welt voll von Leben. Es gab Menschen, Tiere und Pflanzen aller Art, die sich über die Erde verbreitet hatten. Manche wurden geschätzt und verehrt, andere waren gefährlich, verbargen sich im Dunkel und wurden zur Quelle von Mythen und Märchen. Alles versuchte, auf seine Art zu überleben, denn mussten nicht auch die Kräfte der Natur, wie der Wind und das Meer, ständig in Bewegung sein, um zu überleben? Möglicherweise hatten auch die Himmelskörper ein eigenes Leben, wenn sie in absichtsvollen Bahnen ihrem Weg folgten, ohne dass uns ihr Ziel bekannt würde. Um allem einen Sinn zu geben, schufen die Menschen in der Urzeit Kosmologien, in denen das Leben für selbstverständlich genommen wurde und der Tod das große Geheimnis darstellte. Welche Rolle konnte er in einer Welt so voll von Leben spielen? Wie sollte man ihn verstehen? Man brauchte Gedankenkonzepte über eine Fortsetzung des Lebens nach dem Tode, um den Widerspruch zwischen Leben und Tod auszuhalten.

Alles veränderte sich, als die Wissenschaft entdeckte, dass die Welt so viel größer war, als die frühen Menschen es sich hatten vorstellen können. Nachdem man den wahren Platz der Welt innerhalb des Universums gefunden hatte, wurde deutlich, dass der größte Teil des Universums aus toter Materie bestand. Überall war der Tod, und das Leben war eine seltene Ausnahme. Die Weltsicht änderte sich, und der Tod wurde nun die Regel und das Leben ein Mysterium, das es zu erklären galt.

Aufgrund der scharfen Unterscheidung zwischen Leben und Tod hat sich nach Jonas die Weltsicht hin zu einer dualistischen verändert. Der Dualismus unterscheidet zwischen Körper und Seele, wobei der Körper aus vergänglicher Materie besteht, während die Seele spirituell und ewig ist. Sicherlich war der größte Teil des Universums tote Materie, aber niemand konnte die Existenz eines inneren Lichts leugnen, eines Ich, für uns alle so offensichtlich, ein lebendiger Geist, der seinen Ursprung jenseits dieser Welt haben muss. Vielleicht konnte dieser Geist den Tod besiegen und ewig leben? Die Seele mit ihrer Fähigkeit, den Tod zu überwinden, musste so viel größer als all die tote Materie sein und genau das, was den Menschen so einzigartig macht. So lautete die Vorstellung. Der lebendige Körper wurde aufgegeben und als tote Materie zurückgelassen, nichts als eine Maschine, die sicherlich genial konstruiert, aber dennoch im Grunde bloß eine Maschine war, gesteuert von der unsterblichen und immateriellen Seele.

Diese Sichtweise machte die modernen Wissenschaften möglich. Der Wissenschaftler hält sich außerhalb der toten Welt der Materie auf und kann sie von einem sicheren, erhabenen und objektiven Standpunkt aus mit seinen empfindlichen Instrumenten erkunden und seine Ergebnisse in Form von mathematischen Gesetzen zusammenfassen. Diese Gesetze umfassen alles, was wir über die materielle Welt lernen können, und in dieser Hinsicht wurde die Wissenschaft besessen vom Tod.

Jonas argumentiert, diese bequeme Unterscheidung von Körper und Seele, von einer Welt aus toter Materie, der ein lebendiges Ich gegenübersteht, sei in sich zusammengefallen, als die Evolutionstheorie formuliert wurde. Die Evolutionstheorie bewies das Kontinuum des Lebens und entlarvte dadurch die dualistischen Philosophien wie die René Descartes’ (1596–​1650). Nun konnte man nicht länger einfach behaupten, es gäbe etwas, das uns von allem anderen Leben auf der Erde unterscheidet. Nach dem cartesischen Dualismus sollten alle anderen Lebewesen, etwa Amöben, Schmetterlinge, Hunde oder Schimpansen nichts als Maschinen aus bloßer toter Materie sein. Wir Menschen hingegen sollten fundamental anders sein, weil wir eine Seele, ein Ich und die Möglichkeit hätten, die Welt zu erforschen. Konnte das wirklich so zusammenhängen? Wann waren die entscheidenden und wunderbaren Sprünge innerhalb der Evolution passiert? Hatte der Homo erectus bereits ein Selbstbewusstsein, oder entstand das erst später, vielleicht als wir uns eine Sprache zulegten?

Die Evolution geht in Sprüngen voran, aber sie wahrt auch ein großes Maß an Kontinuität. Es ist vernünftig zu glauben, dass das, was uns als Menschen ausmacht – was immer es sein mag – auch schon in unseren Vorfahren, möglicherweise in verminderter oder anderer Form, existierte. Wir wissen nicht, in welchem Maße das zutraf, aber wir können nicht länger eine klare Trennlinie zwischen dem Bewusstsein und der toten Materie ziehen. Eine Möglichkeit wäre natürlich, dass wir uns komplett der toten Materie anheimgeben und zulassen, dass sie den letzten Zufluchtsort des Lebens, unser Selbstbewusstsein, erobert und wir es zur reinen Illusion erklären können. Die alte Welt voller Leben wäre dann durch eine Welt von toten Maschinen ersetzt. Der Dualismus wäre tot und mit ihm das Leben und das subjektive Ich.

Doch wie wir sehen werden, droht hier ein Widerspruch. Die Art, wie wir Wissenschaft betreiben, ist fest im dualistischen Rahmenwerk verankert. Wie kann ein objektiver Aussichtspunkt für die Wissenschaft eingenommen werden, wenn es überhaupt keine Aussichtspunkte gibt? Wie kann es in einer Welt mit nichts als Maschinen eine Illusion geben, wo doch niemand da ist, der sie wahrnehmen und durch sie getäuscht werden kann?

Das Bewusstsein ist ein physikalisches Phänomen

Das Leben und das Bewusstsein sind die erstaunlichsten physikalischen Phänomene, die wir kennen. Wenn alles Physik ist, dann muss es eine ununterbrochene Linie vom heißen und dichten Plasma des Urknalls bis hin zum menschlichen Bewusstsein geben. Und die Physik muss in der Lage sein, diese Linie zu beschreiben. Das innere Selbst ist so real wie jeder andere Gegenstand oder wie ein Aspekt der Materie und muss widerspruchsfrei in unser Bild der Welt eingefügt werden. Ich kann denen nicht zustimmen, die das Bewusstsein für eine Illusion halten und meinen, man müsse die lebendigen Organismen am besten als Maschinen beschreiben. Ich stimme aber auch jenen nicht zu, die meinen, man werde das Bewusstsein nie erklären können, da es schon per definitionem außerhalb der Physik stehe. Natürlich ist die Erklärung des menschlichen Selbstbewusstseins »the hard problem«, wie der australische Philosoph David Chalmers es nennt. Aber ich glaube, das Selbstbewusstsein kann nicht von seiner materiellen Basis getrennt werden, weder in Form einer unsterblichen Seele noch in Form seines modernen Substituts: der Information. Beides ist Wunschdenken oder Mythos.

Kann wirklich alles Physik sein? Manche meinen, so eine Weltsicht würde jedes Sinns entbehren. Muss es nicht Bereiche der Welt geben, die sie nicht abdecken kann? Nicht einmal prinzipiell? Diese Sehnsucht nach Überschreitung des Physikalischen wird für manche von der Religion befriedigt, während andere davon träumen, Bewusstsein in Form von Information in einen Computer hochzuladen, um dadurch ewiges Leben zu erlangen. Wieder andere halten die ganze Welt für reine Mathematik. Aber was ich Materie nenne, umschließt auf fundamentale Weise das Leben und das Bewusstsein – und damit auch die unauflösliche Subjektivität unserer Perspektive, die immer gilt. Wir können uns nicht außerhalb der Welt stellen, wir sind als lebendige Körper mitten in ihr, und wir betrachten die Welt stets vom einzigen Standpunkt aus, der uns gegeben ist: von innen. Die Physik – auf die Art, wie ich sie definieren möchte – entzaubert das Universum nicht, sondern sie enthüllt eine Wirklichkeit, die sehr viel wunderbarer ist als alles, was wir uns mit unserem beschränkten Intellekt vorstellen können.

In seinem bahnbrechenden Werk This Life beschreibt der Philosoph Martin Hägglund, wie der Kirchenvater Augustinus zwischen der Liebe zur vergänglichen Welt und der Verlockung des ewigen Himmelreichs hin- und hergerissen war. Das grundlegende Problem dabei ist, so Hägglund, dass unter dem Blickwinkel der Ewigkeit das Vergängliche bedeutungslos wird. Nur wenn etwas auf dem Spiel steht, entsteht Sinn. Wenn es keine Zeit mehr gibt und nichts mehr passiert, dann kann man genauso gut tot sein. Das Himmelreich gibt den weltlichen Dingen, die wir lieben, keine Ewigkeit, sondern verneint vielmehr ihre Bedeutung. Die heutige Wissenschaft sieht sich mit einer ähnlichen Unterscheidungslinie konfrontiert. Der Glaube an ein Himmelreich entspricht dem Traum, die Welt könnte vollumfänglich durch mathematische Information in einem Computer gespeichert werden. Diese Vermischung von Modell und Wirklichkeit ist aber im Prinzip der Versuch, sich außerhalb der Welt zu stellen und sich über die Unsicherheit und Vergänglichkeit zu erheben.

Und dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt.

Die Entstehung eines Sinns, der uns als biologische Wesen definiert, setzt Vergänglichkeit voraus. Die entscheidende Erkenntnis im Gegensatz zu allem, was uns die heutige Welt glauben machen will, ist, dass die Welt real existiert. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was nur eingebildet ist, und dem, was aus Fleisch und Blut ist. Davon handelt dieses Buch: von der Welt selbst.

II

Lebendige Wesen sind keine Maschinen

Warum fiel Newtons Apfel zu Boden? Nachdem hier die Physik an erster Stelle steht, beginne ich mit der Antwort eines Physikers. Es gibt eine Kraft, die man Gravitation nennt, die zwischen zwei Körpern wirkt und deren Stärke proportional zu dem Produkt der Massen der Körper und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes zwischen den Massemittelpunkten ist. Der Apfel wird somit, sobald er den Baum verlässt, durch diese Kraft auf den Mittelpunkt der Erde hin gezogen. Nun nehmen wir die Antwort eines Evolutionsbiologen: Früher einmal bewegten sich die Äpfel in alle möglichen Richtungen. Nach oben, nach unten und zur Seite. Die Welt war voll von Äpfeln, die sich über der Erde hin und her bewegten. Aber nur die Äpfel, die sich zum Boden hin bewegten, konnten keimen und zu neuen Apfelbäumen werden.

Rede von Frances Arnold, Nobelpreisträgerin für Chemie, auf dem Nobel-Bankett 2018

Als ich sechs Jahre alt war, wollte ich Biologe werden. Ich war leidenschaftlich an allen Arten von Tieren interessiert, vor allem an den etwas andersartigen wie Fischen, Schnecken, Insekten und – natürlich – Dinosauriern. Dieses Interesse behielt ich bis ins Erwachsenenalter bei. Als ich neun war, bekam ich ein Aquarium mit tropischen Fischen, und im Sommer fing ich geheimnisvolle Kreaturen in einem nahegelegenen Teich. Ich beobachtete, wie sich Kaulquappen in Frösche und Raupen, die ich mit Brennnesseln fütterte, in Schmetterlinge verwandelten. Aber als das wahre Wissenschaftsinteresse in mir reifte, erkannte ich, dass die tiefsten Fragen und Antworten nicht bei den Lebewesen, die ich in den Wäldern, Wiesen und Teichen meiner Kindheit entdeckte, zu finden waren. Wenn ich verstehen wollte, wie die Welt wirklich funktioniert, dann musste ich mich dem Sternenhimmel zuwenden.

So beschloss ich, Physiker zu werden. Solche wie ich studieren die fundamentalen Gesetze der Natur und müssen sich nicht um die Biologie kümmern. Ein Biologe andererseits muss zumindest die grundlegenden physikalischen Gesetze lernen. Schließlich sind die experimentellen Methoden der Physik in Form von Mikroskopen und anderen Instrumenten absolut unverzichtbar, um irgendwelche Erkenntnisse im Bereich der Biologie zu erzielen. Aber was kann ein Physiker von einem Biologen lernen?

Ich bekam Gelegenheit, diese Fragen mit dem Biologen und bekannten populärwissenschaftlichen Autor Richard Dawkins zu diskutieren, als ich ihn einmal auf einer Bühne vor beinahe 1000 Menschen interviewte und er nicht entfleuchen konnte. Er ist der perfekte britische Gentleman, spricht sanft und humorvoll und ist in Wirklichkeit ganz anders als er in der Presse manchmal dargestellt wird. Für manche ist er ein Held, andere wiederum fürchten ihn wegen seines kompromisslosen Kreuzzugs gegen die Religion.

Als Physiker war ich geschmeichelt über die Art, wie er meine Wissenschaft beschrieb. Er hielt die Physik für die grundlegende Wissenschaft, auf der alle anderen aufbauen. Die Biologie konzentriere sich auf das Komplexe, während die Physik sich um das Tiefsinnige kümmere. Darin erkannte ich meine eigenen Gründe, warum ich statt der Biologie die Physik gewählt hatte. Gerade dieses Tiefsinnige hatte mich angezogen, so dass ich keine Probleme damit hatte, die komplexe und schmutzige Welt der Biologie Menschen wie Richard Dawkins zu überlassen.

Physiker, zumindest solche, die sich mit der Teilchenphysik beschäftigen, sind besessen von der Einfachheit und Schönheit. Manche mögen sogar Gedanken mit einer Nähe zum Kreationismus hegen, ohne entlarvt zu werden, während sie gleichzeitig Richard mit ganzem Herzen in seinem Kampf unterstützen. Viele verneinen den Kreationismus in Bezug auf die Biologie, bekennen sich aber in Bezug auf ihr eigenes Gebiet gerne zu einem Glauben an die Notwendigkeit, dass schöne und einfache Gesetze den Grund der Schöpfung bilden mögen. Dabei leugnen sie oft sogar, auf irgendeine Weise religiös zu sein. Ob Atheist oder nicht, sie reden scherzhaft davon, Gottes Angesicht zu schauen oder dass Gott nicht würfeln würde. Sind das nur Metaphern? Für viele sicherlich, aber diese Haltung ist naiv. Wenn die Wurzel der Dinge von Schönheit und Einfachheit bestimmt ist, dann landet man schnell bei der naheliegenden Frage »Warum?«. Wer hat all diese Schönheit der Naturgesetze, die wir als selbstverständlich erachten, geschaffen? Für welches Auge sollen sie schön sein? Und nach welchem Maßstab soll Einfachheit beurteilt werden? Warum sollte es gerade so einfach sein, dass wir es verstehen können? Wenn man glaubt, Schönheit sei ein absoluter Begriff, unabhängig vom Menschen, dann liegt eine verlockende und unausweichliche Schlussfolgerung nahe. Muss sich nicht irgendwo ein Schöpfer verbergen, der einen ähnlichen Geschmack hat wie wir und einen Verstand, der nicht viel größer ist als unserer? Isaac Newton (1642–​1727) und seine Zeitgenossen hatten damit überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, wollten sie einen Beweis für die Existenz Gottes finden und suchten mit Vergnügen nach intelligenten Formen, Mustern und Strukturen.

In meinem Gespräch mit Richard wollte ich herausfinden, ob seiner Meinung nach schon alle Physik, die die Biologie benötigt, vorhanden sei. Falls das der Fall wäre, würde es bedeuten, dass ein Physiker nichts Neues von der Biologie lernen könnte und dass die Biologie für jeden, der an der Grundlagenphysik interessiert ist, ohne Bedeutung wäre. Das war nicht immer so. Es gibt in der Geschichte wichtige Beispiele dafür, dass neue Schlussfolgerungen in der Physik sich aus biologischen Erkenntnissen ergaben. Die Evolution ist so ein Fall.

Lord Kelvin (1824–​1907), ein prominenter Physiker aus dem späten 19. Jahrhundert, behauptete einmal, die Physik habe bereits alle Geheimnisse der Natur enthüllt und es gäbe nur noch wenige ärgerliche, kleine Details zu entdecken. Diese kleinen Details führten immerhin zur Quantenmechanik wie auch zur Relativitätstheorie, aber all das lag erst in der Zukunft. Als einfacher Wissenschaftler namens William Thomson legte Lord Kelvin, wie übrigens auch andere Wissenschaftler, das Alter der Erde auf lediglich einige zehn Millionen Jahre fest. Das Magma im Erdinneren könne nicht länger geschmolzen bleiben, und keine Energiequelle könne in der Sonne für eine längere Zeit als diese wirken. Dies allerdings stellte für Charles Darwin (1809–​1882) ein Problem dar, weil er einen viel längeren Zeitraum benötigte, wenn seine Evolutionstheorie funktionieren sollte. In einem Brief an einen anderen großen Biologen, Alfred Russell Wallace (1823–​1913), bestätigte er, dass Thomsons Blick auf das bisherige Alter der Welt für einige Zeit mein ernstestes Problem war.

Darwins Sorgen waren echt, und es war schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Revolution in der Physik, welche die Lösung bringen sollte. Anlass war ironischerweise die Kombination der beiden Probleme, die Lord Kelvin selbst identifiziert hatte. Die Radioaktivität erklärte, warum die Welt so lange so heiß bleiben konnte, und die Kernfusion erklärte, warum die Sonne auch Milliarden Jahre lang scheinen konnte.

Können sich in der heutigen Biologie weitere ähnliche Hinweise verbergen? Oder haben wir bereits alle Physik gefunden, die wir jemals in der Biologie brauchen werden? Das war es, was ich wissen wollte. Richard zögerte, er war sich nicht sicher, aber andere hegen da keine Zweifel. Sie meinen, dass die Biologie einem Physiker, der die grundlegenden Gesetze des Universums erforscht, nichts von Bedeutung bieten könne. Entsprechend kann ein Biologe sich mit deutlich weniger Physik begnügen, als die Wissenschaft heute schon kennt.

Ich glaube, Richard hatte gute Gründe, mit seiner Antwort zu zögern.

Der Code

Was ist Leben? Der Physiker Erwin Schrödinger (1887–​1961) schrieb 1944 gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ein Buch mit genau diesem Titel. Er näherte sich der Frage als Physiker, ohne dabei auszuschließen, dass man möglicherweise etwas ganz Neues brauchte, selbst wenn es um die grundlegenden physikalischen Gesetze ging. Das Buch schrieb Geschichte, weil es eine besondere Idee verbreitete. Schrödinger stellte sich vor, dass genetische Informationen auf physikalische Art, vielleicht in Form irgendeiner Art von Kristallen in den Zellen, gespeichert werden könnten.

Auch wenn er noch nicht alle Details richtig zusammenfügen konnte, wurde seine Theorie auf wundersame Weise bestätigt, als ein Jahrzehnt später die DNA entdeckt wurde. Am 28. Februar 1953 erzählte der britische Wissenschaftler Francis Crick (1916–​2004) in einem Pub in Cambridge seinem Freund, dass er und James Watson das Geheimnis des Lebens gelüftet hätten. Ihre Entdeckung passte genau zu Schrödingers Spekulation, doch es hatte eines Physikers bedurft, um die Biologen auf die richtige Spur zu bringen.

Der russische Astrophysiker George Gamow (1904–​1968) ist bekannt für seine Beiträge zur Kosmologie und seine populärwissenschaftlichen Bücher. In einem Brief an Crick und Watson vom Sommer 1953 schlug er vor, der Code der DNA könnte aus Wörtern mit jeweils drei Buchstaben bestehen. Die große Frage war damals, wie die Abfolge der Buchstaben in der DNA mit der Ordnung der Aminosäuren in Proteinen in Einklang zu bringen ist. Gamows wichtigster Beitrag war, dieses Problem auf eine mathematische Aufgabe einzuschränken. Jedes Drei-Buchstaben-Wort codiert demnach eine Aminosäure. Die Abfolge der Wörter legt fest, wie mehrere Aminosäuren sich zu einem Protein zusammensetzen. Die Reihenfolge der Wörter entspricht also der Anordnung der Aminosäuren. Statt der 26 Buchstaben des Alphabets braucht der genetische Code nur vier Buchstaben: A, C, T und G; diese stehen für die Nukleinbasen Adenin, Cytosin, Thymin und Guanin. Anders als in den üblichen Sprachen, in denen die Anzahl der Buchstaben pro Wort nicht begrenzt ist, benötigt ein Wort des genetischen Codes immer genau drei dieser vier Buchstaben, etwa ACG, CGA, GTC, TGA. Auf diese Weise erhält man 4 × 4 × 4 = 64 verschiedene Wörter, um zu beschreiben, welche Aminosäuren in einem Protein enthalten sind. Es gibt dabei eine gewisse Redundanz, weil die Zahl der Aminosäuren in lebenden Organismen nicht größer ist als 20.

Warum diese Zahlen? Vier Buchstaben, Wörter mit drei Buchstaben und 20 Wörter? Es ist erstaunlich, dass der Code so universell ist; er gilt von den einfachsten Bakterien bis hin zum Menschen. Er zeigt die Einheit allen Lebens und deutet auf einen gemeinsamen Ursprung hin. Man könnte sich verschiedene Lebensformen vorstellen, die alle DNA nutzen, aber mit verschiedenen Codes. Aber das ist nicht, was wir gefunden haben. Während der Milliarden Jahre hat die Evolution die Erzählung verändert, aber nicht die Sprache selbst.

Richard Dawkins hat in Form des egoistischen Gens eine überzeugende Metapher gefunden, um die bemerkenswerte Rolle der Gene zu beschreiben. Er will damit zeigen, wie die Gene das innerste Herzstück der Evolution darstellen. Die Gene entwickeln und verändern sich als Konsequenz davon, wie die Umgebung den Organismen, denen sie zum Wachstum verhelfen, zusetzt. An die nächste Generation werden diejenigen Gene weitergegeben, die sich in Gestalt von Organismen ausdrücken, die überleben und sich vervielfältigen. Gene, die es nicht schaffen, Nachwuchs zu erzeugen, der wiederum Nachwuchs erzeugt, werden bestraft und verschwinden. Der Organismus in Form eines Tiers oder einer Pflanze ist sekundär und lediglich ein Werkzeug für das egoistische und genialische Gen.

Heißt das, dass die Gene auf gewisse Weise realer sind als die Organismen? Man ist geneigt zu glauben, dass nur die Gene wirklich existieren, während der Organismus, den sie kodieren, nichts als Illusion ist. Es ist bemerkenswert, dass schon der vorsokratische Philosoph Demokrit behauptete, die einzigen Dinge, die existierten, seien Atome und Zwischenräume, während alles andere, wie etwa Bitterkeit und Süße, lediglich eine Konvention sei. Wenn man das Leben so betrachtet, spielen die Gene die gleiche Rolle in der Biologie wie die Atome in der Physik.

Dawkins Metapher vom egoistischen Gen